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Fabeln 2
 
Familie Yan
Chaoye Quianzai
Shen Mengzi
Wu Nengzi
Liu Zongyuan
Xiangshan yelu
Annalen von Shao
Daoshan qinghua
Aphorismen des Aizi
Dongpo zhilin
Duxing zazhi
Ting Shi
Aizi waiyü
Xianyi pian
Xue Tao
Lob des Lachens
Xü Zichang
Quianque Leishu
Tangai
Xiaofu
Yue Jun
Baihetang ji
Pu Li Zi
Geschichten

Leitsätze der Familie Yan von Yan Zhitui
531-591

Ein Gelehrter kauft einen Esel

Ein Gelehrter wollte eines Tages auf dem Markt einen Esel kaufen. Beim Aufsetzen des
Kaufvertrages beobachtete ihn der Verkäufer des Esels, wie er einen Bogen Papier nach
dem anderen vollschrieb. Schon waren drei Bogen dicht mit Schriftzeichen gefüllt, doch
noch immer erschien das Wort "Esel" nicht im Vertrag. Der Verkäufer drängte den
Gelehrten, doch endlich die Ausfertigung des Vertrages zum Abschluß zu bringen.
"Ihr braucht doch nur zu erklären, daß der Kaufpreis für den Esel bezahlt ist und beide
Parteien ihren Verpflichtungen nachgekommen sind. Was schreibt Ihr denn nur so viel?"
fragte er verwundert.
"Nur Geduld, gleich komme ich auch zum Esel," war die Antwort.

Chaoye Quianzai, von Zhang Zi
8. Jh.

Feigheit macht Männer zu Narren

Die Stadt Dingzhou war von feindlichen Turkstämmen umzingelt. Sun Yangao, der
Präfekt, ließ sich vor lauter Angst nicht mehr in seinem Amtssitz sehen, sondern schloß
sich in seinem Haus ein. Amtliche Dokumente wurden ihm zur Erledigung durch ein
winziges Fenster hineingereicht.
Als man ihm die Nachricht brachte, daß die Feinde die Mauern der Stadt gestürmt
hatten, stieg er schnell in eine hölzerne Truhe und sagte zu seinem Diener: "Schließ die
Truhe gut von außen ab und behalte den Schlüssel. Gib ihn auf keinen Fall den Räubern,
wenn sie ihn von dir fordern!"

Die verlorene Reisetasche

Ein törichter Mensch reiste einmal in die Hauptstadt, um an der Beamtenprüfung
teilzunehmen. Bei seiner Ankunft vermißte er plötzlich seine Ledertasche.
Er war jedoch darüber nicht weiter beunruhigt.
"Zwar hat mir ein Dieb die Reisetasche gestohlen," sprach er gelassen, "aber er wird
nicht an den Inhalt heran können."
Nach dem Grunde gefragt, antwortete er: "Ich habe ja noch den Schlüssel, wie will er
denn ohne diesen die Tasche aufschließen?"

Shen Mengzi, von Ling Shen-si
8. Jh.

Der Brunnen

Am Rande einer Straße wurde ein Brunnen gebohrt. Darüber herrschte allgemein Freude,
denn bisher konnte man auf dieser Straße keinen Tropfen Wasser bekommen, um seinen
Durst zu löschen.
Jedoch nicht lange danach fiel ein Mann nachts auf den Nachhauseweg in den Brunnen
und ertrank. Da schimpften die Leute auf den, der an dieser Stelle den Brunnen
angelegt hatte.

Wu Nengzi
wahrscheinlich 8. Jh.

Der Falke und die Schlange

Der Falke erblickte eine Schlange auf dem Pfad und wollte mit dem Schnabel nach ihr
hacken. "Tu mir nichts!" sagte die Schlange zum Falken. "Es heißt, du seist giftig,*
warum willst du dir so etwas Schändliches nachsagen lassen? Das kommt doch nur
daher, daß du uns Schlangen frißt. Tätest du es nicht, würdest du auch unser Gift nicht
in dich aufnehmen, und die Menschen würden dich nicht mehr hassen."
"Schweig, du Lügnerin!" versetzte der Falke. "Du beißt heimtückisch die Menschen,
und ich werde dich zur Strafe für deine Missetat fressen. Die Menschen halten mich,
weil sie wissen, daß ich dich zur Strecke bringen kann. Sie wissen auch, daß meine
Federn dein Gift aufnehmen, und benutzen diese, um andere damit zu vergiften.
Aber das ist nicht meine Sache. Sie sind wie Waffen, die der Mensch zum Töten benützt.
Sind die Waffen dafür verantwortlich oder der Mensch?
Ich tue keinem Menschen vorsätzlich etwas zu leide und werde als Waffe gegen die
Bosheit benutzt. Doch du lauerst im Gras mit der Absicht, den Menschen Böses zu tun.
Das Schicksal selbst hat dich heute über meinen Weg geführt. Keinerlei Spitzfindigkeiten
werden dir helfen."
Mit diesen Worten fiel er über die Schlange her.

*
Man glaubte früher, daß man mit Falkenfedern Menschen vergiften könne.

Gesammelte Werke von Liu Zongyuan
773-819 u.Z.

