Fabelverzeichnis

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Gedichte 3
 

Der gehoffte Ruhm
Dorant
Der Arme und das Glück
Die Lerche und die Nachtigall
Der Knabe und die Mücken
Die beiden Schwarzen
Die Lerche
Die Elster und der Sperling
Der alte Dichter und der junge Kritikus
Der Geheimnisvolle
Die beiden Wanderer
Der Leichtsinn
Der Schwätzer
 
Der junge Krebs und die Seemuschel
Das Kind mit der Schere
Der Jüngling und der Greis
Der großmütige Räuber
Die Affen und die Bären
Der Affe
 


Der gehoffte Ruhm

Voll von sich selbst und von der Tat,
Die er vollführt, ging Tullius entzücket
Jetzt aus Sizilien, wohin in der Senat
Vor einem Jahr als Quästor abschicket;
Er ging zurück nach Rom und teilte zum voraus
Im Namen Roms sich die Belohnung aus.
Wer ist wohl jetzt des Volkes Verlangen?
Wen, dacht' er, nennt man jetzt als mich?
Wen wird man jauchzender empfangen
Als dich, o Tullius, als dich?
"Das ist er", ruft man dir entgegen,
"Der aus Sizilien der Teuerung abgewehrt,
Der uns mit einem reichen Segen
Von Korn ein ganzes Jahr ernährt!" —
In diesen schmeichelnden Gedanken
Stieg bei Puteoli der Quästor an das Land,
Wo er ganz unverhofft vornehme Römer fand,
Die damals gleich am Brunnen tranken.

Schnell ließ er sich vor seinen Gönnern sehn
Und suchte schon sein Lob in ihren Mienen,
"Ist das nicht Cicero?" rief einer unter ihnen.
"Ja, ja, er ist's; oh, das ist schön!
Wie lange haben wir schon nichts von Rom vernommen!
Wie steht's in Rom? Wann reisten sie von da?"
"Wie", rief er ganz erzürnt, "wie könnt ich daher kommen?
Ich komm' aus der Provinz!" — "Vielleicht aus Afrika?"
Versetzt ein andrer hurtig wieder.
Hier zittern dem Quästor alle Glieder.
"Nein, aus Sizilien komm' ich als Quästor wieder!"
"Ja", fuhr nunmehr ein dritter fort,
"Er kommt daher; verlaßt euch auf mein Wort."
Mit diesem Ruhm schlich Tullius sich fort.

Du, der du denkst, daß alle von dir wissen,
Von dir jetzt alle reden müssen,
Und dich im Herzen stolz erhebst:
Von Tausenden, die dich nach deiner Meinung kennen
Und dich und deine Taten nennen,
Weiß oft kaum einer, daß du lebst.


Dorant

Erschrocken kam Frontin zu seinem Freund Dorant.
"Ach, liebster Freund, ist dir's denn nicht bekannt?
Ich kann vor Zorn kein Glied mehr rühren!
Bedenke die verfluchte List:
Man strebt nach dem, was dir am liebsten ist:
Man will dir deine Frau entführen.
In dieser Nacht noch soll's geschehn.
Laß doch geschwind das Haus bewachen.
Mein Blut soll dir zu Diensten stehn,
Und ich will augenblicklich gehen,
Den Garten und den Hof verschließen."
"Nein", schrie Dorant, "willst du mich glücklich wissen,
So laß die Türen offen stehn."

Ihr Weiber, dieses klingt nicht schön!
Ist's möglich, seid ihr an den Plagen
Liebloser Ehen wirklich schuld?
"Ja, nach der Männer ihren Klagen
Sind wir durch widriges Betragen
An aller Qual der Ehen schuld;
Doch wenn bald nach den Hochzeitstagen
Die Männer uns gebieterisch plagen,
Die uns vergöttern, wenn sie frein.
Wie können wir da lange zärtlich sein?"

Ihr Männer, dieses klingt nicht fein!


