Fabelverzeichnis
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Fabeln 3
 
Der Kreuzer und der Dublon
Das Chamäleon
Äsop und der Dichter
Die Geburt der Minerva
Die Zeder und der Strauch
Der Spiegel
Der Sturm
Die Sterne
Der Luchs und der Maulwurf
Die Löwin und das Schwein
Kardan
Die Traube
Der Papagei und die vierfüßigen Tiere
Das Buch der Vernunft
Der Hochzeitbitter und der Leichenbitter
Die Fliege
Der Kater und der Wetterhahn
Die zwei Masken
Der Elephant
Der Esel als Wesir
Der Spatz und der Distelfink
Der Hirsch und das Schaf
Der Arzt

 

Der Kreuzer und der Dublon

Einst trafen sich ein Kreuzer, ein Dublon
Von ungefähr in einem Beutel.
Der goldne Ritter, blank und eitel,
Sprach dem unreinen Bürger Hohn.
Wie kamst denn du hierher zu stecken?
Mit was für Leuten man doch öfters leben muß!
Willst du des Grafen Hand beflecken?
Was bringst du ihm für Ehre, für Genuß? —
Der Kreuzer schweigt. Im Augenblicke
Ergreift der Graf die beiden Stücke
Und teilt sie aus. Ein Armer kriegt
Den Kreuzer. Dank und Segen fliegt
Dem Geber zu. Das Gold empfängt ein Kind der Freude.
Und gibt dafür ihm ein Geschmeide,
Indem er noch danieder liegt.

Das Chamäleon

Zwei Wandrer zogen einst, mich dünkt, durch Afrika;
Teils um die Welt zu sehn, teils um mit Wohlbehagen
In ihrer Heimat einst zu sagen:
"Ihr Herren! glaubt, was ich mit meinen Augen sah."
Die beiden Wandrer nun besprachen sich im gehen
Von dem und dem, was sie gesehen,
Zuletzt auch vom Chamäleon.

"Ein wundersames Ding! ich hörte viel davon,
Spricht einer. Doch gehört ist lange nicht gesehen.
Wie sonderbar, wie malerisch!
Ein Eidechsleib, dem Kopfe nach ein Fisch,
Ein langer Schwanz, vier Füße mit drei Zehen,
Die Äuglein gelb wie Gold, und bei dem Wunderbau
Am ganzen Körper himmelblau." —
"Grün, willst du sagen, Freund! Aufmerksam und mit Muße
Sah ich ihn heut im Gras an einer Zeder Fuße.
In allem andern ganz genau
Nach deiner Schilderung, nur grün, nicht himmelblau." —
"Was? grün? Ich sah mit eignen Augen
Ihn heute noch in freier Luft
Mit offnem Munde Nahrung saugen,
Gebläht von reinem Morgenduft,
Und himmelblau. Grün hat er dir geschienen
Im Grase." — "Nicht doch, Bruder, nein!
Grün war er." — "Narr, mit deinem Grünen!" —
"Narr magst du mir mit deinem Blauen sein!"

Ein Dritter geht vorbei. Man ruft ihn: "Kommt und richtet!
Ist das Chamäleon grün oder himmelblau?" —
"Ihr Herren, beides ist erdichtet" —
Wieso? was ist er?" — "Dunkelgrau." —
"Hör, Bruder, hör! das ist zum Lachen!
Der will ihn gar zur Ratze machen.
Blau, guter Mann!" — "Grün, sag' ich dir." —
Der Richter murrt! "Nun, wenn ihr mir
Nicht glauben wollt, so glaubt ihm selber. Seht ihn hier!
In einem Felsen hab' ich ihn gefunden,
Und in dies Schweißtuch eingebunden."
Vorn Gürtel löst er es, er wickelt's auf. Der Kreis
Gafft hin, und stutzt: Das Tier ist hagelweiß.

Urteile nie mit Selbstvertrauen.
Chamäleon ist was wir schauen.

Äsop und der Dichter

Ein Dichter trat zum Phrygier;
Aus seinem epischen Gedichte
Las er ihm kleine Stellen her
Und wollte, daß er gleich vom Wert des Ganzen richte:
"Wohl!" spricht Äsop. "Zuvor erlaube mir
Nur noch ein Wort. Im Hauptquartier
Der Stadt hab' ich ein Häuschen stehn, mein eigen;
Verkaufen möchte ich es. Zwei Ziegel hab' ich hier,
Um sie als Proben dir zu zeigen."

