Fab.30
Rezept wider den Krieg
Die Löwen führten mit den Bären
Einst einen fürchterlichen Krieg.
Wie Wasser floß in beiden Heeren
Das Blut. Der flatterhafte Sieg
Wand diesem bald, bald jenem Kronen.
Der Kern der beiden Nationen
Lag schon im trocknen Sand verscharrt.
Schach Löwe half der Leopard
Beim zweiten Zug, und der Huronen
Und Tobolskiten ferne Zonen
Verstärkten des Cäsar Bären Macht.
Der junge Petz, ein weißer Lappe,
Ward just beim Anfang einer Schlacht
Zum Heer der Bären eingebracht.
"He! warum kriegt man, Oheim Rappe?"
Sprach er zu einem Grenadier
Aus Polen. "Weil der Fürst der Leuen
Den unsern foppte." — "Läppereien!"
Rief Petz. "Ha! seid doch nicht so dumm,
Wie Menschen! Laßt die Narren sich schlagen,
Und kehrt in eure Höhlen um,
Was gilt's, sie werden sich vertragen."
Die Brüder brummten Petzens Rat
Von Glied zu Glied. Im Hui erfuhren
Die Gegner ihn durch die Panduren
Der Vorwacht. Hauptmann und Soldat
Zog ab, bis auf die zwei Monarchen.
Die mochten bitten, brüllen, schnarchen;
Umsonst! Man ließ sie flehn und drohn,
Und weil sie unter beiden Scharen
Zum Glück die feigsten Memmen waren,
So schlichen sie sich auch davon.
Fab.31
Der Stieglitz und
Nanette
Ein Stieglitz, der im Käfig saß,
Und aus Nanettens Händen täglich
Das beste Futter reichlich aß,
Ließ, als er seine Zeit ersehen,
Einst Haus und Speis' und Wirtin stehen,
Und flog in seinen Busch zurück.
Das Mädchen lief im Augenblick
Ihm nach, und fragt ihn gar beweglich:
"Warum hast du dich losgerissen,
Mein Matz?" du hast ja Futter satt."
"Mir," sprach der Vogel, "schmeckt kein Bissen,
Den Freiheit nicht gewürzet hat."
Fab.32
Karl der Fünfte
Des Kriegs mit Schwert und Worten müde,
Floh Karl der Fünfte von dem Thron
In eine Zelle, suchte Friede,
Und fand ihn hier. Dem Göttersohn
Gab nun ein Gärtchen mehr Vergnügen,
Als einst Paviens Lorbeerfeld.
Nicht Cäsar mehr, war er noch Held,
Doch bloß um über sich zu siegen.
Sein Zeitvertreib war Gottes Welt
Mit ihrem großen Bilderbuche;
Auch macht er allerlei Versuche
Auf Turriano's*
Geist gestützt;
Schuf öfters wandelnde Figuren,
Mit Dädals* Kunst
aus Holz geschnitzt.
Sein liebstes Spiel trieb er mit Uhren;
Er drehte sie, wie sonst den Staat,
Zerlegte, prüfte jedes Rad,
Und zeigte jedem seine Sphäre.
Einst sann er wochenlang darauf,
Ob es denn gar nicht möglich wäre,
Zwei Pendeluhren gleichen Lauf
Und einen gleichen Ton zu geben.
Allein umsonst war seine Müh,
Umsonst auch seiner Freunde Bestreben.
"Ei!" rief er endlich lachend, "sieh,
Es will uns nicht einmal gelingen
Zwei Zeiger in ein Joch zu zwingen,
Und mir und meiner Priesterzunft
Kam es zu Sinne, die Vernunft
Von Tausenden und ihr Gewissen
In eine gleiche Form zu gießen."
*Juanelo
Turriano,
* nach 1500 in Cremona † 13. Juni 1585 in
Toledo war einer der bedeutendsten Uhrmacher, Mechaniker und
Automatenbauer seiner Zeit.
Er war als Mechaniker für den an Astronomie und verwandten
Wissenschaften interessierten Kaiser Karl V. und dessen Sohn
König Philipp II. von Spanien tätig.
Bild:
Quelle: Meyers Konversationslexikon 1888 /
Daedalus und Ikarus.
|
*Dädal
oder Daidalos ist eine Figur der griechischen,
insbesondere
der kretischen Mythologie. Seine Künste waren weit
bekannt, die von
ihm gestalteten Figuren sollen lebensecht gewesen
sein.
Er schuf auch das Labyrinth, in dem das stierköpfige
Ungeheuer
Minotauros gefangen gehalten wurde. |
Fab.33
Hassan
Der reiche Hassan saß gebückt
Am Schluß des Jahres vor einer Schieferplatte
Im Schatten eines Palmbaums, zählte dort entzückt
Die guten Werke her, die er verübet hatte,
Vier Beutel der Moschee von Ispahan,
Und drei der großen Karawane
Von Mekka. Ferner: sechs Tomane
Dem heiligen Derwisch Nuschirwan,
Daß er des Tages dreimal für mich bete:
Und fünf am großen Ramadan
Dem frommen Volk für Amulette
Mehr: Wöchentlich ein Brot für meine Nachbarin,
Die, selber arm, ein Waisenkind verpfleget.
Indem er so mit frohem Sinn
Die Summen Gott vor Augen leget,
Wischt eine rosenfarbige Hand
Die Posten alle weg; der Letzte mir bleibt stehen.
Der Perser dreht, von Zorn entbrannt,
Sich um nach dem Verwegenen zu sehen,
Der seine Rechnung stört, und sieht in ein Gewand
Von Äther eingehüllt der Engel schönsten stehen.
"Ich bin Asariel, von Gott gesandt,
Ein jedes gute Werk vor seinen Thron zu bringen.