Der Mann, dem Geld lieber war als das Leben

In Yongzhou gab es viele gute Schwimmer. Eines Tages schwoll plötzlich der Fluß an.
Der Gefahr nicht achtend, nahmen mehrere Männer ein Boot und versuchten, ans andere
Ufer zu gelangen. Jedoch mitten im Strom kenterten sie. Nun begannen alle, schnell ans
Land zu schwimmen. Nur einer schien kaum vorwärts zu kommen, obwohl er seine Arme
kräftig bewegte.
"Du bist doch ein besserer Schwimmer als wir alle. Wie kommt es, daß du zurückbleibst?"
riefen seine Gefährten.
"Ich trage tausend Münzen bei mir," antwortete der Angeredete.
"Wirf sie doch weg!" drängten die Freunde.
Er antwortete nicht, schüttelte nur den Kopf, obgleich es ihm schwerfiel, sich über
Wasser zu halten.
Die anderen erreichten das Ufer und riefen zu ihm hinaus: "Weg mit den Geldstücken,
du Narr! Was nützt dir das Geld, wenn du ertrinkst?"
Der Mann schüttelte aber immer noch den Kopf. Wenige Sekunden später ging er unter.

Der Esel von Kueizhou

In Kueizhou waren Esel unbekannt, bis einmal ein Sonderling auf einem Boot einen Esel
mitbrachte. Doch als er keine Verwendung für ihn fand, ließ er ihn in den Bergen einfach
laufen. Ein Tiger, der dieses sonderlich aussehende, unbekannte Tier sah, hielt es
zuerst für göttlich. Tagelang beobachtete er es von ferne. Später wagte er sich etwas
näher heran, hielt sich jedoch immer noch in respektvollem Abstand.
Eines Tages schrie der Esel iah; der Tiger erschrak sehr und riß aus. Vorsichtig schlich
er sich wieder zurück, musterte dieses Wesen dann von neuem und fand bald, daß es
eigentlich doch nicht so außergewöhnlich sei. Er gewöhnte sich an die wilden Schreie und
kam wieder näher; doch er wagte noch immer keinen offenen Angriff. Sich dicht
heranschleichend, versuchte er jetzt, den Esel immer mehr zu reizen, bis diesem die Geduld
ausging und er mit den Hufen ausschlug.
'Aha, das ist also alles, was er tun kann', dachte der Tieger befriedigt.
Dann sprang er den Esel an, senkte seine Fänge in seine Kehle und zerriß ihn, bevor er
weiter seines Weges schlich.
Armer Esel! Seine Größe täuschte Kraft vor, und seine Schreie erregten Schrecken.
Hätte er nur nicht offen gezeigt, wie wenig er wirklich zu tun imstande war, selbst der
wilde Tiger hätte nicht gewagt, ihn anzugreifen. Der Esel hatte sich jedoch selbst verraten.

Der listige Jäger

Die Rehe fürchteten den Wolf, der Wolf den Tiger und der Tiger den zottigen Bären, der sich
zu seiner vollen Höhe aufrichten kann – das grimmigste und mächtigste aller wilden Tiere.
Im Süden von Chu lebte ein Jäger, der auf seiner Bambuspfeife viele Tierlaute
hervorbringen konnte. Er lockte das Wild vom Gebirge herunter, indem er seine Rufe
nachahmte, und schoß es dann nieder.
Eines Tages bediente er sich wieder dieser List. Auf die Lockrufe erschien jedoch ein
Wolf, der auf das vermeintliche Wild aus war. Der Jäger erschrak und fauchte alsbald wie
ein Tiger. Da machte sich der Wolf davon, aber dafür kam ein Tiger. Zitternd vor Angst
ahmte der Jäger auf seiner Pfeife das Gebrumm eines wilden Bären nach. Daraufhin lief
auch der Tiger davon. Ein Bär, der den Ruf gehört hatte, glaubte, einen Artgenossen zu
treffen, und eilte herbei. Als er sah, daß es ein Mensch war, zerriß er ihn in kleine Stücke
und fraß ihn auf.
Wer nicht danach trachtet, sich selbst zu bessern, sondern sich statt dessen auf äußere
Hilfsmittel stützt, wird sich schwerlich vor einem ähnlichen Schicksal bewahren können.

Das törichte Reh

Ein Mann in Linjiang fing einmal ein junges Reh. Als er es nach Hause brachte, liefen ihm
seine Hunde schwanzwedelnd entgegen und leckten sich bereits die Schnauzen.
Ärgerlich jagte er sie davon. Später ging er mit dem Reh zu den Hunden und richtete sie
so ab, daß sie mit dem Reh spielten. Mit der Zeit begriffen die Hunde, daß sie dem Reh
nichts antun durften.
Als das kleine Reh heranwuchs, vergaß es ganz seine Herkunft und betrachtete die
Hunde als seine Freunde, mit denen es spielen und herumtollen konnte. Die Hunde
dagegen unterdrückten aus Furcht vor ihrem Herrn ihre natürlichen Gelüste und
behandelten es nachsichtig.
Drei Jahre waren vergangen, da rannte das Reh eines Tages durch das offene Tor auf die
Straße. Dort sah es viele unbekannte Hunde, und es lief auf sie zu, um mit ihnen zu
spielen. Die Hunde waren zuerst verblüfft, dann aber freuten sie sich, daß ihnen ein so
leckerer Bissen über den Weg lief, fielen über das Reh her und zerrissen es.
Bis zu seinem letzten Atemzug verstand das arme Reh immer noch nicht, warum es mit
ihm zu einem so plötzlichen Ende gekommen war.