Die Geburt der Minerva

Gott Jupiter saß einst mit hochgeschwollner Stirne,
Und klagte laut, und ächzte sehr:
Es tobt und hämmert mir abscheulich in dem Hirne.
Ruft mir einmal Vulkanen her!
(Im Himmel war damals kein andrer Arzt als er,
Der Grobschmied.) Hinkend, doch in Eile
Schleppt er sein Schmiedezeug herbei.
Er untersucht des Vaters Beule,
Und mit des Hammers scharfem Teile
Zielt er, holt aus, und schlägt ihm knacks! die Stirn entzwei.
O Wunder! Aus dem offnen Hirne
Springt, ganz gepanzert eine Dirne
Mit Helm und Schild und Speer. Vulkan erfahrne Hand
Sucht nun durch Balsam durch Verband
Die Wunde schleunig zuzuschließen.
Und unverzüglich strömt der Götter Schar daher
Teils den entbundnen Jupiter,
Teils seine Tochter zu begrüßen.

Sie stehen da, und sehn entzückt
Die neue Göttin an. Welch eine sanfte Stille,
Welch keuscher Ernst, welch eine Weisheitsfülle
Aus dem bescheidnen Auge blickt!
Wie schön sich diese Tracht zu dem Charakter schickt!

Nur Juno bricht in lautes Lachen
Bei der Bemerkung aus: "Ja! ganze Richter sind
Die Männer in dergleichen Sachen!
Welch eine Tracht für Jovens Kind!
Was sollen Helm und Speer und Panzer einem Weibe?
Ich will sie kleiden. Komm Minerva, komm mit mir!"
In ihrem Zimmer reißt sie ihr
Den Helm vom Haar, den Panzer von dem Leibe.
Ein Diadem, ein goldbesticktes Kleid,
Ein Zepter und ein reich Geschmeid'
Ist nun ihr Putz. So führt die Göttin sie zurücke.
Die Götter lächeln: "Nein, dies läßt ihr unbequem,
Weit besser schickte sich zu dem bescheidnen Blicke
Der tiefe Helm, als dieses Diadem.

Ihr Herren! ruft die listige Diane,
Ich kenn' euch schon. Ich weiß welch Aufzug ihr
Vor allen andern liebt. Minerva, folge mir!
Sie reißt ihr die gezackte Krone
Vom aufgelösten Haar, den Diamant von dem Ohr;
Statt des Gewands umfließt ein dünner Flor
Den halb verratnen Leib, die zauberische Diane
Erhebt die junge Brust. Mißmutig und beschämt
Kehrt Pallas in den Saal zurücke.
Die Götter loben zwar den Wuchs mit feuchtem Blicke,
Doch, heißt es, diese Tracht erfordert Scherz und Tücke.
Die Arme steht ja da durch Bloßheit ganz gelähmt.
Nein, keines muß sie sein, nicht nackt und nicht verbrämt.

Auch von Dianen, von Cybellen
Kommt nun ein neuer Kleidungsplan.
Minerva sieht die Stücke traurig «n.
Hört auf, das arme Ding so zu verstellen!
Spricht endlich Jupiter. Was soll der Tändelkram?
Laßt mir mein Kind, wie es aus meinem Hirne kam!

Mißbrauche nicht, vermessener Dichter!
Dies Beispiel wider kluge Richter.
Nur wenn es eine Pallas ist,
Von welcher du entbunden bist,
Dann mag sie bleiben, wie sie ist.

Die Zeder und der Strauch

Weit herrschend, einsam, stand auf einem offnen Raum
Ein schön gewachsner Zedernbaum,
Von keinem Blitz gesengt, durch keinen Sturm gebogen,
Des alten Berges ältester Sohn,
Und übet dessen Scheitel schon
Jahrhunderte dahin geflogen.
Mißgünstig stand nicht weit davon
Ein niedrer Strauch, und sprach: "Zu welcher Höhe
Der Stolze sich erhebt! und wie verschmäht ich stehe!
Warum hat die Natur mich klein und krumm gemacht,
Und ihn so schlank? So sehr ich mich auch winde.
Gelang' ich dennoch nie zu solcher Pracht,
Zu solcher zirkelmäß'gen Runde;
Und bin doch Holz, so gut als er.
Doch was Natur? das kommt von seinem Neide her.
Er fürchtet meinen Wuchs, raubt mir die holden Blicke
Der Sonne, sucht nur, wie er mich ersticke."
Der Zeder flucht der Strauch, vernimmt zugleich
Des Beiles wiederholten Streich.
Er lauscht. Ein Meister kam, den edlen Stamm zu fällen.
Und ihn als Mastbaum aufzustellen.
Das Zwerglein sieht mit bittrer Fröhlichkeit
Des Wipfels zittern, wanken, neigen.
"Ha! endlich kommt auch meine Zeit,
Nun kann ich ungehindert steigen
Mich ehrt man nun, mich liebt man auch."
Die Zeder knackt und fällt, und sie zerdrückt den Strauch

