Fabelverzeichnis
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August Friedrich Ernst Langbein

Geb. 06.09.1757 in Radeberg bei Dresden
Gest. 02.01.1835 in Berlin.

Er studierte von 1777-1781 Jura in Leipzig.
1820 erhielt er das Amt eines Zensors für schöne Literatur. In dieser Funktion strich er seine eigenen Erzählungen aus den Katalogen der Leihbüchereien.
Langbein war ein seiner Zeit vielgelesener deutscher Dichter und Romanschriftsteller.

Quelle:
E. Langbein's sämtliche Gedichte/Stuttgard 1843/Scheible, Rieger & Sattler

 
Fabeln
 
Die Wachtel und ihre Kinder
Das Veilchen und die Tulpen
Lilith
Die neue Eva
Die Mißheirat
Die Hunde
Das Pferd und der Stier
Der Hahn und die Rosse
Der Tageszeiten Rangstreit
Der Fuchs
Der Adler und die Schnecke
Die Gans
Der Hahn und der Kapaun
Der Kranzräuber
Der Igel und der Dachs
Die Lehre der Mutter
Der Krebs und die Schlange
Besenstolz
Jost und sein Diener

Domitian und der Witzling
Die Katze in der Speisekammer

Die Wachtel und ihre Kinder

Hoch wallte das goldene Weizenfeld
Und baute der Wachtel ein Wohngezelt.
Sie flog einst früh in Geschäften aus
Und kam erst am Abend wieder nach Haus.
Da rief der Kindlein zitternde Schar:
"Ach Mutter, wir schweben in großer Gefahr!
Der Herr dieses Feldes, der furchtbare Mann,
Ging heut' mit dem Sohn hier vorbei und begann:
'Der Weizen ist reif, die Mahd muß geschehn,
Geh, bitte die Nachbarn, ihn morgen zu mähn.'
"Oh," sagte die Wachtel, "dann ist es noch Zeit!
Nicht flugs sind die Nachbarn zu Diensten bereit."

Drauf flog sie des folgenden Tages aus
Und kam erst am Abend wieder nach Haus.
Da rief der Kindlein zitternde Schar:
"Ach Mutter, wir schweben in neuer Gefahr!
Der Herr dieses Feldes, der furchtbare Mann,
Ging heut' mit dem Sohn hier vorbei und begann:
'Uns ließen die treulosen Nachbarn im Stich!
Geh rings nun zu unsern Verwandten und sprich:
Wollt ihr meinen Vater recht wohlgemut sehn,
So helfet ihm morgen sein Weizenfeld mähn!'
"Oh," sagte die Wachtel, "dann ist es noch Zeit!
Nicht flugs ist die Sippschaft zur Hilfe bereit."

Drauf flog sie des folgenden Tages aus
Und kam erst am Abend wieder nach Haus.
Da rief der Kindlein zitternde Schar:
"Ach Mutter, wir schweben in höchster Gefahr!
Der Herr dieses Feldes, der furchtbare Mann,
Ging heut' mit dem Sohn hier vorbei und begann:
'Uns ließen auch unsre Verwandten im Stich;
Ich rechne nun einzig auf dich und mich.
Wir wollen, wenn morgen die Hähne krähn,
Selbander uns rüsten, den Weizen zu mähn.'
"Ja," sagte die Wachtel, "nun ist's an der Zeit!
Macht schnell euch, ihr Kinder, zum Abzug bereit.
Wer Nachbarn und Vettern die Arbeit vertraut,
Dem wird nur ein Schloß in die Luft gebaut;
Doch unter dem Streben der eignen Hand
Erblüht ihm des Werkes vollendeter Stand."

Die Wachtel entfloh mit den Kleinen geschwind,
Und über die Stoppeln ging tags drauf der Wind.


