Fabelverzeichnis
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Johann Heinrich Merck

11. April 1741 in Darmstadt
27. Juni 1791 ebenda

Er war ein deutscher Herausgeber, Redakteur und Verfasser von Rezensionen, Essays und Erzählprosa.



Quelle der Fabeln:

Johann Heinrich Merck/Briefe an Johann Heinrich Merck
Darmstadt 1835/Verlag von Johann Philipp Diel


 

Fabeln
 

Der Springbrunnen und der Bach
Michel Angelo
Der Hund, das Pferd und der Stier
Die Vergötterung des Herkules
Das Kindertribunal
Der Advokat auf dem Todbette
Die vier Feen
Die Versammlung der Tiere
Der kranke Löwe
Xerxes
Der Jüngling und der Greis
Die Fichte und die Eiche
Der weiße Pfau
Der Adler und die Taube
Der Dornstrauch
Die vier Kaufleute
Promethus und Jupiter
Merkur und Amor

Der Springbrunnen und der Bach

Der Springbrunn sah den Bach in tiefen Ufern schleichen.
"So schnell?" rief er ihm spöttisch nach.
"Wohin inkognito?" Bescheiden sprach der Bach:
"Ich such' die Mühle zu erreichen.
Denn sonst gerät das Dorf in Not.
Die Bauern haben schon acht Tage lang kein Brot."
"Der Springbrunn rief mit stolzen Mienen:
"Du hast ein gutes Herz, den Pöbel zu bedienen.
Recht patriotisch ist dein Lauf,
Du nützest deinem Vaterlande.
Allein wer gibt wohl Acht darauf?
Betrachte mich in meinem Stande;
Mich, reist der Fremde, zu besehn;
Stets sieht man mich mit neuer Freude,
Stets findet man mich göttlich schön.
Ich bin die Lust der Stadt, des Hofes Augenweide."
"Freund," sprach der Bach, entfernt vom Neide:
"Nie wählt' ich deinen Stand, so blendend er auch ist.
So sehr er jetzt das Aug' der Großen auf sich ziehet,
So weiß man, wenn man dich verwegen steigen siehet,
Doch längst vorher, wie tief du erst gefallen bist."

Michel Angelo

Einst malet Angelo, das Wunder seiner Zeiten,
Das Weltgericht, des Himmels offne Freuden
Und auch der Hölle offne Qual,
Und in die Hölle setzt er, nebst Prälaten
Und vielen bischöflichen Gnaden,
Auch einen großen Kardinal.
Und, ungelobt und unbezahlt,
Ist das Porträt daran so trefflich ausgemalt,
Daß jeder, der ihn sah und kannte,
Ihn gleich bei seinem Namen nannte.
Der Kardinal erfährt's. O, wüsst' er's niemals nicht!
Wie wird's dem armen Künstler gehen?
Der Kardinal will das Gemälde sehen.
Er kommt und sieht und spricht:
"Wie sehr bewundre ich die wahre Meisterhand,
Da mich doch Angelo von weitem nur gekannt!
Wie groß ist nicht des Künstlers Gabe,
Er trifft mich, da ich ihm doch nie gesessen habe!"
Bewundernd sieht er es noch einmal an,
Dankt ihm und geht. Der große Mann!

O welche Fabel aus der goldnen Zeit!
Ein Priester ist beleidigt und verzeiht!

Der Hund, das Pferd und der Stier

Der Hund, das Pferd, der Stier erschienen
Einst vor dem Zeus mit unzufriednen Mienen.
"Was fehlt euch?" sprach der Gott zu ihnen.
"Uns fehlet die Zufriedenheit.
Dein Allmachtswort schuf uns zum Glücke,
Allein, o großer Zeus, wie weit
Sind wir von diesem Zweck zurücke."

