Das vornehme Vögelchen
Der Tyrann des Nils, das satte Krokodil lag mit offnem
Rachen am Ufer, und ließ sich von
einem Vögelchen den Überrest seines Fraßes aus den Zähnen
hacken. Das sah der hehre
Ibis: "Schande!" sprach er, "über den Schmarotzer!
"Nun, das bitt ich mir aus!" erwiderte das Vögelchen. "Ich
bin der Hofzahnstocher
seiner Hoheit und finde mich dadurch eben so beehrt als
beglückt!"
"Also doppelte Schande," versetzte der Ibis, "daß du die
Nichtswürdigkeit deines
Dienstes nicht fühlst!"
Das Einverständnis
An Lord Rumfords zahlreicher Tafel, sprach Graf Toasilcy mit
seinen Tischnachbarn über
die Fortschritte der britischen Malerei; während dessen der
Wirt, am andern Ende der
Tafel, seine Nachbarn mit der vortrefflichen Arbeit an
seinen birminghamschen
Tischmessern unterhielt.
"Nicht wahr?" rief der Graf herunter, "dieser West, (er
meinte den großen Maler,) bleibt
doch immer der Stolz von Alt- England?"
"Da haben Sie einmal Recht Mylord, vollkommen Recht! rief
der Wirt, ein eifriger
Oppositionsmann, der dem Grafen sonst immer widersprach,
aber er meinte — West, den
Messerschmidt, der ihm sein Tafelbesteck geliefert hatte.
So kommt Einverständnis manchmal gerade daher, weil man sich
nicht versteht.
Das Fohlen
Ein mutwilliges Fohlen sprang wie toll auf dem Hofe herum.
"Lustig!" rief es:
"Der Heuboden ist vorlängst gefüllt, und nun wird auch der
Hafer gedroschen. Was hat's
da für Not? Ich sehe nun deutlich an mir, Gut macht Mut!"
"Und Mut macht Übermut!" sagte der bedachtsame Stier, "das
sieht man an dir eben so
deutlich."
Der Bohun Upas*
Jener furchtbare Giftbaum auf Java, dessen Aushauch viele
Meilen umher das Land
verödete, zu dem nur todeswürdige Verbrecher oder
Unbesonnene wanderten.
Bohun Upas rühmte sich seiner weitläufigen Herrschaft und
seiner ruhigen Regierung.
"Ach!" seufzte ein Papagei, der sich dahin verirrt hatte,
und nun sterbend aus der
verpesteten Luft herab fiel. "Verflucht sei deine
Herrschaft! denn sie gründet sich auf
Verwüstung, und deine ruhige Regierung ist Tod."
*Upas: Ist ein malayisches Wort und bedeutet Gift.
Die Haselmaus
"Für uns hat die gütige Natur doch recht mütterlich
gesorgt!" rühmte sich eine
Haselmaus. " Oft schon im Weinmond entschlummern wir, und
erwachen erst wieder im
Lenzmond. Sei der Winter noch so traurig und rau, wir wissen
nichts davon."
"Das ist nun was rechtes," erwiderte die muntre Feldmaus,
"daß ihr ein halbes Leben
verschläft!"
Die Furchtbaren
Die mächtigsten der Tiere, berühmt durch Gewalt und Größe,
hielten einen
Geschlechtstag unter sich. Da fand sich auch die Schlange
bei ihnen ein.
"Wurm!" brüllten der Löwe, der Leopard, der Tiger und der
Eisbär, "was willst du hier in
dieser erlauchten Versammlung der Furchtbaren und der
Mächtigen?"
"Schämt euch meiner nur nicht!" sagte die Kriecherin, "ich
bin wohl so mächtig als ihr.
Meine stille Gefügigkeit ist furchtbarer als euer Gebrüll
und all eure Klauen!"
Dessert und Brot
Auf einer festlich erleuchteten Hochzeitstafel riefen das
Zuckerwerk und die Früchte:
"Ohne uns — was wäre wohl der ganze Schmaus!"
"Und was ohne mich?" sagte das Brot.
Der Fabeldichter weiß nicht, ob Braut und Bräutigam (die
Liebestrunkenen!) diese Frage
gehört haben; aber er wünscht es!