Die Rechnung, die du schriebst, hat meine Hand
Verbessert." Sprach's, und hub auf goldnen Schwingen
Sich schneller, als ein Pfeil vom Bogen, in die Luft,
Und unter Hassans Palmbaum blieb ein Ambraduft.
Fab.34
Die zwei Wespen
Arzt Moslem hatte Schiraswein
Dem kranken Hatem vorgeschrieben.
Im Glase war ein Rest geblieben.
Schnell fanden sich zwei Wespen ein,
Die der Geruch herbei getrieben.
Die eine flog nur auf den Rand,
Trank, stärkte sich, behielt Verstand;
Die andre, welche nicht so witzig,
Und nicht vorlieb mit Tröpfchen nahm.
Fiel auf den Boden und trank so hitzig,
Daß sie berauscht ums Leben kam.
Mit Recht, sprach Hatem, meine Lieben
Verbietet den Wein der Alkoran
Dem ungeschlachten Muselman;
Er tränke sich den Tod daran.
Doch jede Lust, zu weit getrieben
Ist Schiraswein, der töten kann.
Fab.35
Melson
Der Witz ersetzt oft die Gelehrsamkeit.
Der schlaue Melson, der
mehr Sprachen, als er wußte,
Vor seiner Königin*
erklären mußte,
Half sich hindurch aus der Verlegenheit.
Einst kommt aus Indien ein schwarzer Abgesandter,
Erscheinet vor dem Thron, und fängt den Vortrag an,
Von welchem
Melson gar nichts übersetzen kann;
Denn keine Sprache war ihm unbekannter.
Jetzt winkt ihm die Königin.
Er nähert sich, und spricht: Dies ist der Rede Sinn:
Großmächtigste, dein Ruhm dringt bis in unsre Grenzen.
Nur dich verehret jeder Teil der Welt.
Dein Bild in Erz und Marmor aufgestellt,
Verdient, so weit die Sonne reicht zu
glänzen.
Es ist dir Brama hold; Zum Wunder schuf er dich.
Dein Blick, so wie dein Geist, ist mehr als königlich.
Dies hörte Tavernier, der sich im Saal befand.
Des Fremden Sprache war ihm ganz genau bekannt.
Er hatte, wie man weiß, von seinen vielen Reisen
Mehr als ein Stammbuch, aufzuweisen.
Der sagte: "Königin, was Melson jetzt spricht,
Das redet der Gesandte nicht."
"Wer wird," rief Melson drauf, "den Mischmasch wissen
wollen?
Mir liegt die Pflicht der Ehrfurcht ob.
Die Königin verdient das Lob:
Und hat er's nicht gesagt, so hätt' er's sagen sollen."
*Anna
von Österreich, Gemahlin Königs Ludwig des Dreizehnten von
Frankreich, und Regentin zur Zeit der Minderjährigkeit
Ludwigs des
Vierzehnten.
Fab.36
Alexander und Diogenes
Eh Philipps Sohn durch plündern und durch morden
Der Schrecken einer Welt geworden,
Besucht er in Athen den sonderbarsten Mann,
Den Zyniker Diogenes, hört seine Lehren,
Sieht seine Armut, bietet ihm an,
Ein großes Glück ihm zu gewähren.
"Das kannst du mir gar bald gewähren,"
Versetzt der Philosoph: "tritt einen Schritt zurücke,
Und nimm mir nicht den Sonnenschein!
Mehr fehlt mir nicht zu meinem Glücke."
Der stolze Held sieht mit erstauntem Blicke
Den stolzen Bettler an, den nur ein Faß bedeckt.
Ein alter Mantel ziert, ein Stecken unterstützet;
Dem Spenderbrot und Wasser schmeckt,
Mit hohler Hand geschöpft. Ein so zufriedenes
Gemüt beneidend ruft er aus: "bei meiner Ehre!
Wenn ich nicht Alexander wäre
So wär' ich gern Diogenes."
Fab.37
Die Treue
Bereit den Geist schon aufzugeben
Rief Stax: "O liebes Weib, versprich mir doch,
Als Witwe bis an deinen Tod zu leben;
Von dieser Probe gelob mir diese Probe noch.
Die Treue die ich nie gebrochen,
Versetzt die Frau, mein lieber Mann,
Verhindert mich, daß ich dir nicht gehorchen kann:
Denn ich verlobte mich schon wieder vor sechs Wochen.
Fab.38
Der reisende Verstand
Vor Zeiten reiste der Verstand;
Durch Pallas vom Olymp gesandt,
Nach Amathus, wo er die Königin Cythere,
Den blinden Cypripor und viele Nymphen fand,
Bei denen er sehr gern geblieben wäre,
Er bot sich allen an, tat artig und galant.
Wer mich zum Führer wählt, wird, sprach er, selten gleiten;
Warum? ich falle nie, und führ' in an der Hand.
Allein Cythere sprach: "Es ist seit alten Zeiten
Frau Torheit schon gewohnt, mein junges Volk zu leiten,
Besonders meinen Sohn, wenn er den Bogen spannt;
Die abzuschaffen, macht zu viel Bedenklichkeiten.
Drum kehr' Er immer nur, mein lieber Herr Pedant,
Zurück ins werte Vaterland
Zu der, die Ihm uns hergesandt;
Und lern' Er, was Ihm unbekannt:
Die L i e b e leider nicht Verstand."
Fab.39
Die Schatzgräber
Hört Kinder! sprach ein kranker Mann,
Der durch den Weinbau reich geworden,
In unserm Berge liegt ein Schatz!
Grabt nur danach. Wo ist der Platz?
So fragten alle: Sagt den Ort!
Grabt! grabt! Er starb nach diesen Worten.
Kaum war der Greis zur Gruft gebracht,
So ward gegraben, Tag für Tag
Mit Harken, Spaten wird
Der Weinberg um und um gescharret,
Da war kein Kloß der ruhig blieb.
