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Der wilde Alexander


Der wilde Alexander (auch Meister Alexander, schrieb Mitte/Ende 13. Jahrhundert)
war ein Minnesänger. Seine Lieder gehören zur Sangspruchdichtung.
Von ihm sind vier Lieder vollständig erhalten, eines fragmentarisch.

Der eventuell aus Alemannien stammende Dichter, auch "Meister Alexander" genannt,
gehörte vermutlich zu den fahrenden Sängern und dichtete Ende des 13. Jahrhunderts.
Seine Zeit bestimmt sich durch einen Spruch, in welchem er mit Bezug auf die Ehe zwischen
König Wilhelm von Holland und Elisabeth, der Tochter des Herzogs Otto von Braunschweig
(25. Jan. 1252) rühmt, daß eine Taube aus Braunschweig Elbe und Rhein in Liebe verbunden habe.


Seine voller Rätsel steckenden Strophen setzen einen hohen Bildungsgrad beim Verfasser
voraus. Er findet sich nicht nur in der Manesse-Handschrift, wo er sich auf einem Bild als
wilder Reiter im roten Gewande präsentiert, sondern auch in der Jenaer Handschrift.

 
   
Das nun folgende und vielbehandelte Lied ist kein autobiographisches "Kinderlied", sondern ein durchgehend allegorisches,
religiös gemeintes Lied. Es warnt vor der verführerischen Schönheit der Welt, der Befleckung durch sie und vor dem
Versäumnis zur rechtzeitigen Umkehr.
Dass Alexander durch seinen Bildungsgrad mit Vergil * 15. Oktober 70 v. Chr. in Andes bei Mantua † 21. September 19 v. Chr.
in Brindisi, durchaus vertraut war, zeigen die Verse 3,4 im Bild des "Erdbeersuchens" Hier verwendet er nämlich eine mittelalterliche,
christlich-allegorische Deutung des Verses Vergils: Ekloge III 92f:
 
Qui legitis flores et humi nascentia fraga,
frigidus, o pueri, fugite hinc, latet anguis in herba.
Die ihr pflückt euch Blumen und Erdbeern, wachsend am Boden,
Knaben, o fliehet hinweg! Kalt lauert die Schlang' in dem Grase.
Eklogen (lateinischer Titel: Eclogae oder Bucolica) ist der Titel der Hirtengedichte des Vergil, daher wurde die Bezeichnung
üblicherweise auch für Hirtengedichte verwendet. Die Ekloge (von griech.: eklegein, auslesen, auswählen) ist eigentlich
eine Bezeichnung für eine Auswahl, z. B. ein kleines ausgewähltes Gedicht.
 
Hie bevorn do wir kinder waren
 
Damals, als wir noch Kinder waren
 

1.
Hie bevorn do wir kinder waren
und diu zit was in den jaren
daz wir liefen uf dir wisen
von jenen wider ze disen,
da wir under stunden
viol vunden,
da siht man nu rinder bisen.

2.
Ich gedenke wol daz wir sazen
in den bluomen unde mazen
welich diu schoenste möhte sin.
da schein unser kintlich schin
mit dem niuwen kranze
zuo dem tanze.
alsus get diu zit von hin.

3.
Seht, do liefe wir ertberen suochen
von der tannen zuo der buochen
über stoc unde über stein
der wile daz diu sunne schein.
do rief ein waltwiser
durch diu riser
»wol dan, kinder, unde get hein!«

4.
Wir enpfiengen alle masen
gestern, do wir ertberen lasen;
daz was uns ein kintlich spil.
do erhorte wir so vil
unsern hirten ruofen
unde wuofen
»kinder, hie get slangen vil.«

5.
Ez gienc ein kint in dem krute,
daz erschrac und rief vil lute
»kinder, hie lief ein slang in,
der beiz unser phetterlin;
daz enheilet nimmer,
ez muoz immer
suren unde unsaelic sin.«

6.
Wol dan, get hin zu dem walde!
unde enilent ir niht balde,
iu geschiht als ich iu sage:
erwerbent ir niht bi deme tage
daz ir den walt rument,
ir versument
iuch und wird iuwer vröude ein klage.

