Der Schmetterling und die Schnecke
"Elende!" — sagte ein glänzender Schmetterling zu einer
Schnecke: — "Wie kannst du es
wagen, mir unter die Augen zu kommen!"
"Stolzer Wicht!" — antwortete die Schnecke: — "Vor einer
Stunde warst du noch ein
unförmlicher Klumpen. — Ich habe mein Haus, ich lebe in
meinem Eigentum, ich bin mit
wenigem zufrieden. — Du hast weder Heimat noch Obdach, du
lebst durch die Gnade der
Blumen, um ihnen zu — schaden."
+ + +
Elende Parvenüs! die ihr verächtlich auf den fleißigen
Bürger, auf den arbeitsamen
Landmann herabseht; — die Fabel ist für euch!
Der Ameisenhaufen
Zwei Knaben entdeckten einen Ameisenhaufen. Die kleine
Republik war voller Leben und
Industrie: was half, das? Die Knaben holten einen Spaten;
und in wenig Minuten war
alles zerstört.
+ + +
So vernichtet ein einziger unnützer Krieg die Industrie und
den Wohlstand der Nationen
auf Jahrhunderte. Und oft sind es Knaben, die ihn anfangen!
Die Baumwurzel und der Gipfel
"Wie groß, wie herrlich ich mich in die Luft erhebe;" —
sagte der Gipfel triumphierend zur
Wurzel: — "indes du verächtlich im Staube dahinkriechst!" —
— "Und wenn ich dich nicht hielte, was wärest Du?" —
antwortete sie.
+ + +
Fürsten! Vergesset es nie! Euer Ansehen, eure Gewalt ist auf
die Nation gegründet.
Der Wolf und die Schafe
"O Vater der Götter!" —riefen die Schafe: — "Errette uns von
dem grausamen Wolfe!
Es ist ein Tyrann, der uns alle verzehrt."
"Euch alle?" — erwiderte Jupiter: — "Seid ihr nicht
tausend gegen Einen?
Warum zerstreut ihr euch? Ich habe ihn nicht zu eurem
Tyrannen, und euch nicht zu
seinen Sklaven geschaffen! Seht ihr selbst zu!"
+ + +
Les tyrans ne sont forts que de votre foiblesse.
Der Wolf war nur durch ihre Schwäche stark!
Der Tiger und der
Leopard
Der Tiger und der Leopard hatten sich den Krieg erklärt. Der
erste fiel in das Gebiet des
letzten ein; der Leopard floh.
"So sollt ihr mirs bezahlen!" — schrie der Löwe: und
erwürgte alles, was er von Tieren im
feindlichen Gebiete fand.
"Ach!" — seufzte ein sterbender Fuchs: — "So geht es! Wir
Unglücklichen müssen es
büßen. Unser Fürst war an allem Schuld; aber er ist
in Sicherheit."
+ + +
Exempla sunt odiosa!
Arme Provinzen am Rhein!
Die Bienen und die
Hummel
Ein Pächter hielt sich Bienenstöcke. Es war sein Vergnügen,
den fleißigen Insekten
zuzusehen. Indem flog eine Hummel hinzu, und er schlug nach
ihr. "Nichtswürdiger!" —
schrie sie: — "Ich bin besser als diese kleinen Insekten;
ich werde mich rächen!" —
Sie wollte ihn stechen; aber er zerquetschte sie.
+ + +
"Seht den Adel!" — sagte er: — "Er will auf Unkosten der
Nation leben, er will sich von
ihrem Schweiße mästen, und verachtet alles um sich her!" —
Der Löwe und der Bär
Der Löwe hatte den Bär zu seinem Vertrauten gemacht, aber
die Bedrückungen
desselben empörten das ganze Reich.
Der Bär, der das wußte, unterhielt den Löwen unaufhörlich
von Verschwörungen,
welche die Unzufriednen gegen sein heiliges Leben anspännen!
Er fand alle Tage neuere
und stärkere Beweise, daß die undankbare Nation ihren König
hasse; kurz, er sprach von
nichts als Jakobinern und Revolutionen, und stellte die
Nation als einen Haufen
Septembrisierer vor.
Was war natürlicher, als daß das Mißtrauen des Löwen gegen
die Nation eben so
zunahm, als sein Zutrauen gegen, den Bär, der sein einziger
Freund schien. Auch hatte
der hinterlistige Vertraute mehr Gewalt als je, und seine
Bedrückungen übertrafen sich
selbst, denn der Löwe war unzugänglich.
Aber endlich brach der Bogen. Die Tiere stürmten in hellem
Haufen in die Burg des
Löwen. — "Liefere uns den Bär aus!" — schrien sie: — "Wir
hassen nur ihn!"
+ + +
Wie viele Betrachtungen liegen noch in dieser Fabelhülle!
Wie viele Märchen von
vergifteten Pfeilen, die die Pitt's auf die Bahn bringen!
Der Adler und der Falke
Der Adler hatte mit dem Falken lange in Feindschaft gelebt,
und ihm fast immer seine
Beute abgejagt. Endlich wurde dieser des beständigen Kampfes
müde, und trug auf einen
Vergleich an. Man kam überein, daß der Falke ungehindert
rauben könne, wenn er den
Adler als Lehnsherrn anerkennen, und einen Teil seiner Beute
an ihn abtreten wolle.
+ + +
Subalterne Tyrannen! Ihr teilt mit dem Unterdrücker, um
nicht selbst unterdrückt zu werden?
Die Ameise
Eine Ameise war von ihren Mitbürgerinnen zur Schatzmeisterin
ernannt worden.
Das erste Jahr war um, die Rechnung mußte abgelegt werden;
sie konnte nicht anders,
sie brachte einige Papiere.