Das Veilchen und die Tulpen

Die Tulpen neckten hin und her
Ein stilles, nachbarliches Veilchen.
Der Gärtner, der von ungefähr
Dazu kam, lauschte hier ein Weilchen,
Und nahm sich, als ein braver Mann,
Des unterdrückten Blümchens an:
"Ihr stolzen Spötterinnen, schweiget!
Mein gutes Veilchen, das sich hier
Bescheiden bis zur Erde neiget,
Verdient mehr Lieb' und Lob, als ihr!
Ich find' es früh im Lenz, und labe
Mich jung an seinem Duft, ist's euch
Schon nicht an Wuchs und Farbe gleich.
An euren Prachtgestalten habe
Ich längst mich übersatt geseh'n,
Und innern Wert – wo habt ihr den?"

Lilith
jüdische Fabel

Urvater Adams erste Frau
Schuf Gott, wie ihn, aus Erde;
Doch Lilith war ein stolzer Pfau,
Und sprach mit Hohngebärde:
"Dir soll ich untertänig sein?
Das bilde dir doch ja nicht ein!
Geh' mir mit Hoheitspossen,
Denn wir sind Staubgenossen!"

So warf sie Spott ihm in den Bart,
Er mochte bitten, schmeicheln,
Und ihr auch noch so sanft und zart
Die roten Bäckchen streicheln,
Sie lebt im steten Wortgefecht,
Und, als einst Zung' und Mund noch recht
Sich recht ausgetummelt hatten,
Entfloh sie ihrem Gatten.

Da zürnte Gott: "So rase hin!
Du magst mit Geisterschwärmen,
Hinfort bei Nacht, als Unholdin,
Im öden Luftraum lärmen!"
Nun reitet sie zum Walpurgstanz
Von Jahr zu Jahr, mit Krall' und Schwanz
Und flammenroten Schnabel,
Auf einer Ofengabel.

Nach ihrer Flucht ward's still, wie wann
Sich Ungewitter legen.
Jetzt konnte der geplagte Mann
Der Ruhe wieder pflegen.
Sanft schlief er unter einem Baum,
Und Evas Bild sah er im Traum,
Mit Engelreiz, ins Leben
Aus seiner Seite schweben.

Die Frau, dem Haupt nicht hoch und frei,
Nicht tief dem Fuß entsprungen,
Beherrsche nicht den Mann, und sei
Zur Sklavin nicht bezwungen!
Sie stammet nahe bei der Brust
Des Gatten her, daß sie in Lust
Und Leiden dieser Erde
Sein zweites Herz ihm werde.


Die neue Eva

"Lieber Gott, man muß sich plagen,
Wie ein Lasttier auf der Welt,
Klötze sägen, Stöcke hacken,
Daß der Schweiß zur Erde fällt!
Wir und alle frommen Christen
Lebten hoch im Paradies,
Wenn sich Eva nicht gelüsten
Den verbot'nen Apfel ließ.

Lieb' ich, wie die Weiber alle,
Wohl auch Obst und Näscherein,
Würd' ich doch im gleichen Falle
Nicht so schwach, wie Eva, sein."
Liese sprach, voll Mißbehagen,
Dies zu Walter, ihrem Mann;
Doch ein Reicher hört sie klagen,
Und er redet schnell sie an:

"Mutter, prüft euch, ehe ihr zanket!
Ach, verblendet, hättet ihr
Wohl den Irrpfad selbst erwählet!
Mutter, das befürcht' ich schier!
Glaubt ihr, solch ein Abenteuer
Ritterlicher zu bestehn,
So werft Säg' und Axt ins Feuer,
Und dann kommt, wir wollen sehn!"

Sie versprach, sich gut zu halten,
Und so froh, wie Fisch' im Bach,
Trippelten die beiden Alten
Nun dem reichen Manne nach.
Dieser gab das schönste Zimmer
Seines Hauses ihnen ein.
"Leutchen seht, hier soll euch nimmer
Evens Fehltritt merklich sein.

