Fabelverzeichnis
 

Lied
Neidhart verliert sein Lehen, es wird ihm niedergebrannt.

 

Quelle:
©Fischer TB Verlag 2004 Herausgegeben, übersetzt von ©Helmut Brackert


 

1.
Diu sunne und ouch die bluomen hânt ir hoehe hin geneiget.
ir viel liehter schîn beginnet truoben alle tage.
des sint diu kleinen vogelîn ir sanges gar gesweiget
(deist vor allem leide mînes senden herzen klage)
und der walt
muoz von sûren winden ungevüegen schaden dulden.
ich hazze den winder kalt.
disiu nôt kumt gar von sînen schulden.
er unde ein wîp diu machent mich in kurzen tagen alt.

2.
Diu wil mit beiden ôren niht gehoeren, swaz ich singe.
kunde ich sanfte rûnen, daz vernaeme sî mir gar.
unsaelic müeze er sîn, der mich von ir genâden dringe,
swelhen ende er kêre, daz er nimmer wol gevar!
ich vergaz ir
mit triuwen nie, nu tuot si mir sô toubez ôre
ie lenger sô ie baz.
des bin ich mit guotem willen tôre.
mir schadent getelinge, waene ich, durch den alten haz.

3.
Die wâren des gerüemic disen sumer an der strâzen,
dô man sagete, daz ich singen wolde mêr verloben.
ir etelîcher möhte sîn gemüffe gerner lâzen.
dem sîn gämelîche zimt als einem, der wil toben.
Ellenhart
treit an sînem buosem ein vil waehez vürgespenge.
er unde Regenwart
habent mit den wîben ir gerenge.
jâ sint si doch zewâre beide niht von hôher art.

4.
Ich gevriesch bî mînen jâren nie gebûren alsô geile,
sô die selben zwêne sint und etelîcher mêr.
wie wol si noch verkoufent, daz si tôren vüerent veile!
got geb in den market, daz man sî mit vollen wer!
Beremuot
hât min in vil mangen liehten vîretac geloufen.
wirt sîn gelücke guot,
er mac sînen merz vil wol verkoufen.
erst aber ungewunnen, treit er sînen hiubelhuot.

5.
Dar durch ist er mit swerten in sîn houbet unverschrôten.
dar zuo treit er ouch ein hôhez collier umbe den kragen.
erst ûf  und ûf gezieret wol mit einem tuoche rôten.
daz sol jungen mägden an dem tanze wol behagen.
Megengôz
brüttet sich gein in: er dünket sich sô ragehüffe.
des üppikeit ist grôz.
ich weiz niht, wes sich der tôre güffe.
vor im genaese niemen, würd joch im ein drüzzelstôz.

6.
Ich hân von oeden ganzen alle wîle her gesungen,
die mich nie sô sêre gemüeten, dâ ze Riuwental.
er hât in disem sumer an einer mägde hant gesprungen,
diu sîn doch niht naeme, und hiet si aller manne wal.
afterreif
hât sîn langez swert mit einem schîbelohten knophe.
dô man die tänze sleif,
dô reit er daz houbet ûf dem krophe.
unverwendeclîchen, waen, er nâch ir hüffel greif.

7.
Mich hât ein ungetriuwer tougenlîchen an gezündet,
hât mir vil verbrant, des mîniu kindel solten leben.
diu leit sîn unserm trehtîn und den friunden mîn gekündet!
ich hân nû dem rîchen noch dem armen niht ze geben.
mir ist nôt,
gebent mir die friunt mit guotem willen brandes stiuwer.
gewinne ich eigen brôt,
ich gesanc nie gerner danne ouch hiuwer.
jâ führte ich, daz ich ê vil dicke werde schamerôt.

8.
*Trutzstrophe

»Nu hân ich snoeden schimpf gerochen, erküelet mîn gemüete
an mînem vînt von Riuwental«, sprach jener Ellengôz.
»ich hân im stadel unde korn gemachet zeiner glüete.
des muoz er disen winter sîn der liute hûsgenôz.
sô wê sîn,
daz er ie gesanc ûf mich, daz ich waer ragehüffe!
ein wazzer heizt der Rîn.
waz, ob ich mich al dâ hin verlüffe?
ich tet im doch ze Riuwental vil liehten funken schîn.«

 
1.
Die Sonne und die Blumen sind dahin gesunken.
Ihr heller Schein trübt sich von Tag zu Tag.
Dadurch wird der Sang der kleinen Vöglein völlig zum Schweigen gebracht.
(das ist vor allem Schmerz der Kummer meines sehnsüchtigen Herzens)
und der Wald
wird von den harten Stürmen schlimm heimgesucht.
Ich hasse den kalten Winter.
An diesem Unheil ist er ganz allein schuld.
Er und eine Frau die bringen mich schon bald ins Grab.