Der Spiegel

Die Wahrheit stieg einmal zur Erde,
Und brachte der verdorbnen Menschenherde
Den Wunderspiegel dar, der so Gesicht als Geist
Mit allen seinen Flecken weist.
Erschrocken stießen ihn die Sterblichen zurücke,
Der Göttin zürnend: "Was? wir solche Fratzen? nein!
Betrug muß in dem Spiegel sein."
Sie spieen ihn an, und schlugen ihn in Stücke.

Die Fabel sah mitleidig den Verlauf,
Und heimlich raffte sie der Stücke größtes auf.
Sie gab ihm andre Kraft. Der Mensch, im neuen Glase
Sah zwar der Seele Häßlichkeit;
Doch wies es, seiner Eitelkeit,
Zur Schonung, ihm nicht mehr sein Aug' und. seine Nase;
Wies ihm ein Tier, das seinem Wesen nach,
Dem lasterhaften Trieb, am eigensten entsprach.
Allein wie ging es nun? Kein einziger erkannte
Sich selber mehr im Tiere, das er sah;
Fand immer Andre drin. Die stolze Doris nannte
Beim Bild des Pfaues ihre Tante;
Beim Phylax sprach der Filz: Argante,
Die karge Nachbarin, steht sie nicht lebend da?
Verschiedne weilten zwar, zum kurzen Zeitvertreibe,
Doch ohne Nutzen, bei der Scheibe;
Des Spiegels spottend, gaben ihn
Die meisten gar zum Spiel den Kindern hin.

Der Sturm

Ein Fürst, ein Kind, ein Weiser fuhren
Zugleich auf einem Schiff einher.
Ein scharfer Sturm ergreift das Meer.
Der Todesangst, des Schreckens Spuren
Erscheinen auf des Fürsten Angesicht;
Erbärmlich schreit das Kind; der stille Weise sitzt
Nachdenkend, in die Hand die heitre Stirn gestützt,
Als gelten ihm die Fluten nicht.

Der blasse Fürst, um lieber Zorn zu zeigen,
Als Zagheit, sieht sich um: "Der Junge macht mich toll
Mit dem Geschrei; bringt ihn zum Schweigen!" -
"Sonst nichts als dies?" versetzt der Philosoph. "das soll
Sogleich geschehn." Von seiner Stelle
Steht er gelassen auf. tritt zu dem Knaben hin,
Faßt ihn beim Kragen, taucht ihm
Vom Borde dreimal in die Welle,
Und setzt ihn auf die alte Stelle.
Der nasse Junge staunt und schweigt.

"Herr!" spricht der Philosoph, "dir hab' ich nun gezeigt
Wie man ein Kind zum Schweigen bringt:
Ein leichtes, wie du siehst. Doch willst du nicht
Noch lernen, wie man auch des Sturmes Wut bezwingt?
Auch dafür hab' ich Unterricht."

O du, der Tugend sanfte Stille!
In die Gefahr, ins Ungemach
Folgst du dem Weisen immer nach
Doch in des Glückes größter Fülle
Bist du dem Toren unbewusst;
Es stürmt stets in seiner Brust.

Die Sterne

Die Sterne zankten sich, wer größeres Licht verbreite.
Die Sonne stieg: Aus war es mit dem Streite.

Der Luchs und der Maulwurf

Der Argus in dem Tiergebiet,
Der, wie die Rede geht, durch Fels und Mauer sieht.
Der Luchs lag einst auf Beute lauernd,
Als neben ihm aus seinem Loch
Von ungefähr ein Maulwurf kroch,
"Ei!" sprach der Luchs, das blinde Tier bedauernd,
"Im Rausche haben dich die Götter wohl gemacht,
Da sie dir nichts zum Sehen gaben;
Auch hast du Recht dich zu vergraben,
Dein Leben ist schon Todesnacht.

