Fabelverzeichnis
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Buch 6
 
Der Löwe, der Affe und das Schwein
Der Löwe, Momus und der Esel
Das glänzende Johanniskäferchen
Die Nachtigall und der Sperling
Die Wespen und die Bienen
Die Wespen und die Bienen 2
Fortsetzung dieser Fabel
Die Gegend der Versemacher auf dem Parnaß
Der Hirtenknabe und die Nachtigall
Hylax und Isegrim zwei Wölfe
Der Wolf und der Löwe
Das Buch und der Esel
Der Wolf im Prozesse
Phidias und die Statue
Die zwei Hunde
Der Papagei und die jungen Philosophen
Der Hund und die Schafe
Die Stare
Der Bauer und die Hirschkühe
Der Spottvogel und die Nachteule
Der Bauer und der Philosoph
Das Schwein und die Ente
Der Pfau und die Henne

 

Der Löwe, der Affe und das Schwein


König Löwe rief die untergebnen Tiere vor seinen Thron, und sagte: Macht mir
Vorschläge zum Nutzen und Wohlstande des Tierreiches.
Gleich kam der Affe mit einem Vorschlage aufgezogen. König! befiehl, daß jedes Tier
hinfür mit seiner Pfote esse. Es läßt gut. Ich habe es bei den Menschen gesehen.

Der Vorschlag fand Beifall. Viele Tiere bequemen sich. Das Schwein allein widersprach,
und sagte: Ihr Herren Affen! — Ihr wollet alles bei uns einführen, was ihr anderswo
sehet. — Denket doch!— wenn ihr Vorschläge machet, und Dinge einführen wollet die
alle Tiere tun sollen, so überleget zuvor, ob es alle Tiere tun können.
Der Natur des ganzen Schweinegeschlechtes ist euer Vorschlag nicht angemessen.

Der Löwe, Momus und der Esel.

Der Löwe schrieb eine Tierphilosophie, und gab sie in den Druck.
Momus las sie, und tadelte sie. Der Esel las sie auch, und tadelte sie auch.
Der Löwe erfuhr es, und sagte: Wenn meine Schriften unter den Menschen niemand
tadelt, als Momus, und unter den Tieren niemand, als der Esel, so bin ich der
zufriedenste Autor von der Welt.

Das glänzende Johanniskäferchen

Ein Johanniskäferchen glänzte bei dunkler Nacht an der Straße so helle, daß einige
Wanderer stehen blieben, und selbes bewunderten.
Nach Aufgang der Sonne glänzte das Käferchen noch immer, und doch blieb kein
Wanderer mehr bewundernd stehen.

Schriftsteller dunkler Zeiten, habet ihr ein ähnlicheres Bild von euch als dieses Käferchen?

Die Nachtigall und der Sperling

Eine gefangene Nachtigall sang unermüdet in ihrem Käfige fort. Und sie sang fast eben
so schön, als sie ehemals im Walde gesungen hatte.
Ein Sperling flog öfters vorbei, und hörte den lieblichen Gesang. Wie ist es doch möglich,
fragte er sie endlich, daß du in deinem Gefängnis den so einem schweren Schicksale
noch so munter, noch so schön singest?
Die Nachtigall antwortete: würde mir mein Schicksal erträglicher sein, wenn ich nicht sänge?

Die Wespen und die Bienen

(1)
Ein Schwarm Wespen saß in einem Meierhofe, und nährte sich auf dem Aase eines Pferdes.
Ein Schwarm Bienen flog vorbei, und ließ sich auf der nahen Flur nieder.
Ein aufmerksamer Philosoph sah beide mit betrachtendem Auge an, und dachte sich:
Welch ein Unterschied! jene Tierchen nähren sich mit Kote; diese mit gewähltem Saft
der Blumen.

Die Wespen und die Bienen 2
(2)
Ein vorübergehender Statist sah eben dies, und dachte sich: Welch ein Unterschied!
Jene Tierchen zehren nur, und schaden! Diese zehren zwar auch; sie nähren aber auch
und nützen.

Fortsetzung dieser Fabel
(3)
Bald darauf kommt der Hausvater und warf das Aas samt dem Wespenschwarme aus
dem Meierhofe; die Bienen lockte er aber in die Körbe zurück, die sie schon lange in
seinem Hause inne hatten.
Der Hausvater hat klug gehandelt, sagte der Philosoph. Dies habe ich vorgesehen,
sagte der Statist.

