Fab.151
Damons unechte Andacht
Damon hatte sich in die Phyllis verliebt, und einige Zeit
einen verbotenen Umgang mit ihr
gepflogen. Aber, weil er zugleich sehr andächtig war, und
der Weg zu seiner Maitresse,
wenn er sie besuchte, durch die Kirche ging, so unterließ er
niemals, sein Gebet in
größter Andacht in dieser Kirche zu verrichten, und zwar
sowohl wenn er zu seiner
Phyllis ging, als wenn er von ihr wieder zurückkam.
Diese Fabel zielt auf diejenigen, deren Wollust mit Andacht
vermischt ist.
Fab.152
Das Testament des Theodors
Theodor hatte drei echte Söhne und einen unechten. Da er
sterben wollte, übergab er
alle seine Mittel seinen drei Söhnen, und der unechte bekam
gar nichts. Alle
verwunderten sich darüber, vornehmlich, weil er den letzten
jederzeit mehr geliebt hatte,
als die echten. Aber Theodor sagte: Mein natürlicher Sohn
Espen hat kein Geld nötig, er
hat am Glücke genug, welches ihm seit seiner Geburt
begleitet.
Diese Fabel zeigt, daß natürliche Kinder das beste Glück
haben.
Fab.153
Der Eid eines Kreditmachers
Ein junger Mensch, der Mangel an Geld hatte, wandte sich an
einen Wechsler,
um Geld von ihm zu borgen. Der Wechsler der
ein gutherziger Mann war, versprach,
ihm darin zu
dienen. Indem er ihm nun das Geld auf dem Tische zählte,
sprach der junge Herr
sehr
prächtig von sich selbst, und bezeugte mit teurem Eide, er
wäre einer der ehrlichsten
Leute in der Stadt.
Da der Wechsler dieses hörte, strich er sein Geld wieder
zurück in den Beutel und sagte:
Wenn einer ungebeten mit den teuersten Eidschwüren bezeugt,
daß er ein ehrlicher Mann sei,
so ist es ein Zeichen, daß
andere an seiner Ehrlichkeit zweifeln.
Fab.154
Die Reise in die Stadt der Glückseligkeit
Ein junger Mensch, hatte von einer Stadt reden hören, in
welcher aller Segen und alle
Glückseligkeit wohnten. Er beschloß darauf, sich daselbst
niederzulassen, und er trat
auch seine Reise unverzüglich an. Da er sich der Stadt
näherte, die auf einem hohen
Berge lag, freute er sich innerlich über diesen Anblick;
aber weil an dem Fuße des Berges
ein schönes, mit allerhand Früchten angefülltes Tal war, so
hielt er sich darinnen etwas
auf, und füllte seinen Mantelsack mit diesen Früchten, die,
wie er glaubte, ihm eben zu
gelegener Zeit kämen, weil er den Berg hinaufklettern
sollte.
Allein er fiel mit seiner ganzen Ladung ins Tal hinab.
Damals rief ihm einer, der auf der
Spitze des Berges stand, diese Worte zu: Mein Freund! Der
Weg nach dieser Stadt ist steil und beschwerlich; und du
gedenkst doch mit einer ganzen Ladung von Früchten
herauf zu kommen?
Diese Fabel zielt auf diejenigen, welche sich auf den Weg
der Tugend begeben, und
glückselige Wohnungen suchen, denen sie sich doch nicht
nähern können, weil sie ihre
Wollüste mit sich führen, die sich doch immer zurückziehen,
und an der Fortsetzung ihr
Reise verhindern.
Vergleiche dieselbe Fabel des Christian Fürchtegott
Gellert/Buch 2 Fabel 34
Fab.155
Die barmherzige Lukretia
Als der Lukretia ein übermäßig großes Erbgut zugefallen war,
sagte sie: Ich freue mich
darüber, weil ich dadurch in den Stand gesetzt werde, den
Armen zu helfen und sie zu
trösten. Just, als sie dies sagte, stellte sich ein altes
krankes Weib bei ihr ein, und bat
um ein Almosen. Lukretia ward darüber so mitleidig und so
gerührt, daß ihr die Tränen
in den Augen standen. Dann ging sie stracks hin und gab der
armen siechen Frau ein
Stück verschimmeltes Brot.