"Nicht doch!" hub jener an: "Auch ich bin wohl bedacht,
Es freut mich so wohl als dich das Leben.
Hat mich der Götter Gott zum Luchse nicht gemacht,
So hat er mir ein Ohr gegeben,
Das schärfer hört, als dein Paar Augenlicht.
Nicht wahr, jetzt merkst du nicht was hinter dir geschieht?
Mir sagt mein Ohr, es werde gleich ein Bogen
Von einem Schützen angezogen;
Vermutlich gilt es dir." Er spricht's. Die Saite schnellt
Den Pfeil ins Ziel, der Argus fällt.

Die Löwin und das Schwein

Der Löwin spottete das Schwein.
Ein Junges hast du nur, ich neune
Wahr ist's, fällt ihr die Löwin ein,
Jedoch ein Löwe ist dieser eine.

Kardan

Kardan war Arzt und Astrolog zugleich,
Und glaubte fest an beide Lehren.

Herr! sprach sein Diener einst, mich lüstet sehr, von Euch
Mein künftiges Geschick zu hören.
Kardan punktiert, schlägt seine Bücher auf,
Zieht Linien, befragt den Himmel.
Sieh, Stephen sonderbar! Es hört dein Lebenslauf
Nur einen Augenblick vor meinem eignen zuf.
Der Diener war ein starker, frischer Lümmel.
Der Doktor alt und schwach. Die Prophezeiung schien
Für jenen mißlich, nicht für ihn.
Doch aus Erfahrung bang für zu gesunde Tage,
Wird nun der Arzt des neuen Dieners Plage.
Nie läßt er ihn aus dem Gesicht,
Fühlt stündlich ihm den Puls, bestimmt ihm nach der Waage
Das Wasser und das Brot. Zu rot ist sein Gesicht
Schnell! daß man ihm die Ader schlage!
Zu blaß ist es nunmehr; geschwind, ein Elixier
Zum stärken! Naget ihm der Hunger an dem Magen,
So ist es Blähung; ein Klistier!
Ein Vomitiv!* In wenig Tagen
Wird Stephen ein Skelett. Ein Fieber schleichet sich,
In das erschöpfte Blut, ihm folget Seitenstich
Und Schwindsucht. Kurz, im ersten Jahre,
Vor lauter Pflege, liegt mein Stephen auf der Bahre.
Kardan, o welch ein Streich für dich!
Ein schönes Stück der Heilungskunde!
Und nun das Horoskop! Was bleibt dir? Eine Stunde
Vielleicht. Er wartet ängstlich;
Er macht sein Testament. Gottlob! die Stunde schleichet
Dahin, der Tag, die Nacht verstreichet
Kein Zufall. Mut und Hoffnung steigt
In ihm, je näher sich zum Ziel die Woche neigt.

Seht doch! der, den ich retten wollte,
Liegt tot; ich lebe noch, der sicher sterben sollte!
Kardan als Arzt, als Astrolog,
Entsagt der Kunst, die ihn betrog.

*
Vomitiv: Brechmittel

Die Traube

Mit einer wunderschönen Traube
Kam einst ein armer Bauersmann
Am Hofe seines Fürsten an
Bot ihm sie dar, und sprach: "Erlaube,
Daß ich dir bringe, was ich kann;
Viel ist es nicht. Die Wahrheit zu gestehen,
Nahm ich die Traube nur zum Vorwand dich zu sehen,
Und dir gehört sie ja von Rechtes wegen zu;
So selten ist die Frucht, als Könige, wie du."

Ein Lob, das so natürlich fließet,
Noch mehr, das volle Herz, aus dem es sich ergießet,
Entzückt den Fürsten. Liebevoll
Dankt er für das Geschenk, und prächtig im Erwidern,
Befiehlt er gleich, daß man dem Biedern
Zweihundert Taler reichen soll.
Der Bauer kehrt, die Hände voll,
Zurück, erzählt den Vorfall seinen Brüdern;
Die melden ihn dem Pfarrer, und der dem Edelmann.
Der Junker hört ihn lüstern an.
"Was?" bricht er aus, "so viel für eine Traube?
Der König ist ein braver Mann.
Nun sollt ihr sehn, wie ich ihn schraube."

Aus seinem Stall wählt er das schönste Ross,
Setzt sich darauf und reitet vor das Schloß.
Vom Fenster sieht der Fürst ihn traben,
Und lobet laut das edle Pferd.
"Hältst du es, Herr, der Ehre wert
In deinen Marstall es zu haben?
Gebiete, so gehört es dir.
Zu hoher Gnade halt' ich's mir."
Der König: "Freund, ich danke dir,
Allein womit kann ich die Gabe dir vergelten?
Ha! meine Traube! holt sie mir!
Sieh, welche Frucht! in ihrer Art so selten.
Als dieser Gaul in seiner. Nimm sie dir!"

