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Die Naturvölker aller Erdteile wissen "fabelartige" Geschichten zu erzählen. In denen den Tieren Sprache
und menschliches Handeln beigelegt werden.
Die Geschichten verfolgen im allgemeinen nicht das Ziel, Erfahrungen oder kluge Reden aufzustellen – wie es
in den Fabeln sonst üblich ist. – Sie geben poetische Erklärungen ab, für die verschiedenen Erscheinungen
in der Natur und im Leben.
Eigentlich kann man diese Geschichten nicht als "richtige" Fabeln bezeichnen, sondern eher als phantastische
Fabeleien mit mythenhaften Charakter.
Diese Naturvölker sind unerschütterlich davon überzeugt, dass alles so geschehen ist, wie es sich in ihren
Geschichten zugetragen hat. Diese Überzeugung wurde durch viele Generationen weitergegeben.
Indianer Eskimos, Hottentotten, - um nur einige Völker zu nennen – die sich ihre Kinderseelen bewahrt haben
besitzen solche Geschichten. Sie halten sie eben so hoch, wie die sogenannten Kulturvölker ihre Sagen und
Legenden aus grauer Vorzeit von ihren Gottheiten und Heiligen.

Obwohl diese Geschichten keine Fabeln im herkömmlichen Sinn sind, finde ich doch, dass sie unter solchen
durchaus ihren Daseinsberechtigung haben.
Mit einigen wenigen die ich in meiner Literatur gefunden habe, möchte ich meine Leser nun vertraut machen.


Quelle der Fabeln: ©Komet Verlag 2004.  Herausgeber und Verasser der Einleitung ©Theodor Etzel.
 
Die Fabeln
 
Der Elefant und der Hahn
Der tote Mann und der Mond
Der Ursprung des Todes
Warum hat der Schakal einen . . . .
Der Leopard und der Widder
Der Schakal und der Leopard
Der kranke Löwe
Das Chamäleon und der Elefant
Die Schlange
Hase und Affe
Der Fischdiebstahl
Der stolze Schmetterling
Die Erde und der Hase
Das Haselhuhn und die Schildkröte
Hasenlist

Der Elefant und der Hahn
(Aus Äquatoria)

Eines Tages forderten der Elefant und der Hahn einander zum Wettstreit auf, wer von
ihnen ein beharrlicherer Fresser wäre. Als sie an dem vereinbarten Orte sich getroffen
hatten, machten sie sich sofort ans Werk. Gegen Mittag legte sich der Elefant gesättigt
nieder und versank im Schlaf. Nach einigen Stunden wachte er auf und bemerkte zu
seinem großen Verwundern den Hahn, wie er immer noch unter dem Grase scharrte und
pickte. Auch er begann zu fressen, und, neuerdings gesättigt, zog er sich zurück, indem
er mit stets wachsendem Staunen den Hahn Nahrung zu sich nehmen sah. Als sich die
Sonne zum Untergang wendete, beeilte sich der Hahn, sich auf den Rücken des Elefanten
zu setzen, der sich mittlerweile gelegt hatte. Kurze Zeit verstrich, da fühlte der Elefant
Stiche auf seinem Rücken. "Was machst du da?" rief er halb erschreckt. "Nichts; ich
nähre mich von den Insekten, die ich in den Borsten deiner Haut finde." Entsetzt über
eine derartige ausdauernde Gefräßigkeit, erhob sich der Elefant und suchte wie ein Narr
das Weite.
Und seit diesem Tage flieht der Elefant stets, wenn er das Krähen des Hahnes hört.

Der tote Mann und der Mond
(Geschichtchen aus Äquatoria)

Ein alter Mann sah einen Toten, auf welchen der Schein des Mondes fiel. Er rief eine große
Anzahl Tiere zusammen und redete sie also an: "Wer von euch als tapferen Leuten will es
auf sich nehmen, diese Leiche auf das entgegengesetzte Flußufer zu tragen, und wer den toten Mond?"
Zwei Arten von Kröten meldeten sich; die eine mit den langen Beinen
übernahm den Mond, die andere mit den kurzen Beinen den toten Menschen. Der Trägerin
des Mondes gelang ihr Unternehmen; diejenige des Menschen aber ertrank infolge der Kürze
ihrer Beine.

