Fabeln 2
 



geb. 13.2.1768 Moskau
gest. 21.11.1844 ebenda.
 
Ivan Andrejewitsch Krylow
russisch Иван Андреевич Крылов, wiss.Transliteration Ivan Andreevič Krylov

Er gilt als wichtigster Fabeldichter der russischen Literatur.
Zu Beginn seiner schriftstellerischen Arbeit übersetzte Krylow die Fabeln von Äsop
und auch von Jean de La Fontaine.
Von 1803-1805 führte er ein Wanderleben und begann in dieser Zeit Fabeln zu schreiben.
1809 gab Krylow seine erste Sammlung von 23 Fabeln heraus, seine letzte vollständige
Sammlung (1843) enthält 197 Fabeln.
Da er in der russischen Umgangssprache schrieb, die auch der einfache Mensch verstand,
ist eine Reihe seiner Verse in Rußland zu Sprichwörtern geworden.

Er starb am 21. November 1843.
Im Jahre 1842 erschien auch eine Ausgabe seiner Fabeln in deutscher Sprache.

Quelle:
©Verlag Philipp Reclam jun. Leipzig/Originaltitel: Ба Cни
Text nach: "Krylow's sämmtlichen Fabeln."/F.A.Brockhaus, Leipzig 1874

(Die Reihenfolge der Fabeln folgt der Anordnung in der Ausgabe "Die Fabeln I.A. Krylows in neun Büchern",
St. Petersburg 1843.) Aus dem Russichen übertragen von Ferdinand Löwe.

 
Fabeln 1
 
Die Krähe und das Huhn
Die Truhe
Der Frosch und der Stier
Der Parnaß
Das Orakel
Der Wolf und das Lamm
Die Meise
Der Esel
Der Affe und die Brillen
Das Goldstück
Der Mann von drei Weibern
Der Adler und die Hennen
Der große Herr und der Philosoph
Die Pest unter den Tieren
Hundefreundschaft
Die Teilung
Das Faß
Der Wolf im Hundezwinger
Die Spaziergänger und die Hunde
Der Lügner
 

Fab. 1
Die Krähe und das Huhn

Als einst der Held, Fürst von Smolensk genannt,
sich gegen Frechheit waffnete mit List,
ein Netz bereitend jenen Neu-Vandalen,
und darum ihrem Heerverband
Moskau preisgab auf eine Frist,
wo ihrer harrten später schlimme Qualen:
Da kam die alte Hauptstadt in Alarm,
und alles flüchtete aus ihren Mauern,
wie aus dem Korb ein Bienenschwarm.
Nur eine Krähe auf dem Dach
ließ sich das gar nicht dauern;
sie putzte sich gemütlich ihren Schnabel,
und sah dem Treiben zu gemach,
das wüst war wie dereinst in Babel.
Da rief ihr zu von einem Karr'n ein Huhn,
die Rede gehe,
daß der Franzose vor den Toren stehe.
"Was habe ich damit zu tun?"
versetzte das prophetische Tier.
"Ich bleibe hier,
ich bleibe dreist zu Hause.
Ihr andern handelt, wie ihr mögt,
ich komme mit den Gästen schon zurecht,
denn Krähen nimmt man nicht zum Schmause.
Wer weiß, was mir das Glück noch bringt,
ob mir zu haschen nicht gelingt
ein Stückchen Käse oder sonst 'ne Speise;
Fahr wohl denn Schatz, Glück auf die Reise!"
Und wirklich blieb die Krähe auch zurück;
allein ihr ward nicht nur kein fetter Bissen,
es kam für sie ein böser Augenblick.
Als der Smolensker unsre Gänse
durch Hunger preßte,
ward in den Suppentopf auch sie geschmissen.

*   *   *

So geht's den Menschen, wenn er töricht plant.
Er dünket schon sich auf des Glückes Kuppe,
und plötzlich, eh' er's ahnt,
fällt er, wie unsre Krähe, in die Suppe.

Fab. 2
Die Truhe

Gar häufig kommt uns vor der Fall,
daß man mit vielem Wissensschwall
sich quält, wo's nur gilt, ohne Zagen
die Sache selber zu befragen.

Vom Schreiner brachte man zu jemand eine Truh'.

Das saubre Stück war eine rechte Augenweide,

und jeglicher hat daran seine Freude.
Ein Jünger der Mechanik tritt hinzu;
der sieht die Truhe an und ruft: "Ah, ein Geheimnis!
Jawohl, sie hat kein Schloß —
nun, nun, ich öffne sie Euch ohne Säumnis.
Seht mich nicht an so groß!
Ich find' es schon heraus, ich öffne Euch die Truhe,
in der Mechanik habe ich was los — das läßt mir keine Ruhe."

Er macht sich an die Truhe flugs,
er spät nach allem wie ein Luchs,
zerquält sein Hirn, o Jammer,
drückt auf 'nen Nagel bald und bald auf eine Klammer.
Wer so sein Tun erblickt,
hält ihn für halb verrückt,
man flüstert und man lacht,
er aber murmelt immer sacht:
"Hier nicht, so nicht da nicht." Sein Eifer wächst,
er schwitzt und schwitzt und meint, er sei verhext.
Doch wie die Kraft zu Ende geht,
läßt er die Truhe, wie sie steht.
Die saure Mühe konnt' ihn wohl verdrießen:
die Truhe war nicht zum Verschließen.