Der Arme und das Glück

Ein armer Mann, versehn zum Graben,
Wollt' jetzt ein besser Schicksal haben
Und rief das Glück um Beistand an.
Das Glück erhörte sein Verlangen.
Er fand, indem er grub, zwo starke goldne Stangen;
Allein der ungeschickte Mann
Sah sie für altes Messing an
Und gab für wenig Geld den Reichtum aus den Händen,
Fuhr fort und bat das Glück, doch mehr ihm zuzuwenden.

"O Tor", rief ihm die Gottheit zu,
"Was quälst du mich, dich zu beglücken?
Wer wäre glücklicher als du,
Wenn du gewußt, dich in dein Glück zu schicken?"

Du wünscht dir mit Angst ein Glück
Und klagst, daß dir noch keins erschienen.
Klag nicht, es kommt gewiß ein günstiger Augenblick;
Allein bitt' um Verstand, dich seiner zu bedienen,
Denn dieses ist das größte Glück.


Die Lerche und die Nachtigall

Oft ließ, der Kunst und seinem Wirt zu Ehren,
Sich der Kanarienvogel hören
Und freute sich, wenn durch ihr schmetternd Lied
Die Lerche minder Kunst verriet.
"Oh", sprach sie, "wenn ich doch ein Lied
Gleich seinen hohen Liedern sänge!"
Und sang, indem sie dieses sprach,
Dem Nachbar eifersüchtig nach,
Verliebte sich in seine fremden Gänge
Und quälte sich, den angebornen Ton
Durch den erlernten zu verdringen,
Und trug nach vieler Müh' zuletzt das Glück davon,
Kanarisch fehlerhaft zu singen.

"Oh", sprach die Nachtigall, die lang ihr zugehört,
"Wie sinnreich bist du nicht, mein Ohr und deins zu quälen!
Dich hatte die Natur vortrefflich sein gelehrt,
Und sieh, nun lehrt der Zwang dich fehlen."

Elpin schreibt niedrig und schreibt schön;
Cleanth schreibt hoch. Elpin wünscht ihm zu gleichen.
Wie teuer kommt es ihm zu stehn!
Er sucht Cleanthen zu erreichen
Und äfft ihn nach und muß ihm weichen
Und schreibt und denkt für keinen Menschen schön.


Der Knabe und die Mücken

"Mein Vater geht ins Holz, wie ich gemerket habe",
So sagte Fritz, ein kleiner, muntrer Knabe,
Und hüpft', indem er dieses sprach,
Von seinem Jugendglück gerühret,
Von seinem Phylax angeführet,
Dem Vater schon von weitem nach.
Kaum trat er in dem Busch, als ihn hier eine Mücke,
Dort wieder eine Mücke stach.
Er schalt und lief ein gutes Stücke,
Dem bösen Schwarme zu entfliehn;
Allein je mehr er lief, je mehr verfolgt' er ihn.
"Gut", sprach er, "stecht nur immer kühn;
Ich will es nicht umsonst beteuern,
Ihr findet hier heut euer Grab."
Erbittert bricht er Ruten ab
Und kämpft mit seinen Ungeheuern;
Allein sie fanden nicht ihr Grab,
Und stachen sie zuvor aus bloßer Lust, zu stechen,
So stachen sie nunmehr, um sich zu rächen.

Verwundet im Gesicht, auf beiden Händen rot,
Eilt Fritz dem Vater zu und klagt ihm seine Not.
"O sehn Sie nur, das nenn' ich stechen!
Ich hab's bald so, bald so versucht.
Ich lief, ich schlug, und doch half weder Schlag noch Flucht."
"Fritz", hub der Vater an, "du hast's nicht recht versucht.
Geh ruhig fort, so kann ich dir versprechen,
Sie werden weniger, als wenn du schlägst, dich stechen.
Ein kleiner Feind, dies lerne fein,
Will durch Geduld ermüdet sein;
Und trittst du einst gleich mir ins große Leben ein
Und wirst um dich viel kleine Feind' erblicken,
So achte nicht auf ihre Tücken!
Verfolge deinen Weg getrost und denke fein
An die Geschichte mit den Mücken."