"Ich habe," sprach der Hund, "bei Tag und Nacht
Das Haus von meinem Herrn getreu bewacht,
Ich half ihn zweimal von dem Tod erretten.
Was hilft es, daß ich meine Pflicht getan?
Zum Lohne legt er mich an Ketten." -
"Ich gebe dir," fing Zeus gelassen an,
"Dein Schicksal ruhig zu ertragen,
Die Liebe gegen deinen Herrn.
Ich weiß, du trägst die Fesseln gern,
Und künftig wirst du nicht mehr klagen."

"Ich habe," sprach der Hengst, in meinen jungen Tagen
So gar viel eben nicht zu klagen.
"Mein Reiter hält mich, wie sein eignes Kind.
Allein, man weiß doch, wie die Menschen sind!
Jetzt dien' ich ihm nur zum Vergnügen.
Jedoch wie bald fällt's ihm nicht ein,
Und er gebraucht mich gar zum Pflügen.
Wer kann mir dafür Bürge sein?" -
"Ich," fiel der Gott ihm ein,
Du bist das edelste, das schönste meiner Werke
Und solltest unzufrieden sein?
Dir geb' ich das Bewußtsein deiner Stärke.
Will dir dein Reiter überlästig sein,
Was hindert dich, ihn los zu werden?"

Jetzt nahte sich der Stier mit finsteren Gebärden,
"Ich bin das traurigste Geschöpf auf Erden,
Das du, o Zeus, gesehen hast.
Ich trag' des Tages Hitz' und Last,
Und laß mir's herzlich sauer werden.
Allein je mehr ich meine Pflichten tu,
Um desto mehr traut man mir zu.
Am Ende muß ich unterliegen." -
"Nein," sprach der Gott, "ich denk' an dein Vergnügen
Und lindere den Unmut, der dir dräut.
Dich sollen künftig keine Sorgen plagen.
Ich gebe dir, dein Joch geduldig zu ertragen,
Den Stumpfsinn und die Langsamkeit."

Die Vergötterung des Herkules

Die Göttin des Gerüchts flog freudig von der Erde,
Beladen mit Alcides Ruhm,
Und sie verkündet ihn mit lächelnder Gebärde
Im hohen Heiligtum.
Erstaunt hört der Olymp des Helden Werke,
Die Größe seines Muts, die Wunder seiner Stärke,
Die selbst der Natur gebeut.

"Dort," sprach sie, "stürzt sein Arm das Laster von dem Throne,
Dort würgt er in der dürren Zone
Das Ungeheuer, das der Nachwelt dräut,
Und dort bevölkert er das Land, das er befreit."

Der Vater Zeus hört lange mit Entzücken
Des Helden Lob aus einer Göttin Mund,
Und jetzt tat er mit mächt'gen Blicken
Den Göttern seinen Willen kund.
"Die Tugend," sprach er, "kehrt seit Ewigkeiten
Nicht unbelohnt von meinem Thron zurück,
Und diesen Held krön' ich mit ew'gen Freuden,
Er sei ein Gott, und er verdient das Glück!"
Vulkan, Neptun, Mars und Cythere
Verlassen ihre sel'ge Ruh'
Und jauchzen durch des Himmels weite Sphäre
Dem neuen Gott als ihrem Bruder zu.

Jedoch mit Eifersucht im Busen
Erscheinen Phöbus und die Musen
Und Pallas vor des Jovis Thron.
Apollo führt das Wort, den Helden anzuklagen:
"So gibst du dem die Ewigkeit zum Lohn,
Weil er ein wildes Tier erschlagen?
Erleuchtet sein Geschmack den menschlichen Verstand?
Lehrt er die Sterblichen des Lasters Wege fliehn?
Erklingt das Saitenspiel, beseelt von seiner Hand?
Rührt er das zarte Herz mit heil'gen Melodien?"
"O nein," sprach Jupiter betrübt,
"Nie ist von seiner Hand das Saitenspiel erklungen,
Die Tugend hat er nie besungen,
Er hat sie aber ausgeübt!"

