Dise heilighe zit
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Diese heilige Zeit
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Dise heilighe zit
de twinget mich,
daz ich singen muz
von dem, der mich ghemachet hat,
schepfer aller dinge.
Hilf, daz ich werde quit
der sünden rich
und ir werde buz,
die ich lange han ghetraghen,
mache mir de ringe.
Minen lip hast du ghemachet bröde.
diz bedenke, edele herre,
halde mich zu dime willen vaste.
Al bin ich an dime riche snöde,
bedenke Wizlav, din wisheit
mache in nicht zu elendem ghaste.
Du hast mich türe koift mit dinem blute
vrowe, reine meit,
bittens wes bereit
ghegn din kint, daz iz si min hute.
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Diese heilige Zeit
drängt mich,
von dem zu singen,
der mich gemacht hat,
dem Schöpfer aller Dinge.
Hilf mir, loszukommen
von den starken Sünden
und für sie zu büßen!
Lange hab ich sie getragen,
nimm die Last mir ab!
Du hast mich schwach geschaffen,
das bedenke, hoher Herr,
bind mich fest an deinen Willen!
Auch wenn ich deines Reichs unwürdig bin,
nimm dich doch Wizlavs an, stoß ihn
in deiner Weisheit nicht hinaus ins Elend!
Teuer hast du mich erkauft mit deinem Blut
Herrin, reine Jungfrau,
sei bereit, dein Kind zu bitten,
daß es mich behüte.
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Ich wende buwen uf eine stat
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Ich wollte bauen auf einem Platz
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Ich wende buwen uf eine stat.
de wort teten mir hin ablat,
wente iz was dar grundelos.
min hus begunde vallen,
In der pütten ich belac.
went her quam, der iz al vormac.
her hob iz uf mit siner hant.
lute begunde ich schallen
Und schre also: »alpha et o,
din lop si ghevuret,
Went din list kan in de luft han,
daz iz nicht enruret
Sewe noch der erden list.
darumme du der wise bist.
in dinen listen stet iz al,
waz wir hir mügen kallen.«
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Ich wollte bauen auf einem Platz,
der Boden rutschte mir weg,
es gab da keinen festen Grund.
Mein Haus sackte ein,
und ich blieb liegen im Morast.
Doch da kam er, der alles kann.
Er hob das Haus mit seiner Hand.
Da sang ich mit lauter Stimme
und rief ihn an: »Alpha und O,
dir sei Lob gegeben,
denn deine Kunst kann es auch in der Luft
festhalten, so daß ihm nicht schaden
die Tücken der See und der Erde.
Darum heißt du der Weise.
In deiner Kunst ist fest gegründet,
was wir hier reden mögen.«
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Meie schöne, kum jo zu
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Schöner Mai, so komm doch!
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1.
Meie schöne, kum jo zu,
du nemöchtest nicht zu vru
den lüten.
De vrowen slezen ere cleit,
daz ist mir von herzen leit.
se hüten
Al ir besten wete, de se trughen.
Daz kans du, Meie, allenz wider vughen.
Den mantel slan se um eren tuch
— Winder, daz ist ungevuch —
von culde.
2.
Hulde swur ich gerne di,
went din vroste sint uns bi.
daz laze!
Jo ist daz din alte lach,
daz wir müzen under dach.
ich haze
Al den sweren kummer, den du stichtest.
Mit einen dingen, Winder, du mich swichtest:
Daz ist vroiden lange nacht,
de dich hat zun hulden bracht.
daz halte!
3.
Alte müst ich immer sin,
wen der lechten vrowen schin
mich machet
Vrolich unde vroiden teil,
des ghebe in ghot immer heil,
daz crachet.
Wenn mich denn ir edel name wecket
Und alle mine lit zun vroiden strecket,
So ruf ich denne: »roter munt,
heil, heil, heil zu aller stunt
mit ghote!«
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1.
Schöner Mai, so komm doch!
Du könntest gar nicht früh genug
zu den Leuten kommen.
Die Damen schließen ihre Kleider weg,
das schmerzt mich sehr.
All ihre Festgewänder, die sie trugen,
verstecken sie.
Das kannst du alles wieder richten, Mai.
Sie werfen den Mantel über ihre Sachen
wegen der Kälte.
Winter, das gehört sich nicht.
2.
Gerne träte ich in deinen Dienst,
doch deine Fröste setzen uns zu.
Laß davon ab!
Das ist ja deine alte Hinterlist,
so treibst du uns ins Haus.
Ich hasse
all die lästigen Beschwerden, die du machst.
Nur mit einem, Winter, kannst du mich beschwichtigen:
mit deiner lustvoll langen Nacht,
die dich bei mir beliebt gemacht hat.
Daran halt fest!
3.
Alt sähe ich wohl immer aus,
wenn nicht der Glanz der schönen Frauen
mich fröhlich machte
und mich an der Freude teilhaben ließe.
Dafür gebe ihnen Gott
überschwenglich Heil.
Wenn mich dann ihr edler Name aus dem Schlaf weckt
und alle meine Glieder in Lust versetzt,
dann ruf ich: »Roter Mund,
allewege Heil, Heil, Heil
von Gott!«
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Loibere risen
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Blätter fallen
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1.
Loibere risen
von den boimen hin zu tal,
des stan blot ir este.
Blomen sich wisen,
daz se sint vurtorben al,
schöne war ir gleste.
Sus twinget de rife
manigher hande wurzel sal,
des bin ich ghar sere betrübet,
Nu ich zu grife,
sint der winder ist so kal,
des wirt nüwe vroide gheübet.
2.
Helfet mir schallen
hundert tusent vroiden mer,
wen des meien blute kan bringen.
Rosen de vallen
an mir vrowen roter ler.
davon wil ich singen.
Twingt mich de kulde,
aller wurzel smackes gher
de sint an ir libe gheströwet.
Würbe ich ir hulde,
so bedrocht ich vroiden mer,
sus de minningliche mich vröwet.
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1.
Blätter fallen
herab von den Bäumen,
nackt sind ihre Äste.
Die Blumen sieht man,
wie sie ganz verdorben sind.
Schön war's, als sie noch leuchteten.
So überwältigt der Reif
die vielerlei Kräuter und macht sie häßlich.
Darüber bin ich sehr betrübt.
Nun pack ich was Neues an:
Weil der Winter so kahl ist,
wird nun neue Freude gesucht.
2.
Helft mir, zu singen
von hunderttausendmal größeren Freuden,
als die Blüten des Mai sie schaffen können.
Rosen entzücken
an der Wange meiner Herrin.
Davon will ich singen.
Bedrängt mich auch die Kälte,
was man sich an Düften aller Kräuter wünschen mag,
ist an ihrem Leib zu finden.
Gewönne ich ihre Gunst,
dann bedürfte ich keiner andern Freuden mehr,
so sehr würde mich die Liebliche erfreuen.
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Quelle:
© Deutscher Klassiker Verlag/2006/Deutsche Lyrik des
späten Mittelalters/Herausgegeben von ©Burghart
Wachinger
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