Und das ist der Grund, weshalb der tote oder untergegangne Mond immer wieder erscheint,
der Mensch dagegen, wenn er einmal tot ist, nicht mehr zurückkehrt.

Der Ursprung des Todes
(Hottentotten-Mythos)

Einst sandte der Mond den Hasen auf die Erde nieder, um den Menschen zu verkünden,
daß wie er (nämlich der Mond) hinstürbe und wieder lebendig würde, so sollte auch ein
jedes Menschenkind sterben und wieder lebendig werden.
Anstatt aber nun die Botschaft genau auszurichten, sagte der Hase, sei es nun aus
Vergeßlichkeit oder aus Böswilligkeit, den Menschen, daß, wie der Mond erschiene und
hinstürbe, so sollten auch die Menschen sterben und nicht wieder lebendig werden.
Als der Hase dann zum Monde zurückgekehrt war, wurde er von demselben befragt, ob er
seine Botschaft ausgerichtet habe. Wie nun der Mond erfuhr, was jener getan, ward er so
zornig, daß er ein Beil ergriff, um dem Hasen den Kopf zu spalten. Da der Schlag aber zu
kurz geführt wurde, so fiel das Beil auf die Oberlippe des Hasen nieder und verletzte dieselbe
nicht unbedeutend. Daher stammt nun die sogenannte Hasenscharte, welche noch jetzt zu sehen ist.
Da der Hase nun über eine solche Behandlung höchst empört war, so nahm er seine Nägel
zu Hilfe und zerkratzte damit des Mondes Antlitz. Die dunkeln Partien nun, die wir noch jetzt
an der Oberfläche des Mondes wahrnehmen, sind die Schrammen, die er bei dieser
Gelegenheit erhielt.

Warum hat der Schakal einen langen schwarzen Streifen auf dem Rücken?
(Hottentotten-Geschichtchen)

Die Sonne, so erzählt man, befand sich einst auf der Erde. Die Menschen waren damals
gerade im Umzug begriffen und sahen sie wohl am Wege sitzen, gingen aber, ohne sie zu
beachten, vorüber.
Der Schakal aber, der hinter ihnen herkam und die Sonne auch dasitzen sah, ging zu ihr
heran und sprach: "Solch ein hübsches Kindlein lassen die Menschen zurück?" Er hob die
Sonne dann auf und steckte sie in das Awafell, das er auf dem Rücken trug. Da es ihn aber
brannte, so sprach er: "Komm herab!" und schüttelte sich; die Sonne klebte aber auf seinem
Rücken fest und brannte von dem Tag an des Schakals Rücken schwarz.

Der Leopard und der Widder
(Hottentotten-Fabel)

Als der Leopard einst von der Jagd heimkehrte, kam er zufällig an den Kraal eines Widders.
Nun hatte der Leopard nie zuvor einen Widder gesehen und näherte sich deshalb in sehr
unterwürfiger Weise, während er sprach: "Guten Tag, mein Freund! Wie magst du wohl
heißen?" Der Widder erwiderte mit rauher Stimme, indem er sich mit dem Vorderfuß auf die
Brust schlug: "Ich bin ein Widder, und wer bist du?" "Ein Leopard", versetzte er mehr tot als
lebendig, dann nahm er Abschied und eilte nach Hause, so schnell er konnte.

