Sonntägliches
"Gehn wir ab den offnen Wegen!"
warnete ein junges Reh.
Und das Alte sagt dagegen:
"Heut wär's sicher auch im Klee;
hör' das Läuten ringsum — komm;
Sonntags tun auch Hunde fromm."
Bußtägliches
Wie Raben habt ihr ja gestohlen!"
so schimpfen offen sich die Dohlen.
Das hat die Raben gar verdrossen;
sie sagen: "Bringt uns nicht in Schande,
wir sind ja mit euch Kirchgenossen,
und kommen auch im Trau'rgewande
zusammen, um aus vollen Kehlen
zu kräh'n Empfindungen der Seelen,
und kehren nach den Büßungsleiden
zu des Gewerbs versöhnten Freuden."
Jubeljährliches
Mäus in unzählbaren Scharen
pilgern zu gewissen Jahren,
wie es heißt, sich abzubaden
an den fernen Meergestaden.
Und die Eulen und die Andern
sehen nur so gern sie wandern.
Schusterkritik
Die Amsel preist mit Schweigen
Den Nachtigallenreigen;
Da quaken aus dem Weiher
Im Chor die Überschreier.
Sie fragt die Wasserleute,
Was solches denn bedeute?
Da sagt eins von den Tieren:
"Wir sind am kritisieren!"
Schuster-Zunftmaß
Zum Räupchen sagt der hohe Baum,
der reichbelaubt in Früchten stand:
"Was suchst du denn in meinem Raum,
hinschleichend auf der Blätter Rand?"
Es sagt: "Ich habe dich gemessen,
und fand, daß du dich oft vergessen:
grad sollten deine Äste sein,
die Blätter all von gleicher Länge,
die Äpfel eingestellt in Reihn:
das würd' vollenden dein Gepränge!"
Der Baum erwidert dem Gesellen:
"Ich bin nicht schön nach Wurmesellen!"
Kennermienen
Affen, denen, zu erfreuen,
selber noch kein Ton gelang,
kritisieren und verschreien
jeden noch so schönen Sang.
"Wir sind, sagen sie, nicht Dichter,
aber kunstgelehrte Richter;
uns gelingen breit und lang
alle kritischen Gesichter."
Spiegels Unschuld
In einem Brunnen spiegelhell
erkennt der Aff — sein Fratzenbild.
"Gewiß, du Pfütze, schimpft er wild,
bist einzig mir zum Spotte da!"
So schimpft nicht minder sein Gesell,
und keiner kommt dem Quell mehr nah.
Selbsterklärung
Vom Himmel quoll in reinem Strahl
der Strom des Lebens in das Tal,
des Himmels Glanz und Herrlichkeiten
durch alle Lande zu verbreiten.
Doch wilde Bäch' und trübe Quellen
als Wegeweiser sich gesellen,
anratend jeder seine Art:
der schleichend und der rasch die Fahrt,
der braun, der schwarz den Rock zur Reise;
und jeder dringt mit seiner Weise,
ein Strom sich wähnend, in die Gleise.
Der Strom darob ward immer trüber,
und stockte sumpfig, schwoll dann über;
es spiegelte sein Todesgrau
nicht Erdengrün, nicht Himmelblau.
Doch wie er weiter hingeflossen,
tut wunderbare Kraft er kund:
was unrein sich ihm angeschlossen,
was nicht vom Himmel sich ergossen,
versinkt von selbst zum tiefen Grund.
Stets himmelvoller nun er wallt,
und seiner Ruhe Allgewalt
verklärt der trübsten Flüsse Wut
zu stiller, heller Segensflut.
Die Sanften
Des Morgennebels Wölklein sprach
zu dem im Sturz ergrimmten Bach:
"Du bist ja nicht derselbe mehr!
dort oben gingst du so gemach
und still durchs Blumenfeld einher.
Du solltest deine Kraft bezwingen,
so nicht in Zorn dich lassen bringen!"
Doch als am Abend blitzschwer
der Nebel kehrte wieder her,
und über die erlittne Glut
laut donnernd aussprach seine Wut;
da sagt der Bach: "Ei, ei, wie mild
begrüßest du dein Lenzgefild!
Sieh nun, daß auch ein sanft Gemüt
durch Unbill tief in Zorn erglüht."