Man warf die Erde durch ein Sieb.
Zog Harken in die Läng' und Quer
Allein es ward kein Schatz verspürt,
Sie hielten sich für angeführt.
Doch kaum erschien das nächste Jahr,
So nahm man mit Erstaunen wahr,
Das jeder Weinstock dreifach trug.
Da wurden erst die Söhne klug,
Und gruben nun Jahr ein Jahr aus
Des Schatzes immer mehr heraus.
Fab.40
Zephyr und der
Schnitter
Durch Zephyrs sanften Hauch gekühlet
Verläßt der Schnitter Ägon sein gemähtes Feld,
Und sucht des Ulmbaums breites Zelt;
Doch Zephyr, der jetzt Hang zu Schaden fühlet,
(Ein alter Hang, den er bewies,
Als er dem Hyazinth, dem schönsten Knaben,
Den Diskus an die Schläfe blies.*)
Will eine neue Kurzweil haben,
Und schüttelt einen dürren Ast mit solcher Macht,
Daß er herunter auf den Schläfer fällt.
Der Schnitter, der vom Schmerz erwacht,
Und hört wie tückisch Zephyr lacht,
Flucht heftig auf den Wind, der ihm das Kinn zerschellte.
Doch dieser spricht: Ist dies der Dank, daß ich dich kühlte?
Daß ich zur Erntezeit um deinen Nacken spielte,
Damit er nicht die Glut der Mittagssonne fühlte?" —
"Wenn die Beschädigung," rief Ägon, größer ist;
So wisse, daß man leicht den kleinen Dienst vergißt."
*Apollo
und sein Liebling Hyacinthus übten sich mit der Wurfscheibe.
Zephyrus wehte die Wurfscheibe des Apollo in böser Absicht
dem
Hyacinthus an den Kopf, daß er starb. Apollo verwandelt
den toten
Hyacinthus in ein Blumenmeer von Hyazinthen.
Fab.41
Der König und der
Dichter
Ein König, der durch Tyrannei
Sich fürchterlich, den Bürger elend machte,
Und doch in seinem Herzen dachte,
Daß er der Fürsten Muster sei,
Sah jedes Lob, das ihm der Schmeichler brachte
Für wohlverdient und ewig dauernd an.
Die Redner hießen ihn bald Titus, bald Trajan;
Die Dichter riefen ihn als ihren Phöbus an;
Die Maler malten ihn mit Jovens Donnerkeilen;
Gegraben stand sein Lob in hundert Marmorsäulen
Und jede Zeitung sprach in lügnerischen Zeilen,
Was er, der große Held, der Menschenfreund getan.
Ein Dichter lebte still, und weit von seinem Hofe;
Vom Musengott selbst angeführt,
Von allen Grazien mit Schönheit ausgeziert,
Entwarf sein Lied in mancher edlen Strophe
Der Weisheit warmes Lob, der Heldentugend Pflicht;
Gab dem Tyrannen selbst versteckten Unterricht.
Umsonst! sein Lied gefiel den Aristarchen nicht.
Ihm fehlt es an Genie: so sagten die Journale.
Er ist sehr weit entfernt vom hohen Ideale.
So sagte der Merkur.*
Die Barden schrieen: Er folget fremder Spur,
Singt nicht im Landeston. Er weilet stets im Tale,
Schrieen andere, nie donnert seine Poesie,
Hüllt nicht in heilig Dunkel nie.
Zugleich erblaßt das Paar, der König und der Dichter.
Alsbald erheben sich die Stimmen andrer Richter:
Das Untier ist nicht mehr! ruft das befreite Land;
Sein Name sei verflucht! man reißt die Säulen nieder,
Und täglich wird er jetzt mit Abscheu nur genannt.
Doch ohne Vorurteil liest man nun auch die Lieder
Des Dichters den die Neider nicht mehr schmähn.
Wie stark, wohlklingend, reich! wie männlich schön!
In diesen lebten die verlornen Griechen wieder;
Er ist es, der des Vaterlandes Dank verdient,
Und dessen Lob hinfort gleich einer Zeder grünt.
O hätten dies in ihren Lebensjahren
Die beiden Schatten doch erfahren!
*Zielt
auf viele Kritiken in den gelehrten Zeitungen überhaupt,
welche von dem Götterboten Mercurius den Namen führen.
Fab.42
Jupiters neue Regierung
Wie steht's im Himmel? fragt mit Lachen einst ein Prinz
Den klugen Sophron, den von seiner Dädalsreise
Ein guter Wind in die Provinz
Brachte. Mit Lachen spricht der Weise:
An einer goldnen Tafel sitzt
Der Herr der Menschen und der Götter,
Und schmauset; fordert bald den Schutzpatron der Spötter
Zum Scherzen auf;
Jagt bald von wilder Brunft erhitzt,
Sogar der Venus ungewohnte Röte
Ins Antlitz; schielt nach Hebens voller Brust,
Wiegt, alles Wohlstands unbewußt,
Den Pagen auf den Knie; frischt sich zu neuer Lust
Mit Nektar an, und Zimbel und Trompete
Und Pauken melden daß — Zeus trinkt,
Und Prosit seiner Dame Kammermädchen winkt.
Doch lauter als die Pauke tönen Klagen
Aus allen Gegenden, die Phöbus Wagen
In ewig unverrücktem Lauf
Umfährt, zum Thron des Weltregierers auf.
Er hört ein Angstgeschrei, er hört ein Mordgetümmel.
Nun reißt ihm die Geduld; er flucht, hebt voll Verdruß
Die Falltür auf, und schaut herab vom Himmel.
"Krieg in Europa? Pest am Kaukasus?
Und Hungersnot am Nil? Hier Sturm? Hier Hagelschaden?