Diese Fabel gibt ein Beispiel von der Mildtätigkeit der
Reichen.
Fab.156
Der Esel und das Pferd
Ein Pferd, das lange in der Reitschule gewesen war, und sich
in manchen künstlichen
Schritten und Sprüngen wohl geübt hatte, stolperte einst mit
seinem Reiter, durch
diesen Fall er sich sein Bein brach.
Da der Esel dieses sah, lachte er laut, und sagte: Wozu
dienen so viele unnötige
Komplimente? Ihr hättet besser getan, wenn ihr wie ich,
gerade fort gegangen wäret.
Fab.157
Das Brauerpferd und das Reitpferd
Ein Brauerpferd ging einstmals bei einem Reitpferd vorbei,
welches auf der Gasse so
mancherlei krumme Sprünge und Bewegungen machte, daß auch
das Volk stehen blieb,
und ihm mit Verwunderung zusah.
Das Brauerpferd, welches keine Zeit hatte darauf zu sehen,
ging seine Straße, und da es
seine Verrichtung vollbracht hatte und zurückkam, fand es
das Reitpferd in vollem
Schaume, und es hatte doch nicht mehr als eine einzige Gasse
zurückgelegt.
Das Brauerpferd sagte darauf: Bist du mit allen deinen
großen Bewegungen noch nicht
weiter gekommen? Ich merke, daß ich noch ein Geschäft
verrichten kann, bevor du in
eine andere Gasse kommst.
Diese Fabel zielt auf diejenigen, welche immer in Bewegung
sind, und doch nichts
verrichten.
Fab.158
Der veränderliche Almosengeber
Theodor, ein armer, aber doch mildtätiger Mann, teilte alle
Wochen von seinem geringen
Vermögen einen Taler den Armen aus. Alle verwunderten sich
über diese Mildtätigkeit,
weil sie fast über sein Vermögen war. Da ihm darauf eine
Erbschaft zufiel, teilte er
hernach nur einen halben Taler aus, und darauf, als er ein
neues Erbteil erhielt, gab er
den Armen nur den vierten Teil eines Talers.
Da man nun von einer so unvermuteten Knickerei mit nicht
geringer Verwunderung
redete, sagte ein Philosoph, dem die Früchte des Reichtums
bekannt waren: Verwundert
euch nicht darüber, denn wenn er noch mehr erbt, so gibt er
gar nichts.
Diese Fabel lehret, daß der Geiz durch den Reichtum wächst.
Fab.159
Der Fuchs gibt dem Löwen einen Rat
Da einstmals das Schatzmeisteramt an dem Hofe des Löwen
erledigt war, beratschlagte
sich der Löwe mit dem Fuchs, der sein Vesir war, wem er
diese, durch den Tod erledigte
Stelle geben sollte. Der Fuchs sagte darauf: Nimm weder
einen Armen noch einen
Geizigen; denn der erste hat sie nötig, weil er nichts hat,
und der andere wird sie noch
nötiger haben, weil er niemals genug hat.
nach oben
Fab.160
Der Fischbeinrock der Frau Leonore
Unter allen Walfischbeinröcken hielt man keinen für größer,
als den Rock der Frau Leonore.
Ihr Mann Leander setzte sie oft darüber zur Rede;
aber alle seine Ermahnungen waren
stets fruchtlos. Endlich, da diese Leonore ins
Wochenbett kam, und einen Jungen zur
Welt brachte, beratschlagte sie sich mit ihrem Manne
über den Namen, den man dem
Kinde geben sollte.
Der Mann sagte darauf: Der Knabe soll Jonas heißen, denn er
ist aus einem Walfischbauche
gekommen. Diese Antwort ging Leonore so nahe,
daß sie ihren Rock
darauf änderte.
Diese Fabel zeigt, daß ein sinnreicher Spott oft stärkere
Wirkung hat, als eine ernstliche
Ermahnung.
Fab.161
Der Affe, ein Hofmaler
Einem Affen, der an dem Hofe des Löwen Hofmaler war, ward
einstmals befohlen, die
Göttin Venus zu malen. Der Affe wendete alle seine Kunst auf
dieses Stück, und nahm
das Modell von der schönsten Äffin, die ihm im Walde bekannt
war.