Strenge Barmherzigkeit
Das Tal schreit auf zum Föhn:
"Was wirft dein wild Gestöhn
Lawinen ab den Höhn,
die Bäche zu empören,
die Matten zu zerstören!
Kannst du denn nicht gelind
den Winterschnee zertauen?"
"Nein! ruft der Frühlingswind,
tief liegen noch die grauen
Schneewolken in dem Land;
groß ist der Widerstand,
mit dem die Norde kämpfen.
Wollt ich sie gütlich dämpfen,
und sollte nur gemach,
tropfweise nach und nach
der Schnee geschmolzen werden,
würd's Maien nicht auf Erden.
Des Kampfgetümmels Spuren
deck' ich mit grünen Fluren!"
Verkehrung
Die Wolke zerschlug das Ährengefild,
den Vogel der Luft und des Waldes Gewild.
Da blickte die Blume verwundet hinan,
und klagte: "Was haben wir Übels getan?"
"Nichts, sagte die Wolke mit tränendem Blick;
ich wollt' euch ja werden ein gutes Geschick;
ich wollt' euch erquicken mit frischem Tau,
dich Ährengefild, dich Blume der Au.
Da hat mir des tückischen Frostes Gewalt
im Sturme die Tropfen zu Schlossen geballt!
Propheten – Stimme
Mit des Donners hochherrlicher Stimme
schreitet vom Himmel der Strom zu Tal.
Berge rufen: "Was willst du mit Grimme
schrecken die Lande denn allzumal?"
"Wecken will ich das große Grab,
ruft er noch lauter die Stufen hinab:
daß in den toten Meeren sich's rege;
daß die Wüsten, bereitend die Wege,
mich, des Lebens Erwecker, empfahn;
daß die lechzenden, fernen Auen
nicht verschmachtend zum Himmel schauen."
Also verkündiget er sein Nahn,
schwingend die Regenbogen-Fahn.
Der Redner
Predigten vom Berg zu halten,
steht der hohe Nebel dort,
königlich, in vielgestalten
gold- und purpurhellen Falten.
Und sein Haupt erstrahlet mild,
mild erklingt sein tröstend Wort,
Himmelstau dem Saatgefild.
Und gewandt zur öden Seite,
wo das Unkraut giftig wallt
in Geklüften sumpfig kalt,
zeigt er gleiche Macht im Streite:
aus der Brauen zorn'gem Dunkel
sprühen Blicke Blitz-Gefunkel;
donnerlaut ist seine Stimm;
und er schlägt mit Hagelregen
nieder hier im hohen Grimm,
wie er dort erbaut mit Segen.
Das Herz
"Wahrlich, du hast nicht die rechten Weisen,
würdig Gott zu lehren und zu preisen,
sprach der Winter zu dem Frühling nieder.
Deine Kirch' erfüllen Bilder, Lichter,
Düfte, Blumenglanz und Jubellieder;
deine Priester scheinen lauter Dichter.
Alles ist in hellster Freud' erglommen,
gleich als wär' zur Erd' der Himmel kommen:
Das ist eitel Blendwerk für die Sinne,
Bilderdienst, der Gottes nicht wird inne,
und es wird das reine Licht verschlungen
von des Tempels Dampf und Dämmerungen."
Der Kopf
"Wahrlich, du hast nicht die rechten Weisen,
würdig Gott zu lehren und zu preisen,
sprach der Frühling zu dem Winter wieder:
deiner Kirche weiße, nackte Wände
zeugen von armseligem Elende;
deine Priester bannen frohe Lieder,
Innigkeit und Freud' kam dir abhanden,
gleich als wär' der Himmel nicht vorhanden.
Und von Nebeln bist auch du erfüllet;
Vieles, vieles bleibt dir noch verhüllet;
und das Herz in deinen Höh'n erkühlet,
daß es nicht des Lichtes Wärme fühlet."
Herz und Kopf
"Wahrlich ihr habt nicht die rechten Weisen,
würdig Gott zu lehren und zu preisen,
tönt es hoch zu Lenz und Winter wieder.
Aus dem hohen, kühlen Chore nieder
strömet frische Klarheit in die Hallen,
und zum Chor auf Opferwolken wallen
warmen Lebens Wonnedüft' und Lieder.
