Fabelverzeichnis
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Anonyme Lieder
 


 

Nach Gattung und Stil gehören dieser und der folgende Text, die wohl aus der Mitte des 12. Jahrhunderts
stammen, zu den altertümlichsten Beispielen politisch-moralischer Zeitkritik.
Die allgemeine Aussage erlaubt weder einen genauen politischen Bezug noch eine präzise Datierung.

 
Ubermuot diu alte
 
Die alte Superbia
 

Ubermuot diu alte
diu rîtet mit gewalte,
untrewe leitet ir den vanen.
girischeit diu scehet dane
ze scaden den armen weisen.
diu lant diu stânt wol allîche en vreise.

~0~0~0~

 

Die alte (Frau) Superbia
reitet mit einem Heer (zum Kampf);
Untreue trägt ihr die Fahne.
Habgier geht auf Raub,
die armen Waisen zum Schaden.
Die Lande sind alle in Schrecken.

~0~0~0~

 

Es ist nicht ganz sicher, ob es sich tatsächlich um eine sangbare Strophe und nicht eher um das Fragment
einer solchen oder um eine Art Merkspruch handelt.

 

Tief vurt truobe
 
Ein tiefe, trübe Furt
 
Tief vurt truobe
und schône wîphuore
sweme dar wirt ze gâch,
den gerûit iz sâ.

~0~0~0~

 
Ein tiefe, trübe Furt
und Abenteuer mit schönen Frauen,
wer sich da voreilig hineinstürzr,
den wird es bald reuen.

~0~0~0~

 

Die Herkunft der in der in der späteren Lyrik oft vorkommenden Anfangsformel liegt im Dunkel: volkstümliche Verlöbnisformel oder geistliche Tradition? (oder gar beides?)
 

Dû bist mîn, ich bin dîn
 
Du bist mein, ich bin dein
 
Dû bist mîn, ich bin dîn.
des solt dû gewis sîn.
dû bist beslozzen
in mînem herzen,
verlorn ist daz sluzzelîn:
dû muost ouch immêr darinne sîn.

~0~0~0~

 
Du bist mein, ich bin dein,
dessen sollst du sicher sein.
Du bist beschlossen
in meinem Herzen,
verloren ist das Schlüsselein,
du mußt für immer drinnen bleiben.

~0~0~0~

 

Hs. der Carmina Burana, die beiden metrisch gleich gebauten Strophen stehen dort jeweils
am am Schluss lateinischer Liebeslieder.

 

Waere diu werlt alle mîn
 
Wäre die ganze Welt mein
 
Waere diu werlt alle mîn
von deme mere unze an den Rîn,
des wolt ich mich darben,
daz chunich von Engellant
laege an mînem arme.

Tougen minne diu ist guot,
sî chan geben hôhen muot.
der sol man sich vlîzen.
swer mit triwen der nit pfliget,
deme sol man daz wîzen.

 
Wäre die ganze Welt mein,
vom Meer bis an den Rhein,
darauf würde ich verzichten,
falls der König von England
in meinem Arme läge.

Heimliche Liebe ist die richtige,
sie kann in Hochstimmung versetzen,
sie soll man suchen.
Wer nicht auf solche Weise zuverlässig liebt,
den soll man dafür streng tadeln.

 

Quelle:
©Reclam/1993/Deutsche Gedichte des Mittelalters/Ausgewählt, übersetzt und erläutert von Ulrich Müller und Gerlinde Weiss.

 

Floret silva nobilis
floribus et foliis.
ubi est antiquus
meus amicus?
hinc equitavit!
eia! quis me amabit?
Refl. Floret silva undique,
       nâh mîme gesellen ist mir wê!

Grůnet der walt allenthalben.
wâ ist mîn geselle alsô lange?
der ist geriten hinnen.
owî! wer sol mich minnen?

