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Fabeln 5
 
Der Fische Tanz
Die bunten Schafe
Der Löwe, die Gemse und der Fuchs
Das Eichhörnchen in Diensten
Der Hecht
Die Rasiermesser
Die Kanonen und die Segel
Der Esel und Zeus
Der Hund und das Pferd
Der Uhu und der Esel
Der Wolf und der Kater
Die Brachsen
Der Wasserfall und der Quell
Der Schäfer
Das Eichhörnchen
Die Mäuse
Die Wölfe und die Schafe
Der Löwe und die Maus
Der Kuckuck und der Hahn
Der Magnat

 

Fab. 81
Der Fische Tanz

Der Löwe, dessen Machtrevier
nicht Wälder nur, Gewässer auch umfaßte,
rief zur Beratung das Getier,
wer wohl zum Gouverneur der Fische paßte.
Es ward sodann zu diesem Amt erwählt
der Fuchs, dem es ja an Verstand nicht fehlt.
Mein Füchslein ging auf seinen Posten,
wo es bald satt ward und gedieh.
Ihr ratet wohl, auf wessen Kosten?
Es trat der Fuchs in Kompanie
mit einem Bauer, den er kannte
und Freund und auch Gevatter nannte.
Das Plänchen war:
Derweil der Fuchs am Ufer schlichtet
und richtet,
so angelt der Gevatter Fisch
und brät sie gar
und bringt als Partner treu sie auf den Tisch.
Nun hat Spitzbüberei nicht immer Dauer.

Dem Löwen kommt zu Ohren eine Sage,
als ob in seinen Staaten
die Themis wägt mit falscher Waage.
Das will er selber prüfen jetzt genauer
und Umschau halten wie die großen Potentaten.
Er kommt ans Ufer, sieht den Bauer angeln,
sieht, daß ein Feuer brennt;
an Fischen scheint's da nicht zu mangeln,
nur sind sie nicht in ihrem Element;
man brät sie, um sie zu verschmausen.
"Wer bist du und was machst du hier?"
fragt zornig jetzt mit aufgesperrtem Rachen
der Leu den Bauer. Den erfaßt ein Grausen;
doch Reineke, das list'ge Tier,
das nie verlegen ist, wie schlimm auch stehn die Sachen,
fällt ein: "O Herr, das ist mein erster Sekretär,
ob seiner Redlichkeit verehrt das Volk ihn sehr;
das aber sind Karauschen, Flußbewohner.
Wir alle kommen her,
zu grüßen dich, des frommen Tuns Belohner." —
"Wie steht's mit der Justiz? Ist die Provinz zufrieden?" —
"O Herr, sie fühlt sich wie im Paradies
und wünscht nur dies, das du noch lange weilst hienieden." —
"Doch sage mir, warum
die Fische krümmen Köpf und Schwänze?" —
"Erhabner Zar, sie sind ja stumm
und ehren dich durch Freudentänze."
Die Lüge wird dem Leu zuviel,
er will nicht länger dulden solche Fratzen.
Auf daß beim Tanze sei auch Sang und Spiel,
packt er den Gouverneur
samt seinen Sekretär —
die musizieren nun in seinen Tatzen.

Fab. 82
Die bunten Schafe

Der Löwe liebte bunte Schafe nicht.
Nichts freilich hindert ihn, sie zu vernichten,
allein das stritte gegen seine Pflichten
und wäre kein gerecht Gericht.
Er führt des Waldes Zepter ja mitnichten,
um seine Untertanen hinzuwürgen —
vielmehr um ihnen für Justiz zu bürgen.
Doch blieben bunte Schafe ihm unleidlich.
Wie wird er sie nur los
und stellt dabei doch seinen Ruf nicht bloß?
Er hält für unvermeidlich,
zu Rat zu ziehen Fuchs und Bär,
und kündet ihnen im Vertrauen,
daß immer, wenn von ungefähr
ein buntes Schaf er müsse schauen,
so schmerzten seine Augen ihm den ganzen Tag;
er fürchte, noch die Sehkraft zu verlieren,
und wisse doch nicht, wie das Ungemach zu remedieren.