Xiangshan yelu, von Seng Wenying
5. Jh.

Alte Gewohnheit

Ein neu eingetzter Präfekt gab für die Beamten und Würdenträger seines Amtsbereichs
ein großes Fest, zu dem auch viele Musikanten zur Unterhaltung der Gäste aufgeboten
worden waren. Als das Fest in vollem Gange war, ließ sich ein Sänger vernehmen:
"Fort mit dem Alten, herein mit dem Neuen; fort mit dem Unglücksstern, herein mit dem
Glücksstern!"
Der Präfekt fühlte sich höchlichst geschmeichelt.
"Wer hat das verfaßt?" fragte er.
"In unserer Stadt besteht eine alte Gewohnheit, dieses Lied jedesmal bei Ankunft eines
neuen Präfekten zu singen. Es ist das einzige Lied, das ich kenne," antwortete der Sänger.

Annalen von Shao
das Werk besteht aus zwei Teilen:
der erste Teil wurde Shao Bowen -11.Jh., der zweite Teil von dessen Sohn Shao Bo verfaßt
.

Einen neuen See für einen alten

Wang Anshi, der Kanzler der Song-Dynastie, liebte es, große gemeinnützige Bauvorhaben
durchzuführen. Ein Mann, der sich bei ihm beliebt machen wollte, schlug ihm folgendes vor:
"Laßt den Liangshanbo-See trockenlegen, und Ihr werdet achthundert Quadratmeilen
fruchtbares Land gewinnen."
Wang Anshi war zuerst begeistert, fragte aber dann: "Wohin mit dem Wasser des Sees?"
"Grabt einen genauso großen See daneben, und das Problem ist gelöst," antwortete
Liu Gongfu.
Wang Anshi lachte und ließ den Plan fallen.

Daoshan qinghua
Verfasser unbekannt;
dem Inhalt nach handelt es sich um Episoden aus dem 10.Jh
.

Alte Bücher im Austausch für alte Bronzen

Ein Gelehrter, der dringend Geld brauchte, fertigte ein Verzeichnis einiger hundert Bücher
an, packte sie zusammen und machte sich auf den Weg nach der Hauptstadt, um sie dort
zu verkaufen. Unterwegs traf er einen anderen Gelehrten, der seine Liste durchsah und
die Bücher kaufen wollte. Er hatte aber kein Geld, besaß dafür jedoch einige antike
Bronzen, die er eigentlich für Reis einhandeln wollte. So nahm er den andern zu sich
nach Hause und zeigte ihm seinen Besitz. Der Gelehrte, der die Bücher verkaufen wollte,
war ein großer Liebhaber alter Bronzen und geriet über diese seltenen Stücke in Entzücken.
"Wozu denn die Bronzen verkaufen," schlug er dem anderen vor, "wir können die Bücher
gegen die Bronzen verrechnen und sie gegeneinander austauschen!" So kam es, daß er
seine Bücher dort ließ und mit den Bronzen beladen von dannen zog.
Seine Frau wunderte sich über seine unerwartet frühe Rückkehr. Sie stellte fest, daß die
Reisetasche ihres Mannes mit harten Gegenständen gefüllt war, die sich lose bewegten
und dabei klirrten. Als sie nun den Bericht ihres Mannes hörte, begann sie zu schelten.
"Du Dummkopf!" rief sie. "Was nützen dir diese Bronzen, wenn wir keinen Reis im Hause haben?"
"Aber dem andern geht es doch ebenso," antwortete ihr Mann, "die Bücher, die er von
mir erhalten hat, werden ihm auch lange keinen Reis einbringen."

Aphorismen des Aizi, von Su Shi
1036-1101

Mit der Kerze den Feuerstein suchen

Eines Tages rief Aizi seinem Schüler zu, er möge doch Feuer schlagen und die Kerze
anzünden. Aber nichts geschah. Aizi wiederholte seine Bitte mit lauter Stimme.
"Es ist so dunkel, daß ich den Feuerstein nicht finden kann", klagte der Schüler.
Dann fügte er hinzu: "Nun gut, Meister, zündet Ihr doch die Kerze an, dann werden wir
beide den Feuerstein schon finden."

Die großartige Idee des Schiffers

Ein Mann reiste einst zu Fuß durch Luliang. Da erblickte er ein Boot und fragte den
Besitzer, ob er ihn für fünfzig Münzen nach Pengmen bringen würde.
"Ein Passagier, der allein reisen will, muß im allgemeinen hundert Münzen zahlen,"
sagte der Bootsbesitzer. "Du bietest mir nur die Hälfte davon, aber das genügt nicht.
Da ich für das Treideln* bis nach Pengmen fünfzig Münzen zahlen müßte, will ich dich
unter der Bedingung, daß du mein Boot nach Pengmen treidelst, für fünfzig Münzen befördern."

*
ein Schiff vom Ufer aus mit dem Treidel (Zugtau) vorwärtsziehen.

