Fabelverzeichnis
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Heinrich von Veldeke
niederländisch: Hendrik van Veldeke)
*vor 1150 † zwischen 1190 und 1200


Die Geburt vor 1150 ist wahrscheinlich, da im Jahr 1174 das Manuskript seines Eneas-Romans
zu zwei Dritteln fertig war.
Er ging aus einem Ministerialengeschlecht hervor, das sich nach dem Dorf Veldeke
westlich von Maastricht im heutigen Belgien benannte.
Eventuell war er zum Kleriker ausgebildet worden, versah dann aber den Hofdienst.
Er stand im Dienste der Grafen von Loon und Rineck, welche zugleich die Burggrafschaft
von Mainz bekleideten.
Er nennt als Gönner: die Gräfinnen Agnes von Loon und Margarethe von Cleve sowie den
späteren Landgrafen Hermann von Thüringen, an dessen Hof er die Eneit vollendet.

Heinrich von Veldeke wird von sowohl der niederländischen wie der deutschsprachigen
Literatur als der erste große Schriftsteller der jeweiligen Literatur gelobt.
In Maastrich kann man sein Denkmal bewundern.

Er starb wahrscheinlich kurz vor 1190 auf der Neuenburg bei Freyburg (Unstrut).

 

In den tîden van den jâre
 
In des Jahres frühen Zeiten
 
1.
In den tîden van den jâre
dat dî dage werden lanc
énde dat wéder weder clâre,
sô ernouwen openbâre
mérelâre heren sanc,
dî uns brengen lîve mâre.
gode mach hers weten danc
dê hevet rehte minne
sunder rouwe ende âne wanc.

2.
Ich wil vrô sîn dore here êre
dî mich hevet dat gedân
dat ich van den rouwen kêre
dê mich wîlen irde sêre.
dat is mich nû sô ergân:
ich bin rîke ende grôte hêre,
sint ich mûste al umbevân
dî mich gaf rehte minne
sunder wîc ende âne wân

3.
Dî mich drumbe willen nîden
dat mich lîves ît geschît,
dat mach ich vele sachte lîden,
mîne blîtscap nît vermîden
ende enwille drumbe nît
nâ gevolgen den unblîden,
sint dat sî mich gerne sît
dî mich dore rehte minne
lange pîne dolen lît.

 
1.
In des Jahres frühen Zeiten,
wenn die Tage werden lang,
leuchtend sich die Himmel weiten,
da erneuen an den Leiten
die Amseln ihren Lobgesang,
die uns liebe Lust bereiten.
Dann mag Gott auch wissen Dank,
wer trägt rechte Minne
ohne Reu und ohne Wank.

2.
Froh um ihrer Ehre willen,
die mir hat so wohl getan,
daß sich meine Schmerzen stillen,
darf ich ohne Gram und Grillen
mich der hehren Herrin nahn.
Reich will sich mein Glück erfüllen,
seit sie meine Augen sahn,
die mich rechte Minne
lehrte ohne Wank und Wahn.

3.
Mag den Neidern nicht behagen,
daß mir Holdes nun geschieht,
o das will ich schon ertragen,
mich der Freude nicht entschlagen,
die durch meine Seele zieht,
und dem trüben Mut entsagen,
da ja sie mich gerne sieht,
um deren rechte Minne
ich mich lange herb gemüht.

 

Quelle:
© Reclam 1978/Deutscher Minnesang/Nachdichtung:©Kurt Erich Meurer

 

Ich bin vrô, sît uns die tage
 
Ich bin froh, daß uns die Tage
 
1.
»Ich bin vrô, sît uns die tage
liehtent unde werdent lanc«,
sô sprach ein vrowe al sunder clage
vrîlîch und ân al getwanc.
»Des segg ich mînen glücke danc
daz ich ein sulhe herze trage,
daz ich dur heinen boesen tranc
an mîner blîschaft nie mê verzage.

2.
Hie hete wîlent zeiner stunde
vil gedienet och ein man,
sô daz ich nu wol guotes gunde;
des ich ime nu niene gan,
Sît dat hê den muot gewan,
dat hê nu eischen begunde,
dat ich im baz entseggen kan,
danne hê'z an mir gewerben kunde.

3.
Ez kam von tumbes herzen râte,
ez sal ze tumpheit och ergân.
ich warnite in alze spâte,
daz hê hete missetân.
Wie mohte ich dat vür guot entstân,
dat hê mich dorpelîche baete,
dat hê muoste al umbevân?
……………………………………..