"Gewalt'ger Leu", so brummt der Bär mit finsterm Blick,
"was ist da noch zu reden lang und breit?
Man bricht den Schafen einfach das Genick.
Wem tät' auch solches Volk wohl leid?"
Der Fuchs sieht, daß der Leu die Stirne runzelt,
da naht er sich dem Thron und schmunzelt
und spricht mit Salbung: "Hoher Zar,
bei dem Gerechtigkeit und Milde wohnen,
mir scheint führwahr,
du möchtest diese armen Dinger schonen
und kein unschuldig Blut vergießen.
Drum leg' ich andern Ratschlag dir zu Füßen,
den ich erwog zur Stund.
Befiel, daß man den Schafen Wiesengrund
anweise, daß die Mütter drauf grasen
und ihre Lämmer hüpfen auf dem Rasen.
Und weil es hierorts an Hirten fehlt,
so seien Wölfe für dies Amt erwählt.
Ich weiß nicht recht, allein mir schwant,
daß sich die Spielart dann von selbst verlieren werde.
Einstweilen mag sich freun sich dieser Erde.
Doch welch ein Ausgang auch wird angebahnt,
du, Herr, bleibst immer aus dem Spiele."
Des Fuchses Meinung siegte in dem Rat;
und in der Tat,
so sicher führte sie zum Ziele,
daß von den bunten Schafen nicht allein,
von Schafen überhaupt nicht übrigblieben viele.

Was sagt das Getier in Forst  und Hain
zu der Geschichte?
Der Löwe würde schon ein guter Herrscher sein,
die Wölfe aber wären Bösewichte.

Fab. 83
Der Löwe, die Gemse und der Fuchs

Der Löwe jagt die Gams auf Felsenstegen,
fast packt er sie schon im Genick,
das leckre Mahl schlingt schon sein gierig heißer Blick —
wie kam es ihm gelegen!
Die Gemse konnte sich, so schien's, nicht retten mehr,
denn eine breite Schlucht durchschnitt die Straße quer,
und doch verzagt das Tier noch nicht am Heile.
Es sammelt seine letzte Kraft,
und wie ein Pfeil vom Bogen
schnellt übern Abgrund es, der unten klafft,
und stehet drüben auf der Felsensteile;
der Leu sieht sich betrogen.
Da kommt sein Freund, der Fuchs, herangeschlichen,
wirft einen Blick auf diese schroffen Wände.
Und spricht: "Wie, du, der Starke, der Behende,
wärst einer solchen Ziege ausgewichen?
Wenn's dir beliebt, kannst Wunder du vollbringen.
Wenn auch der Abgrund gähnt, nur ein Entschluß,
und flugs wirst du hinüberspringen.
Glaub mir aufs Wort, ich sage, was ich muß,
und setzte nicht, als Freund, aufs Spiel dein Leben,
wär' es mir nicht bekannt,
wie kraftvoll du und wie gewandt."
Im Löwen kocht das Blut, die Pulse beben,
dreist wagt er den gewalt'gen Sprung,
doch nimmer reicht so weit sein Schwung. —
Er überstürzt sich, fällt, sich nie mehr zu erheben.
Was hat sein edler Freund getan?
Er sucht zur Tiefe sacht sich eine Bahn,
und da er sieht, daß Schmeicheln und Hofieren
beim Leu zu nichts mehr führen,
so hat die Totenfeier er vollbracht —
und binnen Monatsfrist den Freund ganz kahl genagt.