7.
Wizzent ir, daz vünf juncvrouwen
sich versumten in den ouwen,
unz der künic den sal besloz?
ir klage unde ir schade was groz;
wande die stocwarten
von in zarten
daz si stuonden kleider bloz.

 

1.
Damals, als wir noch Kinder waren
und wir in dem Alter waren,
daß wir auf den Wiesen
hin und her liefen,
wo wir manchmal
Veilchen fanden:
Da sieht man jetzt Rinder herumrennen.

2.
Ich erinnere mich gut, daß wir
in den Blumen saßen und prüften,
welche die Schönste sei.
Damals erstrahlte unsere kindliche Schönheit
unter dem frischen Kranz
beim Tanz:
So vergeht die Zeit!

3.
Seht, da liefen wir Erdbeeren suchen
von der Tanne hin zur Buche,
über Stock und Stein,
solange die Sonne schien.
Da rief ein Waldhüter
durchs Gebüsch:
»Auf denn, Kinder, geht nach Hause!«

4.
Wir bekamen alle Flecken
gestern, als wir Erdbeeren pflückten;
das war für uns ein kindliches Spiel.
Da hörten wir mehrfach
unseren Hirten rufen
und warnen:
»Kinder, hier gibt es viele Schlangen!«

5.
Es ging ein Kind durch das Gras,
das erschrak und rief sehr laut:
»Kinder, hier ist eine Schlange hineingegangen,
die hat unser kleines Taufkind gebissen;
das wird nie mehr gesund,
es muß für immer
krank und unglücklich sein."

6.
Auf denn, geht hinaus aus dem Wald!
Und beeilt ihr euch nicht sehr,
dann geschieht euch, was ich euch vorhersage:
Schafft ihr es nicht, bei Tag
den Wald zu verlassen,
so verspätet ihr euch
und eure Freude wird zur Klage.

7.
Erinnert ihr euch, daß fünf Jungfrauen
sich unterwegs verspäteten,
bis der König den Saal zuschloß?
Ihre Klage und ihr Schaden waren groß;
denn die Gefängniswärter
rissen die Kleider von ihnen,
so daß sie nackt dastanden.

 

Quelle:
©Reclam 1993 Deutsche Gedichte des Mittelalters/Ausgewählt, übersetzt und erläutert von ©UlrichMüller/©Gerlinde Weiss
 

Ein frühes deutsches Weihnachtslied
 
Herre got, dir sungen schône
 
Herr Gott, zu dir sangen wunderbar
 

1.
Herre got, dir sungen schône
hiute naht vor dîme trône
Cherbin und Seraphin
niuwez lop in hôher wunne.
hiute enpfienc ouch menschen kunne
den gotelîchen vride von in.
hiute quam von himele mære,
daz got menschen worden wære.
daz ist uns ein hôch gewin.

2.
Hiute quam ûz vremden lande
uns ein kempfe in dem gewande,
dâ in er den sige erstreit.
manic engel in ze ringe
brâhte und sanc dem jungelinge
lop, dô er ze kampfe schreit
alse er vür uns wolde strîten.
der werde man von beiden sîten
vertreip uns unser altez leit.

3.
Er quam, alse er wart empfangen
schône, schône vür gegangen.
dô rief maniger engel schar:
»lop in himile, vride ûf erde!«
dô der gotes sun in werde
vür trat rehte alse er dar
komen was vor vierzic wochen:
unzevuort und ungebrochen
ir magetuom der bleip ir gar.

 

1.
Herr Gott, zu dir sangen wunderbar
heute nacht vor deinem Thron
Cherubin und Seraphin
frisches Lob in höchster Freude.
Heute empfing auch das Geschlecht der Menschen
von ihnen den göttlichen Frieden.
Heute kam vom Himmel Kunde,
daß Gott Mensch geworden sei.
Das ist uns allerhöchstes Geschenk.

2.
Heute kam aus fremdem Land
zu uns ein Streiter in dem Gewand,
in dem er den Sieg erstritt.
Manch Engel führte ihn auf den abgesteckten Kampfplatz
und pries den Jüngling,
als er zum Kampfe schritt,
um für uns zu kämpfen.
Als Gott und Mensch
befreite er uns von unserm alten Leid.