Nun lebte mit dem Leoparden zusammen ein Schakal, zu dem sagte er: "Freund Schakal!
Ich bin ganz außer Atem und halbtot vor Schrecken, denn ich habe einen fürchterlichen
Burschen mit großem, dicken Kopf gesehen, der mir auf die Frage nach seinem Namen ganz
groß erwidert hat: Ich bin ein Widder!"
"Was bist du doch für ein närrischer Kerl," rief der Schakal, "du hast ein schönes Stück
Fleisch fahren lassen! Wie konntest du das nur tun? Aber wir wollen uns gleich morgen auf
dem Weg machen und es gemeinsam verzehren!"
Am folgenden Tag machten sich die beiden nach dem Kraale des Widders auf. Als sie nun
auf diesen von der Höhe eines Hügels hinabsahen, erblickte sie der Widder, der ausgegangen
war, um frische Luft zu schöpfen, und der eben überlegte, wo er sich wohl heute den
zartesten Salat suchen könnte. Da eilte er denn sofort zu seiner Frau und rief ihr zu:
"Ich fürchte, daß unser letztes Stündlein geschlagen hat! Der Leopard und der Schakal
kommen beide auf uns zu, was sollen wir anfangen?"
"Sei nur nicht bange", meinte sein Weib, "sondern nimm das Kind hier auf den Arm, gehe
damit hinaus und kneife es recht tüchtig, so daß es schreit, als sei es hungrig."
Der Widder gehorchte und ging so den gegen ihn Verbündeten entgegen. Sobald der
Leopard den Widder erblickte, bemächtigte Furcht sich abermals seiner, und er wollte wieder
umkehren. Der Schakal hatte für diesen Fall schon Vorsorge getroffen, er hatte nämlich den
Leoparden mit einem ledernen Riemen an sich festgebunden. So sagte er nun:
"So komm doch!" Da kniff der Widder sein Kind tüchtig und rief dabei laut: "Das ist recht,
Freund Schakal, daß du uns den Leoparden zum Essen bringst, hörst du, wie mein Kind
nach Nahrung schreit?"
Als der Leopard diese schrecklichen Worte hörte, stürzte er, trotz der Bitten des Schakals,
ihn doch los zu lassen, in der größten Angst davon, indem er zugleich den Schakal über Berg
und Tal, durch Büsche und über Felsen mit sich fortschleppte und erst dann still hielt und
scheu um sich blickte, als er sich selbst und den halbtoten Schakal wieder nach Hause
gebracht hatte.
So entkam der Widder.

Der Schakal und der Leopard
(Aus Äquatoria)

Der Leopard hatte eine Gazelle gefangen und verzehrt. Das sah der Schakal. "Du bist
allerdings gefräßig unter den Tieren", sagte er zu ihm, "allein es wird dir nicht gelingen,
mich an Gefräßigkeit zu übertreffen." Der Leopard lachte. "Nun zur Probe!" antwortete er.

Der Schakal begab sich in ein weites Feld von weißlichen Kürbissen, und, nachdem er sie
von den Blättern gereinigt hatte, ließ er sich in der Mitte nieder, nachdem er sich den
Kopf rot gefärbt hatte. Der Leopard kam hinzu und versuchte, sich ihm zu nähern; da er
aber die Kürbisse wahrnahm und glaubte, es seien Schädel verzehrter Tiere, schritt er,
von Schrecken ergriffen, zurück. "Warum kommst du nicht näher?" rief ihm der Schakal zu.
"Ach, ich fürchte mich", versetzte der Leopard, seinen Weg weiter nehmend, "ich erkenne,
daß du wilder und blutdürstiger bist als ich."

Der kranke Löwe
(Hottentotten-Fabel)

