Fabelverzeichnis

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Johann Adolf Schlegel

geb. 18.09.1721 in Meißen
gest. 16.09.1793 in Hannover

Er war ein deutscher Dichter und Geistlicher.
Seine "Fabeln und Erzählungen" erschienen 1769 in zwei Bänden.


Quelle der Fabeln:

Johann Adolf Schlegel/Fabeln und Erzählungen/Leipzig 1769/in der Dyckischen Buchhandlung
 
Erstes Buch
 
Der Esel und der Mops
Der Kürbis und die Eichel
Das Almosen
Der Hund und der Ochse
Der Esel in der Löwenhaut
Zwei Maultiere
Die Menge der Freunde
Der Knabe und die Biene
Die Rose und der Schmetterling
Der Hund
Die Krähe
Die eitle Nachtigall
Der Wolf und das Lamm
Der Pfau und der Storch
Der Eichbaum und das Schilf
Kaiser Sigismund
Der Dieb und der Hund

 

Der Esel und der Mops

Ein plumper Geist lernt niemals leben,
Und wollen Tölpel artig sein,
So ists, als fiel es Krüppeln ein,
Das lobende Geklatsch des Pöbels zu erstreben,
Und auf dem straffen Seil im Tanz den Fuß zu heben.
Die Ungezwungenheit ist nur,
Wenn hier mein Urteil gilt, der Artigkeiten Seele;
Und diese schenkt bloß die Natur,
Nie aber ich mir selbst, wenn ich schon viel mich quäle,
Und mir die besten Muster wähle,
Aufmerksam auch auf jeder Reizung Spur,
Durch meinen Fleiß des Gröbern nicht verfehle.

Für unsern Geist schickt sich des andern Artigkeit,
So wie zu Herkuls Leib ein Frauenzimmerkleid.
Wie könnt ein Cato selbst des Lachens sich enthalten;
Wollt einst sich ein Husar sein bartichtes Gesicht,
Auf dem in fürchterliche Falten
Sich die verbrannte Stirne bricht,
Vor Spiegeln nach der Kunst mit Pflästerchen bekleben,
Die nur der Chloris Schönheit heben!
Und wenn die Fabel uns erzählt,
Daß, bei dem Herrn sich recht beliebt zu machen,
Ein Esel Schmeicheleien wählt,
Wer kann das hören, und nicht lachen?

*   *   *

Ein Mops in seinen besten Jahren,
Schön, munter, schmeichlerisch, gewandt,
In allen Künsten wohl erfahren,
Die man für Mopse je erfand;
Stund bei der Frau in großer Gnade,
Nahm sein besondres Polster ein,
Und trank mit ihr, als müßt es sein,
Recht altklug seine Chocolade.

Die Kläger weihen ihm Gedichte;
Denn, wer Prozesse führt, ist schlau.
Der Mann regiert die Stadtgerichte,
Die Frau den Mann, der Mops die Frau.
Prozesse bald beglückt zu schließen,
Kommt man beim Mopse streichelnd ein;
Und, von der Frau geküßt zu sein,
Muß selbst der Mann den Mops erst küssen.

Der Esel sieht in steten Freuden
Des Hündchens Lebenszeit vergehn.
Könnt ers wohl sehn, und nicht beneiden?
Den Esel möcht ich doch wohl sehn!
Des Fehlers durft er sich nicht schämen;
Da sich der Mensch ihn leicht verzeiht:
Wer mag wohl nach der Billigkeit
Ihn armen Eseln übel nehmen?

Er denkt: Ich muß die Lasten tragen,
Womit mein Treiber mich beschwert.
Man schlägt mich stets; und die mich schlagen,
Sind oftmals gleicher Treiber wert.
Könnt ich die Gunst des Herrn erschleichen!
Ach! wie erschlich ich sie so gern!
Lebt nicht mit Kind, mit Frau, mit Herrn,
Das Möpschen, wie mit seines gleichen?

Ihm stehet alles zu Gebote.
Es wird gestreichelt, und geküßt.
Warum denn nun? Es gibt die Pfote.
Je wenn es sonst nichts weiter ist!
Mein Elend ist gewiß gehoben:
Das sucht mein Herr wohl nicht in mir.
Es lebe doch ein kluges Tier!
Ich muß den Einfall selber loben.

Ei freilich! Wer wollt ihn nicht loben?
Der feine Scherz war sein Beruf;
Und das bewies er durch die Proben.
Wie artig schmeichelte sein Huf!
Den Herrn, der einst das Hündchen streichelt,
Stoßt er damit ans Kinn, und schreit;
Doch so, daß er aus Zärtlichkeit
Fast alle Zähn' ihm ausgeschmeichelt.

Der Herr erschrickt vor dieser Ehre.
Er spricht: Das Tier scherzt, glaub ich, gar?
Und gibt ihm durch den Stock die Lehre:
Bei Scherzen laufe man Gefahr;
Es sei die Gabe, zu gefallen,
Ein Vorrecht, das der Himmel gibt;
Und was die Welt an einem liebt,
Das liebe sie drum nicht an allen.

Der Kürbis und die Eichel

Gott machte, was er machte, gut.
Wer dachte wohl, daß selber manchen Christen
Die Philosophen dies noch erst beweisen müßten!
Der Unverstand gibt Tadlern ihren Mut;
Was nicht ihr Wunsch gebeut, dünkt ihnen auch nicht gut.

Ja, ihrer Sache so gewiß,
Als irrten sie nie, entwerfen sie den Riß,
Nach welchem Gott allein die Welt erschaffen sollen,
Wenn er sie gut erschaffen wollen.