Fab. 84
Das Eichhörnchen in Diensten

Bei einem Löwen stand
ein Eichhörnchen im Dienst, ich weiß nicht recht als was —
genug, der Leu Gefallen an ihm fand,
und einem Leu gefallen ist kein Spaß.
Versprochen war als Sold ein Fuder Nüsse,
versprochen, sag' ich, doch die Zeit verflog;
mein Eichhörnchen fühlt oft des Hungers Bisse
und knirscht und weint, daß man es so betrog.
Es sieht im nahen Walde seine Brüder,
ihm pocht die Brust;
sie hüpfen hurtig hin und wieder
und knacken Nüsse sich nach Herzenslust.
Zum Haselbusch hätt' es nur einen Sprung,
doch darf es hin? Mitnichten!
Denn stets gibt es Verhinderung,
man ruft, man drängt es zu des Dienstes Pflichten!
Das Eichhörnchen wird endlich alt,
der Leu ist seiner überdrüssig
und gibt den Abschied ihm gar kalt
als überflüssig.
Jetzt freilich schickt man ihm das Fuder Nüsse,
auch sind die Nüsse auserlesner Art,
sind von Geschmacke zart
und von besondrer Süße —
eins ist nur schlimm, ich muß es noch erwähnen,
es fehlt dem Eichhörnchen schon längst an Zähnen.

Fab. 85
Der Hecht

Der Hecht ward einstmals hart verklagt,
weil lauter Greuel er im Teich vollführt;
Beweise sind in Massen beigebracht,
den Frevler vor Gericht in einer großen Kufe.
Alsbald, gemäß ergangnem Rufe,
die Richter auch zusammentraten:
Sie weideten auf einer nahen Wiese.
Ich kann aus dem Archiv die Namen euch verraten.
Es waren diese:
zwei Eselein,
zwei alte Klepper, ferner ein paar Ziegen.
Damit nun der Prozeß sei rein
und man Gesetz und Recht nicht möge biegen,
ward noch der Fuchs bestellt als Prokureur.
Zwar war's den Leuten wohl gekommen zu Gehör,
der Hecht versorge des Gevatters Tisch mit Fisch. —
Doch herrscht sonst im Gericht kein Ansehn der Person,
der Hecht kriegt sicher seinen Lohn.
Es ist gewiß auch, daß des Hechtes Streiche
sich diesmal nicht vertuschen ließen.
Er soll — das ist der Spruch — den Frevel büßen,
indem er gehängt er wird an eine Eiche.
"Nur hängen?" fällt der Fuchs hier ein.
"Die Strafe find' ich klein;
Ich schlage vor, sie ernsthaft zu verschärfen.
Neu muß die Sühne sein, und hier noch unerhört,
so daß ein Schreck durch alle Sünder fährt:
Man muß den Bösewicht ins Wasser werfen!" —
"Vortrefflich!" ruft man aus, der Vorschlag wird Beschluß
und alsobald der Hecht geworfen in den Fluß.

Fab. 86
Die Rasiermesser

Der Zufall hatte einst auf einer Reise
mit einem guten Freund zusammen mich gebracht;
derselbe Gasthof nahm uns auf zur Nacht.
Am andern Morgen, da ich kaum erwacht,
merk' ich, der Freund treibt's auf besondre Weise.
Wir waren harmlos eingeschlafen und vergnügt,
und nun — woran das wohl liegt? —
hör' ihn aufschrein, seufzen, ächzen
und krächzen.
"Was ist dir, Lieber? Doch nicht krank?" —
"Nein, Gott sei Dank,
nur muß ich mich rasieren." —
"Und darum solch ein Lamentieren?"
Jetzt spring' ich aus dem Bett und seh',
der wunderliche Heilige
steht vor dem Spiegel da mit Angstgebärden,
verzieht so sauer das Gesicht,
die hellen Tränen von den Wangen fließen.
Er stellt sich an, der arme Wicht,
als sollte er geschunden werden.
Ich sah nun wohl, woran es lag,
und sprach: "Es möge, Freund, dich nicht verdrießen.
Allein das ist ja klar am Tag,
du willst es selbst nicht besser —
das sind ja nicht Rasier-, nein Hackemesser.
Von solchem mußt du freilich Marter leiden." —
"Ich leugne nicht, daß Stumpf die Messer sind,
wer das nicht sähe, wäre blind.
Allein mit scharfen fürcht' ich mich zu schneiden." —
"Nun Freund, ich will mich unterstehn,
dir zu versichern, daß mit stumpfen Messern
du die Gefahr nur kannst vergrößern.
Mit scharfen macht sich's glatt und schön,
wenn du nur weißt mit ihnen umzugehn."

