Fabelverzeichnis
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Lieder 32-41
Die Lieder sind grob nach Themen geordnet, moralische und vor allem geistliche Lieder.
 
Lied 32
Typus und Datierung: Frühlingslied mit Bezug auf Südtiroler Querelen.
 
Zergangen ist meins herzen we
 

1.
Zergangen ist meins herzen we,
seid das nu fliessen wil der sne
ab Seuser alben und aus Flack,
hort ich den mosmair sagen.
Erwachet sind der erden tünst,
des meren sich die wasserrünst
von Castelrut in den Ysack,
das wil mir wol behagen.
Ich hör die foglin gross und klain
in meinem wald umb Houenstain
die musik brechen in der kel,
durch scharpfe nötlin schellen
Auf von dem ut hoch in das la
und hrab zu tal schon auf das fa
durch mange süesse stimm so hel.
des freut eu, guet gesellen!
Was get die red den Plätscher an?
mein singen mag ich nicht gelan.
wem das missvall, der lass mich gan
und sei mir heur als fert.
Ob mir die faigen sein gefar,
noch tröst ich mich der frummen zwar,
wie wol das heuer an dem jar
falsch böse münz hat wert.


2.
Verswunden was meins herzen qual,
do ich die ersten nachtigal
hort lieplich singen nach dem pflueg
dort enhalb in der Matzen.
Da sach ich vierstund zwai und zwai
gewetten schon nach ainem rai,
die kunden nach des Mutzen fueg
wol durch die erden kratzen.
Wer sich den winder hat gesmuckt
und von der bösen welt verdruckt,
der freu sich gen der grüenen zeit,
die uns der mai wil pringen.
Ir armen ter, nu raumt eur hol,
get, suecht eur waid, gehabt eu wol!
perg, au, und tal ist rauch und weit,
des mag eu wol gelingen.
Was get die red den Plätscher an?
mein singen mag ich nicht gelan.
wem das missvall, der lass mich gan
und sei mir heur als fert.
Ob mir die faigen sein gefar,
noch tröst ich mich der frummen zwar,
wie wol das heuer an dem jar
falsch böse münz hat wert.


3.
Wol auf, ir frummen, und seit gail!
wer eren pfligt, der wÜnscht uns hail
kain schand niemand glosieren mag,
wie scharpf man sie betrachtet.
Es ist ain alt gesprochen wort,
recht tuen das sei ain grosser hort,
wann es kompt alles an den tag.
oft ainer des nit achtet.
Her Cristan in der obern pfarr
zwar der ist sicher nicht ain narr,
wer in wil teuschen auf dem stück,
der muess gar frue erwachen.
Er beit ain weil und doch nit lang,
darnach so fiermt er aim ain wang,
das im vergen sein falsche tück,
des er nicht mag gelachen.
Was get die red den Plätscher an?
mein singen mag ich nicht gelan.
wem das missvall, der lass mich gan
und sei mir heur als fert.
Ob mir die faigen sein gefar,
noch tröst ich mich der frummen zwar,
wie wol das heuer an dem jar
falsch böse münz hat wert.

 

1.
Vorbei ist, was mein Herz bedrückte,
weil jetzt der Schnee schmilzt und fließt
herunter von der Seiser Alpe und von Flack,
wie ich den Mosmaier sagen hörte.
Die Dämpfe der Erde sind erwacht,
die Wasserbäche schwellen an
von Kastelruth hinunter in den Eisack.
So laß ich es mir's gefallen.
Ich höre all die großen und kleinen Vögel
in meinem Wald um Hauenstein,
wie sie aus ihren Kehlen Melodien trillern
und hohe Noten tönen lassen
vom ut hinauf ganz bis zum la
und wieder runter hübsch zum fa,
so laut mit vielen süßen Stimmen.
Freut euch daran, Gesellen!
Was geht es denn den Plätscher an?
Mein Singen laß ich mir nicht nehmen.
Wem es nicht gefällt, der lasse mich in Ruhe,
der ist für mich passé.
Wenn die Verdammten mich nicht leiden können,
dann halte ich es mit den Aufrechten,
auch wenn in diesem neuen Jahr
man schlechte, falsche Münzen schätzt.