Dongpo zhilin, von Su Shi

Die kämpfenden Ochsen

Ein berühmter Maler malte ein Bild, das zwei kämpfende Ochsen darstellte.
Jedermann war des Lobes voll.
"Seht nur, wie feurig sie aussehen, gerade als wären sie lebendig!"
Der Maler war stolz auf sein Werk. Er ließ das Bild auf kostbare Seide aufziehen und an
Stäben aus Jade befestigen; dann verwahrte er es in seiner Truhe aus Zedernholz.
Er zeigte es nur selten, und auch nur denen, die solch eine hohe Kunst zu würdigen wussten.
Eines Tages nahm er das Bild aus der Truhe, öffnete es und hing es draußen vor dem
Haus in die Sonne zum Schutz gegen die Bücherwürmer. Da kam gerade ein Kuhhirt in
den Hof, blieb vor dem Bild stehen und grinste.
"Verstehst du etwas von Malerei, mein Junge?" fragte der Künstler. "Wie gefallen dir die
Ochsen, sehen sie nicht naturgetreu aus?"
"Sie sehen aus wie Ochsen," antwortete der Hirtenjunge, noch immer grinsend.
"Erscheint dir sonst an dem Bild etwas falsch?"
"Wenn Ochsen kämpfen und mit den Hörnern aufeinander losgehen," antwortete der
Junge, "dann klemmen sie ihren Schwanz fest zwischen die Beine. Auf diesem Bild
schlagen sie jedoch heftig mit den Schwänzen. Ich habe noch nie Ochsen so miteinander
kämpfen sehen."
Der berühmte Maler wusste darauf keine Antwort.

Duxing zazhi (Gedanken eines einsam Wachenden)
von Zeng Minxing 11. Jh.

Woher kommt der Reis?

Die Enkel des Cai Jing, des verräterischen Kanzlers, die im Luxus groß geworden waren,
konnten nicht einmal Weizen von Reis unterscheiden.
Als sie eines Tages beim Essen saßen, sagte Cai Jing: "Jeden Tag eßt ihr Reis. Wißt ihr
überhaupt wo er herkommt?"
"Aus dem Mörser," mutmaßte der eine. Cai Jing lachte.
"Nein, das stimmt nicht," rief der andere, "er kommt aus Schilfmatten. Ich habe es selbst
gesehen!"
Damals wurde der Reis in Ballen aus Schilfmatten nach der Hauptstadt gebracht, daher
diese Mutmaßung.

Ting Shi, von Yue Ke
13. oder 14. Jh.

Der mitleidige Mann

Ein mitleidiger Mann fing einmal eine Schildkröte. Er wollte sich gern eine Suppe daraus
machen, ohne dabei sein Gewissen mit der Sünde des Tötens zu belasten.
Er brachte in einer großen Schüssel Wasser zum kochen, legte einen Stab darüber,
auf den er die Schildkröte setzte, und sagte zu ihr: "Wenn du die Schüssel überqueren
kannst, werde ich dir die Freiheit schenken."
Die Schildkröte war über die Absichten des Mannes nicht im unklaren, aber sie wollte
nicht sterben. So nahm sie alle Willenskraft zusammen und vollbrachte das Unmögliche.
"Gut so", rief der Mann, "aber versuche es doch bitte noch einmal!"

Aizi waiyü, von Tu Benjun
Ming Dynastie

Willst du ehrerbietig sein?

Ein armer Mann hatte sich immer geweigert, einem Reichen Ehrerbietung zu bezeigen.
Der reiche Mann fragte ihn eines Tages: "Ich bin reich, und du bist arm, warum bist du
nicht ehrerbietig zu mir?"
"Ihr habt viel Geld," sagte dieser, "und gebt mir nicht das geringste davon ab.
Warum sollte ich zu Euch ehrerbietig sein?"
"Gut, ich will dir den fünften Teil meines Geldes geben. Wirst du dann ehrerbietig sein?"
"Das wäre nicht recht geteilt, wie könnte ich da ehrerbietig zu Euch sein?"
"Nun, nehmen wir an, ich gebe dir die Hälfte."
"Dann wären wir gleich, warum sollte ich dann ehrerbietig sein?"
"Und wenn ich dir mein ganzes Geld gebe, dann wirst du doch bestimmt ehrerbietig sein!"
"Hätte ich das ganze Geld, so hätte ich es nicht nötig, Euch Ehrerbietung zu bezeigen."

Xianyi pian, von Liu Yuanqing
15. Jh.

Zwei Arten, eine Gans zuzubereiten

Ein Mann sah eine Wildgans am Himmel fliegen. Während er einen Pfeil auflegte,
sagte er: "Wenn ich sie herunterschieße, werden wir sie kochen."
"Nein," entgegnete sein jüngerer Bruder, "es wäre besser, sie zu braten."
Sie stritten lange, ohne sich einig zu werden. Schließlich gingen sie zum Familienältesten,
der vorschlug, die eine Hälfte zu kochen und die andere zu braten. Nun war der Streit
geschlichtet, aber als sie hinaustraten und sich nach der Wildgans umsahen, war sie nicht
mehr zu sehen.

Geschichten von Xue Tao, von Jiang Yunke
15. Jh.