*   *   *

Was ich hier meine? Ich erläutere es gern.
Es gibt so manchen großen Herrn,
der, ob er's auch verhehlt, Scheu hat vor guten Köpfen
und lieber sich umgibt mit Tröpfen.

Fab. 87
Die Kanonen und die Segel

Es waren Segel und Kanonen
auf einem Schiff in Streit entbrannt,
da beide forderten der Ehre Kronen.
Grimm strecken aus des Schiffes Bohlenwand
den Hals hervor die Eisenschlünde
und murren auf zum Himmel: "Was für Gründe
hat denn das grobe leinene Gewebe,
daß es mit uns nach gleicher Schätzung strebe?
Was tun die Segel auf der langen schweren Fahrt?
Sie buhlen mit dem Wind.
Wenn sie ihn spüren, blähn sie sich geschwind,
als wären sie von einer höhern Art,
und zieren sich und rauschen
mit aufgeblasnen Bauschen.
Wir aber donnern in der Schlacht.
Herrscht nicht durch uns das Fahrzeug auf den Meeren?
Wird nicht durch uns der Feind in Not und Tod gebracht?
Wozu denn mit den Segeln noch verkehren?
Wir kommen schon zu Gang
nach unsern eigenen Gesetzen.
Auf, Boreas, stürm an mit vollem Drang
und reiße sie in Fetzen!"

Der Gott gehorcht, braust her, und bald
hat sich der Himmel mit Gewölk bezogen;
Es wandelt drohend sich des Meeres Gestalt,
und berghoch bäumen sich die Wogen.
Des Donners Schall betäubt das Ohr,
der Blitzstrahl blendet scharf gezackt die Blicke,
und die sich Boreas zu Opfer kor,
die Segel, reißt er in Stücke.
Danach begann das Wetter sich zu hellen,
doch ohne Segel ist das Schiff nun lahm,
ein Spiel der Winde und der Wellen;
und als der Feind herangesegelt kam,
geriet es ins Gedränge.
Der Feind bestrich es nach der ganzen Länge,
es ward zum Siebe durch der Kugeln Menge
und sank zur Tiefe samt Geschütz.

Die Fabel ist vielleicht dem Staatsmann nütz.
Ein jeder Staat ist mächtig,
solang die Teile wirken drin einträchtig:
Die Waffe soll den Feind in Furcht erhalten —
des Staates Segel sind Zivilgewalten.

Fab. 88
Der Esel und Zeus

Es hielt ein Bauer sich ein Eselein,
ein sanftes, stilles Tier;
der Bauer schwärmt dafür
und möchte sicher sein,
daß nicht im Wald verlaufe sich der Graue.
Drum hängt er ihm ein Glöcklein um den Nacken.
Gleich bläst mein Eslein auf die Backen
und wirft sich in die Brust — nun schaue!
Er hatte wohl so was gehört von Orden
und dünkte sich ein großer Herr geworden.

Doch ward der neue Schmuck sein schlimmster Feind —
nicht für Esel lehrreich, wie mir scheint.
Ich kann es nämlich nicht verhehlen,
das Pflichtgefühl des Esels war nicht groß;
doch schadete ihm nie das bißchen Stehlen,
bevor das Glöcklein seinen Hals umschloß.
Im Küchengarten und im Korn
verzehrte er so Kraut und Dorn
und schlich sich fort, wenn er sich satt gefressen.
Jetzt fiel die Sache anders aus:
Sobald ins Feld den Fuß nur setzt der Daus,
so klingelt ohne Unterlaß
der neue Schmuck, die Glocke.
Nun, da versteht der Bauer keinen Spaß,
er greift zum Stocke
und jagt das Vieh aus Korn und Beeten;
und als der Nachbar das Gebimmel hört,
hat er ihm neue Prügel gleich beschert.
So ist der arme Esel sehr in Nöten;
er, der auf seine Würde wollte pochen,
war bis zum Herbste nur noch Haut und Knochen.