Zu zeigen, wie dabei sich ihr Verstand vergißt,
Der Sklave, welchem stets ihr Wille nur befohlen;
Will ich nicht den Beweis aus Weltgebäuden holen,
Die kein Astronomus ganz überzählt und mißt.
Ich machte sie nur stolz. So wichtige Beweise
Verdienen diese Toren nicht.
Es triumphierte nur ihr lächelndes Gesicht.
Die Zweifel hielten sie für triftig, sich für weise.
Wenn man sie widerlegt, darf man nicht die Natur
Erst ganz dazu zu Hilfe nehmen.
Nein! Solche Tadler zu beschämen,
Brauchts einer schlechten Eichel nur.

*   *   *

Ein Kürbis, dessen Last den Stengel fast zerknickte,
Ob sie die Erde gleich, die dieser Kürbis drückte,
Dem Stengel tragen half, reizt einen Bauersmann
Zu einem gleichen Tadel an;
Der mit dem niedern Stand, den ihm das Glück beschieden,
Ja, außer sich, mit allem unzufrieden,
Und halb und halb ein Freigeist war.

Ein Freigeist? Was? Ja! ja! Dies werden zwar
Viel starke Geister hoch empfinden.
Und denken: Wie? Nun will man gar
Freigeister unter Bauern finden?
Freigeister unter dummen Bauern!
Ist das noch je erhört! Der Dichter, wie es scheint,
Ist auch ein alberner Pfaffenfreund.

Beleidigt sie mein Vers: So muß ich es bedauern.
Ich sag' es nach, wie's die Geschicht erzählet.
Zudem, wie schickt sich das für einen starken Geist,
Der öfters, was man ihm aufs bündigste beweist,
Mit zu den Vorurteilen zählet,
Daß er der Städter Vorurteil,
Als hätten Bauern nie an Witz und Einsicht Teil,
Sich auch zu seinem Grundsatz wählet?
Gesetzt indes, was doch kein Kluger glaubet,
Die Bauern wären alle dumm!
Ist jeder denn dadurch der Fähigkeit beraubet,
Ein starker Geist zu sein? — — Warum?
Verwehrt die Dummheit wohl, nebst viel Vermessenheit
Viel Zuversicht zu sich zu haben?
Doch ich verirre mich zu weit.

Dem Bauersmann demnach, der stolz auf seine Gaben,
Und, um sein Pfund nicht zu vergraben,
Im Urteil immer schnell und unbescheiden war,
Schien unter andern auch die Ordnung sonderbar,
Daß eine von den schwersten Früchten
An Stengeln hing, die nie sich in die Höhe richten.
Er sprach: Woran hat hier der Schöpfer doch gedacht?
Wie ungeschickt ist nicht der Kürbis angebracht!
Ein großer Kürbis auf der Erde!
Wozu? Damit er schmutzig werde?
Hing er an Sträuchern noch: So ging es eher hin.
Ach schade, daß ich nicht dabei gewesen bin!
Ganz anders hätt' es werden sollen.
Meintreu! An Eichen nur hätt' ich ihn hängen wollen.
Das wäre was! An Eichen! Ja!
Das hätte doch noch ein Geschicke.
Wofür stehn denn die großen Baume da?
Was hängt an ihnen? Nichts beinah!
Denn ihre Frucht ist ja kaum fingerdicke.
Für ein so großes Ding lohnt sich das nicht der Müh.
Der arme Stengel hier trägt über sein Vermögen.
Wär ich, wie Gott! Ich machts, ich weiß schon, wie?
Ich nähm ihm seine Last. An Eichen hing ich sie.
Die Eicheln gäb ich ihm dagegen.
So läge doch der Kürbis nicht im Staube.
Gott hat sich ganz gewiß versehn.
Zwar wenn ich meinem Pfarrer glaube:
So muß das Gott allein verstehn;
Doch der schwatzt viel, das ich nicht glaube.

Dies sagte Hanns, und brüstet sich dabei,
Weit mehr als Velten sich in seiner Schenke brüstet,
Wenn er auf Englands Zauberei
Und Hollands Parlament entrüstet,
Bei seiner Ehre teuer schwört,
Daß, wenn man ihm nur folgen wollte,
Der Prätendent, der Flandern itzt verheert,
Gar bald vertrieben werden sollte.
Hanns denket: Wärest du der Welt nur mehr bekannt.
Das ist gewiß! Du hast Geheimderatsverstand!
Und konntest du in Büchern lesen,
Ein Doktor wärst du längst gewesen.
Ja, mancher wünschte sich so klug, wie ich, zu sein.
Ganz gut! Wenn man davor nur ruhig schlafen könnte.

Weil sein Verstand des Nachts ihm wenig Schlaf vergönnte,
Kam ihm die Lust zu schlafen ein.
Hanns wirft sich drauf bei einem Eichbaum nieder.
Er schläft, doch schnell erwacht er wieder;
Denn einer Eichel Schlag, der seine Nase traf,
Vertreibt auf einmal allen Schlaf.
Er fasset ins Gesicht, und fühlt, die Nase blutet.
Er findet hier die Eichel noch,
Und spricht: Ei! ei! Man denke doch!
Wer hätte die Gewalt von Eicheln wohl vermutet!
Wie übel wäre mir's ergangen;
Wenn eine Gurke nur statt ihrer dran gehangen!
Wenn nun ein Kürbis gar — Mein Einfall war sehr schlecht.
Nun seh ich's; Gott hat doch wohl Recht.

Das Almosen

Den Mann, der itzt die Leser lehren soll,
Den hätten sie sich wohl am wenigsten versehen.
Schickt sich der große Mann, der, ganz von Glauben voll,
Der Vorurteile Strom gewagt zu widerstehen;
Der, so erzürnt auf ihn auch Well' auf Welle stieß,
Fest stund, und nie sich niederreißen ließ,
Und, ob gleich Bann und Acht ihn trafen,
Nur desto mutiger ward, den Irrtum zu bestrafen;
Schickt sich der große Mann, der auch noch dann beherzt
Des Irrtums Säulen umgerissen,
Wenn er gleich ganz allein sie niederreißen müssen,
Wohl in Erzählungen, in denen man oft scherzt?

