Fab. 35
Der belohnte Wolf
Um Zeus und deiner Großmut willen stehe mir bedrängten nur
in dieser Stunde bei,
rief ein heftig verfolgtes Reh dem in der Ferne
einhertrabenden Wolfe zu.
Umsonst, dachte bei sich der Wolf, werde ich dir wohl den
Dienst nicht tun, du sollst mir
ihn teuer genug bezahlen. Es sei also, antwortete er, meine
Großmut hat noch keins
vergebens angesprochen.
Er mengte sich in den Streit; zwo flüchtige Windspiele
erhaschten das Reh und legten es
zu Boden, der Wolf war um seinen Braten und um den
verhofften Dank.
Die Hunde machtens ihm nur um ein weniges besser, ein Aug
hing aus dem Kopf,
das Ohr war zerrissen und der ganze Balg jämmerlich
zerfetzt, die Jäger hatten
immittelst seine Grube zerstört, und seine liebste Wölfin
war den Bauern zur Beute
worden. Gedrückt von Wunden und Unglück kam er zum Zeus, von
ihm den Lohn seiner
Großmut zu holen.
Mordlust und Lügen, antwortete Zeus dem Prahler, ist man von
dir gewohnt, wie ich aber sehe
und höre, bist du bereits davor belohnt genug, daß du dich
aus Eigennutz in fremde Händel gemengt hast.
Fab. 36
Die Bau- und Paradepferde
Zwo prächtige Grauschimmel waren drei Jahre die
Stangenpferde an dem
Leibwagen des Fürsten. Der eine wurde haarschlächtig,
ausgemustert und in das
Baugespann getan, wo er weniger Futter und desto mehr
Schläge bekam.
Eines Tages begegneten sich beide, und der Karrengaul
keuchte unter seiner Last.
Wie geht dir's, Hungerleider? sprach der Hofgaul. Wie's uns
geht? War die Antwort,
wie meines Herrn Junkern und Knechten und just so, wie es
dir auch einmal gehen wird,
so bald man den ersten Mangel an dir gewahr wird.
Fab. 37
Die Mäßigung des Wolfs
"Sie sehen doch mein Herr, daß ich nicht so gefräßig bin,
als mich meine Feinde
insgeheim ausgeben," sprach ein an der Holzkette
fortgeschleifter Wolf zum Jäger,
dem er einige übriggelassene dürre Knochen wies. "Du sollst
auch," antwortete ihm jener,
"nicht um der Knochen willen, sondern nur für das Fleisch
büßen, das du davon gefressen hast."
Fab. 38
Die Logik der Wölfe
Der beständigen Verfolgungen müde, beschlossen die Schafe,
eine Deputation an die
Wölfe zu schicken, um die wahre Ursache des ewigen Hasses zu
erforschen und,
womöglich, einen erträglichen Vergleich zu stiften. Ein
ehrbarer Hammel und eine trächtige
Schafmutter taten, als Abgeordnete, den Vortrag, beriefen
sich auf ihr gleiches Schöpfungsrecht,
auf ihre Unschuld und daß sie mit allen andern Tieren in
Friede und Eintracht lebten.
Mich zur Rede zu stellen, sprach der Waldtyrann, ist das
größte eurer Verbrechen,
ihr mißbraucht, sehe ich wohl, meine Geduld und Großmut,
euer Tod, hier fiel er über sie
her, sei die Strafe eurer Vermessenheit.
Fab. 39
Der Wolf als
Schiedsmann
"So soll dann der Wolf unser Schiedsmann sein" sprach ein
heimtückischer Ziegenbock zu
Mutter Lisen, als er über die Tugenden der Schafmilch nicht
einig mit ihr werden konnte.
Meister Isegrim, der schon an der Hürde gelauert, erschien
früher, als beide geglaubt
und erbot sich noch unersucht, zum Mittelsmann.
"Mein Herr", sagte bebend das Schaf, "ich wüßte nicht, ob
wir sie mit einer solchen
Kleinigkeit wegen bemühen sollten und, mit Dero Gunsten, ob
sie darin ganz
unparteiisch sein würden."
"Ich, nicht unparteiisch" erwiderte der Wolf und damit saß
er dem Schaf schon im Nacken.