Nur Ein Tempel seid ihr beiden Teile,
eng und schön gefügt zu Einem Heile,
das sich offenbaret aller Orten
und gesucht sein will so hier als dorten,
und ihr könnt es fühlen nicht noch kennen,
wenn, was Gott verband, ihr wollt zertrennen."
Redende Steine
Das Wirtshaus prangt in Tempelglanz
und winkt in seine weiten Hallen
mit goldnem Spruch und goldnem Kranz,
mit Becherklang, Musik und Tanz
die Scharen ab den Straßen allen;
dann schaut's in Sonntags-Saus und Braus
mit Hohn aufs niedre Gotteshaus.
"Ich war, sagt dann das Kirchlein leise,
einst in der frommen Hüttchen Kreise
ein kleiner Tempel, schmuck und rein.
Jetzt, da mein Dorf ist worden mächtig,
die Leute drinnen wohnen prächtig,
mußt' gleich die Schenk' erweitert sein;
man weiht sie gar zum Tempel ein.
Ich aber bleibe nicht nur klein:
die Mauern wanken mir im Sturme;
die Glocke sprang im morschen Turme;
der Altar ist zernagt vom Wurme;
der Regen durch die Deck' herab
begrünt das Unkraut auf dem Grab;
des Dorngebüsches Zweige treiben
durch die zerschlagnen Bilderscheiben;
in feuchter Todesluft erstarb
der goldne Spruch, des Bildes Farb.
Die Freud' hat sich von mir gewendet,
ich bin verödet und geschändet —
Nur Eines dämpft noch ihren Hohn,
es ist des Totenglöckleins Ton!"
Überdauerndes
In die Wolken aus dem Marmorschacht wuchs
das Münster auf in heil'ger Pracht:
Riesensäulen tragen es empor,
ein Gebirg voll Blumen und voll Bäume;
durch sein hochgesprengtes Felsentor
strahlen weiter Hallen lichte Räume,
wo in Reizen prangt der kleinste Ort,
wo ein Sturm von Lobgesängen schallt,
wo ein Wunderquell verjüngend wallt,
und bewahret liegt der reichste Hort.
Also hoch und feierlich im Blauen
schaut das Münster über Stadt und Auen.
Aber tief, tief unter ihm am Boden pochen,
brausen in des Rauches Broden
Tag und Nacht, am Fest auch, die Gewerke,
und sie sagen, stolz auf Zauberstärke,
auf der Pfleger ungezählte Menge,
auf der Arbeit blendendes Gepränge:
"Münster, leeres Haus, unnütz Gestein,
nicht Genuß, nicht Geld ja trägst du ein.
Unsre Räder, so die Welt erschwingen,
wir sind's, die Gewinn, Genüsse bringen
täglich neu in tausendfacher Mode.
Würde so das Leben nicht erhalten,
ach! man langeweilte sich zu Tode;
Alles müßte bald, wie du, veralten!"
Da erhob die Stimm' das heilig Haus,
überdonnernd weithin das Gebraus:
"Also haben längst zu mir gesprochen
Prachtpaläste, so die Zeit gebrochen;
auch hat manches andere Jahrhundert,
das an mir vorüber ist gewandelt,
einzig seine Werke hochbewundert.
All das unter mir seh' ich verwandelt:
Reichtum und Gewalten sind zersplittert,
umgestürzt was alt, was neu, verwittert,
kaum, daß in Erdbeben ich gezittert.
Denn die Welt vergeht mit Lust und Tand,
was der Glauben baute, hält Bestand!"
Die Ströme des Heils
Zu des heil'gen Jordans Strande
kam ein Fluß aus anderm Lande,
mit ihm seine Bahn zu ziehen.
Doch der Jordan heißt ihn fliehen.
"Denn du würdest mich entweihn,
ruft er, du bist ja gemein.
Ich, auf Libanon entstanden,
lebte nur in heil'gen Landen;
Wunder sind an mir geschehn;
jetzo noch kann man's ersehn
an dem überreichen Segen,
der entgrünet meinen Wegen."