Die beiden Schwarzen

Zwei Schwarze lebten einst, verdammt zur Sklaverei,
Dem stolzen Spanier und ihrem Schicksal treu.
Sie waren beide jung, und bei dem Freundschaftstriebe
Empfanden sie zugleich die Stärke gleicher Liebe.
Das schönste schwarze Kind, das noch ihr Vaterland
Nie reizender gesehn, war beider Gegenstand.
Als Sklavin lebte sie bei einem Herrn mit ihnen,
Und jeder wünscht' allein ihr Herz sich zu verdienen
Und trug in jedem Blick ihr seins bescheiden an.

"Ich lieb' euch", sprach sie oft, "und einer sei mein Mann;
Allein ich wähle nicht, um keinen zu betrüben.
Vergleicht euch, und alsdann will ich nur einen lieben."
Ein trauriger Vergleich, für beide stets zu schwer!
Denn jeder liebte sich bei diesem Glück zu sehr,
Als daß er eine Braut, die sich ihm schenken wollte
Und die er schon gehofft, dem andern lassen sollte;
Dies kann er nicht. Allein bei aller Zärtlichkeit
Besaß ein jeder auch zuviel Rechtschaffenheit,
Als daß, solang ihn nicht sein Freund selbst überred'te,
Er ihn gekränkt und sie dem Freund entzogen hätte.

So blieb in langer Zeit, des Ausgangs ungewiß,
Zum Unglück jeglicher des andern Hindernis,
Und still ertrugen sie die Qual feindseliger Triebe,
Die Qual der Eifersucht, der Redlichkeit und Liebe,
Und sahn sich oft, wenn sie beschämt einander sahn,
Mit Tränen, die das Haus selbst weinen machten, an,
Mit Tränen, wie sie da zween Brüder treu vergießen,
Die sich im Unglück sehn und keine Rettung wissen.

Nach oft gefühlter Pein und unentschiednem Streit
Der freundschaftlichen Treu' und gleicher Zärtlichkeit,
Und als sie einst mit ihr betrübt im Grünen sitzen,
Wird ihre Liebe Wut. Zu schwach, sich zu beschützen,
Bewilligen sie schnell den schrecklichsten Verlust,
Und jeder stößt den Dolch in der Geliebten Brust.
Ein Sklave sah von fern die schreckensvolle Szene.
Er kam; hier lagen sie, umarmten ihre Schöne,
Beweinten ihren Tod, sahn sich noch einmal an
Und taten schnell an sich, was sie an ihr getan.

Von mancher Tat, die die Natur entehrte,
War oft der Grund ein edler Trieb,
Der in ein Laster sich verkehrte,
Bloß weil er ungebildet blieb.


Die Lerche

Die Lerche, die zu Damons Freuden
Frei im Gemach ihr Lied oft sang
Und ungewohnt, den Widerhall zu leiden,
Der aus dem nahen Zimmer drang,
Mit desto stärkrer Stimme sang,
Saß jetzt dem Spiegel gegenüber
Und sang und sah ihr eignes Bild
Und floß, mit Eifersucht erfüllt,
Von schmetternden Gesängen über
Und bildete zu ihrer Pein
An ihrem eignen Widerschein
Sich einen Nebenbuhler ein.

Noch oft erhöhte sie die Stimme;
Allein umsonst war Kunst und Müh' —
Stets sang der Widerhall wie sie.
Sie schoß darauf mit ehrfurchtsvollem Grimme
Auf ihren Nebenbuhler zu
Den ihr der Spiegel vorgelogen,
Und starb, sich selbst zu sehr gewogen,
Fast so, Ruhmsüchtiger, wie du,
Durch Eitelkeit und durch ein Nichts betrogen.


