Die Wölfe und die Hirsche
Die Hirsche und Wölfe führten lange Zeit miteinander Krieg.
Die Hirsche siegten selten
und mußten fast immer weichen. Sie wurden aus allen Wäldern
vertrieben, über alle
Flüsse gejagt, und litten dabei, namenloses Elend.
Die Häupter der streitenden Parteien wünschten den Frieden,
— unterhandelten öfters, —
konnten aber nie einig werden, und der Krieg fing wieder vom
neuen an.
— Nun verabredete sch der größte Teil der Hirsche, dem
Kriege ein Ende zu machen.
Einige aus ihnen rieten zur Desertion, einige zur Empörung
gegen die Anführer.
Endlich sprach einer:
"Kameraden! ich meine, das Klügste wäre, wir sollten uns, so
bald der Krieg wieder
anfängt, zu Gefangenen geben."
"Ja," riefen die andern Hirsche, "gefangen geben wir uns."
Der Krieg begann. — Die Hirsche wurden ins Treffen geführt,
— aber statt — daß sie
kämpften, warfen sie ihre — Geweihe ab, — und gaben sich
gefangen. — Und gleich
darauf wurde — Friede.
* * *
Das ist jetzt die neueste Methode, dem Kriege ein Ende zu
machen.
Die Maultiere und die Räuber
Zwei Maultiere, mit Säcken beladen, gingen durch einen Wald.
Das eine trug Geld,
das andre Getreide. Jenes hob stolz sein Haupt empor, und
dieses trabte still und
schüchtern seine Wege. Auf einmal stürzten Räuber aus dem
Gebüsche hervor,
Sie fielen über das stolze Maultier her, töteten es, und
nahmen ihm das Geld. Das andre
Maultier aber ließen sie, weil es nur mit schlechtem Korn
beschwert war, ruhig hinziehn.
Als das Maultier seinen Gefährten im Blute liegen sah,
sprach es:
"So gibt es doch auch Zeiten und Umstände, da der Arme und
Verachtete weit glücklicher
ist, als der Reiche und Vornehme."
* * *
Eine Anekdote aus der Revolutionsgeschichte.
Der Vater und der Knabe
mlt dem Steckenpferde
Ein Knabe, der noch auf dem Steckenpferde ritt, sprach zu
seinem Vater:
"Laß mich doch bald in die Schule, gehn."
"Wenn du mir versprichst," sagte der Vater, "daß du nicht
mehr auf dem Steckenpferde
reitest." Der Knabe war folgsam, und ritt nicht mehr. Aber
seine Sporen von Kartenblättern,
trug er doch noch an den Stiefeln, und mit
diesen wollte er in die
Schule gehn.
"Auch die Sporen", versetzte der Vater, "mußt du weglegen.
Denn es wäre lächerlich,
wenn du Sporen trügest, ohne daß du ein Pferd hättest, und
reiten würdest."
"Ich trage sie," sagte der Knabe, "nur, um mich vor anderen
Knaben auszuzeichnen,
und mir mehr Ansehn zu geben."
* * *
Wie viele tragen nur Sporen, — als die einzigen
charakteristischen Merkmale je ihrer
Würde und Bildung! —
Der Adler,
der Rabe und der Kranich
Ein alter Adler wurde tödlich krank, und verlangte einen
Arzt. Man empfahl ihm den
Raben. Dieser erschien.
"Wie?" — sprach er, "Eure Majestät sind krank, und sehn aus
wie's Leben?" —
Erfühlt den Puls, schaut, und verschreibt — Lämmerblut und
Kälbermark. Allein, diese
Kur war zu schwach, und die Krankheit nahm zu. — Man rief
den Kranich. Als er den
Adler sah, zuckte er die Achseln und sagte:
"Ihr Zustand ist bedenklich — und die Leibeskonstitution
sehr gebrechlich."
"Was," — sprach der Adler, "meine Leibeskonstitution ist
gebrechlich? — Fort mit dir!
du bist ein Charlatan."
