Die entscheidende Frage
Zwei Hähn' aus Welschland her, nicht eben große Denker,
Nur Schreier, gingen stolz aus einem Hof herum;
Sie schrieen als wohlversuchte Zänker,
Doch keiner schrie den andern stumm.
Der Eine schilt den Andern: Schreier,
Und dieser, mit nicht minderem Feuer,
Erwidert kräftig jedes Wort.
So zankten sie dann fort und fort;
Ihr Wechselhaß wuchs alle Tage.
Am nahen Teiche hob sein Haupt ein Schwan empor,
Dem trug der eine Hahn nun seine bittre Klage,
Voll fremder Schuld und eigner Unschuld vor.
"Hochweiser Schwan, es treibt ein böser Widersprecher
Mich zur Verzweiflung und zu Dir.
Sieh, jener Hahn ist ein verruchtes Tier,
Er schreit mich tot! beim Jupiter, dem Rächer!
Entscheide zwischen ihm und mir!" —
"Ja!" spricht der Schwan, "dein Feind hat schlimm an dir
verbrochen;
Ich will dir sagen wie du siegst,
Nur sage mir zuvor: hat er auch widersprochen,
Der böse Schreier, wenn du schwiegst?"
Das Glück
Das holde Glück kam an der Hand
Der Weisheit einst vom Himmel nieder,
Und die beglückte Erde wand
Dem Gaste Kränz', und sang ihm Lieder;
Umlagert war des Glückes Pfad.
Es ließ sich nicht vergebens bitten,
Die goldnen Freuden hin zu schütten,
Wo irgend eine Stimme bat.
Die Weisheit, die mit Wort und Tat
Das Glück erst zum Beglücker weihte,
Ging immerdar, wohin es trat,
Dem Glück, als Führerin, zur Seite;
Jedoch der Strahl in ihrem Blick,
Den Markt des Lebens zu beleuchten,
Ihr Ernst und ihre Würde scheuchten
Das Heer der Flehenden zurück.
Und leerer ward es, immer leerer;
Das drängende Gewühl verschwand,
Daß, bis auf wenige Verehrer,
Des Plutus Tempel einsam stand.
Da sprach das Glück zur Weisheit: "Liebe,
Du sahst, wo du mit mir erschienst,
Ward alles öd'; am Ende bliebe
Mein Tempel ohne Gottesdienst,
Wenn wir zusammen länger gingen:
Drum bitt' ich dich, laß mich allein;
Und sie, entfernt, sich auf zu dringen,
Entwich in einen Lorbeerhain.
Nun brach, wie eine Hungerquelle,
Die Schar hervor, umfloß das Glück,
Und nur die Weisheit blieb zurück;
Die Torheit trat an ihre Stelle.
Der Pfau und die Krähe
Zu einem Pfau sprach eine Krähe:
Was magst du dich doch in der Sonne drehn!
Wenn Ein Mal nur dein Blick auf deine Füße sähe,
So würde dir der Stolz vergehn,
Mit welchem du die Federnspiegel
Des Schweifes auseinander spannst. —
Besieh, versetzt der Pfau, doch deinen grauen Flügel,
Wenn du — vor dir — dich sehen kannst.
Das, was dein Aug' an Andern sahe,
Wird Andern nicht an dir entgehn.
Wir stehn uns selber viel zu nahe,
Um unsre Fehler selbst zu sehn.
Der Hofmann und der
Esel
Nicht weit von Nero's Sitz in einer Landschaftszene
Lag eine Mühl' am Bach in einem Fürstenhain;
Da gingen Herrn vom Hof und Esel aus und ein:
Die trugen Säck' umher, und goldne Schlüsseln jene.
Ein Esel kommt des Wegs daher,
Begegnet solchem Herrn, und fängt nun an, zu klagen:
Warum, o Zeus, hat Unsereins so schwer,
Und jener dort so leicht zu tragen?
Der Hofmann, den des Fürsten Laune drückt,
Wagts, leise sich ins Ohr zu raunen:
"Wahrhaftig dort das Tier ist mehr, als ich, beglückt;
Es trägt doch Säcke nur, und keine Fürstenlaunen."
Zeus hört des Esels lautes Schrein,
Des Hofmanns heimliche Beschwerden,
Und spricht zum Hofmann: Gut! du sollst ein Esel sein!
Zum Esel: Sollst ein Hofmann werden. —
Der neue Esel war ans Kriechen sehr gewöhnt;
Bei Hof erwarb das Huld, beim Müller aber Schläge;
Allein der neue Hofmann stöhnt,
Daß er nun kriechen muß — und schilt auf krumme Wege.