Die Gegend der Versemacher auf dem Parnaß

Nicht alle Gegenden von dem Parnaß sind von gleicher Fruchtbarkeit. Nicht auf allen
Seiten wachsen Tulpen und Violen, auch Disteln zeigen sich an der nordischen Gegend,
wo nur etliche Tropfen von der Aganippe über die steilen Felsen herabtauen, und sich in
dem sandichten Boden bald wiederum verlieren.
Selten bekommen die Einwohner dieser Gegend etwas von der reinen Quelle. Immer
sitzen sie in ihren hockrichten Höhlen, machen Verse und reimen.
Endlich kam Alciphron ein Poet, der nur Gedanken, nur Sachen; nicht bloß Reime und
Verse sang.
Wie abgeschmackt ist dieses Lied nicht! sagten sie. Wie . . . klingt es? —
Alciphron hielt es für seine Pflicht, ihnen das Vorurteil zu benehmen; Ich singe für das
Herz, sagte er, nicht für die Ohren.
Ach nein! widersetzten sie. Wie unangenehm fällt diese Strophe! — Es tönen keine Reime
mehr — Weg weg — Wir können es nicht hören.
Kurz! Alciphron fand keinen Beifall, bis er in die obere Gegend des Parnasses kam, —
in die Gegenden der Dichter.

Klopstock kam in gewisse Gegenden Deutschlandes, deren Einwohnern er nicht gefiel.

Der Hirtenknabe und die Nachtigall

Ein Hirtenknabe hörte lange dem lieblichen Gesange einer Nachtigall zu. Du magst
singen, so lange du willst, sagte er endlich zu Philomele, mir gefällt doch der Uhu besser.

So ungefähr urteilte unlängst einer meiner Nachbarn, dem Sautel besser gefiel als Ovid;
und Stoppe besser als Lessing.

Hylax und Isegrim zwei Wölfe

Ich bin lange nicht so diebisch, wie du, sagte Hylax zu dem Isegrim. Ich raube nur
bisweilen. — und etwas weniges — Du aber —
Rücke mir nichts vor, antwortete Isegrim, wir sind doch beide Wölfe.

Der Wolf und der Löwe

Ich führe doch einen Hundsnamen, sagte Wolf Hylax zu dem Löwen.
Was nützt dir der Namen, antwortete der Löwe, wenn du doch in der Tat nichts anders
als ein Wolf bist.

Das Buch und der Esel

Der Esel fand ein Buch, und weil er es nicht zu gebrauchen wußte, so zerriß er es.

Je dummer ein Kritiker ist, desto kecker ist er.

Der Wolf im Prozesse

Wolf Hylax, jener berüchtigte Lämmerdieb, wurde doch endlich vor Gerichte gezogen.
— Tausend Klagen kamen wider ihn vor. — Und was sagst du hierzu, fragte ihn Richter Löwe.
"Es sind Lügen, lauter Lügen," antwortete Hylax. —
"So hast du also die Tage deines Lebens niemals ein Lamm geraubt?" —
"Ich? — ein Lamm? — der ich der beste Freund der Lämmer bin?" —
"So bist du also gänzlich unschuldig?"
"Ich weiß nicht einmal, was rauben heißt."
"Die unbilligen Kläger!" —
"Ja, die unbilligen Kläger!"
"Zwei Hunde haben dich aber gesehen, da du eben ein Lamm zerrissest." —
"Zwei Hunde? — die Unverschämten! — die Lügner!" —
"Sie haben es aber gesehen!" —
"Ich werde es doch besser wissen, was ich getan, als was sie gesehen haben."
"Sie würden es doch nicht sagen?" —
"Sie! meine Feinde! — was werden sie mir Gutes nachsagen?"
"So weißt du dich als gar nicht in diesem Stücke schuldig? —
"Bei meiner Ehre nicht, gerechter Richter! laß mir Gerechtigkeit widerfahren."

Er leugnete, beteuerte, schwur, und — wurde entlassen.

Phidias und die Statue

Phidias schnitzte eine Statue aus Helfenhein. Welch ein Meisterstück! rief Jedermann.
Ist es nicht ewig Schade, daß diese Statue nicht lebt?
Sie macht doch eine Figur, widersetzte Phidias, und nützt der Welt geradeso viel als
manche lebendige Statue.