Der Aufwand war ungeheuer gewesen; die Ausgaben hatten fast
den ganzen
Nationalschatz verzehrt. — Einige patriotische Ameisen
eiferten heftig darüber. —
"Ihr habt dem Schein nach nach Recht;" — antwortete die
Schatzmeisterin: — "aber es
sind Staatsgeheimnisse! Ich kann schwören, es ist alles zum
Nutzen des Staates
verwendet worden!"
Man ließ sich das gefallen, und die Rechnung wurde
gebilligt.
Das zweite Jahr, eben so viel Ausgaben; eben so unbestimmte
Rechnungen; dieselben
Beschwerden, und dieselbe Ausrede. Im dritten Jahre, ein
ungeheures Defizit:
die Ausgabe überstieg die Einnahme. Die Ameisen verloren die
Geduld.
Eine von ihnen, die weit gereist war, und sich lange im
Hause eines Finanzministers
aufgehalten hatte, trug auf eine Untersuchung an. Man
erbrach die Zelle der
Schatzmeisterin, und fand sie voll gestohlenen
Nationalgutes.
+ + +
Vergleiche die Finanzgeschichte von Frankreich und England!
Der Wolf und der Fuchs
Ein Wolf und ein Fuchs beschlossen gemeinschaftliche Sache
zu machen. Einer stand dem
andern bei, und die Jagd ging vortrefflich vonstatten.
Allein, bald wurden beide die Sache
überdrüssig. Der Wolf war unzufrieden, der Fuchs war
mißvergnügt: einer glaubte den
andern entbehren zu können; jeder wollte sich den andern vom
Halse schaffen.
"Ich will ihn den Hunden überliefern!" — sagte der Fuchs. —
"Ich will ihn in das Eisen
bringen!" — sagte der Wolf. — Und in der Tat, sie nahmen
ihre Maßregeln so gut,
daß beide zu gleicher Zeit umkamen.
+ + +
Geschichte der Faktionen! Allianzen!
Der Fuchs und der Tiger
Der Tiger war auf Reisen gegangen, und hatte den Fuchs
mitgenommen. Sie kamen in
eine schöne fruchtbare Gegend, die mit reichen Herden
bedeckt war. — "Wie viel Fleiß!
Wie viel Mühe!"— sagte der Fuchs: — "Wie viele Jahre mögen
vergangen sein, ehe das so
geworden ist!" — "Und doch!" —, erwiderte der Tiger: — "Mich
kostet's einen Augenblick,
und alles soll verwandelt sein."
Er sprach's, stürzte in die Herden, und verbreitete Tod und
Blutvergießen. Die Bauern
eilten herzu, er verfolgte sie, die Felder wurden zertreten,
die Gärten verwüstet; bis es
ihm endlich gefiel, sich triumphierend zurückzuziehen.
+ + +
So verwandelt ein Tyrann, oder ein unkluger Fürst, durch
unnütze Kriege das schönste
Land in eine Wüste.
Die Bienenkönigin
"Lege Rechnung ab!" — sagten die Bienen zu ihrer Königin: —
"Was hast du mit unserm
Reichtum angefangen? Wie sind die Schätze, die wir
sammelten, angewendet worden?
Was hast du zum Besten des Ganzen getan?" —
"Aufrührer!" — antwortete die Königin: — "Was geht euch mein
Eigentum an? Was habt
ihr nach der Verwaltung meines Vermögens zu fragen?"
"Dein Eigentum? Dein Vermögen?" — erwiderten die Bienen:—
"Du vergißt,
Unverschämte, daß du nichts als unsere Dienerin bist."
+ + +
Was sind die Fürsten anders, als die Faktoren, die Diener
der Nation? Das Land ist nicht
ihr Eigentum; sie sind die Verwalter desselben: die Nation
ist kein totes Kapital, mit der
man nach Belieben schalte; sie ist der Besitzer, und der
Fürst der Agent.
Der Papagei und
die Nachtigall
"Elendes, armseliges Ding!" — rief ein bunter Papagei einer
Nachtigall zu, und brüstete
sich stolz auf seinem goldnen Ringe. — "Verachte mich, wie
du willst;" — antwortete
Philomele: — "du bist doch nichts als ein hirnloser
Papagei!" —
+ + +
Papageien mit Stern und Orden! das stille Verdienst weiß wer
ihr seid! —
Der Habicht und die
Taube
Der Habicht war krank geworden. — "Es ist die Strafe meiner
Sünden!" — sprach er: —
"Von nun an sei Friede zwischen mir und allen Vögeln!" —
Kaum hatte er es gesagt,
so flatterte eine Taube bei ihm vorbei. — "Nur diese noch!"
— sprach er, und erwürgte sie.
+ + +
Der ewige Friede!
Der Löwe und der Tiger
Der Löwe und der Tiger erklärten sich den Krieg; aber beide
fürchteten sich voreinander.
Sie fanden Mittel sich durch den Dritten zu vergleichen. Man
beschloß, sich die nächste
Herde Schafe zu teilen; und der Friede war gemacht.
+ + +
Leset die Geschichte der Friedensschlüsse, und gewisser
Teilungen!
Der Knabe und die
Schwalbe
Ein Knabe hatte eine Schwalbe gefangen; er befestigte sie an
einem Faden, und ging
davon. Die Schwalbe machte unendliche Bewegungen sich zu
befreien: endlich riß der
Faden in der Mitte; doch behielt sie ein Stück davon am
Fuße.
Triumphierend flog sie nun auf einen Baum. Aber die
Unglückliche! Der Faden blieb an
einem Aste hängen; und sie mußte verhungern.
|