Von den Vögeln
Es war ein klarer See, fern von den Menschen, darin viele
Fische schwammen. Den fand
ein Vogel eines Tages, freute sich der Heimlichkeit des
Wassers und sprach zu sich:
>Ich will mein Weib herholen, denn hier mögen wir ohne Sorge
genügsam unsere
Nahrung finden. Zu der Zeit aber saß sein Weib auf ihrem
Nest auf den Eiern, die sich
schon aufschließen wollten. Und sie hatte einen andern
Vogel, der hieß Mosam, der war
ihr freundlich und gefällig, also daß sie ihn sehr lieb
hatte. Als sie von dem Vorhaben
ihres Mannes hörte, war ihr das widerwärtig, und sie wollte
es ihrem Freund nicht
verbergen, wiewohl ihr das der Mann sehr verboten hatte.
Also gedachte sie einen Grund zu finden, wie sie zu Mosam
käme, und sprach zu ihrem
Mann: "Jetzt werden unsere Jungen bald ausschlüpfen, und ich
will holen, was mir ein
Arzt gesagt hat, wovon sie starke Gefieder bekommen und
glückselig sind ihr Leben
lang." Der Mann fragte: "Was ist das?" Sie antwortete ihm:
"Es ist ein Fisch aus dem See
einer Insel, die mir gezeigt ist, und die sonst niemand
weiß. Darum sitze du solang auf
den Eiern, bis ich wiederkomme, so will ich einen Fisch
bringen oder zwei, die wir mit uns
führen zu dem See, den du gefunden hast." Darauf sprach der
Mann: Es ziemt sich einem
Vernünftigen nicht, all das zu versuchen, was ein Arzt
gesagt hat. Denn oft habe ich
gehört, daß ihre Bücher sagen von köstlichem Medikament, das
aus dem Unschlitt der
Löwen oder dem Gift der Natter zu machen sei, aber keinem
Vernünftigen ist zu raten,
daß er darum den Löwen in der Wildnis oder die Schlange in
ihrer Höhle suche mit
Gefahr seines Lebens.
Darauf antwortete das Weib: "Ich habe dich wohl verstanden,
aber bei mir ist keine Gefahr,
und der Fisch wird unseren Jungen sehr nützlich sein." Als
der Mann nun sah, daß sein Weib
solche Lust hatte, das zu
vollbringen, sprach er zu ihr: "So tue, was du dir
vorgenommen
hast, aber sieh zu, daß du niemandem etwas sagst von unserem
Vorhaben.
Also flog das Weib zu Mosam, ihrem Freund, und sagte ihm,
daß ihr Mann zu einem
See ziehen wollte, wo viele Fische seien und lustige Wohnung
fern von allen Menschen.
Und sprach: "Möchtest du Grund finden, auch dorthin zu
kommen, doch mit Willen
meines Mannes, so würde mir Glück widerfahren, denn ohne
dich habe ich keine Freude."
Mosam antwortete: "Sag du einen Weg, wie ich mit Willen
deines Mannes dahin kommen
kann." Das Weib sprach zu ihm: "Ich rate dir, du gehst zu
ihm, als ob du nichts von
unserer Sache wüßtest, und sprichst: Ich habe einen See
gefunden, wo niemand wohnt
und viele Fische sind. Dort will ich meine Wohnung nehmen
und frage dich, ob du mit mir
kommen willst. Er wird dir darauf sagen, daß er den Platz
schon vor dir gefunden
habe, und du sprichst dann zu ihm: So bist du würdiger als
ich, aber bitte, laß mich als
dein guter Freund und Geselle bei dir bleiben. Und dies
alles redest du mit meinem Mann,
ehe ich wieder zurückkomme." Mosam tat wie ihm geraten war,
und der Mann antwortete,
daß ihm seine Gesellschaft recht wäre. Derweilen kam das
Weib zurück und brachte zwei
Fische in ihrem Schnabel und sprach: "Das sind die Fische,
von denen ich dir gesagt habe.
Und als sie hörte, daß Mosam mitkommen wollte zu dem See,
stellte sie sich ärgerlich
und sprach: "Den Platz haben wir allein gewählt, da dort
kein anderer Vogel ist, und ich
fürchte, wenn der mit uns kommt, so folgen ihm noch seine
Gesellen nach.
Der Mann antwortete ihr darauf: "Du hast recht, aber ich
traue diesem Vogel und hoffe,
wir können uns mit seiner Hilfe anderer Vögel erwehren, denn
niemand soll zu sehr
seiner eigenen Stärke vertrauen, auch sind wir nicht die
kräftigsten unter den Vögeln.
Aber mit Hilfe kann auch der Schwache den Starken
überwinden. Darum gefällt es mir,
daß wir Mosam mit uns nehmen." Als das Weib dies hörte,
freute sie sich in ihrem
Herzen. Und sie flogen zusammen an den See und bauten dort
ein Nest zu ihrer Wohnung.
Und Mosam baute sein Nest nicht fern von ihnen, und sie
lebten friedlich zusammen.
