Der Traum und der Arme
Der Traum
Du armer Alter dauerst mich;
Komm mit mir; ich beglücke dich:
Du sollst in einem Nu befreiet von Beschwerden,
Ja gar ein großer König werden.
Statt deiner Lumpen häng ich dir den Purpur um;
Zum Zepter werde deine Krücke!
Es stehe, berauscht von deinem Glücke,
Ein Schwarm Bewunderer um dich herum,
Die ehrfurchtsvoll nach dir die Blicke kehren!
Der Arme
Geh fort! Auf einen Augenblick —
Denn länger währt es doch nicht —verlange ich gar kein
Glück.
Der Traum
Wann pfleget länger wohl der Menschen Glück zu währen?
Der Arzt und der Kranke
Der Arzt
Nun? wie befindt man sich?
Der Kranke
Schlecht, mein Herr Doktor, schlecht:
Ich bin so matt, ich kann mich fast nicht rühren.
Der Arzt
Die Korsen werden triumphieren,
Wenn England ihnen hilft.
Der Kranke
Mein Schlaf ist auch nicht recht.
Der Arzt
Der alte Paoli ist doch ein Eisenfresser!
Der Kranke
Vorgestern war mir ungleich besser,
Als heute.
Der Arzt
Genua hat mehr mit ihm zu tun,
Als mit dem Theodor.
Der Kranke
Könnt' ich nur etwas ruhn,
Das würde mehr, als Arzenei, mich stärken.
Der Arzt
Noch eins! Es läßt sich England merken,
Daß es mit Portugal gemeinschaftliche Sache,
Den Spaniern zuwider, mache.
Der Kranke
Gut, mein Herr Doktor, gut!
Allein was sagen sie — — —
Der Arzt
Wer weiß, was Frankreich tut? — — —
Der Kranke
Allein was sagen sie zu meinem Fieber denn?
Der Arzt
Ach! damit hat's nicht Not. — — — Auch mit Subsidien
Kann Frankreich schon genug dem Spanischen Hofe dienen.
Der Kranke
Allein ich sehe nicht, was dies mir nützen soll.
Der Arzt
Nur guten Muts! was gilt's? es bessert sich mit Ihnen.
Doch meine Zeit ist kurz. Mein Herr, sie leben wohl!
Der junge Baum und
der Wind
Der junge Baum
Gemach, Herr Wind! gemach! — O weh!
Du siehst ja, daß ich allein hier steh'.
An Eichenwäldern mag dein wilder Zorn sich rächen!
Ich bin ein junger Baum; du wirst mich noch zerbrechen.
Der Wind
Ein junger Baum bist du?
Gut, lieber junger Baum!
Um desto mehr kannst du dich schmiegen.
Sieh dort die alten Bäume liegen!
Noch fass' ich dich nur kaum.
Nur fein Geduld! je mehr ich dich zerzausen werde,
Je fester wurzelst du dich in die Erde.
Der Esel,
die Schlange, die Nachteule,
die Feldmaus und die Sonne
Der Esel
O Sonne! scheine nicht so heiß!
Ich werde noch vor Mattigkeit und Schweiß
Bei meiner Arbeit unterliegen.
Die Schlange
Dank sei dem Zeus für seinen Sonnenschein!
Es liegt darin sich mit Vergnügen.
Die Nachteule
Du mußt wohl ausgelassen sein
Mit deinem mir verhaßten Lichte,
O Sonne! Schone mein Gesichte!
Ich sitze hier mit allem Fleiß verhüllt
In meiner Wohnung tiefsten Gründen,
Und doch hat sie dein Strahl erfüllt;
Ich werde noch erblinden.
Die Feldmaus
O sei mir lange so geneigt,
Wohltätiger Sonnenschein!
Es reifen meine Ähren.
Die Sonne
Schweigt, Unverständige, schweigt!
Ich werde mich an euch nicht kehren.
Der Vater und der
Freier
Der Vater
Sie wollen meine Tochter haben?
Ich bin zu redlich, sie zu hintergehn:
Mein Kind hat von Natur sehr schlechte Leibesgaben.
Der Freier
Sie scherzen! sie ist zum Entzücken schön.