3.
Er kam genauso, wie er freundlich empfangen wurde,
freundlich daher.
Da riefen viele aus der Schar der Engel:
»Ehre (sei)im Himmel, Friede auf Erden!«
Als dann Gottes Sohn in Würde
hervortrat, wie er vor vierzig Wochen
erschienen war:
vollkommen unzerstört und ungebrochen
blieb ihre Jungfräulichkeit.

 

Quelle:
©Marix/ Deutsche Lyrik des Mittelalters/2005/Hrsg. ©Manfred Stange
 

Mit dem folgenden Lied, das auch mit einer wunderbar melancholischen Melodie überliefert ist, stellt er erneut die für den Minnesang so typische Verbindung von Liebe und Leid heraus.
 
Ach owe, daz nach liebe ergat
 
Weh mir, warum nur war ich froh
 
1.
Ach ôwe, daz nach liebe ergât
ein leit als ich daz trîbe!
daz wil diu Minne und ist ir rât
daz ich dâ von sô schribe.
sî sprach selbe wider mich:
»schrîp ein leit vor allem leide,
swâ sich liep von liebe scheide
trûric und unendelich.«

2.
Zwâr mîner vrouwen unde mir
mac ich daz leit wol schrîben.
si lebet mir und ich leb ir.
sus künnen wir vertrîben
doch mit jâmer unser tage:
Minne wil und kan gebieten
daz wir uns durch sî genieten
kurzer fröude unde langer klage.

3.
Dô mir frou minne ir stiure bôt,
ach waeren wir dô beide
mit sament in den vröuden tôt,
wan daz wir sus mit leide
vón einander müesen wesen.
schône, frouwe Minne, schône,
tobe niht mit solhem lône,
lâ mich sterben, sî genesen!

4.
Nu toete mich und lâ si leben!
»nein, ich enwil«, sprach Minne.
»mînen schíltgeverten wil ich geben
verluste mit gewinne:
dâ stêt an dem brieve mîn
daz ich Minne niht enhieze,
ob ich unversêret lieze
zwei diu von einander sîn.«

5.
Mir waere ein jâr alsam ein tac
swen ich bî liebe waere.
ei, dâz waer mîner sorgen slac
bî sô schimpflîchem maere
beide still und offenbâr.
sus sô muoz ich dicke trûren
bî vrôlîchen nâchgebûren.
dés ist mir ein tac ein jâr.

 
1.
Weh mir, warum nur war ich froh,
im Leid nun zu verbleiben!
Es ist der Minne Rat also,
ich muß es niederschreiben.
Sie ermahnte selber mich:
»Schreibe Leid vor allem Leide,
wie sich Lieb von Liebe scheide
voller Trauer ewiglich.«

2.
Meiner lieben Frau und mir
mag ich von Leid wohl schreiben.
Sie lebt für mich, ich lebe ihr,
und müssen doch vertreiben
nur mit Jammer unsre Tage.
Minne hat es uns geheißen,
daß wir sollten uns befleißen
kurzer Freud und langer Klage.

3.
Da Minne mir noch Stütze bot,
was blieben wir nicht beide
in Freuden miteinander tot,
statt daß getrennt mit Leide
für den Tod wir auserlesen!
Schone, Herrin Minne, schone,
walte nicht mit solchem Lohne,
mich laß sterben, sie genesen!

4.
O töte mich und laß sie leben!
»Mitnichten!« sprach Minne.
»Dem Schildgefährten will ich geben
Einbuße mit Gewinne.
Also steht in meinem Brief,
daß ich nicht die Minne hieße,
so ich ohne Wunden ließe
zwei, die sich verbunden tief.«

5.
Ein Jahr erschiene wie ein Tag,
wenn ich bei meiner wäre.
Hin wäre mein Leid mit einem Schlag
von so beglückter Märe,
beides: still und offenbar.
So verzehre ich mich mit Schmerzen,
wenn um mich die Nachbarn scherzen,
und mein Tag ist mir ein Jahr.

 
Quelle:
©Reclam 1978/Deutscher Minnesang/Nachdichtung von ©Kurt Erich Meurer
 
Minneleich
die Noten dazu

 
Min trûreclichez klagen
 
Schmerz und Klage
 
Min trûreclichez klagen
ist daz mich versneit
Minne, owê!
[] Sol aber ich nu tragen
daz grôz herzeleit
iemer mê.

