Fabelverzeichnis
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Fabeln 4
 

Die Rose, die Rebe, der Distelkopf und...
Der Tropfen
Der alte Esel
Der Löwe auf der Jagd
Der Tiger
Das Schaf
Der Wolf und der Hund
Der alten Eule Hochzeit
Der Adler und der Uhu
Der Hamster und Hamstergräber
Der Weise und die Mücke
Der Tier-Adel
Die Milchfrau
An Geßner
Die Raupe und der Schmetterling
Die Eiche und der Kürbis
Der Adler Jupiters und eine Taube
Die Götter und die Bäume
Die Krähe und die Bachstelze
Die Spinne zu Sanssouci
Des Äsopus Katze
Ein Sperling und eine Taube
Jupiters Adler und Venus
Der schlafende Löwe
Der Kater und die kleinen Vögel
Der Elephant und die Maus

 

Die Rose, die Rebe, der Distelkopf und Jupiters Adler
Aus dem Französischen des Königs

Jedwedes Wesen war begabt mit Wissenschaft,
Damals, als die Welt die anerschaffne Kraft
Noch hatte; die Vernunft war, sagt man, eingesessen
Im Menschen und im Tier, in Pflanzen, die wir essen,
In allem Lebenden bis auf die Milbe! dumm
War noch kein Menschenkopf, noch keine Blume stumm!

O schöne, schöne Zeit! von welcher ist zu lesen
In einem schönen Buch: Ein Garten sei gewesen,
Und eine Rose, schön, wie's keine jetzt noch ist;
"Ach," hätte die gesagt zur Rebe: "du, du bist
Bei weitem nicht so schön, als ich bin; ich beklage
Dich arme Rebe! Du, das liegt am hellen Tage,
Bist ungeholfen Nichts! bist elend, jämmerlich;
Der Mensch macht Was aus dir, pflegt und beschneidet dich;
Du lägst, hälf' er dir nicht, zu deiner großen Schande,
Verworfen, schmutzig, kalt und kröchst vor uns im Sande!

Hingegen ich, mein Kind! ich bin so wunderschön,
Daß aller Augen sich an mir nicht müde sehn,
Ich Blumenkönigin, ich, so von Gott erschaffen,
Ich steh' in eigner Kraft, und, mitten unter Waffen!
Wenn eine junge Braut dem Mann, dem Bräutigam
In ihrer Ehrenzucht und jungfräulichen Scham
Gefallen will, dann muß, an Tafeln und in Tänzen,
Ich Blumenkönigin an ihrem Busen glänzen!"

"Nur einen kleinen Wert hast dennoch gegen mich
Du so Vergängliche!" sagt da die Rebe; "dich,
Kaum aufgebrochne, stößt, und alle deine Glieder,
Aus ihrem Sein in Nichts ein Hauch des Windes nieder;
Dein Leben ist so kurz, o Schwesterchen! man sieht
In einem Tage dich schön blühend und verblüht;
Die Schönheit steht bei dir, du streitest und du siegest!
Ja! wenn, so schön du bist, du schöne Früchte trügest,
Dann wärst du Was! Du wärst des Schöpfers bestes Kind,
Wärst schön — und nützlich auch, wie meine Trauben sind."


Ein dicker Distelkopf, ein Auswurf aus der Erde,
Hört an die Reden, spricht: "Ihr Schwätzer, schweigt! ich werde
Mit euch nicht streiten, ich, der Freimann, der gepflegt
Zu werden nicht bedarf, den jeder Boden trägt!
Ihr Sklaven! eure Frucht und eure Blüte dienet
Dem Menschen, der euch pflanzt; ihr wachset, blühet, grünet,
Weil ihr die Sklaven seid, die, keiner Freiheit hold,
Nur glänzen, ihr, im Dienst, wie Silber oder Gold!
Nach eurem Schimmerglück werd' ich gewiß nicht trachten,
Ihr Menschendiener ihr! euch kann ich nur verachten!"