Das Kindertribunal

Ganz nahe bei den Patagonen
Befindet sich ein sonderbares Land,
Wo sehr vernünftige Menschen wohnen,
Die Gulliver selbst nicht gekannt.
Von Kindern wird das Regiment geführet,
Und Kinder sitzen im Gericht,
Und glücklich wird das Volk regieret.
"Und glücklich?" — Ja, warum denn nicht?
Beweist erst, daß der Staat verlieret,
Wenn nicht die Richter mündig sind.
Man sagt ja, die Gerechtigkeit ist blind.
Was hindert's denn, daß dort die Kinder statt der Alten
Gerechtigkeit und Recht verwalten?
Und sind's gar Kinder von gewissem Stand,
So geht es, wie bei uns zu Land.
Denn hat sie Gott einmal zum Amt ernannt,
So gibt er ihnen auch zum Amte den Verstand.

Jetzt wird der Arzt der Stadt gefangen eingebracht.
Man weiß nicht, welcher schreckliche Verdacht
Die Herrn des Rats zu diesem Schritt gebracht.
Die Sache wird geheimnisvoll traktieret.
Aus Vorsicht wird der Delinquent
Bei Nachtzeit nur zu dem Verhör geführet.
Der Magistrat, der die Verehrung kennt,
Worin er bei der Stadt gestanden,
Befürchtete, das Volk brach' in's Gefängnis ein,
Und riß ihn mit Gewalt aus seinen Banden.
Drum schloß man ihn noch fester ein.
Doch endlich wird sein Urteil publiziert,
Und seht, der Mann ward jetzt nach der Gesetze Strenge
Des Hochverrates überführt.
Es hatten gegen ihn in Menge
Die Zuckerbäcker ausgesagt:
Es habe der Verbrecher sich gewagt,
Und öffentlich, in Schriften und in Worten,
Pasteten, Marzipan und Torten
Als höchst gefährlich ausgeschrieen.
Was sucht der Mann mit seinen Neuerungen?
Man sieht, er trachtet nur nach Staatsveränderungen
Und will dem Magistrat den Unterhalt entziehn:
Denn sollen einst, nach seinen Forderungen,
Die Zuckerbäcker untergehn,
Wie will die Form des Staats bestehn?

Das Kindertribunal, das hier den Arzt verdammt,
Wem gleicht es wohl? Uns insgesamt,
Wenn wir mit unsern Pflichten rechten,
Und gegen die Vernunft die Leidenschaft verfechten.

Der Advokat auf dem Todbette

Ein armer, kranker Advokat,
Für dessen Leben man auf allen Kanzeln bat,
Gedachte, wie ein Christ, sein Haus jetzt zu bestellen.
Man weiß nicht in dergleichen Fällen,
Wie bald, wie schnell der Herr gebeut.
Der kranke Mann verlieret keine Zeit;
Er läßt sich Tint' und Feder reichen.
"Hier," spricht er, "um die Welt zu überzeugen,
Wie ich gewissenhaft gedacht:
So hab' ich, was ich hier auf dieser Welt besessen,
Durch dies mein Testament dem Tollhaus zugedacht."
Der Priester fragt: Warum er Kirch' und Schul' vergessen?
"Herr," spricht er mit gebrochnem Blick,
Ich zahle meine Schuld und keine milde Gabe.
Drum geb' ich's denen auch zurück,
Von denen ich's empfangen habe."

Die vier Feen

Es ließen einstens sich vier Feen,
Der Götter Ratschluß zu erfüllen,
Um eines jungen Prinzen willen,
Beladen mit Geschenken sehn.
Er soll entscheiden, wer von ihnen
Durch ihre Macht der Zauberei
Dem menschlichen Geschlecht zu dienen,
Am meisten unentbehrlich sei.

Sie finden ihren Richter bald,
Und zeigen sich vor ihm in herrlicher Gestalt.
Der Menschen Wunsch in bunten Freuden,
Was nur der Schöpfung Reich Vollkommenes besitzt,
(So sprachen sie) das Alles wird sich jetzt,
O Prinz, vor deinem Aug' verbreiten.
Es werden dir die Güter dieser Welt
In ihrer Pracht und Schönheit dargestellt;
Du darfst sie prüfen und genießen,
Doch Eins nur darfst du dir erkiesen.