Da Wassernot? Dort Myriaden
Heuschrecken? — Wie? Schon wieder ein Vulkan?" Er spricht's,
Und schlägt die Türe zu, als hätt' er nichts
Auf seiner Unterwelt gesehen und gehört.
Streicht sich den Bauch und Bart, und kehret
Zurück zur Tafel, ißt und trinkt,
Bis er zuletzt in tiefen Schlaf versinkt.
Solch Leben soll er alle Tage führen,
Und das nennt er — die Welt regieren.
Fab.43
Der Geizige und
der Haushund
Ein karger Mann hielt einen Hund,
Groß, stark, beherzt, auch schön und bunt;
Allein das arme Tier war hager,
Und krümmt' aus Hunger sich im Lager.
Einst kommt ein Dieb um Mitternacht,
Der hatte Kuchen mitgebracht,
Und lockt den Wächter. Du sollst wissen,
Für dich ist dieser Leckerbissen.
Schnapp! nahm ihn Sultan weg, und schwieg.
Worauf der Täter durch das Fenster stieg.
Und alles raubte, was an Schätzen
Zu rauben war; es blieb kein Fetzen.
Der Hausherr, als er Morgen fand,
Ihm sei der letzte Rock entwand,
Wollt' aus Verzweiflung bald sich henken,
Bald sich erschießen, bald ertränken.
Verdammter Hund! so rief er aus,
Bewahrst du so mir Hof und Haus?
Der sprach: "Soll ich dich treu bewachen,
So mußt du wie der Dieb es machen,
Der lohnt dem, der ihm dienen soll;
Zu diesem geh ich lebe wohl!"
Fab.44
Die Teilung
Ein reicher Vater war gestorben.
Drei Söhne hatten was sein Fleiß erworben,
Sich gleich geteilt. Nach kurzer Zeit
Kam Krieg ins Land. Da sah man weit und breit
Brandstätten, Blutgefilde, Wüsteneien.
Zwei Brüder von den dreien
Verloren durch der Feinde Wut
In wenig Jahren Hab und Gut.
Der dritte hörte dies, und sprach: "Ich will den Segen,
Den ich, seit unser Vater starb,
Durch Glück gewann, durch Fleiß erwarb,
Zu dem geerbten Dritteil legen.
Wie? beide sollten elend sein?
Sie? meine Brüder? ich allein
Der Glückliche? Verarmte Brüder,
Kommt, teilt von neuem!" Und sie teilten wieder.
Der brave Mann, wenn ihr ihn noch nicht kennt,
Hieß Proculejus. Freilich brennt
Der blinde Heide jetzt beim Satan in der Hölle;
Doch ihr, die ihr ihm diese Stelle
Aus christlichem Erbarmen gönnt,
Und Tugenden, die nicht aus eurem Glauben kamen,
Schandtaten, die nur glänzten, nennt,
Geht hin und tut desgleichen. Amen!
Fab.45
Die
Reichsgeschichte der Tiere
Die Tiere lebten viele Jahre
In friedlicher Demokratie.
Doch endlich kamen sie einander in die Haare,
Und ihre Republik versank in Anarchie.
Der Löwe machte sich den innern Streit zu Nutze
Und bot sich ohne Sold dem kleinern Vieh,
Als dem gedrückten Teil, zum Schutze,
Zum Retter seiner Freiheit an.
Er wollte bloß des Volkes Diener heißen,
Und brauchte weislich seinen Zahn
Im Anfang nur die Räuber zu zerreißen.
Als dies die frohen Bürger sahn,
Ernannten sie zum wohlverdienten Lohne
Den Diener feierlich zum Chan,
Versicherten die Würde seinem Sohne,
Und gaben ihm die Macht die Ämter zu verleihn,
Um kräftiger beschützt zu sein.
Nun sprach der neue Fürst aus einem andern Tone:
Er gürtete sein Haupt mit einer Eichenkrone,
Erhob Tribut, und wer ihm widerstand,
Fiel als Rebell in seine Pranke.
Der Wolf, der Luchs, der Tiger und der Elephant
Ergaben sich aus List, und jeder ward zum Danke
Zum königlichen Rat ernannt.
Jetzt halfen sie dem Chan die schwächern Tiere hetzen,
Bekamen ihren Teil an den erpreßten Schätzen,
Und raubten endlich trotz dem Chan.
Ha! rief das arme Volk mit tiefgesenkten Ohren
Und mit geschundner Haut, was haben wir getan!
Allein der Freiheit Kranz war nun einmal verloren,
Der Löwe war und blieb Tyrann;
Er ließ von jedem Tier sich stolz die Pfote lecken,
Und wer nicht kroch, der mußte sich verstecken.
Fab.46
Der Marder und der Löwe
Einst ließ der Tiere Großsultan
Durch das Geschrei von einem Hahn
Sich als ein feiger Hase jagen.
Ein Ding das oft sich zugetragen.
Die Tiere die ihn laufen sahn,
Verhöhnten ihn. Um diesen Flecken
Auf eine schickliche Manier
Vor seinem Volke zu verstecken,
Befahl der König jedem Tier,
Beim krähen eines Hahns zu fliehen.
"Es zeigt," sprach er, ein Unglück an,
Das nur die Flucht vermeiden kann."
"Herr!" rief der Marder auf den Knien;
Wie kann ich den Befehl vollziehen?
Die Hühner sind mein täglich Brot;
Und statt mich durch sein Krähn zu schrecken,
Läßt mich der Hahn ihr Nest entdecken."
"Fleuch vor den Hahn, Rebell! der Tod
Ist sonst dein Lohn," brüllt der Despot,
Dem Wut aus beiden Augen blitzet.
Nie wird der Staatsbediente sehr
Geliebt, der Eine Tugend mehr,
Als sein erhabner Schach besitzt.