Die Fabel zu erläutern ist mir Pflicht.
Mit Leuten, die im Amt sind, geht es ähnlich:
Derweil ihr Rang noch unansehnlich,
tritt auch der Schelm nicht grell ans Licht.
Ein hoher Rang beim Schelm ist gleich der Schelle,
die weithin tönt und helle.

Fab. 89
Der Hund und das Pferd

Auf einem Bauernhof im Dienste stund
'ne Stute und ein Hund, die wollten einst sich messen.
"Seht mir die große Dame", sprach der Hund,
"du brauchest hier dein Futter nicht zu fressen.
Was großes auch, zu fahren und zu pflügen!
Denn sonst hört man ja nichts von deinen Siegen.
Kannst du mit mir wohl den Vergleich nur ziehn?
Ich muß am Tage mich und auch die Nächte mühn.
Tags grast die Herde unter meiner Hut,
nachts kommt dem Hause meine Wacht zugut." —
"Gewiß", so ließ die Stute sich vernehmen,
"das, was du sagst, hat Grund;
allein, wollt' ich zum Pflug mich nicht bequemen,
so hätt' auch zu bewachen nichts der Hund."

Fab. 90
Der Uhu und der Esel

Ein blinder Esel ging einst auf die Reise,
verirrte sich jedoch im Wald —
es war schon Nacht, — und bald
tappt er umsonst im Dickicht nach 'nem Gleise.
Das Langohr kann nicht vorwärts, nicht zurücke;
auch fänd' ein Sehender hier große Schwierigkeit.
Da war zum Glücke
ein Uhu nah, und der fand sich bereit,
den Wanderer zu führen.
Wie scharf der Uhu sieht bei Nacht, ist allbekannt,
er unterscheidet Höhn und Tiefen, Sumpf und Land. —
Am Morgen sind sie aus den Waldrevieren.
Wer trennt von einem solchen Führer wohl sich gern?
"Laß uns", spricht Langohr, "nimmer scheiden;
die Welt steht offen ja uns beiden."
Der Uhu willigt ein mit Freuden
und spielt den großen Herrn;
er setzt sich auf des Esels Rücken.
Fort geht's, doch kann es wohl auch glücken?
Nein, denn beim ersten Sonnenlicht
verliert mein Uhu das Gesicht,
und gleichwohl bleibt er obstinat
und gibt bald den, bald jenen Rat.
"Paß auf", ruft er, "rechts geht es in die Pfütze!"
Die Pfütze war nicht da, doch links kam's schlimmer noch —
"Nur einen Schritt mehr links", schreit Uhu noch vom Sitze,
pardauz, da lagen sie in einem tiefen Loch.

Fab. 91
Der Wolf und der Kater

Ins Dorf lief Isegrim gar schnell,
zu Gaste nicht — nein, sich zu retten.
Er zittert für sein Fell,
denn auf der Spur sind ihm der Jäger Ketten.
Er wäre in ein Hoftor gern gerannt,
doch allerorten
sind zugesperrt die Pforten.
Da sah er, auf dem Zaune stand
ein Kater.
Er sprach ihn an: "Mein Freund, sei mein Berater,
wer von den Bauern hat wohl so viel Mitleidsdrang,
vor meinen Feinden mich zu schützen?
Hörst du Gebell und Hörnerklang?
Mir gilt's." — "So frag nur an bei Fritzen,
ein guter Kerl, der dich vielleicht verbirgt." —
"Ach, dem hab' einen Hammel ich erwürgt." —
"Versuch es dann beim Peter." —
"Der schreit auch, fürcht' ich, Zeter,
ein Böcklein schleppt' ich jüngst ihm fort." —
"Der Steffen wohnt gleich dort, gib dem ein gutes Wort." —
"Dem Steffen?
Ich möchte nicht mit ihm zusammentreffen,
weil ich ein Lamm ihm nahm." —
"Schlimm! Nun, vielleicht tut Paul es dir zu Willen." —
"Nein, nein, dem raubte ich ein Füllen,
das in den Wurf mir kam." —
"Ja, Freund, du hast dir's eingebrockt bei allen.
Wie konntest du nur hoffen hier auf Heil?
Nein, dir wird Rettung nicht zuteil.
Es sind die Bäuerlein nicht auf den Kopf gefallen fürwahr,
daß sie zu eignem Schaden die Gefahr
von dir entfernt:
Was du gesät hast, mußt du ernten."