Der Löwe, sagt man, war krank; da gingen sie alle, ihn in seinen Leiden zu besuchen;
der Schakal aber ging nicht hin, weil die Spuren der Leute, die hingingen, um ihn zu
besuchen, nicht wieder zurückkehrten. Da wurde er von der Hyäne bei dem Löwen
verklagt. "Obschon ich gekommen bin, dich zu besuchen, will doch der Schakal nicht
kommen, dich in deinen Leiden zu besuchen." Da schickte der Löwe die Hyäne, um den
Schakal zu fangen. Das tat sie und brachte ihn vor den Löwen. Der Löwe fragte den
Schakal: "Warum kamst du denn nicht, nach mir zu sehen?"
Der Schakal gab zur Antwort: "Bitte, lieber Onkel; als ich hörte, daß du so schwer krank
seiest, ging ich zum Zauberdoktor, um Rat zu holen und ihn zu fragen, was für eine
Arznei meinem Onkel von seinen Schmerzen helfen würde. Der Doktor aber sagte so zu mir
'Geh und sage deinem Onkel, er möge die Hyäne ergreifen, ihr das Fell abziehen, und, wenn
es noch warm wäre, es anlegen; dann werde es besser werden.' Die Hyäne ist so
nichtsnutzig, daß sie sich gar nicht um die Leiden meines Onkels kümmert."

Der Löwe folgte diesem Rat, ergriff die Hyäne, zog ihr, während sie aus Leibeskräften heulte,
das Fell über die Ohren und legte es an.

Das Chamäleon und der Elefant
(Aus Äquatoria)

Eines Tages lud das Chamäleon den Elefanten zum Laufen ein. Der Elefant nahm die
Herausforderung an, deren Entscheidung auf den folgenden Morgen verlegt wurde.
Während der Nacht verteilte das Chamäleon viele seiner Brüder in kurzer Entfernung den
Weg entlang, der zu durchlaufen war. Als der folgende Tag graute, kam der Elefant und
fing ohne weiteres zu laufen an. Das Chamäleon stieg hurtig dem Elefanten auf den
Schwanz. Bei jeder Begegnung mit einem Chamäleon fragte der Elefant: "Bist du nicht
müde?" - "Nein!" antwortete das gefragte Tier, das sich jetzt erst anschickte, den kleinen
ihm angewiesenen Teil zu durchlaufen. Zuletzt blieb der Elefant atemlos und müde stehen,
indem er sich für besiegt bekannte.

Die Schlange
(Hottentotten-Fabel)

Es war einmal ein Weißer, so erzählt man, der traf eine Schlange, auf die ein großer Stein
gefallen war, so daß sie sich nicht aufrichten konnte. Da hob der Weiße den Stein von
der Schlange auf. Als er ihn aber aufgehoben hatte, wollte die Schlange ihn beißen.
Der Weiße sagte jedoch: "Halt! Laß uns beide erst zu klugen Leuten gehen!" So gingen sie
denn und kamen zur Hyäne. Die fragte der Weiße. "Ist es auch wohl recht, daß die
Schlange mich nun beißen will, obwohl ich ihr half, da sie hilflos unter dem Steine lag?"
Die Hyäne erwiderte: "Nun, was wäre das denn Großes, wenn du gebissen würdest?"
Da wollte ihn die Schlange beißen, aber der Weiße sprach wieder: "Warte erst und laß uns
zu andern klugen Leuten gehen, damit ich höre, ob es auch recht ist!"
Als sie weitergingen, trafen sie den Schakal. Da redete der Weiße den Schakal an:
"Ist's auch wohl recht, daß die Schlange mich beißen will, obschon ich den Stein aufhob,
der auf ihr lastete?" Der Schakal erwiderte: "Ich kann es mir gar nicht vorstellen, daß die
Schlange so vom Stein bedeckt sein konnte, daß sie nicht imstande war aufzustehen.
Nur wenn ich's mit meinen eignen Augen sähe, würde ich's glauben. Kommt, wir wollen
uns auf den Weg machen und zusehen, ob's möglich ist."
So machten sie sich denn alle auf und gingen nach der Stelle, wo es geschehen war.
Dort angekommen sprach der Schakal: "Schlange, lege dich nieder und laß dich mit dem
Stein bedecken." Da legte der Weiße den Stein auf sie, und, obschon sie sich sehr
anstrengte, konnte sie doch nicht aufstehen. Der weiße Mann wollte den Stein wieder
aufheben, aber der Schakal sprach: "Laß sie nur liegen, sie wollte dich ja beißen;
sie mag allein aufstehen!"
Und beide gingen davon.