Die Elster und der Sperling

Ein Sperling ließ sich's auf den Stöcken
Des Weinbergs recht vortrefflich schmecken
Und schluckte still die besten Beeren ein.
Die Elster sah's mit scheelem Blicke
Und wollte von des Sperlings Glücke
Nicht bloß ein ferner Zeuge sein.
Sie hüpfte zu den vollen Trauben.
"Wie? Darf ich meinen Augen glauben?
O welcher Vorrat! Ja, gewiß,
So reif, Herr Sperling, und so süß —
Denn Sie verstehn sich auf die Trauben! —
War, was nun auch der Winzer spricht,
Der Wein seit vielen Jahren nicht."
Der Winzer hört der Elster Lobgedicht
Und zwingt die Gäste, fortzufliegen.
"Oh", sprach der Sperling, "welch Vergnügen
Entziehst du mir, du Schwätzerin!
Willst du die Frucht in Ruh' genießen,
So muß es nicht der ganze Weinberg wissen.
Siehst du denn nicht, wie still ich bin?
Drum schweig und komm, den Berg
noch einmal durchzustreifen."

Sie tut's und frißt mit ihm ganz still.
"Ein einzig Wort, Herr Spatz: Ich kann es nicht begreifen,
Warum mir's jetzt nicht schmecken will;
Die Trauben sind ja reif. Doch still!
Der Winzer läßt sich wieder hören.
Drum weißt du, was ich machen will?
Ich nehme von den blauen Beeren
Mir eine Traube mit, sie ruhig zu verzehren.
Komm mit mir unter jenen Baum!"
Sie nimmt die Traube mit, und kaum
Erreichte sie den sichern Baum,
So schrie sie laut: "O Sperling, welche Freude!
Wie glücklich sind wir alle beide!
In Wahrheit, glücklich bis zum Neide."
So schrie sie noch, als schon ein Schwarm von Elstern kam
Und das gepriesne Glück ihr nahm.

Du, der sein Glück der ganzen Welt entdeckt,
O Schwätzer, lern ein Gut genießen,
Das, weil es wenig Neider wissen,
Uns sichrer bleibt und süßer schmeckt.

Der alte Dichter und der junge Kritikus

Ein Jüngling stritt mit einem Alten
Sehr lebhaft über ein Gedicht.
Der Alte hielt's für schön, der Jüngling aber nicht
Und hatte recht, es nicht für schön zu halten.
Er wies dem Alten Schritt für Schritt
Hier bald das Matte, dort das Leere
Und dachte nicht, daß er, mit dem er stritt,
Der Autor des Gedichtes wäre.

"Wie?" sprach der Alte ganz erhitzt.
"Sie tadeln Ausdruck und Gedanken?
Mein Herr, Sie sind zu jung, mit einem Mann zu zanken,
Den Fleiß, Geschmack und Alter schützt.
Da man Sie noch im Arm getragen,
Hab' ich der Kunst schon nachgedacht;
Und kurz, was würden Sie wohl sagen,
Wenn ich die Verse selbst gemacht?"

"Ich", sprach er, "würde, weil Sie fragen,
Ich würde ganz gelassen sagen,
Daß man Geschmack und Dichtkunst zu entweihn,
Oft nichts mehr braucht, als alt und stolz zu sein."

Der Geheimnisvolle

Mit sehr geheimnisvollen Mienen
Tritt Strephon in Krispinens Haus,
Studiert beim Eintritt bald Krispinen
Und bald die Seinen seitwärts aus.

Man bringt den Stuhl; doch nur mit Beugen
Verbittet er die Höflichkeit.
Er steht und schweigt und sagt durch Schweigen
Die wichtigste Begebenheit.

"Mein Herr, hat sich was zugetragen?
O reden Sie! Wir sind allein.
Was gibt's?" Umsonst sind alle Fragen:
Er wiederholt sein mystisch Nein.

O lern doch, unvorsichtige Jugend,
Die laut von allen Sachen schreit,
Von Strephon die berühmte Tugend:
Die Tugend der Behutsamkeit!