Des frommen Luthers Ruhm und Lehre,
So werden finstre Köpfe schrein,
Durch Narrenteidinge, durch Fabeln zu entweihn?
Was meint ihr? Ist das zu verzeihn?

Und dennoch könnt es möglich sein,
Daß Luther selbst nicht ihrer Meinung wäre.
Ich wette drauf, er würde mirs verzeihn,
Und rechnete sich das wohl gar zur Ehre,
Worüber sie so ängstlich schrein.
Ihm wäre wenigstens die Fabel nicht zu klein,
Da auch in ihm der Geist der Dichtkunst brannte,
Und er insonderheit den Wert der Fabel kannte.
Was braucht es mehr? Den finstern Köpfen
Erlaub ich es, daß die mich schmähn.
Genug! Ich weiß, das wird von denen nicht geschehn,
Die, Luthern gleich, der Fabel Wert verstehn.

Als er und Jonas einst, um frische Luft zu schöpfen,
Ins freie Feld spazieren gehn;
Sieht er sich bald umringt von Armen,
Die demutsvoll um eine Gabe flehn.
Wie konnt ein Mann, wie er, wohl Arme bitten sehn,
Ohn ihrer gleich sich zu erbarmen?
Er gibt, so viel er geben kann
Das hätten wohl auf noch so vollen Gassen
Die frommen Reichen unterlassen,
Die um ein christlich Lob was übriges getan.
Er läßt sie noch dazu nicht erstlich übel an;
Und, weil des milden Mannes Gaben
Kein Unmut ihren Wert entzieht:
So macht ers nicht, wie die, bei deren Gaben
Man gleich aus ihren Runzeln sieht,
Wie viel sie itzt gegeben haben.

Auch Doktor Jonas gibt, der ein Gelehrter zwar,
Doch lange noch kein Luther war.
Er schenket ihnen gern, und spart zur Unzeit nicht;
Doch, da er noch, indem er schenket,
Nicht allzu doktormäßig spricht:
Wer weiß, wo Gott dafür mich künftig noch bedenket!
Gefällt dies dem Gefährten nicht.
Der edle Luther sagt: Warum nun künftig eben?
Gerad', als hätt' es euch Gott nicht voraus gegeben.


So neu auch dieser Satz vielleicht den meisten klingt:
So fürcht ich doch, daß es der Neuheit nicht gelingt,
Daß sie ihn je in Ansehn bringt.
So willig wir sonst sind, dem Neuen anzuhängen:
Wird sich doch niemand leicht zu diesem Satze drängen,
Zum mindsten sind gewiß die Reichen wider ihn.
Sie hätten dann von dem, was ihnen Gott verliehn,
Den Armen Schulden abzutragen?
Da sie, erpreßt einmal ein Armer was davon,
Noch eh er es erpreßt, von Gottes Segen schon
Die Interessen überschlagen?

Der Hund und der Ochse

Die Mißgunst und der Geiz sind zwei verwandte Laster,
Und sie bekriegen uns in fester Einigkeit.
Stets ist ein Herz, das sich dem einen weiht,
Zum günstigen Empfang des andern auch bereit.

Den geizigen Orgon macht der Neid
Noch geiziger, doch auch verhaßter.
Er spart nicht Meineid und Betrug
Und sammelt Geld, es zu vergraben.
Er habe noch so viel, er hat doch nicht genug,
Solang' auch andre noch was haben.
Er, Hüter seines Geldes, hält stets, wie Äsons Drache,
Bei seinem goldnen Vliese Wache,
Weil, was er selbst nicht nützt, kein andrer nutzen soll.
Er und Äsopens Hund sind gleicher Torheit voll,
Der unbeholfen Heu bewachte,
Der seinen Schober nicht verließ
Und, als des Hungers Trieb ein Rind zum Heue brachte,
Ihm bellend seine Zähne wies.

Dort redete den Hund der Ochse zornig an:
Wie töricht ist der Neid, der geizig mir verwehret,
Was dir nicht nützt, was keine Hunde nähret,
Und was doch Rindern nützen kann!

Fast ebenso kann man zum Orgon sagen:
Was hat du doch für Lust, dein eignes Herz zu plagen?
Du ruhest nicht, bis du gewannst,
Was du, du Hungerer, doch nicht gebrauchen kannst.
Dein Schatz, der dich so manchen Schweiß gekostet,
Liegt müßig nun im Kasten und verrostet.
Du Narr! laß andern doch, die klüger sind als du,
Das Geld, das dir nicht nützt, den Räuber deiner Ruh'.
Jetzt gönnet es dein Neid auch nicht einmal den Erben,
Jedoch ihr Trost ist: du wirst sterben.
Wie werden sie sodann sich deiner Torheit freun!
Jetzt könntest du noch Dank erwerben.
Sie werden, wenn du stirbst, noch deine Spötter sein.
Du willst nicht? Wohl! So geh, sperr es noch fester ein!
Laß hundert Schlösser es verschließen.
Die Erben werden sie schon einst zu öffnen wissen!

Der Esel in der Löwenhaut

Wie sehr betrügt sich der, der nur dem Scheine traut!
Ein Esel prangt' einmal in einer Löwenhaut,
Und dachte, wunder wer er wäre,
In diese Haut hatt' ihn der Dörfer Moliere,
Der, was er spielte, selbst erfand,
Ein Held im Aberwitz, ein zweiter Reibehand,
Zu einem Schauspiel eingenäht,
Den Pöbel zu erfreun, der sich bei Possen freuet,
Der gern um seinesgleichen steht,
Wenn er Hannswursten sieht, den Groschen nicht bereuet,
Sich nur zu Puppenspielern drängt,
Und, wo ein Hoch entzückt, die Köpfe schläfrig hängt.