Und der fremde Fluß entgegnet:
"Mich auch hat der Herr gesegnet:
aus dem Himmelsquell entsprungen
hab' ich mich vom Berg erschwungen;
Korn und Wein und Kränz' und Lieder
trug ich in die Tale nieder,
stets hat meiner Lande Pracht
freudeheller mich gemacht.
Und ich könnte dich entehren?
Deinen Glanz will ich vermehren!"
Und mit seinen hohen Wogen
hat er schon ihn fortgezogen.
Und sie strömen nun in Ruh
Einem Meer und Himmel zu.
Weltordnung
"Schwing mich auf zu deiner Wonne!
ruft die Erde zu der Sonne,
daß ich mit den Sternen allen
ewig frühlingshell mag wallen.
Zittern siehst du mich in Stürmen,
siehst die trümmervollen Küsten,
Fluren hier versengt zu Wüsten,
Fluten dort erstarrt zu Türmen;
und du hörest rings ein Stöhnen
meine Freuden übertönen!"
Und die Sonne mild entgegnet:
"Dennoch bist auch du gesegnet.
Großes hast du schon errungen,
Elemente, wild verschlungen,
aus dem Chaos losgeschieden.
Wohl erkämpfst du dir noch Frieden.
Doch der Himmel bleibt hier oben;
denn es müssen Die danieden
ewig sehnen sich nach oben!"
Erdenlos
Aus Tälern, grün in Klee,
entflohen auf zum Schnee
die Gems' und ihre Kinder.
"Zwar ist der Weidung minder
sagt sie, um Eis und Schnee,
doch süßre Kräuter sprießen
hier in der reinen Luft,
und keine Luchse schießen
herab aus Baum und Kluft.
Hier sind wir alle freier
als drunten in dem Tal."
Sie sagt's — der Lämmergeier
stürzt auf sie, wie ein Strahl.
Religionen
Ihre Stern', die ewig jungen
hält die Sonne reg' erschwungen;
und sie wandeln sacht und schneller,
nah und fern und matt und heller
ihre Bahnen sonder Wanken.
Und ein jeder singt mit Danken:
"Göttliche, du mir geboren,
mich hast du dir auserkoren,
mir stets gehst du auf und unter,
wiegst mich ein und machst mich munter,
streust mir Lenz und Herbst herunter.
Mir hast du in Himmelsferne
angezündt die kleinen Sterne!"
Erdenkinder
Söhne, Töchter, die im Dunkel schliefen,
in den unerforschten, ew'gen Tiefen,
ruft ans Erdenlicht der Ozean.
"Wandelt, sagt er, stets die helle Bahn;
Leben sei euch, Leben zu verbreiten,
allsoweit euch Wind und Flügel leiten!"
Und die Nebel und die Wolken wallen
tauchend, tanzend aus der Lebensflut,
in des Morgenkranzes Rosenglut,
nach den Höhen, nach den Tiefen allen.
Doch die einen, die des Rufs nicht denken,
die sich in die Sümpfe träg versenken,
töten frostig, andre schlagen
wüst das Saatenfeld in tollem Jagen.
Aber die des Vaters Wort getreu,
bringen Leben selbst der Wüstenei,
sanft und leise mit den Au'n erblühend,
oder laut gebietend, freudesprühend.
Erdenlicht
Zu der Sonne flehen Sterne:
"O wie sähen wir so gerne,
Göttliche, dein Antlitz freier,
hebe doch die Strahlenschleier;
wir ertragen nicht ihr Blenden;
nur wann sie an fernen Enden
wallen hinter Höh'n und Talen,
schau'n wir in die Zauberstrahlen."
"Nun die Schleier euch schon blenden,
sagt die Sonne zu den Kindern;
würde sich der Glanz denn mindern,
wenn ich euern Wunsch erfüllte,
und mein Angesicht enthüllte?
Glaubet, furchtbar wär' mein Funkeln,
schnell müßt' euer Aug' erdunkeln.
Gleich gemessen euren Spähren
ist mein Weigern, mein Gewähren."
Der Lebensbaum
Niemand weiß, wann seinen Ursprung fand
jener Feigenbaum im Wunderland.
Wurzelzweige senken immer wieder,
sich als Stamme von den Ästen nieder
und sie wachsen, kräftig, hoch und rund,
andre Wurzelzweige senkend in den Grund.
