Fabelverzeichnis

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Buch 4
 
Der verliebte Löwe
Der Schäfer und das Meer
Die Fliege und die Ameise
Der Pächter und sein gnädiger Herr
Der Esel und das Hündchen
Der Kampf der Mäuse und der Wiesel
Der Affe und der Delphin
Der Mann und das hölzerne Götzenbild
Der Häher, der sich mit Pfauenfedern schmückte
Das Dromedar und das Treibholz
Der Frosch und die Maus
Wie die Tiere Alexander Tribut schickten
Das Pferd das sich am Hirsch rächen wollte
Der Fuchs und die Büste
Der Wolf, die Ziege und das Zicklein

 
Der Wolf, die Mutter und das Kind
Ein Wort des Sokrates
Der Greis und seine Kinder
Das Orakel und der Gottlose
Der Geizige der seinen Schatz verlor
Das Auge des Herrn
Die Lerche mit ihren Jungen und der..

 

Fab.1
Der verliebte Löwe
An Fräulein von Sévigné

Sévigné, du, an Reiz und Lust
der Grazie gleich und der Kamöne,
du Weib von tadelloser Schöne,
die nur dir selber unbewußt,
kannst freundlich du und ohne Grauen
im leichten Spiel der Fabel schauen,
und ohne daß der Schreck dich lähmte,
den Löwen, den Gott Amor zähmte?
Amor ist ein besondrer Meister;
wohl dem, der ihn und seine Geister
allein vom Hörensagen kennt!
Wenn seinen Namen man dir nennt:
Scheint dann die Wahrheit dir verwegen,
nimm wenigstens die Fabel hin
und komm mit Nachsicht ihr entgegen;
sie will mit dienstbereitem Sinn
dir meinen Dank zu Füßen legen.

Als Sprache noch unter den Tieren war,
sucht' einst mit uns der Löwen Schar
sich Bund und Freundschaft anzumaßen.
Warum auch nicht? Es wogen ihre Rassen
die unsren damals reichlich auf,
da Mut sie und Verstand besaßen,
den schönen Kopf noch obenauf.
Nun hört den weiteren Verlauf:

Ein Leu, hochwohlgeboren,
sieht beim Spaziergang überm Feld
'ne Hirtin, die ihm wohlgefällt;
zur Ehe hat er sie erkoren.
Der Vater möcht' um alles in der Welt
'nen weniger wilden Schwiegersohn.
Sie ihm zu geben scheint kein Glück,
sich weigern ein gewagtes Stück.
Und schließlich fürchtet er auch schon,
sie eines schönen Morgens gar
zu sehen als geheim vermähltes Paar.
Denn abgesehn, daß unsre Schöne
von je die stolzen Männer schätzt,
hat sie sich in den Kopf gesetzt
'nen Liebsten mit 'ner langen Mähne.
Der Vater, der schon recht verzagt
den Bräutigam nicht abzuweisen wagt,
sagt ihm: »Mein Kind ist zart und schwächlich;
wie leicht kann deine Kralle nun,
wenn du sie kosest, weh ihr tun!
Gestatte drum, daß man gemächlich
sie dir beschneid' und unverweilt
dir stumpfer auch die Zähne feilt;
so werden sanfter deine Küsse,
nach deren Wonnen du verlangst,
und meine Tochter, frei vor Angst,
gewährt die süßeren Genüsse.«
Der Löwe ließ es sich gefallen,
vor Liebe war er blind und weich.
Beraubt der Zähne und der Krallen
war eine Festung ohne Wall er gleich
dann mußt' er sich, gehetzt von Hunden
auf schwache Gegenwehr beschränken.

O Amor, hast erst du uns überwunden,
dann gute Nacht, Verstand und Denken!


Fab.2
Der Schäfer und das Meer

In Amphitrites Nähe lebte, aller Sorgen bar,
von seiner Herde einst ein Mann still und zufrieden;
war auch gering, was ihm beschieden,
war's sicher doch und ohn' Gefahr.
Endlich verlockten ihn die Schätze doch, die ausgeladen
er stets am Ufer sah; er schlug die Herde los,
vertraut' als Händler dann des Meeres unsichrem Schoß
sein Geld und litt durch Schiffbruch Schaden.
Nun mußt' er wiederum die Schafe hüten gar,
doch nicht wie ehemals, als er die Schar
der eignen Lämmer weidete, zufriedenen Gesichts;
nachdem ein Corydon, ein Tircis er gewesen war,
ward er ein Pierrot und weiter nichts.
Doch bald schon hatt' er wiederum ein Weniges in bar
und legt's von neuem an in Schafen.
Wie eines Tags ein guter Wind die Schiffe in den Hafen
einlaufen ließ, und an den Strand sie zogen,
da rief er: »Ihr wollt Geld, ihr schönen Wogen!
Doch möget ihr euch jetzt an einen andern wenden;
ich werd' an euch gewiß nichts mehr verschwenden!«

Dies ist kein Märchen, nur zum Spaß erfunden;
die Wahrheit soll es euch bekunden,
denn die Erfahrung lehrt es klar und offen:
Mehr gilt ein Pfennig in der Hand
als fünf, auf die man muß erst hoffen.
Begnüge jedermann mit seinem Stande sich.
Verlocken Ehrgeiz und die Meere dich,
so traue ihren trügerischen Stimmen nicht.
Beschenkt wird einer, Tausend wird genommen;
und wenn das Meer auch gold'ne Berge dir verspricht –
trau ihm, so werden Sturm und Räuber kommen.