* * *
Er ist ein Ketzer, ein Empörer, heißt es, wenn ein
Schriftsteller über die Gebrechen der
Kirchen und Landeskonstitution wohlmeinend schreibt.
Der Hirt und die
beiden Stiere
Zwei Stiere verliebten sich zu gleicher Zeit in Eine Kuh und
wurden uneins.
Sie überhäuften sich mit Vorwürfen, und forderten einander
zum Kampfe heraus. —
Der Stärkere streckte den Schwächern tot zur Erde nieder.
Der Hirte lief herbe und
sagte zum Sieger:
"Verwegener! warum hast du deinen Kameraden getötet?"
"Er entehrte mich durch Vorwürfe, und ich verschaffte mir
Genugtuung," antwortete der
Stier.
"Aber ist jetzt deine Rechtschaffenheit erwiesen?" versetzte
der Hirte, "könntest du
jetzt kein Schurke mehr sein? — Und weist du, daß ich euer
Richter bin? — Künftig sollen
alle Stiere, die sich miteinander bis auf den Tod schlagen,
alsogleich zur Schlachtbank
geführt werden."
"Diese Strafe," erwiderte der Stier, schreckt keinen von uns
vom Kampfe ab.
Aber willst du, daß in deiner Herde die Stiergefechte ganz
aufhören, so suche das
Vorurteil auszurotten, daß auf demjenigen, der den Zweikampf
ausschlägt, keine
Beschimpfung, und kein Unwert liegen bleibt"
* * *
Nur auf dies Art könnten auch die Duelle im Staate
verhindert werden.
Der Strauch und die
Eiche
Ein Strauch wuchs unter dem Schatten einer hohen Eiche,
deren Gipfel bis an die
Wolken reichte.
"Wie glücklich bin ich," sagte der Strauch, "daß ich unter
dieser Eiche aufwachse.
Ich bin gegen Wind und Regen, und gegen jedes Ungemach der
Witterung geschützt."
Kaum hatte der Strauch ausgeredet, als plötzlich ein
Blitzstrahl die Eiche zerschmetterte.
Der Strauch war nun ohne Schutz, und dem Spiele der Winde
preisgegeben.
* * *
Wie plötzlich ist ein Großer gestürzt, und wie wenig ist
sich auf seinen Schutz verlassen!
Die beiden Füchse
Ein alter Fuchs gab seinem Sohne Unterricht in der
Sittenlehre, und erklärte ihm,
was für eine große Sünde der Hühnermord sei. Als er mit der
Erklärung fertig war,
erblickte er auf dem Felde eine Gans, schlich ihr nach,
würgte sie, und trug sie auf dem
Rücken in seine Höhle. Nach einiger Zeit traf der junge
Fuchs eine Henne hinter dem
Zaune, und mordete sie. — Dies sah der alte Fuchs, und rief
voll Zorn:
"Ungehorsamer! weist du nicht mehr was ich dir verboten
habe? — "
"Vater, sei nicht so böse," versetzte der junge Fuchs, "du
würgtest neulich gar eine Gans
und ich nur eine Henne. Welcher Mord ist nun eine größere
Sünde? —"
Der alte Fuchs war hierüber ganz betroffen, und sagte:
"Kehre dich künftig nur an meine Worte, aber nie an meine
Werke."
* * *
Ein Erziehungsprinzip, das — leider! — fast allgemein
vorherrschend ist.
Der Löwe, das
Pferd, der Hirsch und der Esel
Als im Tierreiche die Nachricht erscholl, daß der alte Löwe
kraftlos in seiner Höhle liege,
kamen ein Pferd und ein Hirsch dahin, um ihn, wie sie
sagten, zu besuchen. Voll Grimm
— durchbohrte der Hirsch den Leib des todkranken Löwen und
das Pferd, von — Rache
erglüht, schlug ihm den Huf vor den Kopf.
Der Löwe schwamm in seinem Blute, und seufzte nach Hilfe.