Täglich sollt ihr aufgetragen
Sieben Schüsseln vor euch sehn.
Sechs genießet mit Behagen,
Aber laßt die Letzte stehn!
Man wird sie verdeckt euch bringen;
Zähmt und fesselt Hand und Blick!
Denn euch flieht auf schnellen Schwingen,
Wenn ihr sie berührt das Glück!"

In dem neuen Paradiese
War den Leuten trefflich wohl,
Doch am achten Tag sprach Liese:
"Fast wird' ich vor Neugier toll!
Väterchen, gewaltig jucken
Mir die Finger, das Gericht
Unterm Deckel zu begucken;
Väterchen, heh! meinst du nicht?"

"Hast du, schalt' er, schon vergessen,
Daß du all dein Glück verlierst,
Wenn du, Törin, dieses Essen
Mit dem Finger nur berührst?
Willst du dich den wieder plagen,
Wie ein Lasttier, auf der Welt,
Klötze sägen, Stöcke hacken,
Daß dein Schweiß zur Erde fällt?"

Aber seine gute Lehre
Fand der Gattin Ohren taub;
Denn sie war schon der Megäre
Neugier, rettungsloser Raub.
Neugier spielte hier die Schlange;
Liese hob die Deck' empor,
Und ein Mäuschen, das schon lange
Darauf harrte, sprang hervor.

Welch Geschrei, welch Händeringen!
Doch dies konnte nicht zurück
Das entflohne Tierchen bringen,
Und das mit entflohne Glück.
Bald bekam der Hausherr Kunde
Von der Flucht der Prüfungsmaus,
Und er trieb in dieser Stunde
Seine Gäste spottend aus.

Ach! sie schlichen jetzt voll Reue,
Durch des Paradieses Tor,
Und mit Tränen nun aufs Neue
Holz zu spalten, wie zuvor.
Walter rieb sich hinter den Ohren,
Und schalt Liesen ins Gesicht:
"Tadeln können zwar die Toren,
Aber klüger handeln nicht!"


Die Mißheirat

Der Löwe lag in Jägernetzen,
Und war zu stolz, in Freiheit sich zu setzen.
Aus Untertanenpflicht sprang eine Maus herbei,
Und nagte seine Strick' entzwei.
Da sprach gerührt des Waldes König:
"Erbitte, treuer Knecht, dir einen Gnadenlohn!"
Das gute Mäuslein sann ein wenig,
Und bat sodann: "Geruhet, meinen Sohn,
Der jetzt drauf denkt, ein Weib zu wählen,
Mit eurer Tochter zu vermählen!"

Starr sah der Tiere Großsultan
Die kecke Maus ein Weilchen an;
Doch mild erwidert' er: "Du rettetest mein Leben,
Und sollst mich nicht als undankbar verschrein;
Drum will ich dir mein Jawort geben,
Und morgen mag die Hochzeit sein!"

Die königliche Braut erschien mit Festgepränge
Jetzt an des Mäuseprinzen Tür.
Mühselig bohrte durchs Gedränge
Der Bräutigam sich hin zu ihr.
Doch nicht bemerkend den, der ihr, mit holden Zeichen
Der Liebe, Herz und Pfötchen bot.
Tat rasch sie einen Schritt, und trat den Kleinen tot.

Wer freien will, der wähle Seinesgleichen!

Die Hunde

Windhunde, Möpse, und Pudel stritten
Um eine Hündin sich herum,
Und ärgerten durch ihre frechen Sitten
Das ganze keusche Publikum.
Ein Bürger zog die Stirn in Falten:
"Wo mag der Hundevogt nun sein!"
Und warf, um selbst dies Ämtchen zu verwalten,
In das Getümmel einen Stein.
Da schrie ein Mops, und setzte schnöde
Den Schleuderer des Donnerkeils zur Rede:
"Was zieltest du allein nach mir?"
Die Antwort klang: "Dich keckes Tier,
Wollt' ich gerade nicht verwunden;
Ich sah dich nicht, bei meiner Treu!
Und kanonierte blind nach ungezognen Hunden:
Warum befandest du dich dabei?"