Der Vater
Schön? ei! Sie haben sie wohl nie recht angesehn;
Sie ist verwachsen, bleich, und schon für sie zu alt.
Der Freier
Mir scheinet sie von blendender Gestalt,
Und höchstens zwanzig Jahr' würd' ich ihr zugestehen.
Der Vater
Auch ihr Verstand ist nur gemein.
Der Freier
Erlauben sie, den find' ich fein;
Sie hat viel Mutterwitz, ihr Kopf ist offen.
Der Vater
Selbst ihr Vermögen ist nur klein,
Und nichts, fast nichts hat sie zu hoffen.
Der Freier
Wie? nichts? und ist so dumm, verwachsen, widerlich?
Ihr Diener! ich empfehle mich.
Pythagoras und Chiron
Pythagoras
Ja, Chiron, dich nenn' ich wahrhaftig groß.
Chiron
Wieso?
Pythagoras
Unsterblichkeit war ehemals dein Los,
Ein Gut, wonach so viele tausend streben,
Wofür ich selbst in meinem Leben
Gern alles andre hingegeben;
Und du entsagtest selbst dem unschätzbaren Glück
Des Götterstandes — große Seele!
Chiron
Pythagoras, weißt du mein Schicksal nicht?*
Nun so verdienst du auch, daß ich es dir verhehle.
Doch sei's — Aufrichtig zu gestehen,
Nicht Großmut — Kleinmut war's, die mich dazu gebracht,
Um meinen Tod die Götter anzuflehen.
Der Schmerz, den ich in meinem Beine fühlte,
Als mich der Hyder Gift durchwühlte,
Der Schmerz hat mich verzweiflungsvoll gemacht.
Glaube mir, ohne diese Qual hätt' ich wie du gedacht.
Anmerkungen des Hrsg.:
*Der
Centaur Chiron hatte das Unglück, von einem Pfeile, den
Herkules
unvorsichtigerweise fallen ließ, am Fuße verwundet zu
werden.
Der Pfeil war in das Blut der Lernäischen Hyder getaucht,
und verursachte
daher dem Chiron nicht allein den
entsetzlichsten Schmerz, sondern die
Wunde konnte auch auf
keine Weise geheilt werden.
Hinzu kam, daß Chiron, als ein Sohn des Saturnus,
unsterblich geboren
worden war, und also seinen Schmerz
immer und ewig empfunden haben
würde.
Er flehte also die Götter an, ihm das Geschenk der
Unsterblichkeit
wieder zu nehmen, welches denn auch
geschah.
Chiron starb, und fand im Tode das Ende seines
Schmerzes.
* * *
Ovid in den Verwandlungen (Buch II. Fab. 10.) läßt
die Tochter des
Chiron, Ocyroes, also weissagen:
Jetzt bist du, geliebter Vater, unsterblich, auf immer
Bist du zu leben geboren. Doch wirst du sterben zu können
Sehnlich wünschen, wenn einst das Gift der grausamen
Schlange,
In den verwundeten Leib sich schleichend, mit fressenden
Schmerzen
Dich zerfoltert. Dann machen die Götter dich Ewigen
sterblich,
Und die Parze zerreißt dir voll Mitleid den Faden des
Lebens.
Die Raupe und der
Regenwurm
Die Raupe
Wie schön ist doch die Welt für mich gebauet!
So weit mein scharfes Auge schauet,
Bewundert es, geschaffen mir zum Glück,
Der großen Götter Meisterstück.
Für mich macht dieses warme Wetter
Die Sonne, die so hell vom Himmel auf mich scheint;
Denn Kälte, weiß sie, ist mein Feind.
Für mich trägt dieser Baum so weiche süße Blätter;
Denn wer genießt sie sonst als ich?
Auch Blumen zeugte die Natur für mich;
Denn wenn ich einst verwandelt werde,
Und mich vergöttert von der Erde
Erhebe, trink' ich ihren Nektarsaft.
Ja, weil die dunkle Nacht mir kein Vergnügen schafft,
So geht die Sonne nie zur Ruh,
Sie schicke mir denn erst die glänzende Laterne,
Den Mond, und tausend blanke Sterne,
Wenn niemand wacht als ich, zu meinem Dienste zu.