Die erste sprach: "Kraft meiner Charaktere
Ist dir der Jugend Reiz, der Gürtel der Cythere
Und die Gestalt Apolls verliehn."

Die andre sprach: "Nimm hin!
Der Mut in den Gefahren,
Der Stolz der Tapferkeit
Zerschmettre deiner Feinde Scharen,
Und gebe dir den Sieg in jedem Streit!"
Sein junges Herz frohlockt. — Doch, ungetreue Freuden,
Wie schwer wird ihm die Wahl von beiden!

Die dritte sprach: "Um deine Wahl zu leiten,
Geb' ich dir durch dies Zauberband
Den schärfsten Witz, den glänzendsten Verstand. "

Er denket nach, vergleichet, überlegt.
Je weniger er glaubt, zu fehlen,
Je mehr er seine Schlüsse wägt,
Je schwerer wird es ihm zu wählen.

Die vierte spricht mit heitrem Blicke:
"Nimm, Prinz, zu deinem künft'gen Glücke
Die Mäßigung in deinen Wünschen hin.
Dies Los ist Wenigen verliehn."

Kaum hat er dies Geschenk empfangen,
So stirbt in seiner Brust die Sehnsucht, das Verlangen
Nach allem, was die Torheit preist.
"Wozu," spricht er, "ist mir die Schönheit nütze?
Wozu der unbeschränkte Geist?
Wozu des Welterobrers Blitze,
Wenn mitten in des Glückes Schoß
Mich nüchterne Begierden nagen?
Euch, Gütern dieser Welt, euch will ich gern entsagen:
Es sei die Mäßigung mein Los!
Mit ihr allein bin ich zufrieden.
Weg, Hoheit, die uns prächtig quält,
Ist ohne sie ein Glück hienieden?
Und mit ihr eines, das uns fehlt?"

Die Versammlung der Tiere

Es stellte Zeus den Löwen als Regenten
Des ganzen Reichs der Tiere dar.
Nur fand er, daß es nötig war,
Daß sie ihn selbst dafür erkennten.
Drum schrieb er einen Reichstag aus.
Es mußten hier die Großen, wie die Kleinen,
Vom Elephant bis auf die Maus,
Bei höchster Ungnade schnell erscheinen.
Es rief der Herold mächtig aus:
"Es zeige sich, wer gegen den Regenten
Und seine Wahl was einzuwenden
Und etwa zu erinnern hat."

Der erste war der Fuchs, der auf den Schauplatz trat;
Er sprach: "Der Ruhm von seinen tapfern Taten
Erfüllt das ganze Land anitzt;
Allein ich will es nicht verraten,
Ob er auch Klugheit und Verstand besitzt.
Und darf ich meine schlechte Meinung wagen.
So dächt' ich wohl, man kann nach seiner Pflicht
Bei einer Königswahl auf Alles, aber nicht
Auf den Verstand entsagen."

Jetzt zeigte sich der Hirsch und sprach:
"Ich dächte, meiner Meinung nach,
Kann es sehr häufig Fälle geben.
Wo zu dem Wohl des Staats, zumal in Kriegeszeit,
Der Fürst sich mit Behendigkeit
Von einem Ort zum andern muß begeben.
Nun weiß ich wirklich nicht,
Wann es die Not erfordern sollte,
Ob dies das schreckliche Gewicht
Von seinem Körper leiden wollte."

Der Hund stand auf mit finsterem Gesicht:
"Das Kleinod in der Krone des Regenten
Ist, meiner Meinung nach, die Wachsamkeit.
Sein Blick muß die Gefahr, wenn sie von ferne dräut,
Schon sehn und wissen abzuwenden.
Es kann der Geist, den Stolz und Mut beseelt,
Sehr oft in kühnem Angriff siegen;
Allein er kann, wenn ihm die Vorsicht fehlt,
Auch oft dem Schwächern unterliegen."