Fab.3
Die Fliege und die Ameise

Mit einer Fliege stritt die Ameise um ihren Wert.
»O Jupiter!« sagte die Fliege, »ist es möglich?
Kann Eigenliebe denn den Geist so unerhört
verblenden, daß ein elend kläglich
Reptil sich also überschätzt,
daß es sich neben mich, der Lüfte Tochter setzt!
Ich bin im Schloß zu Haus, sitz' an des Gottes Tische,
und vor ihm selbst kost' ich von seinem Opferstier.
Das arme Ding jedoch – im dunkelsten Gebüsche
lebt es drei Tag' von einem Halm, den es ihn sein Revier
geschleppt. Nun, liebes Schätzchen, sage mir,
war eines Königs Haupt wohl jemals dein Quartier,
das eines Kaisers, einer Schönen?
Ich küsse, wenn ich will, den schönsten Hals, fürwahr,
treib' mich umher im weichsten Haar,
und weiße Wangen heb' ich zu noch weiß'ren Tönen.
Vollendet ihren Putz ein schönes Weib, besorgt,
Eroberung damit zu machen,
so ist's ein Schmuck, den sie uns Fliegen abgeborgt.
Nun red mir bloß nicht lang von Wirtschaftssachen!«

»Gesprochen hast du – hab' ich jetzt das Wort?«
erwidert drauf die Sparsam-Weise.
»Im Schloß bist du zu Haus, doch man verwünscht dich dort;
und nimmst zuerst von der Speise,
welche den Göttern man verehrt, das sei was wert?
Überall kommst du hin; das tut nur, wer unedel.
Auf eines Königs wie auf eines Esels Schädel
pflanzt ihr euch gerne auf, gewiß, ich leugne es nicht;
doch weiß ich, daß ein schnell Gericht
für die Zudringlichkeit euch oft den Tod läßt leiden.
Auch ein gewisser Schmuck soll niedlich kleiden.
Ich geb' es zu, so schwarz ist er wie ich und du,
auch deinen Namen mag er führen; doch wozu
sich gar noch brüsten solchen Ruhmes?
Ist >Fliege< nicht der Name des Schmarotzertums?
Hör also auf und sprich nicht fürderhin so groß!
Gebrochen wird, was sich nicht läßt verbiegen;
leicht jagt man fort die leichten Fliegen,
Schmeißfliegen schlägt man tot; und auch dein Los
ist Tod vor Mattigkeit und Frost und Magenleere,
wenn Phöbus erst beherrscht die andre Hemisphäre.
Dann erst genieß' ich voll der Arbeit süße Frucht,
denn nicht mehr berg' und talwärts auf der Flucht
dem Wind und Regen preisgegeben,
kann froh ich und behaglich leben.
Daß ich jetzt Sorge trag', macht mich von Sorgen frei.
So zeige ich dir, was das sei:
der wahren Ehre Schatz und falschen Ruhmes Schimmer.
Leb wohl, hab' keine Zeit; Arbeit ist mein Gesetz,
und Schrank und Speicher werden nimmer
mir voll durch müßiges Geschwätz.«

Fab.4
Der Pächter und sein gnädiger Herr

Ein Gartenfreund, nach seinem Stande
halb Bürger und halb Bauersmann,
besaß als Pächter auf dem Lande
einen gepflegten Garten, der nach nebenan
umgrenzt von einer Hecke war in ganzer Länge.
Lattich und Sauerklee wuchs dort in großer Menge,
auch Thymian massenhaft und nebenbei ein Rest
Jasmin zu duft'gen Strauß für Lieblings Wiegenfest.
Dies ganze Glück ward nur getrübt durch einen Hasen.
Darüber führt beim gnäd'gen Herrn der Pächter Klage:
»Seht, der verwünschte Hase frißt mir meinen Rasen
und alle Pflanzen ab! Der Fallen spottet er,
und Stein und Knüppel, ach, die helfen auch nicht mehr.
Er muß ein Zaubrer sein!« - »Ein Zaubrer? Wenn er's wäre«,
sagt drauf der Herr, »oder der Teufel selber, jedenfalls
packt' ihn trotz seiner List mein Nero bald am Hals.
Erlösen will ich dich, mein Freund, von ihm, auf Ehre!«
»Doch wann?« - »Gleich morgen mache ich mich dran.«

Gesagt, getan: Er kommt mit seinen Leuten an.
»He! Frühstück her!« ruft er. »Sind auch die Hühner mürbe?
Nun, Töchterchen des Hauses, komm und laß dich sehn!
Wann woll'n wir Hochzeit machen? Schwiegersöhn' mit Würde,
Freundchen, das ist 'ne Sach' – du wirst mich wohl verstehn -,
da heißt's, tief in den Beutel greifen!«
Bei diesem Wort läßt er zu ihr die Blicke schweifen,
setzt sich ganz nah an sie heran,
faßt ihre Hand, den Arm, lüftet ihr Tüchlein dann.
Die Schöne sucht mit einer schüchtern steifen
Bewegung abzuwehr'n die Zärtlichkeit;
dem Vater aber ging es doch zu weit.
Indessen wird am Herd gesotten und gebraten.
»Wo ist der Schinken her? Er scheint mir wohlgeraten.«
»Der ist für Euch, o Herr!« - »So?« spricht der Edelmann.
»Ich nehm' ihn gern und gnädig an.«
Er frühstückt gut, kaum aufzustehn vermocht' er,
Hund, Pferd und Dienerschaft genießen ihren Schmaus;
dem Wirt gibt er Befehl, nimmt manches sich heraus,
trinkt seinen Wein und kost die Tochter.
Das Frühstück ist vorbei, ihm folgt der Lärm der Jagd.
Zum Aufbruch rüsten laut sie alle,
vom Schmettern der Trompeten und dem Hörnerschalle
wird unser Pächter schier verzagt.
Das Schlimmste war, daß man den armen Küchengarten
ihm kläglich niedertrat: Ihr Beete, lebet wohl!
Fahret dahin, Endivien, Lauch und Kohl!
Auf euch kann jetzt die Suppe warten!

Still lag der Has' im Kohl, in dem er sich verkroch.
Man spürt ihn auf, jagt ihn – husch, ist er durch ein Loch,
ein riesengroßes Loch, gar gräßlich anzuschauen,
das in die Hecke ward gehauen –
der Herr befahl's; es wär' ja auch ein Graus,
könnt' man nicht hoch zu Roß zum Garten dort hinaus!
Der Mann sprach: »Großer Gott! Es ist 'ne wahre Schande!«
Man ließ ihn reden; Hund' und Menschen hatten mehr
in einer Stunde Zeit verwüstet ringsumher,
als es in Jahren möglich wär?
sämtlichen Hasen hierzulande.