Buckel werden geheilt

Ein Quacksalber behauptete, alle Verkrümmungen des Rückgrats heilen zu können.
"Wie dein Rücken auch gekrümmt sein mag, ob er einen Bogen, einen Ring oder einem
Topf gleicht, kommt nur zu mir, ich werde ihn in ganz kurzer Zeit gerademachen!"
Ein Buckliger war leichtgläubig genug, seine Worte ernst zu nehmen, und ließ sich von
ihm behandeln. Der Kurpfuscher befahl ihm, sich auf einer Planke auszustrecken, legte
eine zweite auf seinen Buckel und sprang dann mit ganzer Kraft darauf herum.
Der Buckel wurde gerade, aber der Mann starb.
Der Sohn des Buckligen wollte den Kurpfuscher verklagen, der aber sagte:
"Meine Aufgabe war es, seinen Buckel geradezubiegen. Ob er danach stirbt, geht mich
nichts weiter an."

Der Traum

Es war einmal ein Gelehrter, der seine Studenten sehr streng hielt. Als einer von ihnen
die Disziplin verletzte, beorderte er ihn zu sich und erwartete den Sünder mit strenger Miene.
Endlich erschien dieser, kniete vor ihm nieder und sagte: "Ich hatte die beste Absicht,
früher zu kommen. Aber ich hatte gerade tausend Goldstücke gefunden und habe so
lange gebraucht, um zu überlegen, wie ich sie verwenden soll."
Des Gelehrten Miene hellte sich auf, als Gold erwähnt wurde. "Wo hast du es gefunden?" fragte er.
"Es war in der Erde vergraben."
"Und wie gedenkst du, es zu verwenden?" fragte der Gelehrte weiter.
"Ich bin ein armer Mann," antwortete der Student, "ich habe mich mit meiner Frau
beraten, und wir sind zu folgendem Entschluß gekommen. Wir wollen für fünfhundert
Goldstücke Land kaufen, zweihundert für ein Haus ausgeben, hundert für die Einrichtung
und weitere hundert für Mägde und Bedienstete. Von den letzten hundert Goldstücken
will ich die Hälfte für den Kauf von Büchern verwenden, denn von nun an muß ich fleißig
studieren. Die andere Hälfte wollte ich Euch als kleines Geschenk anbieten, für die Mühe,
die Ihr Euch mit mir gemacht habt."
"Ach! Wirklich? Ich glaube jedoch nicht, daß ich genug getan habe, um ein so kostbares
Geschenk annehmen zu können," erwiderte der Gelehrte.
Bei diesen Worten befahl er seinem Koch, ein großartiges Mahl zuzubereiten, und bat den
Studenten, daran teilzunehmen. Es ging sehr fröhlich zu, sie lachten und tranken
einander zu. Als sie schon etwas angeheitert waren, fiel dem Gelehrten plötzlich ein:
"Du bist in großer Eile von Zuhause fortgegangen? Hast du auch daran gedacht, das Gold
vorher sicher in einer Lade zu verwahren?"
Der Student erhob sich. "Meister, ich hatte gerade meine Berechnungen über die
Verwendung des Goldes abgeschlossen, als meine Frau sich auf die andere Seite drehte
und mich anstieß. Als ich meine Augen öffnete, war das Gold verschwunden. Was sollte
mir also eine Lade nützen?"
"Dann war alles, was du mir erzähltest, nur ein Traum?" stieß der Gelehrte hervor.
"In der Tat, so war es," antwortete der Student.
Der Gelehrte war wütend, aber da er den Studenten so freigebig bewirtet hatte, wäre es
nicht schicklich gewesen, ihm jetzt seinen Ärger zu zeigen. So überwand er sich und
sprach: "Nun, ich sehe, du denkst sogar an mich, wenn du träumst. Sicherlich wirst du
mich nicht vergessen, wenn du wieder einmal von Gold träumst!"
Und er forderte den Studenten auf, noch etwas zu trinken, bevor er ihn gehen ließ.

Keine Trester für das Schwein

Dreißig Li westlich von meiner Präfektur liegt im Schutz des Berges Hefu ein Tempel,
der einer Großmutter Wang gewidmet ist. Niemand weiß, wann diese alte Dame gelebt
hat. Man erzählt sich, daß sie einen Weinverkauf betrieb und ein Daoist oft zu ihr kam,
der ihren Wein trank, ohne dafür zu bezahlen. Aber der alten Frau schien das nichts
auszumachen. Eines Tages sagte der Daoist zu ihr: "Ich habe niemals für den Wein
bezahlt, den ich bei dir getrunken habe, ich werde dir dafür jetzt einen Brunnen graben."
Er grub den Brunnen, und es zeigte sich, daß dieser einen vorzüglichen Wein hergab.
"Das ist meine Bezahlung," sagte der Daoist und verschwand.
Die alte Frau kelterte nun nicht mehr länger ihren Wein selbst, sondern verkaufte ihren
Kunden den Wein aus dem Brunnen; er schmeckte ihnen besser als irgendein Wein,
den sie bisher getrunken hatten. Die Trinklustigen dängten sich in ihrer kleinen Schenke,
und innerhalb von drei Jahren war sie reich geworden.
Da erschien eines Tages der Daoist wieder bei ihr. "Nun, ist der Wein gut?" fragte er.
"Sehr gut," antwortete die alte Dame, "nur leider bleiben dabei keine Trester für das Schwein."
Der Prister lachte und schrieb folgenden Spruch an die Wand:
Der Himmel ist unendlich hoch,
der Menschen Verlangen weit höher noch.
Brunnenwasser verkauft sie als Wein
und klagt noch, es fehlt an der Mast für das Schwein.