Noch mancher stand aus der Versammlung auf
Und zeigte deutlich aus der Dinge Lauf,
Er schicke nicht sich zum Regenten.
Der Esel selbst fand vieles einzuwenden,
Und glaubt, er sei kein nützlich Tier;
Und seiner Meinung war der Stier.
Kurz, sie gestanden, daß er manche Gaben
Und manche Tugenden vereint,
Nur die nicht, die ein jeder selbst zu haben
Und für sich zu besitzen, meint.

Der kranke Löwe

Der kranke Löwe empfing vor seiner Höhle
Den Kondolenzbesuch. Es kam das ganze Land
In Untertänigkeit gerannt.
Es fehlt vom Maulwurf bis zum Elephant
Nicht eine unvernünft'ge Seele.
Den Schmerz konnt' man in jedes Angesicht
Mit großen Lettern deutlich lesen.
Man fragt, ob ein Erhitzen nicht
An seiner Krankheit Schuld gewesen.
"Nein, sprach Herr Doktor Fuchs, so viel ich noch verspürt,
So hat der König sich zu heftig alteriert.
Sie haben gestern im Spazierengehen
Ein Feuer in der Fern' gesehen,
Und das kann sonder Alteration
Bei Ihro Majestät wohl nie geschehen."

"Sie fürchten sich, ich hört' es schon,
So rief ein junger Has; wenn uns die Hunde hetzen,
Und unsereiner nur, mit vollen Sätzen,
Sein Leben zu erretten wagt,
Wie nennen sie ihn da? — Verzagt.
Den aber, welcher auf zwei Meilen
Vorm Feuer läuft, das er erblickt,
Aus Furcht, es möcht' ihn übereilen,
Und vor dem Hahnenschrei erschrickt,
Den nennen sie in ihrer Sprache
Groß, tapfer, und ich weiß nicht was."

"Ja, ja," rief Doktor Fuchs: "Herr Has,
Sie haben Recht in Ihrer Klage,
Der Löwe scheut das Feuer, so wie den Hahnenschrei,
Er ist zuweilen schwach: allein so oft wir's lesen,
Fragt man: Wie, wo und wann er's sei?
Bei Ihnen aber fragt man frei,
Wie, wo und wann Sie's nicht gewesen?"

Hast du Verstand und nicht gemeine Gaben,
So ist die Welt auch wohl für deine Fehler blind,
Doch wirst du kein Verdienst zu deinem Fürspruch haben,
So hält man sie, für was sie sind.

Xerxes

Ein König, der aus Eitelkeit
Der Vorsicht weisen Plan verachtet
Und, so wie es sein Stolz gebeut,
Nur die Natur zu meistern trachtet,
Der ihrer Schönheit Harmonie
Nicht anders nützt, als sie zu stören,
Ich sage, dieser Fürst wird nie
Der Menschheit heil'ge Stimme hören.
Wer ganzer Länder Wohl in einen Schlamm versenkt,
Und mit der Völker Schweiß den Sand der Wüste tränkt,
Wird dieses Herz sich fremder Not erbarmen,
Leiht er dem Schrei'n der Waisen und der Armen
Ein aufmerksames Ohr?
Und zieht er aus der dürft'gen Höhle
Das schüchterne Verdienst hervor?
Nein, — dies heischt eine größ're Seele.
Er kennt das Glück der Freundschaft nicht,
Und nicht des Wohltuns süße Pflicht,
Denn Schätze hat er nur in Händen,
An Bösewichter zu verschwenden.
Sein Hass ist hart und trotzig, wie ein Kind,
Und seine Liebe gleicht dem Wind,
Man hört sein Sausen wohl, doch ohne daß man höret,
Woher er kommt, wohin er fähret.