* * * *

Oft schelten, wie der Hund, Matz, Velten oder Steffen
Wann ihren Kopf des Dichters Pfeile treffen,
Die er ins Land der Narren schießt.
Kann er dafür, daß du, Matz, Velten oder Steffen;
Ein Insasse dieses Landes bist?

Das Pferd und der Stier

Des Ritters Don Quixotes berühmte Rosinante
War kaum so dürr und matt, als das bejahrte Tier,
Das, neben einen starken Stier,
Vor seinen Pflug ein Bauer spannte.
Dem Gaule floß der Schweiß vom Bug;
Denn ihn allein ließ für den schweren Zug
Der feiste Hörnerträger sorgen.
Er schlenderte bequem einher
Mit schlaffem Strang, als dächt' er ungefähr:
Kommst du nicht heut, so kommst du morgen!

Darob seufzte das geplagte Ross:
"O wär' ich doch des Lebens Bürde los!
Mein Mitarbeiter macht's mir sauer:
Vom Morgen an bis Sonnenuntergang
Zieht er am Pfluge keinen Strang,
Und doch schlägt mich, nicht ihn, der Bauer.
Am Abend ist ein Bündel magres Heu
Der ganze Trost für mein Gerippe;
Dagegen strotzt von Kräutern, die der Mai
Nun erst gebar, des Nachbarn Krippe.
So trägt das Faultier stets den Lohn
Für meinen sauren Schweiß davon."

* * * *

Vielleicht, du gutes Tier, wird deinen Gram es lindern,
Wenn du erfährst, daß oft, in mancher Fürstenstadt,
Dein Schicksal der Geschäftsmann hat.
Sein Zeisigfutter nährt ihn kaum mit Weib und Kindern,
Und Eselslast erdrückt beinah den armen Mann:
Doch sein mit hohem Sold begnadeter Kollege,
Der auch, dem Rang nach, oben an,
Wie dein Herr Ochse, geht, sinnt bloß auf Leibespflege,
Flieht Arbeit, wie die helle Pest,
Und kutschet nur von Fest zu Fest.


Der Hahn und die Rosse

In einem Stall, wo Spanier und Briten
Weißhafer speisten, kam ein kecker Hahn geschritten.
"Prosit ihr Herren, wollt ihr nicht Gäste bitten?
Manch Körnchen fällt herab, mir würd' es gütlich tun
Nur fürcht' ich mich vor euern Eisenschuh'n.
Gar fein und lieblich wäre es, wir täten
Einander nichts, und lebten brüderlich.
Verschont mit euren Hufen mich;
Hier mein Wort, ich will euch auch nicht treten!"

"Armsel'ger Hühnerfürst! schnob jetzt ein stolzer Hengst:
Wer bist du, daß du dich mit Freundschaft zu uns drängst?
Sei unser Feind! Das macht uns keine Sorgen.
Wenn dir's beliebt, tritt uns von heut bis morgen!"

* * * *

Ehe du mein lieber Mittelmann,
Der Großen Freundschaft suchst, denk' an den armen Hahn!


Der Tageszeiten Rangstreit

Die Herren Brüder, Morgen, Mittag, Abend,
Und Schwester Nacht, entzweiten sich einst hart.
"Ich bin allein der Erde süß und labend!"
So riefen alle in Venus Gegenwart.

"Still, Kinder, sprach die Göttin: Laßt euch raten!
Geschwistern steht das Zanken übel an.
Erzählt mir friedlich eure Heldentaten
Für Menschenglück, und ich entscheide dann."

Da trat hervor der Älteste der Brüder:
"Was Schwester Nacht verdirbt, das mach' ich gut.
Sie raubt der Welt ihr Licht! Ich bring' es wieder.
Sagt, wer von euch ihr mehr zu Liebe tut?"