Dann ging der Daoist davon, und von dieser Stunde an gab der Brunnen keinen Wein mehr.

Der Mann, der seinen Irrtum nicht eingestehen wollte

Im Staate Chu lebte ein Mann, der nicht wußte, wo Ingwer wuchs. Er glaubte, er wüchse
auf Bäumen.
Jemand erzählte ihm, daß er in der Erde wachse.
Das glaubte er ihm nicht und schlug vor: "Ich werde mit dir um meinen Esel wetten.
Wir wollen zehn Männer fragen; wenn alle der Meinung sind, daß Ingwer in der Erde
wächst, ist der Esel dein."
Sie fragten zehn andere, die alle bestätigten, daß er in der Erde wachse.
"Nimm schon den Esel," sagte der Mann, "aber trotzdem weiß ich, daß Ingwer auf
Bäumen wächst."

Das geht mich nichts an

Ein Chirurg rühmte sich seiner großen Fähigkeiten. Eines Tages kam zu ihm ein Soldat,
dem aus der Schlacht noch ein Pfeil im Bein steckengeblieben war.
Der Chirurg nahm eine scharfe Schere, schnitt den Schaft des Pfeiles direkt über dem
Bein ab und forderte Bezahlung.
"Aber Ihr habt doch gar nicht die Pfeilspitze entfernt," klagte der Soldat.
"Das ist ein 'innere' Krankheit und die Aufgabe eines Internisten, nicht die meine,"
war die Antwort.

Geduld

Ein Mann war im Begriff, eine Beamtenstelle anzutreten. Ein guter Freund machte ihm
seinen Abschiedsbesuch. "Es gibt etwas, was du nie vergessen darfst, wenn du Beamter
geworden bist – immer Geduld haben."
Der Mann versprach, den Rat zu befolgen. Sein Freund wiederholte jedoch diesen Rat
dreimal, und dreimal nickte der zukünftige Beamte zustimmend. Als nun der Freund zum
viertenmal den Ratschlag vorbrachte, wurde der Mann ärgerlich. "Hälst du mich für einen
Idioten? Wozu wiederholst du mir solche Selbstverständlichkeiten immer wieder?"
"Siehst du," seufzte der Freund, "es ist nicht immer leicht, Geduld zu üben. Ich habe es
nur wenige Male wiederholt, und schon verlierst du die Geduld."

Ehrlichkeit

Ein korrupter Beamter wollte zeigen, daß er sauber und ehrlich sei. Bevor er sein neues
Amt antrat, leistete er daher folgenden öffentlichen Schwur: "Wenn meine rechte Hand
eine Bestechung annimmt, soll sie verfaulen; wenn meine linke Hand Bestechungsgelder
annimmt, möge sie ebenfalls verfaulen."
Nach einiger Zeit wollte ihm jemand mit hundert Taels Silber bestechen. Er hätte sie
gerne angenommen, fürchtete aber die Folgen seines Schwurs.
Um ihn aus diesem Zwiespalt zu erlösen, riet ihm der Bote: "Laßt Euch doch das Silber in
den Ärmel legen, dann wird, wenn es schon so sein soll, nur der Ärmel verfaulen."
Der Beamte fand diese Idee ausgezeichnet und nahm das Geld an.

Unnatürliches Wetter

An einem kalten Winterabend saß ein General in seinem Zelt und trank. Kerzen waren
angezündet, und ein munteres Feuer brannte im Kohlenbecken. Nachdem er einige
Schalen Wein getrunken hatte, traten ihm die Schweißperlen auf die Stirn.
"Sonderbares Wetter haben wir in diesem Jahr," wunderte sich der General, "wenn es
kalt sein müßte, ist es warm!"
Sein Bursche, der draußen in der Kälte stand, hörte seine Worte. Er kam ins Zelt, kniete
ehrerbietig vor dem General nieder und sagte: "Wo Euer Diener stand, scheint das
Wetter ganz normal zu sein, Herr General."

Lob des Lachens, von Zhao Nanxing
1550-1627

Ein guter Mensch ist leicht zu tyrannisieren

Im Tempel an einer Dorfstraße stand in einem Dorf ein hölzernes Götterbild.
Ein Wanderer, der einen Graben auf seinem Weg nicht überqueren konnte, nahm die
Holzfigur von ihrem Platze und benutzte sie als Brücke. Ein anderer, der kurz darauf
vorbeikam, sah das Götterbild auf der Erde liegen und stellte es voller Ehrfurcht wieder
auf seinen Platz im Tempel. Aber die Gottheit war erzürnt, weil er kein Opfer dargebracht
hatte, und strafte ihn mit einem unerträglichen Kopfschmerz.
Die Geister der Unterwelt waren darüber verwundert. "Du läßt den, der dich mit Füßen
trat, frei laufen, bestrafst jedoch den, der dir geholfen hat. Warum das?"
"Versteht ihr denn nicht?" antwortete die Gottheit. "Es ist doch so leicht, einen guten
Menschen zu tyrannisieren."