Der trotzige Monarch, des schwache Rechte
Der Nationen Wohl gewägt,
Den Sturm gepeitscht, dem Meer, als seinem Knechte,
Die Fesseln angelegt
Und auf der Berge Höh'n der Ströme Lauf gelenket,
Der Gott, der einer Welt Gesetze gibt,
Der große Xerxes wird — ihr Könige bedenket —
In einen Baum verliebt!
Es fällt ihm einst auf seinen Zügen
Ein schöner Ahorn in's Gesicht.
Der Anblick hemmt den Lauf von seinen Siegen.
Das Heer, das sonst nichts unterbricht,
Muß hier in seinem Zug verweilen,
Und in dem heißen Mittagsstrahl
Muß sich ganz Asien in Völkern ohne Zahl
Um den geliebten Baum verteilen.
Sowie es sich für einen Liebling schickt,
Den des Monarchen Gunst beglückt,
Wird er, gleich einem Gott, mit Teppichen, mit Spangen
Und königlichem Schmuck behangen.
Doch wo ist der, der im Genuß der reinsten Freuden
Den Seufzer ihrer Eitelkeit erstickt?
Es muß der Weltmonarch von seinem Liebling scheiden.
Doch eh' das Heer aus seinem Lager rückt,
Wird einer seiner ersten Bassen
Dem Baum zur Wache da gelassen,
Mit dem ausdrücklichen Gebot,
Dem König, ohne zu verweilen,
Auch von der allerkleinsten Not,
Die diesem seinem Liebling droht,
Auf's schnellste Nachricht zu erteilen.

O, welch ein lehrreich Bild
Für große Sklaven kleiner Prinzen,
Wenn diesen Geißeln der Provinzen
Des Fürsten Gunst die Hände füllt!
Wie gerne würden wir sie ehren,
Wenn sie, wie dieser Baum, nur auch unschädlich wären!

Der Jüngling und der Greis

Ein Jüngling zog mit einem Greise
Auf seines Königes Geheiße
Einst in ein weit entferntes Land,
Das die Geschichte nicht genannt.
Sie waren treue Reisegefährten.
Ein jeder trug mit Lust des Andern Ungemach,
Und so empfanden sie nichts von Beschwerden.
Da wo dem Jüngling es an Mut gebrach,
Da halfen ihm des Alten Lehren,
Und kam ein unwegsamer Ort,
So trug der Jüngling, um die Reise nicht zu stören,
Den Greis auf seinen Schultern fort.

Schon mancher Tag war nun verstrichen,
Die Sonne war schon oft entwichen,
Doch ohne daß sie jemals sah'n
Das langgehoffte Land sich nahn.
Es hatten häufig schon die abgezehrten Glieder
Dem Greis sein Ende prophezeit.
Schon oftmals sank sein Haupt in's Gras danieder,
Gebeugt von Gram und Traurigkeit,
Indessen daß, voll mitleidsvollen Sorgen,
Sein junger Freund bei ihm gewacht,
Und mit Gefahr am frühsten Morgen.
Vom nächsten Fels den Trunk gebracht.

Jetzt standen sie auf einer Brücke.
Zwei Berge sah'n sie dort, obgleich mit schwachem Blicke,
Wodurch ein lustig Tal sich schlang.
"Wie?" sprach der Jüngling, "wirst du dich bequemen,
Den Weg durch jenen Berg zu nehmen?
Mir scheint er etwas schwer und lang.
Das Tal war' besser, sollt' ich denken,
Die Reise würde nicht so schwer.
Dann könnten wir uns seitwärts lenken,
Sobald es uns gefällig wär'." -
"Was? sprach der Greis in vollem Grimme
Ich richtete nach eines Jünglings Stimme
Wohl gar die ganze Reise ein?
Du willst, ich soll dein Jaherr sein?
Wir gehen durch den Berg; du wirst's nicht übel deuten." -
"Du tust mir Unrecht," fiel der Jüngling ein,
"Doch welcher ist der beste Weg von beiden?" -
"Das weiß ich nicht — Genug, wir gehn den Berg hinan." -
"Nun, wenn du es nicht weißt," fing drauf der Jüngling an,
"So gehe du den Berg, ich will das Tal mir wählen.
Weit besser ist's, daß Einer irrt,
Als daß wir beide fehlen." -
"Was?" sprach der Greis, "der wütend wird,
"Du willst die Wege besser kennen?
Doch eh' du sollst in dein Verderben rennen,
So finde lieber hier dein Grab!"
Und stürzt ihn in den Fluß hinab.