"Schweig! o du Distelkopf, verwegner Lästrer, still!
Der muß vollkommen sein, der alles tadeln will!"
Rief aus der hellen Luft ein Adler, der vom Throne,
Des hohen Jupiters geflogen kam; "o schone
Der Worte, Lästrer, du! o du, der frei nicht ist,
Du Sklave, der du nur des Esels Speise bist! —
Ich lehre — kaum bist du der Lehre würdig — höre,
Du Rose! Rebe du! nur euch geb' ich die Lehre:


"Der Schöpfer, der uns schuf, gab jeglichem sein Teil,
Zu helfen überall zum allgemeinen Heil!
Und alles, was er will, kann er Geschöpfen geben,
Geruch und süßen Saft den Rosen und den Reben!
In jeder Eigenschaft strahlt seine Güte weit
In seinem Reich, und ihm blieb die Vollkommenheit!"

Der Tropfen
An — — —

O Freundin, die du weiser,
Als Sokrates und Solon,
Dich selbst erkennst, wir hörten
Dich, o du Weise, sagen:
Was bin ich in den Wirbeln
Der Sonnen? Was im Raume
Der Himmel? — hör', o höre,
Was neulich eine Muse
Mir sang, es dir zu singen!
Sie sang: Ein klarer Tropfen
Fiel hoch aus einer Wolke
Tief in das Meer, und sah
Neptuns Reich, und sagte:
Was bin ich hier im Brausen
Der Wasserwogen? Götter!
Ein Nichts bin ich, ein Tropfen!

Schnell aber schwamm hinüber
Zu dem bescheidnen Tropfen,
Bescheidner eine Muschel,
Und trank den klaren Tropfen.

Da ward er in der Muschel
Zur allerschönsten Perle,
Ward aufgefischt, und pranget
Nun in der großen Krone
Des persischen Monarchen!

Der alte Esel

Ein alter Esel ging belastet mit dem Mehle
Des Müllers seines Herrn, starrfüßig nach der Stadt,
Empfindend, daß es ihm an Jugendkräften fehle;
Sein Herr ging hinter ihm. "Ich bin," schrie er, "zu matt.
Gebt mir ein wenig Mehl zur Stärkung!" Derbe Schläge
Gab ihm sein strenger Herr! Der allzu schweren Last
Erlag das arme Tier, und starb auf halbem Wege!

Wie mit dem Esel hier der Müller, also fast
Macht's unser Junker mit dem Bauer!
Er sieht's, die Arbeit wird dem alten Dienstmann sauer,
Er mindert ihm die Arbeit nicht,
Er denkt an keine Menschenpflicht!

Der Löwe auf der Jagd

Der Löwe ging mit seinen Freunden,
Dem Tiger und dem Bär, friedselig auf die Jagd.

"Den," sprach er, "zählen wir sogleich zu unsern Feinden,
Der wider uns zu sein die kleinste Miene macht.
Versteht sich übrigens, wir teilen, was wir fangen,
In gleiche Teile." — Gut! — Es wird ein Hirsch gefangen.
Der Löwe teilt, jedoch nicht jedem gleich; der Bär
Brummt seine Meinung laut! Der Tiger zeigt von weitem
Dem Teiler seine Klau'n.

"Was, habt ihr Lust zu streiten?
Ihr Herr'n, so tretet nur ein wenig näher her!"
Man läßt sich nicht zu lange bitten
Auf Tod und Leben wird gestritten,
Der Teiler wird bezwungen, Spott
Wird laut gesprochen, wird von allen kleinen Tieren
Gesungen öffentlich! "Gerecht, gerecht ist Gott,
Die ganze Welt wollt' er, er ganz allein regieren!"
Ei wohl, ihr kleinen Tier', ihr sagt die Wahrheit schön,
Allein der arme Hirsch, den wir gedrittelt sehn,
Wird der ein edler Hirsch einst wieder sein und bleiben?

"Die Frage," sprach der Fuchs, "legt unserm Kanzler vor!
An meinem kleinen Teil, ich meine, Wie wir's treiben,
So geht's! Und kratze mich zuweilen hinter'm Ohr."