Ein Esel, der eben auch
vorüber ging, sprang dem Hilflosen bei, legte kühlende Erde
auf seine Wunden,
und pflegte seiner.
"Ach!" sprach der Löwe sterbend zu dem Esel, "wie sehr, aber
wie unverdient, wurdest
du von mir verachtet. Die Edelsten aus dem Tiergeschlechte
mißhandelten mich so
grausam und du, als ein ganz gemeines Tier erzeigst dich so
groß und edel gegen mich."
* * *
Auch die Menschen von gemeinem Stande können groß und edel
handeln.
Das Pferd und der
Fuhrmann
Ein Fuhrmann, der eben ein junges Pferd gekauft hatte,
spannte es sogleich an den
Wagen. Kaum hatte das Pferd eine Strecke Wegs zurückgelegt,
so fiel es halb tot zur
Erde und sagte:
"Ich muß erliegen, denn ich bin nicht gewohnt, eine so
schwere Last zu ziehn."
"Warst du," fragte der Fuhrmann, "noch nie an einen Wagen
gespannt?"
"O ja!" antwortete das Pferd; "schon in meinem zweiten Jahre
mußte ich am Wagen
ziehn. Aber man strengte mich nicht an, weil ich noch sehr
jung war: man tändelte
und spielte nur mit mir, und jetzt ist Anstrengung für mich
tödlich."
"Man hätte dich nicht so jung anspannen, aber auch nicht mit
dir spielen und tändeln
sollen. Anstrengung hätte deine Kräfte vermehrt, Tändelei
hat sie nun ganz erschlafft.
Himmel! was würde aus dem Fuhrwesen werden, wenn man alle
Pferde so früh — und auf
diese Art — zum ziehen abrichtete!" rief der Fuhrmann
und trieb das Pferd von der
Erde auf!
* * *
Ein Wink für jene Erzieher, die ihre Zöglinge spielend und
tändelnd unterrichten,
und sie nur zu Schwächeren, und nicht — zu Denkern bilden.
Der Hund und der Kater
"Es ist grausam," sagte ein Kater zu einem Hunde, "daß die
Wölfe unschuldige Schafe
zerreißen, und gutmütige Kühe würgen. — Wie dauern mich die
armen Tiere!" —
"Du hast Recht," versetzte der Hund, "es ist grausam."
"Sollte man," fuhr der Kater fort, "diese Tierklasse nicht
ganz von der Erde vertilgen?" —
Aber während er dieses sprach, erblickte er eine Maus, und —
würgte sie.
"Ha! du verkappter Tierfreund, auch du sollst vertilgt
werden!" rief der Hund,
und erdrückte den Kater.
* * *
Die Lehre in dieser Fabel liefert uns die neueste
Zeitgeschichte.
Der Hengst und die
Stute
Ein Hengst schäkerte, wenn er auf die Weide kam, mit einer
jungen Eselin.
Dies bemerkte eine Stute, und sprach zu dem Hengst:
"Du pflegst mit der Eselin einen Umgang der dir, wenn du ihn
fortsetzest, wenig Ehre macht."
„Warum," fragte der Hengst, „sollte mir der Umgang mit der
Eselin keine Ehre sein?"
"Höre meine Gründe," — sprach die Stute:
"Das Pferd wird für große Summen gekauft, mit reichem
Schmuck geziert, und von allen
Fürsten mit einer Achtung behandelt, wie kein anderes Tier;
es wird von Dichtern
besungen, von Künstlern gemalt; seine Abstammung
aufgezeichnet, und der Nachwelt
überliefert. Denke dir diese Vorzüge. — Wie erhaben ist ein
Pferd, und wie gemein und
verachtet — eine Eselin!"
"Diese Vorzüge reizen mich nicht," versetzte der Hengst,
"die Eselin ist frugal, arbeitsam,
harmoniert mit meiner Denkart, — kurz, sie gefällt mir, —
Gründe genug für mich, —
sie zu lieben. —
* * *
Gründe für und wider die Mesalliance.