Spaßigen Geschichten, von Xü Zichang oder Feng Menglong
Ming Dynastie

Der niedrige Stuhl

Yugong besaß einen sehr niedrigen Stuhl. Wenn er darauf sitzen wollte, mußte er unter
jedes Bein einen Ziegelstein legen. Mit der Zeit fand er das aber zu beschwerlich;
das brachte ihn auf eine Idee. Er befahl seinem Diener, den Stuhl in das obere Stockwerk
zu bringen. Aber als er sich dort darauf setzen wollte, stellte er fest, daß er noch immer
ebenso niedrig saß.
"Sonderbar," meinte er, "da sagen die Leute, das obere Stockwerk wäre höher;
das stimmt aber doch wohl nicht!"

Quianque Leishu, zusammengestellt von Chen Renxi
1581-1626

Eine Nadel aus einem Mörser machen

Ein Schuljunge hatte den Unterricht geschwänzt und ging auf der Straße spazieren, als er
eine alte Frau dabei beobachtete, wie sie eine eiserne Mörserkeule auf einem großen
Stein schliff. Neugierig fragte er, was sie denn mache.
"Ich will aus dem Mörser eine Nadel schleifen, um Stoff damit zu nähen," antwortete die
Alte. Der Junge lachte: "Das ist doch ein so großer Mörser, wie könnt Ihr nur hoffen,
ihn so weit herunterzuschleifen, dass eine Nadel daraus wird?"
"Das macht nichts," entgegnete sie, "heute schleife ich, morgen werde ich wieder
schleifen und übermorgen auch. Mit jedem Tag wird der Mörser kleiner werden,
und eines Tages wird er eine Nadel sein."
Das Kind erkannte die tiefere Wahrheit und ging zur Schule.

Tangai, von Feng Menglong
?-1645

Der Eisvogel

Der Eisvogel ist sehr furchtsam. Er baut sein Nest ganz hoch oben den Bäumen, um vor
Gefahren geschützt zu sein. Wenn die Jungen ausschlüpfen, hat er solche Angst,
sie könnten hinunterfallen, daß er das Nest tiefer setzt. Wenn sich bei den Jungen die
ersten Federn zeigen, wird er noch ängstlicher und baut sein neues Nest noch tiefer
unten – so tief, daß sie nun jeder bequem fangen kann.

Ein Augenblick der Muße

Ein hoher Beamter stattete einmal einem Kloster einen Besuch ab. Der Vorsteher des
Klosters, dem dies vorher mitgeteilt worden war, hatte sorgfältige Vorbereitungen für
den Empfang seines hohen Gastes getroffen. Nachdem er einige Schalen Wein getrunken
hatte, rezitierte der Würdenträger ein Gedicht aus der Tang-Zeit:

Im Kloster am Wege beim Mönch ich verweile.
Oh, kurze Muße im Leben voll Eile!

Der Mönch lachte. Nach dem Grund befragt antwortete er: "Ihr habt einen Augenblick der
Muße genießen können, aber dafür mußte ich vorher drei Tage schwer arbeiten."

Xiaofu (Schatzkammer des Humors)
von Feng Menglong zusammengestellt

Die Astgabel

In einem gewissen Bergdorf benutzten die Leute Astgabeln als Stuhlbeine.
Ein Vater sandte eines Tages seinen Sohn nach einer Astgabel aus. Der Sohn nahm eine
Axt und ging in den Wald. Spätabends kam er mit leeren Händen zurück. Als sein Vater
ihn deshalb schalt, antwortete er: "Natürlich sah ich eine Menge Astgabeln, aber alle
wuchsen aufwärts."

Deinen Finger möchte ich

Ein armer Mann traf eines Tages einen alten Freund, der inzwischen ein Geist geworden
war. Als dieser von seines Freundes Armut erfuhr, hob er seinen Finger und zeigte auf
einen Stein am Weg. Sofort wurde dieser zu Gold. Der war aber damit noch nicht
zufrieden, und so schenkte ihm der Geist noch einen großen Löwen aus Gold. Immer noch
war der Mann unzufrieden.
"Was willst du denn noch mehr?" fragte der Geist.
"Deinen Finger möchte ich," war die Antwort.

Geschichten vom Hörensagen, von Yue Jun
17. oder 18.Jh.

Alles wegen eines Esels

Ein alter Geizhals war durch Wucher sehr reich geworden. Als er so alt wurde, daß ihm
das Gehen schwerfiel, kaufte er sich einen Esel. Er gewann das Tier jedoch so lieb, daß er
nur auf ihm reiten wollte, wenn er wirklich völlig erschöpft war.
Eines Tages war es sehr heiß und schwül. Der alte Mann mußte eine längere Reise
machen und nahm deshalb den Esel mit. Nachdem er eine kurze Strecke gewandert war,
geriet der alte Mann außer Atem und bestieg den Esel. Nach zwei oder drei Li fing auch
der Esel zu schnaufen an, denn er war es nicht gewohnt, geritten zu werden.
Der alte Mann war darüber so besorgt, daß er eiligst abstieg und den Esel absattelte.
Der Esel glaubte daraufhin, er könne nun frei herumlaufen, und machte schleunigst
kehrt, ohne auf die Rufe des Alten zu achten. Da der Mann fürchtete, der Esel könnte
verlorengehen, und auch das Sattelzeug nicht liegenlassen wollte, nahm er es auf den
Rücken und machte sich damit wieder auf den Heimweg.
Zu Hause angekommen, galt seine erste Frage dem Esel. Erst als ihm sein Sohn
bestätigte, daß der Esel zu Hause angelangt sei, beruhigte er sich. Dann machte sich
jedoch die Anstrengung und die Hitze bemerkbar, so daß der alte Mann krank wurde und
über einen Monat das Bett hüten mußte.