2.
Die will mit beiden Ohren nicht hören, was ich singe.
Könnte ich leise wispern, das vernähme sie bis zum kleinsten Laut.
Verflucht sei, wer mich aus ihrer Huld verdrängt,
wohin er sich auch wendet, es soll ihm niemals gut gehen!
Treu wie ich bin
vergeß ich sie nie. Nun hat sie für mich jedoch nur taube Ohren,
je länger, je tauber.
Und deshalb bin ich in meiner Gutmütigkeit ein solcher Dummkopf.
Ich glaube, die Dörfler wollen aus alter Feindschaft mein Verderben.

3.
Die rühmten sich dessen diesen Sommer auf der Straße,
als man erzählte, daß ich das Singen ein für allemal aufgeben wollte.
Mancher von ihnen, dem seine Ausgelassenheit so steht wie einem Verrückten,
sollte sein spöttisches Verhalten lieber unterlassen.
Ellenhart
trägt an seiner Brust eine kostbare Spange.
Er und Regenhart
haben mit den Frauen ihr Gerangel:
dabei sind sie doch beide wirklich nicht von hoher Abstammung.

4.
Ich sah während meines Lebens nie so übermütige Bauern,
wie die beiden und noch einige andere mehr.
Wie die Toren das wohl noch preisgeben müssen, was sie feilbieten!
Gott schenke ihnen den Markt, auf dem man sie gänzlich ausbezahlt.
Beremuot
ist manchen hellen Feiertag mit ihnen gelaufen.
Wenn er Glück hat,
kann er seine Ware gut verkaufen.
Er ist aber unverwundbar, wenn er seinen Helm trägt.

5.
Dadurch ist er für Schwertschläge auf den Kopf unempfindlich.
Überdies trägt er noch einen hohen Kragen um den Hals.
Er ist über und über geschmückt mit rotem Tuch.
Das soll den jungen Mädchen beim Tanz Eindruck machen.
Megengoz
hat rasendes Verlangen nach ihnen, seine steilen Hüften hält er für unwiderstehlich.
Sein Übermut ist ungeheuer.
Ich weiß nicht, worauf der Tor sich etwas einbildet.
Vor ihm könnte sich niemand retten, würde ihm ein Stoß aufs Maul zuteil.

6.
Ich habe die ganze Zeit von widerwärtigen Gänserichen gesungen,
die mich nie so sehr bekümmert haben dort in Riuwental.
Er hat diesen Sommer an der Hand eines Mädchens getanzt,
die ihm doch nicht nähme, auch wenn sie alle Männer zu ihrer Wahl hätte.
Einen Ring
mit einem scheibenförmigen Knauf hat sein langes Schwert.
Als man beim Tanze schritt,
da drehte er auf seinem Hals den Kopf so geckenhaft zur Seite.
Ich glaube, er griff die ganze Zeit nach ihrer Hüfte.

7.
Mir hat ein hinterhältiger Mensch heimlich das Haus angezündet,
und hat mir viel von dem verbrannt, wovon meine Kinder leben sollten.
Der Kummer sei unserem Herrn und meinen Freunden verkündet!
Ich habe nun weder dem Reichen noch dem Armen etwas zu geben.
Ich habe es nötig,
daß mir die Freunde aus freien Stücken die Brandsteuer schenken.
Komme ich aber selbst wieder zu eigenem Brot,
dann sänge ich mit größerer Lust, als ich in diesem Jahr singen würde.
Wahrlich, ich fürchte, zuvor werde ich noch oft vor Scham erröten.

8.
Trutzstrophe

»Nun habe ich eine schnöde Beleidigung gerächt und mein Mütchen gekühlt
an meinem Feind von Reuental,« sagte jener Ellengoß.
»Ich habe ihm Scheune und Korn in Glut verwandelt,
darum muß er in diesem Winter bei den Leuten Unterschlupf suchen.
Wehe ihm,
daß er, mich verspottend, sang, ich hätte so steile Hüften.
Es gibt ja den Fluß Rhein,
was, wenn ich mich dort verstecke?
Zu Reuental habe ich ihm jedenfalls gezeigt, was Funken sind.«

 

*Was sind Trutzstrophen?
Die Trutzstrophen enthalten Antworten auf die Lieder, mit denen zusammen sie überliefert wurden. Sie sind drohende, spöttische oder scheltende
Retourkutschen im gleichen Ton und knüpfen meist punktuell an eine bestimmte Stelle des betreffenden Liedes an.