Ihr Herren, schlichtet selber euren Streit;
sucht ihr der Höheren Schutz, seid ihr nicht recht gescheit.
Wenn sie sich erst mit eurem Streit befassen,
dann müßt ihr samt und sonders Federn lassen.


Fab.5
Der Esel und das Hündchen

Man wolle nie, was man nicht kann;
es wird doch nur verfehlte Sache.
Ein Tölpel wird, wie er's auch mache,
nie ein gewandter feiner Mann.

Nur wenigen ward, von Gott begnadet und erkoren,
der Gaben glücklichste, die Anmut, angeboren.
Wer es nicht hat, der soll es lassen,
statt wie der Esel sich gebärden,
der seines Herren Liebling wollte werden
und zärtlich sucht' ihn zu umfassen.
»Wie?« sprach er, da er einsam wandelt'.
»Das Hündchen wird, weil nett und lieb,
von unsrem Herrn und seiner Frau
wie ihresgleichen stets behandelt;
mir winkt der Knüppel nur. Ach schau!
Was tut er denn? Es gibt das Pfötchen,
und gleich küßt man den Kleinen hinterher.
Gewinnt auf diese Art man Lieb' und Zuckerbrötchen?
Ist denn das wirklich gar so schwer?«
Solchen Gedanken sich ergebend,
erblickt er seinen Herrn, läuft täppisch gleich herbei;
den abgetretnen Huf erhebend,
legt zärtlich er dem Herrn ans Kinn ihn frank und frei
und singt mit holder Stimm' ein schrecklich Lied dabei,
damit das Ganze würd'gen Abschluß fände.
»Hu, welche Zärtlichkeit! Was ist das für ein Gruß!
ruft jetzt der Herr. »Holla! Den Stecken her!«
Der Stecken wird gebracht, der Esel singt nicht mehr –
das war des Possenspielers Schluß.

Fab.6
Der Kampf der Mäuse und der Wiesel

Wiesel sind, so mag es scheinen,
mit dem Katzenvolk verwandt:
Mäuse jagen sie, das ist bekannt.
Hätten Mäuse nicht in kleinen
engen Löchern stets gewohnt,
wären, glaub' ich, von den Tücken
jenes Tiers mit schlankem Rücken
sie noch weniger verschont.
Da sie nun in einem Jahr
war'n besonders zahlreich schon,
führt ihr König Ratapon
kühn ins Feld die Mäuseschar.
Drauf das Wieselvolk nach altem Brauch
hißt sein schönes Banner auch.
Ist, was man erzählte, wahr,
winkt' der Sieg bald hier, bald dort,
und gedüngt an manchem Ort
ward das Feld mit Heldenblute.
Doch trotz seinem Heldenmute
war fast allerorten mehr
im Verlust das Mäuseheer.
Wilder Flucht ward es zum Raube,
wenn's den Helden Artarpax,
Psicarpax, Meridarpax
auch gelang, bedeckt mit Staube,
aufzuhalten ziemlich lang
ihrer Feinde Sturm und Drang.
All umsonst die Heldentaten!
Von dem Glück verlassen, sucht
nun sein Heil in eil'ger Flucht
jeder, Feldherr wie Soldaten.
All die Fürsten traf der Tod.
Der Gemeine schlüpft' zur Not
in die Löcher, in die Fugen
mühelos mit schnellem Husch;
doch die Offiziere trugen
jeder einen Federbusch
oder Haarbusch – war's ein Zeichen
nur für ihren Stand und Rang,
oder meinten sie, dergleichen
mach' den Wieseln angst und bang.
Dieses ward ihr Untergang.
Viel zu niedrig für die feinen
Herrn war Spalte, Ritz' und Loch,
während leicht das Volk der Kleinen
in die engsten Höhlen kroch.
In den Staub ward so gelegt
dieser Mäuse Herrlichkeit.

Wer den Kopf mit Federn trägt,
kommt oft in Verlegenheit.
Ein zu üppiges Gepräge
treibt so manchen in die Enge;
er kann sich nicht mehr entziehn.
Kleine sind in vielen Dingen
besser dran: Sie können fliehn.
Großen wird das schwer gelingen.

Fab.7
Der Affe und der Delphin


Es war der Brauch im alten Griechenlande,
wer je zu einer Meerfahrt schritt,
der nahm, war er ein Mann von Stande,
dressierte Hund' und Affen mit.

Ein Boot mit solcher Konterbande
litt Schiffbruch bei Athen am Strande.
Just kam noch ein Delphin zurecht;
dies Tier ist unserem Geschlecht
gut Freund, nach glaubhaftem Berichte
in Plinius' Naturgeschichte.
Er rettete ein gutes Teil;
ein Affe selbst, den Fall benützend
und auf die Ähnlichkeit sich stützend,
versucht bei dem Delphin sein Heil.
Er sei ein Mensch, so meint der Retter
und nimmt auf seinen Rücken ihn;
stolz saß er da auf dem Delphin,
Arion gleich, dem Freund der Götter.
Schon waren sie ganz nah am Strand,
da fragt ihn ganz zufällig jener:
»Mein Freund, sag, bist du ein Athener?«
»Gewiß, und dort sehr wohlbekannt.
Wenn du mal etwas brauchst«, so spricht er,
»komm zu mir; ich habe dort
vornehme Sippschaft viel am Ort,
mein Vetter ist der Oberrichter.«
Spricht der Delphin: »Ich danke sehr!
Und der Piräus, hat auch der
die Ehre wohl, dir nahzustehen?
Ich denk', du wirst ihn öfter sehen.«
»Täglich! Mein ältester Freund ist er,
man sieht uns stets zusammen gehen.«
Des Hafens Namen hielt das dumme Vieh
für einen Menschennamen steif und fest.
Die Menschen sind nicht selten, die
verwechseln Rom mit irgendeinem Nest
und die, obgleich sie nichts verstehn
von allem schwatzen, was sie nie gesehn.
Empor blickt der Delphin und lacht,
erkennt den Affen nun recht gut
und merkt, daß aus der wilden Flut
er nur ein Tier in Sicherheit gebracht.
Den Affen wirft er ab und sucht sodann
nach Menschen, die er retten kann.