Fab. 92
Die Brachsen

In einem großen Gartenteich,
sein Wasser blinkte wie Kristall,
da hatten Brachsen einst ihr Reich.
Truppweis' am Ufer spielten sie nicht zage,
und golden, schien es, flössen ihre Tage;
als auf einmal
der Herr befahl,
hineinzutun an fünfzig Hechte.
"Hilf, Himmel", rief ein Freund,
"tust du das Rechte?
Wie ist denn das gemeint?
Da bleibt ja von den Brachsen nicht die Spur;
weißt du nicht, daß der Hecht gefräßig wird genannt?" —
"Spar deine Worte nur",
sagt lächelnd drauf der Herr, "mir ist das wohlbekannt;
doch könntest du mir sagen,
woher du weißt, daß Brachsen mir behagen?"

Fab. 93
Der Wasserfall und der Quell

Ein mächt'ger Wasserfall, der von den Felsen braust,
sprach einen Heilquell einst hochmütig an:
(Am Bergesfuß der Quell verloren haust,
doch Wunder oft hat seine Kraft getan.) "Wie seltsam,
daß, obwohl du klein und seicht,
der Gäste Schwarm bei dir stets treibt sein Wesen.
Es ist begreiflich leicht,
daß man, mich anzustaunen, macht die Reise.
Warum kommt man zu dir?" — "Um zu genesen",
hat hier der Quell gemurmelt leise.

Fab. 94
Der Schäfer

Beim Thomas, der des Leibherrn Herde hütet,
nahm auf einmal die Zahl der Schäflein ab.
Der brave Knab'
ist außer sich, er weint und wütet,
klagt seinen Kummer allen und erzählt,
daß ihn ein böser Wolf so quält;
der schleppe ihm die Schafe aus dem Stalle
und würge sie erbarmungslos.
Kein Wunder, rufen alle,
des Wolfs Erbarmen mit dem Schaf war niemals groß!
Mann sinnt nun, wie man vor dem Wolf sich schütze.
Doch warum hat man wohl in Thomas' Ofen
bald Schtschi mit Hammelfleisch, bald Grütze
mit Hammelkeule angetroffen?
(Thomas war nämlich Koch — da er sich schlecht geführt,
ward er aufs Dorf geschickt als Hirt,
so kommt die Küche unsrer ziemlich nah.)
Man fahndet auf den Wolf, dem alle Welt jetzt flucht,
durchstreift den ganzen Wald — er wird umsonst gesucht,
er ist nicht da.
Ihr Freunde, laßt es sein! Der Wolf leiht nur den Namen —
die Schafe frißt der Thomas. Amen.

Fab. 95
Das Eichhörnchen

Im Dorfe, es war Sonntag gerade,
unter der Herrschaft Fenster stand
das Volk und gaffte unverwandt
nach einem Eichhörnchen im Rade.
Auch eine Drossel auf der Birke staunt —
denn rennen sieht man es, daß bald die Pfötchen flimmern
und bald des Schweifes Büschel schimmern.
"Hör, Nachbar", hat ihm da die Drossel zugeraunt,
"was machst du hier, kannst du mir's sagen?" —
"Freundin, ich muß den ganzen Tag mich plagen,
bei einem großen Herrn bin ich Kurier,
ich kann zum Fressen kaum die Zeit mir gönnen,
ja, kaum zum atmen schier . . . " —
und damit fängt es wieder an zu rennen.
Die Drossel flieget fort und spricht:
"Ich streite nicht,
du rennst wie ein Daus,
doch aus dem Fenster kommst du nicht heraus."

Seht, wie geschäftig müht sich der Geselle!
Das ist ein Treiben, alles schaut
bewundernd zu; er fährt noch aus der Haut.
Doch nichts kommt von der Stelle;
ganz wie das Eichhörnchen in seines Rades Welle.