4.
Ich wânde, dat hê hovesch waere,
des was ime ich von herzen holt.
daz segg ich ûch wol offenbaere:
des ist hê gar âne schult.
Des trage ich mir ein guot gedolt
-mir ist schade vil unmaere-
hê iesch an mir ze rîchen solt,
des ich vil wol an ime enbaere.

5.
Hê iesch an mich te lôse minnen,
dî ne vant hê an mir niht.
dat quam von sînen kranken sinnen,
wan ez ime sîn tumpheit riet.
Waz obe ime ein schade dar an geschît?
des bringe ich in vil wel inne,
dat hê sîn spil ze unreht ersiht:
daz herze brichet, êr hê't gewinne.«

~0~0~0~0~

 
1.
»Ich bin froh, daß uns die Tage
hell und lang werden«,
sagte eine Dame ganz unbeschwert
und frei von jeder Sorge.
»Dafür danke ich meinem Geschick,
daß mein Herz so beschaffen ist,
daß ich niemals mehr wegen irgendeines Trankes
um meine Freude bangen muß.

2.
Mir hatte früher einmal ein Mann
wirklich beharrlich gedient,
so daß ich ihm wohl Gutes wünschte.
Das wünsche ich ihm nun durchaus nicht mehr,
seit er die Kühnheit hatte,
etwas von mir zu fordern,
daß ich ihm besser abzuschlagen verstehe,
als er es von mir zu erlangen wußte.

3.
Es kam durch den Rat eines törichten Herzens,
zur Torheit soll es auch ausschlagen.
Allzu spät kam meine Warnung,
daß er unrecht gehandelt habe.
Wie hätte ich das als gut ansehen können,
daß er mich wie ein Bauer bestürmte,
er müßte mich ganz in seine Arme nehmen?
………………………………………………………

4.
Ich meinte, daß er höfisch wäre,
darum war ich ihm zugetan.
Das sage ich euch geradeheraus:
Er hat das überhaupt nicht verdient.
So bin ich voller Gelassenheit
-der Schaden ist mir ganz gleichgültig-,
weil er einen allzu hohen Lohn von mir forderte,
worauf ich von ihm recht gut hätte verzichten können.

5.
Er verlangte von mir allzu leichtfertig Liebe,
die fand er bei mir nicht.
Das kam, weil er von Sinnen war
und seiner Torheit nachgab.
Was, wenn ihm daraus Schaden entsteht?
Ich werde ihm ganz klar machen,
daß er sein Spiel zu Unrecht zu überblicken glaubt:
sein Herz wird brechen, bevor er es gewinnt.«

~0~0~0~0~

 
Der blîdeschaft sunder riuwe hât
 
Wer hier Freude ohne Leid
 
1.
Der blîdeschaft sunder riuwe hât
mit êren hie, der ist rîche.
daz herze, dâ diu riuwe inne stât,
daz lebet jâmerlîche.
Er ist edel unde vruot,
swer mit êren
kann gemêren
sîne blîtschaft, daz ist guot.

2.
'Diu schoene, diu mich singen tuot,
si sol mich sprechen lêren,
dar abe, daz ich mînen muot
niht wol kan gekêren.
Sî ist edel unde vruot,
swer mit êren
kan gemêren
sîne blîdeschaft, daz ist guot.'

 
1.
Wer hier Freude ohne Leid
in Ehren hat, der ist reich.
Das Herz, in dem das Leid wohnt,
das lebt jammervoll.
Er ist edel und klug,
wer in Ehren
seine Freude
vermehren kann: das ist gut.

2.
'Die Schöne, die mich singen läßt,
sie soll mich darüber sprechen lehren,
wovon ich meine Gedanken
nicht gut abwenden kann.
Sie ist edel und klug,
wer in Ehren
seine Freude
vermehren kann: das ist gut.'

 

Quelle:
©Reclam 1990/Frauenlieder des Mittelalters/Nachdichtung:©Ingrid Kasten

 

Des bin ich wol getroestet
 
Darüber bin ich für immer getröstet
 
Des bin ich wol getroestet iemer mêre,
daz mich die nîdigen nîden.
nît und al boesiu lêre
daz müeze in daz herze snîden,
sô daz si sterben und deste ê.
ich wil leben mit den blîden,
die ir zît vroelîche lîden;
ich wil durch ir nîden
mîne blîdeschaft niht vermîden.

 
Darüber bin ich für immer getröstet,
daß mich die Neidigen beneiden:
Neid und alle böse Absicht,
die sollen ihnen so in das Herz schneiden,
daß sie sterben, und das möglichst bald.
Ich will mit den Frohen leben,
die ihre Zeit fröhlich verbringen;
wegen des Neides von jenen (anderen)
will ich von meiner Freude nicht lassen.

