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Fabeln 4

 
76.
Die Birke und die Axt

»Warum treffen denn mich, du böse Axt, deine Streiche,
Und der Zwetschkenbaum dort, der alte Krüppel, bleibt stehn?«
Also klagt eine Birk'; die Axt ließ die Antwort ergehn:
»»Weil es billig ist, Freund, daß das Schöne dem Nützlichen weiche.««

77.
Rettung

In's Wasser fiel ein Mann, schnell faßt ihn bei den Haaren
Ein Braver, rettet ihn; — doch Jener zankt,
Warum? — weil ihm die Haar' zerzauset waren. —
Auf diese Art die Welt für große Dienste dankt.

78.
Die Diener des Rufes

Der Ruf war müde, da dingt er zwei Knechte,
Den Einen für's Gute, den Andern für's Schlechte;
Der Schlechte hatt' aber die Schwindsucht bekommen,
Bevor noch der Gute das Amt übernommen.

79.
Die Eiche und der Strauch

Ein Eichenbaum versucht's dem Sturm zu widerstreben,
Ein Strauch, — sich beugend, — gibt dem Sturme nach;
Noch steht der Strauch, die Eiche aber brach.
Euch Frauen mag der Strauch ein Beispiel geben.

80.
Die beiden Krämer

Ein Krämer gab die Waren nach dem Gesicht,
Gab bald zu viel, bald zu wenig deswegen,
Ein Andrer wog sie und fehlte nicht. —
So sollte man auch seine Worte wägen.

81.
Der Fuchs und der Kater

                         
Kater
Pfui! — Zu der Menschen Schaden friß't du Hennen,
Ich aber freß' zu ihrem Nutzen Mäuse.
                         
Fuchs
Nur still! Man hat die Ehre Sie zu kennen,
Das Mäusefleisch ist Ihre Gustospeise.

82.
Das Pulver

Ein Häuflein Pulver lang im Felsen lag;
Doch endlich zündet es, — ein Blitz, — ein Schlag —
Der Felsen borst und lag in seinem Schutt'. —
So wirkt auch unterdrückten Zornes Wut.

83.
Der Schmetterling und die Schnecke

Ein Schmetterling höhnt eine Schnecke,
Daß sie sich immer in ihr Haus verstecke.
Da kam ein Knab' und hascht den Schmetterling;
Die Schnecke lächelnd in ihr Häuslein ging.

84.
Der Hirsch

Ein Hirsch pries sein Geweih, da tönet Hörnerschall;
Er floh, — verwickelt seinen Schmuck in ein Gesträuch,
Der Jäger kommt, und tötet ihn sogleich. —
So kommt der Hochmut durch sich selbst zu Fall.

85.
Der Adler und der Uhu

Ein Adler sah fröhlich zur Sonn' empor,
Ein Uhu suchte dem Glanz zu entgehen.
Der Adler stellt dir die Tugend vor,
Im Uhu magst du das Laster sehen.

86.
Das Schiff ohne Ruder

Ein Schiff ohne Ruder vertraut sich den Wellen,
Nicht lange, so sieht man's an Klippen zerschellen. —
Das Meer ist das Leben, das Schifflein bist du,
Die Klugheit, mein Freund, ist das Ruder dazu.

87.
Die Rose und die Biene

Ein Röslein empfing eine Bien' mit Vertrauen,
Versprach von dem Kosen sich süße Lust;
Doch bald fühlt den Stachel sie in der Brust. —
Gott Amor ist so wie die Bienen, ihr Frauen!

88.
Der rasierte Bock

Um seiner Schönen zu hofieren
Ließ sich ein alter Bock rasieren,
Da ward er billig ausgelacht. —
Ihr alten Böcke, nehmet dies in Acht!

89.
Das Gold

Mit Undank lohnet mich die Welt,
Da sie mich für die Ursach alles Übels hält,
Indes ich auch so Vielen Segen spende;
Nur daran liegt's, daß man mich recht verwende.

90.
Der Biber und der Esel

Der Esel sprach zum Biber:
»Warum so mühsam sich ein Haus bau'n, Lieber?«
Der Biber sprach: »Weil ich stets gerne tat,
Was nicht der Esel Beifall hat.«

91.
Der Bullenbeißer und der Spitz

Ein Bullenbeißer lag faul an der Kette,
Und vor ihm ein Spitz, der bellte für ihn,
Der Spitz bekam auch für ihn Schläge. — Ich wette,
Manch Schützling fühlt schwer dieser Fabel Sinn.

92.
Der Mann und das Kind

Für Silber hielt das Blei ein kleiner Knabe,
Den Rechenpfennig sah er für ein Goldstück an;
Darüber lacht ein reicher Mann; —
Geht's ihm nicht eben so mit seiner Habe?

93.
Der Ochs und die Frösche

Das Volk der Frösche ganz entsetzlich schrie,
Da kam ein Ochs zum Sumpf und überbrüllte sie. —
Groben Leuten ist es eigen,
Daß sie nur vor gröber'n schweigen.

94.
Die Maus

Die Maus verwies das Naschen jungen Mäusen,
Doch bald sah man sie selbst zum Specke wandeln,
Und tödlich traf sie dort der Falle Eisen.
Viel Lehrer lehren klüger, als sie handeln.

95.
Der Hase und der Storch

Bei einem Sumpfe nährt ein Hase sich von Gras.
Drob ärgert sich ein Storch, der dort Frösche aß.
So mancher Mensch sich beim Genusse kränkt,
Daß andern Menschen auch das Glück was schenkt.

96.
Der Baum und der Dieb

Ein Baum, auf den ein Dieb gestiegen war,
Fleht bang um Hilfe zu der Winde Schar.
Sie stürmen — und der Böse kommt zu Falle,
Doch — auch mit ihm die schönsten Früchte alle.

97.
Die beiden Götter

Es hatt' ein fremdes Volk zwei Götter,
Der Eine drückte Jedermann,
Der Andre war in Not ein Retter;
Drum beteten sie — Beide an.

98.
Der Affe und die Kastanien

Kastanien lagen in glühenden Kohlen;
Ein Affe brauchte der Katze Fuß,
Um sie zum Genuß sich heraus zu holen.
So macht's unter Menschen manch Pfiffikus.

99.
Der Delinquent

Saß Einer auf den Tod, und als man Käs' ihm brachte,
Aß er ihn nicht — aus Furcht, daß er ihm Steine machte. —
So sammeln Alte oft für künft'ge Jahre,
Und haben nur zwei Schritte zu der Bahre.

100.
Der Panther

Der Panther war schon lang des Löwen General,
Doch endlich wurd' er schwach, das Alter macht ihn kahl.
Da legt er ihm den Feldherrnstab zu Füßen, —
Man muß zur rechten Zeit zu enden wissen.