Wann der Stämme mächtigste veralten,
ist von neuen stets der Baum gehalten.
Niemand überschauet seinen Rand,
und die Waldung schreitet durch das Land.
Vögel aller Zungen sicher wohnen,
wimmelnd in den Ästen und den Kronen;
alle finden Speise mannigfach
und ein schützend und geräumig Dach.
Aber Kampf ist um der Grenzen Rechte,
oder: wer vom ältesten Geschlechte;
und die ersten Stämm' sind Keinem kund,
sie versanken all in tiefen Grund.
Um die Weisen selbst, wie Gott zu loben,
streiten andre in den Zweigen oben.
Selten bringet wer sein Leben zu
ungestört in abgeschied'ner Ruh.
Aber all' die Kämpfenden verschwinden
nach und nach, den Blättern gleich in Winden,
und es hält das kommende Geschlecht
wieder seine Art für einzig echt.
So will noch der Friede nicht erscheinen
der die Baumbewohner soll vereinen,
und davon die Sänger aller Zeit,
aller Orten hatten prophezeit.
Annoch höret man getrost sie singen:
"Laßt euch nicht um diesen Glauben bringen,
mehr ist er, denn nur ein süßer Traum;
angefangen hat das Leben kaum,
und verjüngend wurzelt fort der Baum."
Heimat
"Nieder in die Palmenhaine
wollen senken wir den Flug,
ruft der Sängerinnen eine
aus dem langen Pilgerzug;
dort in Gärten laßt uns wohnen,
an Gestaden voller Pracht,
wo in hohen Baumeskronen
Frucht und Blüte duftend lacht!"
"Ferne noch, sagt eine andre,
liegt der einsam kleine Ort;
dahin zieht's, wohin ich wandre,
mich mit ganzer Seele fort.
Wenn schon Gärten dort nicht prangen
Fluß und See nicht strahlt und schallt,
nur, von Büschen eng umfangen,
durch die Wies' ein Bächlein wallt;
meine Vaterhütt' ist dorten;
liebend rufen mir zurück
Bäum' und Steine aller Orten
in dem neuen altes Glück.
Nur der Heimat ist gegeben
dieses Doppel - Freudenleben."
Heimweh
Der Strom, der in Bergen gesungen,
verwegen in Tänzen gesprungen,
erstummt im flachen Land,
hinschleichend durch den Sand.
Das Aug, einst so blau und so helle,
ist nun so trüb und matt;
das Haar, einst ein Locken - Gewelle,
wie ward es ihm so glatt!
"Was will ich auch springen und singen?
seufzt er in sich hinein,
hier tönt ja kein Gegenerklingen,
hier grünt kein Plan, kein Rain!
Wie wollen die Augen erglänzen?
wie sollen sich Locken bekränzen?
hier blüht kein Blümelein!
O Alpen, o Matten, o Quellen,
o Jugend- und Liebesgesellen,
ich trage fort mein Weh
hinab in die Todes-See!"
Bessere Naturen
Mit den morgenroten Wangen,
mit dem Aug voll Tau der Freude,
mit dem maiengrünen Kleide
stand die Ros' auf Bergesweide,
rein von Licht und Luft umfangen.
Selbst durch Wetterwolken drangen
ihre Blick' empor zum Blauen
und hinab auf's Meer der Auen.
Wann ihr Bergesglocken sangen,
war sie nahe bei den Sternen
selig wie im Himmel oben.
Weh, da ward in tiefen Fernen
ihrer Schönheit Ruhm erhoben,
und der Blumenköniginnen
Krone sollt' sie dort gewinnen.
Doch im Garten schwül und enge,
in dem prunkenden Gedränge
hat das Heimweh schon nach Wochen
ach! ihr Aug und Herz gebrochen.
Dichter-Sehnsucht
Die Nachtigall im Bauer
verstummt in tiefer Trauer,
sie kann von Örglein-Weisen,
so ihr die andern preisen
und suchen einzupfeifen,
die Schönheit nicht begreifen.
Fast quälen sie zu Tode
die Stücklein nach der Mode.
Sie schweigt; doch in den Stunden
wenn andre Schlaf gefunden,
wenn tot das Staubgewimmel
und wach der Sternenhimmel,
dann hebt sie an zu schlagen
in wonnevollen Klagen,
und träumt sich singend wieder
in's Heimatland der lebensfrischen Lieder.