Fab. 96
Die Mäuse

"Ach, Schwester, weißt du schon? Ein Leck hat sich gezeigt",
sprach eine Maus zur andern mit Emphase,
"das Wasser ist im Raum,
ich rettete mich kaum,
es stieg mir schon bis an die Nase."
(Doch waren in der Tat erst kaum die Pfoten naß.)
"Es ist kein Wunder auch, der Kapitän
säuft ohne Unterlaß,
die Mannschaft will nur müßiggehn,
von Ordnung keine Spur zu sehn.
Ich habe laut genug gepiept,
daß es ein Unglück gibt
und daß das Schiff muß sinken,
wenn man nicht tut, was sich gebührt.
Glaubst du, man folgte meinen Winken?
Kein Mensch hat sich gerührt,
als schickt' ich große Lügen in die Welt.
Und doch ist die Gefahr
ganz sonnenklar;
wenn man sich an den Raum nur stellt,
sieht man, daß unser Schiff sich keine Stunde hält.
Wozu denn sollen wir mit ihnen sterben?
Komm rasch vom Schiff fort,
wir retten uns noch vom Verderben,
wer weiß, wie nahe schon die Küste!"
Die schlauen Mäuslein springen über Bord
und — sie ersoffen in der Wasserwüste.
Derweil das Schiff, von kluger Hand geführt,
den Port erreicht, von Schaden unberührt.

Ich höre schon den Leser fragen:
Wie war's denn mit dem Leck?
Was ist vom Kapitän und seinem Volk zu sagen?
Das Leck war winzig klein
und ward beseitigt auf dem Fleck;
das andre — waren lauter Klatscherein.

Fab. 97
Die Wölfe und die Schafe

Die Schafe litten von den Wölfen sehr,
und zwar ward es so arg zuletzt,
daß schon die Ehr
der Tiere Obrigkeit antrieb, hier einzuschreiten.
Stracks eine Kommission ward eingesetzt,
der man den Fall tat unterbreiten.
Zwar waren Wölfe drin die meisten Glieder,
doch nicht von allen Wölfen spricht man schlimm;
man sah schon hin und wieder,
daß Isegrim
ganz friedlich an dem Schaf vorüberschritt,
wenn — schon gestillt sein Appetit.
Warum denn sollen Wölfe nicht im Rate sitzen?
Man muß die Schafe freilich schützen,
allein die Wölfe doch auch nicht bedrängen
und nicht beengen.
Auf einer waldumsäumten Matte
hält Sitzung man. Nach gründlicher Debatte
wird endlich ein Dekret votiert,
es sei hier Wort für Wort zitiert:
"Sobald ein Wolf es sollte wagen,
den neuen Ordnungen zum Hohn,
ein Schaf zu kränken,
so ist das Schaf befugt, den Wolf beim Kragen
zu nehmen ohne Ansehn der Person
und, sonder einiges Bedenken,
den Schuldigen ans nächste Amt zu liefern,
sei es bei Fichten oder Kiefern:
Und dies Gesetz soll man nicht mehren und nicht mindern."

Inzwischen seh' ich gar nicht, daß es helfe,
obwohl gesagt, man soll die Wölfe hindern,
zu schädigen die Wollenträger
und sie zu beißen,
so sind es immer doch die Wölfe
(das Schaf sei nun Beklagter oder Kläger),
die in dem Wald die Schafe reißen.

Fab. 98
Der Löwe und die Maus

Den Löwen bat die Maus demütig,
er wolle gütig
frei geben ihr den Aufenthalt
ganz nah bei ihm in einem hohlen Stamme.
"Bist du gleich", sprach sie, "ruhmgekrönt im Wald,
beugt sich auch alles deiner Zornesflamme,
erweckt auch dein Gebrüll schon Graun —
so kann doch niemand in die Zukunft schaun.
Wer weiß, wie einer je den andern braucht;
bin ich auch winzig und geringe,
vielleicht doch, daß mein Beistand einst dir taugt." —
"Beistand von einem solchen Dinge?
Für diese freche Rede bloß
wär' Tod dein wohlverdientes Los.
Hinweg, schnell fort, solang du noch am Leben,
damit nicht jede Spur von dir verschwinde!"
Da überkam die Maus ein banges Beben,
sie huschte fort in tiefverborgne Gründe.