Hase und Affe
(Woloffen-Fabel aus dem Sudan)

Der Affe warf dem Hasen vor, er blicke sich fortwährend um, der Hase erwiderte, der Affe
kratze sich fortwährend. Beide kamen überein, einen Tag hindurch vom Sonnenaufgang
bis zum Sonnenuntergang beieinander zu sitzen. Der Hase versprach, sich nicht
umzuschauen, der Affe gelobte, sich nicht zu kratzen.
Der festgesetzte Tag kam heran, mit Sonnenaufgang fanden sich beide an dem bestimmten
Platz ein. Regungslos hielt der Hase seinen Blick auf den Erdboden geheftet, ruhig und
unbeweglich ruhten die Hände des Affen auf seinem Schoß.
Es wurde Mittag, da sagte der Affe, der es vor Pein kaum noch aushalten vermochte:
"Als ich im Kriege war, trafen mich die Kugeln hier - und hier - und dort – und dort!"
Wohin er mit dem Finger wies, um die Stellen zu bezeichnen, wo er getroffen worden war,
kratzte er sich schnell.
Auch der Hase, der es kaum noch vermochte, seine Augen auf dem Fußboden vor ihm
ruhen zu lassen, begann eine Erzählung: "Als ich im Kriege war," sagte er, "verfolgten mich
auch die Feinde. Vor Entsetzen sprang ich bald hierhin, bald dorthin - bald links,
bald rechts." Mit Blitzesschnelle folgten dabei seine Augen, die so lange starr auf den Boden
geheftet gewesen waren, den Bewegungen seiner Glieder.

Der Fischdiebstahl
(Hottentotten-Fabel)

Einst sah der Schakal, der an der Grenze der Kolonie lebte, einen Wagen von der Küste
kommen, der mit Fischen beladen war. Er machte den Versuch, auf den Wagen von hinten
aufzusteigen, aber es war ihm nicht möglich. Da eilte er demselben voraus und legte sich
auf den Weg nieder, als wenn er tot wäre.
Als der Wagen im nahe kam, rief der Leiter des Gespanns dem Kutscher zu: "Da liegt ein
schöner Pelz für deine Frau!" - "Wirf's ihn in den Wagen!" rief der Kutscher.
So wurde der Schakal in den Wagen geworfen.
Während der Wagen in der mondhellen Nacht dahinfuhr, warf der Schakal die Fische auf die
Straße, sprang dann selbst hinunter und brachte einen guten Teil in Sicherheit. Aber eine
einfältige alte Hyäne, die hinzukam, verzehrte mehr als ihren Anteil, was der Schakal ihr
zu gedenken beschloß. So sagte er dann zu ihr: "Du kannst auch Fische genug bekommen,
wenn du dich vor einen Wagen legst und, was auch geschehen mag, dich ganz still
verhältst." - "Jawohl," brummte die Hyäne; darauf streckte sie sich, so bald wieder ein
Wagen von der Küste herkam, auf den Weg hin.
"Was für ein garstiges Geschöpf ist das?" rief der Leiter und stieß die Hyäne mit dem Fuß
an. Dann nahm er einen Stock und schlug sie halbtot. Die Hyäne tat, wie ihr der Schakal
gesagt hatte, und lag still, solange sie es aushalten konnte. Dann stand sie auf und
humpelte davon, um dem Schakal ihr Leid zu klagen, der sie zum Schein tröstete.
"Wie schade," rief die Hyäne, "daß ich kein so hübsches Fell habe wie du!"