"Ich, mit Erlaubnis, lieber Bruder Morgen!"
Erwiderte der stolze Mittag drauf:
"Den Erdensohn weckst du zum Kampf mit Sorgen,
Und bürdest ihm der Arbeit Lasten auf.

Doch ich bereite Millionen Tische,
Besetze sie mit einem Leckermahl,
Und fülle, daß der Mensch sein Herz erfrische,
Mit Feuerwein den blinkenden Pokal."

"Ha!" fiel der Abend ein; Der Saft der Traube
Behagt dem Völkchen unten erst als dann,
Wenn, nach der Arbeit, ihn in kühler Laube
Ein froher Kranz von Freunden schlürfen kann."

"Wein hin und her, und her und hin!" versetzte
Die schwarze Dame Nacht; "Mit eurem Wein!
Wenn ich die Sterblichen nicht süßer letzte,
So würde mir sehr bang' um Beifall sein.

Horcht, mir gebührt der Siegeszweig! Ich trage
Zum Bräutigam ins Bett die junge Braut,
Und mache Mädchen, die bei hellem Tage
Sehr spröde tun, mit Jünglingen vertraut."

"Du siegst!" So klang der Ausspruch der Cytheren.
Und wer von uns, ihr Freunde, widerspricht?
Die frohen Tage könnten wir entbehren,
Doch — unter uns! — die frohen Nächte nicht.


Der Fuchs

Durch einen Wald in Polen lief
Ein alter Fuchs behend und rief:
"Flieht, Freunde, flieht, sonst müßt ihr sterben!"
Ein junger Rehbock hielt im Lauf
Den Emigranten fragend auf:
"Was träumst du, Feiger, vom Verderben?
Heut kann man ohne Sorgen sein;
Kein Hund, kein Jäger tobt im Hain."

"Du Milchbart, willst mich wohl belehren?"
Sprach Meister Reinecke voll Zorn;
"Wir werden bald des Jägers Horn
Und das Gebell der Hunde hören;
Denn, wie ein sichrer Freund mir sagt,
Gibt's eine Wolfs- und Bärenjagd."

Das Rehböcklein fing an zu lachen:
"Ist's wirklich ob der neuen Mär
Dein Fuß so leicht, dein Herz so schwer?
Wie kann sie Eindruck auf dich machen?
Du bist ja weder Wolf noch Bär!"

"Das weiß ich besser noch, als Er!"
Fuhr Reineck auf: "Doch bei den Horden
Der Jagd gilt oft Gewalt für Recht.
Sie wollen zwar das Raubgeschlecht
Der Wölfe und Bären heut nur morden;
Allein ich traue dennoch nicht.
Ein schlimmer, mir abholder Wicht
Darf seine Stimme nur erheben
Und rufen: Hussa! ein Wolf, ein Bär!
Rasch kommen Hunde kreuz und quer
Und bringen wütend mich um's Leben.
Ihr Blutdurst pflegt nicht, sich vorher
Mit Untersuchung abzugeben,
Ob man ein Wolf sei oder Bär?"

* * * *

Verfuhr in Frankreich einst so nicht
Das Revolutionsgericht?


Der Adler und die Schnecke

Adler:

Wie find' ich dich, du träges Tier,
Auf diesem Eichenwipfel hier?
Wie kamst du her? — So rede doch!

Schnecke:
Je nun, ich kroch.

Sein hohes Ehrenamt gewann
Nicht anders mancher Schneckenmann.

Die Gans

Beim Jupiter beklagte sich
Die Gans, daß sie verachtet werde,
"Hm!" sagte Zeus, "die Leutchen auf der Erde
Sind unerkenntlich gegen dich!
Du bettest sie für eine Hand voll Futter
Auf zarten, weichen Flaum, und bist
Des Schlafs getreue Pflegemutter,
Der vieler Menschen Abgott ist.
Was sollst du denn noch tun, um Achtung zu erzielen?
Wohlan, daß jeder Freund des Schlafes dir auf's neu
Und zwiefach dankverbunden sei,
So leg' ich Allem, was aus deines Fittichs Kielen
Hervorgeht in die Welt, wenn Stümper damit spielen,
Die Wirkung eines Schlaftrunks bei;
Und ich will gnädiglich der Stümper Hände segnen:
Es soll dergleichen Mohnsaft regnen."