Fab. 40
Die Klagen der Schafe
1.
Zur Zeit der frommen Schäfer brachten eines Tages alle Tiere
ihre Klagen vor den Jupiter
und die Schafe erschienen auch. '' Wir möchten uns", sprach
das älteste Schaf,
"an unserm Recht was vergeben, wann wir nicht auch klagen,
da es andere tun."
Die ganze Beschwerde bestand darin: daß einige Schäfer
anfingen, ihnen die Wolle von
unten herauf abzuscheren, da sie sonst von oben herunter
geschoren worden.
Jupiter lachte ihrer Einfalt und befahl den Schäfern: Es
fürderhin beim Alten zu lassen.
2.
Tausend Jahre hernach war wieder ein allgemeiner
Gerichtstag, die Schafe blieben nicht
außen, aber ach! wie hatten sich die Zeiten geändert.
Meister Hammel brachte im Namen seiner Herde vor: Ihre
Schäfer ließen ihnen nicht Zeit
zum Wachstum der Wolle, sondern schere sie des Jahrs
sechsmal, er nehme ihnen aus
Wucher und Milchgeiz die Junge weg, wenn sie kaum etliche
Tage alt seien, er halte mehr
Hunde, als nötig, nur um sie zu ängstigen und zu hetzen, er
verlange größeren Pferch,
als sie das ganze Jahr Futter bekämen und wüte mit Schelten,
Drohen und Schlagen
unter ihnen, gleich als wenn sie von ihm und nicht vielmehr
er von ihrer Milch, Käse,
Wolle und Fleisch leben müsse.
Jupiter wollte eben den von Scham und Zorn erstarrten
Schäfer mit einem Donnerkeil vernichten,
als Pluto sich ihn ausbat, die Seelen der Verdammten durch
ihn peinigen zu lassen.
Fab. 41
Leben und Taten
eines Wolfs
Ein Wolfskasten war mit allen Arten der Diebereien und
Mordtaten des Lämmerfeindes
übermalt und mit der Aufschrift versehen: "Leben und Taten
eines Wolfes." Ein alter
Tierräuber, den die Gabel des Jägers in diesen Käfig
drückte, sprach bei dessen Anblick:
"Die Menschen, sehe ich, lassen doch meinem Mut
Gerechtigkeit widerfahren; ein Wolf,
es bleibt dabei, ist auch noch im Unglück groß."
Fab. 42
Der Dank des
Schäfers Thraso
1.
Myrtill, der frömmste Schäfer seiner Zeit, starb und nach
ihm Galathee, die seinen Tod
nicht überleben mochte. Die Schäfer teilten sich ihre Herde
und Melamp erbot sich zum
Dienst des Schäfers, der das größte Teil erhandelt halte.
Noch lebte zwar, sprach Thraso, mein Phylax, ich sehe aber,
du bist jung, stark, behend,
ich möchte dich wohl mit der Zeit gebrauchen können, siehe,
ich gebe dir halbe Kost,
Phylax ist oft nicht hungrig, da ist sein Brot vor dich, die
Schafe lassen auch zuweilen was
fallen, bist du treu und wachsam, so hast du an mir den
besten Herrn, so wahr ich Thraso bin.
Melamp war jung, rüstig, und im ersten Wachstum. Die
Tageskost war beim Frühstück
schon verzehrt, Phylax war noch bei guten Kräften und sein
Brot reichte mit Mühe,
einen durch die Gewohnheit mehrere Jahre eingeschrumpften
Magen zu sättigen,
die Schafe lachten den Melamp aus, daß er mit ihnen essen
wollte, da sie sich selbst ihre
Nahrung suchen müßten. Ach! seufzte Melamp oft in sich
selbst, lebte noch Myrtill
und Galathee! selbst Phylax sollte mich beneiden.
Phylax durchwachte die meisten Nächte und aus Sorge, dem
Thraso entbehrlich zu
werden, ließ er den Melamp nie zum Gefecht mit den Wölfen
kommen. Dieser tröstete
sich mit seinem Schlaf und daß ihm vielleicht bald ein
glücklicher Biß das ganze
Hundbrot des Phylax verschaffen würde.