Daz an mir begât
der Minnen rât?
nein, ich sol mich
wol von disem schaden
vil balde entladen,
die nôt der tôt.

Von mir jage
ê daz ich klage
alle tage
mîn leit alse unendeclich.
Reht als der swan
der wizzen kan
wenn in an
kumt sîn tôt, dem singe ich glich.

Ach, mîner wunnen berndiu rebe!
nimt ieman wunder wes ich lebe?
jâ mîn stætiu zuoversiht
trœstet mich und anders niht.
Zwâr, Minne, dû hast mir gegeben
in liebem wâne ein strengez leben:
sol ich âne die vrouwen mîn
doch dîn schiltgeverte sin?

Er mac wol von nœten sagen
swer den schilt sol eine tragen.
sô ist daz nôt über nôt,
wirt getragen gein im der schilt
ob si scheiden ungespilt.
ach, daz ist ein lebender tôt.

Nu lâzet si zesamene komen:
dâ wirt lîhte ein spil vernomen
daz vröud über vröude birt.
Owê, sô tuot in dar nâch
aber ein langez trûren schâch,
swenne urloup genomen wirt.

Minne ist solch geselle,
swer ir dienen welle:
hiute süeze, morne sûr.
leit ist jô liebes nâchgebûr.
Swer et ie gespilte
under Minnen sckilte
der leit übel unde guot
als noch minnengernder tuot.

Uns zalten die alten
von der senden nôt,
wie sich maniger bôt
in den grimmen tôt
als in diu minne überwant.
Nu lêre mich, hêre
Minne, wie daz ich
dînen schilt und dich
wol und minneclich
dînen vriunden tuo bekant.

Nu wol et her,
swer des ger
daz er werde ein dienestman
hôher minne ûf werden lôn!
Den lâze ich hie
wizzen, wie
Vênus gap und geben kan
Minne ir zeichen unde ir dôn.

Nu nemet war, daz ist der schilt
dar under manger hât gespilt:
ûf rôtem velde ein nacket kint
daz ist gekrœnet unde ist blint,
von golde ein strâle in einer hant
und in der andern ist ein brant.

Daz kint hât ûf den rant gesprenget
zwêne vlügel mit snellem vluge.
Der schilt ist ûz und ûz gespenget
an dem zeichen und an dem zuge.

Habt ir vernomen, wie vür sî komen
der schilt und diu mâtêrje gar?
Schilt unde kint daz ist ein wint,
irn nemet ouch der glôsen war.

Wecke ûf, Minne, spæhe sinne!
tuo dîn reht durch daz dîn her
Dich erkenne: schiuz und brenne
und sich, wer sich dîn erwer.

Vür wâr hie kumt Amor gevlogen;
der bringet vackeln und den bogen.
sîn strâl diu vert durch ganze want;
dar nâch sô wirfet er den brant.
sô kumt ein viur und ein gelust
bald in der minnen gernde brüst.

Swaz er begât und swaz er trîbet,
daz ist allez kintlich spil;
Durch daz man in sô kintlich schrîbet:
er hât kindischer tücke vil.

Die krône er treit durch werdekeit,
der mangen künic betwungen hât.
Ei, wîcha wîch! wie stolz wie rîeh
er überkumt swaz er bestât.

Gât durch schouwen lieplich vrouwen
und lât iuch dâ wider sehen.
Kumt dô stille zwein ein wille,
ach, sô ist ein schuz geschehen.

Schône, Minne, schône,
tobe niht mit der krône:
dû bist in ir lande.
tobe niht mit dem brande.
dû hast nû ze mâle
zwei mit einer strâle
verwunt in dîn stricke
mit der ougen blicke.
swâ brust kumt ze brüste,
dâ zünt von gelüste
daz viuwer an der strâze,
ez brinnet âne mâze.

Ouch muoz ich dîne blintheit klagen,
swâ man siht einen swachen zagen
hôher minne solt bejagen.
Blôz unde blint was ie dîn spil,
daz merke swer dâ merken wil:
spræche ich mer, des wær ze vil.

Wünschen und gedenken
ist dîn gevider;
daz kanst dû wol lenken
hôch unde nider.
wer kan dir entwenken?
du vliugest hin, du vliugest wider.
Dînen schilt lâ schouwen:

sîn velt ist rôt,
swâ man durch die vrouwen
kumt in die nôt,
daz einer lît verhouwen,
der ander lîdet snellen tôt.