Ist's möglich? O der grausame Barbar!
Er ist's gewiß. Wenn er nicht gar
Ein römischer Bekehrer war.

Die Fichte und die Eiche

"So gottlos sein kannst du?"
So rief die Ficht' der Eiche zu,
"Du neigst dich niemals vor den Göttern,
Wenn sie in schweren Donnerwettern
Bei uns vorübergehn.
Ja, ja, ich werd's gewiß noch sehn,
Es wird durch ihre mächt'gen Heere
Dein stolzer Wipfel einst gebeugt."
Die Eiche sprach: "Mit Recht suchst du der Götter Ehre;
Doch hättest du dich denn geneigt,
Wenn nicht der Sturm gewesen wäre?"

Der weiße Pfau

Die eitle Gans sprach zu dem Huhn:
"Da, liebe Henne, siehe nun,
Wie Alles läuft, den weißen Pfauen
Jetzt mit Bewundrung anzuschauen.
Doch ich versichre dich,
Daß keine Seele von ihm red'te,
Wenn er den Gänsen nicht so glich
Und nicht die weißen Federn hätte."

Das Lob, das wir dem Freund erteilen,
Was ist's? Ein Lob für uns zuweilen.
Denn in Gedanken sprechen wir:
Er hat viel Ähnliches mit mir.

Der Adler und die Taube

Nach Speise flog der Adler aus
Und sah im sichern Taubenhaus
Die Täubin ihre Jungen brüten.
Er rief mit stolzem Angesicht:
"Gib, Blutvergießen zu verhüten,
Von deinen Jungen eins heraus.
Du siehst, ich bin mit wenigem zufrieden.
Drum mache bald und säume nicht,
Sonst wird mein Zorn nicht lange schlafen,
Den Ungehorsam zu bestrafen." -
"Ich," fing die Täubin herzhaft an,
"Ich soll dir eins von meinen Jungen geben,
Da ich sie dir versagen kann?
Nein, eher ließ ich selbst mein Leben!"

Gut, doch dem großen Zeus wirst du sie sicher geben;
Weißt du, daß ich sein Liebling bin?
Sein Donner wird nicht lang verziehn,
Um meine Rache zu vollstrecken." -
"O," rief die Täubin lachend aus:
"In diesem meinem sichern Haus
Wirst du mich nie gebietrisch schrecken.
Hier spott' ich über all dein Drohn.
Um deinen Magen anzufüllen
Bewaffnest du der Götter Willen!
O die bequeme Religion!"

Der Dornstrauch

Zum niedern Dornstrauch sprach die Weide:
"Was hat dir denn der Mensch getan?
Stets fällst du recht mit tück'scher Freude
Des armen Wandrers Kleider an.
Sag, wozu willst du sie gebrauchen?"
Der Dornstrauch sprach: "Ob sie was taugen,
Daran gedenk' ich nie.
Ich will sie auch zu nichts gebrauchen,
Nur, nur zerreißen will ich sie."

Die vier Kaufleute

In einer Stadt in Griechenland,
Die die Geschichte nicht genannt,
Sah man auf einem Markt bei vielen seltnen Waren
Auch vier Gewölbe aufgetan,
Wo alle Güter, die der Mensch nur wünschen kann,
Um bill'gen Preis zu haben waren.
Man traf hier Schönheit und Verstand zu Paaren
Und Würden und Geburt zu großen Haufen an.
Das Volk versammelt sich in Scharen,
Und bald sah man die Schönen dieser Stadt
Von einem Kram zum andern wandeln
Und lang besehn und noch weit länger handeln.