2.
Wie gedacht, so geschehen! An einem frühen Morgen erschallt
ein starker Schrei,
der Schäfer eilt aus seinem Pferch und findet den armen
Phylax in Stücken zerrissen.
Melamp ist nun Hüter der ganzen Herde, an Schlaf ist nicht
mehr zu denken,
Thraso rühmt nach Phylax Tode, er habe den treuesten Hund im
ganzen Reich der
Schäfer verloren und ermahnt Melampen, seine Wachsamkeit und
Treue zu verdoppeln.
Vom Brot wird nichts erwähnt, und Melamp, dem Wort des
Schäfers trauend, denkt:
das versteht sich ja wohl von selbst.
Einige Wochen gehen unter Hunger und Wachen hin, bis Melamp
seinen Herrn um das
Brot des Phylax anzusprechen wagt. Mich deucht, spricht
Thraso, ich sehe dort von
weiten den Wolf kommen, eile, Melamp; dies war die Sprache
eines halben Jahrs,
bald kam der Wolf, bald hatte sich ein Schaf verlaufen, vom
Brot kams nie zur Rede.
Melamp hatte immer mehr zu hüten, immer stärkeren Hunger und
immer weniger zu essen.
Einst geht der Schäfer spazieren und hielt der Herde ihr
Frühlingslied. Melamp geht
neben ihm und seufzt um Brot. Thraso stellt ihm die schwere
Zeitenten vor und läßt ihn
hoffen, wenn keine Wölfe mehr wären, woran bloß seine
Trägheit schuld sei, möchte er
ihm wohl einmal ein mehreres geben. Melamp widerspricht, ein
scharfer Schlag, der erste
in seinem Leben, heißt ihn aber schweigen. Ach Myrtill! ach
Galathee!
3.
Von Wachen und Hunger ermüdet, verschläft Melamp in einer
trüben Nacht den
Wolf, der zwo der fettesten Schafe erwürgt. Melamp erwacht
über ihrem Geschrei,
eilt dem Wolf nach, die Schafe waren aber hin und Melamp
wird von dem Wolf
heftig verwundet. Habe ichs nicht immer, spricht der vor
Zorn wütende Schäfer,
habe ichs nimmer gesagt, verdammtes Tier, daß deine Trägheit
mich noch um alle
Schafe bringen werde. Den Brotkorb werde ich dir höher
hängen, die guten Tage,
sehe ich wohl, kannst du nicht vertragen. Melamp zeigt seine
Wunden, Thraso schlägt
ihm noch etliche dazu, vom Brot war hier keine Zeit zu
reden.
4.
Thraso wird von Thirsis und seiner Schäferin besucht, sie
erkennen, den Melamp: Ist das
nicht Melamp, den Myrtill und Galathee erzogen haben, sie
bieten dem Schäfer sechs
der schönsten Lämmer, um ihnen den Melamp zu überlassen,
Thraso verweigert ihre
Bitte und gerührt von dem Beifall des klügsten Schäfers
entschließt er sich endlich,
dem Melamp das ganze Brot des Phylax zu geben, nicht sowohl
aus Dank vor die schon
geleistete Dienste, als aus Furcht, Melamp, so des Thirsis
Rede mit angehöret, möchte
einmal heimlich zu ihm übergehen.
Zum Unglück war Melamps Magen in 5. sauren Dienstjahren
schon so eingeschnürt,
daß er die Zulage, die ihm in seiner Jugend trefflich
geschmeckt haben würde,
nicht mehr genießen konnte.
5.
Thirsis stirbt auch und Thraso kauft seine Herde dazu. Ich
gebe, sprach er bei sich,
Melampen doppeltes Brot, er mag mir dafür wohl auch eine
doppelte Herde hüten.
Melamp darf an keine Ruhe mehr denken, er bestreicht die
ganze Nacht das Feld,
allein es war zu groß, wenn er oben hütete, so wurde unten
ein Schaf zerrissen.
Da erfolgten nichts als Scheltworte und Schläge. Thraso
hätte ihm gerne sein Brot ganz
entzogen, wenn er sich nicht fürchtete, Melamp würde aus
Hunger sterben und er keinen
so genügsamen und geduldigen Hund wieder bekommen.