Der Tiger

Ein Tiger rühmte sich: Er hätte Wolfesblut
Und Lämmerblut zugleich vergossen,
Es wäre wie ein Strom geflossen!

"Gut," sprach der Fuchs, "sehr gut,
Daß es geschehen ist! Denn wär' es nicht geschehen,
So hätten wir ja nicht den schönen Strom gesehen,
Er floß so lieblich rosenrot!"
"Schlagt, sprach der Tiger da, "mir dort den Schmeichler tot!"

Urplötzlich ward er totgeschlagen!
Mit Einem Schlage tat's der ärmste Tigerknecht!
Die's sahn, die hörte man, nur aber leise, sagen:
"Das war ja doch einmal gerecht!"

Das Schaf

"Macht Frieden," sprach ein Schaf, "beim Krieg ist doch kein Segen!" —
"Beim Frieden, liebes Schaf, ist keiner!" sprach der Hirt.
Der Wolf ist unser Feind! Am Krieg ist uns gelegen,
Er steht auf allen unsern Wegen,
Und frißt uns, wenn er ganz nicht ausgerottet wird!"

Der Wolf und der Hund

Ein Wolf ging auf die Jagd, und traf auf einen Hund.
"Herr Bruder," sprach der Wolf, "du bist am Halse wund!"
"Herr Bruder," sprach der Hund,
"Bei einer schönen Frau lag ich an einer Kette,
Und läge noch an ihr, wenn ich,
In Freiheit mich zu setzen, mich
Von ihr nicht los gerissen hätte."

"In Freiheit dich zu setzen, und in ihr
Zu hungern, nimm an mir
Ein Beispiel," sprach der Wolf, "ich jage
Nach Einem Bissen sieben Tage,
Die Freiheit bringt mir Hungersnot,
Die Freiheit gibt dir deinen Tod!"
"Herr Bruder," sprach der Hund, "wir wollen Beide jagen." —
"Wo nichts zu jagen ist!" sprach der Wolf, und schlang
Den freien Hund in seinen Magen.

Für solche Freiheit schönen Tag!

Der alten Eule Hochzeit

Eine alte Eule war
Verliebt in einen Star;
Die Hochzeit sollte sein,
Da lud sie alle Vögel ein.

Sie kamen, und als sie die alte Eule sahn,
Welch ein Gespenst sie war,
Und welch ein muntrer Schelm der Star,
Da stimmten sie kein Brautlied an;
Sie schrie'n nur: "Welch ein Tier, wie alt!
Welch häßliche Gestalt!"
Und drauf entfloh die ganze Schar
Der Vögel in den Wald,
Und keiner blieb bei dem verliebten Paar,
Als nur der Kuckuck,
Und keiner sang, als nur Kuckuck!

Der Adler und der Uhu

König Adler hatt' einmal
Einen Uhu zum Minister.
"Lieber Alter," fragt' er ihn,
"Welcher Meinung ist Er,
Dulden wir die Nachtigall,
Die nichts kann, als singen?"

"Jeden, welcher sonst nichts kann,
Rat' ich umzubringen!"

Diesem Blutrat, ausgeführt,
Folgte dumpfes Ächzen,
Und im Lande hörte man
Nur noch Raben krächzen.

Der Hamster und Hamstergräber

Hoch aufgeschwollen Lung' und Leber,
Im Auge der Xanthippe Zorn,
Sprach eine Hamsterfrau
Zu einem Hamstergräber:
"Du bist ein Dieb, du stiehlst das Korn
Mir aus der Scheuer!" — "Gute Frau,"
Sprach Meister Hamstergräber schlau,
"Gerechtigkeit hat's mir befohlen:
"Hast du nicht auch das Korn gestohlen?"

Der Weise und die Mücke

Ein Mücke flog um's Licht
Eines Weisen. — "Tu' das nicht!"
Sprach der Weise, "glaube mir,
Du verbrennst die Flügel dir!"

"Du mißgönnst mir mein Vergnügen,
Um das Sonnenlicht zu fliegen,"
Sprach die Mücke, sprach's, und war
Also bald in Todesgefahr.