 

Quelle:
©Reclam 1993 Deutsche Gedichte des Mittelalters/Ausgewählt, übersetzt und erläutert von
©UlrichMüller/©Gerlinde Weiss

 

Tristran muose sunder sînen danc
 
Tristan mußte gegen seinen Willen
 
1.
Tristran muose sunder sînen danc
staete sîn der küneginne,
wan in daz poisûn dar zuo twanc
mêre danne diu kraft der minne.
des sol mîr diu guote danc
wizzen, daz ich sölhen tranc
nie genam und ich sî doch minne
baz danne er und mac daz sîn.
wol getâne
valsches âne,
lâ mich wesen dîn
unde wis du mîn.

2.
Sît diu sunne ir liehten schîn
gegen der kelte hât geneiget
und diu kleinen vogellîn
ir sanges sint gesweiget,
trûric ist daz herze mîn.
ich waene ez wil winter sîn,
der uns sîne kraft erzeiget
an den bluomen, die man siht
in liehter varwe
erblîchen garwe.
dâ von mir beschiht
leit und anders niht.

~0~0~0~0~

 
1.
Tristan mußte gegen seinen Willen
der Königin treu sein,
denn Gift zwang ihn dazu
mehr als die Macht der Minne.
Dafür soll mir die Gute Dank
wissen, daß ich solchen Trank
nie zu mir nahm und ich sie dennoch liebe,
sogar mehr als er, wenn das sein kann.
Du Wohlgestalte
ohne Falsch,
laß mich dein sein
und sei du mein.

2.
Seit die Sonne ihren strahlenden Glanz
vor der Kälte geneigt hat
und die kleinen Vöglein
in ihrem Sang zum Schweigen gebracht sind,
ist mein Herz voll Trauer.
Ich glaube, es will nun Winter werden,
der uns seine Macht spüren läßt
an den Blumen, die man
in ihrer leuchtenden Farbe
ganz erbleichen sieht.
Dadurch wird mir Leid
zugefügt und nichts sonst.

~0~0~0~0~

 
In dem aberellen
 
Im April
 
1.
In dem aberellen
sô die bluomen springen,
sô louben die linden
und gruonen die buochen,
so singent die vogele
und habent ir willen,
wan si minne vinden
aldâ si suochen
an ir gnôz,
wan ir blîdeschaft ist grôz,
der mich nie verdrôz.
wan si swîgen al den winter stille.

2.
Dô si an dem rîse
die bluomen gesâhen
bî den blaten springen,
dô wâren si rîche
ir manicvalden wîse,
der si wîlent pflâgen.
si huben ir singen
lûte und vroelche,
nider und hô.
mîn muot stât alsô,
daz ich wil wesen vrô.
reht is, daz ich mîn gelücke prîse.

3.
Mohte ich erwerben
mîner frouwen hulde!
künde ich die gesuochen,
als ez ir gezaeme!
ich sol verderben
al von mîner schulde,
sî enwolte ruochen,
daz si von mir naeme
buoze sunder tôt
ûf gnâde und durch nôt.
wan ez got nie gebôt,
daz dehein man gerne solte sterben.

~0~0~0~0~

 
1.
Im April
wenn die Blumen sprießen,
wenn sich die Linden belauben
und die Buchen ergrünen,
dann singen die Vögel
und haben ihren Willen,
denn sie finden Minne,
dort wo sie sie suchen,
bei ihren Artgenossen
und ihre Freude ist groß,
die mich nie gestört hat;
denn sie schweigen den ganzen Winter über stille.

2.
Als sie an dem Zweige
die Blüten
neben den Blättern sprießen sahen,
da konnten sie wieder
ihre mannigfachen Weisen,
die sie früher gesungen hatten.
Sie begannen
laut und fröhlich
tief und hoch zu singen.
Auch mein Sinn steht danach,
fröhlich zu sein,
und ich habe Grund, mich glücklich zu preisen.

3.
Könnte ich doch
die Zuneigung meiner Dame erlangen!
Könnte ich sie aufsuchen,
wie es ihr zukäme!
Ich werde
allein durch eigene Schuld zugrunde gehen,
falls sie nicht geruht,
von mir
- außer dem Tod – eine Buße anzunehmen,
aus Gnade und weil ich in Not bin.
Denn Gott hat nie gefordert,
daß ein Mann sich wünschen sollte zu sterben.