Melamp bat, noch einen jungen Hund anzunehmen, dem er sein
halbes Brot überlassen
und ihn abrichten wollte, um sich nur von beständigem Wachen
etwas zu erholen und
zum Dienst der Herde sich zu erhalten. Allein Thraso hatte
dazu keine Ohren, das halbe
Brot, das Melamp nicht genießen konnte, behielt er ohnehin
zurück, er drohte ihm auch,
ihn gar fortzujagen, und kein Schäfer würde ihn abgenutzten
und verbissenen Hund
wieder annehmen, er solle ihm vielmehr Dank wissen, daß er
mit seinen zunehmenden
Schwachheiten noch so viele Geduld habe.
6.
Endlich ward Melamp von Wunden, Schlägen, Hunger und Wachen
unfähig, der Herde
mehr vorzustehen. Er stellte Thraso seine Schwächlichkeit
und seine treu geleisteten
Dienste lebhaft vor, und bat ihn, seine noch übrigen wenigen
Tage ihn das Brot
genießen zu lassen. Thraso schien davon überzeugt: Es ist
billig, sprach er, dich alten
treuen Diener zu bedenken, ich kenne einen mitleidigen Mann,
der vielen deinesgleichen
schon beigestanden hat und heute noch will ich so für dich
sorgen, daß du mir's nie genug
wirst verdanken können. Thraso macht sich auf den Weg und
heißt Melampen mit sich
gehen. Er sammelt seine letzten Kräfte, um dem wohltätigen
Herrn nachzukriechen.
Er führt ihn, wohin? nach * * zum Schinder!
Fab. 43
Die Treue des Tigers
Dem Löwen ging der Hauptmann seiner Leibwacht, der alle
Tiere bei ihm melden mußte,
mit Tod ab und die Wahl des Königs fiel auf den Tiger.
Stärke hat er, sprach der Löwe,
und untreu habe ich ihn auch nie erfunden.
Es währte aber nicht lange, so blieb der Löwe ohne allen
Besuch und Aufwartung;
die kleinen Tiere wurden beim Anmelden vom Tiger zerrissen
und den großen mit
Grobheit und Härte begegnet. Ein Storch verriet es endlich
dem Löwen, als er an dem
Rand eines Bachs einsam spazieren ging. Stärke, sagte er,
hat dein Hauptmann und an
Treue gebrichts ihm nicht, er macht aber deinen Namen
verhaßt bei allen Tieren, denn es
fehlt ihm Sanftmut, Geduld und Güte.
Der Löwe gab ihm recht und ernannte anstatt des Tigers den
demütigen Elephanten.
Fab. 44
Der Tod des Hylax
Ihr wißt, sprach der Wolf zu einer Herde Schafe, daß ich aus
angestammter Großmut
dem Betragen eures Hylax bisher immerzu nachgesehen habe, in
der beständigen
Hoffnung, daß er endlich einmal in sich gehen und, daß er es
mit einem Wolf zu tun
habe, beherzigen werde. Nachdem ich aber gegen besseres
Verhoffen wahrgenommen,
daß er seinen mit dem Namen der Treue beschönigten Übermut
sich so weit verleiten
ließ, gegen meine hochteure Wolfsperson, wie mir vom Fuchs
glaubhaft berichtet
worden, Anschläge zu schmieden, so habe ich mich endlich,
und hier faßte er ihn bei der
Gurgel, zu eurer alles besten genötigt gesehen, ein eurer
Gesellschaft unwürdiges
Mitglied aus dem Weg zu räumen.
Die Schafe stampften als Zeichen ihres Schreckens einmal zur
Erde und Mutter Lise
wollte eben zum Hirten laufen, um die anderen Hunde
loszulassen. Ein alter Ziegenbock
fing aber an: Wenn ich euch zu Rat sein soll, ihr Kinder, so
besinnt euch vorher wohl,
was ihr tut, Hylax seliger, ich muß es selbst bekennen, hat
uns manche wichtigen Dienste
getan, aber hin ist hin, mit dem Wolf wißt ihr wohl, läßt
sich's nicht scherzen und bis der
Hirte erwacht, wäret ihr miteinander gefressen, der Hylax
hat auch, unter uns gesagt,
einmal stärker geblufft, als wir's ihn just geheißen haben.