"Arme Mücke, hoch im Preise
Steigt die Warnung!" sprach der Weise.

Der Tier-Adel
An Herrn Hauptmann von Kleist

In Ursomania studieren alle Tiere,
Die Elefanten und die Stiere,
Kurz: alle! Keins bekommt ein Amt,
Das nicht, aus altem Hause stammt,
So durch Gelehrsamkeit und Tugend alt geworden;
Auch kommen an den Hof und in die Ritter-Orden
Ungraduierte Tiere nicht.

Ein jedes muß zwölf Ahnen erst beweisen,
Die in der Zahl der Dichter und der Weisen
Sich ritterlich hervor getan,
Eh es bei Hof erscheinen kann.
Und dann, wenn es ein Amt begehrt,
Es sei ein Ochs, ein Aff', ein Esel oder Pferd,
Dann wir's gefragt zehn Mal: Bist, Edler, du, gelehrt?
Hast Edler, alle deine Jugend
Im Dienst der Weisheit und der Tugend
Du, wo du warest, zugebracht?
Warst allenthalben du bedacht,
Ein edles Tier, ein Tier von Stande,
Das ist ein Tier von Tugend einst zu sein?

Gelehrsamkeit und Tugend ohne Schein
Sind ungetrennt in diesem Lande.

Der ist in diesem Land ein Held,
Den alle Redlichen aus einem Munde preisen,
In dessen Schule noch die Weisesten und Weisen
Gern gehn.

O Kleist, o du mein Freund! gefällt
Dir dieser Adel? — sprich!
Dein Frühling, den Apoll, und alle Musen loben,
In diesen Adelstand erhoben!

Die Milchfrau

Auf leichten Füßen lief ein artig Bauerweib,
Geliebt von ihrem Mann, gesund an Seel' und Leib,
Früh Morgens nach der Stadt, und trug auf ihrem Kopfe
Vier Stübchen süße Milch, in einem großen Topfe.
Sie lief und wollte gern: "Kauft Milch!" am ersten schrei'n.
Denn, dachte sie bei sich, die erste Milch ist teuer;
Will's Gott, so nehme' ich heut' sechs bare Groschen ein!
Dafür kauf' ich mir dann ein halbes Hundert Eier;
Mein Hühnchen brütet sie mir all' auf einmal aus;
Gras, eine Menge steht um unser kleines Haus.
Die kleinen Küchelchen, die meine Stimme hören,
Die werden herrlich da sich lechzen, und sich nähren;
Und ganz gewiß! der Fuchs, der müßte listig sein,
Ließ er mir nicht so viel, daß ich ein kleines Schwein
Dafür ertauschen könnte. Seht nur an!
Wenn ich mich etwas schon darauf im Geiste freue,
So denk' ich nur dabei an meinen lieben Mann!
Zu mästen kostet es mir ja nur ein wenig Kleie!
Hab' ich das Schweinchen fett, dann kauf' ich eine Kuh
In meinen kleinen Stall, ein Kälbchen wohl dazu;
Das Kälbchen will ich dann auf meine Weide bringen,
Und munter hüpft es und springt es, wie da die Lämmer springen.

"Hei," sagt sie und springt auf, und von dem Kopfe fällt
Der Topf, das bare Geld,
Und Kalb und Kuh und Reichtum und Vergnügen
Sieht nun das arme Weib vor sich in Scherben liegen.
Erschrocken bleibt sie stehen und sieht die Scherben an
"Die schöne weiße Milch," sagt sie, "auf schwarzer Erde!"
Weint, geht nach Haus, erzählt es dem lieben Mann,
Der ihr entgegen kommt, mit ernstlicher Gebärde.
"Kind," sagt der Mann, "schon gut, bau' nur ein ander Mal
Nicht Schlösser in die Luft! Man bauet seine Qual.
Geschwinder drehet sich um sich kein Wagenrad,
Als sie verschwinden in den Wind!
Wir haben all' das Glück, das unser Junker hat,
Wenn wir zufrieden sind."