Nachdem er den Krispin beschworen,
Das zu verschweigen was er sagt,
So zischelt er ihm in die Ohren:
"Der König fuhr jetzt auf die Jagd."

Der Leichtsinn

Der Leichtsinn, wie die Fabel sagt,
Die Fabel aus den goldnen Jahren,
Ward von den Menschen einst verjagt
Weil alle seiner müde waren.
Er floh zum Zeus und bat um Aufenthalt.
Kaum sah Merkur die lustige Gestalt,
So fühlt' er schon die Pflicht, dem Flüchtling beizuspringen:
"So will dich alle Welt verdringen?
Du dauerst mich. Komm, hüpf auf meine Schwingen!
Ich hoffe, dich gut anzubringen.
Komm, Paphos sei dein Aufenthalt!"
Schnell bracht' er ihn zu Venus' kleinem Knaben.
"Hier, Gott Kupido", fing er an,
"Schickt Ihnen Zeus den angenehmsten Mann,
Der schärfer als Sie sehen kann;
Sie sollen ihn zu Ihrem Führer haben."

Der Leichtsinn trat sein Amt mit Eifer an,
Das Amt, der Liebe vorzutraben,
Und soll, wie die gedachte Fabel spricht,
Von dieser Zeit an seine Pflicht
Sehr selten unterlassen haben.

Die beiden Wanderer

Zwei Wanderer überfiel die Nacht.
"O Velten, nimm dich ja in acht",
Sprach Kunz, von Schrecken eingenommen,
"Damit wir nicht vom Wege kommen!
Dort läßt sich schon ein Irrlicht sehn.
Nur daß wir uns nicht selber blenden
Und uns nach diesem Lichte wenden;
Sonst ist es um den Weg geschehn!"

"Schon gut!" rief Velten. "Eile nur!
Doch, Bruder, wenn ich die Natur
Und was ein Irrlicht sagen wollte,
Studierte nennen es die Dunst,
Die aus den Sümpfen aufgestiegen.
Ich weiß nicht, ob die Leute lügen;
Denn oft ist Lügen ihre Kunst."

"Sprich, Velten, ob du töricht bist;
Du weißt nicht, was ein Irrlicht ist?
O dürft' ich's nur bei Nachtzeit wagen,
Ich wollte dir's wohl anders sagen!
Ist's wahr, daß du kein Irrlicht kennst,
Und bist schon nah' an dreißig Jahre?
Ein Irrlicht – daß mich Gott bewahre! —,
Ein Irrlicht, das ist ein Gespenst.

Den Drachen hast du doch gesehn,
Der, wie zu Stephens Zeit geschehn,
Bei Kleindorf im Vorüberziehen
Getreide und Kälber ausgespieen?
Das, was der Drach' im großen heißt,
Nenn' ich das Irrlicht gern im kleinen;
Denn da sie nur bei Nacht erscheinen,
So sind sie wohl kein guter Geist."

"Nein, Kunz, nein, sag' ich Nimmermehr!
Ein Irrwisch ist kein wütend Heer.
Ich, ohne, Kunz, dich dumm zu nennen,
Muß die Gespenster besser kennen.
Ein Rübezahl, ein solches Tier,
Als zu Gehofen ehedessen
Die Küche im Edelhof besessen,
Dies sind Gespenster, glaube mir!

Ein Irrwisch muß was anders sein."
K.: "Wie, Velten, nennst du diesen Schein?"
V.: "Ich nenn' ihn Irrwisch." — K.: "Ist's erhöret?
Wer hat dich wieder das gelehret?
Ein Irrlicht heißt's, kein Irrwisch nicht;
So spricht man ja mein Lebetage,"
V.: "So spräche man? Nein, Kunz, ich sage,
Daß alle Welt ein Irrwisch spricht."

K.: "Schweig, Velten, das klingt lügenhaft.
Ich hab' es auf der Wanderschaft
Und, Bruder, ohne viel zu schwören,
Von Meistern Irrlicht nennen hören!"
So stritten sie noch lange Zeit,
Jetzt um die Sach', jetzt um den Namen,
Bis sie zuletzt vom Wege kamen;
Und schimpfend schlossen sie den Streit.