Der Kuckuck und die
Henne
Ein Kuckuck wollte eine Henne über die Art und Weise
belehren, wie sie ihre Jungen
warten und pflegen sollte.
Die Henne lächelte und sagte:
"Wie kannst du mich die Methode lehren, wie ich meine
Küchlein erziehen sollte,
da du selbst deine eigenen Kinder in eine fremde Wiege
legst, und von andern Vögeln
erziehen läßt."
* *
Auf diese Fabel passen jene pädagogischen Schriftsteller,
welche die glänzendsten
Theorien über Erziehung schreiben, selbst aber nie ein Kind
erzogen haben.
Der Luchs und der Löwe
Ein Luchs lebte lange Zeit am Hofe des Löwen, und war einer
seiner geheimsten Spione.
Einmal kam er in die Gesellschaft einiger Tiere, wo man vom
Löwen sehr viel Böses
sprach:
"Sir!" sagte er zum Löwen, "ich war in einer Gesellschaft,
wo die Tiere laut gegen dich
klagten. Du mußt sie strafen, und schweigen machen."
"Laß sie reden, " versetzte der Löwe, "ihr lautes,
öffentliches Klagen fürchte ich nicht,
es ist ein Zeichen, daß sie es mit mir noch gut meinen; aber
ihr stummes Denken und
Brüten ist gefährlich."
* * *
Eine treffende Wahrheit für Regenten.
Der Hund und der Jäger
Ein Jäger ging auf die Jagd, und nahm einen alten Hund, den
er sehr schätzte, mit sich.
Im Walde erblickte der Hund einen Eber. — Er stürzte auf ihn
hin, und faßte ihn beim
Ohre. Allein der alte Hund hatte schon morsche Zähne, — und
der Eber riß aus,
und entfloh. Nun schalt der Jäger auf den Hund, und drohte,
ihn nie wieder auf die Jagd
mit zu nehmen.
"Weißt du," sagte der Hund, "daß dieser Eber das erste Tier
ist, welches mir entkam.
Nur an Jugendkraft, aber nicht an Mut, fehlt es mir."
* * *
Ein sonst tapferer und grauer General verliert Eine
Bataille, — und fällt in Ungnade.
Das Kalb und der Stier
Ein Stier ging mit einem Kalb in den Stall. Der Stier hatte
lange Hörner, und konnte,
weil die Tür sehr enge war, nicht leicht hinein kommen. —
Das Kalb zeigte ihm, wie er
sich wenden und drehen soll.
"Schweig," sagte der Stier, "ich bin schon bei so engen
Türen hineingegangen, ehe du
noch geboren warst."
* *
Antwort eines alten Praktikers auf die Bescheidspunkte eines
jungen Theoretikers.
Der lahme Hund
Ein Hund, der gegen Diebe ein ganzes Dorf verteidigte,
verlor im Kampfe einen Fuß.
Da er nun lahm und unbrauchbar war, fand er bei niemand
Hilfe, und sogar sein eigner
Herr ließ ihn nicht mehr in das Haus.
"O, mich Elenden!" rief der Hund, "jetzt muß ich in dem
Dorfe, das ich in Lebensgefahr
verteidigte, von Haus zu Haus Brot und Beine betteln und
auch noch als Bettler —
sterben."
* * *
So müssen auch oft verstümmelte Soldaten in dem Lande, für
das sie stritten, —
betteln gehen.
Die Nachtigall und
die Vögel
Die Waldvögel stritten sich über die Schönheit ihres
Gesanges, und konnten lange nicht
einig werden. Endlich mußten ein Star und eine Krähe den
Streit entscheiden, und ihre
Entscheidung ging dahin, daß der Schwan aus allen Vögeln am
schönsten singe.
Eine Nachtigall, welche zwischen dem Star und der Krähe saß,
sagte:
"Ihr Toren, wie könnet ihr über den Gesang des Schwanes
urteilen, da ihr ihn noch nie
habt singen hören."