~0~0~0~

 
Der herrliche Wald
prangt mit Blumen und Blättern.
Wo ist mein Freund?
aus früheren Zeiten?
Er ist davongeritten!
O weh! Wer wird mich lieben?
Ref. Überall grünt der Wald;
       Nach meinem Gefährten sehne ich mich!

Überall grünt der Wald.
Wo bleibt mein Gefährte so lange?
Er ist davongeritten.
Ach, wer wird mich lieben?

~0~0~0~

 
Ich wil trûren varen lân;
ûf die heide sul wir gân,
vil liebe gespilen mîn!
da seh wir der bluomen schîn.
Refl.  Ich sage dir, ih sage dir,
         mîn geselle, chum mit mir!

Sůziv Minne, raine Min,
mache mir ein chrenzelîn!
daz sol tragen ein stolzer ma;
der wol wîben dienen chan!
Refl.  Ich sage dir, ih sage dir,
         mîn geselle, chum mit mir!

~0~0~0~

 
Ich will dem Trauern ein Ende machen;
laßt uns auf die Heide gehen,
meine liebsten Gespielinnen!
Leuchtende Blumen sehen wir dort.
Ref.  Ich sage dir, ich sage dir,
        mein Geliebter, komm mit mir!

Süße Minne, reine Minne,
mache mir ein Kränzchen!
Tragen soll es ein stattlicher Mann,
der den Frauen wohl dienen kann!
Ref.  Ich sage dir, ich sage dir,
        mein Geliebter, komm mit mir!

~0~0~0~

 
Nahtegal, sing einen dôn mit sinne
mîner hôchgemuoten chuniginne!
chunde ir, daz mîn steter muot
und mîn herze brinne
nâh irm süezen lîbe und nâch ir minne!

 
Nachtigall, sing mit Bedacht ein Lied
für meine edle Königin!
Sag ihr, daß mein beständige Sinn
und mein Herz sich brennend sehnen
nach ihrer süßen Gestalt und ihrer Liebe!

 

Quelle:
©Anaconda Verlag/2006/ Carmina Burana/Lieder aus Benediktbeuren
Lateinische Übersetzung©Matthias Hackemann – Mittelhochdeutsche Übersetzung©Ulrike Brandt-Schwarze.

 

Namenlose Liebeslieder
 
Swaz hie gât umbe,
daz sint alle megedì,
die wellent ân man
allen disen sumer gân.

~0~0~0~

Mich dunket niht sô guotes noch sô lobesam
sô diu liehte rôse und diu minne mîns man.
diu kleinen vogellîn
diu singent in dem walde: dêst menegem herzen liep.
mir enkome mîn holder geselle, ine hân der sumerwunne niet.

~0~0~0~

Diu linde ist an dem ende nu jârlanc lieht unde blôz.
mich vêhet mîn geselle. nu engilte ich, des ich nie genôz.
sô vil ist unstæter wîbe: die benement ime den sin.
got wizze wol die wârheit, daz ime diu holdeste bin.
si enkunnen niewan triegen vil menegen kindeschen man.
owê mir sîner jugende! diu muoz mir al ze sorgen ergân.

 
Was hier herumgeht,
das sind alles Mädchen,
die wollen ohne Mann
diesen ganzen Sommer gehen.

~0~0~0~

Nichts scheint mir so gut, nichts so lobenswert
wie die leuchtende Rose und die Liebe meines Freundes.
Die kleinen Vögelchen
die singen im Wald: das ist vielen Herzen lieb.
Kommt mein holder Liebster nicht, habe ich nichts von der Sommerfreude.

~0~0~0~

Die Linde an der Krone nun ein Jahr lang licht und kahl.
Mich haßt mein Geliebter. Nun verbüße ich, was mir nie zuteil wurde.
Es gibt viele wankelmütige Frauen. Die rauben ihm den Verstand.
Gott mag sehr wohl die Wahrheit wissen, daß ich ihn am meisten liebe.
Sie können nichts anderes, als junge Männer betrügen
Weh mir ob seiner Jugendlichkeit. Sie bringt mir nichts als Sorgen ein.