Der Papagei und die vierfüßigen Tiere

Nach sieben durchgeirrten Jahren
Kam einst ein Papagei, gesprächig und erfahren,
Ich weiß nicht wie, zurück ins väterliche Land,
Das ehemals Kolumbus erriet und fand.
Der Zufall führte ihn zum ödesten Reviere,
Dem sichern Sitze freier Tiere,
Wohin noch nie der Mensch gekommen war.
Er mischt sich froh in ihre Schar,
Und plaudert, und erzählt vom großen Meere,
Und von der andern Hemisphäre,
Die er gesehn; vom Menschen sonderlich.
Dem Gotte, der, wohin er dringt,
Herr der Natur, der andern Tiere sich
Bemeistert, sie zu Tausenden verschlingt,
Sie zähmt, ihm zu dienen zwingt.

Aufmerksam horcht der stumme Chor.
Ei! fängt der Eber an: ich stelle mir ihn vor,
Den Menschen. Ein Geschöpf von solchen Gaben
Muß einen mächtigen Hauer haben.
Der Elephant: Wie lang mag wohl sein Rüssel sein?
Der Löwe: Stattlich ist gewiß die goldne Mähne.
Der Bär: Man denke sich die Klauen und die Zahne!
Der Hirsch: Hat er ein leichtes, dünnes Bein?
Der Stier: Sind ihm zwei Hörner angeboren?
Der Esel: Und wie steht es mit den Ohren?

Das Buch der Vernunft

Als auf der neu geschaffnen Erde
Die neu geschaffne Menschenherde
Hervorgetreten war, so schien
Der gute Zeus an ihr so große Lust zu haben,
Daß auch die Götterschar, gefällig gegen ihn,
Wetteiferte, sie stattlich zu begaben.
Minerva gab der Menschenzunft
Ein Buch, betitelt: die Vernunft,
Und wies darin aus klaren Gründen,
Nur in der Tugend sei Glückseligkeit zu finden.

Doch was geschah? Der Knabe las, und fand
Nur Worte, die er nicht verstand;
Als Vorurteile voll verwarf der Mann, der Spötter,
Das Buch, und dünkte sich ein tiefrer Philosoph;
Der Alte fand darin allein zur Reue Stoff,
Ward übler Laune, und zerriß die Blätter.

Der Hochzeitbitter und der Leichenbitter

Zwei Amtsverwandte, bunt der eine,
Der andre schwarz, nachdem sie ihren Gang
Verrichtet, trafen sich beim Weine,
Und stritten um den Oberrang
Am Tische. — "Weist du, wem ich diene?"
Fing jener an: "Zu Hymens Schar
Gehör' ich; der ist doch fürwahr
Ein andrer Gott, als deine Libitine.
Ihm fleht, ihn ruft die junge Welt;
Er ist's, der das Geschlecht der Sterblichen erhält,
Der Lust und Wonne schafft, Natur und Pflicht verbindet,
Dem Amor dienet, er, der alles überwindet."

"O! prahle nicht!" versetzt der schwarze Mann.
"Weit seltner ist dein Herr Wohltäter, als Tyrann.
Wie manches schöne Kind kann aus der Ehe Ketten
Nur Atropos mit einem Schnitte retten!
Mir fleht man mehr als dir so gar;
Dich rufet oft nur Eines aus dem Paar,
Mich sicher beide bald, mich ihrer Erben Schar,
Der Dame Freund, der Priester, der Notar.
Die Ruhe, die so teure Gabe,
Die du auf ewig raubst, schenk' ich auf Ewigkeit;
Bei dir beginnt der Qualen Zeit,
Sie endet sich bei mir im Grabe.

Die Fliege

In seiner Hütte lag und schlief ein armer Mann.
Auf seiner Nase ließ sich eine Fliege nieder.
Sie setzte kühn den Stachel an,
Sie füllte sich mit Blut, flog weiter, kehrte wieder,
Und ungestört ließ sie der arme Mann;
Er fühlte nichts, und schnarchte lauter,
Als weder Fürst, noch sein Vertrauter.