Die zwei Hunde

Bruder! sagte Hylax zu Mopsen, ich diene meinem Herrn recht getreu. Ich liebe ihn so
sehr, daß ich nicht mehr tun könnte, als ich wirklich tu. Dennoch schlägt er mich immer,
dennoch zankt er mich immer aus.
Wundere dich nicht, mein lieber Hylax, antwortete Mops. Es sind manche Menschen
schon so geartet, daß sie gute Dienste mit Undank belohnen.

Der Papagei und die jungen Philosophen

Unweit einem Saale, wo man eben eine philosophische Disputation hielt, hing ein
Papagei, der immer lachte, so lange die Disputanten sich heiser anschrien.
Zwei junge Philosophen fragten ihn endlich, warum lachest du doch immer? Was gefällt
dir so? — Was verstehst du denn von allem dem, was du bei diesem Streite gehört hast?
Soviel verstehe ich davon, antwortete der Papagei, als ihr von jenen Distinktionen, die ihr
heute immer einander vorgeschrien habet.

Der Hund und die Schafe

Wir sind doch dem Menschen sehr angenehm, sagten die Schafe untereinander. Unsere
Sanftmut gefällt ihm. Er führt uns auf die Weide. Er füttert uns im Stalle. Er schützt uns
wider die Wölfe. Sogar euch Hunde stellet er uns zu unserer Sicherheit.
Ihr irret euch, meine Schafe, sagte auf dies ihr Wächter Hylax. Er sorget für euch nicht
wegen euch, sondern weil ihm euer Fleisch zur Speise, und eure Wolle zur Kleidung dienet.

Die Stare

Die Stare verbanden sich zum Heile ihres Geschlechtes niemals hinfür mehr einzeln,
sondern immer haufenweise zu fliegen.
Was nützte ihnen diese Verbindnis?
Ehemal kamen sie einzeln um, und nun erschlug man sie haufenweise.

Viele Bündnisse unter den Menschen ziehen ein gleiches Ende nach sich.

Der Bauer und die Hirschkühe

Ein Bauer paßte lange mit einer Flinte auf eine Hirschkuh, die ihm den meisten Schaden
auf seinem Acker machte.
Die Hirschkuh kam. Sie wurde aber des Schützens gewahr, und entlief in den nächsten
Wald. Kaum als sie den Schützen aus den Augen verlor, setzte sie sich ganz sorglos unter
einem Baume nieder, und dachte sich: Der Schütz sieht mich nicht mehr, weil ich ihn
nicht mehr sehe.
So dachte sie, und wurde von dem nachschleichenden Bauer erschossen.

Die Strafe folget dem Missetäter auf dem Fuße nach, und da er es am mindesten
vermutet, ergreift sie ihn.

Der Spottvogel und die Nachteule

Der Spottvogel fragte die Nachteule: Warum bleibst du doch immer in deiner einsamen
Baumhöhle sitzen? — Warum kommst nicht auch in unsere Zusammenkünfte? — Weil du
nämlich ein so häßlicher Vogel bist? — nicht wahr?
Nicht darum, antwortete die Nachteule, sondern weil ich ein Sinnbild der Gelehrtheit bin.

Der Bauer und der Philosoph

Ein Bauer und ein Philosoph kamen von den Hochgewittern zu Rede.
Der brummende Donner macht mir die Ungewitter so schrecklich, sagte der Bauer.
Den Blitz fürchte ich nicht. Und ich fürchte den Blitz, sagte der Philosoph, und lachte.

Jeder Mensch urteilet nach seinen Einsichten.

Das Schwein und die Ente

Ist es denn wahr, sagte das Schwein zu der Ente, ist es wahr, daß alle Enten so läppisch
schnattern, und so gerne vom Kote sich nähren, wie du?
Ist es dann wahr, erwiderte die Ente, daß alle Schweine so abscheulich grunzen, und so
gerne im Kote sich wälzen, wie du?

Natürliche Mängel hat kein Geschlecht dem andern vorzurücken.

Der Pfau und die Henne

Der prahlerische Pfau ging stolz im Gartenhofe auf und ab, und sah die herumliegenden
Hennen über die quere an. Meine Federn sind doch recht schöne, — ja recht schöne sind
sie, dachte er sich, und er dachte es so laut, daß es auch die Hennen merkten.
Eine alte Henne sagte darauf zum Pfaue: wahr ist's, deine Federn sind schöne; noch
schöner aber würden sie uns vorkommen, wenn du deinen Stolz darüber nicht so sehr
merken ließest.

Ihr Herren Autoren! noch so schön sind eure Schriften, wenn man keinen Pfauenstolz
an euch wahrnimmt.