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Das Veilchenlied

Es handelt sich hier um den sogenannten Veilchen-Schwank, die Kernszene der Neidhart- Tradition des späten Mittelalters,
wo der übelriechende Haufen, den die Bauern anstelle des Frühlingsveilchens zurücklassen. (Str. 2)
Die Geschichte soll die Entstehung Feindschaft zwischen Neidhart und den Bauern erklären.

Quelle:
©Reclam 1993 Deutsche Gedichte des Mittelalters/Ausgewählt, übersetzt und erläutert von ©UlrichMüller/©Gerlinde Weiss.

 

1.
Urlaub hab der winter
und auch der kalte snee!
Uns kumt ein sumer linder:
man siht anger unde klee
gar sumerlich bestellet.
Ir ritter und ir frauen,
ir sult auf des maien plan
den ersten veihel schauen,
der ist wunniglich getan.
Die zeit hat sich gesellet.
Ir sult den sumer grússen
und all sein ingesinde.
Er kann wol swere pússen
und fert da her so linde.
So will ich auf des maien plan
den ersten veihel suchen.
Gott geb, das es mir wol muß ergan!
der zeit soll wir gerúchen,
seit sie mir wol gefellet.

2.
Do gieng ich hin und here,
unz daz ich fand das blúmelein.
Do vergaß ich aller swere
und begunde da gar frólich sein.
Wollaut begund ich singen.
Wann auf die selben blúmen
sturzt ich meinen hut,
das ich mich tórst rúmen,
wann es daucht mich so gut;
mir solt wol gelingen.
Das sah ein vilzgebauer
hindert mir in einem tal.
Es ward im sider zu sauer,
das er treib so reichen schal.
Ich waen, der ungelinke
zucht auf den meinen hut,
und sein bruder Hinke.
Sor er darumb erleidt.
Do begund mich sorge zwingen.

3.
Do gieng ich sunder tougen
auf die burg und redt also:
»Die rede ist on lougen,
ir solt alle wesen fro.
Ich han den sumer funden.«
Die herzogin von Bayern,
furt ich an meiner handt,
mit pfeiffern, fidlern, flaiern.
Freud was uns wol bekannt
all zu den selben Stunden.
Do sprach ich zu der feinen:
»Kniet nider und hebt auf den hut.
Ir lat den summer scheinen,
wann das dunkt uns so gut.«
Die minniglich, die reine,
die bot dar ir schneeweise handt,
die stúrzt den hut wolumbe.
sorg sie darunter fandt.
Mein freund, die was verswunden.

4.
Do sprach die herzoginne:
»Neithart, das habt ir getan,
des ich mich wol versinne.
Die schmacheit muß mir nahet gan
und mag euch wol gereuen.
Bei allen meinen tagen
geschah mir nie so leidt.
das ich es torst gesagen,
zu freuden bin ich unbereit.
Mein leid, das will sich neuen.«
So waffen úber mich tummen!
Ich wolt, das ich wer todt.
nu muß ich leiden kumer;
ich kam nie in grosser not.
Die wolgemuten munde
muß ich von schulden clagen,
das ich mich von in kunde.
das leid soll ich alleine tragen:
das habt auf meine treue!

5.
An einem lobentanze
gieng Irrenber und Irrenfrid
mit irem rosenkranze.
Roßwin, Goßwin und der schmid,
die wurden faste singen
und der junge Lanze,
und sein bruder Unzenger,
Frisper und Ranze.
Gevatter Platfuß, nu tritt her,
lat neue sporen klingen!
Ir waren zwen und dreissig,
die verlorn doch ir linkes bein.
Einer, der hiez Wissigk,
wie ser er úbern prúel grein:
»verflucht sei der summer,
den der Neithart erste fandt!
Nun múß wir leiden kummer;
so der veihel sei geschant!
Nu múg wir nimer springen.«

 

1.
Leb wohl, Winter
und auch du, kalter Schnee!
Auf uns kommt ein angenehmer Sommer zu:
Man sieht Anger und Klee
in sommerlicher Pracht.
Ihr Ritter und ihr Damen,
Ihr sollt auf der Frühlingswiese
nach dem ersten Veilchen Ausschau halten;
das ist so schön.
Die Jahreszeit entspricht unseren Wunschvorstellungen:
Begrüßt den Sommer
und seinen Hofstaat!
Er kann sehr gut Ausgleich für alles Leid schaffen
und stellt sich so angenehm ein.
Deshalb will ich auf der Frühlingswiese
das erste Veilchen suchen.
Gott gebe, daß ich Erfolg habe!
Wir sollen alle unsere Sinne auf die beginnende Zeit
des Sommers ausrichten, da sie mir gut gefällt.

2.
Da lief ich hin und her,
bis ich das Blümlein fand.
Da vergaß ich alle meine Sorgen;
mir wurde überaus froh zumute.
Mit schöner Stimme begann ich zu singen.
Alsbald stülpte ich meinen Hut
über diese Blume,
damit ich es wagen konnte, mich (meines Fundes) zu rühmen,
denn es erschien mir so gut;
ich sollte damit Erfolg haben!
Das sah einer dieser lausigen Bauern,
hinter mir in einer Bodenvertiefung
Es sollte ihm später noch sauer werden,
daß er so ein Getöse machte.
Ich glaube, der Unglückselige,
unterstützt von seinem Bruder Hinke,
hob meinen Hut auf.
(Was er dann tat), sollte ihm noch leid tun.
Da kam das Unglück über mich.