Sängers-Gemüt
Noch liegt die Erde traurig,
noch wehen Stürme schaurig
Gestöber drüber her;
doch singt auf dürrem Reise
der Vogel froher Weise,
als ob es Frühling wär.
"Wie hat er denn geschwiegen,
als Sommerfreud' gestiegen
zu Erntefest-Genuß;
als bunt der Wald erblühte,
vor Freude hoch erglühte
in Herbstes Überfluß?"
"Ich sah, verkünd't er singend,
den Tod allum eindringend
in unser Sommerland,
und all mein Glück entfliehen,
ich konnte nicht mitziehen
zum fernen Blumenstrand.
Jetzt spür' ich Lebenstriebe,
ich hoffe neu und liebe,
die Freund' ich wieder fand.
Was ich in bangen Stunden
geschwiegen und empfunden,
des sang ich desto bälder
und froher nun durch dürre Wälder!"
Vertrauen
"Wie magst du singen,
tanzen und springen?
sagte zur Meise
Hamster, der Weise.
Hast ja nicht Speise,
sparest nichts für;
Winter und Sorgen
stehn vor der Tür!"
"O, sagt sie, lug,
Körnchen genug
sind dir verborgen.
Der sie gestreut,
hat mich erfreut."
Niedres Los
Zu der niedern Trauerweide,
grünend an dem klaren Bach,
sagt die Pappel: "Wachs mir nach
zu der Höhe stolzer Freude!"
Und die Weide sprach dawider:
"Pappel, neige dich hernieder
zu des Baches frischen Wellen,
wo mir solche Freuden quellen,
die du droben nicht genossen:
schau, wie hier die Blumen sprossen,
und die Sterne sich erhellen!"
Arm und Reich
Winterwinde wie schneidig sie gehn,
lustig hinter den Fenstern stehn
Tannenzweige im Sonnenschein,
drunter und drüber Singvögelein.
Nachbarn auf dem beschneiten Baum,
warm sich gebend im engen Raum,
denken: "Genießet dort innen die Freuden;
ach! sie schienen uns wohl zum Beneiden,
sähen das eigene Glück wir nicht ein:
täglich der Hülf uns von oben zu freu'n,
täglich ein Körnchen wieder zu finden,
täglicher Not uns frisch zu entwinden,
stark im Glauben der nahenden Zeit,
da des Frühlings Unendlichkeit
alle vergilt die bestandenen Leiden.
Kaum aber werdet, ihr drinnen, beneiden
armer Vögelein Winterfreuden?"
Hüttenreichtum
Goldgeschmückte Vögel wohnen
in der Palmen Schatten – Kronen;
Überfluß erfüllt ihr Haus,
Blüt' und Frucht Jahr ein und aus.
Und sie haben nichts zu tun,
als vom Essen auszuruhn,
als zu putzen sich, zu spiegeln
und in Ästen sich zu wiegeln.
Also schau'n hinab sie stumm,
Köpfchen wiegend, voll Verachten
auf die Hütten ringsherum,
wo die Lerchen übernachten.
Doch aus schwarzem Grund hervor
schwingen die mit frohen Psalmen
weithin über alle Palmen
sich zum blauen Himmelstor.
Froh- und Schwermut
Der Bach sagt zu der Trauerweid:
"Du stehst noch da im grünen Kleid;
die Rebenlaub' ist doch verglüht,
und selbst der Asterkranz verblüht;
des Sangs, der goldnen Frucht beraubt,
hat traurend sich der Baum entlaubt."
"Ja, spricht die Tränenweide mild,
ich bin des Erdelebens Bild:
die Freud' verweht im Augenblick,
und nichts besteht, denn Mißgeschick!"
"Nein, sagt der Bach, wie ich's erblick',
schmückt, wenn die Blumen schnell verblühn,
dich, Trauerbaum, noch Hoffnungsgrün!"
Muttersinn
Die Wolke stand ob dem Frühlingsland,
hell strahlte ihr Haupt und ihr Festgewand;
sie weinte Entzücken über die Au',
der Freudentränen himmlischen Tau.