Das Wasser
Bald nach vollendeter Schöpfung fingen die Erde, die Luft
und das Feuer an,
ihr Bruderelement, das Wasser zu verachten.
"Alles," sprach die Erde, "wird durch mich ernährt; kannst
du das auch?"
Die Luft sprach: "Durch mich atmet alles; kannst du das
auch?"
"Und durch mich wird alles erleuchtet und erwärmt" sprach
das Feuer; kannst du das auch?"
"Aber ich," erwiderte das Wasser, "mache dich Erde
fruchtbar, kühle dich Luft und dich
Feuer, (nimm dich in Acht!) lösch ich gar aus. Darum laßt
uns friedlich zusammen
wirken, wenn die Welt bestehen soll."
Die Antwort an
den Springbrunnen
"Sieh einmal her, rief der Springbrunnen der entfernten
Quelle zu, was die Kunst nicht
vermag! Wie lustig spritzen alle meine Delphine; wie tränke
ich die Bewohner des ganzen
Stadtviertels mit meinem Kristallwasser; wie diene ich eben
sowohl zum Nutzen als zur Zier!"
"Nur vergiß nicht," rieselte die bescheidene Quelle, "daß
ohne mich deine Delphine
lächerlich, dein Kristallwasser Schlamm, und dein Nutzen
eben so gering, als deine
Zierraten unnütz wären!"
Philemon
Der gutherzige Philemon, den einst Jupiter selbst durch
seinen Besuch beehrte, fand
einen armen siechen Wanderer auf der Straße, und rettete
durch seine wohltätige Pflege
dessen Leben von der Krankheit und vom Hungertode. Als der
Fremdling wieder gesund
und stark war, stahl der Undankbare seinem Wohltäter das
beste Lamm aus dem Stalle,
und entfloh bei Nacht.
Philemon verfolgte den Räuber nicht, aber er ward mißmutig,
glaubte nicht mehr an
Dankbarkeit, und fing an, seine Dienstfertigkeit zu
verwünschen. Da kam sein
Herbergsgast, der Storch heim, lahm und elend, denn er hatte
das eine Bein gebrochen.
Das jammerte den Wirt dennoch. "Du Tier wirst mir zwar nicht
besser lohnen, als der
Mensch, sprach er, aber es schadet nicht!" Er heilte den
Storch in kurzen und vollständig.
Der Herbst kam heran, und auch der Vogel verließ seinen
Wohltäter, um mit seinen
Brüdern nach wärmeren Gegenden zu ziehen. "Hab ichs doch
gedacht!" murrte nun
Philemon, und ward noch mißmutiger.
Allein im nächsten Frühling kam der Storch mit Tagesanbruch
zurück, klapperte den noch
schlummernden Philemon wach, schlug, als dieser aus seinem
Haust trat, freudig mit den
Flügeln, und ließ eine köstliche Wurzel aus fernem Lande zu
seinen Füßen fallen.
"Ich hatte doch wohl Unrecht! Noch ist Dankbarkeit in der
Welt; gleichviel bei wem!"
sagte nun Philemon, und ward so gerührt, daß er über die
tierische Dankbarkeit den
menschlichen Undank vergaß.
Die Rinder und ihr Hirt
"Dummes Vieh!" rief ein Bauerknabe, der die Rinder seines
Herrn auf die Weide trieb
"Da fresst ihr nun alles durcheinander, Gräser und Nesseln,
Blumen und Schierling!"
"Du irrst gar sehr!" gab der Bulle zur Antwort, "unser
Instinkt berät uns besser, als euch
Menschen eure Klugheit. Was giftig ist, lassen wir stehen;
und was wir nur selber suchen
und fressen, das schadet uns gewiß nicht."
Der Kaffee und das Bier
"Ihr armen Nordländer!" sagte der Kaffee: "Ihr habt doch gar
keinen vorzüglichen Trank in euern
Landen einheimisch! Deswegen bin ich gekommen, und euer
allgemeiner Liebling geworden."
"Aber auf meine Kosten," erwiderte das Bier, "und sehr zu
meinem Schaden!"
"Unpatriot!" versetzte der Fremdling: "Kannst du vergessen,
welchen Nutzen ich dagegen
im allgemeinen, für Handel und Wandel, für Zoll und
Akzise* stifte?"