Das habe ich, sprach ein feister Hammel, allzeit gesagt, man
muß den Wölfen ihr Recht
lassen, alles was recht ist, sagte meine Mutter Else, aber
Hylax wollte es immer besser
wissen. Die anderen Hammel stimmten mit ein. Der Wolf erhob
zum zweiten Mal seine
Stimme: Alles was recht ist! und zerriß die furchtsame und
undankbare Herde.
Fab. 45
Die Gnade der Könige
Ein verunglückter Hofmann ging an dem heitersten Sommertage
traurig und gedankenvoll am Rand
eines melancholischen Baches spazieren und stieß auf einen
Wanderer, der nebst der Last,
worunter sich sein Nacken beugte, noch einen großen
Regenmantel aufgepackt hatte.
Seid ihr dann aber, sprach der Höfling, nicht ein Tor, zur
Stunde, da euch die Hitze sticht,
euer Bündel noch mit diesem Mantel zu beschweren.
Mein Herr, erwiderte der Landsmann, bei Sonnenschein mache
ich mich stets aus den Regen
gefaßt, mein Mantel hält mich trocken und gelassen erwarte
ich alsdann wieder die Sonnenblicke.
Kaum hatte er ausgeredet, so zog sich eine Gewitterwolke
zusammen, die mit einem
heftigen Platzregen herabstürzte. Der flüchtig bekleidete
und eiligst entfliehende
Hofmann wurde bis auf die Haut durchnäßt, mittlerweile der
Wanderer mit
umgeschlagenem Mantel sachte und trocken hinter ihm
hertrabte.
Ach, sagte Alcest, da er naß von Regen und Schweiß nach
Hause kam, wann ich doch nie
den Mantel nach Hofe mitzunehmen vergessen hätte!
Fab. 46
Die arabische Freiheit
In der Wüste Arabiens herrschten vor tausend Jahren Löwen,
Tiger und Leoparden und
andere Tiere lebten neben ihnen ohne Zahl.
Ein prächtiger Elephant von Coromandel verließ seine Küste
und schlug seine Hütte unter
ihnen auf, er war bescheiden, dienstfertig, friedsam, und
nährte sich von Palmblättern,
Reis und anderem, was die übrigen Tiere nicht genießen
konnten.
Der Löwe aber, eifersüchtig des großen Gastes, versammelte
eines Tages die Tiger und
Leoparden. Der Fremde, sprach er, den ihr Palmenrinden und
Reis fressen seht, ist ein
Betrüger, umsonst trägt er nicht den schrecklichen Rüssel
und die ungeheuren Zähne,
nur so lange wird er den Stillen im Lande machen, bis er uns
sicher gemacht, ihm zu
widerstehen, ist gefährlich, nur in einem steht unsere
Rettung, daß wir die Tiere selbst
würgen, die sich, geblendet durch sein Ansehen, auf seine
Seite schlagen würden.
Die Tiger und Pardel stimmten bei und eines anderen Tages
ward alles Volk der Tiere verschieden.
Wir wissen, fing der Löwe räuspernd an, daß der langmaulige
Fremde, der in unserer
Gegend eingeschlichen, der größte Feind ist, der je im Reich
der Tiere entstanden,
ja wenn ich dem Fuchs und der Schlange glauben solle, ist es
eben der, der schon vor
6000 Jahren unter den Menschen so große Verwüstungen
angerichtet hat. Die Jungen
zeugt er aus seinem Rüssel, zehntausend stecken in seinen
Ohren und seine Zähne,
ach Tiere bedenkt es, welche Zähne! sind geschliffen, uns zu
verderben. Es gilt unser
Land, unser Leben, ja, was noch höher ist, unsre Freiheit.
Freiheit! es lebe die Freiheit!
Mit diesem Signal fielen die Löwen, Tiger und Pardel unter
das Heer der Tiere und unter
dem Geschrei: Es lebe die Freiheit! würgten sie, daß das
Blut vom Nil bis ins Eismeer floß.
Von dieser Zeit an heißt das Würgen der Löwen und Tiger im
Reich der Tiere die
Arabische Freiheit bis auf den heutigen Tage.