Die dumme Gans mit ihrem Klaggeschrei!
Sie konnte kaum ein größer Unheil stiften:
Ihr danken wir die Sündflut schlechter Schriften.


Der Hahn und der Kapaun

Ein Haushahn ging mit Frau und Kindern
Still und gemütlich seinen Pfad.
Um hämisch seine Lust zu mindern,
Rief ein gefiederter Kastrat:
"Ei, wie du stolz bist auf die Deinen!
Dich macht die Vaterliebe blind;
Denn unter allen diesen Kleinen
Seh' ich kein einzig schönes Kind.
Es sind gemeine Dorfnaturen,
Erbärmlich ungelenk und platt,
Kurz, sehr alltägliche Figuren,
An welchen Niemand Freude hat."

"Hm!" sprach der Hahn: "Du schwacher Sünder,
Wie hoch du deine Saiten spannst;
Bekrittle doch nicht meine Kinder,
Da du selbst keins erzeugen kannst!"

Ein Fabelchen für manchen Dichter
Und seine matten Splitterrichter.


Der Kranzräuber

Zu Markte fuhr die Stadt entlang
Ein Bauer jüngst mit laubbekränzten Rossen;
Und schleichend ihren Schneckengang,
Gefiel's dem einen Gaul, daß er dem Stallgenossen
Den Kranz entriß und ihn verschlang.

So pflegen's jetzt, dacht' ich mit Lachen,
Die deutschen Dichter sich zu machen.


Der Igel und der Dachs

Von seiner Lagerstatt vertrieben,
Durchzog ein Igel Feld und Wald
Nach einem neuen Aufenthalt,
Doch nirgends zeigte man Belieben,
Die Pflicht der Gastfreundschaft zu üben.
Er kam zuletzt an eines Dachses Bau,
Und bat, ihn drinnen aufzunehmen.
"Ich hoffe, Nachbar," sprach er schlau,
"Du wirst das Volk umher beschämen,
Das mir, dem eine wilde Jagd
Sein Kämmerlein bis in den Grund zerstörte,
Hartherzig Dach und Fach versagt.
Ein Felsensinn, der mich empörte!
Braucht' ich etwa viel Raum, dann wär's ein andrer Fall;
Allein sieh her, ich rolle mich bescheiden,
Daß ich kaum größer bin, als eines Kindes Ball,
Und so kannst du mich wohl in einem Winkel leiden,"

Er zog jetzt seine Stacheln ein,
Und kugelte sich möglichst klein.
Der Dachs, ein guter Tropf, sah diesem Gaukelspiele
Mit weiten Augen zu, und sagte: "Komm herein!
Ich habe zwar kein großes Haus, wie Viele,
Jedoch auch nicht ihr Herz von Stein."

Der Fremdling war zwei volle Stunden
Ein stiller angenehmer Gast.
Er lag, als wär' er festgebunden,
Und fiel dem Wirte nicht zur Last.
Doch nun begann der tote Knäuel zu leben;
Er streckte sich und seine Stacheln aus,
Verließ den Platz, den man ihm eingegeben,
Und streifte frech durchs ganze Haus.
Das mußte wohl den braven Dachs verdrießen;
Er liebte, wie bekannt, ein Schläfchen ungemein,
Und konnte dessen nicht genießen;
Drum bat er sanft, kein Störenfried zu sein.
Beleidigt aber drang mit seinen scharfen Spießen
Der böse Schalk gewaltig auf ihn ein,
Verfolgte rasch von Schritt zu Schritte
Den unbeholfenen Patron,
Trieb ihn verwundet aus der Hütte,
Und nahm allein Besitz davon.