 
Quelle:
©Marix-Verlag/2005/Herausgegeben©Manfred Stange

 
Ach herzeliep, ach herzeleit,
ach lîbes lieplich arebeit,
ach jâchant mîn, ach balsam trôr,
ach du süezez zuckerrôr
lîbes unde herzen mîn,
ich bin von der lâge dîn
der werlde abe gesundert.
daz wunder überwundert
mich hât daz ich verzaget bin.
herze, lîp, der sêle sin
haben lebens sich erwegen,
sît sî niht ander liebe pflegen
den wie si dich mit liebe segen.

~0~0~0~

Möhte zerspringen mîn herze mir gar
von leiden sachen, ich wær lange tôt,
daz diu vil reine mîn nimt keine war
und ich unmære ir, daz ist ein nôt;
daz ich an ir armen sol niemer erwarmen:
sol ich an ir armen nie mêr ruowen niht;
owê ruowen niht, owê ruowen niht,
ach, sendez herze, der leiden geschiht!

Tantalus geselle bin ich nu gesîn,
den türstet vil sêre unde tuot hunger wê:
doch sô fliuzet ofte vor dem munde sîn
grânât manger leie und ein tiefer sê.
alsô sên ich dicke lieplîche ougen blicke,
dâ von ich erschricke, ach die tuont mir wê.
ach daz tuot mir wê, ach die tuont mir wê.
rât edele Minne, daz sorge zergê.

 
Ach Herzelieb, ach Herzeleid,
ach Lebens liebliche Mühsal,
ach Hyazinth, ach Balsamtau,
ach du süßes Zuckerrohr
von meinem Herzen und Leben,
ich bin durch deine Nachstellung
von der Welt abgesondert.
Das Wunder hat mich überwältigt,
so daß ich mutlos bin.
Herz, Leib und Seelenkraft
haben das Leben aufgegeben,
seit sie nicht andre Liebe üben,
als wie sie dich mit Liebe rühmen.

~0~0~0~

Könnte mein Herz mir ganz zerspringen
von leidigen Dingen, ich wär lange schon tot.
Daß die Reine mich nicht beachtet
und ich ihr zuwider bin, das ist eine Not;
daß ich in ihren Armen nie soll erwarmen:
soll ich in ihren Armen nie mehr ruhen je,
o weh, ruhen nie, o weh, ruhen nie,
ach, liebendes Herz, dieser leidigen Sache!

Des Tantalus Bruder bin ich nun gewesen,
den dürstet gar sehr und Hunger tut ihm weh:
doch so schweben oft vor seinem Munde
Granatäpfel viel und ein tiefer See.
Ebenso seh ich oft der Augen liebliche Blicke,
davon erschreck ich, ach, die tun mir weh.
Ach, das tut mir weh, ach, die tun mir weh.
Hilf, edle Minne, daß die Sorge vergeh.

 
Quelle:
Manesse-Verlag/2001/Auswahl und Übersetzung©Max Wehrli.

 
»Mir hât ein ritter,« sprach ein wîp,
»gedienet nâch dem willen mîn.
ê sich verwandelt diu zît,
sô muoz ime doch gelônet sîn.
mich dunket winter unde snê
schoene bluomen unde klê,
swenne ich in umbevangen hân.
und waerz al der welte leit,
sô muoz sîn wille an mir ergân.«

 
»Mir hat ein Ritter,« sagte eine Frau,
»nach meinem Willen gedient.
Vor dem Wechsel der Jahreszeit noch
muß er seinen Lohn erhalten.
Mir erscheinen Winter und Schnee
wie schöne Blumen und Klee,
wenn ich ihn in den Armen halte.
Und wäre es der ganzen Welt ein Ärgernis:
Sein Wille soll sich an mir erfüllen.«

 
Quelle:
©Reclam/2000/Frauenlieder des Mittelalters/übersetzt und herausgegeben©Ingrid Kasten.

 
 
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