Fabelverzeichnis
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Eberhard von Cersne

Der Autor nennt sich in einer Nachschrift zu Der Minne Regel selbst.
Er sagt, er sei in Minden zu finden, und datiert sein Werk auf 1404.

Mit großer Wahrscheinlichkeit ist er zu identifizieren mit einem 1408 belegten
Mindener Kanonikus Everd von Cersne, der wohl aus der ritterbürtigen
Familie von Cersne/Zersen stammte und 1395 in Erfurt zum Studium der
Artes liberales immatrikuliert worden war.
Außerdem verfasste er 20 Liebeslieder und 4 Melodien.

Kurzbiographie von ©Burghart Wachinger
 

Es anheischit nu de zit
 

Es fordert jetzt die Jahreszeit
 
1.
Es anheischit nu de zit,
daß men sich van eide
scheide.
so leide
ist mir armen nu geschen.
(Ich was meniger sorge quit,
die mir große veide
breide.)
die weide
machit, daß ich nicht gesen
Mag, da inne nach wünschen ist belannet,
bemannet,
vurmuret,
beschuret
und leider nu vorhuret,
da ich uf hatte luret,
ein torm, da uf den zinnen kuret
ein wachtir, der mich heßlich heißit flen.

2.
Wistich kunst, list, starche macht,
wie men mochte dichen,
vurlichen
die sichen,
die da schrankit umme gen,
Denn woltich tag unde nacht
slüfin unde suchen,
krichen,
nicht wichen
van der slawe und umspen,
Bis ich beide planken und hagen
umfagen,
zutrechen,
vursechen,
[...] zustechen
kund und gar zubrechen,
stormen und nach willen rechen
da oben den werdir: fro woltich sten.

3.
Mir ist aber worden kund,
wie men noch mid tete,
gerete,
vorrete
nicht die veste winnen kan.
Doch wil ich zu allir stund
denken an ir sete,
mete,
nach bete
unde hoffin nicht vurlan.
Mit allem ungeferte ich varen
wil zwaren,
nu laßen
die Straßen
Zwifel und hern Trurenfelt,
die mich sust lang han gequelt,
und sin zu Troste me gesellt.
lieb Trost, nu laß mich sin din eigen man!

 
1.
Es fordert jetzt die Jahreszeit,
daß man sich vom Ofen
trenne.
Doch ist mir Armen
Leid widerfahren.
Von vielen Sorgen war ich frei gewesen,
die große Feindschaft
mir zugemutet hatte.
Das Dickicht
bewirkt nun, daß mir nicht mehr sichtbar ist,
worin sich, wie im Traum geschmückt, befindet,
von Mannen
und Mauern
beschirmt
und leider jetzt entfremdet,
das, worauf ich meinen Sinn gerichtet hatte:
ein Turm, auf dessen Zinnen Ausschau hält
ein Wächter, der voll Haß mich fliehen heißt.

2.
Hätt ich Kunst, List, große Macht,
um aufzuschütten,
einzuebnen
die Wassergräben,
die als Hindernisse ringsum gehen,
dann wollt ich Tag und Nacht
schlüpfen und schleichen,
kriechen,
nicht lassen
von der Fährte, wollte umherspähen,
bis ich Planken und Heckenwerk
wegräumen,
einreißen,
zerhacken,
zerstechen
könnte und gänzlich zerbrechen,
erstürmen und den Wächter oben, wie ich wollte,
treffen. Dann stund ich da als froher Mann.

3.
Ich habe aber lernen müssen,
daß man mit Taten,
Listen,
Trügereien
die Festung nicht gewinnen kann.
Doch will ich allezeit
an ihre Tugend denken,
an ihren Lohn,
will noch im Bitten
und im Hoffen nicht nachlassen.
Trotz allen Widrigkeiten will ich wahrlich
weiterziehen,
will nun verlassen
den Weg
Herrn Zweifels und Herrn Trauerfelds,
die mich so lang gefoltert haben,
und will mich ins Gefolge der Frau Zuversicht begeben.
Lieb Zuversicht, nimm mich als deinen Eigenmann!

 
Ach, boumes blut, du tust mir leid
 
Ach blühender Baum, du tust mir weh
 
1.
Ach, boumes blut, du tust mir leid,
du nimpst mir lust und hinderst mich.
Al gud han ich van dir geseid,
nu muß ich mid dir halden krich:
Du nomen hast die fröide min,
da umme bast, frucht müße din
vurgen und ast werden unfin,
die vore vast mit linder blut
gar lustlich was geziret!