Fab. 3
Der Frosch und der Stier

Der Frosch sieht auf der Wiese einen Stier,
und neidisch, wie er ist,
er sich vermißt,
es gleich zu tun an Umfang diesem Tier. Er ächzt und
krächzt und stöhnt und keucht,
indem er sich bemüht, sich aufzublasen.
Dann fragt er eine seiner Basen:
"Sag, ist des Tieres Dicke bald erreicht?" —
"Mitnichten, davon bist du himmelweit." —
"Jetzt aber sieh, wie ich mich breit gemacht,
jetzt bin ich feister doch?" — "Kaum eine Kleinigkeit."—
"Das hätt' ich nicht gedacht,
allein gib acht:
Nun sag, wie ist es jetzt?"
"Es ist noch immer so." Den Frosch verdroß das Wort,
er bläst sich auf in einem fort,
bis er zuletzt,
da er sich wütend dehnte und sich streckte,
barst und verreckte.

*   *   *

Das kann man wohl des öfteren erleben —
was Wunder auch, wenn die Beschränkten sich vergessen
und sich den edlen Anschein geben,
als könnten sie sich mit den Größten messen.

Fab. 4
Der Parnaß

Als einst die Götter mußten Hellas meiden
und all ihr Grundbesitz an Menschen überging,
da kam's, daß jemand den Parnaß empfing.
Der neue Herr ließ Esel darauf weiden.
Zufällig ward den Eseln kund,
daß hier die Menschen einst gehauset, vielgepriesen.
Die Esel meinen: "Wohl nicht ohne Grund
hat man uns den Parnasses angewiesen.
Es ist die Welt der Musen satt,
wir wollen singen jetzt an ihrer Statt."
Ein Esel ruft: "Nur munter,
ich hebe an, ihr fallet ein,
ihr dürft nicht bange sein.
Auch wir tun ohne Zweifel uns hervor
und musizieren lauter noch und bunter
als weiland der neun Schwestern Chor.
Und daß es keinem könnte je gelingen,
uns irgendwie aus dem Konzept zu bringen,
so sei es festgesetzt zu dieser Frist:
Wes Stimme nicht begabt mit jenem Wohllaut ist,
wie ihn besitzt die Eselsrasse,
der finde nimmer Zutritt zum Parnasse!"
Die Esel billigten sofort
des Esels klug gedrechselt Wort,
und nun erhebt der neue Sängerorden
ein so ein entsetzliches Geschrei,
als ob die Hölle losgelassen sei.
Wie es zuletzt mit dem Konzept geworden?
Dem Herrn ging die Geduld bald aus bei dem Skandal,
drum jagt' er vom Parnaß die Esel in den Stall.

*   *   *

Ich wollte niemand kränken,
erinnern nur an den uralten Spruch:
Wenn einer nicht versteht zu denken,
der Platz, den man ihm gab, macht ihn nicht klug.

Fab. 5
Das Orakel

In einem Tempel stand ein hölzern Götzenbild.
Das gab prophetische Bescheide
und weisen Rat in jeglichem Verdruß.
Es hatte manchen Kummer schon gestillt;
darum war es vom Kopfe bis zum Fuß
behangen mit Geschmeide
und angetan mit prächtigen Gewanden.
Von Weihrauch war es dicht umhüllt,
der heil'ge Raum war stets gefüllt
mit Betenden aus allen Landen.
Es wurde überhäuft mit Opfergaben,
da jeder spendete, der Aufschluß wollte haben.
Und weil der Ausspruch immer sich erfüllt,
so glaubte man auch blind an das Orakel.

Da plötzlich — o wie seltsam — welche Schmach,
kommt nur Geschwätz noch aus dem Tabernakel.
Der Sprüche Sinn ist leer, und ach,
darüber kann sich niemand trügen,
was das Orakel sagt,
gleichviel, worüber man's befragt —
sind so viel Worte, so viel Lügen.
Die Gläubigen zerstieben:
Kein Mensch begreift, wo denn die Kraft geblieben.
Doch das verhielt sich solchermaßen:
Das Götzenbild war hohl, und drinnen saßen
die Priester, die da sprachen zu den Frommen.
Darum,
wenn klug der Priester war, so sprach das Bild nicht
dumm,
doch wenn ein Einfaltspinsel stak im Heiligtum,
So war dem Holzkopf auch der Witz genommen.

*   *   *

So ungefähr —
das hört' ich sagen —
war es bei uns in frühern Tagen:
Es glänzte mancher Richter sehr
durch — seinen Sekretär.

Fab. 6
Der Wolf und das Lamm

Der Starke gibt dem Schwachen stets die Schuld.
Es meldet davon die Geschichte
vielfältige Berichte,
doch schreiben wir Geschichte nicht.
Drum höret mit Geduld,
wie in der Fabel man darüber spricht.