So streiten unstudierte Velten
Um Sachen, die sie nicht verstehn,
Und endigen den Streit mit Schelten.
Die Toren sollten erst zu den gelehrten Velten
Und Kunzen in die Schule gehn!
Die streiten dialektisch schön
Und ohne Wortkrieg, ohne Schelten
Um Dinge, die sie ganz verstehn,
Und fehlen ihres Weges selten,
Weil sie den Weg der Schulen gehn;
Denn da läßt sich kein Irrlicht sehn.


Der Schwätzer

Die größte Plage kluger Ohren,
Ein Ausbund von beredten Toren,
Ein unentfliehlich Ungemach,
Ein Schwätzer, der zu allen Zeiten
Mit rednerischem Oh und Ach
Von den geringsten Kleinigkeiten,
Von Zeitungsangelegenheiten
Und, was noch schlimmer war, meist von sich selber sprach,
Und, daß es ihm ja nicht an Stoffe fehlte,
Was er vorher erzählt, gleich noch einmal erzählte —
Ein so beredter Herr sah einen wackern Mann,
Der denkend schwieg, verächtlich an.
"Der Herr", zischt er dem Nachbar in die Ohren,
"Hat wohl das Reden gar verschworen;
Ich wett', er ist ein Narr und weiß nicht, was er will."
"Das dächte ich nicht", zischt der ihm wieder in die Ohren.
"Ein Narr, mein Herr, schweigt niemals still."

Der junge Krebs und die Seemuschel

Der Muschel, die am seichten Strande
Ihr Haus bald voneinanderbog,
Bald wieder fest zusammenzog,
Sah einst mit Neid und Unverstande
Ein junger Krebs aus seiner Höhle zu.
"O Muschel, wie beglückt bist du!
Oh, daß wir Krebse nur so elend wohnen müssen!
Bald stößt der Nachbar mich aus meiner Wohnung aus
Und bald der Sturm. Du hast dein eigen steinern Haus,
Kannst, wenn du willst, es öffnen und verschließen.
Vergönne mir nur einen Augenblick —
Ich weiß, du gönnst mir dieses Glück —,
In deinem Schlosse Platz zu nehmen."
"Ich", sprach sie, "sollte mich zwar schämen,
In mein nicht aufgeputztes Haus —
Denn in der Tat sieht's jetzt nicht reinlich aus —,
Vornehme Herren einzunehmen.
Doch dienet es zu Ihrer Ruh',
Auf kurze Zeit zu mir sich zu verfügen,
So dien' ich Ihnen mit Vergnügen;
Wir haben Platz." Er kommt. Sie schließt ihr Schloß fest zu.
"Mach auf", schreit er, "denn ich ersticke!"
"Bald", spricht sie, "will ich dich befrein;
Sieh erst der Mißgunst Torheit ein
Und lerne hier, mit deinem Glücke,
Wenn dir's gefällt, zufrieden sein."

Das Kind mit der Schere

"Kind", hub die Mutter an, "eins mußt du mir versprechen:
Die Messer und die Gabeln stechen;
Drum rühre keins von beiden an."
"Allein die Schere, sollt' ich glauben,
Die können Sie mir wohl erlauben?"
"Nichts weniger; was dich verletzen kann,
Sieh niemals als dein Spielwerk an!"