2.
Ich fluche dir mid Jonatas,
sam her den berg zu Jelboe
Vorfluchte, frucht daß her noch gras
noch blute tragit nimmerme,
Daß du mir hür, du falsche ris,
benemest stür, den min amis
mir tat hi vür: van wormes biß
und windes slür dir telgen hang
gar heßlich si zuspiret!

3.
Ich wünsche dir des argen vil
mid jamericheit zu allir stund.
Nicht me ich kan noch wünschen wil:
ich fluche dich an der helle grund!
Der nider schar der selben grund
auch neme war! wer nicht tud kund,
ufstige clar den himmel rund!
mand unde jar, mins lebens zit
blib ich mid ir vurwiret.

 
1.
Ach blühender Baum, du tust mir weh,
du raubst mir Lust, wirfst mich zurück.
Nur Gutes hatte ich von dir gesagt,
nun muß ich streiten gegen dich.
Genommen hast du meine Freude.
Es sollen Rinde dir und Frucht dafür
absterben und das Geäst dir häßlich werden,
das vorher reich mit zarten Blüten
köstlich geschmückt war.

2.
Ich fluche dir wie Jonathan,
wie er den Berg zu Gelboe
verfluchte, daß er nie mehr Frucht noch Gras
noch Blüten tragen sollte;
denn du hast mir in diesem Jahr, du falsches Gewächs,
den Halt genommen, den mir meine Liebste
zuvor gegeben hatte. Raupenfraß
und Windesstöße sollen, was an deinen Zweigen hängt,
recht bös zerfleddern.

3.
Von allem Schlimmen wünsche ich dir viel,
Unglück und Trauer allezeit.
Mehr kann und will ich dir nicht wünschen
als dies: ich fluche dich zum Grund der Hölle.
In deren Abgrund sollen alle Neider
sich wiederfinden. Doch wer nichts verrät,
der möge licht zum Himmelsrund aufsteigen.
Die Monate, das Jahr, mein ganzes Leben lang
bleib ich mit ihr verbunden.

 
Ein E das ist min wunne
 
Ein E ist meine Freude
 
Ein E das ist min wunne:
noch clarer wen die sunne
gift sie schines blicken.
Min herzechin nach ir ringed,
es clinged unde springed,
es wil van liebe entsticken.
Möcht ich nicht denn bi ir sin,
so were min sorge senked.
sie dünkit mir sicher also fin,
min liden würde gecrenked.

 
Ein E ist meine Freude.
Noch heller als die Sonne
strahlt sie mit ihrer Schönheit.
Mein zärtliches Herz strebt zu ihr,
es singt und springt,
es will vor Liebe ersticken.
Konnte ich nur bei ihr sein,
so wäre mein Kummer versenkt.
Ja, sie scheint mir so fein zu sein,
mein Leiden würde gelindert.

 
De rekel han de winde
 
Die Köter haben die edlen Hunde
 
1.
De rekel han de winde
vorvochten also swinde,
daß men se achtet nicht.
Ich alle tage vinde,
daß knospen ingesinde
gar hertlich vorewicht.
Die zarten minnen kinde
han sich zu en geplicht.

2.
Ich muß mit en heben an,
sal ich nicht dar achter stan.
zwar ich wil mete sin,
Ab mirs Humbolt nicht engan,
daß ich schimpeleren kan
ouch mit den metzelin.
Einer glufen mich nu bran:
hui wil ich ein töchterlin.

3.
Was wolt ich vele braschen?
se kan wol schüssil waschen,
de mir git frischen mut.
Hett ich was in der taschen,
daß ich nicht drofte naschen,
so möchtes werden gud.
Sie pletzit in der aschen,
de mirs nu alles tut.

 
1.
Die Köter haben die edlen Hunde
so unverschämt verdrängt,
daß man sie nicht mehr achtet.
Ich sehe alle Tage,
wie sich dies grobe Volk
aufdringlich breitmacht.
Die hübschen Mädchen, die zum Lieben da sind,
haben sich ihnen zugewandt.

2.
Ich muß es machen wie sie,
wenn ich nicht hinanstehen soll.
Ich will ja doch dabei sein,
auch wenn der Humbolt mir nicht gönnt,
daß auch ich mit den Metzlein
zu scherzen verstehe.
Das Blinzeln der einen hat mich entflammt.
Hui, was ich für ein Mädchen will!