Dem Leu jedoch bekam der Hochmut schlecht.
Er war einst auf die Jagd gegangen,
da blieb er hangen
in eines Netzes dichtem Garngeflecht.
Hier half nicht Kraft, nicht Brüllen, Stöhnen,
denn er ward heute
wie sehr er tobt und angestrengt seine Sehnen,
des Jägers Beute.
Drauf wird, was ihm zu bittrer Schmach gereicht,
in einem Käfig er dem Volk gezeigt.
Da muß er an des Mäuschens Worte denken:
Das Tierchen hätte Hilfe wohl gebracht
und das verruchte Netz zernagt;
warum die Maus so schnöde kränken?
Zu spät sieht er nun ein,
daß ihn ein falscher Stolz gestürzt in diese Pein.

Nun, Leser, als ein Freund der Wahrheit
füg' ich zur Fabel einen Spruch,
der nicht von mir ist, ich bin nicht so klug.
Es sagt das Volk mit großer Klarheit:
"Du sollst nicht in den Brunnen spucken,
vielleicht mußt du sein Wasser schlucken."

Fab. 99
Der Kuckuck und der Hahn

"Wie singst du lieber Hahn, doch hell und mächtig!" —
"Und dein Lied, Kuckuck, ist voll und klar,
und so gehalten — nun fürwahr,
kein Vogel singt im Wald so prächtig." —
"Dir zuzuhören, Hahn, würd' ich nie müde!" —
"Doch wenn du, Liebster, schweigst,
so ist's, als hätt' ich nimmer Friede,
bis deine Kunst aufs neu du zeigst.
Dein süßes Stimmchen labt so sehr,
es ist so rein, so zart, von solcher Höhe!
So was ist angeboren, wie ich sehe,
drum fällt es euch auch gar nicht schwer.
Klein seid ihr von Gestalt, allein im Singen
dürft klecklich mit der Nachtigall ihr ringen." —
"Bedanke mich, doch sag' ich auf Gewissen
und rufe auf zu Zeugen alle Welt,
man möchte deinen Sang nicht missen,
weil er . . . " Da flog ein Sperling übers Feld,
der sprach:
"Mögt ihr euch loben gegenseitig,
den ganzen Tag,
bis heiser ihr geworden, und noch länger,
so ist doch dies unstreitig:
Ihr beide seid ganz miserable Sänger."

Weswegen rühmt denn unbedenklich
der Kuckuck wohl den Hahn?
Deswegen, weil so überschwenglich
der Hahn auch rühmt den Kuckuck Lobesam.

Fab. 100
Der Magnat

In grauer Vorzeit ward einst ein Magnat
von seinen weichen Kissen
in jenes Reich, wo Pluto herrscht, gerissen.
Ihn führt alsbald der düstre Pfad
hin vor das ernste Richtertribunal.
Man fragt: " Was warst du? Wo kamst du zur Welt?" —
"Ein Perser war ich, und aus der Satrapen Zahl,
doch war's mit der Gesundheit schlecht bestellt.
Im Lande hab' ich drum nicht selbst gewaltet,
es hat für mich mein Sekretär geschaltet." —
"Was tatst denn du?" — " Ich aß und trank und schlief
und unterzeichnete, wie's nach der Reihe lief." —
"Nur ins Elysium!" — "Wie? Was? Ist das Justiz?"
rief hier Merkur recht grob und spitz. —
"Mein Lieber", sagt ihm Äakus,
"das macht dir ohne Grund Verdruß.
Siehst du denn nicht? Der Sel'ge war ein Tropf,
wenn er bei seiner Macht
gehandelt hätt' aus eignem Kopf,
ins Elend hätt' er die Provinz gebracht,
und Tränen flössen ungezählet.
Nein, just drum
kommt dieser ins Elysium,
weil mit Geschäften er sich nie gequälet."

Ich sah 'nen Richter jüngst in Themis' Heiligtum —
der kommt gewiß dereinst auch ins Elysium.