Das Kind gehorcht; doch ein geheimer Trieb
Und das Verbot verschönerten die Schere.
"Ja", spricht es zu sich selbst, "wenn es die Gabel wäre,
Die hab' ich lange nicht so lieb,
So ließ' ich sie mit Freuden liegen.
Allein die Scher' ist mein Vergnügen,
Sie hat ein gar zu schönes Band.
Gesetzt, ich ritze mich ein wenig in die Hand,
So hätte dies nicht viel zu sagen.
So klein ich bin, so hab' ich ja Verstand,
Und also werd' ich's immer wagen,
Sobald die Mutter nur die Augen weggewandt.
Doch nein, weil Kinder folgen müssen,
So wär' es ja nicht recht getan.
Nein, nein, ich sehe dich bloß an;
O schöne Schere, laß dich küssen;
Ich rühre ja kein Messer an;
So werd' ich doch-" Schon griff es nach der Schere.—
"Ja, wenn ich unvorsichtig wäre,
Da freilich schnitte mich die Schere;
Allein ich bin ja schon mit ihr bekannt."
So sprach's und schnitt sich in die Hand.
Die Mutter kam. O welche harte Lehre!
"Ach", hub das Kind fußfällig an,
"Es kränkt mich sehr, daß ich's getan.
Ich bitte Sie, zerbrechen Sie die Schere,
Damit ich sie nicht mehr begehre
Und ohne Zwang gehorchen kann."

Oft sind wir Menschen dieses Kind.
Versehn mit billigen Gesetzen,
Die göttlich und uns heilsam sind,
Scheut sich das Herz, sie alle zu verletzen.
Wir unterlassen wie das Kind
Die Dinge, die wir wenig schätzen,
Um die zu tun, die uns am liebsten sind.
Die Reue kommt. Wir sehn, wie sehr wir fehlen;
Dann denken wir, dann beten wir als Kind.
Was heißt in vieler Tausend Seelen:
"Bewahre mich, o Gott, vor dieser Missetat!"
Was heißt es? Wehre mir das Wählen,
Damit mein Herz den Zwang nicht nötig hat.


Der Jüngling und der Greis

"Wie fang' ich's an, um mich emporzuschwingen?"
Fragt' einst ein Jüngling einen Greis.
"Der Mittel", fing er an, "um es recht hoch zu bringen,
Sind zwei bis drei, soviel ich weiß.
Seid tapfer! Mancher ist gestiegen,
Weil er entschlossen in Gefahr,
Ein Feind von Ruh' und von Vergnügen
Und durstig nach der Ehre war.
Seid weise, Sohn. Den Niedrigsten auf Erden
Ist's oft durch Witz und durch Verstand geglückt,
Am Hofe groß, groß in der Stadt zu werden;
Zu beidem macht man sich durch Zeit und Fleiß geschickt.
Dies sind die Mittel großer Seelen."
"Doch sie sind schwer. Ich will's Ihm nicht verhehlen,
Ich habe leichtere gehofft."
"Gut", sprach der Greis; "wollt Ihr ein leichtres wählen,
So seid ein Narr! Auch Narren steigen oft."

Der großmütige Räuber

Auf offnem Weg hielt einen Wandersmann
Ein Räuber nah' um London an.
"Ach", sprach der arme Wandersmann,
"Ich bitt' Euch, laßt mir nur das Leben.
Ich hab' Euch ja kein Leids getan
Und wollt Euch gern, was ihr verlanget, geben;
Doch heute hab' ich nichts bei mir.
Ich geh' jetzt nach der Stadt, um da zehn Pfund zu heben,
Und morgen bin ich wieder hier
Und teile sie mit Euch, so wahr Gott über mir!"

"Gut", fing er an, "du hast geschworen;
Ich glaube dir's. Geh fort; ich wünsche dir viel Glück!"
In kurzem kam der Wandersmann zurück.
"Ach" sprach er mit erfreutem Blick,
"Seht, was ich Ärmster fand! Ihr habt es doch wohl verloren,
Zehn Pfund und mehr noch – welch ein Glück!
Und diese bring' ich Euch zurück;
Erlaßt mir das, was ich geschworen."

"Nein", hub der Räuber an, "ich habe nichts verloren.
Behaltet Euer Geld, weil ihr so ehrlich seid."

So fühlt oft selbst ein Schelm den Wert der Redlichkeit.