"Freilich wohl! Nachdem du dich an meine Stelle gedrängt
hast."
"Einmal für allemal, deine Landsleute können mich nun nicht
weiter entbehren!"
"Und doch bist du eben so entbehrlich, als du schädlich
bist!"
*Akzise:
lat. bedeutet Steuer.
Das Schwalbennest
Eine reisende Mauerschwalbe sah, wie die Meerschwalben in
Tunkin ihre köstlichen und
teuren Nester bauten. Sie merkte sich jeden Kunstgriff, und
fing, als sie wieder heim kam,
sogleich ein Tuntinsnest zu bauen an. "Das wird meinen
lieben Landsleuten," sagte sie stolz,
"manchen Leckerbissen verschaffen, viel Geld im Lande
behalten!" Da kam der Hausknecht
mit der Schaufel, und legte seine Leiter an, um das
Schwalbennest herunter zu holen.
"Hab ichs nicht gesagt?" zwitscherte die vergnügte Schwalbe:
"Da kommt schon der
erste Käufer!"
Aber der Knecht stieß die Köstlichkeit herunter, und trug
sie auf den Düngerhaufen.
Die Sonne, das Fenster
und das Kabinett
Ein herrlich tapeziertes Kabinett freute sich sehr über ein
neues Spiegelscheibenfenster,
und das helle Sonnenlicht, das es durch selbiges erhielt.
Das Fenster nahm stolz die
Huldigung an, und hätte lieber der Sonne den Vorrang
streitig gemacht, aber der
aufmerksame Haushofmeister, der gar bald gewahr wurde, daß
Sonnenstrahlen mittels der
Spiegelscheiben die Farbe der Tapeten wegbleichten, ließ
geschwind die dichte Rolle herab.
Nun war die unüberlegte Freude des Zimmers und der Stolz des
Fensters mit einmal aus.
Die Sonne nur trieb ungehindert ihr wohltätiges Geschäft
fort, ohne sich das,
um zufälligen oder vorsätzlichen Mißbrauches wegen, gereuen
zu lassen.
Reichtum und Armut
Zur Armut sprach der Reichtum: "Ich glaube gar, du möchtest
bisweilen lieber auf deinen
Bettelsack groß tun? Nichts törichter ist es wohl, als
Elend, und doch Stolz!"
Die Armut erwiderte: "Töricht? Vielleicht! aber abscheulich
ist, stolz und reich!"
"Umgekehrt! Du wirst überall verabscheut; aber ich werde
wohl überall gewünscht."
"Von wem denn? Ich denke immer, der wahre Weise wünscht sich
keinen von uns beiden."
Der Paradiesvogel
"Ach wie herrlich ist's doch dort in Eden!" so seufzte der
Paradiesvogel, als er sich, des langen
Fluges müde, gerne auf einen Ast gesetzt hätte und keine
Füße dazu mitbrachte.
"Dort wird man nie müde, dort tragt jeder Baum seidne Nester
neben goldnen Früchten,
und seine Zweige beugen sich mit ihrer ambrosischen Kost von
selbst zu unserm Schnabel."
"Das ist nun freilich hier unten ganz anders! sprach eine
Waldhenne: Wer hier ruhn und
essen will, muß Beine zum festhalten und zum Scharren haben.
Du wirst schon wieder
nach deinem Eden umkehren müssen!"
Der Kolibri
Hoch auf einem Felsen saß der Adler, neben ihm der Geier und
der Habicht; die sahen
dem Kolibri zu, wie er im blühenden Tale von Blume zu Blume
flog.
"Sieh doch König," sagten die beiden Raubvögel zum Adler,
"wie der kleine Geck so bunt
und emsig ist!"
Der Adler versetzte: "Er ist klein, aber artig; bunt, aber
schön; emsig, doch ohne
Schaden: wie dürft ihr einen solchen Vogel Geck nennen?"
Die Remora
Die Remora* konnte
den Eigendünkel, daß sie ein Schiff in vollen Segeln
aufzuhalten
vermöchte, noch immer nicht vergessen. Einst legte sie sich
voll Zuversicht an eine
von Kallao segelnde Gallione, und rief halt! Das Schiff aber
fuhr, trotz dem
Zauberspruche, ungehindert bis Kadis. Da sprach die Remora:
"Bis hierher hab ich den
armen Bootsmann doch aufgehalten nun aber will ich
absteigen."