Den Tag darauf geriet das kleine Tier
In eines Reichen Haus. Gesichtchen schliefen hier
Von zarter Haut und hochgefärbten Wangen.
Die Fliege hoffte, sich nach Lust
Zu weiden, sank auf eine Lilienbrust;
Kaum aber hatte sie zu kitzeln angefangen.
So stieg die Alabasterhand
Empor, und scheuchte sie vom Busen Dreimal kehrte
Die Fliege wieder; dreimal fand
Sie die zum Schlag bereite Hand,
Der sie mit Mühe sich erwehrte.
Durchs Fenster flog sie nun zu ihrem armen Wicht
Zurück, und sprach: hier schläft man nicht.

Der Kater und der Wetterhahn

Ein junger Kater sah den goldnen Wetterhahn,
Der auf dem Turme stand, für wahr und lebend an.
Welch schöner Wuchs! wie glänzend sein Gefieder!
Das wär' ein Bissen! Doch er regt sich nicht.
Wie kommt es? — Zephyr haucht, indem er dieses spricht.
Und kreischend dreht der Hahn sich hin und wieder.

Entschlossen schleicht nunmehr der Held
Sich in den Turm. besteigt durch eine Lücke
Des hohen Daches steiles Feld,
Erreicht den Gipfel nun, ballt sich; mit stierem Blick
Belauert er den Hahn, der, steif und ungestört.
Ihm bald den Kopf und bald den Hintern kehrt.
Nun spitzt der Kater seine Klauen,
Versucht es, sie dem Hahn ins Fleisch zu hauen.
Umsonst; die Klauen fassen nicht.
Des Irrtums überzeugt, spricht
Zuletzt der Kater: "Wie? von unten schien der Wicht
So rasch und fett. Ich wagte seinetwillen
Das Leben gar. Ich Tor! er taugt ja nur zum Trillern."

Wie mancher hoher, goldner Mann
Ist, nah gesehn, ein platter Wetterhahn!

Die zwei Masken

Ein Mädchen, reizend, wie die Göttin von Cythere,
Ging auf den Ball, und hüllte sich
In eine Maske der Megäre,
Abscheulich, gräßlich, fürchterlich.
Die alte Muhme hing am Arm der jungen Nichte.
Was nur ein Antlitz reizend macht.
War in dem Afterangesichte
Des alten Weibes angebracht.
Gleich eitel, hofften sie der List ungleiche Früchte.
Nun! heute wenigstens wirst du doch einmal noch
(Die Alte dachte dies) ein Wörtchen, dir zu Ehren,
Von einem lieben Stutzer hören.
Auch durch Betrug, es kitzelt doch.

Die Nichte freute sich, die Gecken,
Die Buhler, unerkannt zu necken.
Was für ein Jammern wird entstehn,
Wenn morgen sie von mir erfahren,
Daß sie mir heute so nahe waren,
Und mich so hämisch angesehn!

Schon zweimal hatten sie den langen Saal umzogen,
Doch sonderbar! noch war kein Wort von Lüsternheit
Der schönen Maske zugeflogen;
Hingegen hatten sich, trotz ihrer Häßlichkeit,
Lobsprüche, Seufzer, Liebkosungen
Dem Ohr der Nichte zugedrungen.

Voll Ärger über die misslungne List,
Spricht sie zum süßen Herrn, der ihr am nächsten ist:
"Sieh, Maske, welch ein Tor du bist!
An mich, die Häßliche, verschwendest du dein Schmachten.
Und scheinest der Gefährtin nicht zu achten.
Die doch so jung und reizend ist." -
"Hältst du es für so leicht uns Kenner zu betrügen?"
Versetzt der Buhler. "Wahrlich nein!
Wir wissen ja, die Masken lügen.
Und schließen nie nach ihrem Schein.
Mit dem erlogenen Gesichte.

Bedeckt ihr beide nur den kleinsten Teil von euch;
Doch Wuchs und Wesen sagen gleich,
Sie sei die Muhme, du die Nichte.

Der Elephant

Ein Elephant, geneigt zu Grillen,
Nahm sich auf einmal vor, den Willen
Des Leiters nicht mehr zu erfüllen,
Und als ihm der vom hohen Sitz herab
Den Stachel, doch nur sanft, zu fühlen gab,
Geriet er gar in Wut. "Wie? denken sie, die Schwachen,
Zu feigen Sklaven uns zu machen?
Liegt in der Stärke nicht fürs tierische Geschlecht
Ein deutlich, unverjährbar Recht?
Herab mit ihm! Kein Elephant ertrage
Hinfort der tollen Herrschaft Plage!"