Ein Lämmlein kam an einem heißen Tag
an einen Bach,
um seinen Durst zu löschen — aber ach,
es traf sich schlimm,
daß hungrig sich umhertrieb Isegrim.
Er sieht das Lamm und will's entleiben.
Doch um mit Fug und Recht die Sache zu betreiben,
schreit er: "Wie denn, du Schuft hast dich erfrecht,
mit ungewaschner Schnauze mir zu trüben
den reinen Wasserstand
durch Schlamm und Sand?
Für diese Frechheit sollst
du mit dem Kopf mir büßen!" —
"Erlauchter Wolf, wenn du Gehör mir zollst,
so wag' ich anzuführen,
daß ich ja abwärts hier, zu deinen Füßen,
wohl hundert Schritt weit trinke,
ich konnte also nicht den Schlamm aufrühren." —
"So war ein Lügner ich nach diesem Winke?
Ist solche Unverschämtheit wohl erhört?
Dafür allein wirst du mit Recht verzehrt.
Noch fällt mir ein indessen,
daß, als vorletzten Sommer her du kamst,
du gegen mich dich grob benahmst,
ich hab' es nicht vergessen." —
"Ach Gott, ich bin ja noch kein Jahr am Leben",
seufzt hier das Lamm. "So war's dein Bruder, Wicht!"
-
"Ich habe keine Brüder nicht",
versetzt das Lamm mit Beben. —
"So war's ein Ohm, ein Vetter,
kurz irgend jemand deines Blutes.
Ihr, eure Hirten, eure Hunde, Wetter,
ihr alle wünscht mir nichts Gutes.
Ihr schadet mir, wo ihr nur könnt,
jetzt will für alle Unbill ich mich rächen
an dir, da mir's vergönnt." —
"Was ist denn aber mein Verbrechen?" —
"Schweig, ich will nichts mehr hören.
Meinst du, ich hätte weiter nichts zu tun,
als herzuzählen deine Sünden?
Wir lassen das auf sich beruhn,
da schon genügt, daß ich dich will verzehren."
Drauf packt der Wolf das Lamm, im Walde zu verschwinden.

Fab. 7
Die Meise

Zum Meere ließ hernieder sich die Meise,
und prahlte abgeschmackterweise,
daß sie das Meer verbrennen werde.
Rasch flog die Kunde um die Erde.
Die Fische stutzten, schreckerfüllt,
die Vögel fliegen her in Scharen —
aus Wäldern rennt herbei das Wild,
um zu erfahren,
wie denn das Meer und ob es lodernd brennt?
Gelockt durch Famas Ruf, der windesschnellen,
erschienen, sagt man, lüsterne Gesellen
mit Löffeln als die ersten an dem Strand
beim Element!
Sie wollen gleich die Suppe durchprobieren.
Solch eine Brühe konnte wohl im Land
kein Branntweinpächter je servieren
den Herren Sekretären
zu Ehren.
Man drängt sich, alles lauscht gespannt,
lautlos, den Blick aufs Meer gewandt.
Bisweilen nur hört man ein Flüstern:
"Jetzt fängt es an,
es kocht, mich dünkt, ich hör' es knistern."
Allein die Zeit verrann,
und da das Meer nicht kocht und auch nicht brennt,
so hat man lachend sich getrennt.
Das große Gaukelspiel war aus.
Die Meise zog beschämt nach Haus,
nachdem sie Aufsehn zwar geweckt,
jedoch kein Meer in Brand gesteckt.

*   *   *

Hier wird ein Wort sich noch geziemen —
Anzüglichkeiten bring' ich nicht:
Man leiste doch darauf Verzicht,
mit unvollbrachten Dingen sich zu rühmen.

Fab. 8
Der Esel

Als Zeus, um zu bevölkern seine Welt,
ins Leben rief der Wesen bunte Menge,
ward ihnen auch der Esel beigesellt.
Doch — war es Absicht, war es das Gedränge
der unruhvollen Schaffenszeit —
genug, es gab der Gott sich eine Blöße,
der Esel hatte nur des Eichhorns Größe.
Dem Esel war das bitter leid,
denn niemand achtete fast seiner.
Gern hätt' er sich hervorgetan —
er wollte hoch hinaus, wie einer, —
allein mit seiner Zwergfigur
schämt er sich auch zu zeigen nur.
Da tritt den Gott der Esel an
und zieht die Stirne kraus
und bittet um ein größer Körpermaß;
denn so zu leben, sei ein schlechter Spaß.
"Ich halt' es", spricht er, "nicht mehr aus.
Die Löwen, Panther, Elefanten
sind überall gar hoch geehrt;
wohin sich meine Ohren wandten,
hab' ich von ihnen nur gehört.
Warum hast du den Eseln denn gegrollt,
daß niemand ihnen Achtung zollt,
und niemand über sie ein Wort verlor?
Hätt' ich auch nur die Größe wie die Rinder,
ich tät' gleich Leu'n und Panthern mich hervor,
und von mir sprächen Mann und Weib und Kinder."
Es ging seitdem kein Tag vorbei,
der Esel sang vor Zeus dieselbe Litanei,
daß es zuletzt den Gott zu arg beschwerte
und er die Bitte ihm gewährte.
Der Esel ward nun ein recht großes Vieh,
erhielt dazu auch eine wilde Stimme,
daß, wenn der graue Herkules nun schrie,
der Wald erbebt wie bei des Löwen Grimme.
"Was mag das für ein Tier denn sein?
Es hat wohl Hauer, Hörner ohne Zahl?"
So fragt man sich und macht sich viele Qual.
Doch war noch nicht ein Jahr verstrichen,
da wußten alle, was ein Esel ist,
und da war alle Furcht gewichen.
Des Esels Dummheit wird zum Sprichwort nun,
und schwere Fronen muß er fortan tun.