Die Affen und die Bären

Die Affen baten einst die Bären,
Sie möchten gnädigst sich bemühn
Und ihnen doch die Kunst erklären,
In der die Nation der Bären
Die ganze Welt des Walds zu übertreffen schien,
Die Kunst, in der sie noch so unerfahren wären,
Die Jungen groß und stark zu ziehn.

"Vielleicht", hub von den Affenmüttern
Die weiseste bedächtig an,
"Vielleicht – ich sag' es voller Zittern —
Wächst unsre Jugend bloß darum so siech heran,
Weil wir sie gar zu wenig füttern.
Vielleicht ist auch der Mangel an Geduld,
Sie sanft zu wiegen und zu tragen,
Vielleicht auch unsre Milch an ihren Fiebern schuld.
Vielleicht schwächt auch das Obst den Magen.
Vielleicht ist selbst die Luft, die unsre Kinder trifft —
Wer kann sie vor der Luft bewahren? —
Ein Gift in ihren ersten Jahren
Und dann auf Lebenszeit ein Gift.
Vielleicht ist, ohne daß wir's denken,
Auch die Bewegung ihre Pest.
Sie können sich durch Springen und durch Schwenken
Oft etwas in der Brust verrenken,
Wie sich's sehr leicht begreifen läßt;
Denn unsre Nerven sind nicht fest."
Hier fängt sie zärtlich an zu weinen,
Nimmt eins von ihren lieben Kleinen,
Das sie so lang und herzlich an sich drückt,
Bis ihr geliebtes Kind erstickt.

"Du", sprach die Bärin, "kannst noch fragen,
Warum ihr so bestraft mit kranken Kindern seid?
Nicht liegt's an Luft und Milch und nicht an Obst und Magen;
Ihr tötet sie durch eure Weichlichkeit,
Durch eure Liebe vor der Zeit.
Gebt acht auf unsern jungen Haufen;
Wir nehmen sie, sobald sie laufen,
Mit uns in Hitz' und Frost durch Fluren und durch Wald,
So werden sie gesund und alt."

Was macht viel Kinder siech? Vielleicht Natur und Zeit?
Nein, mehr der Eltern Weichlichkeit.
O Reicher, soll dein Kind gesund in Städten blühen,
So zieh' es in der Stadt, wie es die Dörfer ziehen!


Der Affe

Kaum hatte noch des Schneiders Hand
Ein buntes, komisches Gewand
Dem muntern Affen umgehangen,
So gab sein Rock ihm das Verlangen,
Sich in dem Spiegel zu besehn.
"In Wahrheit", sprach er. "Ich bin schön!
Soviel ich mir geschmeichelt habe,
So kann dem jungen Herrn der Rock nicht besser stehn.
Komm", rief er, "kleiner Edelknabe,
Wir müssen uns zugleich im Spiegel sehn!"
Er kam. Der Aff' erschrak, verzerrte das Gesicht,
Stieß an den Hut und rückte die Perücke,
Und doch glich er dem Junker nicht!
Der Spiegel warf, was er empfing zurücke:
Ein närrisch haariges Gesicht
In einer struppigen Perücke.
Der Junker lacht. "Pfui", hub der Aff' erbittert an,
"Pfui, Spiegel, wie du lügst! Was hab' ich dir getan?"
Der Spiegel läuft darauf von seinem Hauchen an
Und zeigt jetzt keinen Affen weiter.
"Das dacht' ich!" rief er sehr erfreut.
"Die Schuld liegt nicht an meiner Häßlichkeit;
Nein, junger Herr, der Spiegel war nicht heiter!"

Schon eilt Junker Fritz mit der Begebenheit,
Sie dem Magister zu erzählen;
Und diesem konnt' es gar nicht fehlen,
Mit einer nützlichen Moral —
Er war gelehrt – sie zu beseelen.
"Nun", sprach er, "setzen Sie einmal
Die Wahrheit an des Spiegels Stelle.
Sie zeigt der Toren Häßlichkeit;
Der Tor, der sich vor ihrem Lichte scheut,
Verhüllt sie drauf in Dunkelheit
Und schmeichelt sich, sie sei nicht helle."