Nun hatte Mosam die anderen Vögel weniger lieb als sie ihn,
und als nach langdauernder
Hitze der See eintrocknete und nur noch wenige Fische darin
waren, dachte er, wie er sie
töten könnte, und ging mit trauriger Miene zu dem Weib. Die
sprach zu ihm:
"Warum sehe ich dich so traurig?" Er antwortete ihr: "Ich
traure nur um die schlimme
Zeit, da es uns an Nahrung gebricht." Das Weib aber sprach:
"Ich merke, daß es etwas
anderes ist, worum du so betrübt bist." Er antwortete: "Ja,
es ist deinetwegen, und wenn
du mir folgen willst, mag ich dir vor mancher
Widerwärtigkeit bewahren."
Das Weib fragte: "Was ist das?" Und er antwortete: "Wiewohl
wir nicht von Geburt einer
Art angehören, so sind wir doch Brüder, daß wir einander
helfen sollen. Darum will ich dir
einen Rat geben, der dir nützlich ist, trotzdem es dir
vielleicht hart ankommt, ihn zu
vollbringen, doch achte ich es gering, wenn ich an das
Unheil denke, dem du damit
zuvorkommst. Darum folge meinem Rat und frage nicht warum,
bis du es getan hast."
Das Weib sprach: "Du hast mich sehr erschreckt mit deiner
Rede, und ich kann nicht
erraten, was es ist. Aber leichter ist es mir, durch deinen
Willen zu sterben, denn wer
gibt nicht gern sein Leben hin für einen treuen Gesellen.
Also sage deine Meinung."
Mosam entgegnete ihr: "Mein Rat ist, daß du deinen Mann
tötest und dich von ihm frei
machst, dadurch wird dir Glück und Heil zufallen, mir und
dir. Aber frage nicht nach der
Ursache und vertraue mir, daß ich dir das nicht raten würde,
wenn es nicht zum Guten
wäre. Und sobald du es getan hast, will ich es dir sagen.
Traure auch nicht um deinen
Mann, denn ich will dir einen besseren und jüngeren geben
deiner Art, der unser Gesell
wird." Als das Weib von einem besseren Mann hörte, erschrak
sie sozusagen, und wollte
doch einen jungen haben und sprach zu Mosam: "Ich merke, daß
dein Rat treu ist und
ein Zeichen deiner Liebe zu mir. Und wäre er nur dir und
nicht mir von Nutzen, so wollte
ich ihm doch folgen. Aber wie mag ich das vollbringen? Und
er antwortete ihr: "Ich weiß
einen Bach, in dem viele Fische sind. Wenn dort die Männer
große Fische fangen wollen,
nehmen sie ein Stück Holz, an beiden Enden spitz, und
stecken darauf einen kleinen
Fisch vom Kopf bis zum Schwanz. So ein Fischlein nimm und
bringe es deinen
Mann. Wenn er das schluckt, wird er daran ersticken."
Das Weib tat, wie sie unterwiesen war, und da ihr Mann zu
alt war, seine Nahrung zu
erjagen, und hungrig, verschlang er, was sie ihm brachte,
und er erwürgte daran.
Danach blieben die beiden eine Weile beieinander, und das
Weib gedachte, daß Mosam
verheißen hatte, ihr einen jungen Mann zu geben, und bat ihn
darum. Er sagte ihr das zu.
Nach einiger Zeit begegnete ihm ein Fuchs an dem Ufer des
Sees, zu dem ging er und
sprach: "Ich will dir etwas offenbaren, was dir Freude
macht. Bei mir wohnt ein Vogel,
dem ich feind bin, und ich denke, wie ich ihn dir zur Speise
brächte. Nun ist er begierig
eines jungen Mannes, und ich will ihm sagen, daß ich einen
hier gefunden habe.
Du aber verbirgst dich hinter diesem Felsen, und ich will
ihn heißen dahin zu gehen,
daß du ihn ergreifen kannst."
Das gefiel dem Fuchs, und er versprach zu tun, was ihm der
Vogel gesagt hatte.
Also ging Mosam zu dem Weib und sprach: "Ich habe einen
deiner Art gefunden bei dem
Wasser, und da ich ihm erzählt habe von deiner Schönheit,
deinen guten Sitten und
deiner Klugheit, ist er willig, dich zum Weib zu nehmen, und
hat mich gebeten, daß ich
dich zu seiner Wohnung bringe. Darum bereite dich, mit mir
zu gehen. Das Weib folgte
ihm mit Freuden, und Mosam führte sie zu dem Hain, wohin er
den Fuchs bestellt hatte,
und sprach: "Geh, dort hinter dem Felsen wartet er dein."
Und das Weib ging hin und
ward von dem Fuchs ergriffen und verzehrt.