2.
Verflogen war mein Trübsinn,
als ich die erste Nachtigall
voll Liebe singen hörte hinterm Pflug
dort drüben in der Matze.
Da sah ich viermal zwei und zwei
tüchtig in einem Reigen schreiten,
die konnten, wie es der Mutzenbauer wollte,
die Erde gut aufschürfen.
Wer sich den Winter über duckte
und von der schlechten Welt zurückgezogen hat,
der freue sich über die grüne Zeit,
die uns der Mai nun bringt.
Ihr armen Tiere, kommt aus euren Löchern,
geht, sucht euch Futter, freut euch des Lebens!
Die Berge, Auen, Täler sind belaubt und offen,
da wird es euch gut gehen.
Was geht es denn den Plätscher an?
Mein Singen laß ich mir nicht nehmen.
Wem es nicht gefällt, der lasse mich in Ruhe,
der ist für mich passé.
Wenn die Verdammten mich nicht leiden können,
dann halte ich es mit den Aufrechten,
auch wenn in diesem neuen Jahr
man schlechte, falsche Münzen schätzt.


3.
Nur zu, ihr Aufrechten, seid fröhlich!
Wer Ehre kennt, hält es mit uns.
Was schändlich ist, das redet niemand schön,
mag er daran auch noch so drehen und deuteln.
Man hat es immer schon gesagt:
Recht tun, das ist ein großer Schatz,
denn es kommt alles an den Tag.
Manch einer hält sich nicht daran.
Herr Christan in der oberen Pfarrei,
der ist gewiß kein Narr.
Wer ihm bei diesem Handel täuschen will,
der muß sehr früh aufstehen.
Er wartet eine Weile zu, nicht allzu lang,
dann gibt er einem einen Firmungsstreich,
daß seine bösen Ränke ihm vergehen
und er nichts mehr zu lachen hat.
Was geht es denn den Plätscher an?
Mein Singen laß ich mir nicht nehmen.
Wem es nicht gefällt, der lasse mich in Ruhe,
der ist für mich passé.
Wenn die Verdammten mich nicht leiden können,
dann halte ich es mit den Aufrechten,
auch wenn in diesem neuen Jahr
man schlechte, falsche Münzen schätzt.

 

Lied 33
Typus: Klage über die Herrschaft der Falschheit auf der Welt, besonders bei den Fürsten.
 
O rainer got
 

1.
O rainer got,
gnad, tugent hoch derparmung tiefer gründe,
ain doctor aller weishait scharf,
ain loner gueter dinge,
ain recher böser werke, macht,
geweltiklich ain herr der mächtikait:
Ich klag den spot,
den du vertraist in diser welde fünde.
ach, frummer, klag, wenn du sein darf,
das schand für er sol dringen
und recht durch unrecht wirt verkart.
wer dasselb kan, der dunkt sich des gemait.
Das lert man in der fürsten schuel,
seid ich es recht bedenk.
darumb so dringt da meniger stuel
fur alle tisch und benk,
der pillich wol ain schamel wär,
wenn man im rechen solt der eren swär.

2.
Ich spür dreu tier in diser welt;
die zwai jagt man gar selden,
dem dritten lat man nimmer rue,
und ist es falsch genennet.
die zwai gehaissen treu und er,
der nam ich breis für aller welde schatz.
So es die fier
hie sprechen tun >heb auf, trag hin, lass gelden
sein schuld, grab in und deck in zue!<
erst wirt sein nam erkennet:
er ist gewesen diser und der.
was er der falsch, in facht der helle latz.
Da findt er seiner genossen vil
gefangen umb ir schuld,
die hie mit mangem valschen spil
auch fluren gottes huld,
da von sie niemand beweisen kund,
pis si hat gar verschlickt der helle grund.

3.
Wo in dem wald
wont treu und er? die suechen ainander,
und des geleichen bös und falsch,
also das gleich sein gleichen
im auserwelt mit liebem gunst.
das prüeft man an vil grossen höuptern wol:
Die sechen pald,
was in da füegt, kam ainer dort aus Flandern.
ist er ain kraut von böser sals,
behend so muess er reichen,
secht, der geneusst seiner bösen kunst.
des zwar ain frummer nicht entgelten sol:
Wen allzeit vast nach eren dürst
und fleisst sich gueter sach,
dem geit der obrist himelfürst
in seinem reich gemach
und darnach hie ain vil guet wort,
das besser ist denn aller fürsten hort.