Sprich, Regenwürmchen, sind wir Raupen nicht beglückt?
Der Regenwurm
Und Regenwürmer sind wohl nichts, erhabne Made,
Als Ungeziefer? nicht? Es ist um dich doch schade!
Du hättest dich zum Menschen gut geschickt.
Der Trunkene und
der Nüchterne
Der Trunkene
Lieber Bruder, halt! du bist betrunken!
Der Nüchterne
Betrunken? — ja! wenn man's vom Wasser werden kann.
Der Trunkene
Ha! ha! man seh' doch einmal an!
Du taumelst gar. Bald wärst du hingesunken.
Ich hielt dich noch — He! he! was tanzest du herum?
So steh doch!
Der Nüchterne
Ich? — dein Kopf geht mit dir um.
Ich rühre mich nicht von der Stätte.
Der Trunkene
Wenn ich dich nur zu Hause hätte!
Ach, ach! der böse Wein!
Wie kann er nicht den besten Kopf verwüsten!
Der Nüchterne
Bei meiner Treu! du predigst fein,
Lebendiges Bild von unsern Moralisten!
Der Acker und der
Landmann
Der Acker
Durchpflügst du doch schon wieder mir den Rücken?
Geh, Undankbarer! nimmermehr
Will ich dich wieder so beglücken.
Dies Unrecht kränkt mich gar zu sehr.
Der Landmann
Wie? weil ich hier den Schatz gefunden habe,
Darum verlangst du Dank von mir?
Das wundert mich! Er war des Glückes Gabe;
Dem dankt' ich auch schon längst dafür.
Wenn dies nicht mir gewinket, ihn zu heben,
Du hättest ihn Jedwedem hingegeben.
Der
afrikanische und der indische Löwe
Der afrikanische Löwe
Wie? Niederträchtiger, du schimpfest dein Geschlecht?
Und Hunden gleich bist du der Menschen Knecht?
Ein Löwe ein Sklave? welche Schande!
Der indische Löwe
Wie aber, wenn man muß?
Der afrikanische Löwe
Zerreiße kühn die Bande:
Der indische Löwe
Doch wenn Gewohnheit sie erträglicher gemacht?
Der afrikanische Löwe
So stirb mit Schimpf besiegt als Sklave auf der Jagd!
Die beiden Affen
Der Eine
Was machst du da? Wie? auf dem Kopf zu stehen!
Bist du nicht recht gescheit?
Der Andere
Herr Bruder, nur gemach!
Wir müssen endlich doch dem alten Schimpf entgehen,
Als ahmten wir nur immer nach.
So wollen wir in Zukunft immer gehen;
Und dann sag' einer noch einmal,
Ein Affe sei nicht auch Original!*
Anmerkung des Hrsg.:
*Diese
Fabel bestraft einige witzige Köpfe zur Zeit des Dichters,
die sich
so weit von der Vollkommenheit entfernt hatten, welche man
in den
besten Werken der alten und neuen Meister findet, daß sie
das Bestreben
nach dieser Vollkommenheit als eine
Nachahmungssucht verspotteten.
Sie selbst wollten Originale heißen.
Sie waren es auch in der Tat auf mehr als eine Weise; wenn
man anders
diesen Namen den offenbaren Nachahmern der Fehler
großer Leute
zugestehen kann. Diese Ehrgeizigen bedachten
nicht, daß das wahre Schöne
seine Grenzen hat, und daß sein
Gebiet nicht so weitläufig sein kann,
als zu beiden Seiten
die Abwege sind, die bis ins Unendliche gehen.
Charon und Erast
Charon
Willkommen in der Schattenwelt,
Du albernster verliebter Toren!
Wie? weil ein Marmorbild dem jungen Geck gefällt,
Glaubt er, verzweiflungsvoll,
Daß ohne dies, des Lebens Lust und Reiz verloren?
Das heiße ich töricht — was? das heiß ich rasend toll!
Erast
O Charon, wären dir die Menschen nur bekannt,
Du eifertest gewiß nicht so dawider:
Ich habe noch sehr viele Brüder.