Die beiden Affen
Es stand ein guter Fruchtbaum an einem Platz mit Wasser und
Weide, dabei ein Affe
lange Zeit gelebt hatte. Der wurde krank im Alter, mager und
kraftlos. Da kam ein
anderer Affe zu ihn, der gern an einem guten Platz wohnen
wollte, und sprach:
"Ich habe einen gekannt, der hatte dieselbe Krankheit wie
du, und mit dem konnte mit
nichts geholfen werden als mit dem Haupt einer schwarzen
Natter, und als er davon aß,
ward er gesund." Der erste Affe fragte: "Wie kann ich denn
das bekommen, wo ich so
krank und kraftlos bin?" Der Andere antwortete ihm: "Ich sah
vor zwei Tagen einen
Mann stehen vor einer Höhle, der eine schwarze Natter
erschlug, um die Zunge seinem
Herrn zu bringen, dort will ich dich hinführen, und du
nimmst das Haupt und wirst davon
genesen." Und er führte ihn zu der Höhle, worin, wie er
wußte, ein Drachen wohnte.
Der Kranke glaubte ihm, kroch hinein und ward von dem
Drachen gefressen.
Der Andere aber ging zu dem Platz und lebte von den Früchten
des Baumes.
Vom Wolf und den Katzen
Am Gestade des Meeres lebte eine Schar Wölfe. Darunter war
einer mutiger als die
anderen, der sich Ruhm erwerben wollte und zum Jagen auszog
auf ein Gebirge, wo viele
Tiere wohnten. Da blieb er und fing alle Tage eines zu
seiner Nahrung. Nun lebte dort
auch eine Schar Katzen unter einem König, die von dem Wolf
geschädigt wurden an ihrer
Beute. Die berieten, was sie wider dem Wolf tun könnten, und
der König fragte den
ersten: "Was ist dein Rat gegen den Wolf, der so manchen von
uns verletzt hat?"
Der sprach: "Ich rate, daß wir fortziehen und andere Wohnung
suchen, vielleicht finden
wir einen Platz, wo wir in Ruhe und ohne Sorge leben
können."
Ein anderer sprach auf des Königs Frage: "Mein Rat ist, hier
zu bleiben und zu sehen,
wie wir ihn überwinden, und da rate ich, acht zu haben auf
den Wolf, wenn er etwas
erjagt hat und es fortträgt auf einen Platz zum Fressen.
Dann gehen wir, der König und die Stärksten seiner Schar zu
ihm, als ob wir die Reste
seiner Speise suchen wollen, so glaubt er sich sicher; wenn
wir ganz nah an ihn
herankommen, will ich auf ihn springen und seine Augen
auskratzen. Dann fallen wir alle
über ihn her, da er sich nicht wehren kann, und beißen ihn,
bis er stirbt."
Es geschah nun eines Tages, daß der Wolf einen großen Fang
gemacht hatte, und die
Schar der Katzen folgte ihm auf einen hohen Fels und sie
standen über ihm.
Der Wolf aber verachtete sie, so daß sie ihm ganz nahe
kamen, und der, der den Rat
gegeben hatte, sprang plötzlich auf ihn und kratzte seine
Augen aus, und die anderen
zerrissen ihn, jeglicher nach seiner Macht.
Die Maus und der
guten Rat
Man sagt, es waren in einer Speisekammer viele Mäuse, die
dem Wirt Schaden brachten.
Der nahm eine Katze, um damit die Mäuse zu vertreiben.
Nun war unter den Mäusen eine, die war größer und klüger als
die anderen, die sah,
daß sie sich der Katze mit Gewalt nicht erwehren konnte und
sprach zu ihr: "Ich weiß,
daß dich der Herr bestellt hat, mich zu vertreiben oder zu
töten. Nun bin ich aber gekommen, deine Gesellschaft zu
suchen, und will mit dir hier wohnen, denn ich erkenne
deine Vernunft." Darauf sprach die Katze: "Ich mag dich wohl
als Gesellen leiden und will dir Frieden zusichern, doch
verspreche ich dir nicht, daß ich ihn halten kann, denn mein
Herr hat mich als Bewahrer seines Hauses bestellt, daß ihm
kein Schaden von dir und deiner Gesellschaft zugefügt werde,
und es ziemt sich, daß ich sein Gebot erfülle.
Darum ziehe von hier fort und suche dir einen anderen Platz,
und wenn du das nicht tust,
will ich an deinem Tod keine Schuld haben. Aber da du
gekommen bist, meine
Freundschaft zu suchen, will ich dir drei Tage Frist geben,
eine andere Wohnung zu
suchen, und so lange gute Gesellschaft halten."
Die Maus sprach: "Mir wird es schwer, diese Wohnung zu
verlassen. Ich habe mir darum
vorgenommen, hier zu bleiben und mich vor dir zu bewahren,
damit schied sie von der Katze.
Am andern Tage kam die Maus aus ihrem Loch gelaufen, sich
Speise zu holen; aber die
Katze blieb ruhig und tat ihr nichts, denn sie wollte die
drei Tage halten. Da nun die Maus merkte, daß ihr nichts
geschah, glaubte sie, ganz ohne Sorge zu sein und betrog
damit ihr
Herz. Und als sie am vierten Tag wieder sorglos ausging nach
ihrer Gewohnheit,
lag die Katze versteckt in einem Winkel, packte die Maus und
verschlang sie.
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