An Geßner
(Verfasser der Daphnis)

Ein König, reitend in der Mitte
Von einem prächtigen Gefolge, sah
Vor seiner kleinen Hütte
Den Schäfer Daphnis. "Du! was machst du da?"
Fragt' ihn der König. "Was ich mache?
Da seh' ich nach der Sonn' und pfeife!"
"Sonst nichts?" — — "Je nun, ich greife
Nach meinem Hut, auf dem ein frischer Blumenkranz
Strahlt, wie dein Stern, und grüße dich, und lache!"
"Warum?" — — "Weil du der Sonnen Glanz
Verdunkeln willst; solch eine Herrlichkeit
Hat dein und deines Pferdes Kleid!"

Der König sagte nicht ein Wort,
Und ritt mit dem Gefolge fort,
Pries aber oft nachher in seiner Herrlichkeit
Des Pfeifenden Zufriedenheit.

Die Raupe und der Schmetterling

Eine kleine Raupe lag,
In ihr Leichentuch gesponnen,
Tot im Angesicht der Sonnen,
Und es war der schönste Tag.

Und ein schöner Schmetterling
Kam geflogen, setzte sich
Still daneben, sagte:
"Kleine Raupe, wird nun bald
Die allmächtige Gewalt,
Die dort oben strahlt, erheben,
Und in schönrer Gestalt,
Als du starbest, wirst du leben!
Toter! ich will Achtung geben,
Wie du zu dem zweiten Leben
Wirst hervor gehn!"

Plötzlich warf
Sie die Schale ab, ließ sie liegen,
Und der schöne Schmetterling
Sah den neuen Engel fliegen,
Wenn ich ihn so nennen darf.


Die Eiche und der Kürbis

Sohn, mit Weisheit und Verstand,
Ordnete des Schöpfers Hand
Alle Dinge. Sieh' umher,
Keines steht von ungefähr,
Wo es steht. Das Firmament,
Wo die große Sonne brennt,
Und der kleinste Sonnenstaub,
Deines Atems leichter Raub,
Trat, auf unsers Gottes Wort,
Jegliches an seinen Ort.
Jedes Ding in seiner Welt
Ist vollkommen, dennoch hält
Mancher Tor es nicht dafür,
Und kunstrichtet Gott in ihr!

So ein Tor war jener Mann,
Den ich dir nicht nennen kann,
Der, als er an schwachen Ranken
Einen Kürbis hangen sah',
Groß und schwer, wie deiner da,
Den du selbst gezogen hast,
Den verwegenen Gedanken
Hegte: Nein, solch eine Last
Hätte' ich an so schwaches Reis
Wahrlich doch nicht aufgehangen!
Mancher Kürbis, gelb und weiß,
Reih' bei Reih', in gleichem Raum,
Hätte sollen herrlich prangen
Hoch am starken Eichenbaum!

Also denkend geht er fort,
Und gelanget an den Ort
Einer Eiche; lagert sich
Längelang in ihren Schatten
Und schläft ein. —

Die Winde hatten
Manchen Monat nicht geweht;
Aber als er schläft, entsteht
In der Eiche hohem Wipfel
Ein Gebrause, starke Weste
Schütteln ihre vollen Äste,
Plötzlich stürzt von dem Bewegen
Prasselnd ein geschwinder Regen
Reifer Eicheln von dem Gipfel.
Viele liegen in dem Grase,
Aber eine fällt gerade
Dem Kunstrichter auf die Nase!

Plötzlich springt er auf und sieht,
Daß sie blutet. Dieser Schaden
Geht noch an, denkt er und flieht,
Und bereuet auf der Flucht
Den Gedanken, welcher wollte,
Daß der Eichbaum eine Frucht,
Gleich dem Kürbis, tragen sollte.
"Traf ein Kürbis mein Gesicht,"
Sprach er, "nein, so lebt' ich nicht!
O, wie dumm hab' ich gedacht
Gott hat alles wohl gemacht!"