Was hilft ein hoher Wuchs, ein hoher Stand,
wenn sich kein hoher Sinn damit verband?

Fab. 9
Der Affe und die Brillen

Ein Affe alterte, und sein Gesicht ward schwach.
Da ließ er sich erzählen,
bei Menschen sei das noch kein großes Ungemach,
man brauche eine Brille nur zu wählen.
Der Affe holt sich drum ein halbes Dutzend Brillen,
und dreht sich hin und her um des Versuches willen.
Er drückt sie an die Stirn, er rückt sie bis zum Schwanz,
bald riecht er, und bald leckt er dran,
die Brillen haben Wirkung nicht getan.
"Zum Henker", ruft er, "der ist auch ein Tor,
der alles glaubt, was Menschen schwatzen,
was logen sie mir doch von Brillen vor,
die wahrlich wert sind keinen Batzen!"
Drauf hat der Aff', vom Zorne hingerissen,
die Brillen so an einen Stein geschmissen,
daß sie in Splitter gehn und daß die Funken stieben.

Bei Menschen auch wird's anders nicht getrieben.
Wie nützlich immer eine Sache sei,
der Ignorant, dem sie noch neu,
kann ihren Nutzen nicht verstehen
und weiß sie nur zu schmähen;
und ist er gar noch angesehen,
verfolgt er den Erfinder sonder Scheu.

Fab. 10
Das Goldstück

Ob Bildung nützlich sei?
Sie ist es ohne Frage;
nur nennt man heutzutage
mit diesem schönen Namen allerlei,
was oft nur blendet,
ja Zucht und Sitte schändet.
Drum prüfet ehrlich,
wie ihr vom Menschen streift der Roheit Rinde,
auf daß nicht auch der gute Kern verschwinde,
sonst seid für Geist und Herz ihr gleich gefährlich.
Wenn man am Menschen schlichten Sinn vermißt,
so hat sein Edelstes er eingebüßt
und erntet nur mit hohlem Prunk
Unehre statt Bewunderung.
Die Lehre ist so wichtig —
es ließe sich ein Buch darüber schreiben;
doch dazu ist nicht jeder tüchtig.
Mich laßt bei meiner Weise bleiben:
Es zeig' euch einer Fabel Spiegelbild
die Wahrheit, halb in Scherz gehüllt.

Ein Bauer, dem Natur nicht viel Verstand gezollt —
es gibt ja deren auf der Welt —,
fand einst ein Goldstück auf dem Feld,
beschmutzt, verstaubt: doch Gold ist Gold;
man bot ihm dafür ganze Haufen Groschen.
>Halt<, denkt der Bauer, >so wird nicht gedroschen,
ich schlag' das Doppelte heraus,
man soll sich noch drum reißen.
Ich bin ein Daus!
Ersonnen hab' ich etwas listig!<
Flugs nimmt er Kreide, Kies und Sand, vom weißen,
stampft Ziegel klein
und macht sich an die Arbeit rüstig.
Erst wetzt das Gold er mit dem Ziegelstein,
was schon als wirksam sich erwies,
dann scheuert er's mit Kies,
und endlich reibt er es mit Sand und Kreide.
Er will, es soll wie Feuer strahlen.
Wie Feuer strahlt's dann auch, er darf wohl prahlen,
es ist 'ne wahre Augenweide.
Doch nun gebricht
dem Goldstück es am Vollgewicht,
und niemand will den Vollpreis mehr bezahlen.

Fab. 11
Der Mann von drei Weibern

Ein arger Wüstling nahm
die dritte Frau (zwei waren noch am Leben).
Als das dem Zar zu Ohren kam —
der Zar war streng und viel zu tugendsam,
um solchen Ärgernisse Raum zu geben —
befahl er ohne Zaudern
den Sünder vor Gericht zu stellen
und solch ein Strafurteil zu fällen,
daß alle schaudern
und keiner wage sich zu unterstehn,
solch üble Dinge jemals zu begehn.
"Find' ich", spricht er, "die Strafe zu gering,
laß ich die Richter sämtlich hängen
um ihre grüne Tafel in der Runde."
Die Richter werden bleich bei dieser Kunde,
das ist ein kitzlig Ding,
warum muß sich der Zar in solche Sachen mengen?
Sie grübeln zweimal vierundzwanzig Stunden,
von ihren Stirnen rinnt der Schweiß,
die rechte Strafe wird nicht ausgefunden.
Zwar gibt es tausend Arten, doch man weiß,
noch keiner hielt die Menschen ab vom Bösen. —
Nachdem sie lang noch ausgestanden Pein,
gibt Gott es ihnen endlich ein,
das mißliche Problem zu lösen.
Es wird der Sünder vorgeführt,
um die Entscheidung zu vernehmen,
einmütiglich ward sie votiert:
daß nämlich dem Verbrecher es gebührt,
die Frauen alle drei zu sich zu nehmen.