* * *
Räsonnement über Schriften, die man nie gelesen hat.
Jupiter und die Ziegen
Einige Ziegen baten Jupiter um Hörner und sagten:
"Vater der Götter, wir bitten dich, nimm den Böcken die
Hörner und setze sie uns auf,
damit wir uns gegen mutwillige Neckereien selbst schützen
und verteidigen können."
Jupiter schlug ihnen die Bitte ab und sprach:
"Lasset den Böcken ihre Hörner — Euch gab ich ja Schlauheit
und List. — Begnügt euch
damit, und seid nicht so neidisch gegen eure eigenen Böcke."
* * *
Viele Weiber sind g e f ä l l i g e r — und setzen ihren
Männern die Hörner selbst auf.
Der
Vogelhändler und der Reisende
Ein Vogelhändler trug an einem sehr kalten Tage Vögel in die
Stadt. Unter diesen befand
sich auch ein junger Kanarienvogel. Als der Vogelhändler zu
einem Bache kam, tauchte
er den Kanarienvogel bis an den Kopf ins eiskalte Wasser.
Ein Reisender, der eben
vorüberging, fragte:
"Warum tauchst du den Vogel ins Wasser?"
"Um ihn abzuhärten, " versetzte der Vogelhändler, daß er
auch wie der Fink und der
Eisvogel Kälte ertragen lernt."
"Eine solche Lektion ist für einen jungen Kanarienvogel zu
strenge, sagte der Reisende,
du hättest ihn a l l m ä h l i g an die rauhe Witterung
gewöhnen sollen. Einem Vogel,
dessen Ureltern schon weichlich erzogen, ist eine so
plötzliche Erkältung tödlich."
Während der Reisende also sprach, starb der arme Vogel in
der Hand des Vogelhändlers.
* * *
Ein warnendes Beispiel für Eltern, die einem überspannten
Abhärtungssystem anhängen.
Das Schachspiel
Zwei Knaben spielten Schach, und Einer von ihnen setzte die
Springer hinter die Bauern.
Die Springer hielten diese Zurücksetzung für eine Schande,
und sagten:
"Sind wir weniger als die langsamen Bauern?"
"Schämt euch nicht," sprach der Knabe," daß ihr auf dem
Schachbrett hinter den Bauern
steht; — stellen sich doch, wie man sagt, — auf dem
Schlachtfelde manche Generäle
hinter die gemeinsten Soldaten." —
* * *
Aber auf dem Exerzierplatz und bei der Parade stehen sie
allemal - voran.
Der junge Fuchs im
Buchladen
Ein junger Fuchs kam zu einem Buchhändler und sagte:
"Herr! nimm mich in deinen Buchladen auf, ich möchte gerne
den Buchhandel lernen,
daß ich mich einst durch diese Kunst ernähren kann."
"Findest du in den Wäldern keinen Unterhalt mehr?" sprach
der Buchhändler.
"Nicht mehr so viel," versetzte der Fuchs, "wie einst meine
Voreltern. Denn die Wälder
werden jetzt sehr gelichtet und ausgehauen,— und Jäger und
Hunde gehen uns auch
heftiger zu Leibe, als jemals."
"Du handelst sehr klug," erwiderte der Buchhändler; "ein
Handwerk oder eine Kunst
schützt dich in jedem Falle gegen Mangel."
* * *
Ein Wink für junge Adelige.
Die Pferde im Stalle
In einem herrschaftlichen Stalle stand eine Anzahl Pferde.
Unter diesen befanden sich
zwei Zugpferde, und die andern waren Luxuspferde. Jene
mußten hart arbeiten,
Hunger leiden, und konnten in drei Tagen nicht so viel
Futter zuführen, als diese an
Einem Tage verzehrten. Sie beklagten sich deswegen bei ihrem
Herrn und sagten:
"Du hast zu viel Pferde zum Füttern, und zu wenig zum
Arbeiten. Entweder vermindere
die Reit- und Kutschenpferde, oder kaufe mehrere
Wagenpferde. Wir zwei können die
Arbeit nicht mehr verrichten, — Wir müssen erliegen und zu
Grunde gehen."