3.
Ich ging direkt
auf die Burg und sagte:
»Wirklich, ich sage die Wahrheit.
Freut euch alle,
ich habe den Sommer gefunden.«
Ich führte die bayrische Herzogin
an meiner Hand,
begleitet von Pfeifern, Fiedlern und Flötenspielern.
Wir freuten uns
alle gemeinsam in diesen Stunden.
Da sprach ich zu der Feinen:
»Kniet Euch hin und hebt den Hut auf.
Ihr laßt uns den Glanz des Sommers sehen,
denn das lieben wir alle!«
Die Liebliche, Reine,
hielt ihre schneeweiße Hand hin.
Sie drehte den Hut um
- und fand Sorge darunter.
Meine Freude war verflogen.

4.
Da sprach die Herzogin:
»Neithart, das habt Ihr getan,
das durchschaue ich ganz genau.
Diese Schande muß mir nahegehen,
und Euch wird das noch leid tun.
Noch nie ward mir
ein solcher Schmerz zugefügt.
Daß ich es nur sage: ich habe keine Lust
mehr zu irgendwelchen Ausgelassenheiten.
Der Schmerz übermannt mich aufs neue.«
Ach, ich Idiot!
Ich wünschte, ich wäre tot.
Nun muß ich Schmerz erdulden;
noch nie bin ich in größeres Unheil geraten.
Ich muß zu Recht
die frohgestimmten Lippen beklagen,
daß ich mich durch sie mitgeteilt habe.
Das Leid muß ich allein auf mich nehmen:
das dürft ihr mir glauben!

5.
An dem verabredeten Tanz
sprangen Irrenbar und Irrenfrid,
beide mit ihrem Rosenkranz.
Roßwin, Goßwin und der Schmid,
die haben laut gesungen,
und der junge Lanze,
sein Bruder Unzenger,
Frisper und Ranze.
Vetter Plattfuß, komm her,
laß deine neuen Sporen klingen!
Es waren zweiunddreißig,
die doch ihr linkes Bein einbüßten.
Einer, er nennt sich Wissigk,
wie laut er doch über den Hügel grölte:
»Verflucht sei das Sommerzeichen,
das der Neithart zuerst gefunden hat!
Nun müssen wir Schmerz erdulden.
Verflucht sei das Veilchen!
Nie mehr können wir nun tanzen.«

 

Ez verlôs ein ritter sîne scheide
 

In Ez verlos ein ritter sîne scheide ist es in Umkehrung der klassischen Minnesituation einmal anders:
Ein Ritter versucht verzweifelt, diverse Avancen einer Frau abzuwehren und sieht schließlich keinen anderen Ausweg als die Flucht
(wer solte des getrûwen?"
"ziet wider diu würze ist noch niht gebrûwen.)
Das Lied ist dem Typ nach weitgehend eine Pastourelle.

Die Pastourelle = lyrische Form der europ. Literatur des Mittelalters. Thema ist die Werbung eines Ritters um die Gunst
 einer Schäferin. = Die Blütezeit der Pastourelle lag im 13.Jahrhundert.

 

1.
Ez verlôs ein ritter sîne scheide.
dar umb wart einer frouwen alsô leide:
sî sprach »herre, ich wil iu eine lîhen,
der wil sich mîn leider man verzîhen;
des ist niht lanc daz ers verwarf.
und kumt er mir der ir bedarf,
wie wol ich in dran handel;
dem gibe ich sî gar âne allen wandel«.

2.
»Frouwe, lât mich eine rede wizzen,
ob sî zuo dem orte iht sî verslizzen.«
»nein sî ûf mîn sêle und ûf mîn triuwe.
ich gap sî mînem leiden man für niuwe.
sî ist dicke als ein bret,
niuwan an der einen stet,
dâ ze dem hengelriemen:
daz enschadet iu noch ander niemen.«

3.
Er wolt sîn mezzer in die scheide schieben;
dô begunde sich diu klinge biegen
her wider rehte gegen deme hefte:
doch brât er sî drin mit sîner krefte.
schiere het er wider gezogen.
»ez habe ein swarziu krâ gelogen:
wer solte des getrûwen?«
»ziet wider: diu würze ist noch niht gebrûwen.«

 
1.
Einst verlor ein Ritter seine Scheide.
Das bekümmerte eine Dame sehr.
Sie sagte: »Mein Herr, ich will Euch eine leihen,
die (nämlich) mein leidiger Mann nicht mehr will.
Erst seit kurzem kümmert er sich nicht mehr um sie.
Und kommt jetzt jemand (anderer) zu mir, der sie benötigt,
wie gut behandle ich ihn dann in dieser Hinsicht:
Dem gebe ich sie ganz fehlerfrei (oder unbenützt).«

2.
»Edle Dame, sagt mir genau,
ob sie am Rande nicht starke Gebrauchsspuren hat.«
»Nein, (das versichere ich) bei meiner Seele und auf meine Treue!
Ich hatte sie meinem Mann völlig neu gegeben.
Sie ist fest wie ein Brett,
außer an einer Stelle,
dort am Hängeriemen.
Aber das schadet weder Euch noch sonst jemanden.«

3.
Er wollte nun sein Messer in die Scheide schieben.
Aber da bog sich die Klinge
wieder ganz bis zum Griff zurück.
Doch (schließlich) brachte er sie mit all seiner Kraft hinein.
Sogleich zog er sie wieder.
»Da hat ja wohl eine schwarze Krähe gelogen!
Das ist ja unglaublich!"
»Auf, zieht nochmals: die Soße ist noch nicht gar gekocht!«