Fab. 47
Das beneidete Halsband
In brüderlicher Eintracht lebten Bijou und Charmant am Hof
König Cervantes, ihr Wille
war nur ein Wille, sie aßen von einem Teller, sie tranken
aus einem Napf, sie schliefen
an seinem Füßen, nie war unter ihnen Streit noch Mißgunst.
Wenn sich doch, sprach
öfters Cervantes, meine Höflinge nur so gut, als Bijou und
Charmant vertrügen, gewiß
würde jeder dennoch genug haben.
Was kein Leckerbissen je erregt, den Neid, die Plage des
Menschen, das vermochte ein
unglückseliges Halsband womit Bijou von der Gemahlin des
Königs beschenkt wurde.
Heiß ich darum Charmant, sprach Bruder Mopel, um dich
ungezogen, dich ungestalten,
mir vorgezogen zu sehen, noch habe ich mit deinen Gebrechen
Geduld gehabt,
dein Halsband macht mir's aber zur Ehrensache, zu zeigen,
wie wenig du es verdienst.
Kein Unglück geschah am Hofe, kein Gebiß entstand in der
Stadt, woran Bijou nicht
Anteil haben sollte, sah man Flecken in den Zimmern, Risse
in den Tapeten, Knochen auf
den Stühlen, er mußte es getan haben, was Mopel aus Tücke
selbst verdorben hatte;
nur von außen und im Angesicht des Königs lebten sie noch in
unverrückter Eintracht.
Charmant verfiel endlich in ein zehrendes Fieber, und
Sultan, der nie was auf dem
Herzen behalten konnte, entdeckte dem König die Quelle
dieses nagenden Kummers.
So soll er dann, sagte Cervantes, der beide Hunde liebte, so
soll er dann der arme
Charmant von mir auch ein Bändgen haben.
Stolz wie ein Sieger warf Mopelgen seine Schnauze, als er im
neuen Staat vor
Bruder Harlequin erschien; doch das Übel war nur ärger
geworden. Wenn dann Mopels,
sprach Bijou, Halsbänder bekommen, in Wahrheit so muß sich
unsereins schämen,
dergleichen zu tragen, ich muß mir's gefallen lassen, doch
nimmermehr hätte ich unserm
Herrn so wenig Beurteilung zugetraut. Schon entstanden
Fraktionen und Parteien,
in welche die Stadt- und Landhunde von beiden Seiten mit
hineingezogen wurden.
Sultan ward abermals Mittelsmann: Hört Kinder, sagte er zu
beiden, bedenkt, daß der
König wohl euch, ihr aber nicht ihn entbehren könnt, euer
Fell ist noch kein Verdienst
und euer Halsband ist null Gnade, ihr beneidet euch um den
Schatten, erfährt der König
euren Undank und Streiche, so lauft ihr Gefahr, das, woran
euch am meisten gelegen ist,
euer Brot selbst zu verlieren.
Fab. 48
Die Hoffarbe
So schaffe mir dann Farben, sprach Cores, der König der
Frivoliten, an denen man
mich erkenne, mich und mein Hofgesinde: unsere Gedanken,
Neigungen und Begierden.
Wirst du mir solche ersinnen, so soll meine Gnade gegen dich
ohne Ende sein.
Nach langem Forschen brachte Melissus sie Einteilung. Deine
Farbe, o König sprach er,
sei rot, denn dein Herz ist uns eine aufgehende Sonne. Weiß
geht die Königin,
zum Zeichen der Liebe und Tugend; rosenrot ihre Kinder, denn
sie blühen uns zur
Wonne. Gelb sollen gehen deine Lieblinge, denn sie bringen
dich ums Geld; grün deine
Hofleute, denn grün ist die Hoffnung und immer hoffen sie
nach mehrerem; blau sei für
deine Minister, denn blau ist beständig und bisher haben sie
es noch immer beim alten
gelassen; hellgrau kleide deine Kammerräte, dann stets
schweben sie zwischen Licht und
Dunkel, zwischen Haben und Fehlen; braun die Ohrenbläser und
Schmeichler,
denn braun ist ihr Herz und der Galgen. Schwarz will ich
gehen, ich trauere für euch alle.