Jetzt aber stehn die Felder kahl,
die Berge trüb, die Wälder fahl;
kein Grün erblüht; es tönt kein Sang;
dem öden Ufer schleicht entlang
der Fluß, gebeugt und stumm und bang.
Des trübet sich der Wolke Blick,
sie kann der Erde hart Geschick
nicht sehn und denkt: "Es zeige nicht
in dieser lebensvollen Welt
der Tod sein schwarzes Angesicht.
Ich umhülle die Erde, bis grün sie sich hellt!"
So spricht sie, und breitet mit leiser Hand
das Edelstein - funkelnde Schnee-Gewand.
Engel und Mensch
Über die Auen und über die Hügel
schwinget der Falter den goldenen Flügel,
tauchend in Wonnen des neuen Geschicks.
Ferne Geliebte auch über den Flüssen
oder in Höhen kann augenblicks
er bewillkommen mit Grüßen und Küssen,
schweben von Blumen zu Blumen,
wie Düfte oder Gesänge sich tragen durch Lüfte.
Nippend den Tau von des Kelches Rande,
welchen bewirtend ein Blümelein bot,
sieht er den Wurm sich krümmen im Sande,
schleppen sich um das tägliche Brot,
sich zu erwehren der Sterbens - Not.
"Könntest du, denkt er, dein Auge erheben,
Bruder, zu meinem verherrlichten Leben,
o mit Entzücken würfest du ab
Bürden des Staubs im erlösenden Grab!"
Der Lebensbote
Dem Schmetterling scheint aus der Kammer
zu Mitternacht das Krankenlicht,
er fliegt hinzu, und sieht den Jammer,
der Scheidenden das Herze bricht,
und mahnt mit sanftem Flügelschlage:
"Vertrauet doch der Liebe Macht,
die aus des engen Sarges Nacht
emporschwingt zu verklärtem Tage!"
Lebenswärme
Zum Blümchen spricht die Sängerin:
"Wie kann dir blüh'n so froher Sinn
hier nächst am Gletscher oben,
wo die Lawinen toben,
und aus den Grabeshöhlen stet
der Todesodem dich umweht?
Ich einmal, fern von Auen,
könnt' nicht zum Lied ertauen!"
"Ich schaue, sagt das Blümchen drauf,
zum Himmel Tag und Nacht hinauf,
der wunderbar hieoben
mich an sein Licht gehoben.
Das ist's, was lebenswarm mich hält
in dieser kalten, kalten Welt!"
Lebensmut
"Leichtsinnig bist du immerdar,
und hüpfst durch Leichenfelder gar,
wie durch die Blumen rot und blau;
so spricht zum Bach die Winterau';
doch gückelt jetzt kein Blümelein
mit Augengruß zu dir hinein."
"Aber, sagt er, Sterne schauen
von den immerblauen Auen,
wo mir meine Quellen tauen,
ew'ge Sonnenblumen schauen
tief mir in die Seel' herunter;
darum tanz' ich lebensmunter
selbst das Leichenfeld hinunter!"
Todesgedanken
"Was soll dein Spinnen immerhin?"
fragt eine Frühlings - Sängerin.
Die Raupe sagt: "Das bleibt dir fremd
bei deinem flatterhaften Sinn.
Ich spinn' an meinem Totenhemd,
damit ich Fassung mir gewinn'
für jene schaudervolle Nacht!"
"Des hab' ich wahrlich nicht gedacht,
erwidert mild die Sängerin:
ich freue mich, so lang ich bin,
und ward in dieser Frühlingslust
der Auferstehung neu bewußt."
Glauben
Mit dem Vogel sind geflogen
seine Kinder über Meer.
Droben ward der Himmel trüber;
drunten brausten Sturmeswogen,
und die Kinder klagten sehr:
"Ach, wie kommen wir hinüber?
Nirgend will ein Land uns winken
und die müden Schwingen sinken."
Aber ihre Mutter sagt:
"Kinder, bleibet unverzagt!
Fühlt ihr nicht im Tiefsten innen
unaufhaltsam einen Zug,
neuen Frühling zu gewinnen?
Auf! in Jenem ist kein Trug,
der die Sehnsucht hat gegeben.
Er wird uns hinüberheben
und euch trösten balde, balde
in dem jungbelaubten Walde!"
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