 

1.
O reiner Gott,
du Gnade, hohe Tugend, Erbarmen bis in den Abgrund,
du Lehrer aller Wissenschaft und Weisheit,
der Gutes lohnt
und straft, wenn böse Taten mächtig werden,
kraftvoll ein mächtiger Herrscher:
beklagen muß ich, daß in dem,
was diese Welt erfindet, dein gespottet wird.
Ach, Frommer, klage an, du hast wohl Grund dazu,
wenn Schande sich vor Ehre drängen darf
und Recht verdreht wird durch Unrecht,
und wer das kann, meint, daß er glücklich sei.
So lernt man's, wenn ich's recht bedenke,
bei unsern Fürsten in der Schule,
und darum darf so mancher Stuhl
sich über Tisch und Bänke stellen,
der rechtens nur ein Schemel wäre,
wenn man ihn am Gewicht der Ehre mäße.

2.
Drei Tiere kenne ich auf dieser Welt;
von ihnen jagt man zweien selten nach,
dem dritten läßt man keine Ruh,
das ist Falschheit genannt.
Die zwei jedoch – sie heißen Treu und Ehre, -
die rühme ich höher als die Schätze der ganzen Welt.
Wenn die vier Männer hier sagen
>heb auf, trag weg, laß andere seine Schulden
bezahlen, grab in ein und deck ihn zu<,
dann wird sein Name erst geprüft:
Er ist gewesen der und der.
War er ein Falscher, dann packt ihn die Höllenfalle.
Da findet er dann viele seinesgleichen,
die dort für ihre Schuld gefangen sind,
weil sie mit ihren falschen Spielen
auch Gottes Huld verwirkten,
was ihnen niemand nachweisen konnte,
bis sie der Höllengrund verschlang.

3.
Wo wohnen denn im Walde
Treu und Ehre? Sie suchen doch einander,
und ebenso auch Bös und Falsch,
weil immer gleich und gleich
sich aussucht und begünstigt.
Da sieht man wohl bei vielen großen Häuptern:
Die sehen rasch, was zu ihnen paßt,
auch wenn einer weither aus Flandern kam.
Ist er ein bös gewürztes Kraut,
dann darf er schnell reich werden,
seht doch, er wird für seine bösen Tricks belohnt.
Doch wird ein Frommer nicht dafür bezahlen müssen.
Wer immer eifrig nach Ehre strebt
und sich um gute Dinge müht,
dem gibt der oberste Himmelsfürst
in seinem Reich eine Wohnung
und hier gute Worte nach seinem Tod,
was besser ist als aller Fürsten Schätze.

 

Lied 34

Typus, Quellen: Darstellung der Hölle, in der verschiedene Sünden in sieben Kammern ihre je eigene
Strafe finden; eingeleitet von einem Bekenntnis eigener Sündigkeit.
 

Durch toren weis so wird ich greis
 

1.
Durch toren weis so wird ich greis
und mag bejagen chlainen preis
auf disem eis, es well sich dann vercheren
Und schier gedächt, wie das ich mächt
dort chomen aus des trachen ächt;
der selb mich vächt, wil ich sein nicht enperen.
Das ist die hell mit irem schlunt,
dar inn wol siben chammer grausleich sint erzunt.
fund ich den fund, mein laid das wurd sich meren.
Als Salomon gemeldet hat: mensch,
wie du sündst, geleich vindst du die widertat.
gross freud umb quat der chauf ist nicht zu leren.

2.
Gelt wider gelt, got selber melt.
der ersten chammer swach gezelt
zu hell, da quellt versigelt haisser leckhen
Von feuer gram gar widerzam,
das alle flüss, des meres tam
der minsten flam ir räss nicht mag ersteckhen.
Die selbig chammer pringet we,
wer sich unchäusch begreifen lasset sunder e.
gross jamers chre vint er in haissen seckhen.
Da mit so wird vergolten das,
ein jeder metz nach seinem lehen mit der mass.
die rechten strass helf uns Maria streckhen.

3.
Die ander chammer ist mit jamer
voller chelt, ein gross gewammer.
dasselb getammer chain feuer mag erhitzen.
Wer hass und neid mit widerstreit
vertriben hat in diser zeit,
der selbig leidt dar in frostleichen glitzen.
Die dritte chammer tunkelfar,
das man die vinster greifen mag pei ainem har,
des scheines chlar sol da chain mensch besitzen.
Wer ungelauben hat gefüert,
all juden, haiden, chetzer dar in sein versnüert,
das liecht berüert in mund und nas durch plitzen.