Charon
Ja, die in blinder Lieb' entbrannt
Statuen sich zu Gegenständen wählen.
Das weiß ich. Aber doch ist keiner leicht so dumm,
Und bringet bei vergebnem Quälen,
Wie du, sich ihrentwegen um.*
Anmerkung des Hrsg.:
*Claudius
Aelianus
in seinen mannigfaltigen Geschichten
(Buch IX. Kap. 39.) erzählt:
Ein junger Mensch aus einer vornehmen Familie in Athen habe
sich aufs
heftigste in eine Bildsäule der Glücksgöttin,
welche neben dem
Prytaneum
stand, verliebt. Er umarmte und küßte die Bildsäule,
und
seine Leidenschaft artete dergestalt in Unsinn aus, daß er
zum
Senate lief,
und denselben beschwor, ihm die Statue zu verkaufen,
sie
möge auch
kosten, was sie wolle.
Als er aber den Senat nicht bewegen
konnte, ihm sein Gesuch zu bewilligen, schmückte er das Bild
mit Bändern und Kränzen, brachte demselben Opfer,
behing es
mit den größten Kostbarkeiten, und brachte sich endlich bei
demselben unter vielem Wehklagen ums Leben.
Der junge
Dichter und der Maler
Der junge Dichter
Wen stellt dies Bildnis dar, mein Herr?
Der Maler
Den Tartar-Chan.
Der junge Dichter
Und dieses?
Der Maler
Ist der Großsultan.
Der junge Dichter
Und jenes dort?
Der Maler
Das ist ein Fürst der Irokesen.
Der junge Dichter
Und wonach haben sie die Herren denn gemacht?
Sind sie auf Reisen je gewesen?
Der Maler
Das täte Not! ich hätte bald gelacht!
Hab' ich denn nicht Beschreibungen gelesen? —
Wenn ein unbärtiger Poet,
Der in dem Buch der Welt kaum anfängt zu studieren,
Mit dreister Faust ans Drama geht,
Um Denkungsart und Sitten zu polieren,
Wovon er doch so viel als nichts versteht,
So ist's auch mir erlaubt, in kühn erlog'nen Bildern
Das, was ich nie gesehn, zu schildern.
Momus und Amor
Momus
Du bist ein sehr geschickter Schütze,
Kupido, das ist einmal wahr.
So treffen nicht des großen Donnrers Blitze,
Des Phöbus Bogen bringt weit weniger Gefahr,
Als deine unbesiegten Pfeile.
Kein Gott, kein Held kann dir entfliehn.
Amor
Ja, groß ist Amor! groß! Wer schützet gegen ihn
Die Herzen wohl, daß sie nicht sein Geschoß ereile?
Momus
Nichts schützet sie, allmächtig'es Kind! —
Doch eines wünscht' ich noch zu wissen:
Da Zeus, Neptun und Mars, und wer sie alle sind,
Vor deinem Köcher zittern müssen,
Wie kommt es, daß dein Pfeil die Pallas doch verschont?
Amor
Die Pallas? — Weil's der Mühe nicht verlohnt,
Nach ihrer kalten Brust zu zielen.
Sie ist zu klug, sie tauget nicht zum Spielen.
Die
Wassermaus und der Frosch im Nil*
Die Wassermaus
Was schleppst du dich denn mit dem langen Rohr?
Der Frosch
Merkst du es nicht, einfält'ger Tor?
Durch diese List soll mir's gelingen,
Daß mich die Wasserschlange nicht ertappt.
Denn, wenn sie zehnmal nach mir schnappt,
So ist das Rohr zu lang; sie kann mich nicht verschlingen.
Die Wassermaus
Doch wenn die Schlange dich von hinten nun ertappt,
Wie da? was wird dir dann dein Rohr für Hilfe bringen?
Anmerkung des Hrsg.:
*Eine
gewisse Gattung ägyptischer Frösche verdient, ihrer Klugheit
wegen, vor allen übrigen einen großen Vorzug; denn wenn ein
solcher Frosch einer Wasserschlange, dergleichen es im Nil
gibt,
zu nahe kommt, so beißt er ein Stück Rohr ab, nimmt
dasselbe in der
Quer ins Maul,
und hält es, ohne nachzulassen, so fest, als er kann.