Fab.47
Der Weinstock
und der Ulmenbaum
Ein junger Weinstock stand in eines Landmanns Garten,
Der nichts gespart ihn wohl zu warten;
Doch er belohnt ihn auch: er stieg im schönsten Flor
Zu seiner täglich größern Freud' empor.
Nicht weit davon war auch ein Ulmbaum aufgeschossen,
Gerade, schlank und lebhaft grün,
Der diesen Rebstock zu lieben schien.
(Der Liebe reichstes Maß ward Tieren eingegossen,
Und ein geringeres dem Pflanzenreich verliehn.)
Wie bald verstehn sich die, die gleichen Trieb empfinden!
Die junge zarte Rebe schlich
Zu dem vergnügten Ulmbaum sich,
Und beide strebten sich fester zu verbinden;
Allein der Gärtner, der vorüberging,
Sprach zu dem Ulmbaum: E i n b i l d l i n g!
Du würdest mir die Rebe schön beschirmen!
Drauf band er sie voll Unbedachtsamkeit
An einen alten Stamm: der gibt dir Sicherheit.
Das weiß ich. Was geschah? Nach kurzer Zeit
Entstand der heftigste von allen Stürmen,
Die je das Land verheert. Der mürbe Baum zerbrach,
Und riß bei seinem Fall die junge Rebe nach.
Der schlanke Baum, der sich gebogen, blieb stehen.
Des Weinstocks Unfall ging dem Landmann herzlich nah.
Fab.48
Die Löwin und der Hund
In einem Hain bei Trankebar
Kam eine junge Löwin nieder,
Ein Weibchen edler Art, sehr großmutsvoll und bieder.
Sie hatte schon vor einem Jahr
Mit ihrer Milch ein Hirtenkind ernähret,
Das in dem Busch verloren war,
Und als die bange Mutter es zurück begehret,
Es sanft ihr hingelegt. Jetzt traf sie herber Gram,
Weil ihr der Tod ihr eignes Löwchen nahm.
Ein treuer Hund, der ihr zur Seite wachte,
Sah es mit Schmerzen an, und brachte
Ihr einen jungen Tiger dar. Sie stutzt und spricht:
"Was soll ich mit den argen Wicht?"
"Ach Mütterchen!" antwortet er, "ich dachte,
Weil du kein Kind mehr hast, du könntest ihn
Statt deines eignen auferziehn." —
"Ich einen falschen Tiger? lieber sterben
Als eine Brut erziehn, die nie sich bessern kann." —
"Warum nicht? kann man Laster erben,"
Versetzt der Freund, "so steckt auch wohl die Tugend an."
Fab.49
Der Fuchs und das
Eichhorn
Der Fuchs, ein Attila der Hähne,
Und Hühner, war nun mehr betagt
Und schwach, verlor fast alle Zähne,
Und ward vom Podagra geplagt.
Ein wohl bewährtes Sprichwort sagt:
Der allerärgste Schelm auf Erden
Muß noch zuletzt ein Mucker werden.
Warum? Ist hier die Frage nicht.
Genug der alte Bösewicht,
Begann seine Räubereien,
Durch Seufzen, Fasten und Kasteien,
Vor allen Tieren zu bereuen.
Mit tränenvollem Angesicht
Trat er nach den zermalmten Knochen
Von einem feisten Auerhahn,
Dem er nur erst vor wenig Wochen
Voll Grausamkeit den Hals gebrochen,
Andächtig eine Wallfahrt an.
Er wählte sich die rauhsten Stege,
Die man im Walde finden kann,
Und traf auf dem verwachsnen Wege
Ein junges rasches Eichhorn an.
Das sah er mit vergnügten Sprüngen
Sich auf die höchsten Wipfel schwingen,
Und schnell erhebt sich in der Brust
Des Büßers eine fromme Lust,
Sich an dem Tänzer zu erbauen
Und in der Näh' ihm zuzuchauen.
"Sei mir gegrüßet, lieber Sohn!"
So sprach er in gebrochnem Ton:
"Ich sehe mit vergnügtem Herzen
Dich so beglückt, so sorgenfrei
Des Lebens Gram von dannen scherzen.
Doch ich gestehe dir dabei,
Daß ich auf meinen Pilgerzügen
An der entfernten Wolga Strand
Vorlängst ein graues Eichhorn fand,
Das diese seltne Kunst zu fliegen,
Weit besser noch als du verstand."
Der Vorwurf kränkte Mätzchens Ehre.
"Ich denke," hub er spöttisch an,
"Daß ich die Traub' erreichen kann,
Die viel zu hoch dem Fuchse wäre."
"Oh," sprach der Alte, "glaube mir,
Du kannst mit jenem Wundertier
Auf keine Weise dich vergleichen.
Es drückte fest die Augen zu
Und konnte doch so flink als du,
Die Wipfel weit entfernter Eichen
Mit einem sichern Flug erreichen."
"Ha," sprach das Eichhorn, "armer Greis!
Das kann ich auch, so viel ich weiß."
Es schließt sogleich die Augenlieder,
Nimmt einen ungemessnen Satz,
Und stürzet auf den Rasenplatz
Vor unsers Fuchses Füßen nieder,
Der plötzlich alle seine Kraft
Verräterisch zusammen rafft,
Den kühnen Springer bei dem Nacken
Mit scharfen Krallen anzupacken.
Das Eichhorn schrie: "Barmherzigkeit!
Herr Fuchs, der Spaß geht allzu weit,
Sie tun, als wollten sie mich fressen."
"Gemach! mein lieber kleiner Sohn,"
Sprach Reinecke mit bittrem Hohn.
"Das Spaßen hab' ich längst vergessen;
Ich suche mir ein Abendessen."
Auf diesen freundlichen Bericht
Rief Mätzchen voller Angst und Grauen:
"Ihr Götter, welch ein Strafgericht
Gibt mich in dieses Heuchlers Klauen?