Als das Gemälde gänzlich fertig war, stellte er es dem Löwen
zu, der aber darüber stutzte
und sagte: Die Farben sind gut, und die Züge fein, aber das
ist ja die Gestalt und das
Gesicht einer Äffin? Der Affe antwortete: Sie soll es auch
sein, gnädiger Herr! Ich habe
meine älteste Tochter zum Muster erwählt, welche man zu
unsrer Zeit für die schönste
Äffin hält. Der Löwe sagte darauf: Welcher Hochmut! Bildest
du dir ein, daß Affen und
Äffinnen diejenigen Muster sind, wonach himmlische
Schönheiten zu malen sind? Das
Gemälde ist lächerlich, und diesfalls muß es ganz anders
umgearbeitet werden.
Aber weil große Virtuosen gemeiniglich nicht nachgeben, und
eigensinnig sind,
so
wollte der Affe auch seine Arbeit nicht verändern, und
deshalb verließ er aus
Mißvergnügen seine Bedienung. Darauf stellte er das Gemälde
auf einem Scheidewege
öffentlich aus, damit alle Tiere und Vögel, welche Kenner
von dergleichen Kunststücken
wären, sehen und urteilen könnten, daß man ihm ohne Ursache
seine Arbeit verworfen
hätten. Was geschah? Es wurden verschiedene Kritiken darüber
gefällt.
Ein Elephant, welcher vorbei ging sagte: Der Maler hat sich
dabei merklich versehen;
denn er hat unter andern den Rüssel vergessen.
Der Ochs sagte, die Hörner fehlten.
Das Huhn tadelte das Stück, weil es keinen Schnabel hätte.
Und so urteilten alle bis auf die Kröten; denn ein jedes
meinte, seine Gestalt hätte zum
Muster der Schönheit genommen werden sollen.
Der Affe ward über diese streitigen Urteile so verbittert,
daß er das Gemälde in Stücke
riß, und nach dem Rat des Fuchses ein neues verfertigte,
welches einer Löwin ähnlich
war. Da der Löwe dieses zu sehen bekam, sagte er: Nun hat
der Maler die Göttin aufs
Haar getroffen. Und darauf ließ er den Affen reichlich
beschenken.
Diese Fabel zeigt, daß eine jede Kreatur ihre Gestalt für
die herrlichste hält. Und wie
deshalb Europäer Gott weiß und den Teufel schwarz malen, so
malen die Afrikaner den
Teufel weiß und Gott schwarz.
Fab.162
Der Mann einer Kokette
Eine Kokette, die einen hohen Geist hatte, aber wenig Tugend
besaß, ward einstmals
gefragt, was für einen Mann sie sich am liebsten wünschte.
Sie antwortete: Ich wünsche mir einen Mann, der alle guten
Eigenschaften besitzt,
ausgenommen Verstand; denn wenn er mit Verstand begabt ist,
so wird er meiner bald
müde werden.
Fab.163
Der Mann und der Esel
Nichts ist beschwerlicher, als allen Recht zu tun. Dieses
wird durch eine artige Fabel
erläutert, die man wenn ich nicht irre, bei Fontaine
folgendermaßen liest:
Ein Reisender setzte sich auf einen Esel, und sein junger
Sohn folgte ihm zu Fuße nach.
Die Vorbeigehenden die dieses sahen, sagten darauf: Welch
unverschämter und
unbarmherziger Mann! Er reitet selbst nach seiner
Bequemlichkeit, und den kleinen
armen Jungen läßt er zu Fuße gehen. Der Mann ward durch
dieses harte Urteil bewegt,
und bemühte sich, dieses ein andermal zu verbessern; daher
setzte er den Sohn auf den
Esel, und er ward ein Fußgänger.
Dieses verursachte ein großes Gelächter. Die Vorbeigehenden
sagten: Was für ein Narr!
Er selbst geht zu Fuß, und der Junge reitet! Der Mann
bemühte sich, dieses das dritte
Mal zu verbessern, um diesen Richtern den Mund zu stopfen,
und zwar setzte er sich
selbst neben seinen Sohn zugleich auf den Esel.