4.
Die vierd prisaun ist swacher laun
von grossem gsmackh in snödem zaun,
das kain alraun noch wurz den mag vertreiben.
Mit wunder mail so vindt man vail
dar in die prenner, rauber gail
und die an hail den armen recht vermeiden.
Die fünfte gilnitz ungestalt
von schauzen, schrickhen, gräuleich prünsten grosss gezalt,
gar manigvalt, so ist dar in das leiden
Von hochfart, grosser üppikhait,
wie sich der mensch gezieret hat gestalt und chlaid,
swär herzenlaid muess er da wider sneiden.

5.
Die sechste cheich ist wunder reich
von würmen, atern, slangen, sleich.
der hässig teich dem wuechrer ist beschaffen.
Und wer sein lätz mit fürchauf, sätz
hie richten tuet, gross zoll und tätz,
der sünd geträtz schreit alles dar in waffen.
Das sibent gadem ist beswärt
mit grosser zagnuss ewicleich dar in bewärt.
da sein vermärt pös nunnen, münich und pfaffen
Und alle, die verzweifelt han
in iren sünden, dar zu an dem höchsten man.
des gadems pan tuet sie da selben straffen.

 

1.
Nach Art der Narren werd ich alt
und kann nur wenig Ruhm gewinnen
auf diesem Eis, wenn sich nicht alles ändert,
wenn ich nicht bald bedenke, wie ich dort
entrinnen kann aus der Gewalt des Drachen.
Der wird mich fangen, wenn ich es nicht lasse.
Der Drache ist der Schlund der Hölle,
in der voll Grauen sieben Kammern brennen.
Fänd ich den Weg dorthin, ich fänd Leid über Leid.
Wie Salomon verkündet hat: So wie du sündigst,
Mensch, wirst du Vergeltung finden. Für Böses
große Freude – solchen Kauf kann man nicht lernen.

2.
Münze um Münze, spricht Gott selbst.
Im elenden Gezelt der ersten Höllenkammer
versiegelt, brodeln heiße Bäche
aus zornigem Feuer sehr feindselig,
daß alle Flüsse samt dem dampfenden Meer
der kleinsten Flamme Schärfe nicht ersticken könnten.
In dieser Kammer leidet Pein,
wer außerhalb der Ehe als unkeusch befunden wird.
In heißen Säcken lernt er da, vor Schmerz zu schreien.
Damit wird ihm vergolten jeder Scheffel,
was er auch fassen mag, mit gleichem Maß.
Maria helfe uns, daß wir den rechten Weg erreichen.

3.
Die zweite Kammer, angefüllt mit Kälte
birgt Schrecken, großes Prickeln.
Dies Zähneklappern kann kein Feuer mehr erwärmen.
Wer seine Lebenszeit verbrachte
mit Haß und Neid und Streitigkeiten,
der leidet dort im eisigen Glitzern.
Die dritte Kammer ist so dunkel,
daß man die Finsternis am Schopfe greifen kann.
Da darf kein Mensch ein klares Licht bewahren.
Wer ohne rechten Glauben lebte,
die Juden, Heiden, Ketzer alle sind darin gefesselt,
und Licht streift ihnen nur als Blitz um Mund und Nase.

4.
Der vierte Kerker hat ein schlimmes Schicksal,
ein grausiger Gestank hüllt widerlich ihn ein,
den kein Alraun, kein Gewürz vertreiben kann.
Darin sind, unerhört besudelt, ausgesetzt
die frechen Räuber, Brandstifter und alle,
die, ohne an ihr Heil zu denken, den Armen Recht entziehen.
Das fünfte häßliche Verlies, das wimmelt
von springenden Scheusalen, grausiger Glut,
vielfältige Pein wird dort erlitten
für Hoffart und für stolzes Prassen;
wer sich und seine Kleidung zu sehr putzte,
der wird dafür dort schweres Leiden ernten.