Hier möcht ich allzuweit in meinem Eifer gehn,
Und vielen Deutschen nicht verhehlen,
Die, weil sie vornehm sind, sich blähn,
Sie wären auch sodann dem Pöbel zuzuzählen,
So weit sie sich auch über ihn erhöhn,
Und also fahr ich fort, vom Esel zu erzählen.

Er war dem Herrn entwischt. Um auch einmal zu schrecken,
Eilt er in einen Wald, der bei dem Dorfe liegt;
Und seine Löwenhaut betrügt.
Gleich liefen Reh und Hirsch, sich furchtsam zu verstecken;
Und selbst das wilde Schwein vergaß den Ungestüm,
Sah ihn mit Ehrfurcht an, und zitterte vor ihm.

Verstellung kann ja wohl im Anfang leicht berücken.
Doch kleinen Geistern laßt sie noch so trefflich glücken!
Die Eitelkeit wird bald durch plötzliches Entzücken
An ihnen zur Verräterin.
Den Esel riß die Freude hin.
Gleich hatte sich die ganze Furcht verloren.
Die Tiere sahen ihn mit Spott und Lachen an,
So bald sie aus des Löwen Ohren
Die langen Ohren kommen sahn.

Ein Tor, den hohe Würden schmücken,
Vermag uns öfters zu berücken.
Er scheint uns wirklich groß zu sein.
Jedoch er mag sich nur, um Ehrfurcht zu. erwecken,
In seine Löwenhaut verstecken,
Es werden ihn die Ohren bald entdecken,
Und er wird wieder klein.

Zwei Maultiere

Ein Maultier fing sich an so vornehm zu gebärden,
Als ob Bucephalus* sein erster Ahnherr wär',
Es schüttelte, gehört zu werden,
Stolz sein Glöckchen hin und her.
Es warf den Hals empor, als wollt' es allen sagen,
Es stritte ganz gewiß den Rang den Pferden ab.
Kurz, es verriet durch seinen stolzen Trab,
Daß es ersehn war, Geld zu tragen.
Es glaubte fest, von seinem Gelde voll,
Es sei durch seine Last weit glücklicher zu preisen.
Ich tadle nicht das Tier; denn wenn ich's tadeln soll,
So muß ich es auch dem Oront verweisen,
Daß es ihm einfällt sich zum blähn,
Da ihm das Glück doch nur ersehn,
Das Geld zu zählen, zu bewachen,
Und dann damit die Erben reich zu machen.

Wie er verachtungsvoll auf einen Armen blickt,
Glaubt dieses Maultier auch, durch seinen Stolz berückt,
Daß es sich kaum für seine Würde schickt,
Ein andres neben sich nur seitwärts anzusehen.
Es schämt sich, neben ihm zu gehen,
Weil eine schlechtre Last es drückt.
Es trägt nur Korn und geht vor seinem Treiber
Mit stillem Schritte hin. Indessen brechen Räuber
Schnell, ehe beide sich's versahn,
Aus ihrem Hinterhalt, in den sie sich verborgen,
Sie fallen ihren Treiber an,
Erwürgen ihn, und bloß weil sie besorgen,
Daß ihnen unterm Mord das Geld entgehen kann,
So stoßen sie vorher das stolze Maultier nieder;
Sie nehmen drauf das Geld, das sie zur Tat bewegt.
Den Kornsack und zugleich das Maultier, das ihn trägt,
Verachten sie und gehen wieder.
Da das Beraubte weint und sterbend noch im Zorn
Das Schicksal schmäht, das dies verhangen,
Spricht sein Gefährte drauf: Ich habe noch mein Korn,
Auch hab' ich keine Wund' empfangen.
Zwar weiß ich, daß es nicht aus Ehrfurcht unterblieb,
Ich möchte zu verächtlich scheinen;
Doch dafür darf ich auch nicht meinen Tod beweinen,
Und die Verachtung ist mir lieb.

Viel Kasten Gold sind stets Gefahren ausgesetzt,
Wenn ihre Niedrigkeit die Niedrigen beschirmt;
Doch wird der Reichtum stets des Neides wert geschätzt.
Wie mancher kennt nicht sein wahres Glück, und stürmt
Den Himmel Tag vor Tag durch ungestüme Bitten,
Mit Reichtum ihn zu überschütten.
Und wenn er nun den Wunsch erringt; was dünket euch?
Wird seine Habsucht nicht damit sich selbst bestrafen?
Auch schläft er gut. Er wünscht sich reich,
Wozu? Unruhiger zu schlafen?

*
Bucephalus war das Pferd von Alexander dem Großen
und wohl das berühmteste Pferd der Antike.


Die Menge der Freunde

Wenn jeder gleich verdient, ein Freund genannt zu werden,
Der, wenn er uns erblickt, mit lächelnden Gebärden,
Uns grüßt, uns gern zu sehen scheint;
Der eilt, und den Besuch uns niemals schuldig bleibet,
Beim Weine mit uns scherzt, und uns die Zeit vertreibet;
Was ist gemeiner, als ein Freund?

Jedoch gehört allein für den des Freundes Name,
Der unsre Sorgen teilt! gerührt von unserm Grame,
Mit uns in unserm Unglück weint;
Uns, eh wir bitten, hilft; uns liebt, doch uns nicht schmeichelt;
Ja, träf ihn unser Zorn, nicht unsern Lüsten heuchelt;
So ist nichts seltner, als ein Freund.

Dies glaubt' auch Sokrates. Wer weiß, scheint er nicht vielen,
Die vor dem Glück noch nicht der Freunde Mangel fühlen,
Wenn ich erzählt, was er gesagt,
Ein Menschenfeind zu sein, den seine Milzsucht plagt.