Aber dieses verursachte ein noch härteres Urteil; denn man
sagte: Welch unbarmherzige
Menschen! Hat das arme Vieh nicht an einem von ihnen Last
genug? Der Mann ward
dadurch ganz verwirrt gemacht, und deshalb ging er das
vierte Mal neben seinen Sohn
neben den Esel her.
Darauf wiesen alle mit Fingern auf ihn, und sagten: Was für
ein verzweifelter Narr!
Er hat einen Esel, und bedient sich dessen nicht!
Daraus merkte der Mann, daß es unmöglich wäre, allen zu
gefallen, und deshalb
verachtete er die Urteile der Leute.
Fab.164
Der Bär und der Ziegenbock
Als ein Bär sah, daß ein Ziegenbock auf eine sehr steile
Klippe kletterte, dachte er bei
sich selbst: Kannst du nicht dergleichen tun? Seine Hoffnung
schlug ihm auch nicht fehl;
allein als er, obschon nicht ohne große Mühe, auf die Spitze
des Berges gekommen war,
sagte er: Aber wie komme ich nun wieder herunter?
Der Ziegenbock hatte dieses vorausgesehen, daher sagte er zu
ihm: Das solltest du
bedacht haben, bevor du herauf stiegest.
Diese Fabel lehrt, daß ein jeder Mensch, bevor er sich in
Beschwerlichkeiten verwickelt,
daran denken soll, wie er sich wieder heraus wickeln kann.
Fab.165
Vom Manne, der seinen Sohn suchte
Theodor hatte in seiner Ehe mit Lukretia drei Söhne
erhalten. Einer dieser Söhne ward
ihm durch die Räuber entführt. Dieser Verlust ging dem Vater
sehr zu Herzen.
Er beschloß deshalb, sein Haus und seine junge Frau zu
verlassen, um den entführten
Sohn persönlich zu suchen. Seine Frau als auch seine
Freunde, rieten ihm von diesem
Unternehmen ab, und sagten, er sollte es einem andern
auftragen. Allein Theodor war
nicht zu überreden und die Reise ging fort.
Nach einem dreijährigen Herumschwärmen kam er endlich wieder
zurück; und da fand er
zu seinem größten Verdruß vier Söhne, statt der vorigen
drei.
Diese Fabel lehrt, daß manche, um einen einzelnen Verdruß zu
ersetzen, sich eines
doppelten zu unterwerfen. Es ist glaublich, daß einige der
griechischen Helden, die ihre
Länder verließen, um den Schimpf zu rächen, der dem Menelaus
widerfahren war,
mit
Hörnern an den Stirnen zurückgekommen sind.
Fab.166
Der sicherste Weg empor zu kommen
Da die Vesierstelle am Hofe des Löwen erledigt war, bewarben
sich verschiedene Tiere
um diese hohe Bedienung.
Der Fuchs allein, der schon mit großer Begierde danach
trachtete, stellte sich an, als ob
er großen Abscheu davor hätte, und daher verbarg er sich in
einer Höhle, und ließ durch
seine Kinder aussprengen: er wollte nicht eher wieder zum
Vorschein kommen, bis die
Bedienung durch einen der Ansuchenden wieder besetzt wäre.
Aber just dieses bahnte ihm den Weg zum Amte, welches er
sonst nicht erhalten hätte.
Denn der Löwe glaubte, dadurch von seiner Ehrlichkeit
versichert zu sein, daher ließ er
ihn mit Gewalt aus seiner Höhle holen, um diesen hohen
Posten zu bekleiden.
Diese Fabel lehrt, daß kein Weg empor zu kommen sicherer
sei, als dem Beispiele des
Fuchses zu folgen.
Fab.167
Vom Affen und Esel
Der Löwe gab einstmals dem Affen und dem Esel Befehl, sie
sollten beide, doch jeder
besonders, eine einzige Sache verrichten. Beide verrichteten
auch die Sache, so gut sie
konnten. Aber die Arbeit des Esels war mit der Arbeit des
Affen gar nicht zu vergleichen,
und deshalb erwartete dieser eine größere Belohnung. Allein
die Belohnungen waren
einerlei. Da sich nun der Affe darüber beschwerte, und an
alle Kenner der Kunst appellierte,
sagte der Löwe: Du hast
alles getan, was ich von einem künstlerischen Affen
erwartete; der andere aber hat mehr getan, als was ich mir
von einem einfältigen Esel
versprechen konnte.