Gesagt, getan. Sein Rüssel fährt zurück,
Umschlingt des Führers Leib, reißt ihn von seinem Throne,
Und schlägt ihn an ein Felsenstück.
Des Führers Schwester, Weib und Tochter nebst dem Sohne,
Des Mordes Zeugen, werfen sich
Vor dem Ergrimmten auf die Erde,
Und rufen mit verzweifelnder Gebärde:
"Sieh, Wüterich! elend sind wir alle nun durch dich,
Zertritt auch uns!" — Der Leser fühlet
Auch ohne meinen Wink genug.
Auf welche Nation bis jetzt das Beispiel zielet.
Und er erkennt sie Zug für Zug.
Hier aber trennt sich ihr Betragen
Von dem des wilden Tiers. Großmütig, edel, klug,
Schämt sich der Elephant ob der gerechten Klagen;
Er weint in des Erschlagnen Blut,
Fühlt die Gefahr zaumloser Wut.
Den Weinenden den Schaden zu vergüten,
Umfaßt er sanft des Führers Sohn,
Hebt ihn auf seines Vaters Thron,
Und trägt ihm auf, ihm zu gebieten

O Schande für die Nation!

Der Esel als Wesir

Ein junger Löwe war der Tiere Groß-Sultan
Und dachte nur an Kuß, auf Gasterei und Jagen.
Sich der Geschäfte zu entschlagen,
Nahm er zum Groß-Wesir zuerst den Tiger an.
Sogleich entstanden heftige Klagen
Ob seiner Härte. "Wohl! so sei's der Elefant!"
"Der ist zu stolz." – "Der Bär!" – "Der drückt das arme Land
Mit Steuern." Kurz, in sieben Tagen
Ward schon der siebente Vezir ernannt,
Und wieder jeden schrie das Land.

Des ewigen Entsetzens müde,
Wird nun der Löwe toll und spricht:
"So mag's der Esel sein! und hiermit Friede!
Denn ein für allemal, ich ändre weiter nicht."
Der Esel trägt des neuen Amtes Bürde
Als Esel; sieht vom Volk sich bald verlacht,
Sieht seinen nahen Fall, wenn er durch jede Würde
Im Staate sich nicht sichre Freunde macht.
Klienten, Schmeichlern, Anverwandten
Teilt er sie aus: Er macht die Brüder zu Gesandten;
Der Hase führt die Legion;
Den Maulwurf nimmt er zum Spion;
Der Affe prangt als Oberpriester;
Der Wolf ist sein Justiz-Minister;
Der Fuchs regiert die Polizei,
Das Murmeltier die Kanzlei.

Vertraue nie dem Toren deine Rechte,
Denn eine schlechte Wahl zeugt hundert schlechte.

Der Spatz und der Distelfink

Auf einem Giebel, nah der Lücke,*
Hing ein durchbohrter Topf an einem Nagel fest.
Ein Spatz erforscht das Loch mit frohem Blicke,
Und wählt die Höhle für sein Nest.
Einst, als er im bequemen Raume
Den Kopf aus seinem Fenster streckt,
Sieht er den Distelfink, der auf dem nahen Baume
Im offnen, schlichten Neste heckt.
He! Nachbar, deine Brut mußt du wohl wenig lieben,
Ruft unser Spatz dem Finken zu.
Welch eine Stelle wählest du
Für sie? Wo ist dein Witz geblieben?
Der kleinste Wind, der durch die Blätter pfeift,
Der kleinste Regen, der das offne Nest bestreift,
Macht ja die zarte Brut erliegen.
Und dann der Kater noch, der auf dem Hofe läuft!
Wie leicht ist nicht ein Baum erstiegen?
Dem allen setzest du die armen Kleinen aus.
Warum besorgst du nicht, wie wir, ein sichres Haus?

Ich schmeichle mir, so wohl, als du der Brut zu pflegen.
Versetzt der Distelfink. Der Blätter dichtes Dach
Beschützet sie vor Wind und Regen;
Kein Kater setzet uns im hohen Laube nach.
Auch wag' ich gern ein kleines Ungemach,
Der Sicherheit und Freiheit wegen.
Trotz allem, was du vorgebracht,
Tausch' ich doch nicht mit dir, und fliehe mit Bedacht
Das Haue, den Topf, was nur der Mensch gemacht.

Kaum hat der Fink das Wort geendet,
So sieht er eine Hand, die nach dem Topfe strebt,
Ihn sachte von dem Nagel hebt,
Den Spatz ergreift, und ihm die Brut entwendet.