"O, welche schändliche Belohnung
Des guten Werks, das ich getan!"
Sprach zu sich selbst der Dachs, und sah die werte Wohnung
Schwermütig mit dem Rücken an.

"Was fehlt dir, Freund? Hast du nicht ausgeschlafen?"
Fragt' ihn ein Fuchs, als beide sich
Bald drauf im freien Felde trafen.
Der Dachs erzählte weinerlich,
Wie es dem tückischen Gesellen
Gelungen war, ihn um sein Haus zu prellen.
"Der Schurke!" rief der Fuchs: "Er war zuvor bei mir,
Und flehte kriechend um Quartier;
Ich aber schloß vor ihm bedächtig meinen Zwinger,
Denn er ist mir als Heuchler schon bekannt.
Mich warnte vor dem Unheilsbringer
Ein Sprichwort, das ich oft auf Menschenzungen fand.
Es lautet, wenn ich's recht verstand:

"Gibt man den Schelmen einen Finger,
So nehmen sie die ganze Hand."


Die Lehre der Mutter

Ein junges Mäuslein ging auf Reisen,
Kam bald zurück ins Mutterhaus,
Und sprach: "Du mußt mich unterweisen:
Denn mein Verstand reicht noch nicht aus.
Ich sehe mancherlei Gestalten
Vor meinem Blick vorüberziehn,
Und weiß mich dann nicht zu verhalten:
Soll ich mich nahen oder fliehn?
So hatt' ich heut' in einer Scheuer,
Worein ich still geschlichen war,
Ein wunderbares Abenteuer
Voll Schreck und grausender Gefahr.
Ein Ungetüm von rauen Sitten,
Und feuerrot ums Haupt vor Zorn,
Kam frech und stolz herein geschritten,
An beiden Füßen einen Sporn.
Es rauschte furchtbar mit den Schwingen,
Und öffnete den Hals dabei,
Als wollt' es mich im Nu verschlingen,
Doch tat's nur einen lauten Schrei.
Dagegen sah ich in der Ferne
Ein Wesen, ganz der Anmut Bild.
Die Augen funkelten wie Sterne,
Und waren dennoch fromm und mild.

Sanft, wie auf Rosen, kam's gegangen,
Und leckte sich fein säuberlich
Das Bärtchen und die weißen Wangen
Die es mit zarten Pfötchen strich.
Voll Lieb' und Lust, die mich durchglühten,
Hätt' ich's um Freundschaft gern ersucht;
Allein des Flügelschlägers Wüten
Erschreckte mich zu schneller Flucht."

"Das dank' ihm ewig!" sprach die Mutter.
"Denn dich bezauberte, mein Kind,
Die schlaue Katze, deren Futter
Wir armen Mäuse täglich sind.
Doch stört, trotz seiner Flügelschläge,
Der Hahn nie unsre Sicherheit.
Geh nur den Schleichern aus dem Wege;
Die Polterer tun dir kein Leid."


Der Krebs und die Schlange

Von einem Flusse zu dem andern
Begann ein alter Krebs zu wandern.
"Ich weiß den Weg, ich führe dich dahin!"
Rief eine Schlange, seine Nachbarin,
Und wand sich, gleich des Baches krausen Wellen
In stetem Zickzack vor ihm her.
"Beliebe," sprach er sanft, "dies Schweifen einzustellen;
Es macht die Reise lang und schwer."
Darob erboste sich die giftige Megäre,
Und schoß nach ihm mit zornigem Geschreis
Er aber setzte sich zur Wehre,
Und schnitt mit seiner großen Schere
Den Lebensfaden ihr entzwei.
Drauf ging er fest und so gerade weiter,
Wie aus dem Fabelchen die Lehre sich ergibt:

Man folge keinem Bärenhäuter,
Der krumme Schlangenwege liebt.