Diese Fabel lehret, daß, je größer das Pfund ist, welches
die Natur uns anvertraut hat,
je mehr man auch von uns fordert, und das deshalb ungleiche
Arbeiten einerlei
Belohnungen verdienen.
Fab.168
Der Aufschub der Buße
Ein Wolf hörte einstmals eine moralische Rede, die ein
Storch hielt, und das
unordentliche und ruchlose Leben der Tiere und der Menschen
tadelte. Durch diese Rede
ward er so bewegt, daß er beschloß, ein neues Leben zu
führen, und er setzte sich eine
gewisse Zeit, wann seine Buße und Reue anfangen sollte,
nämlich nach dem Verlauf
eines Monats. Er sagte: Ein Monat ist bald zu Ende, ich will
mein sündiges Handwerk
nicht länger, als nur noch diese Zeit, treiben.
Nachdem er diesen heiligen Vorsatz getroffen hatte, begab er
sich wieder zu seinen
gewöhnlichen Verrichtungen auf die Freibeuterei. Aber just,
da er sich selbigen Abend
in einen Schafstall schleichen wollte, ward er von einem
Viehhunde ergriffen und
umgebracht.
Diese Fabel zielt auf diejenigen, welche ihre Buße
aufschieben, und nicht bedenken,
welches Unheil der Aufschub einer einzigen Stunde
verursachen kann.
Fab.169
Unterschiedliche Wege nach einem Ziele
Drei Wandersleute machten sich einstmals zugleich auf die
Reise nach der Stadt der
Glückseligkeit. Sie waren alle gleich gut gesinnt, und alle
gleich willig, sich aller Mühe
zu unterwerfen, die ihnen bei einer so langen und
gefährlichen Reise drohte.
Weil aber nach dieser Stadt verschiedene Wege führten, so
konnten sie über den
richtigen Weg nicht einig werden. Sie brachten einige Zeit
damit zu, daß sie darüber
stritten; aber gleichwohl konnten sie sich nicht einigen,
weil sie Gründe gegen Gründe
anführten, mit denen jeder seine Meinung bestärkte. Endlich,
da die Streitigkeiten kein
Ende nehmen wollten, so nahm ein jeder von ihnen seinen
eigenen Weg.
Dieses fiel endlich so aus, daß sie alle, obschon durch
verschiedene Wege, glücklich die
Stadt erreichten.
Diese Fabel lehrt, daß ein jeder, der die Wahrheit mit Ernst
sucht, und der sich in einer
heiligen Absicht um die Mittel der Seligkeit bewirbt, obwohl
er schon aus Irrtum etwas
aus dem Wege kommt, den ein anderer gerade zugeht, dennoch
das rechte Ziel erreicht.
Und auf diese Weise kann man sagen, daß verschiedene Wege in
die glückseligen
Wohnungen führen, denn ein gerechter Richter sieht in seinem
Urteil nicht so sehr auf
den Irrtum, als auf die Absicht der Irrenden.
Fab.170
Der vermeintliche starke Glauben eines Bauern
Da ein Bauer einstmals in der Kirche den Priester sagen
hörte, daß derjenige, dessen
Glauben so groß wie ein Senfkorn wäre, auf dem Wasser gehen
könnte ohne unter zu
sinken, so sagte er zu sich selbst: Ein Senfkorn ist doch
nicht sonderlich groß, und so
viel Glauben kannst du leicht haben. Deshalb warf er sich
auf der Heimreise zum Versuch
aus dem Boot ins Wasser; aber er sank zum Grunde, und ward
unter großer Gefahr
gerettet. Er sagte darauf: Ich dachte es wohl voraus, daß es
mir so ergehen würde.
Diese Fabel lehrt, daß manche, die doch keinen Glauben
haben, sich einbilden,
Glauben zu besitzen.
Fab.171
Der Ochs und der Bauer
Ein Ochs begegnete im Walde einem Bauer, dem er die Härte
vorwarf, die die Menschen
gegen die Tiere ausübten, indem sie sie ermordeten und
schlachteten.
Der Bauer antwortete darauf: Wir Menschen schlachten ja uns
untereinander selbst;
Warum sollten wir die Schafe und Ochsen schonen?
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