So gehe du dann, wäre nur Eine Stimme, ewig schwarz, du
schwermütiger Träumer,
nie wirst du uns aber bereden, deine Farben zu tragen.
Tausend Jahre kleidete sich jeder, wie er wollte, doch
endlich treffen große Geister
zusammen; was Cores und Melissus nicht konnten, vermochten
Heliodor und Narcissus,
der würdigste seiner Favoriten. Man fand in den Jahrbüchern
der Monarchie den Anschlag
Cores des Ersten und frivolitischer Begeisterung, voll
beklagte Narcissus die Dummheit
der älteren Zeiten. Ein einfärbiger Hofmann! rief er aus, o
Blindheit! o Aberglauben!
Anders zu denken, als man spricht, besser zu scheinen, als
man ist, reicher zu leben,
als man's hat, wäre das älteste Vorrecht unsers Standes die
Farbe (o Gedanke! würdig
eines Narcissus) nur die Farbe fehlt uns noch.
Alle Genies dieses großen Reichs wurden aufgeboten, doch nur
dir, Narcissus, dir, unsterblicher
Flattergeist, war die Ehre der großen Erfindung aufgehoben.
Rot sei die Pracht, sprach er, grün die Hoffnung, blau die
Beständigkeit, rosenfarb die
Liebe, gelb das Gold, perlenfarb dir Tugend, weiß die
Unschuld, grün die Dummheit,
das Vorurteil mag sein Recht haben; wohlan! ich mische Euch.
Sieht dich der König an,
Jüngling von Lilla, so sei rot, betrachte ich dich, so sei
grau, du bist vornehm und dumm;
die Königin sieht dich, weiß Juno, ich erblicke die Röte, du
bist eine Coquette; ich mische
euch Farben ins unendliche, ich nenne euch Changeant, seid,
was die seid, so euch
tragen; seid stets, was ihr nicht scheinet, und scheinet
stets, das, was ihr nicht seid.
Fab. 49
Der Vorsatz am Hofe
Ein Schloß, faul vom Dach bis auf die innersten Balken,
drohte den Bewohnern täglich
den nahen Untergang; mürbe Mauern hielten nur noch die
sinkenden Wände zusammen.
"So muß man denn," sprach König Wadeli, "das ganze Nest
zusammenreißen."
Eine junge lauschende Maus verkündigte zitternd ihrer Mutter
diese fürchterliche
Botschaft ihrer Zerstörung. Eben hielt sie, die Alte, bei
einem Stück Edamer Käse das
fette Mittagsmahl, schmunzelnd erwiderte sie der
unerfahrenen Tochter: "Eben dies hat
mir meine Großmutter schon erzählt, schon fing man zu ihrer
Zeit an, das Dach
abzuheben, und alle waren wir zum Abzug bereit, als der Narr
des Fürsten ihm den Rat
gab, das Haus frisch zu bestreichen, so würde man die innern
Gebrechen nicht sehen.
Man folgte ihm, und wir blieben ruhig in unsern Löchern.
Glaube mir, die Menschen, die über uns wohnen, haben weder
den Verstand noch den
Willen, es jemals anders zu machen."
Fab. 50
Der Stachel der Biene
Die Tiere brachten ihre Klagen vor den Jupiter und unter
denselben erschien auch die
Biene. Sie beschwerte sich über den Undank der Menschen, die
sie ihres Honigs
beraubten, und über die Spöttereien der Tiere, die ihren
Fleiß verlachten.
Jupiter gab der Abgesandten den Bescheid: Ich habe dir
Fähigkeit und Lust zur Arbeit
gegeben, du bist eins der edelsten meiner Geschöpfe, die
Tiere, so deinen Fleiß belachen,
tun es aus Neid, weil sie es dir nicht gleich zu tun
vermögen, die Menschen erheben dein
Lob und besingen deine Gaben, ihr Beifall sei dein Lohn,
Dank ist bei ihnen nicht zu
suchen, zum Überfluß lege ich dir hiermit einen Stachel bei,
diejenigen zu züchtigen,
so dich in deinem Fleiß stören und deine Unschuld beleidigen
wollen.
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