Der stolze Schmetterling
(Woloffen-Fabel)

Ein wunderschöner Schmetterling umflatterte eine duftende Blume; da bemerkte er eine
häßliche Raupe, die im Staube dahinkroch. Verächtlich rief der Schmetterling ihr zu:
"Wie darfst du es wagen, dich in meiner Nähe sehen zu lassen? Fort mit dir! Sieh, ich bin
schön und strahlend wie die Sonne, und meine Schwingen tragen mich hoch in die Lüfte,
während du auf der Erde umherkriechst. Fort, wir haben nichts miteinander zu schaffen!"
"Dein Stolz, du bunter Schmetterling, steht dir schlecht an", erwiderte die Raupe ruhig.
"All deine Farbenpracht gibt dir nicht das Recht, mich zu verachten. Wir sind und bleiben
Verwandte, so schmähst du dich also selbst. Bist du nicht früher eine Raupe gewesen?
Und werden deine Kinder nicht Raupen sein wie du und ich?!"

Die Erde und der Hase
(Aus Äquatoria)

Eines Tages sagte der Hase zur Erde: "Du rührst dich nicht, du stehst beständig fest;
warum das?" - "Du täuschest dich," erwiderte die Erde; "ich laufe mehr als du." - "Es soll auf
den Beweis ankommen!" rief der Hase und fing zu laufen an.
Nachdem er eine lange Strecke durcheilt hatte, hielt er, des Sieges versichert, inne. Aber zu
seiner großen Überraschung sah er die Erde noch immer unter seinen Füßen. Öfter noch
wiederholte er die Probe, bis er, durch die langen Anstrengungen ermüdet, zu Boden sank
und starb.

Das Haselhuhn und die Schildkröte
(Aus Äquatoria)

"Ich bin besser daran, als du," sagte das Haselhuhn zur Schildkröte. "Ich kann rasch gehen
und noch mehr - ich kann fliegen." - "Du Glückliche", antwortete die Schildkröte,
"ich schleppe mich fort, und, so gut es geht, mache ich meine Geschäfte ab."
Nun traf es sich, daß die Menschen, um zu jagen, das Gras der Wiese anbrannten;
das wachsende Feuer engte den Kreis immer mehr ein, die Gefahr für beide Tiere war
offenkundig und sicher. Die Schildkröte schleppte sich in eine kleine Grube, die durch den
Fußtritt eines Elefanten ausgehöhlt war, und rettete sich so. Das Haselhuhn dagegen
versuchte den Flug; aber Rauch und Feuer ließen es herabfallen, und es starb.
Wer sich allzusehr  rühmt, bleibt bei der Probe zurück.

Hasenlist
(Woloffen-Fabel)

Einst nahte sich der Hase, der das allerboshafteste Geschöpf auf Erden ist, dem Throne des
Schöpfers und bat, der Herr möge ihn noch ein wenig geriebener machen. "Geh, geh!"
rief der Schöpfer, um sich des zudringlichen Bettlers zu entledigen; "erst fülle deine
Kalebasse einmal mit lebendigen Sperlingen."
Der Hase ging und setzte sich sinnend am Ufer einer Quelle nieder. Der Tag neigte sich
seinem Ende zu, die Sonne ging unter; siehe, da kamen alle die Vögel herbei, um sich nach
der großen Hitze, die am Tage geherrscht, und während der sie sich verborgen gehalten
hatten, zu erfrischen. Die Sperlinge waren hauptsächlich munter, sangen und sprangen und
löschten ihren Durst mit dem frischen Quellwasser.
Der Hase denkt bei sich: 'Nun ist's Zeit!' springt auf und murmelt halblaut vor sich hin:
'Ja – nein – nein – und doch – o nein, verzeiht – nie und nimmer – es geht nicht –es ist
unmöglich – und doch? – o!'
Verwundert fragen ihn die Sperlinge, was er denn meine? Er gibt zur Antwort er wolle gar zu
gern wissen, ob alle Sperlinge in seiner Kalebasse Platz hätten. "Gewiß," war die Antwort der
Vögel, "wir sind ja so klein!" Damit schlüpfte eins nach dem andern in die Kalebasse des
Hasen. Schnell setzt dieser den Deckel auf und eilt mit seiner Beute zum Thron des
Schöpfers. Der aber sagte: "Wollte ich deinen Verstand noch vermehren, so würdest du ja
die Welt umkehren. Geh!"