Man staunt und meint, es müßte ohne Frage
die Richter an den Galgensträngen
für solches Urteil selber hängen.
Doch es vergingen nicht vier Tage,
so hat sich schon erdrosselt unser Held.
Da packt ein Grauen alle Welt,
und seitdem ist's im Reich nicht vorgekommen,
daß jemand mehr als eine Frau genommen.

Fab. 12
Der Adler und die Hennen

Der Tag war schön:
Um sich so recht daran zu laben,
schwang sich ein Adler auf zu jenen lichten Höhn,
wo Blitze ihre Heimat haben.
Drauf schwebt er aus den Wolken wieder
herab auf eine Darre, um zu ruhn.
Für einen Aar ist solch ein Sitz zwar nieder,
doch seltsam ist ja oft der Fürsten Tun.
Vielleicht will er der Darre Ehre tun damit,
vielleicht daß ringsumher kein Sitz sich beut,
der würdig wäre seiner Fürstlichkeit —
nicht Eichen und kein Urfels von Granit.
Wie dem auch sei, er saß nicht lange dort
und flog auf eine andre Darre fort.
Das wurde eine Henne jetzt gewahr,
die sagte spöttisch zu der Nachbarin:
"Warum wohl steht im Ansehn so der Aar?
Wenn mir es käme in den Sinn,
so flög' ich auch von Darre noch zu Darre.
Die Adler höher stellen als uns Hennen,
das kann doch nur ein ausgemachter Narre.
Aus welchem Grund den Vorzug ihnen gönnen?
Sie haben nicht mehr Füße, nicht mehr Augen,
und du hast selbst dich überzeugt,
daß sie auch nur zu niederm Fluge taugen."
Zu solchem Wahngeschwätz der Aller nimmer schweigt.
"Du hast wohl recht", sagt er, "doch nur zum Teile.
Es trifft sich wohl, daß einen Aar sein Flug
noch niedriger, als Hennen steigen, trug —
doch fliegen Hennen nie zur Felsensteile." —

*   *   *

Willst du die Größe des Talents bestimmen,
so hefte ängstlich dich an seine Schwächen nicht:
Empfinde mit, was kräftig aus ihm spricht,
und suche seine Höhen zu erklimmen.

Fab. 13
Der große Herr und der Philosoph

Ein großer Herr, der einst in müß'ger Stunde
mit einem Weisen allerlei besprach,
sagt' ihm: "Du kennst die Welt doch aus dem Grunde,
und dir liegt alles offen wie der Tag.
So gib mir Kunde,
wie's kommt, daß, was wir immer gründen,
Akademien, Tribunale, Kunstverbände,
sofort, wenn trocken kaum die Wände,
die ärgsten Ignoranten sich drin finden?
Gibt es dagegen keinen Bann?" —
"Ich glaube kaum", versetzt der weise Mann,
"mit solchen Körperschaften, nur ich sag's nicht laut,
ist's wie mit Häusern, die von Holz gebaut." —
"Wie das?" — "Ja, sieh, ich habe jüngst eins aufgeführt,
und ehe ich noch selber es bezogen,
da hatten längst schon, ungelogen,
die Schaben sich drin einquartiert."

Fab. 14
Die Pest unter den Tieren

Die Pest, des Himmels ärgste Plage,
hat einst den Wald betroffen.
Die Tiere werden scheu und zage —
weit stehen des Hades Tore offen.
Es rast der Tod durch Berg und Tal und Flur.
Verderben folget seiner Spur,
wie Gras mäht er die Opfer nieder,
und was noch lebt, regt kaum die Glieder.
Auch hat die Furcht die Tiere ganz verzaubert,
sie sind's und sind's auch nicht.
Der Wolf verschont das Schaf und macht ein fromm Gesicht,
der Fuchs verfolgt kein Huhn, dem Huhn schmeckt kein Gericht,
es schwirrt das Täubchen unbetaubert,
von Liebe ist nicht mehr die Rede,
und Leben ohne Liebe, ach wie öde!

In dieser Not beruft der Leu der Tiere Schar.
Sie kommen träg heran, ihr Mut ist fast verloren,
sie lagern sich um ihren Zar
und starren hin und spitzen ihre Ohren.
Der Leu beginnt: "Wohl mußten unsre Sünden
der Götter Zorn entzünden,
er lastet auf uns, Freunde, schwer.
Drum möge der von uns, der mehr
als alle übrigen ist schuldbeladen,
freiwillig sich zum Opfer weihn,
auf das die Götter dann aus Gnaden,
in ihrer Huld,
um unsers Glaubens willen uns verzeihn
die schwere Schuld.
Wer unter euch kennt nicht aus der Geschichte
von solchen schönen Opfern die Berichte?
So wolle nun ein jeder in sich gehn
und hier vor aller Welt gestehn,
was er verbrach, und war's auch unwillkürlich,
denn Reue ist in jedem Fall gebührlich.