Als er ein kleines Haus sich einstens angelegt,
Fragt ihn, ich weiß nicht wer? wie nun der Vorwitz pflegt:
Was doch dem großen Mann, dem weitberühmten Weisen,
Den selber die Orakel preisen,
Die enge Hütte nützen soll?
Der Weise spricht darauf: Wie viel wollt' ich drum geben;
O wie vergnügt wollt' ich nicht leben,
Hätt' ich es erst von wahren Freunden voll!

Wer dies dem weisen Mann verdenkt,
Der weiß noch nicht die Anzahl seiner Feinde,
Die ihn teils öffentlich, teils heimlich auch gekränkt.
Doch hätt' er euch gekannt, ihr Freunde,
Die mir des Himmels Gunst geschenkt:
So zweifl' ich nicht, er hätt', um euretwillen,
Der süßen Hoffnung nicht entsagt,
Mit Freunden, die kein Sturm verjagt,
Sein kleines Haus ganz anzufüllen.

Der Knabe und die Biene

Ein Garten, der mit Blumen prangte,
Ward von den Bienen oft besucht,
Und nie besuchten ihn die Bienen ohne Frucht.
Was eine Biene nur verlangte,
Und was nur ihre Kunst zum Bauen haben muß,
Das fand sie hier im Überfluß.

An ihm fand auch ein Knabe sein Vergnügen,
Und, konnt' er hier spazieren gehn,
So ließ er gern sein Spielzeug liegen.
Er wußte sich nicht satt zu sehn,
Und hielt (wie konnt' es ihm hier je an Freuden fehlen?)
Den buntesten Stoff, die prächtigsten Juwelen,
Bei einer Blume nicht für schön.

Ein Mohn schien rund um sich die Blumen zu beschämen.
Der Mohn war voll und bunt; er steht dem Knaben an.
Er bricht, wie man leicht denken kann,
Ihn hurtig ab, ihn mitzunehmen.
Er bricht ihn hurtig ab, und sieht die Biene nicht,
Die auf der Blume liegt, und sich viel Wachs verspricht.

Die Biene zürnt, und denkt: Er soll's empfinden.
Was zürnt sie denn? Sie kann das, was sie hier verlor,
Gleich bei dem nächsten Mohne finden.
Doch handelt wohl die Rachgier je nach Gründen?
Den Gründen geht bei ihr, was ihr der Zorn rät, vor;
Und schwachen Feinden ist die Rachgier angeboren.

Der Knab erschrak, da er die Biene fand.
Das Tierchen, das bei sich ihm Rache zugeschworen,
Fliegt summend ihm um seine Hand.
Sie sticht ihn voller Wut. Ihr Stachel bleibet stecken.
Ihr geht es so, wie es der Rachgier meistens geht.
Der Rache kleine Lust zu schmecken,
Und einen kurzen Schmerz dem Knaben zu erwecken,
Stirbt sie durch ihren Zorn, und sie erfährt zu spät,
Daß, wer von Rachgier leicht entbrennet,
Nie seinen eignen Vorteil kennet.

Ihr großen Seelen, zwar braucht solcher Lehren nicht,
Weil euer Herz sich nie in Rach ein Glück verspricht.
Doch kleine Seelen, ihr, ihr braucht dergleichen Lehren!
Aus andrer Schaden lernt, nach Rache nie begehren.

Die Rose und der Schmetterling

Ein Garten war an Blumen reich,
Und, obgleich alle leicht gefallen,
Gefiel doch jedem Auge gleich
Die Rose vor den andern allen;
Weil aus ihr, ohne stolze Pracht,
Gefälligkeit und Anmut lacht.

Es schwärmte hier ein Schmetterling,
Den alle Blumen leicht entzückten,
Und den gleich jede wohl empfing,
Weil ihn die schönsten Farben schmückten.
Die Rose macht ihn auch verliebt,
Die rot wird, seufzt und sich ergibt.

Er schwört, ihr treu zu sein, und siegt.
Was für ein Glück gleicht wohl dem seinen?
Doch da ein Augenblick verfliegt,
Fängt's ihm schon an, ein Jahr zu scheinen.
Er wendet ein Geschäfte vor
Und flattert schnell von ihr empor.

Der Abend bricht geschwinder ein,
Als er zur Rose wiederkehret.
Wer kann wie du so treulos sein?
Wer bricht den Schwur, noch da er schwöret?
So straft, von Eifersucht entbrannt,
Die Rose seinen Unbestand.

Von mir, Untreuer, eiltest du
Zu jener so gemeinen Nelke;
Und jeder Blume fliegst du zu.
Denn ob sie frisch sei, ob sie welke,
Das gilt dir gleich. Gefiel dir doch
Die halbverblühte Lilie noch.

Dich hielt der widrige Geruch
Nicht ab von jener Kaiserkrone.
Dort schwärmtest du, so zum Versuch,
Im Kreis umher von Mohn zu Mohne.
Du hast, so eitel du sonst bist,
Stiefmütterchen sogar geküßt.

Er, welcher frechen Stutzern glich,
Sprach frostig, ohne sich zu schämen:
Die Klage steht doch fein für dich.
Kannst du im Ernst mir's übel nehmen?
Stört so ein Nichts gleich deine Ruh?
Verbuhlte, mach ich's nicht wie du?

Mich kränkte darum kein Verdruß,
Daß mir dein falscher Schwur geheuchelt.
Ich sah doch, wie mit sanftem Kuß
Der lose Zephir dir geschmeichelt.
Du sahst den Flattrer zu dir nahn
Und lächelst ihn schalkhaft an.

Und gegen wen bliebst du wohl hart?
War nicht die Biene dir willkommen?
Die wilde Bremse selber ward
Von dir gefällig aufgenommen.
Dich nimmt sogar die Sehnsucht ein,
Dem Mückenpöbel schön zu sein.