Fab.8
Der Mann und das hölzerne Götzenbild

Ein Götzenbild aus Holz, mit Ohren zwar versehen,
und dennoch taub, bewahrte einst ein Heide auf
und gläubig setzte er die größte Hoffnung drauf.

Sehr teuer kam es ihn zu stehen,
denn mit Gelübden, Opfergaben,
bekränzten Stieren und so weiter sucht' er es zu laben.
Nie hat ein Götze in der Welt
so feine Küche wohl genossen;
dabei ist seinem Wirt für all dies als Entgelt
nicht Schatz noch Spielgewinn noch Erbe zugeflossen.
Mehr noch: Erhob sich hier und dort wohl auch einmal
ein Sturm, der am Erwerb ihn hindert,
ging es ihm knapp, und war sein Beutel schmal,
ward die Portion des Götzen dennoch nicht vermindert.
Allein zuletzt, des Undanks endlich müde, schlägt
mit einer Stange er das Götzenbild in Stücke
und findet's voll von Gold. »Solang' ich dich gehegt«,
spricht er, »gabst je du was zu meinem Glücke?
Marsch, fort aus meinem Haus! Such andre Tempel dir!
Den Menschen gleich erscheinst du mir,
den Plumpen, Dummen und Elenden,
bei denen nur der Stock noch seine Wirkung tut.
Solang' ich dich gestopft, stand ich mit leeren Händen;
daß ich dich endlich schlug, war gut!«

Fab.9
Der Häher, der sich mit Pfauenfedern schmückte

Es mausert' sich ein Pfau; sein Prachtgefieder,
ein Häher fand es und er steckt' sich's an.
Nun hält er sich für schön; mit andern Pfauen dann
geht er sich brüstend auf und nieder.
Einer erkennt ihn; jetzt wird er tüchtig ausgelacht
verfolgt, beschimpft und zum Gespött gemacht,
gehetzt und von den Pfau'n gerupft ganz nach Belieben.
Zuletzt, als zu den Seinen er gebracht,
ward er auch noch von dort vertrieben.

Dem Häher sind gar viele Menschen – Affen;
mit fremden Federn sich zu schmücken freut ihr Herz
Schrift-Stehler nenn' ich solche Laffen.
Ich nenne keine Namen – nicht einmal zum Scherz.
Ich hab' mit ihnen nichts zu schaffen.

Fab.10
Das Dromedar und das Treibholz

Der erste, der ein Dromedar
erblickte, floh, weil's neu ihm war;
der zweite trat ihm nah, der dritte war verwegen
genug, dem Tier das Zaumzeug anzulegen.
So macht Gewohnheit uns mit allem leicht vertraut;
mit dem, was fremd uns schien, wovor uns gar gegraut,
wird unser Aug' sich bald versöhnen,
wenn wir uns nur daran gewöhnen.

Da mein Gedanke just bei diesem Thema hält:
Einst waren Wachen aufgestellt;
als ihnen auf dem Meer ein Ding ins Auge fällt,
da schwuren sie auf ihre Ehre,
daß es ein mächtig Kriegsschiff wäre.
Minuten später sahen sie's für einen Brander an,
bald war's ein Kahn, ein Ballen dann,
zuletzt nur Hölzer in der Wellen Spiele.

In dieser Welt paßt auf gar viele
der Inhalt dieses Lehrgedichts:
Von ferne scheint uns etwas groß, doch nah besehen ist es nichts
.

Fab.11
Der Frosch und die Maus


Wer anderen ein Grab zu graben meint,
der hat's am Ende für sich selbst gegraben.
Dies Wort, das heut' vielleicht altmodisch scheint,
schien mir zu allen Zeiten seinen Sinn zu haben.
Jedoch zur Sache!

Einer Maus gefiel es wohlgenährt zu sein –
sie hielt nicht viel von Fastenzeit und wollt' sich immer laben.
Da spricht ein Frosch sie an in seiner Sprach' und Sitte:
»Besuch mich doch einmal, gar leckern Schmaus findst du
bei mir.« Die Maus, die sagt höchst gnädig zu
gleich auf der Stell' und spart ihm jede weitre Bitte.
Doch fügt zum Überfluß der Frosch hinzu
wie wonnig so ein Bad, wie angenehm das Reisen,
wie viel Merkwürdiges das Moor hab' aufzuweisen;
erzählen wird' die Maus noch auf der Enkel Bitten
von dieses Ortes Pracht und der Bewohner Sitten.
Von der Regierung und vom Magistrat
des weisen Volks Wasserstaat.
Nur eins gibt's da, was den Besuch schwierig erscheinen läßt:
Ein wenig schwimmt die Maus, doch braucht sie dabei Hilfe.
Der Frosch weiß guten Rat: Mit einem Halm vom Schilfe
bindet den Fuß der Maus an seinen Fuß er fest.
Doch auf dem Moor kaum angekommen,
hat sich der Wirt den biedren Gast gleich vorgenommen
und zieht ihn mit Gewalt hinunter nach dem Grund;
Gegen das Völkerrecht und Gastrecht aller Zeiten
ein fettes Jägermahl von ihm sich zu bereiten,
das meint der Frosch, wär recht für seinen Mund!
Schon knackt im Geist er sie mit scharfen Zähnen.
Sie ruft die Götter an, er spottet ihrer Tränen;
sie widersteht, er zieht. Indes der Kampf so stund,
erspäht' ein Habicht, in den Lüften schwebend
die arme Maus, nur halb noch lebend.
Der Habicht schießt hinab, und in den Luftbereich
hebt er die Maus und auch den Frosch zugleich.
So gelungen war der Streich;
über seine Doppelbeute
herzlich sich der Vogel freute,
hat er doch auf einmal frisch
so zum Schmause Fleisch und Fisch.

Netze, noch so fein gesponnen,
fangen den oft, der sie spann;
der Verrat so fein ersonnen,
trifft gar oft den eignen Mann.


Fab.12
Wie die Tiere Alexander Tribut schickten

Ein Märchen war beliebt im Altertum. Warum?
Die Ursach' konnt' ich niemals recht ergründen.
Der Leser suche selbst sich die Moral: darum
will ich es, wie ich' fand, euch künden.