*Ein
atlantischer Ammenhai oder auch "Schiffshalter" genannt. Sie
sind schon seit der Antike bekannt.
Sie haben die Angewohnheit, sich auch an Schiffsrümpfen
festzusaugen, wodurch auch ihr Name entstanden
sein dürfte.
Der Truthahn und
der Haushahn
"Wo bist du denn eigentlich her?" fragte der Haushahn den
hochmütigen Puter.
"Ich bin ein Asiat; nahe verwandt mit dem hohen Elephanten
und dem verdienstvollen
Kamel, das kannst du schon daher abnehmen, da sich meine
Nase gleichfalls wie ein
Rüssel verlängert, und mein Rücken sich emporhebt, wie des
Kamels seiner, sobald ich will."
"Was für Einbildung!" krähte nun der Haushahn, "zum Beweis
echter Geschlechtsfolge
gehört doch wohl mehr, als ein Höker, oder eine garstige
Nase."
Der Tiger und die
Gazelle
Voll Mordlust riß der Tiger eine gehaschte Gazelle nieder.
"Wehe mir!" schrie die
Beklagenswürdige: "Habe doch Mitleid, habe doch Erbarmen mit
mir! Ich verlasse daheim
zwei hilflose säugende Kleinen!"
"Unwissende!" brüllte der Grausame: "Dir war also nicht
bekannt, daß ich sogar meine
eignen Jungen fresse?"
Heute dir, morgen wir
Der Lein und die Baumwollstaude wollten die Nachbarschaft
der Nessel nicht dulden.
"Warum denn nicht?" fragte diese, "ich kann doch eben sowohl
Garn liefern als ihr."
"Ei!" riefen jene, "was will das gegen unsre so weit
verbreiteten Pflanzungen sagen?"
"Jetzt freilich noch nicht viel," wandte die Nessel ein;
"aber Geduld! Über kurz oder lang
wird auch an mich die Reihe kommen."
Die Scheuer und
die Sternwarte
Aus seiner Scheuer erblickte der scharfsehende Vorstädter
den Astronom auf seiner
Sternwarte. "Ich kenne den Herrn recht gut;" sprach er,
"aber wie klein ist er doch da droben!"
Da schaute der Astronom herab auf die Vorstadt, und rief:
"Wie klein doch die
Menschen dort unten sind!"
Daß sich, von dieser oder jener Seite, Verachtung ins Spiel
gemischt hätte, das will ich
nicht hoffen; am wenigsten von der gelehrten! Denn, eine
Sternwarte zu haben,
ist immer herrlich; aber auch notwendig ist die Scheuer.
Der Luftball, der
Frachtwagen und der Kahn
Ein besegelter Kahn schwamm längs dem Ufer hin, wo ein
Frachtwagen ebenfalls seine
Straße fuhr. Plötzlich wurden sie einen hochschwebenden
Luftball gewahr.
"Sieh doch! welch ein Wundergeschöpf!" rief der Kahn dem
Wagen zu. "Wie unbegreiflich
noch jetzt! Wie wichtig erst für die Zukunft! Vielleicht gar
dereinst ein Stellvertreter für
dich und mich! Es ist ein göttliches Werk, wo nicht gar ein
Gott selbst!
Komm, Landbruder, laß uns staunen, verehren und anbeten!"
"Ich nicht!" sagte der Wagen, denn fürs erste sieht es mit
dem hochfahrenden Dinge
noch sehr windig aus; und dann, gesetzt es hätte künftig den
Nutzen, den du schon jetzt
träumst, dann halte dich nur immer nebst mir aufs
Zerschlagen und Verbrennen gefaßt!"
Jupiter und Komus
"Vater," sagte Merkur, "ich muß dir unter der Hand melden,
daß Gott Komus*
nicht übel
Lust hat vom Olymp wegzuwandern."
"Und ich," erwiderte Zeus, "melde dir gleichfalls, daß Komus
somit nicht recht klug ist.
Aber die Ursache seiner Emigration?"