Und schämte nun die Rose sich?
Sie schalt den Schwätzer für vermessen.
Du nimmst dir gleiches Recht als ich?
Wie darfst du dich so sehr vergessen?
Ist nicht, dem lächeln, der mich liebt,
Ein Recht, das mir die Schönheit gibt?

Wie mancher merkt ein Laster nicht,
Das seiner doch sich ganz bemächtigt,
Verletzet kühnlich seine Pflicht
Und hält sich wohl dazu berechtigt,
Da er's doch bald für strafbar schätzt,
Wenn auch der andre sie verletzt.

Der Hund

Ein Hund, der tapfer scheinen wollte,
So furchtsam er im Herzen war,
Kroch, als ein Wandersmann einst vor ihm zittern sollte,
Erst zur Verhütung der Gefahr
So plötzlich hinter seine Türe,
Als ob ein Leid ihm widerführe;
Sodann bellt er mit aller Macht.
Der Wandrer ging vorbei, und gab auf ihn nicht Acht.

Unfehlbar wird er ausgelacht;
Doch wollt ich seine Brüder zählen,
Die er bei unserm Pöbel hat:
So sollt es ganz gewiß mir nicht an Arbeit fehlen.
Ich weiß, ich zählte mich bald satt,
Noch eh es mir geglückt, die ganz zu überzählen,
Die auf die Mächtigen mit großem Lärmen schmähn.
Und alle Frechheit sich erlauben,
So bald sie sich nur sicher glauben,
Und hinter einer Türe stehn.

Die Krähe

Als eine Krähe einst ihr Gefieder
Mit Pfauenfedern ausgeschmückt:
Besah sie sich, von sich entzückt,
Und hieß die Pfauen ihre Brüder,
Und mischte stolz in ihre Schar sich ein,
Und glaubte schon, der Juno Pfau zu sein.
Die Pfauen sahen dies, beraubten ihr Gefieder
Des Schmucks, den sie geborgt, und mit ihm aller Pracht.
Der kaum gewordne Pfau ward eine Krähe wieder,
Und selbst von Schwalben ausgelacht.

Als einst ein Reimer seine Lieder
Mit fremder Kühnheit ausgeschmückt,
Besang er sich, von sich entzückt,
Und hieß die Dichter seine Brüder.
Er drängte stolz in ihre Zunft sich ein,
Und dünkte sich ein Haller schon zu sein.
Die Dichter sahen dies, beraubten seine Lieder
Des Witzes, den er stahl. Wo war nun seine Pracht?
Der neue Haller ward ein seichter Reimer wieder,
Und selbst von Dumsen ausgelacht.

Die eitle Nachtigall

So hoch die Ruhmbegier erhebet,
Die die Natur den edlern Geistern gab,
Und die nach andrer Lob nur durch Verdienste strebet,
So tief setzt uns das Eigenlob herab,
Das allezeit der Ruhm nur desto stärker flieht,
Je ängstlicher es sich um ihn bemüht.

In einem Wald voll Nachtigallen
Schlug eine sonder Ruh. Sie wußte zu gefallen,
Obgleich der reizende Gesang
Von mancher andern besser klang.
Sie war so voll von ihrem Werte,
Daß sie, so gern sie auch vom Wald gehöret ward,
Sich selber doch am liebsten hörte,
Und wenn das Volk der Luft das Lob gleich nicht gespart,
Stets ein noch größres Lob begehrte.

Zwar anfangs waren rund um sie
Die Bäume stets besetzt und voll begieriger Hörer,
Doch täglich ward's auf ihnen leerer,
Denn täglich gab sie sich im Singen weniger Müh.
Das war kein Wunder; allezeit
Wächst durch das Lob die Eitelkeit.
Die hat die Tugend nicht, daß sie im Fleiß erhält,
Sie lehrt uns, mehr an uns als an die andern denken,
Und pflegt von dem, wodurch man wohl gefällt,
Des Geistes Achtsamkeit allein auf sich zu lenken.

Von Hochmut aufgebläht, lobt sie sich allzusehr;
Umringt von Kranichen, von Elstern und von Störchen
Und solchem Federpöbel mehr,
Vermißte sie gar bald die Wachteln und die Lerchen.

Ihr Ehrgeiz wachet auf; weil sie sich Mühe gibt,
Glückt ihr ein reizend Lied. Doch, gleich darin verliebt,
Schickt sie den Starmatz ab, die Vögel herzubringen;
Es wär' ihr jetzt ein herrlich Lied geglückt,
Sie sei bereit, es ihnen vorzusingen.

Der Starmatz war von ihr entzückt.
Ein Narr, doch nur ein Narr, wird dadurch mehr geblendet,
Wenn man sich den Weihrauch selbst verschwendet.
Und so war unser Starmatz auch.
Er flog umher und schrie: Ihr Vögel, kommt und höret!
Die Nachtigall auf jenem Strauch
Sang jetzt ein trefflich Lied. Sie hat sich schon erkläret,
Daß sie es aus Gefälligkeit
Euch nochmals singen will. Braucht der Gelegenheit!
Es war das Meisterwerk der Nachtigallenlieder,
Dergleichen höret ihr nicht wieder.

Die Vögel hatten es von fern mit Lust vernommen,
Und keiner war, der es nicht gern erhob.
Doch sie verdroß das Eigenlob,
Und eine Wachtel sprach: Was sollten wir erst kommen?
Was braucht sie uns? Sie lobt sich selber schon.
Das Urteil ist des Hörens Lohn,
Und das hat sie uns weggenommen.

Der Wolf und das Lamm

Es stillt' in heißen Sommertagen
Ein Lamm einst seinen Durst in einem hellen Bach.
Schnell kam ein Wolf dazu, und zwar mit leerem Magen.
Ein Umstand, der nichts Gutes versprach!
Und überhaupt sagt man den Wölfen nach,
Daß sie die Abenteuer lieben.
Doch der ward noch dazu vom Hunger hergetrieben.