Ich selbst bekenne — freilich macht mir's Pein —
nicht rein ist mein Gewissen:
Viel arme Lämmer hab' ich gar nicht fein zerrissen,
und manches Mal — ach, wer ist ohne Fehle? —
ging es dem Hirten selber an die Kehle.
Ich biete mich denn auch als Opfer dar
und gehe ohne Sträuben zum Altar.
Doch scheint es besser, daß zuvor noch alle
hier ihre Sünden beichten
und der, bei dem sich dann die ärgsten zeigten,
als Opfer falle.
Vielleicht gefällt's auch so den Göttern mehr."
Drauf spricht der Fuchs: "O Zar, du rührst uns sehr;
doch nur aus übergroßer Güte
ziehst du so sehr dir zu Gemüte,
was du getan.
Wenn des Gewissens läst'ge Mahnung
uns stören sollt' auf allen unsern Wegen,
wohlan,
so sagt mir eine sichre Ahnung,
daß wir gar bald dem Hungertod erlägen.
Und dann
gereicht es ja dem Lamm zu hohen Ehren,
wenn du geruhst es zu verzehren.
Was aber anbelangt diese Hirten,
so möchten wir fußfällig hier begehren,
du wolltest öfter deine Lenden gürten,
um Mores sie zu lehren.
Dies ungeschwänzte Volk, in seinem dummen Stolze,
glaubt sich ja souverän in jedem Holze!"

Zu Ende ist der Fuchs. Drauf, in demselben Ton,
kehrt sich der Schmeichler Rotte zu dem Thron.
Ein jeder will beweisen um die Wette,
daß in der Tat der Zar gar nichts zu sühnen hätte.
Die Bären, Wölfe, Tiger beichten nun
in aller Demut ihre Sünden,
nur wagt ihr allerschlimmstes Tun
niemand so schlimm zu finden;
so daß, wer nur mit Zähnen oder Krallen
gesegnet ist, nicht nur blieb ungescholten,
nein, hat sogar als Heil'ger bald gegolten.
Nach den Bojaren allen
ist jetzt die Reih' am Stier, der brüllt naiv:
"Auch wir sind Sünder. Etwa vor fünf Jahren,
als Winters Futterkräuter spärlich waren,
da hat mich, denn der Magen stand mir schief,
der Böse provoziert
und mich verführt.
Ich konnte Vorschuß mir von niemand schaffen,
so zupfte ich ein wenig Heu
aus einem Schober bei den Pfaffen."
Bei diesen Worten gab's ein groß Geschrei.
Es riefen Wölfe, Tiger, Bären:
"Ha, welch ein Bösewicht!
Da könnt' ihrs hören,
von fremdem Heu zu fressen! Ist's ein Wunder,
daß uns des Himmels Strafgericht
nun trifft mit Pech und Zunder?
Den Übeltäter mit gehörntem Kopfe
nehmt alsobald beim Schopfe;
ihn müssen wir zum Opfer wählen
zur Rettung unsrer Leiber, unsrer Seelen,
auf daß uns nicht einreißt solche Schand'. —
Für seine Sünden ward die Pest gesandt."
Da auch der Zar das richtig fand,
so ward der arme Stier sofort verbrannt.

*   *   *

Bei Menschen ist's nicht anders — geht die Rede.
Ist einer gar zu fromm und blöde,
so wird er angeschuldigt frech und schnöde.

Fab. 15
Hundefreundschaft

Im Hofe, unterm Küchenfenster, lagen
bequem am sonn'gen Orte
der Phylax und der Karo voll Behagen,
statt draußen vor der Pforte
mit Wachehalten sich zu plagen.
Getafelt haben sie,
und weil ja wohlerzogne Hunde
bei Nacht nur bellen, doch am Tage nie,
so wollen sie zur guten Stunde
plaudern von allerlei, was sittlich und was schändlich,
von Lust und Leid und von der Freundschaft endlich.
"Was könnte wohl", sagt Phylax, "mehr erfreun,
als mit dem Freund ein Herz und eine Seele sein,
in allem sich einander dienen,
nicht ohne Freund zu schlafen noch zu prassen
und füreinander Leib und Leben lassen!
Man liest einander von den Mienen,
wie man, der Stunde Glück recht fest zu fassen,
den Freund ergötzen kann und laben,
in seinem Wohl die höchste Wonne haben.
Wenn wir zum Beispiel hier sofort
solch eine Freundschaft schlössen,
wir würden, auf mein Wort,
nicht merken, wie die Stunden uns verflössen." —
"Topp! Ja, so soll es sein",
fällt Karo rasch hier ein,
"schon lang, mein Phylax, macht mir's Pein,
daß wir, desselben Hofes Hüter,
nicht einen Tag verbringen ohne Zank.
Und wüßt' ich nur, warum? Dank dem Gebieter,
es fehlt uns nicht an Speis und Trank,
wir haben Dach und Fach.
Führwahr, es ist 'ne Schmach!
Als Freundschaftsmuster gilt der Hund schon lang,
doch scheint's, zu Menschen nur zieht ihn sein Drang,
denn unter Hunden, ach, ist Freundschaft nicht im Schwang." —
"Gut, stellen wir ein Muster auf",
ruft Phylax nun: "Die Pfote drauf!"
Und gleich ist es getan,
man sieht die neuen Freunde sich umfahn,
Sich küssen und sich drücken,
sie wollen sich auch, gerührt, mit alten Namen schmücken.
"Mein Phylades!" — "Orest!" — "Nie mehr ein neid'scher Strauß!"
Da geht das Fenster auf, ein Knochen fliegt heraus.
Die neuen Freunde stürzen sich drauflos —
soll so der schöne Bund zerreißen?
Seht wie Orest und Phylades sich beißen;
die Haare stieben fort in Fitzen,
man muß, zu trennen sie, mit Wasser sie bespritzen.