Die Fama ausposaunt' im Lande weit umher
von Alexander, Jupiters, des Göttervaters, Sohne,
befohlen hätt' er, daß nichts frei auf Erden wär'
und alles Volk sich stelle ohne
Verzug vor seinen Herrscherthrone,
vierfüß'ge Tiere, Mensch, Gewürm und Elefant
und selbst der Vögel freier Stand –
wie also, sag' ich, die Posaune
der Göttin Schrecken nah und fern
verbreitete mit dem Befehl des neuen Herrn,
meinten die Tiere, und was seiner Laune
sonst untertänig war, man müsse diesmal doch
'ne andere Auskunft finden noch.

Man eilt zum Wüstentag, leer stehen alle Löcher.
Nach manchem Streit beschließt man kurz und gut,
zu senden Huldigung und auch Tribut.
Als Abgesandten und als Sprecher
wählt man den Affen und gibt klar und kurz
ihm auf, was er zu sagen hätt'.
Nur der Tribut macht ihnen Sorgen:
Was soll man geben? Jedenfalls doch Geld.
Ein Fürst, in dessen Reich ein Feld
mit Minen voller Gold war, kann es borgen
und leiht gefällig her, was man begehrt.
Nun fragt sich's noch: Wie schafft man fort den Wert?
Maultier und Esel bieten ihren
tragfäh'gen Rücken an, auch Pferd und Dromedar;
und so zieht ab mit diesen Vieren
der Affe, der Gesandter war.
Die Karawane trifft im Hohlweg unter andern
des Löwen Majestät – das deucht ihr ziemlich schlecht.
Er spricht: »Wir treffen hier uns eben recht!
Nun können wir vereint zusammen wandern.
Ich bring' zwar meinen Teil für mich,
jedoch so leicht er ist, macht er doch Unbehagen.
Drum seid so gut, ihn mir zu tragen,
ein Viertel nehm' ein jeder sich.
Auf diese Art wird euch nicht schwer die Last sein,
und ich hab' freie Hand und kann so treu und hold
zur Seit' euch stehn – man muß gefaßt sein
auf Räuber hier – falls es zum Kampfe kommen sollt'.«
Den Löwen abzuweisen wäre schwer;
so wird die Last ihm freudig abgenommen,
und trotz des Helden, der von Jupiter gekommen,
auf allgemeine Kosten wie ein Gott lebt er.

Man kommt zu einem Wiesengrund,
von Bächen rings umsäumt mit Blumen bunt,
wo muntre Lämmer Nahrung finden,
durchweht von frischen und von lauen Winden.
Kaum angelangt, fühlt krank der Löwe sich –
zumindest klagt er list'gerweise.
»Setzt ungehindert fort nur eure Reise«,
spricht er, »ich fühl's ein Feuer brennt in mir;
ich bleibe hier und such' heilkräft'ge Kräuter.
Verliert nur keine Zeit um mich!
Gebt mir mein Geld zurück, ich brauch's noch weiter.«
Sie packen aus; da ruft der Leu mit einem Hohn,
der Zeugnis gibt von seiner Tücke:
»Ha! Wieviel Kinder mir die Gold- und Silberstücke
geboren! Seht; beim Jupiter; die meisten sind ja schon
beinah so groß wie ihre Mütter!
Mein ist der Zuwachs!« und nimmt alles unverkürzt;
zumindest blieb nur wenig übrig – das war bitter!
Die Fünfe standen ganz bestürzt,
bis sprachlos wiederum sie auf den Weg sich machten.
Man sagt, daß Klage sie beim Sohn vorbrachten
des Jupiters, doch nicht mit Recht, trotz aller Reu'.
Was sollt' er tun? Hier stand Leu gegen Leu.

Ein altes Sprichwort sagt, wir haben's oft vernommen:
Dieb gegen Dieb wird beiden schlecht bekommen.


Fab.13
Das Pferd das sich am Hirsch rächen wollte

Das Pferd war nicht von je zum Dienst geschaffen.
Als noch das Menschenvolk mit Eicheln sich begnügt,
wohnt' Esel, Maultier, Pferd im Walde ganz vergnügt;
nicht, wie in unsrer Zeit des Goldes und der Waffen,
sah man so reicher Sättel Pracht,
so schweres Rüstzeug für die Schlacht,
so viele schmuck geschirrte Wagen;
auch wurde nicht so toll geschlemmt
bei Hochzeitsschmaus und Festgelagen.
Damals nun hatte einen Streit ein Pferd
mit einem Hirsch, der sehr behende,
mehr als das Pferd, das an des Menschen List
sich wandte, daß er im Streite ihm zur Seite stände.
Der legt' den Zaum ihm an, schwang sich hinauf
und hetzte es in jähem Lauf
so lange, bis den Hirsch er stellte und erlegte.
Nun sagt das Pferd ihm Dank, das tiefbewegte:
»Mein Wohltäter bist du, und ganz gehör' ich dir!
Leb wohl, ich will zurück in meine Wildnis kehren.«
Der Mensch: »Nicht doch! Du bist zu nützlich mir;
ich seh's und mag dich fortan nicht entbehren.
Bleib drum bei mir; du sollst bei mir dich satt
stets essen und vollauf dein Streu und Futter haben.«

Was helfen, ach, die schönsten Gaben,
wenn man die Freiheit nicht mehr hat.
Jetzt merkt das Pferd, daß eine Torheit es begangen;
doch war's zu spät: Schon hat man angefangen,
zu bau'n den Stall, in dem es blieb gefangen.
Dort starb es schließlich mit gebroch'nem Mut,
weil es nicht hingenommen hatte eine kleine Sache.

Wie viel Befriedigung verschaffen mag die Rache,
zu teuer ist sie doch erkauft um jenes Gut,
auf dem der Wert des anderen beruht.