Swer dînen schilt wil üeben,
den kan niht betrüeben,
ob in daz kint mit der krône
twinget, daz er volget schône
dem dône
den uns Paris über sê
Brâhte von den Kriechen
dô den minnesiechen:
dô die Kriechen gewunnen Troje,
swer dâ truoc der minnen boje,
des croije
was niht wan ach unde owê.

 
Schmerz und Klage
bedeutet es, daß mich verwundet hat
Minne, o weh!
Soll ich denn nun erdulden
den großen Schmerz des Herzens
auf alle Zeit,

den der Minne Ratschluß
über mich verhängt?
Nein, ich will mich
dieser Last
bald entledigen.
Der Tod soll diese Not

mir vertreiben,
ehe ich Tag für Tag
so unabsehbar lange
mein Leid beklagen muß.
So wie der Schwan,
der weiß,
wann ihm der Tod naht,
so singe ich.

Ach du Rebe, die meine Freude trägt!
Nimmt es jemand wunder, wie ich noch leben kann?
Nur unverrücktes Vorwärtsblicken
hält mich aufrecht, gar nichts sonst.
Ja, Minne, du hast mir gegeben
in süßer Hoffnung ein hartes Leben.
Soll ich auch ohne meine geliebte Herrin
dennoch dein Schildknappe sein?

Der kann wohl von Not erzählen,
der diesen Schild alleine tragen muß.
Aber das ist Not über Not,
wenn einem der Schild entgegenkommt
und sie dann scheiden, ohne gespielt zu haben.
Ach, das ist der Tod im Leben.

Gesetzt, daß sie zusammenkommen,
so wird sich wohl ein Spiel erheben,
das Freude über Freude bringt.
Ach, aber dann danach
wird lange Trauer sie wieder überfallen,
wenn es ans Abschiednehmen geht.

Minne ist als Gefährtin von solcher Art:
wer ihr dienen will, erfährt
heute Süß und morgen Bitter.
Der Freude Nachbar ist das Leid.
Wer unter dem Schild der Minne
je gespielt hat,
hat Schlimmes und Gutes erfahren,
und jedem, der Liebe sucht, wird es so ergehen.

Die Alten haben uns erzählt
von Liebesnot,
daß mancher sich
dem grimmen Tod dargeboten hat,
als ihn die Minne überwand.
Nun lehre mich,
erhabne Minne, wie ich
dein Schildwappen und dich
gut und minnegerecht
deinen Freunden verkünde.

Nun herzu,
Wer begehrt,
in den Dienst der hohen Minne
zu treten um köstlichen Lohn!
Ich lasse ihn
hier wissen,
wie Venus der Minne gegeben hat
und geben will ihr Wappen und ihre Melodie.

Nun hört, das ist der Schild,
unter dem schon so mancher gespielt hat:
auf rotem Feld ein nacktes Kind,
das trägt eine Krone und ist blind,
in einer Hand einen goldenen Pfeil
und in der anderen einen Feuerbrand.

Das Kind hat zum Schildrand hin ausgebreitet
zwei Flügel in raschem Flug.
Der Schild ist um und um verklammert
auf der Schauseite und am Griff.

Habt ihr den Schild und seinen Inhalt
wohl vernommen, wie ich sie euch vorgestellt habe?
Schild und Kind besagen nichts,
wenn ihr nicht auch die Deutung hört.

Minne, erwecke kluge Kunst!
Zeig deine Art, daß dein Gefolge
dich erkenne! Schieß und brenne,
und sieh zu, ob sich jemand deiner erwehrt!

Wahrlich, hier fliegt Amor heran,
er trägt die Fackel und den Bogen.
Sein Pfeil durchstößt auch eine Wand.
Dann schleudert er das Feuer hinterher,
so wächst ein Brand und ein Begehren
rasch in der liebeverlangenden Brust.

Was er tut und was er treibt,
ist wie eines Kindes Spiel.
Darum malt man ihn als Kind:
Kindische Tücke ist ihm eigen.

Die Krone trägt er wegen seines Rangs,
er, der manchen König bezwungen hat.
O fliehe, flieh! Wie stark und mächtig
überwindet er alles, was er trifft.