Wer machet, fing er an mit vollem Grimm zu schrein,
Wer macht dich so kühn, mir meinen Trunk zu trüben?
Armseliges Geschöpf! Wart! Das soll dich gereun.
Dein Frevel soll dein Unglück sein.

Wie könnt' ich mich bei Ihro Majestät,
Versetzt das Lamm, so freventlich vergessen.
In Demut bitt ich zu ermessen,
Daß es in meiner Macht nicht steht,
Des, was die Ehrfurcht schon mir wehrt, mich zu erkühnen.
Ich steh so weit entfernt von Ihnen.
So kommt von Ihnen auch der Strom zu mir herab.
Sie nehmen hieraus selbst nach Ihrer Weisheit ab,
Daß folglich ja ich Ihr Getränke
Auf keine Weise trüben kann.

Du trübst es, hob der Wolf voll Blutdurst wieder an,
Und es ist gut, daß ich jetzt eben dran gedenke,
Wie du schon im verwichnen Jahr
Mir viel Verbrechen angedichtet.
Und viel von mir geschmäht. Man hat mir's wohl berichtet.

Wie kann das möglich sein, da im verwichnen Jahr
Ich ja noch nicht geboren war:
Ich säuge noch. So hat dies schändliche Verbrechen,
Des sich auch Rosse selbst nicht ungestraft erfrechen,
Dein Bruder doch begangen. Wie:
Mein Bruder? Herr, ich habe keinen.
Nun wohl! So trifft die Schuld doch der Verwandten Einen.
Denn ihr, ihr schonet meiner nie.
Ihr, eure Schäfer, eure Hunde
Steht alle wider mich im Bunde,
Und lästert mich mit frechem Munde.
Du sollst es nun entgelten. Du!
Schnell faßt des Wolfes heißer Rachen
Das schon halbtote Lamm und schleppt's dem Walde zu;
Und ohn' erst lang ihm den Prozeß zu machen,
Verzehrt er es daselbst in Ruh.

Der Pfau und der Storch

Der Himmel teilte seine Güter,
Der etwas jeglichem und keinem alles, gab.
Was der von ihm bekam, brach er dem andern ab.
Selbst die Verschiedenheit der menschlichen Gemüter
Sollt' unsrer Welt die Einigkeit verleihn.
Ganz übrig sollte keiner sein.
Sein weiser Endzweck war, es sollt' auf andrer Gaben
Ein jeder seinen Anspruch haben.

Was tun wir aber? Wir verschmähn,
Was wir an andern Gutes sehn;
Uns über andre wegzusetzen,
Sehn wir es nicht einmal und sind mit Willen blind.
Scharfsichtig uns nur hoch zu schätzen,
Sehn wir allein, wer wir, wir großen Leute, sind.

Hochmütig schlägt der Pfau sein Rad,
In dem sich, wenn darauf die Sonne strahlet,
Ein ganzer Mai von Farben malet.

Zum Storche, der sich zu ihm naht,
Spricht er: Wie kannst du dich so nahe zu mir machen?
Storch, schlage doch ein Rad wie ich!
Unförmliches Geschöpf, wer sieht dich ohne Lachen?
Wie häßlich bist du gegen mich!

Des Pfaues Stolz zur Scham zur bringen,
Hebt sich der Storch auf leichten Schwingen
Und ruft aus seiner Höh: Pfau, fliege doch wie ich!
Wann wird dir so ein Flug gelingen?
Wie tölpisch bist du gegen mich!

*   *   *

Selinde, die um sich ein Heer von Stutzern zählte,
Der, außerm Witze, gar nichts fehlte,
Schien das Original zum Venusbild zu sein,
Das Phidias vordem gehauen.
Da sie am Spiegel stand, nahm sie sich selber ein,
Und sie besah sich mit Vertrauen.

Mit triumphierendem Gesicht
Lacht sie die Schwester an und spricht:
O Schwester, wenn du kannst, gefalle doch wie ich!
Willst du, daß dein Gesicht ein Herz zur Lieb' erwecke,
So bitte mich, daß ich mich erst verstecke!
Wie tot bist du doch gegen mich!

Die Schwester eilt, ein Buch in ihre Hand zu nehmen,
Und spricht, Selinden zu beschämen:
Selinde, wenn du kannst, versteh es doch wie ich!
Willst du, daß auch noch spät dich dein Geliebter ehre
Und seine Liebe sich in Kaltsinn nicht verkehre,
So bitte mich, daß ich dich witzig reden lehre.
Wie albern bist du gegen mich!

*   *   *

Ein trockner Philosoph besah sein Lehrgebäude.
Wie gründlich war er nicht, denn er bewies sogar,
Nach strenger Lehrart, seine Freude,
Die dieser Anblick ihm gebar.

Er lobte sich allein. Der scherzende Poet
Ward auf das gründlichste von seinem Stolz verschmäht,
Bloß weil er nicht, wenn er der Torheit wehrte,
In mathematischer Ordnung blieb;
Und, wenn er eine Wahrheit lehrte,
Nicht Theoreme drüber schrieb.
Er sprach: Es mag die Welt bei deinen Tändeleien
Sich noch so pöbelhaft erfreuen!
Sei doch so gründlich als wie ich!
Freund, wenn du kannst, so demonstriere.
Was nützt der Wahrheit doch dein liebliches Geschmiere?
Wie seichte bist du gegen mich!

Der Dichter zeigt ihm ein Gedicht;
Er sieht ihn lächelnd an und spricht:
Du magst dich übern Wert von deinen Grübeleien
Auch noch so syllogistisch freuen!
Freund, wenn du kannst, so dicht' einmal wie ich!
Wag es, sechs Verse nur zu machen,
Worüber nicht selbst Kinder lachen.
Wie frostig bist du gegen mich!

