Die Katze, die alte und die junge Maus
Die Katze
Du allerliebstes kleines Tier!
Komm doch ein wenig her zu mir.
Ich bin dir gar zu gut.
Komm, daß ich dich nur küsse.
Die alte Maus
Ich rate dir's, Kind, gehe nicht!
Die Katze
So komm doch! Siehe, diese Nüsse
Sind alle dein, wenn ich dich einmal küsse.
Die junge Maus
O Mutter, höre doch, wie sie so freundlich spricht.
Ich geh' — —
Die alte Maus
Kind, gehe nicht!
Die Katze
Auch dieses Zuckerbrot und andre schöne Sachen
Geb' ich dir, wenn du kommst.
Die junge Maus
Was soll ich machen? O Mutter, laß mich gehn!
Die alte Maus
Kind, sag' ich, gehe nicht!
Die junge Maus
Was wird sie mir denn tun? Welch ehrliches Gesicht!
Die Katze
Komm, kleines Närrchen, komm!
Die junge Maus
Ach Mutter, hilf! Ach weh! Sie würgt mich. Ach, die
Garstige!
Die alte Maus
Nun ist's zu spät, da dich das Unglück schon betroffen
Wer sich nicht raten läßt, hat Hilfe nicht zu hoffen!
Die Päonie und die Rose
Die Päonie
O Rose! sprich einmal, ist nicht der Mensch ein Tor?
Mir, der Päonie, zieht er euch Rosen vor.
Wie groß, wie voll bin ich! Ich, ohne Dorn geboren,
Ich glüh' in meinem Purpur gleich Auroren;
Ich bin, und ich allein, des größten Gartens Zier.
Sprich, Rose, die du selbst mir stillen Beifall winkest,
Was tadelt denn der Mensch an mir?
Die Rose
Daß du so prahlst, und doch nur stinkest.
Der Frosch und der
Storch
Der Frosch
Nicht mich, o lieber Storch! Sieh jenen dicken Wanst!
Den friß, das ist ein fetter Bissen!
Der Storch
Verräter! wie? daß du entwischen kannst,
Willst du den andern elend wissen?
Allein du sollst mir nicht entfliehn:
Erst fress ich dich, dann fress ich ihn.
Der Schwan und die
Lerche
Der Schwan
Was fliegst du denn beständig über mir?
Die Lerche
Ich hörte gern einmal dich singen.
Der Schwan
Mich singen? Ei! was träumet dir?
Wer füllet dir den Kopf mit solchen Wunderdingen?
Nie sang ein Schwan.
Die Lerche
Im Ernst? so singt ihr Schwäne nicht?
Der Schwan
Nein, niemals.
Die Lerche
Aber doch am Ende eures Lebens?
Der Schwan
Auch dann nicht. Fleuch nur fort, und warte nicht vergebens.
Die Lerche
Allein, verzeih es mir, weil jedermann es spricht — —
Der Schwan
Was jedermann spricht Kind, das glaube darum nicht,
Sonst wirst du dich noch oft betrügen:
Es gibt auch allgemeine Lügen.
Die beiden Nachtigallen
An Montan
Die erste Nachtigall
Kein Wunder, wenn man dich beneidet,
O Freundin! Reichen Überfluß
An allem seh ich hier. Dein Haus ist prächtig, rein,
Mit grünen Teppichen bekleidet,
Und Ameiseier trägt man dir in Menge hinein,
Wenn ich sie mühsam suchen muß.
Du darfst nur essen, trinken, singen.
Die zweite Nachtigall
Wohlan, wenn dir mein Schicksal wohlgefällt,
So soll dir bald dein Wunsch gelingen:
Eröffne nur dies Haus, das mich gefangen hält,
Und tritt an meinen Platz; ich fliege gern von hier,
Und du kannst essen, trinken, singen.
Die erste Nachtigall
An deinen Platz? Nein, nein! ich danke dir.
* * *
Du rühmst der Fürstendiener Glück?
Du willst dich an den Hof begeben?
Besinne dich, Montan! und bleib zurück.
In Freiheit leben heißt erst leben.
Die Schafe und ihr Herr
Die Schafe
Du bist doch ungerecht! Uns Schafen, die wir dich
Mit unsrer Milch, mit unsern Kindern speisen,
Mit Wolle decken, willst du keinen Dank erweisen.
Fast durch das ganze Jahr geht es uns kümmerlich:
Wir selber müssen uns von fern die Nahrung holen;
Uns gibst du nichts, wir geben alles dir.
Und dies unnütze Tier,
Das deine Nachbarn oft, und oft dich selbst, bestohlen,
Der Hund, der nichts als bellt und schreit,
Genießt so viele Gütigkeit;
Du lässest Nahrung ihm von deinem Tische reichen.
Was ist dem Undank zu vergleichen?
Der Herr
Der Hund nützt mir und euch mehr, als ihr denkt;
Denn ohne seinen Schutz wärt ihr in euren Horden*
Schon längst der Wölfe Raub geworden.
Ihr selbst seid ungerecht, wenn euch sein Vorzug kränkt.
Mißgönnt dem Krieger nicht, ihr Bürger, Rang und Orden!
*Horden,
in der Bürgersprache mehrenteils Hürden: geflochtene Wände,
welche den Schafen auf dem Felde bei Nacht zur Sicherheit
dienen.
Der junge Bauer und
sein Vater
Der junge Bauer
In einem alten Buch, das ich beim Pastor fand,
Hab ich jüngsthin gelesen,
Daß ehemals eine Zeit gewesen,
Die man die goldne Zeit genannt.
Das Korn ist da von selbst hervor gekommen;
Die Fische sind im Teich gekocht umher geschwommen;
Die Bäche, heißt es, waren Wein,
Und in der Luft sah man gebratne Tauben fliegen.