Der Herr blieb taub, gegen ihre Klage, und die Pferde wurden
immer schwächer und
kraftloser, — und starben.
* * *
Folgen des Mißverhältnisses zwischen dem Zehr- und
Nährstande.
Der Fuchs und die
Traube
Ein Fuchs sah eine Traube hangen, und sprang nach ihr.
Allein er konnte sie nicht
erreichen denn die Traube hing zu hoch. Er wagte mehrere
Sprünge, und jeder mißlang.
Endlich sagte er:
"Ha! die Traube ist nicht gut, ich will sehn, daß ich eine
bessere bekomme."
* * *
Entschuldigung abgewiesener Solicitanten.
Der Mann mit dem
Guckkasten
Ein Mann ging mit einem Guckkasten auf einen Jahrmarkt, um
sich daselbst Geld zu
verdienen. Als er auf dem Platze angekommen war, strömte das
Volk scharenweise auf
ihn zu, und erwartete, mit murmelnder Ungeduld die Eröffnung
des Guckkastens.
Nun wurden die beiden Flügel des Kastens bedächtig geöffnet,
und das erste Bild,
das zum Vorschein kam, stellte eine unübersehbare Ebene vor,
worauf Landtiere von
allen Gattungen und aus allen Zonen vereinigt waren, und in
Friede und Eintracht
froh und munter beisammen lebten. —
Der Löwe sprach herablassend mit dem Pferde und Esel; — der
Tiger herzte das Lamm;
— das Schaf schlief ruhig im Schoße des Wolfes; — die Henne
brütete ungestört an der
Seite des Fuchses; — die Maus aß mit der Katze; — die Taube
schnäbelte den
Habicht; — und der Adler unterhielt sich spielend mit der
Lerche; — und so herrschte
unter allen Tieren die innigste Harmonie und Einigkeit.
Ehe noch der Mann mit dem Guckkasten dieses Bild verschob,
rief ein junger Mensch mit
Entzücken auf:
"Diese Vorstellung erinnert mich an den P l a n z u m e w
i g e n F r i e d e n, — an das
P r o j e k t z u m V ö l k e r v e r e i n — zur Gründung
einer Weltrepublik. —
"Ha!" sagte einer von den Zuschauern, "der Plan zum ewigen
Frieden ist ein philosophisches
Hirngespenst, und das Projekt zum
Völkerverein bleibt — ewig ein
Projekt."
"Das könnte doch einst geschehn," sagte ein andrer; denn
Zeit und Weile macht
alles möglich."
Endlich fragten einige Zuschauer den Mann mit dem Guckkasten
um seine Meinung und
sagten: "Was denkst du, wer von diesen Beiden hat recht?"
Der Mann machte eine tiefe Verbeugung und sprach:
* * *
Meine Herren! Gedanken sind zollfrei. —
Der Vokal und der
Konsonant
Vokal:
Du beträgst dich als Konsonant sehr stolz gegen mich.
Konsonant:
Ich habe Ursache dazu.
Vokal:
Bedenke, daß du nur ein Mitlaut bist.
Konsonant:
Ich heiße nicht Mitlaut. — Ich bin öffentlich, zum Hauptlaut
erklärt worden.
Vokal:
Das kannst du nicht sein. Denn du bist nur ein stummer, und
ich bin ein hörbarer Laut.
Konsonant:
Und doch hast du ohne mich keinen Sinn und keinen Ausdruck.
Ich führe die
Oberherrschaft unter den Wörtern. — Ich bin und war nie ein
stummer Mitlaut.
* * *
Männer! auch die Frauen sind und waren nie stumme Mitlaute.
— Es hieß schon vor
uralten Zeiten: — Weiber regieren die Welt. —
K . . .—
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