Jedoch ich schweig' und murre nicht.
Du aber bist ein Bösewicht;
Dich sah ich erst als Pilger wallen,
Ich hörte dein Gebet erschallen;
Und nun dankst du den Göttern nicht,
Die so viel Gutes dir erweisen
Und dich mit meinem Fleische speisen."
Ein Meister in der Heuchelei
Bleibt auch bei seinen Freveltaten
Dem Schein der Gottesfurcht getreu.
Der Falsche, den erhaltnen Braten
Hinabzuschlingen schon bereit,
Blickt jetzt voll Ernst und Heiligkeit
Nach des Olymps azurnen Kreisen
Und faltet, um den Zeus zu preisen,
Der Pfoten blutgefärbtes Paar.
Das Eichhorn nimmt den Zeitpunkt wahr,
Und schneller als des Habichts Schwingen
Durch die zerteilten Lüfte dringen,
Erreicht es einen sichern Ast.
Froh sieht es unter tausend Flüchen
Den Feind in eine Höhle kriechen,
Und ruft ihm nach: "Mein frommer Gast,
Willst du forthin ein Eichhorn speisen,
Mußt du nicht erst die Götter preisen,
Als bis du es verzehret hast."
Fab.50
Der Löwe und der Wolf
Im langen Tal der Garamanten*
Schlug König Löw' und Meister Bär
Den Richtstuhl auf; der ratsverwandten
Gesamtes Chor stand ringsumher.
Sogleich erscheint die Kuh, und klaget,
Der Tiere strengem Oberhaupt,
Es hab' ihr Kind, eh' es getaget,
Ein unbekannter Dieb geraubt.
Der Löwe sieht umher, zu hören,
Ob in der Näh' ein Zeuge sei.
Ich, ruft der Wolf, kann heilig beschwören,
Herr König, ich war nicht dabei.
Und wer verklagte dich? spricht der König.
Verleumder, fällt ihm jener ein;
Ich bin jetzt krank und esse wenig,
Und kann es nicht gewesen sein.
Schweig! ruft der Löwe; das Gewissen
Läßt einen Bösewicht nie ruhn:
Du hast der Kuh das Kalb zerrissen;
Der Bär soll dir ein Gleiches tun.
So starb der Wolf: und wie man saget,
Verriet sein Bauch, was er getan.
Wer sich entschuldigt, eh man klaget,
Der gibt sich selbst zum Täter an.
*Über
1.000 Jahre beherrschten die Garamanten um Christi Geburt
das
Herz der Sahara.
Antike Schriftsteller berichten von einer mächtigen
Hauptstadt,
von gewaltigen Festungen und von exotischen Tieren für die
Arenen
des
römischen Imperiums.
Fab.51
Der aufgeblasene Frosch
und die Wassermaus
Ein Frosch sah einen feisten Stier
Am Rande seines Sumpfes grasen.
(Ein kleines Tier ist oft ein stolzes Tier)
Schnell fing er an sich aufzublasen,
Und sprach zur Wassermaus: Sieh Mäuschen, sieh doch hin!
Dort trabt ein Stier; sieh mich nun an! nicht wahr, ich bin
So groß als er? — Noch lange nicht. — Doch nun? —Vergebens
Strengst du dich an. — Jetzt ganz gewiß, Frau Nachbarin. —
Noch weit gefehlt! — Die Kräfte meines Lebens
Setz' ich daran, und wär's mein Untergang.
Sprach's, blies sich stärker auf, zersprang.
Fab.52
Der Hecht
Ein Klausner, der am Tiberstrand
Einst fischte, zog in seinem Netze
Den größten Hecht erfreut ans Land.
Verwegner! rief der Fisch, verletze
Nicht meine heilige Person.
Dein Vorfahr hat mich stets geschonet,
Ja gar, wenn er mich fing, mit gutem Fraß belohnet.
Ich trüge, sagt er mir, die ganze Passion,
Den Kelch, den Schwamm, das Kreuz, die Lanze,
Die Nägel, samt den Dornenkranze
In meinem Kopf. — Ei! ei! du frommes Tier!
Versetzt der Greis; doch, darf ich fragen?
Was trägst du denn in deinem Magen?
Der strotzet über die Gebühr. —
Ach nichts! ein Frühstück nur; ein Nest voll junger Aale. —
Das dacht ich wohl. Du Kannibale
Trägst die Religion im Kopf
Und in dem Busen das Verderben.
Fort, fort mit dir in meinen Topf!
Damit durch dich nicht tausend sterben.
Fab.53
Der Bräutigam und der
Tod
Ein Mann, der eine Frau genommen,
War sehr vergnügt zurückgekommen
Vom schön geschmückten Traualtar;
Uns bald darauf setzten, Paar bei Paar,
Die Braut und Er und seine Gäste
Sich hin zum frohen Hochzeitsfeste.
Da ward getrunken und gelacht,
Getanzet bis um Mitternacht.
Als endlich nun der Augenblick
Sich nahte, da des Bräutigams Glück
Die höchste Stuf' ersteigen sollte,
Und er zum Ehebett eilen wollte
Mit seiner jungen schönen Braut,
Die er bisher nur angeschaut;
Da winkte man ihn schnell heraus;
Ein Fremder, hieß es, will durchaus
Nicht eher von der Stelle gehen,
Bis er dich auf ein Wort gesehn.
Der Mann eilt ungern aus der Kammer
Ins Nebenzimmer, und, o Jammer!
Da er hineintritt, zeigt sich ihm
Der blasse Tod. Mit Ungestüm
Faßt der ihn bei dem Arm und spricht:
"Komm mit mir fort, und säume nicht!"