~0~0~0~0~

 
Swer den frouwen setzet huote
 
Wer den Frauen eine Aufsicht gibt
 
Swer den frouwen setzet huote,
der tuot dicke, daz übel stêt.
vil manic man treit die ruote,
dâ er sich selben mite slêt.
swer den übeln site gevêt,
der gêt vil ofte unfrô mit zornigem muote.
des pfliget niht der wîse fruote.

~0~0~0~0~

 
Wer den Frauen eine Aufsicht gibt,
der tut häufig etwas Schlimmes.
Mancher Mann trägt die Rute,
mit der er sich selbst schlägt.
Wer diese üble Sitte anfängt,
der geht oft unfroh und im Zorn umher.
So verhält sich nicht, wer wirklich verständig ist.

~0~0~0~0~

 
Diu minne betwanc Salomône
 
Die Minne bezwang Salomo
 
Diu minne betwanc Salomône
der was der allerwîseste man,
der ie getruoc küniges krône.
wie mohte ich mich erwern dan,
si twunge ouch mich gewalteclîche,
sît si sölhen man verwan,
der sô wîse was und ouch sô rîche?
den solt sol ich von ir ze lône hân.

 
Die Minne bezwang Salomo,
der doch der allerweiseste Mann war,
der jemals eine Königskrone trug.
Wie könnte ich mich dann dagegen wehren,
daß sie auch mich mit ihrer Gewalt bezwingt,
da sie solchen Mann besiegte,
der so weise war und so mächtig?
Minnesold werde ich von ihr zum Lohn erhalten.

 

Quelle:
©Fischer 2004 Minnesang/Nachdichtung:©Helmut Brackert

 

Swer mir schade an mîner frouwen
 
Wer immer mir schadet bei meiner Herrin
 
1.
Swer mir schade an mîner frouwen,
deme wünsche ich des rîses,
dar an die diebe nement ir ende.
swer mîn dar an schône mit trouwen,
dem wünsche ich des paradyses
unde valde im mîne hende.
frâg ieman, wer si sî,
der bekenne si dâ bî:
ez ist diu wolgetâne.
genâde, frouwe mir,
der sunnen gan ich dir,
sô schîne mir der mâne.

2.
Swie mîn nôt geflüeger wære,
sô gewunne ich liep nâch leide
unde fröide manicvalde,
wan ich weiz vil liebiu mære:
die bluomen entspringent an der heide,
die vogel singent in dem walde.
dâ wîlent lag der snê,
dâ stât nû grüener klê,
er touwet an dem morgen.
swer nû welle, der fröuwe sich.
nieman nœt es mich;
ich bin unledic sorgen.

 
1.
Wer immer mir schadet bei meiner Herrin,
dem wünsche ich den Strang,
an dem die Diebe enden.
Wer mich bei ihr aufrichtig lobt,
dem wünsche ich das Paradies
und bete für ihn.
Fragt jemand, wer sie sei,
der erkenne sie daran:
sie ist die Wunderschöne.
Gebe mir Gnade, Herrin.
Die Sonne gönne ich dir,
so scheine mir der Mond.

2.
Wenn meine Not geringer wäre,
dann gewänne ich Liebe nach Leid
und mancherlei Freuden,
denn ich weiß äußerst angenehme Nachrichten:
die Blumen sprießen auf der Heide,
die Vögel singen in dem Wald.
Wo früher der Schnee lag,
gibt es jetzt grünen Klee,
er ist Morgens betaut.
Wer immer jetzt will, der freue sich.
Niemand zwinge mich dazu;
ich bin nicht frei von Sorgen.

 

Quelle:
©Marix/ Deutsche Lyrik des Mittelalters/2005/Herausgegeben und kommentiert.©Manfred Stange

 

God here sende te mûde
 
Gott sende in ihren Sinn
 
God here sende te mûde
dat sî et meine te gûde,
want ich vele gerne behûde
dat ich here ît spreke leide
ende immer van here gescheide.
mich binden vaste dî eide,
minne ende trouwe dî beide:
des vorchte ich dî gûde alse dat kint dût dî rûde.

 
Gott sende in ihren Sinn,
daß sie es gut auffasse,
denn ich verhüte es gern,
daß ich ihr irgend etwas zuleide sage
und immer von ihr scheiden müßte.
Mich binden fest meine Schwüre,
meine Liebe und Treue:
so fürchte ich die Edle wie das Kind die Rute.


 

Quelle:
©Manesse Bibliothek der Weltliteratur/Auswahl und Übersetzung von ©Max Wehrli