"Er nimmt es übel, daß du ihn stets nur zu unsern
Frühstücken, Mittags- und Abendtafeln,
nur zu Lustgelagen und Tänzen einladest, aber nie zu einer
ernsten Beratschlagung."
"Und folglich?"
"Und folglich, sagt er, will er lieber zum ersten besten
kleinen Erdenkönige gehn."
"Das macht er gut! Im Olymp aber soll es nun noch nicht Mode
werden, daß man
Schäkerei mit Ernste vermengt, und den Spaßmacher zu
wichtigen Verhandlungen zieht!"
*Komus:
Gott des Schlafes
Die Boa
Die Riesenschlange Boa sprach zu dem außer ihrem
Wirkungskreise sitzenden Kanarienvogel:
"Ja doch! Ich verstehst wohl, daß du gern Zuhörer haben
möchtest: Aber, ohne musikalisch zu
sein, kann ich doch Menschen und Tiere noch besser zu mir
locken, als du."
"Mit dieser Absicht nämlich, und diesem Erfolge," rief der
Kanarie, "du lockst sie um sie
verschlingen."
Tag und Nacht
Noch hatten Tag und Nacht ihren alten Zwist, welches von
ihnen das Gewünschtere sei,
nicht beigelegt; als sich beide, mit anbrechender
Morgenröte, nahe an einem Dorfe
begegneten. "Laß uns endlich einmal unparteiische
Schiedsrichter wählen," rief der Tag,
die wir wohl hier, auf dem Lande am besten finden dürften!"
Die Nacht war es zufrieden,
und sie wählten den reichen Junker nebst dem ärmsten Bauer
im Dorfe.
Jetzt stieg der Tag auf den Gipfel des benachbarten Berges,
und rief seine Sonne herauf,
Der Junker war gichtbrüchig, hatte sich die ganze Nacht
hindurch schlaflos auf seinen
Eidern herumgewälzt, und sagte bei Erblickung des ersten
Tageslichts mit sichtbarer Freude:
Dem Himmel sei Dank, daß die häßliche Nacht vorüber ist, und
der gewünschte Tag anbricht!"
"Schon halb gewonnen!" lächelte der Tag, aber die Nacht
schwieg. Die Sonne sank kaum
in der Abendröte hinunter, als der andre Schiedsrichter vor
seine Türe trat, und mit
sichtlichem Vergnügen zu den Seinigen sprach: "Das war ein
mühseliger drückend heißer
Tag! Gott sei Dank, daß er vorüber ist, und nun die
erquickende Nacht kommt!"
Da lächelte die Nacht gleichfalls: "Wer hat nun gewonnen?"
"Ich glaube," sagte der Tag ärgerlich, es ist immer noch
nicht entschieden."
"Und ich denke," rief die Nacht, "es ist völlig! Dich
wünschte der Siechling, um sein
elendes Dasein fortzuschleppen; mich wünschte der nützliche
Mensch, um am Morgen
gestärkter zu erwachen."
"Gleichwohl" meinte der Tag, "müße man noch den
Entscheidungsspruch erwarten."
"O, den findest du schon," erwiderte die Nacht; "in den
Akten zwischen Leben und Tod!"
Der geohrfeigte Amor
Amor hatte sich, während der Scheidung von seiner Psyche, in
Amaryllis, die schönste,
aber auch die sprödeste der Arkadierinnen verliebt: doch
vergeblich war seine
Leidenschaft, unerhört blieb seine Bitte; sein Reiz, seine
ewige Jugend, ja seine Gottheit
selbst, in welchen er der Grausamen erschien, halfen ihm
nichts.
Erstaunt und betroffen, prüfte nun der schlaueste der Götter
seine Tigerin genauer, und fand
tief in ihres Herzens geheimsten Winkel das Bildnis Damöts,
eines benachbarten und
— sonderbar! — eben nicht sonderlich reizenden Schäfers.
"Gefunden!" rief Amor nun
halb aus Rachsucht, halb aus Liebe, "was Tapferkeit nicht
vermochte, das bewirke die
Kriegslist!" Sogleich nahm er Damöts Gestalt an, ging zu
Amaryllis, traf sie im Schatten
der Myrte, bot Liebe, gewann Gegenliebe, ward und machte
glücklich! aber alles,
auf Rechnung seines Originals.