O wäre noch die Zeit! Denkt Vater, welch Vergnügen,
In solcher Welt ein Mensch zu sein!
Der Vater
Ei ja! du würdest viel von allem diesem kriegen!
Wir wären da gewiß ein gut Teil schlechter dran.
Sprich, wenn der Junker selbst sein Feld bestellen könnte,
Ob er uns wohl ein Fleckchen Acker gönnte?
Jagd, Wiesen, Fischerei maßt er gewiß sich an.
Was bliebe denn für uns in solchen goldnen Zeiten?
Der junge Bauer
Nein, Vater! so müßt ihr's nicht deuten;
Das steht nicht in dem Buch. Das Buch sagt Euch:
Da war noch gar kein Herr, wir waren alle gleich.
Der Vater
Noch besser! alle gleich? Ei was für Zanken, Streiten
Und Morden möchte da nicht oft entstehn!
Wie oft nicht da Gewalt für Recht ergehn!
Nein! jetzt kann jeder doch, was er erwirbt, behalten;
Hat ruhig sein Stück Brot, das Arbeit ihn versüßt.
Drum geh mit deiner goldnen Zeit der Alten,
Und laß die Welt so, wie sie ist.
Der Hamster und der
Maulwurf
Der Hamster
Du Erdenwurm, so krieche doch
Einmal ans Licht aus deinem finstern Loch!
Komm mit mir auf die Flur spazieren;
Komm, und bewundre die Natur!
Der Maulwurf
Ei Possen! was kann die Natur mich rühren?
Es ist hier wohl so schön als dort auf deiner Flur.
Der Hamster
Ach komm nur, komm; wie steht zu meiner Freude
Auf fetten Äckern das Getreide!
Der Maulwurf
Was geht mich dein Getreide an?
Der Hamster
Wenn dich denn gar nichts reizen kann,
So komm doch nur der schönen Aussicht wegen.
Die Sonne gehet auf. Sanft spielt ein leichter Wind
Auf dem vergoldeten Teich. — Kann dich dies nicht bewegen?
Der Maulwurf
Die schöne Aussicht mich? — Du Tor! ich bin ja blind.
Der junge Bock, der Löwe,
der Büffel und der Wolf
Der junge Bock
Herr Löwe, mit dem großen Bart!
Sieh her, ich habe auch wohl einen,
Und Hörner noch dazu! Ich sollte meinen,
Daß die Natur an mir die Gaben nicht gespart.
Komm, laß uns unsre Kraft probieren!
Wohlan!
Der Löwe
Schweig, Närrchen!
Der junge Bock
Ha! willkommen du, von Stieren
Der trefflichste! Wie dich die stumpfen Hörner zieren!
Die starren Augen! ach, das runzliche Gesicht!
Du fürchtest doch vor mir dich nicht?
Wir wollen sehn! Heraus! ich stehe dir.
Der Büffel
Geh, dummes unverschämtes Tier!
Der junge Bock
Ho, ho! — Doch still, da kommt ja noch ein Krieger.
Wohin Herr Wolf? wo geht die Reise hin?
Du siehst, wie vertraut ich bin;
Allein wir Böcke sind von Jugend auf viel klüger
Als jedes andre Tier; das machet Bart und Horn.
Und kurz — ich bin zwar dein ergebner Knecht;
Doch, reizest du mich auch zum Zorn,
So wirst du übel aufgenommen.
Der Wolf
O schön! du kommst mir eben recht!
So eben hungert mich; du sollst mir nicht entkommen.
Stirb nur, trotz deinem Bart und Horn.
Die Gans und der Fuchs
Die Gans
Ja komm Fuchs, wir wollen Friede schließen!
Was nützt die Feindschaft mir und dir?
Ich muß mein Gras in steter Furcht genießen;
Und du wirst auch die Raubbegier
Gewiß einst mit dem Tode büßen.
Drum laß uns lieber Freunde sein!
Der Fuchs
Vortrefflich, kluge Gans! Ich geh den Antrag ein
Die Feindschaft bringt uns nicht Gewinn.
Wohlan! der Friede sei geschlossen!
Die Gans
Er sei, ich schwör's, auf ewig fest geschlossen!
Der Fuchs
Ja! — bis ich wieder hungrig bin.
Die beiden Maler
Der Eine
Mein Herr! zu allen diesen Stücken,
Die sie hier aufgestellt erblicken,
Hab ich nicht mehr gebraucht als nur drei Tage Zeit.
Ich bin nun einmal schon in dieser Fertigkeit;
Ein anderer wird das nicht wagen.
Der Andere
Das freilich nicht; ich will es gern gestehn.
Allein es ist, wenn sie es gleich nicht sagen,
Auch ihren Stücken anzusehn.
Der Kettenhund und
der Pudel
Der Kettenhund
Verwegner! wagst du dich an meine Knochen?
Kennst du den tapfern Phylax nicht,
Der manchem schon ein Bein zerbrochen.
Der Stier und Wolf besiegt, durch Räuberbanden bricht?
Willst du den Augenblick mir alles liegen lassen!
Fort! gehe deiner Straßen!
Entflieh, ich rate dir's!
Der Pudel
So komm und räche dich!
Dein Toben ist mir gar nicht fürchterlich.
Der Kettenhund
Wenn diese Kette nur nicht wäre,
Nichtswürdiger! — —
Der Pudel
Ja, wenn die Kette nur nicht wäre!
Der Fuhrmann und das
Wagenrad
Der Fuhrmann
Was knarrst und seufzest du denn immer?
Das Wagenrad
Ist das wohl fragenswert?
Bei solcher schweren Last soll ich nicht klagen?
Und bin so ausgedörrt!
Hilf meinem Mangel ab, so werd ich nichts mehr sagen.
|