Fab.14
Der Fuchs und die Büste


Die Großen sind zumeist nur Masken. Ihr Gepränge
macht Eindruck höchstens bei der Menge.
Der Esel urteilt nur nach äußrem Schein:
der Fuchs dagegen prüft genau und sicher,
er dreht die Masken um, und sieht er ein,
ihr Wert sei nur ein äußerlicher,
dann sagt er, was ihn höchst gelungnem Scherz
er einmal sprach vor einem Heldenbild von Erz.
Ein hohles Brustbild war's und überlebensgroß.
Die Arbeit lobt der Fuchs, es stört ihn eines bloß.
»Ein schöner Kopf«, sagt er, »doch kein Gehirn darin.«

Wie viele große Herrn sind Büsten in dem Sinn!

Fab.15
Der Wolf, die Ziege und das Zicklein

Als einst die Ziege ging, zu füllen ihre Euter
und zu weiden frische Kräuter,
riegelte die Tür sie zu,
und zum Zicklein sprach sie: »Du,
öffne nur, bei deinem Leben,
dem, der dir zum Zeichen eben
und als Losungswort ruft zu:
»Pfui dem Wolf und seinesgleichen!«
Als sie sprach das Losungswort,
hat es im Vorüberschleichen
aufgeschnappt der Wolf sofort,
und er merkt sich's. Höchst gefährlich
war das, denn die Geiß hat, wie erklärlich,
nicht gesehn den Isegrim.
Kaum ist die Ziege fort, als mit verstellter Stimm',
ganz heuchlerisch im Ton der Alten
er Einlaß fordernd ruft: »Dem Wolfe pfui!«
Schon meint er, drin zu sein im Hui.
Argwöhnisch aber guckt das Zicklein durch die Spalten:
»Die weiße Pfote zeig, sonst mach' ich nimmer auf!«
So ruft's. Bei Wölfen sind, die Leute schwören drauf,
nur selten weiße Pfoten vorgekommen.
Kaum hat, höchst überrascht, er dies vernommen,
als schnell zum Wald zurück er seine Schritte lenkt.
Wo wär' das Zicklein wohl, hätt' es Vertrau'n geschenkt
dem Losungswort, vom gier'gen Fresser
erlauscht durch blinden Zufall Spiel?

Doppelt sich vorsehn ist stets besser –
es gibt da niemals ein Zuviel.


Fab.16
Der Wolf, die Mutter und das Kind

Die Fabel von dem Wolf erinnerte mich eben
an einen andern Wolf, den's noch weit schlimmer traf:
Er starb. Hört, wie sich das begeben.

Ein Haus bewohnt ein Landmann, reich und brav.
Der Meister Isegrim lauscht heimlich an der Pforte;
gar leckre Beute hat erspäht er an dem Orte,
Milchkalb und Ziege, Lamm und Schaf,
Truthähne massenhaft, kurz, Mundvorrat wie selten.
Doch bald stellt Langeweil' sich bei dem Räuber ein.
Da hört ein kleines Kind er schrein;
gleich fängt die Mutter an zu schelten,
sie droht ihm: »Bist du nicht gleich still,
holt dich der Wolf!« Das hört die Bestie, und will
Gott danken schon. Doch zu beschwicht'gen
beginnt die Mutter jetzt ihr ungezognes Früchtchen:
»Schrei nicht! Kommt er, dann schlagen wir ihn tot.«
Der Hammelwürger ruft: »Wie das?« und droht:
»Erst spricht sie so, dann so! Ob so was dulden müssen
Leute wie ich? Hält man für einen Narren mich?
Der kleine Fratz dort wage sich
nur mal zum Wald nach Haselnüssen!«
Kaum hat er das gesagt, da kommen sie heraus;
ein Hofhund packt ihn, Spieß' und Beile
umringen ihn in aller Eile.
»Was hast du«, fragt man, »hier am Haus
zu suchen?« Alsbald erzählt er, wie's gekommen.
»Ich danke!« ruft die Mutter wutentklommen.
»Mein Kind erwürgen! Glaubst wohl gar,
daß ich's nur dir zum Fraß gebar?«
Der Ärmste hat den Tod erlitten.
Ein Bauer hat ihm Kopf und Klauen abgeschnitten,
und angenagelt an des Gutsherrn Pforte.
Darunter war'n zu lesen diese Worte:

»Wolf, wenn du hörst ein Büblein schrein
und dann die Mutter drohn, fall nicht drauf rein!«

Fab.17
Ein Wort des Sokrates

Erst baute Sokrates ein Haus –
das Kritisieren, gleich begann es:
Der eine fand, es sähe innen ärmlich aus,
unwürdig eines solchen Mannes;
der andre fand das Äußre schlecht; doch überein
stimmt alles in dem Punkt: Die Wohnung sei zu klein.
Für ihn ein solches Haus! Kaum Platz, sich umzuwenden!
»Gott gebe, daß in diesen Zimmern«, warf er ein,
»nur lauter wahre Freunde ständen.«

Der Philosoph sprach es gelassen aus:
Für diese Leute war zu groß sein Haus.
Ein jeder nennt sich Freund, man darf nicht danach gehn.
Der Name ist sehr häufig,
die Sache selten nur zu sehn.


Fab.18
Der Greis und seine Kinder

Allein ist jeder schwach, nur Einigkeit gibt Stärke;
der Sklav' aus Phrygien lehrt's in einem seiner Werke.
Ich füg' noch Eigenes zu dem, was er geschrieben,
damit man den Bezug auf unsre Sitten merke,
und nicht aus Neid, denn Ehrgeiz ist mir fern geblieben.
Aus Ruhmsucht übertreibt oft Phädrus im Gedichte;
fiel' mir dergleichen ein, tät' ich mir selber leid.
Doch nun zur Fabel, vielmehr zur Geschichte
von dem, der seine Söhne mahnt' zur Einigkeit.