Besenstolz

Als von der Birke struppigem Haar
Der erste Besen gebunden war,
Wollt' er aus Hochmut das Haus nicht kehren,
Und forderte frech, man sollt' ihn verehren.
"Wie käm' ich," sprach er, "zum Dienst als Knecht?
Ich zähle mich zu der Blumen Geschlecht;
Und das zu erweisen bedarf's nicht viel:
Ich habe so gut als sie einen Stiel."
Darüber lachte das ganze Haus,
Und sagt: "Der Stiel macht's noch nicht aus!
Willst du den Rang der Blumen erstreiten,
So mußt du süßen Geruch verbreiten."

Das paßt auf jeden verdienstlosen Stolz,
Der Ansprüche macht, wie jenes Holz.


Jost und sein Diener

"Faulenzer!" rief der Knicker Jost,
"Trag diesen Brief schnell auf die Post!"
"Ach!" sprach der Diener, "ich bin krank,
Und kann nicht aufstehen von der Bank!" -
"Hm!" sagte Jost, "was ist zu tun?
So geh' ich selbst — mit Deinen Schuh'n."


Domitian und der Witzling

Domitian, der kaiserliche Held,
Baut' im Palast sein Lorbeernfeld:
Er lebte Tag für Tag in Kriegen
Mit seines Zimmers frechen Fliegen.

Indem er einst nach ihnen hieb und stach
Und über manchen Fehlstreich grollte,
Erschien in seinem Vorgemach
Ein Fremder, der ihn sprechen wollte.
Er fragte, ob der Kaiser frei
Von anderer Gesellschaft sei.

"Du triffst bei ihm nicht eine Fliege!" —
Versetzt' ein Höfling lachend drauf.
Schnell stieß Domitian, durch Züge
Der Wut entstellt, die Tür des Zimmers auf,
Fuhr seinen Diener an: "Du sprachst dich um dein Leben!"
Und ließ ihn stracks dem Henker übergeben.

* * * *

Des großen Friedrichs großes Herz,
Wie oft vergab es kühnen Scherz!
Wenn aber auf dem Thron Domitiane walten,
Muß man die Zung' im Zaume halten.

Die Katze in der Speisekammer

Frau Magdalis, ein leckres Weibchen,
Und unvorsichtig obendrein,
Briet sich zum Abendbrot ein Täubchen,
Setzt' es in einen offnen Schrein,
Und schloß beim unverwahrten Schatze
Die heimlich nachgeschlichne Katze
Im Raum der Speisekammer ein.

Die Faslerin kam erst nach Stunden
Von nachbarlichen Plauderkunden
Mit gutem Appetit zurück.
Sie pflegte nicht den Mund zu schonen,
Und wollt' ihm nun sein Tagwerk lohnen;
Doch dies verbot ein Mißgeschick.
Sie fand ihn nicht, den Lieblingsbraten,
Und rief mit starrem Kummerblick:
"O weh! wo ist er hingeraten?
Gebratne Tauben flogen ja
Bis jetzt nur in Utopia!"

Nicht scheu, gleich ungeladnen Gästen,
Nein, mit ganz unerschrocknem Sinn,
Saß unterm Schrein die Näscherin,
Umgeben von des Schmauses Resten,
Und schaute ruhig vor sich hin.
"Ha, Diebin! treibst du hier dein Wesen?
Du sollst mir büßen für den Schmaus!"
Rief Magdalis, nahm einen Besen,
Und holte grimmig damit aus.

"Halt!" sprach die Katze sehr entschlossen:
"Wie komm' ich denn zu Schimpf und Schlag?
Ich leugne nicht, ich hab's genossen
Das Täubchen, das so frei hier lag.
Dabei geduldet, mußt' ich glauben,
Es sei bestimmt für meinen Zahn.
Man stellt doch bei gebratnen Tauben
Die Katze nicht zum Wächter an!" —

* * * *

Sorglose Mütter schöner Töchter,
Seid künftig strenger auf der Hut!
Denn mancher Hausfreund ist ein Wächter,
Der wie die Katze denkt und tut.