Von solcher Freundschaft wimmelt's in der Welt.
Mit Freunden ist es öfter so bestellt:
In Worten sind sie stets aufs innigste verbunden,
wirf einen Knochen hin, so geht's wie mit den Hunden.

Fab. 16
Die Teilung

Einst hatten wackre Handelsleute
zusammen sich getan zu einer Kumpanei.
Sie wurden reich dabei
und schlossen das Geschäft und teilten heute.
Wo gäb' es Teilung ohne Zwist?
Sie hadern über Summen, über Waren —
als plötzlich sie erfahren,
daß im Gebäude Feuer ausgebrochen ist.
"Kommt nur und rettet
den Warenvorrat, rettet unser Haus",
so ruft der eine aus,
"die Rechnung wird dann später schon geglättet!" —
"O nein, das Tausend erst, das mir gebührt",
so schreit ein anderer Geselle,
"ich geh' nicht eher von der Stelle!" —
"Zweitausend dann für mich saldiert",
ruft hier ein dritter, "dieser Posten
ist sonnenklar!"
"Wieso? Wofür? Warum nicht gar?"
Und während sie sich immer mehr erbosten,
vergaßen sie der Feuersbrunst,
es übermannt sie Rauch und Dunst,
so daß mit Haus und Habe sie verbrannten. — —

*   *   *

Oft, wenn viel größre Dinge sind im Spiel
als die genannten,
setzt dem Verderben man kein Ziel,
weil jedermann,
statt der Gefahr gemeinsam zu begegnen,
erst Händel spann,
um selber sich zu segnen.

Fab. 17
Das Faß

Ein Freund kam einst zum andern eilig
und bat ihn um ein Faß nur auf drei Tage.
Dem Freund gefällig sein, ist heilig —
das ist ja keine Frage.
Wo es um Geld sich handelt freilich,
hört meist die Freundschaft auf, und man sagt nein.
Allein ein Faß? Warum ein Faß nicht leihn?
Man bringt das Faß zu rechter Zeit zurück,
und dienen soll's, wie sonst, zum Wasserführen.
So weit wär' alles gut, doch o welch Mißgeschick,
es ist gar sehr zu spüren,
daß drin gelagert hatte Branntwein.
Der war so eingezogen in das Faß,
das alles, was man mit dem Wasser braut,
nach Branntwein schmeckte, Bier wie Kwas,
nach Branntwein schmeckte selbst das Sauerkraut.
Der Eigner denkt: >Ich mach' es doch noch rein<,
und müht sich lange damit unverdrossen;
er scheuert's aus, stellt's an die Luft —
doch sowie Wasser wird hineingegossen,
nimmt dieses an den Branntweinduft.
Das Faß wird endlich ausgeschossen.

Laßt, Väter, diese Fabel euch empfohlen sein.
Man muß in frühen Jahren
vor schlechten Einflüssen die Kinder wahren.
Zog einmal Gift in ihre Seele ein,
wird man es immerdar in ihrem Handeln spüren,
wie sehr sie sich mit Redensarten zieren.

Fab. 18
Der Wolf im Hundezwinger

Im Schutz der Nacht will Isegrim
in einen Schafstall brechen.
Allein es ging dabei ihm schlimm,
denn er geriet in einen Hundezwinger.
Der Irrtum ist wahrhaftig kein geringer!
Die Hunde heulen, da den frechen
Raufbold sie so nahe spüren,
und schütteln ihre Ketten voller Wut.
Alsbald hört man die Wächter auch sich rühren.
"Ein Dieb, ein Dieb!" schrein sie. "Seid auf der Hut!"
Geschlossen wird bei diesem Worte
die Pforte,
und bei dem Lärm und dem Gebelle,
glaubt losgelassen man die Hölle.
Der eine kommt gerannt mit einem Stecken,
der andre mit Gewehr;
man tappt umher
und ruft nach Licht, den Frevler zu entdecken.
Der Wolf indes duckt scheu in einer Ecken,
er knirschet mit den Zähnen zwar,
es sträubt sich wild sein Haar,
mordgierig funkeln seine Blicke —
doch, was er vor sich sieht, sind keine Schafe,
und er ahnt, daß ihm die Strafe
bevorsteht jetzt für alle frühre Tücke,
versucht er, ob mit List
nicht noch zu helfen ist.
"Oh", hebt er an, "wozu der Lärm, ihr Götter!
Ich euer alter Freund und Vetter,
kam ja nur her, mit euch mich zu versöhnen.
So wollet doch nicht wähnen,
daß Gier und Rauflust mich hierher gebracht.
Gebt acht,
ich werde fürder nicht die hies'gen Herden
berühren,
ich bin sogar bereit, vor Ungebühren
und vor Beschwerden
gemeinschaftlich mit euch sie zu beschützen,
und würde selbst mein Blut dafür verspritzen.
Bei meinem Eide sei es euch versprochen,
daß ich …" — "Hör Nachbar nur",
hat ihn der Flurschütz unterbrochen,
"du bist wohl grau, doch silbern ist mein Haar.
Ich kenne längst die Wolfsnatur
und bin darauf bedacht, fürwahr,
mit Wölfen
zum Frieden dadurch mir zu helfen,
daß ich abziehe ihre Häute."
Sprach's und ließ los auf Isegrim die Meute.