5.
Die sechste Zelle ist unglaublich voll
von Würmern, Nattern, Schlangen, Kriechgetier.
Dies böse Wasserloch ist für den Wucherer gemacht,
und wer mit Fürkauf, Zinsen, großem Zoll
und mit Aufschlägen Fallen hier auslegt,
frech sündigend, wird darin immerfort wehklagen.
Der siebente Käfig ist belastet
von großer Angst, die ewig sich bestätigt.
Da sind verurteilt böse Nonnen, Mönche, Pfaffen,
und alle, die verzweifelt sind
am höchsten Herrn in ihren Sünden.
Der Bann des Käfigs wird sie da bestrafen.

 

Lied 35
Typus und Aufbau: Prosaischer Beichtspiegel.
 
Mein sünd und schuld eu, priester, klag
 

1.
Mein sünd und schuld eu, priester, klag
an stat, der alle ding vermag.
grob, lauter, schamrot, forchtlich das sag
durch andacht nasser ougen
Und hab ein fürsatz, nimmermer
mit vleiss zu sünden, wo ich ker.
diemüetiklich mit willen, herr,
gib ich mich schuldig taugen.
An dem gelouben zweifel ich,
bei gottes namen swer ich vast,
mein vatter und mueter, erenrich
vertragen hab mit überlast.

2.
Raub, stelen, töten ist mir gach
leib, er und guet dem mentschen nach,
banveir, vast tuen ich ungemach,
falsch zeugknus füegt mir eben.
Spil, fremder hab wird ich nict vol,
zoubri, lug, untreu tuet mir wol,
verräterschaft, brand gib ich zol.
hochvertig ist mein leben.
Von geitikait ich selten rue,
spot, zoren, unkeusch ist mir kund,
überessen, -trinken spat und frue,
träg, neidig als der esel und hund.

3.
Die sünd ich haiss, die sünd ich rat,
die sünd ich tuen und leich ir stat
günstlich, nicht understen die tat,
tailhaft an rüglichs melden.
Den blossen hab ich nie erkennt,
armen durst, hungers nie gewent,
krank, tot, gevangen, ellend hend
kain barmung nicht mag velden.
Unschuldigs bluet vergossen han,
die armen leut beswär ich ser.
ich kenn die sünd von Sodoman,
verdienten lon nit halb gewer.

4.
Die weishait gots, vernunft und kunst,
götlicher rat, gots sterk, inbrunst,
götliche vorcht, götliche gunst,
götlich lieb, güet nie kande.
Den priester ich smäch, mein e zerbrich,
mein touf und fiermung übersich,
gots leichnam ich nim unwirdiklich,
ölung, beicht, buess tuet mir ande.
Unwillig armuet, übelhait
treib ich durch zeit verloren,
das gots recht an barmherzikait
ich hass nach gunst mit zoren.

5.
Mein sehen, hören süntlich brauch,
mein kosten, smecken lustlich slauch,
mein greifen gen, gedenkh verdauch
unfrüchtiklich dem herren.
Der himel und erd beschaffen hat,
und was dorinne wonlich stat,
der gab mir Wolkenstainer rat,
aus beichten solt ich leren
Durch mein gesangk vil hoveleut
und mangen ungewissen mentsch,
die sich verierren in der heut,
recht als zu Behem tuent die gens.

6.
Dorumb hab ich die zehen gebot,
die siben todsünd, grosse rot,
die fremden sünd an allen spot
bekannt durch reulich schulde,
Die werk der hailgen barmung rain,
die gab des heilgen gaistes stein,
vier rueffend sünd, fünf sinn verain.
o priester, gebt mir hulde!
Durch hailikait der siben gab
sprecht ablas meiner sünde,
acht sälikait ir nempt mir ab,
das ich gaistlich erzünde.

 

1.
Meiner Sünden, meiner Schuld klag ich mich an
vor Euch, dem Priester, an der Stelle des Allmächtigen.
Ich sag es unverblümt und offen, schamrot, furchtsam,
mit nassen Augen andächtig,
und hab den Vorsatz, niemals wieder
auf meinen Wegen absichtlich zu sündigen.
Demütig und freiwillig komme ich,
bekenne mich als heimlich schuldig:
Am rechten Glauben zweifle ich,
bei Gottes Namen fluch ich oft,
Vater und Mutter, die ich ehren sollte,
hab ich mit Kränkung überladen.