Der Adler Jupiters und eine Taube der Venus

Und wo denn hin, o du, du niedlichste der Tauben?

Die Taube

Zu Venus, meiner Königin!

Der Adler

Und willst du einen Kuß ihr bringen, oder rauben?

Die Taube

Ich bring' ihr einen hin!

Der Adler

Und wessen ist er? darf ich's wissen?

Die Taube

Er ist vom Vater Jupiter.

Der Adler

Wer seinen Donner trägt, der sei von seinen Küssen
Der Überbringer auch! Du, Taube! gib ihn her!

Die Taube

Ich geb' ihn dir! ich sollt' ihn dir nicht geben!
Wem aber würde nicht vor deine Miene graun?
Selbst meine Göttin wird erzittern und erbeben,
Vor deinem Blick und deinen Klaun!


Die Götter und die Bäume

Der Vater aller Götter wollte,
Daß jeder Gott und jede Göttin sich
Von allen Bäumen einen Baum
Erwählen und beschützen sollte.
Der Eichbaum, sprach er, ist für mich!

Apollo nahm den Lorbeerbaum;
Die Musen tanzten einen Tanz,
Und warfen ihm den ersten Lorbeerkranz
Um sein gelehrtes Haupt.

Die hohe Pappel, schön belaubt,
Erwählte Herkules; gelehnt auf seine Keule,
Sprach er: Ich leide keine Beile!

Cybele tritt herein, die Mutter aller Götter;
Die Götter neigten sich dem grüßenden Gesichte;
Sie spricht: Gebt mir den Baum, der ohne breite Blätter
Dem alten Winter trotzt, die immer grüne Fichte!
Komm her, du kleine Myrte, komm her in meinen Schutz,
Sagt Venus, dich besinget Adonis, oder Uz!

Was aber sagt Minerva? Sie lächelt kleinen Spott,
Und sagt zum Zeus: Ich wähl' den Ölbaum, den kein Gott
Und keine Göttin wählte, der ist an Früchten reich.
Die unfruchtbaren Bäume, die, Götter, laß ich euch!

Da zankten sich die Götter, und Zeus entschied den Zank,
Umarmte seine Tochter, sang ihren Lobgesang.
Er sang, Apollo horchte, Minerva hat gewonnen,
Olympus mußte beben, und tanzen alle Sonnen.


Die Krähe und die Bachstelze

Bachstelze, geh doch nicht so wacklig, sprach die Krähe,
Die Weisen gehen festen Gang!

Ich, liebe Krähe, sprach das Vögelchen, ich gehe
Nach Weisheit nicht, ich würde krank;
Ich gehe meinem Hang
Zu kleinen Freuden nach, und sehe
Zugleich mich um nach gutem Schnabelfang.

Wollüsterin, erwiderte die Krähe,
Die Weisen gehen festen Gang!
Und ging an einen Ort, von welchem ein Gestank
Das Vögelchen vertrieb, das spottend, in der Nähe,
Bis an den späten Abend sang:
Die Weisen gehen festen Gang!


Die Spinne zu Sanssouci

Im königlichen Sanssouci
Saß eine Spinn' und sagte: "Sieh',
Was macht der Mensch nicht nach!
Kaum sieht er, wie die Schwalbe am Bach
Zu ihrem Bau sich Wasser holt,
Sogleich macht er es nach
Und baut, wie sie, ein Haus,
Und schmückt inwendig es
Mit einem Spinnweb' aus."

Mit einem Spinnweb'? "Ja, indes
Macht er es nur von Gold,
Und wie so grob ist es!
Er mach' es doch, wie ich es mache,
Ja, das wäre eine andre Sache."

Des Äsopus Katze

Einst spielte des Äsopus Katze
Mit einer kleinen Maus.

"Lauf, Mäuschen!" sagte sie und warf die scharfe Tatze
Liebkosend nach, ließ auf und nieder
Sie laufen, fing sie wieder,
Und sah vergnügt und freundlich aus.
"Ach liebe Katze," sprach die Maus,
"Ich kenne diese Schmeicheleien
Und diese Scherze; ach! sie dräuen
Mir armen Mäuschen meinen Tod!"