Kurz, jeder wünscht sich, in das Amt,
Das er verließ, zurück zu treten.
Zeus aber zürnt: "Ihr seid verdammt,
So glücklich nun zu sein, wie ihr es euch erbeten."
Das Privilegium
Der Vogel Zeus, der, wie ihr wißt,
Der Großsultan der Vögel ist,
Hatt' einen Landtag ausgeschrieben.
Die Vögel kamen all' herbei;
Und ward auch wohl nicht viel betrieben,
So gab es doch viel Schmauserei.
Mitunter wurden dann auch Klagen
Dem hohen Sultan vorgetragen.
Es war ein Sprosser, der begann.
Hart klagte der die Monodramen
Des unbescheidnen Kuckucks an.
"Der Kuckuck schreit," so hub er an,
"Bis zum Betäuben seinen Namen
Im ganzen, weiten Wald herum.
Erhabner Adler, mach' ihn stumm:
Wir alle hören lieber Raben,
Als diesen Narrn, den Wald durchschrein." —
Der Adler sprach: "Ein Narr zu sein,
Die Freiheit muß ein jeder haben!"
Die Fliege und die
Biene
Zur Biene sprach die Fliege:
"Sag mir, warum man dich
Aus keinem deiner Züge
Verfolgt und jagt, wie mich.
Ich glaube, könnt' ich stechen,
Und mich so scharf, wie du,
An meinen Feinden rächen:
Man ließe mich in Ruh."
"Du irrst," versetzt die Biene,
"Was mehr, als alles, mich
In Schutz nimmt, ist, daß ich
Dem Eigennutze diene."
Der friedliche Löwe
Ein Löwe, der sich weit umher getrieben,
Und manchen Krieg geführt, kam zu sich selbst, und fing
Auf ein Mal an, den Friedenssinn zu lieben.
Das ist bei Königen der Tiere ein seltnes Ding,
Weils ihnen, wie wir alle wissen,
An dem Gefühl für Recht und Pflicht,
An etwas Ewigkeit zu guten Friedensschlüssen,
Und an dergleichen mehr gebricht.
Doch unser Löwe war entschieden,
Selbst ruhig, Ruhe zu verleihn.
Allein, wo findet er den Frieden?
Da, wo Vernunft ist, muß er sein.
Der Löwe geht. Auf seinem Gange
Begegnet ihm ein Mensch, der zwischen Krücken geht,
Und, weil er sieht, wer kommt, erschrocken stille sieht;
Der Löwe ruft ihm zu: "Vor mir sei dir nicht bange!
Nimm meinen Gruß. Ich bin ein Wandrer, so wie du.
Ich wandre dort aus von meinen Tieren.
Du sollst mich zu den Menschen führen,
Den Frieden such' ich und die Ruh."
Der Wandrer spricht: "Du kommst soeben recht; wir gehen
Zusammen nach der Stadt, die über jene Höhen
Mit ihren stolzen Türmen ragt.
Du wirst dort große Dinge schauen;
Da werden, wie die Zeitung sagt,
Viel weise Herrn an einem Frieden bauen,
Um ihn der Ewigkeit zu weihn.
Mir freilich kostete er ein Bein,
Der heilige Vertrag, den jene Herren gründen.
Ja, was du suchst, kannst du im Schoß der Menschen finden.
So sei uns dann in unsrer Welt gegrüßt,
Die, wenn nicht ewigen, doch ewig Frieden schließt."
Der Löwe schien dabei nichts Gutes zu empfinden,
Er brummt, und ging mit finsterm Blick
In seinen wilden Wald zurück.
Die beiden Bäche
Zwei nachbarliche Bäche
Durchwallten Eine Flur;
Der eine zog sich nur
Ganz leise durch die Fläche;
Doch, trotz dem stillern Lauf
Der kleinen, sanften Welle,
Warf er an mancher Stelle
Des Ufers Gold herauf.
Hin über nackte Kiesel,
Zog stürmend, wie die Wut,
Das tönende Geriesel
Der nachbarlichen Flut.
Und diese rief der Nymphe
Des stillern Baches zu:
"Kaum sind die faulen Sümpfe
Noch schweigender als du.
Horch! wie den Felsterrassen
Mein Silberschaum entrollt!" —
"Ich hör es." — spricht gelassen
Die Nymphe und wäscht ihr Gold.
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