Geht, erfreut euch am Anblick von Frauen
und laßt euch selbst von ihnen betrachten!
Wenn dann in zweien leise ein Wunsch ersteht,
ach, dann ist es der Schuß gewesen.

Schone, Minne, schone sie,
wüte nicht mit deiner Krone!
Du bist in ihrem Lande,
wüte nicht mit deinem Feuer!
Du hast nun zwei auf einmal
mit einem einzigen Pfeil verletzt,
in deine Fessel sie geschlagen
durch die Blicke ihrer Augen.
Wenn nun Brust an Brust sich drückt,
dann entzündet sich vom Begehren
das Feuer am Wege,
maßlos brennt es.

Auch muß ich beklagen, daß du blind bist,
wenn man sieht, wie ein schlechter Feigling
den Lohn hohen Liebeswerbens gewinnt.
Blind und nackt, so hast du immer gespielt.
Das verstehe, wer es verstehen will.
Es ist nicht gut, darüber mehr zu reden.

Wünschen und Gedenken
sind dein Gefieder;
damit kannst du
in die Höhe und in die Tiefe fliegen.
Wer kann dir entgehen?
Du fliegst dahin, du fliegst dorthin.
Laß deinen Schild sehen!

Sein Feld ist rot;
denn wo ein Mann um eine Frau
in Not gerät,
da liegt der eine verwundet,
der andere findet schnellen Tod.

Wer deinen Schild führen will,
den darf nicht bekümmern,
wenn das Kind mit der Krone
ihn so bezwingt, daß er einstimmt
in die Melodie,
die uns Paris damals übers Meer
brachte von den Griechen,
uns und allen Minnekranken:
Als die Griechen Troja einnahmen,
wer da die Minnefessel trug,
dessen Ruf
war nur »ach und weh«.

 
Ein hirte enbant sînen tobenden hunt
 
Ein Hirte ließ seinen rasenden Hund frei
 
1.
Ein hirte enbant sînen tobenden hunt.
des gât beschorn und ungesunt
manc schâf ûf dürrer weide.
Ein lieht erlasch ze Megenze sider;
dô vlouc ein ar mit leide wider;
doch quam im trôst nâch leide:
Ze Pülle ein listic slange erstarp,
der Elbe minne der Rîn erwarp,
daz vuogte ein tûbe ze Brûneswîc.
Sich vröute ein wolf der missetât
ze Swâben, daz in Beiern gât
ein stetic mûl unrehten stîc.

*
2.
Ern kan niht wol rôsen pflegen
swer sô hüetet daz ein regen
ir zwî niht mac begiezen.
Ûf den rôsen sollte sîn
ein tou, dar nâch ein sunnenschîn,
sô möhten sie entsliezen.
Nu stêt ein rôse, daz ist mîn klage,
verborgen in sô dickem hage,
daz ir selten vröude birt;
Des muoz si trûren durch die nôt.
ir bleichet ouch ir varwe rôt,
ob ir niht baz entrûmet wirt.

*
3.
Dô durch der werlde unmüezekeit
her abe von küniges künne schreit
daz tihten und daz singen
— Von sündehaften schulden ez quam
daz daz seitenspil urloub nam
und der juncvrouwen springen —,
Dô viel ez an die ergern hant.
ein armiu diet sich es underwant,
ûf daz der künste niht gienge abe.
Dô truogen die herren durch die kunst
den selben helfebære gunst
und nerten sie mit varnder habe.

4.
Swer in daz reht verstürzen wil,
der sol üeben seitenspil
und niuwiu lieder singen
Und schricken zuo der hôchgezît
als vor der arken künic Dâvît,
diu brût sol selbe springen
Als künic Herôdes tohter spranc;
sô nimt diu kunst einen widerwanc
hin ûf sam sie her abe ist komen.
Dunkt aber iuch daz ein schemelich leben
und künt ir es niht, sô sult ir geben
den die sich kunst hân an genomen.