*
Luke, Dachluke

Der Hirsch und das Schaf

Ein Hirsch geriet auf seinem Wege
An eine Wiese, wo die Schar
Der Tiere, die des Menschen Pflege
Sich anvertrau'n, zur Weide war.
Sie stolz betrachtend stand der Freie.
Ein Schaf begafft und fragt ihn: "Sage mir,
Wer hat denn wohl Gewinst von dir?
Was schleppst du mit dem Geweihe?
Wer melkt, wer reitet dich? wen nährst, wen kleidest du?
Wer füttert dich? wo bringst du Nacht und Winter zu?" —

"Der Mensch ist nicht für mich geboren,
Noch ich für ihn," versetzt das Tier.
"Was er euch reicht, das such' ich mir,
Und härte meinen Leib um vieles, was ihr Toren
Nicht missen könnt, zu missen. Doch
Dafür genieß ich auch des Rechtes,
Kein Sklave des zweifüßigen Geschlechtes
Zu sein; ich trage nie das Joch,
Dem Schwachem leih' ich nie den Rücken;
Mich schlägt, mich schirrt man nicht. Ihr aber bietet gar
Freiwillig ihm euch selbst und eure Jungen dar,
Den Stahl euch in den Hals zu drücken.
Ja, noch das Schimpflichste der Hund, der eure Schar
Verteidigen und rächen sollte,
Ist des Tyrannen Knecht, sein Schmeichler, sein Trabant.
Fällt eurer jeden an, der gern den edlen Stand
Der Freiheit wieder suchen wollte."

So spricht der Hirsch, und ihn empfängt der Wald,
Aus welchem bald Gebell und Horn erschallt.
Nach langem Jagen kommt er zu dem Schafe wieder,
Und fällt vor ihm entkräftet nieder.
"Je!" fängt es an, "wie steht es nun?
Hat nie der Mensch mit dir zu tun?
Und mußt du nicht dein ungemächlich Leben
Und deine Freiheit ihm doch auch zum Raube geben?" —
"Wahr ist's Doch wenigstens blieb weder Kampf noch Flucht
Zu meiner Rettung unversucht.
Und würde mich der Mensch bei meiner Schnelle töten,
Wenn nicht der Hund, das Ross ihm ihre Hilfe böten?"

Der Arzt

Ein Äskulap zog in der Schweiz herum.
Für jedes Übel und Gebrechen,
Für Fieber, Gicht und Seitenstechen
Besaß er ein Spezifikum.
Doch bei dem harten Volk, das in den Alpen hauset,
Sich eifrig regt, und mäßig schmauset,
Gab's wenig Fieber, wenig Gicht,
Und unser Arzt gedeihte nicht.
Geschah es auch, daß zarte Berner Damen,
Daß Herren, die aus Frankreich wieder kamen,
Ein Pulver, ein Präservativ
Für Krämpfe, für den Husten nahmen;
Was war's? die ganze Kur belief
Sich selten auf ein Pfund, und war geschwind vorüber.
Doch wie gesagt, solide Fieber,
Verrichtung für ein halbes Jahr,
Bei denen es Dukaten regnet,
Nach denen man den Retter segnet,
Die waren, wie der Phönix, rar.

Was tut mein Arzt?
Will ich die größern Übel heben,
Denkt er, so muß ich wohl, trotz der Natur,
Sie selber erst den Leuten geben.
Er mischt nunmehr zu Pulver und Tinktur
Ein leichtes Gift, das er erfindet,
Das hier die Gicht erregt, ein Fieber dort entzündet,
Und teilet sie an manches Haus
Als einen Vorrat, nur für Krampf und Husten aus.
Der Preis davon? — Nicht einen Kreuzer!
Je nun! denkt mancher gute Schweizer,
Der sonst, wenn Krampf und Husten ihn geplagt,
Sie durch Diät allein und durch Geduld verjagt,
Und nie ein Elixier in seinen Mund gewagt
Die Arznei ward mir umsonst gegeben.
Warum sollt' ich denn nicht das Übel schneller heben?
Und in der Tat wird er davon geheilt.
Allein an seiner Stelle brechen
Hier Fieber aus, dort Seitenstechen.
Nun ruft man den Galen. Er pflanzt sich hin, erteilt
Bereiten Rat, entreißt die Kranken
Dem Tode, die ihm gern mit Gold und Lobe danken.
Berühmt und reich macht ihn die lang geübte List.

Ob nicht seit ihm der Kniff bei mehreren üblich ist?