"Ei!" sprach der Mann, "warum so eilig,
Herr Tod? Das ist ja ganz abscheulich
Und himmelschreiend, daß ich Euch
Begleiten soll ins Schattenreich
Gerad' an meinem Hochzeitsfeste,
Und noch dazu eh ich das Beste
Davon genossen. Glaubt mir nur:
Die kleine süße Kreatur,
Die man mir heute zugeführet,
Hab' ich fürwahr noch nicht berühret."
Der Tod, der sonst nicht Spaß versteht,
Ward dennoch dieses Mal erfleht,
Und ließ den jungen Bräutigam los:
"Ei," sprach er, "in der Freude Schoß!
Doch komm' ich einst zum zweiten Mal,
So mach dir nicht vergebne Qual,
Und folge mir ohn' Anstand nach."
"Gern, gnädiger Herr Tod!" so sprach
Der Bräutigam. Doch darf ichs wagen,
Noch eine Bitt' Euch vorzutragen:
So nehmt mich doch, wenns Euch gefällt,
Nicht gar zu plötzlich aus der Welt."
Der Tod spricht: "Dies auch geh ich ein,
Du sollst zuvor gewarnet sein;
Ich werde dir drei Zeichen geben:
Doch dann nimm Abschied von dem Leben."
Der Tod verschwand. Der Bräutigam lief
Zu seiner jungen Braut, und schlief
In ihren Armen bis zum Morgen.
Drauf lebt er mit ihr ohne Sorgen
Manch liebes Jahr, und sie und er
Sahn Söhn' und Enkel um sich her,
Bis, von der Jahre Last gekrümmt,
Die Frau vom Leben Abschied nimmt.
Der Mann lebt fort vergnügt und frei,
Denkt nicht, wie nah sein Ende sei.
Er war nun sechs und achtzig Jahr;
Doch weil er auch bei grauem Haar
Von Leibesschwachheit nichts empfand,
So war der Tod kein Gegenstand,
Der ihm die mindeste Sorge machte.
Einst aber, als er früh erwachte,
Fühlt er sich lahm. "Was ist zu tun?
Ich bleib im Stuhl; kann länger ruhn."
Drauf ward er blind; ein Unglück freilich;
Allein dies war ihm doch erfreulich,
Daß von der Anverwandten Schar
Beständig jemand um ihn war.
Da schwatzte jener, dieser sang,
Und so wird ihm die Zeit nicht lang.
Doch oft verlor er das Gehör;
Dies war ein schlimmer Zufall mehr;
Allein auch den trug er gelassen,
Und wußte neuen Mut zu fassen.
>So lange,< dacht er, >mir das Essen
Noch schmeckt, will ich dies Leid vergessen.<
Doch schnell erschien der blasse Tod
Zum zweiten Mal, wie er gedroht,
Und rief: "Pack ein, das Spiel ist aus."
"Ach! ach!" versetzt der Greis; "mein Haus
Ist nicht bestellt; ich darf nicht fort.
Und gabt Ihr mir nicht Euer Wort,
Drei Zeichen mir vorher zu geben,
Eh' Ihr mich holet?" — "Das ist eben
Geschehen," fällt der Tod ihm ein.
"Was sollten das für Zeichen sein?"
"Du wurdest lahm, halb taub und blind.
Wenn dies von mir nicht Zeichen sind,
So weiß ich keins. Doch fort mit dir!
Du bliebest sonst wohl ewig hier."
Fab.54
Das belohnte Verdienst
Ein tapfrer Mann, der ohne Stern und Band,
Allein durch sein Verdienst ums Vaterland
Vom Volk geehrt und eines höhern Glückes
Längst würdig war, empfand die Tücke des Geschickes.
Er war in mancher harten Schlacht
Tief in der Feinde Heer gedrungen;
Er hatte Spolien*
sich wie Marcell*
errungen,
Und zum Gefangenen den Feldherrn selbst gemacht.
Doch wollt' es nie dem Biedermann gelingen
Sich höher bei dem Heer hinaufzuschwingen.
Voll Unmut und Verdruß ward er des Wartens satt;
Er floh die undankbare Stadt,
Und wollte sich aufs Land begeben.
Doch welch ein Glück! er rettete das Leben . . .
Dem König? — O nein! — Dem königlichen Sohn? —
Gefehlt! — Nun denn? wer war's? — Ein Hündchen war's:
Mimine,
Geliebt von des Ministers Konkubine;
Und Orden, Glück und Reichtum ward sein Lohn.
*Spolien:
Ursprünglich bedeutet spolia opima "fette Beute."
Es handelt sich um die Rüstung, die ein römischer Feldherr
dem von ihm
erlegten Anführer der Feinde abnehmen und behalten durfte.
*Marcellus
Marcus Claudius - *42 v. Chr. †23 v. Chr. - hatte den
Heerführer
der Gallier überwunden und die Waffen desselben
in dem Tempel Jupiters
aufgehängt.
Fab.55
Die Unsterblichkeit
Der Esel Bileams starb alt und lebenssatt.
Sein grauer Schatten kam auf das Gestirn zu wohnen,
Wo sein Geschlecht schon seit Äonen,
Gleich andern Tieren, einen Limbus*
hat.
Kaum sah der Brüder Chor den Klepper des Propheten
Aus Syrien, so rief die ganze Schar:
Heil dir auf unserm friedlichen Planeten!
Du, welchem das Talent im Ernst vergönnet war,
Was uns die Laune der Poeten
Im Scherze leiht, und was uns nur
Das Schattenreich gewährt. Trophäen und Altäre
Erwarten dich auf dieser Flur.
"Ihr Herren," sprach der Gast, so vieler Ehre
Bin ich nicht wert; ich strebte nie nach hohem Ruhm;
Auch kostet mir mein Heldentum
Drei bare Rippen. Ha! bei meinen Ohren!