 
1.
Ein Hirte ließ seinen rasenden Hund frei.
Darum ist jetzt auf dürrer Weide
manches Schaf geschoren und verletzt.
Danach erlosch zu Mainz ein Licht.
Da flog ein Adler traurig zurück.
Doch kam ihm Trost in seinem Leid:
In Apulien starb eine listige Schlange,
der Rhein gewann die Liebe der Elbe,
das bewirkte eine Taube zu Braunschweig.
In Schwaben freute sich ein Wolf
über den Fehltritt, daß in Bayern
ein störrischer Maulesel auf bösem Wege geht.

*
2.
Der kann nicht gut Rosen pflegen,
der sie so beschützt, daß der Regen
ihre Zweige nicht begießen kann.
Auf den Rosen sollte Tau liegen
und danach Sonnenschein,
dann könnten sie sich entfalten.
Nun steht leider eine Rose
in so dichter Hecke verborgen,
daß ihr das nie Freude bringt.
In dieser Bedrängnis muß sie trauern,
und ihre rote Farbe bleicht,
wenn ihr nicht mehr Freiraum gegeben wird.

*
3.
Als wegen der Geschäftigkeit der Welt
das Dichten und Singen
aus Königsgeschlecht herabstieg
— Sündenleben war der Grund dafür,
daß das Saitenspiel Abschied nahm
und das Tanzen der Jungfrauen —,
da wurde es der schlechteren Hand vererbt.
Arme Leute nahmen sich seiner an,
damit die Kunst nicht untergehe.
Da gewährten die Herren der Kunst zuliebe
diesen Armen helfende Gönnerschaft
und versorgten sie mit vergänglichem Gut.

4.
Wer ihnen dieses Recht wegreißen will,
der soll das Saitenspiel selber betreiben
und neue Lieder singen
und beim Fest Sprünge machen
wie König David vor der Bundeslade.
Die Braut selbst soll tanzen
wie die Tochter des König Herodes.
Dann kehrt die Kunst wieder zurück
hinauf, so wie sie einst herabkam.
Erscheint euch das aber als peinliches Verhalten
und könnt ihr es nicht, dann sollt ihr denen geben,
die sich der Kunst angenommen haben.

 
Herre got, dir sungen schône
 
Herr Gott, schön sangen dir
 
1.
Herre got, dir sungen schône
hiute enein vor dîme trône
Cherubin und Seraphin
Niuwez lop in hôher wunne.
hiute enpfienc ouch menschen kunne
den gotelîchen vride von in.
Hiute quam von himele mære,
daz got mensche worden wære.
daz ist uns ein hôch gewin.

2.
Hiute quam ûz vremdem lande
uns ein kempfe in dem gewande
dâ inne er den sige erstreit.
Manic engel brâhte in ze ringe
unde sungen dem jungelinge
lop, dô er ze kampfe schreit
Alse er vür uns wolde strîten.
der werde man von beiden sîten
vertreip unser altez leit.

3.
Er quam, alse er wart empfangen
schône, schôner vür gegangen,
dô rief maniger engel schar
»Lop in himele, vride ûf erde!«
dô der gotes sun in werde
vür trat rehte alse er dar
Komen was vor vierzic wochen:
unzevuort und ungebrochen
ir magettuom der bleip ir gar.

 
1.
Herr Gott, schön sangen dir
heute einhellig vor deinem Thron
Cherubim und Seraphim
neues Lob in hoher Freude.
Heute empfing der Menschen Geschlecht
von ihnen den göttlichen Frieden.
Heute kam Botschaft vom Himmel,
daß Gott Mensch geworden sei.
Das macht uns reich und froh.

2.
Heute kam aus fremdem Land
ein Kämpfer zu uns in dem Kleid,
in dem er dann den Sieg errang.
Viele Engel begleiteten ihn zum Ring
und sangen dem Jüngling Lob,
als er zum Kampfe schritt,
um für uns zu streiten.
Der edle Held aus beiden Welten
vertrieb unser altes Leid.

3.
Schön, wie er empfangen wurde,
ja noch schöner trat er hervor.
Da rief die Menge der Engel
»Lob im Himmel, Friede auf Erden«,
als Gottes Sohn würdig
heraustrat, so wie er vor vierzig Wochen
dorthin gekommen war.
Ganz unverletzt und ungebrochen
blieb ihr ihre Jungfräulichkeit.

 
Quelle:
© Deutscher Klassiker Verlag/2006/Deutsche Lyrik des späten Mittelalters/Herausgegeben von ©Burghart Wachinger