*   *   *

So könnt' ich auch vom Edelmann erzählen,
Der einen großen Mann, den jeder hoch geschätzt,
Zum Pöbel mit hinabgesetzt,
Weil ihm die sechzehn Ahnen fehlen,
Die meistenteils, so hoch sein Stolz ihn hält,
So ritterlich wie er die Wissenschaften haßten,
Und die auf ihrem Dorf ihr Geld
Teils sammelten und teils verpraßten.

Jedoch beschrieb ich alle die,
Die, von sich selber voll, der andern Wert verlachen,
Was gilt's, so wollt' ich ohne Müh
Die eine Fabel nur zum dicken Buche machen.
Wer auf sein Nichts sich, gleich dem Pfaue bläht,
Der mag nur sein Gewissen fragen.
Statt dessen, welchen er verschmäht,
Kann dieses ihm darauf des Storches Antwort sagen.

Der Eichbaum und das Schilf

Ein Eichbaum, der zur Höh stets aufgerichtet blickte,
Sah, wie im Teiche sich das schwanke Schilf oft bückte,
Und sah es mit Verachtung an.
Wie leicht, sprach er, wie leicht bist du zu überwinden!
Der junge West, der schwächste von den Winden,
Der doch durch seinen Hauch kaum Bäche runzeln kann,
Demütigt dich nach seinem Eigensinn,
Und läuft oft über dich mit leichten Füßen hin.
Gleich ohne Widerstand dem Anfall nachzugeben,
Ist eine Niederträchtigkeit.
Es rüste wider mich der Nord sich auch zum Streit:
Ich will mit Unerschrockenheit
Dem starken Ringer widerstreben.

So höhnet er am Schilf voll stolzer Dreistigkeit
Die Klugheit, der Gewalt zu weichen.
Doch Weichen ist nicht allezeit
Furchtsame Niederträchtigkeit,
Und Widerstand ist nicht stets Tapferkeit;
Nicht selten ist er auch ein Zeichen
Tollkühner Unbesonnenheit.

Der Eichbaum lehret es; denn noch indem er sprach,
Schwang sich der Nordwind auf, der wild die Flur durchheulte,
Mit starken Fittichen die schwarzen Lüfte teilte
Und brausend auf den Eichbaum eilte.
Das Schilf, das vorhin schwieg, gibt jetzt bückend nach,
Und so entrinnt es dem Verderben.
Der Eichbaum, der getrotzt, muß sterben.
Der Nordwind naht sich, kämpft und siegt;
Der Eichbaum widersteht und liegt,
Ob seine Wurzeln gleich bis an den Abgrund reichen.

Jetzt spricht das Schilf, das sich aus Klugheit nur geschmiegt:
Oh, hättest du gewußt zu weichen!

Kaiser Sigismund

Als Schmeichler sahn, daß Kaiser Sigismund,
Der recht die schwere Kunst, ein Fürst zu sein, verstund,
Nicht seine Feinde bloß verschonte,
Nein, ihren Haß mit Wohl tun gar belohnte,
War ihrer Einsicht dies zu schwer.
Den Feinden wohlzutun! O wären sie wie er,
Sie wollten sie gar anders strafen.
Dies täten sie als bloße Grafen,
Geschweige als Kaiser nimmermehr.
Das glaub' ich ihnen wohl. Die Großmut übersteigt
Den Horizont der kleinen Seelen.
Zu dem so waren sie auch völlig überzeugt,
(Dergleichen Grundsatz wird an Höfen niemals fehlen,)
Ein Fürst sei dazu Fürst, nach Willkür zu befehlen,
Und, daß für eines Lust und leichtre Schwelgerei
Ein ganzes Volk geboren sei.

Die Mißgunst öffnete den Mund:
Sie rieten tiefgebückt dem Kaiser Sigismund,
An den Verwegnen sich zu rächen,
Denn Wohl tun reize nur zu sträflichern Verbrechen.
Der Kaiser lacht und sprach: Räch ich mich nicht an ihnen?
Beschämet müssen sie jetzt ihren Haß bereun.
Sie werden sich's nicht mehr erkühnen
Und ihres Kaisers Feinde sein.
Jetzt achten sie mich hoch, so sehr ihr Herz sich wehrt.
Hätt ich getan, was ihr begehrt,
So hätt ihr Herz, durch meinen Haß empört,
Ein Recht erhalten, mich zu hassen.
Sollt ich den Vorteil ihnen lassen?

O wie beneidenswert ist nicht der Großmut Ruhm!
Aus ihm quillt größre Lust, als alle Rache schenket.
Ein Kaiser, der wie Sigmund denket,
Verdient gewiß sein Kaisertum.

Der Dieb und der Hund

Wer plötzlich anfängt zu verschenken,
Und sonst doch nicht im Ruf der seltnen Großmut steht,
Ist Toren angenehm, da er mit seinen Ränken
Doch niemals Kluge hintergeht.
Er will sie zu Gehilfen dingen,
Wohl zehnfach das Geschenk ihm wieder einzubringen,
Und sollt ihr Beistand auch darinnen nur bestehn,
Indes auf das Geschenk und nicht auf ihn zu sehn.

Ein schlauer Dieb sah einst sich einen Reichen aus
Und stieg zur Nachtzeit in sein Haus,
Weil er sich dies und das daraus zu holen dachte.
Trotz seines leichten Tritts erwachte
Des Hauses muntrer Hund und bellte.
Dem Diebe kam das Bellen ungelegen;
Er sucht ihn durch ein Brot zum Schweigen zu bewegen.
Wahr ist es, spricht der Hund, dies Brot riecht trefflich wohl,
Jedoch ich merke schon, es soll
Mich in der Eil zufrieden stellen.
Die Hand, die insgeheim uns Hunden etwas bietet,
Pflegt gern zu nehmen. Nein! Hier braucht es Wachsamkeit,
Und diese schnelle Mildigkeit
Bewegt mich, desto mehr zu bellen.