Der Krämer, der die Schönheit ausgeboten hat,
Sieht sich von jung und alt umrungen.
Die Ware wird ihm abgedrungen,
Und man verlangt noch etwas obendrein.
Dort soll es wie in unserm Lande sein:
Die alten Weiber wie die Jungen.
Die wollen gern für schön gehalten sein.
Hier feilscht man einen Zahn und dort ein falsches Haar
Und dort ein Kisschen, das höchst nötig war,
Um eine Hüfte zu ergänzen.
Der Jugend Reiz in Pulvern und Essenzen,
Der Wangen Rot, der Augen Glut
Wird hier, nachdem der Messpreis tut,
Den Käufern richtig dargewogen,
Und von der Wirkung, die ein jedes tut,
Wie sich's gebührt, gelogen. –

Da, wo man sich um die Geburt verglich,
Entstand ein merkliches Gedränge.
Die jungen Herren zeigten sich
Gar bald in einer großen Menge,
Und manches Bürgers dummer Sohn
Empfing für wichtige Dukaten
Ein Pergament mit einem Von. –

Auch jener hatte keinen Schaden
Mit seinem Amt- und Würdenkram;
Denn niemand ging vorbei, der nicht was nahm
Von Orden oder Exzellenzen
Und Tit'laturn mit langen Schwänzen. –

Nur jenen armen Mann,
Der den Verstand zu Markte brachte,
Sah jedermann mitleidig an
Und jeder, der vorbeiging lachte.
Er rufte sich bald tot:
"Ihr Herren, kauft, so habt ihr's in der Not."
Allein man schrie mit hellem Haufen:
"Was denkt der Tor von unsrer Stadt!
Der Pinsel will uns das verkaufen,
Was jeder überflüssig hat!"

Prometheus und Jupiter

Von seinem großen Werk ermüdet und verdrossen
Kehrt er zu des Jovis Thron Prometheus jetzt zurück.
Ihm rufet Zeus: "So ist der Schöpfung Werk beschlossen?
So steht der Mensch, dein Meisterstück?"
"Ja," rief Prometheus ihm zurück:
"Er lebt und schmeckt des Lebens Glück.
Sein Mut droht trotzenden Gefahren,
Umsonst versammeln sich bei Scharen
Die Pest, der Hunger und der Tod.
Nie wird es ihnen boshaft glücken,
Des Menschen Geist zu unterdrücken.
Nur eins ist seinem Wesen Not.
Er kann das Ungemach ertragen,
Nur nicht des Wohlstands Last in den beglückten Tagen.
Dies mußt du gnädig ihm verleihn."
"Nein," fiel der große Zeus ihm ein:
"Dies einzig und allein behalt ich mir in Händen.
Nie würd' ich es dem menschlichem Geschlecht
Als ein gemein Geschenk verschwenden.
Es sei ein unentheiligt Recht
Der Edlen, die schon längst im Weg der Tugend wandeln
Und unbemerkt und still nach ihren Pflichten handeln."

Merkur und Amor

Zu dem Merkur sprach einst der Gott der Liebe:
"Du bist der Gott der Krämer und der Diebe
Und der Beredsamkeit. Mein Freund,
Wie hast du alles das vereint?
In so verschiedenen Revieren
Mit Glück und Ehre zu regieren,
Dazu gehört Geschicklichkeit,
Dazu gehören seltne Gaben."
"Ja," sprach Merkur, "und sie zu haben
Braucht es Erfahrung, Müh' und Zeit.
Erst war ich nur der Handelsschaft zu dienen
Vom Vater Jupiter ernannt.
Die Diebe fand ich unter ihnen,
Und sie vertrauten mir ihr Land.
Doch erst von beiden Nationen
Lehrt' ich, dem Reich der Redner vorzustehn,
Die Kunst, die Wahrheit fein zu schonen
Und fein die Welt zu hintergehn."