Ein Greis, bereit zu gehn, sobald der Tod ihm winkt,
rief seine Söhn' und sprach: »Seht, wenn es euch gelingt,
die Pfeile, die ihr hier vereint im Bündel findet,
zu brechen, zeig' ich euch den Knoten, der sie bindet.«
Der Ält'ste nahm sie, doch wie sehr er sich auch quält',
umsonst war sein Bemühn; er sagt: »'nen Stärkern wählt!«
Der zweite folgt' ihm und versucht' sich dran,
allein umsonst. Es müht' der Jüngste sich alsdann –
sie quälten sich umsonst: Das Bündel widerstand,
und nicht ein einz'ger Pfeil zerbrach in dem Verband.
»Ich will euch zeigen«, sprach der Vater jetzt, »ihr Schwachen,
was ich in solchem Fall imstande bin zu machen!«
Man glaubt, er spotte nur, und lächelt – doch zu früh:
Er löst die Pfeile und zerbricht sie ohne Müh'.
»Ihr seht«, sagt er, »was Eintracht bringt zustande.
Bleibt, Kinder, stets vereint durch treuer Liebe Bande!«
Solang' die Krankheit währt', sprach er nichts mehr.
Zuletzt nun, wie er fühlt, daß nah sein Ende wär':
»Ich werde«, sagt er, »zu den Vätern mich begeben.
Versprecht mir nur, als Brüder stets zu leben.
Tut mir nur dies zulieb, eh' es mit mir vorbei!«
In Tränen gaben drauf ihr Wort ihm alle drei;
er faßt sie bei der Hand und stirbt.

Die drei erhalten ein groß Vermögen nun,
doch schwierig zu verwalten.
Ein Gläub'ger kommt, ein böser Nachbar klagt;
anfangs stehn fest die drei mit Glück und unverzagt.
Die seltne Freundschaft hat nicht lange vorgehalten:
das Blut hat sie vereint, der Eigennutz gespalten;
der Ehrgeiz und der Neid, der Advokaten List
und schlechter Rat kam noch dazu in kurzer Frist.
Zur Teilung kommt's, zu Rechtsspitzfindigkeiten
und hundert Strafen vom Gericht nach allen Seiten.
Nachbarn und Gläubiger sind schleunigst wieder da,
der, weil ein Irrtum, der, weil Unbill ihm geschah.
Das Kleeblatt kann keinen Entschluß mehr fassen:
Der möchte' sich einigen, der sich auf nichts einlassen.
Zu spät, da alles fort, hätten sie gern gewollt,
was sie der Pfeile Bund und Trennung lehren sollt'.

Fab.19
Das Orakel und der Gottlose

Den Himmel täuschen kann nur Wahn und Torheit wollen.
Des Herzens Labyrinth birgt im geheimsten Stollen
nichts, was nicht augenblicks den Göttern offenbar;
was auch der Mensch beginnt, ihr Auge sieht es klar,
selbst jedes Tun, das Nacht und Schatten decken sollen.

Ein Heide, der sich auf Freigeisterei gelegt
und an Gott glaubt, nur weil, wie man zu sagen pflegt,
er's so als Erbteil übernommen,
hat an Apollo sich gewandt.
Er fragt, im Tempel angekommen:
»Ist lebend oder tot, was ich hab' in der Hand?«
Er hielt 'nen Sperling und fest stand
sein Plan, das Tierchen zu ersticken
oder sofort es zu befrein,
den Gott des Irrtums dann zeihn.
Sogleich durchschaut Apoll des Mannes Tücken.
»Tot oder nicht«, spricht er, »zeig deinen Sperling her
und stell mir keine Falle mehr!
Schwerlich dürft' solche List für dich von Vorteil sein,
ich schau' durch dich und allen Schein.«

Fab.20
Der Geizige der seinen Schatz verlor


Dem Besitz verleiht nur der Gebrauch den Wert.
Ich frage alle, die die Leidenschaft verzehrt,
zu häufen Summ' auf Summ': Ihr habt davon, ich wette,
doch sicher nichts, was nicht auch jeder andre hätte?
Diogenes ist ganz wie ihr ein Millionär,
und du, du Geizhals, lebst als Lump genau wie er.
Äsop spricht von dem Mann mit dem verlornen Schatze,
der ist als Beispiel hier am Platze.

Der Unglücksel'ge wollt'
um seines Gutes sich zu freuen, eines zweiten Lebens harren;
das Gold besaß nicht er, nein, ihn besaß das Gold.
Es schien ihm gut, sein Geld im Felde zu verscharren,
sein Herz dazu, da nichts ihm Freude macht,
als dran zu denken Tag und Nacht
und all sein Gut allein für diesen Zweck zu haben.
Er mag nun kommen oder gehen, trinken oder essen,
er gönnt sich kaum die Zeit dazu, weil er indessen
an jenen Ort nur denkt, an dem er seinen Schatz vergraben.
Ein Totengräber sah jedoch, wie oft er hin und her
gelaufen, ahnt' den Schatz und eilt', ihn fortzutragen.
Drauf kommt der Geizhals, und sieh da, das Nest ist leer!
Er bricht in Tränen aus, und unter Jammerklagen
sieht man ihn sich die Haare raufen, an die Brust sich schlagen.
Ein Wandrer fragt, weshalb er also tobt und schnaubt.
»Man hat mir meinen Schatz geraubt!«
»Wie? Euren Schatz? Wo denn?« - »An dieses Steines Rande.«
»Wie, haben wir denn Krieg im Lande,
daß ihr so fern ihn bargt? War's nicht ein bessrer Platz,
wenn Ihr ganz ruhig daheim mit eurem Schatz
in Eurer Wohnung wärt geblieben?
Ihr konntet ihn dort jeder Zeit verwenden nach Belieben.«
»Jederzeit? großer Gott! Was ihr davon versteht!
Kommt den das Geld so schnell, wie's geht?
Nie hab' ich' s angerührt!« - »Dann sagt mir doch Geselle,
warum Ihr Euer Herz darob so sehr beschwert!
Rührt Ihr es niemals an, was Euch an Geld beschert,
so legt doch einen Stein an diese Stelle,
der hat für Euch denselben Wert.«