Nun kann ihn die Schlange nicht zugleich mit dem Rohre
verschlucken,
da sie ihren Schlund nicht so weit zu öffnen vermag, als das
Rohr lang
ist.
Auf solche Weise sind diese Frösche den weit
stärkeren Schlangen durch
ihre Klugheit dennoch überlegen.
Siehe Claudius Aelianus mannigfaltige Geschichten, Buch
I. Kap. 3.
Die junge
Tanne und der Ahornbaum
Die junge Tanne
Bist du der Baum, den Xerxes so verehrt,
Den er mit Gold und Purpur schmückte?*
Der Ahornbaum
Der bin ich! hast du auch davon gehört?
Die junge Tanne
Ich weiß doch nicht,was ihn so sehr an dir entzückte:
Du bist ein Baum, wie alle Bäume sind.
Der Ahornbaum
Schon recht! Allein die Lieb' ist blind.
Ich nenn' es freilich lächerlich,
An einem Baum Wohltaten auszuüben;
Doch war's noch besser mich,
Als einen Bösewicht, zu lieben.
Anmerkung des Hrsg.:
*Als
Xerxes einstens auf seinem Zuge durch Lydien einen hohen
Ahornbaum erblickte, verweilte er sich ohne Not einen ganzen
Tag bei demselben,
und schlug in der Wüste, wo der Baum
stand, sein Lager auf.
Ja er behing ihn mit vielen
Kostbarkeiten, und zierte seine Zweige mit
Halsketten und
Armbändern. Auch ließ er, als er mit seinem Heere
wieder aufbrach, jemanden zurück, der für den Baum Sorge
tragen,
und demselben, gleichsam als seiner Geliebten,
zum Schutz
und zur
Wache
dienen sollte.
Siehe Claudius Aelianus mannigfaltige Geschichten, Buch
II. Kap. 14.
14.
Die alte und die
junge Ziege
Die alte Ziege
Den Erbfeind unsres Volks hab' ich dir jüngst gezeigt;
Nun muß ich dir noch dieses sagen,
Auch von dem Menschen hast du manches zu ertragen.
Die junge Ziege
Vom Menschen? wie? der ist uns ja geneigt.
Die alte Ziege
Um desto ärger ist's, mein Kind.
Je güt'ger gegen dich die Menschen sind,
Je schädlicher ist auch das Gift von ihnen.
Die junge Ziege
Was kann an ihnen denn so giftig sein?
Die alte Ziege
Ihr Mund;
Der ist uns äußerst ungesund.
Drum laß dir dies zur Warnung dienen.
Plato und Kallikrates
Plato
Bist du der Künstler, Freund, der groß im Kleinen war?*
Beim Zeus! dein Fleiß ist sonderbar:
Zwei Verse auf ein Sesamkorn**
zu schreiben —
Und zwar mit güldner Schrift — wird stets ein Wunder
bleiben.
Allein, so groß die Kunst, so groß die Müh' gewesen,
Was hast du wohl der Welt damit genutzt?
Kallikrates
Beinah' so viel als der, der voller Tiefsinn sitzt,
Um einst noch denen, die ihn lesen,
Den Kopf mit unbrauchbaren Grillen
Und wicht'gen Possen anzufüllen,
Und kurz — so viel, als Leute eurer Art
Von philosoph'schem Stolz und philosoph'schen Bart.
Anmerkung des Hrsg.:
*Kallikrates
aus Lacedämon schrieb einst mit güldenen Buchstaben ein
Distichon auf ein Sesamkorn.
Siehe Claudius Aelianus mannigfaltige Geschichten, Buch
I. Kap. 17.
**Das
Sesamkraut ist eine Hülsenfrucht, die in Ägypten wächst.
Die Körner desselben gehörten ehemals zu dem Gewürze.
Noch wunderbarer ist es übrigens, wenn Plutarch in seiner
Schrift gegen
die Stoiker versichert: der genannte Künstler
habe einige Verse des
Homer dergestalt auf ein Sesamkorn zu schnitzen gewußt,
daß
die Buchstaben erhaben standen.
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