3.
Was sollte ich viel Aufhebens machen?
Die mich ganz munter macht,
die kann die Schüsseln waschen.
Hätt ich nur etwas im Beutel,
daß ich nicht schnorren müßte,
dann würde die Sache schon gut.
Sie stochert in der Asche,
die mir's so angetan hat.

 
Ich grüße dich, trut frouwelin
 
Ich grüße dich, liebstes Fräulein
 
1.
»Ich grüße dich, trut frouwelin.«
>das weiß ich wol: ein su, ein swin,
di sit van eim geslechte.<
»Du tust mim herzen große pin.«
>sal ich da um ein messerlin
mir koifen ane hechte?<
»Van dir min herz ist wundet ser.«
>ja, wan es geschoßin wer?<

2.
»Mich schoßin had dir minnen stral.«
>sich, sit ir da von also val?
des hatt ich ni gemerket.<
»Frow, du bist mins lebins sal.«
>bin ich dan van holzis mal,
ab stein zu houfe werket?<
»Van dinem blik min herze brint.«
>Vür leschit wassir edir wind.<

3.
»Ach liebiste frouwe gnade mir!«
>God gnade git, der gnade dir:
God müße dich beraden!<
»Ich muß die wochen halden vir.«
>bis Montag, so kum aber hir,
so wil ich vonen ftraden.<
»Zwar frou, du wilt nicht trösten mich?«
>dir ist geseit: got tröste dich.<

 
1.
»Ich grüße dich, liebstes Fräulein.«
>Eins weiß ich sicher: Eine Sau und ein Schwein,
gehören zur selben Familie.<
»Du tust mir großes Herzeleid an.«
>Soll ich mir etwa deshalb
ein Messerchen ohne Griff besorgen?<
»Von dir ist mein Herz tief verwundet.«
>Wirklich so, als war es angeschossen?<

2.
»Dein Liebespfeil hat mich getroffen.«
>Sieh an, seid Ihr deshalb so bleich?
Das hatte ich noch gar nicht bemerkt.<
»Gnädigste, du bist das Schloß für mein Leben.«
>Bin ich etwa aus Holz gemacht,
aus Steinen aufgerichtet?<
»Von deinem Anblick ist mein Herz entflammt.«
>Feuer wird durch Wasser oder Wind gelöscht.<

3.
»Ach, liebste Dame, schenk mir Gnade!«
>Gnade gibt Gott, der mag dir gnädig sein.
Dir kann nur Gott helfen.<
»Ich werde ihn die Woche über fastend anflehn.«
>Tu's bis zum Montag, und dann komm wieder,
dann will ich von der Straße verschwinden.<
»Ach, Gnädigste, willst du mich gar nicht trösten?«
>Wie schon gesagt: Gott tröste dich.<

 
Quelle:
© Deutscher Klassiker Verlag/2006/Deutsche Lyrik des späten Mittelalters/Herausgegeben von ©Burghart Wachinger

 
Frouwe dich frouwlichir frucht
 
Erfreue dich der Frucht aller Fraulichkeit
 
Frouwe dich frouwlichir frucht,
myn sußir sam getzirt in tzucht,
in kunst, in gunst, in eren ho.
du bist eyn gral der wumne io,
eyn paradys in froyden vro,
eyn fiol fin, eyn rosengart,
eyn ametist mit scham bewart,
eyn lustlich ouw getziret rich.
nergen vint men din gelich,
allir sorge eyn abestich.
Sold ich leben ewichlich,
zu dir sprech ich nymer: wich!
ich ruchte auch nicht der nyder krich.

 
Erfreue dich der Frucht aller Fraulichkeit,
mein herrliches Samenkorn, geziert mit Anstand,
mit Können, mit Wohlwollen, mit hohem Ansehen.
Du bist wahrhaft ein Gral des Glückes,
ein Paradies herrlicher Freuden,
ein zartes Veilchen, ein Rosengarten,
ein mit Sorgfalt bewahrter Amethyst,
eine lustvolle und reich geschmückte Aue!
Nirgendwo findet man deinesgleichen,
du Ende aller Sorgen.
Sollte ich ewig leben,
zu dir sagte ich niemals: »Geh!«
Mich kümmerten auch nicht die Anfeindungen der Mißgünstigen.

 
Quelle:
Die Minneregel von Eberhardus Cersne aus Minden 1404/Herausgegeben von Franz Xaver Wöber/Wien 1861