Dieses erschlichenen zweideutigen Sieges bald überdrüßig,
erschien ihr der Gott
unvermutet wieder in seiner wahren Gestalt; denn er wollte
schlechterdings durch sich
selbst überwinden. Schmeichelnd gestand er seine List,
brachte die Schäferin dadurch
zur Verzweiflung, hoffte jedoch Vergebung und Liebe zu
erzwingen, raubte der Spröden
mit Gewalt einen Kuß, und bekam von ihr einen Backenstreich.
O Wehe der Frevlerin! Schrecklich wird Amors Zorn sein,
furchtbar seine Rache!
Aber nichts von alle dem geschah. Amor straft nur mit
Verachtung. Er flog weg aus
Arkadien, und rief laut lachend: "So habe ich nun gelernt,
daß man auf der Welt in
fremder Gestalt oft mehr ausrichtet, als in der eignen!"
Der Bauer und sein Roß
An Norwegens klippenvollster Küste war ein Schiff im Sturme
gestrandet.
Die verzweifelnden Seefahrer riefen umsonst nach Hilfe, denn
keiner der zuschauenden
Strandbewohner wollte sich durch die wütende Brandung hinaus
wagen. Endlich riß doch
ein edelmütiger Bauer sein Pferd aus dem Stalle, schwamm auf
dem starken Tiere
hinüber und herüber, und rettete nach und nach, indem er
ihnen Stricke zuwarf,
die Unglücklichen sämtlich.
Der Bauer ward nun mit Dank und Lobsprüchen überhäuft; sein
Gaul fand das höchst ungerecht:
"Ich bin es eigentlich, der euch rettete, und mir gebt ihr
nicht einmal ein Bezahls Wodan?"
"Du Tor!" rief der Bauer, "ohne mich hättest du zu dieser
guten Tat weder Willen noch
Verstand gehabt. Doch damit du erhältst, was dir gebührt
komm! Dein wartet eine
trockne Streu, und ein doppeltes Hafermaß."
Die Maus und der
Hamster
Ein junger Hamster hatte die Ernte versäumt, litt Mangel,
und kam zur Feldmaus borgen.
"Ich verlange nicht viel; nur eine Kleinigkeit!" bat er,
"nur dann und wann eine Mahlzeit!"
"Wo denkst du hin?" erwiderte die Maus. "Mein ganzes Magazin
würde dazu nicht
hinreichen! was für dich Kleinigkeit wäre, das ist für mich
— alles."
Anfang und Ende
Ein Dichter war eben darüber her, ein Sittengemälde zu
dramatisieren. Schon waren
Charaktere gebildet, Situationen entworfen, Empfindungen und
Sentenzen zurecht
gemacht; und nun kam er zur Ausarbeitung.
"O, wenn ich doch nur erst den Anfang hätte!" rief er: "Der
Anfang, der Anfang! auf den
kommt alles an, und doch ist er so schwer."
Da trat ein freundlicher Genius an sein Schreibpult, (ich
weiß nicht, ob er vom Parnaß
oder vom Olymp kam?) der sprach: "Wenn du gutem Rate folgen
willst, so kümmere
dich vor allen Dingen um das Ende, denn da hapert es bei
euch Menschen immer am
meisten!"
Der Gärtner und die
Ananas
Ein junger geschickter Gärtner, der Pisang*
und Ananas und andere seltene Früchte zog,
wollte mit dem öffentlichen Verkauf einen Versuch machen. Er
brachte seinen Vorrat auf
den Wochenmarkt.
"Ananas heißt das Zeug?" Mag wunderlich schmecken! Sieht
gleich närrisch aus. — zwei
Gulden, einen Dukaten? Für eine solche Rübe! "O geht wieder
heim, geht!"
"Der Pisang, bemerkte ein Dritter sehr klüglich, "ist, wie
ich gehört habe, nicht zum
essen; ist nur für alte Schäden brauchbar."
So fielen die Urteile durchgehends aus, und der gute Gärtner
mußte des Abends seine
Früchte unverkauft zurück nehmen. Ich sah ihm aus meinem
Fenster zu, und konnte
mich nicht enthalten, zwischen ihm und vielen unsrer guten
Schriftsteller eine starke
Ähnlichkeit zu finden.
*Pisang,
anderer Name für Bananen.
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