Baihetang ji, von Peng Duanshu
18. Jh.

Pilgerfahrt nach den Süden

Auf dem Omei-Berg gab es viele Klöster. Die Mönche der großen Klöster waren sehr
reich, die der kleinen dagegen sehr arm.
Eines Tages kam ein armer Mönch aus einem kleinen Kloster zu einem der reichen
Mönche in ein großes Kloster, um sich von ihm zu verabschieden; er wollte eine
Pilgerfahrt nach Putuoshan unternehmen, einer Insel im Östlichen Meer. Das war eine
sehr weite Reise von mehr als dreitausend Li, die über viele hohe Berge und reißende
Ströme führte. Der reiche Mönch wunderte sich: "Was nimmst du mit auf den Weg?" fragte er.
"Nur einen Becher und eine kleine Schüssel," entgegnete der andere, "den Becher für
Wasser und das Schüsselchen, um etwas Reis zu erbitten."
"Ich beabsichtige selbst, nach Putuoshan zu pilgern", sagte der reiche Mönch,
"seit mehreren Jahren treffe ich schon Vorbereitungen dazu, aber bis jetzt konnte ich
noch nicht fort, denn es fehlt immer noch das eine oder andere. Ich glaube, mein Freund,
du stellst es dir zu einfach vor."
Nach etwas über einem Jahr kehrte der arme Mönch von seiner Pilgerfahrt zurück und
berichtete dem reichen Mönch von seinen Erlebnissen.
Der wurde zwar etwas verlegen, behauptete aber auch jetzt, daß seine Vorbereitungen
für die Reise immer noch nicht abgeschlossen wären.

Pu Li Zi, von Ma Shifang
Anfang des 19. Jh.

Der willensschwache alte Bauer

Ein alter Bauer besaß einige Mu Land. Er hatte einen weichlichen Charakter, hielt sich
jedoch für einen friedfertigen Menschen.
Eines Tages sagte ihm jemand: "Deines Nachbarn Ochsen zertrampeln dein Feld."
"Das ist doch nicht aus böser Absicht geschehen," antwortete er. "Laß es nur gut sein!"
Am nächsten Tag kam ein anderer zu ihm: "Dein Nachbar schneidet Reis auf deinem Feld."
"Sie brauchen sicher Nahrung," entgegnete der alte Bauer, laßt sie nur nehmen,
was macht das schon aus!"
Durch seine Nachgiebigkeit wurde der Appetit des Nachbarn immer weiter angeregt;
nun nahm ihm der Nachbar auch einen Teil des Feldes, ja, er schnitt sogar noch Zweige
von dem Baum, der über dem Grab seiner Ahnen wuchs.
Das war nun mehr, als selbst der alte Bauer ertragen konnte. Er ging zu seinem
Nachbarn und fragte ihn, warum er das Land genommen habe.
"Was fällt dir ein? Dein Land?" schrie ihn der Nachbar an. "Wir haben das Land gemeinsam
urbar gemacht, aber niemals eine Grenze festgelegt. Du sagst, ich würde dein Land
wegnehmen, dabei ist es gerade umgekehrt."
"Schon gut, schon gut – aber warum hast du Äste vom Baum auf dem Grab meiner
Ahnen abgeschnitten?"
"Warum hast du das Ahnengrab nicht woanders angelegt? Die Wurzeln dieses Baumes
liegen unter meinem Feld, und seine Zweige beschatten es. Ich habe nur einige Zweige
abgeschnitten, die über mein Feld ragten Was geht dich das an?"
Der alte Bauer kochte vor Wut. Aber er fühlte sich hilflos und wußte nicht, wie er dem
Nachbarn entgegentreten sollte.
"Ja, ja," seufzte er, "es ist schließlich alles meine eigene Schuld, alles meine Schuld.
Ich hätte dich nicht zum Nachbarn nehmen sollen."

Neue humoristische Geschichten
Verfasser unbekannt, evtl. ein Werk aus dem 19.Jh.

Kurzsichtigkeit

Zwei Männer waren außerordentlich kurzsichtig, wollten es jedoch niemandem
eingestehen, sondern rühmten sich gegenseitig ihrer scharfen Augen.
Einmal hörten sie, daß in einem Tempel eine Gedenktafel aufgestellt werden sollte.
Beide versuchten schon im voraus heimlich in Erfahrung zu bringen, welche Inschrift die
Tafel tragen würde. Am festgesetzten Tag gingen sie gemeinsam zum Tempel.
"Sieh nur," sagte der eine und zeigte nach oben, "bedeuten diese Zeichen nicht
'Herrlichkeit und Aufrichtigkeit'?"
"Und die kleinen dort! Du kannst sie bestimmt nicht erkennen. Sie bedeuten:
Geschrieben von Soundso, und dahinter steht das Datum des heutigen Tages!"
erwiderte der andere.
Ein Fußgänger fragte, was es denn zu sehen gäbe. Als es ihm erklärt wurde, lachte er laut.
"Die Tafel ist noch gar nicht angebracht worden, wie könnt ihr denn die Schriftzeichen lesen?"