Fab.21
Das Auge des Herrn

Ein Hirsch sucht' Zuflucht einst in einem Ochsenstall;
anfangs rieten ihm die Tiere all',
nach bessrer Freistatt zu entweichen.
»Verratet mich nur nicht, ihr meine Brüder!« sprach
der Hirsch. »Ich weis' euch auch die fettesten Weiden nach;
der Dienst kann eines Tags zum Nutzen euch gereichen
und tut gewiß euch niemals leid.«
Das Rindvieh schwur zu letzt ihm auch Verschwiegenheit.
Im Winkel tief versteckt, atmet' er auf ganz heiter.
Der Abend kommt; man bringt die frischen Futterkräuter,
wie man dem Vieh sie täglich gab.
Hundertmal geht das Dienstvolk auf und ab,
der Meier selbst, und keinem von den allen
ist das Geweih nur aufgefallen,
geschweige denn der Hirsch. Das Kind der Wälder hält
schon seinen Dank bereit; er will im Stall noch weilen,
bis er, wenn irgendwer heimkehrt vom Ackerfeld,
den günstigen Moment erhascht davonzueilen.
Ein Wiederkäuer sagt zu ihm: »Bis jetzt ging's gut;
doch noch hielt Must'rung nicht mit hundert Augen,
der Herr, sein Kommen wird dir wenig taugen!
Bis dahin, armer Hirsch, sei nur auf deiner Hut.«
Jetzt kommt der Herr, den Stall beginnt er abzuschreiten.
»Was ist das?« sagt er seinen Leuten.
»Zu wenig Futter seh' ich in den Raufen all'!
Und hier die Streu ist alt – schnell, frische in den Stall!
Das Vieh sollt ihr in Zukunft besser pflegen.
Fällt es euch schwer, die Spinnen wegzufegen?
Warum sind all die Joch' und Ketten in Verfall?«
Wie er nach allem schaut, sieht auch ein Haupt er ragen,
ein andres, als sich sonst hier blicken ließ.
Nun ist der Hirsch entdeckt – ein jeder nimmt 'nen Spieß;
er wird zerstochen und zerschlagen,
auch Tränen retten nicht das arme Tier vom Tod.
Man salzt ihn ein, man macht aus ihm manch Mittagbrot.
an dem sich manche Nachbarn noch erquicken.

Sehr fein sagt Phädrus: »Nur des Herren Aug' genügt,
um recht zu sehn und scharf zu blicken.«
Ich hätte noch der Liebe Aug' hinzugefügt.

Fab.22
Die Lerche mit ihren Jungen und der Gutsbesitzer

Verlaß dich nur auf dich – laß dir vom Sprichwort raten.
Hört, wie Äsop mit Witz und Geist uns dies beweist.

Die Lerche baut ihr Nest zumeist
im Korn zur Zeit, wenn grün die Saaten,
das heißt zur Zeit, da in der Welt
fruchtbar sich alles mehrt in trautem Liebesbunde,
das Seetier auf des Meeres Grunde,
im Wald der Tiger und die Lerche auf dem Feld.
Doch hatte eine Lerche unbesonnen
den halben Lenz versäumt, als es aufs Herz ihr fällt,
daß sie versäumet hat der Lenzesliebe Wonnen.
Endlich entschloß sie sich, den schuldigen Tribut
zu zollen der Natur und Mutter noch zu werden.
Sie baut ein Nest, sie legt, sie brütet ohn' Beschwerden
die Jungen schlüpfen aus, es ging auch alles gut.
Doch wird das Korn schon reif, eh' noch, im Nest geborgen,
die junge Brut sich stark genug
und sicher fühlt zu eignem Flug.
Die Mutter Lerche, drob bewegt von tausend Sorgen,
geht Futtersuchen; doch: »Seid auf der Hut«,
sagt zu den Kleinen sie, »und hübsch in acht genommen!
Wenn der Besitzer von dem Gut
mit seinem Sohne kommt – und sicher wird er kommen!
Und merkt euch: Je nachdem er spricht,
ist länger unsres Bleiben nicht.«

Kaum hat von ihrer Brut sie Abschied dann genommen,
kommt schon mit seinem Sohn der Gutsherr in die Näh'.
»Das Korn ist reif«, spricht er, »zu unsren Freunden geh
und bitte sie, daß sie mit ihren Sicheln kommen,
uns helfen morgen früh beim ersten Sonnenstrahl.«
Die Lerche kehrt ins Nest zurück
und sieht die Brut voll Angst und Grauen.
Das eine sagt: »Er sprach, beim ersten Morgengrauen
stellen die Freunde sich zu seiner Hilfe ein.«
»So? Weiter nichts?«, erwidert drauf die Alte,
»Dann hat's noch gute Weil' mit unsrem Aufenthalte;
doch morgen paßt wohl auf und prägt euch alles ein.
Hier habt ihr Futter, laßt uns heute lustig sein!«
Geborgen schläft die Mutter mit der Kinderschar im Bunde.

Der nächste Morgen kommt, doch läßt kein Mensch sich sehn.
Die Lerche steigt empor, der Gutsherr macht die Runde,
wie er's gewohnt ist zu derselben Stunde.
»Das Korn dürft' keinen Tag«, spricht er, »jetzt länger stehn.
Saumselig sind die Freunde. Ach, man kann auf Dritte
sich nicht verlassen, die so faul und ungefällig sind!
Zu den Verwandten geh, mein Kind,
und richt' an sie dieselbe Bitte.«
Der Schrecken ist im Nest nun größer als zuvor;
»Zu den Verwandten schickt er jetzt, ganz ohne Schonung!«
»Nein, Kinder, legt euch still aufs Ohr,
wir rühren uns nicht aus der Wohnung!«
Die Lerche hatte recht, denn keine Seele kam.
Nun ging der Herr des Guts zum drittenmal und nahm
in Augenschein das Korn. »Wir waren große Toren«,
sagt er, »da wir gemeint, auf andre sei Verlaß.
Kein bessrer Freund wird je uns, als wir selber sind, geboren;
daran halt immer fest, mein Sohn! Und weißt du was?
Wir werden selber uns bequemen
und morgen früh zur Hand die Sichel nehmen.
Nicht lange währen soll's, dann ist der Schnitt gemacht
und unsre Ernte eingebracht.«
Die Lerche rief, als sie erfuhr von diesem Plan:
»Jetzt, Kinder, ist es Zeit, daß wir die Wohnung räumen!«
Da sind die Jungen ohne Säumen,
mit Flattern und mit Purzelbäumen
davongezogen, eh der Tag begann.