Fab. 19
Die Spaziergänger und die Hunde

Zwei Freunde wandelten am Abend,
vertieft in ein Gespräch,
als plötzlich frech
ein Köter sie anbellt, vom Hofe trabend.
Noch einer kommt, dann mehr, bis eine Menge
aus allen Höfen stürzet mit Gedränge.
Schon griff der Freund nach einem Stein,
der andere sagt: "Halt ein!
Den Hunden wehrst du nicht das Bellen,
du bringst sie nur in größre Wut.
Gehn weiter wir, ich kenne die Gesellen ganz gut."
Und wirklich taten sie kaum fünfzig Schritte,
so ward es stiller in der Hunde Mitte,
und endlich hat man sie nicht mehr gehört. —

Die Neider, was sie auch ersahn,
sie haben stets gekläfft, gestört —
geh aber ruhig deine Bahn,
sie bellen und sie machen endlich kehrt.

Fab. 20
Der Lügner

Einst kam zurück von weiten Reisen
ein Edelmann — vielleicht ein Graf —,
der ging, da einen alten Freund er traf,
mit ihm spazieren über Feld
und öffnete alsbald der Rede Schleusen.
Er prahlte sehr und brüstete sich höchlich
mit dem, was er gesehen in der Welt,
ganz unbekümmert, ob was er erzählt,
auch möglich.
"So was", spricht er, "seh' ich nun wohl nicht mehr.
Wie ist das Land hier traurig!
Bald schwitzt man arg, bald friert man sehr,
die Sonne blendet bald, und bald ist's dunkel schaurig.
Da drüben aber ist ein Paradies,
ein Land so recht nach meinem Herzen,
schon die Erinnerung daran ist süß.
Dort braucht man Pelze nicht noch Kerzen,
man weiß dort kaum, was nächtlich Dunkel sei,
das runde Jahr ist dort ein einz'ger Mai.
Dort pflanzt man nicht, noch streut man ein die Saat,
und was trotzdem doch für Gewächse reifen —
kaum zu begreifen!
Zum Beispiel, als ich Rom betrat,
da sah ich eine Gurke, meiner Treu,
der kolossale Eindruck ist mir heut noch neu,
glaubst du's, sie war wie ein Berg so groß." —
"Je nun", versetzt der Freund, "es birgt die Welt
der Wunder viel in ihrem Schoß,
nur daß nicht jedem alles gleich ins Auge fällt.
Da nahen selber wir und grade
solch einem Wunderwerk, von dem du noch nichts weißt,
denn das behaupt' ich dreist,
daß du's nicht sahst auf deinem Wunderpfade.
Siehst du wohl jene Brücke,
die vor uns liegt, sie ist von Ansehn schlicht,
jedoch höchst wunderbar in einem Stücke,
denn einen Lügner trägt sie nicht.
Wenn er noch bis zur Mitte nicht gegangen,
so zieht's ihm jäh hinunter in den Fluß;
doch Wahrheitsfreunde drangen
noch immer, sei's zu Pferde, sei's zu Fuß, hinüber." —
"Wie tief ist denn der Fluß? Wohl wie der Tiber?" —
"Ei nun, er ist nichts weniger als seicht.
Du siehst nun, Freund, was alles man erfährt.
Die röm'sche Gurke ist wohl staunenswert,
berghoch, mir däucht,
so sagtest du, nicht wahr?" —
"Nun wenn auch nicht berghoch, haushoch bestimmt." —
"Ist immer schwer zu glauben zwar,
allein, wer da vernimmt,
daß diese Brücke keinen Lügner trägt,
der wird von gleichem Staunen wohl bewegt.
Und erst noch dieses Frühjahr, leider,
stürzten herab — die ganze Stadt weiß das —
zwei Journalisten und ein Schneider.
Nun mit der Gurke, das ist auch kein Spaß;
haushoch — ei freilich,
höchst wunderbar, wenn du berichtest treulich." —
"Na, ganz so arg ist es mitnichten,
ich muß dich nämlich unterrichten,
man baut nicht aller Orten
geräumig wie bei uns zu Lande.
Was sind den das für Häuser dorten?
Zur Not für zwei, mein Wort zum Pfande,
die obendrein nicht stehn noch sitzen können!" —
"Mag sein, doch will sich's wohl geziemen,
die Gurke hoch zu rühmen,
die zwei Personen faßt.
Den Preis zwar wird man unsrer Brücke gönnen,
die gar nicht spaßt,
denn eh' der Lügner drauf fünf Schritte tut,
reißt's ihn hinunter in die Flut.
Gewiß, auch deine Gurke dort in Rom …" —
"hör doch", fiel hier der Lügner ihm ins Wort,
"wozu die Brücke? Laß uns dort
nach einer Furt nur suchen in dem Strom!"