"Was?" sprach die Katze, "das ist Spott!"
Und biß sie tot.

Ein Sperling und eine Taube

Ein loser Sperling sprach zu einer frommen Taube,
Als wär's sein rechter Ernst: "Frau Nachbarin, ich glaube,
Gott schuf den Menschen uns zu unserm Dienst — Er streut,
Und zwar mit aller Freundlichkeit,
Uns unser Futter alle Morgen
Vor unsern Schnabel! — Nahrungssorgen
Hat Er: und wir, wir Kinder der Natur,
Wir essen, und wir lieben nur!"

"Mitnichten," sagte da die Taube,
"Das Futter streut der Mensch nicht dir;
Er streut es meinem Mann und mir!
Ja, mir allein, und meinem Mann!
Du bist ein Dieb, du lebst vom Raube.
Dein Glaub' ist falscher Glaube,
Den ich an dir nicht leiden kann!"


Jupiters Adler und Venus

Der Adler

Der Vater Jupiter gab deiner schönsten Taube
Für seine Tochter einen Kuß;
Ich aber raubt' in ihr, und mit dem süßen Raube
Komm ich, in einem Flug, und bring' ihn, weil ich muß.

Venus

So hättest du ja wohl ihn gern für dich behalten?

Der Adler

Und wer behielt nicht gern solch einen Kuß für sich?
Nimm ihn! — — Und nun? du ziehst ja deine Stirn in Falten,
Die Stirn des Donnerers ist nicht so fürchterlich!

Venus

Verwegener! hast geraubt! hast meine gute Taube
Mit deiner Mien' erschreckt! Weg! weg vor meinem Blick!
Und fort zu Jupiter, mit deinem süßen Raube,
Fort! fort! bring ihn zurück!

Der Adler

Zurück ihn bringen? Ach! o liebliche Cythere!

Venus

Die Strafe Jupiters, Verwegener, treffe dich!

Der Adler

Wie aber, wenn's ein Kuß vom Mars gewesen wäre?
Du Göttin! nicht so stolz, und nicht so fürchterlich!

Der schlafende Löwe

Der König Löwe schlief. Von weitem saß ein Luchs;
Und dieser hatte Lust, den Löwen aufzuwecken.

Den Löwen, unsern Herrn? den Löwen, unser Schrecken,
Laß, laß ihn schlafen! sprach ein Fuchs.
Herr Schmeichler, gut! ich will den Löwen schlafen lassen,
Weil, wenn er schläft, er uns kein Todesurteil spricht!
Antwortete der Luchs, mit spöttischem Gesicht.

Auf manchen König mag die kleine Fabel passen,
Auf unsern König paßt sie nicht.

Der Kater und die kleinen Vögel

Ein Kater saß auf einem Baum,
Und hörte kleine Vögel singen.
Ihr, sprach er, wär't für meinen Gaum!
Euch alle möcht' ich gern verschlingen!

Ein Stieglitz sagte: Du Tyrann!
Sollst uns wohl nicht in deine Tatzen kriegen;
Wir Vögel, wir sind gut daran,
Gelobt sei Gott! wir können fliegen!
Die Mäuschen aber dort, in ihren alten Mauern,
Die jammern mich! – – –

Gut, sprach der Kater, aber ich
Kann euch belauern!

Daß Gott erbarm!
Schrie allsobald der kleinen Vögel Schwarm,
Wenn Macht und List
Beisammen ist!
Und flog, nicht einer blieb, und flog sogleich von dannen,
Weit aus den Augen des Tyrannen.

Der Elephant und die Maus

Ein Elephant und eine Maus
Besprachen sich von ihrer Größe.
Ha! sprach der Elephant, ich messe
Dich ja so leicht, mit meinem Rüssel, aus.

Und ich, antwortete die Maus,
Hab' einen kleinen Zahn, und fresse
Mich ja so leicht in eines Königs Haus:
Die Größe macht es oft nicht aus!