Des Esels Los ist Dunkelheit.
Wer in den Tempel der Unsterblichkeit
Geprügelt werden muß, ist nicht dafür geboren."
*der
Aufenthaltsort für Seelen.
Fab.56
Das Kamel
Nach seines Mentors heisrer Pfeife
Und einer Trommel hohlem Ton
Zog ein Kamel, mit einem Schweife
Von Buben, einst durch Lissabon.
Die Pforten und die Fenster sprangen,
Wohin das Tier den Fuß nur hob,
Und hundert Rezensenten sangen —
O Wunder! — gleich entzückt sein Lob.
Ei seht doch, rief der Hohepriester,
Wie sittsam es die Knie beugt!
Dabei versetzt der Minister,
Trägt es so schwer man will, und schweigt.
Wie stolz hebt es die hohe Stirne
Und seinen Schwanenhals empor!
Kräht eine hochgeborne Dirne
Und wirft die freche Brust hervor.
Schweig, eitles Ding! und laß dir sagen,
Brummt ihre karge Großmama,
Daß man es oft zu ganzen Tagen
Gleich den Karthäusern fasten sah.
Ein Hauptstück habt ihr übersehen,
Sprach jetzt ein Buckliger zu ihr;
Der Höcker ist, Ihr müßt es gestehen,
Das Schönste noch am ganzen Tier.
* * *
So ist der Menschen Lob beschaffen:
Ein jeder preist nur, was ihm nützt,
Nur seinen Freund, nur seinen Affen;
Nur das Talent, das er besitzt.
Fab.57
Verdienst und Zufall
Dem engen Wirkungskreise, der es lang umfing,
Und der beneidenswerten Stille,
An der sein Herz als an der treuesten Freundin hing,
Entriß sich das V e r d i e n s t, und unternahm — war's
Grille?
War's das Bewußtsein seiner Kraft,
Die durch den Nichtgebrauch erschlafft? —
Die mühevolle Wanderschaft
Nach Famens Heiligtum. Der Weg, wie der zur Hölle,
Ist breit, ist immer voll, nur nicht so blumenreich;
Bei jedem Schritt begegnet euch
Ein Abenteuer, Unfall zeichnet jede Stelle.
Der Neider Völkchen lebt hier recht nach seinem Sinn,
Gräbt eine Grube dem, wirft dem Fußangeln hin,
Und weiß dabei das Ansehn sich zu geben,
Als ließ es augenblicks für euren Dienst sein Leben.
Bei solchen Fährlichkeiten denkt ihr leicht
Daß das V e r d i e n s t, den Neckereien auszuweichen
Und sich durch krumme Wege durchzuschleichen
Unfähig, nur erst spät sein Ziel erreicht.
Allein ihr wähnt, der Priester hab' ihm unverdrossen,
Es heiß umarmt, und mit geheimnisvollen — Possen
Den längst bestimmten Kranz ihm überreicht?
Nichts weniger! der Tempel war verschlossen.
Doch ähnlichen Empfang ist das V e r d i e n s t gewohnt:
Die kleinste Bitte ward schon oft ihm abgeschlagen,
Schon oft die schönste Tat durch Worte nur belohnt.
Es saß auch hier, für jämmerliche Klagen
Zu stolz, sich in Geduld. — Ein alter blinder Mann
Läßt unterdes, als Pförtner, wie er kann
Und Lust hat, Narren, ohne Fragen
Und ohne Wahl, nur weil sie lauter schrein
Und kecker sich ihm nahn, zu Tausenden hinein.
Ein jeder strebte hier dem Andern vorzueilen;
Doch schnell erhob, noch schneller stürzte sie das Glück,
Stolz ging der Troß hinein, beschämt kam er zurück;
Nicht einer durfte dort verweilen.
Der alte Pförtner merkt zuletzt von ungefähr
(Wie stets) auch das V e r d i e n s t. "Kommst du nicht
näher her?
Bin ich nicht wert, daß man ein Wort mir gönne?
Du trotzest auf dein Recht? doch wisse, mich verschmäht
Man nicht umsonst. Herein laß ich dich zwar, doch spät.
Dien' aller Welt zum warnenden Exempel!
Damit sie lerne, daß der Schlüssel zu dem Tempel
Nie aus des Z u f a l l s Händen kommt."
"Längst lehrte mich," spricht das V e r d i e n s t, die
Sage,
Daß nichts auf Erden deinen Einfluß hemmt;
Daß Mars sein Schwert dir leiht und Themis ihre Waage;
Und daß dein Mund nie nach Gewissen und nach Pflicht,
Nur stets nach Launen und Schimären
Das Urteil über Wert und Unwert spricht.
Den Eintritt in den Tempel magst du mir erschweren,
Doch mich daraus vertreiben sollst du nicht."
Fab.58
Der Hund und der Schwan
Der volle Mond, der sanften Schwermut Bild,
Hing als ein diamantner Schild
Am blauen Pol; sein heller Spiegel streute
Ein mildes Licht zurück auf die betaute Flur.
Den Schwan, die Nachtigall und die Zikade freute
Sein Anblick. Einen Bullenbeißer nur,
In den vor Jahr und Tag ein Kritikaster fuhr,
Verdroß sein Glanz; von alter Galle kochte
Das Blut ihm noch. Er hob den Kopf empor,
Und bellte, was er bellen mochte.
Schon eine Stunde trieb der Tor
Den Unfug; als aus seinem Bache
Der majestätisch ernste Schwan
Ihn unterbrach: "Was glüht in dir für Rache?
Was hat das herrliche Gestirn dir Leids getan?
Was haderst du mit ihm, daß uns die Ohren gellen?
Du bellst dir umsonst die Kehle wund;
Er hört dich nicht." — "Nun gut!" versetzt der Hund;
So hör' ich doch mich selber bellen."
|