2.
Zum Rauben, Stehlen, Töten neige ich rasch,
begehre Leben, Ehre und Gut von Menschen,
gebotene Feiertage, Fasten breche ich,
ein falsches Zeugnis geht mir leicht vom Munde.
Vom Spiel, von fremdem Gut bekomme ich nie genug,
Vergnügen macht mir Zauberei, Betrug und Lüge,
und trage zu Verrat und zu Brandstiftung bei.
Hoffärtig ist mein Leben,
bei Geiz und Habgier gebe ich selten Ruhe,
Spott, Zorn, Unkeuschheit sind mir wohlvertraut,
Fressen und Saufen übers Maß bei Tag und Nacht,
träg, neidisch bin ich wie ein Esel und ein Hund.

3.
Sünde befehle ich und Sünde rate ich,
die Sünde liebe ich, und ich schenke ihr Raum,
begünstige sie, verhindere nicht, daß man sie tut,
teilhabend schelte ich sie nicht, noch zeige ich sie an.
Den Nackten habe ich nie beachtet,
dem Armen Durst und Hunger nie gestillt,
krank, tot, gefangen, heimatlos -
Barmherzigkeit vermag sich nicht zu zeigen.
Unschuldig Blut habe ich vergossen,
die Armen unterdrücke ich sehr,
ich kenne die Sünde von Sodom,
ich gebe nicht einmal die Hälfte des verdienten Lohnes.

4.
Weisheit von Gott, Vernunft und Einsicht
in den Rat Gottes, Stärke, Innigkeit in Gott,
Furcht Gottes, göttliche Gewogenheit,
göttliche Liebe, Güte lag mir immer fern.
Den Priester verhöhne ich, meine Ehe breche ich,
auf meine Taufe, Firmung achte ich nicht,
den Leib des Herrn empfange ich unwürdig,
zuwider sind mir Ölung, Beichte, Buße.
Erbittert über meine Armut, treibe ich
nur Böses und verschwende meine Zeit.
Ich hasse Gottes Gerechtigkeit, bin unbarmherzig,
und Freundlichkeit erwidere ich mit Zorn.

5.
Mein Sehen, Hören nutze ich zum sündigen,
mein Schmecken, Riechen schlinge ich mit Wollust,
mein Greifen, Gehen, Denken, das vertue ich,
statt Frucht zu tragen für den Herrn,
der Himmel und Erde geschaffen hat
und alles, was darin lebt.
Der gab mir, dem von Wolkenstein, in das Herz,
daß ich durch meinen Gesang in einer Beichte
belehren sollte viele Leute am Hof
und manchen Menschen, der unsicher ist
und sich verirrt in seiner eigenen Haut,
so wie die Gänse in Böhmen.

6.
Darum habe ich die zehn Gebote,
die große Schar der sieben Todsünden,
die fremden Sünden hier bekannt
in ganzem Ernst mit Reue über meine Schuld,
dazu die reinen Werke heiliger Barmherzigkeit,
des Heiligen Geistes Gaben, Edelsteine,
vier himmelschreiende Sünden, die fünf Sinne alle.
Ach, Priester, schenkt mir Gnade!
Bei der Heiligkeit der sieben Sakramente
sprecht mir Vergebung meiner Sünde zu!
Nehmt mein Vergehen gegen die acht Seligkeiten
mir ab, daß ich in Gott entbrenne.

 

Lied 36
Typus: Tischsegen vor und Danksagung nach der Mahlzeit.
 

Gesegent sei die frucht
 

Benedicite

Gesegent sei die frucht,
trank, essen, wein und brot
von got, den mägtlich zucht
gepar für war,
selb dritt ain durch uns laid den tod.
Der immer lebt an end,
ie was an anefang,
sein leiblich speis hie send
uns schir, wen wir
in disem leben werden krank.
Des hilf, frau kron.
kyrieleison,
vater, hailiger gaist
mit deinem sun,
uns gnad vollaist
und nit den feinden gun,
das si uns verlaiten in we.
amen. benedicite.

Gracias

1.
Wol auf, als das zue himel sei,
die minniclichen wonent bei
dem Alpha et O, der eren krei,
und helft uns sagen im den dank
mit süessem englischem gesangk
umb zimlich essen und getrank,
da mit er speist die blödikait
an menschlichem gesind.

2.
Des seistu, frau, an argen hatz
gelobt mit deinem höchsten schatz,
der in dir würckt ain freien platz,
vor dem ich sünder mich beklag,
das ich in elendlicher wag
vil han verzert unnützer tag
in diser snöden zeit so brait,
die mir verlech dein kind.

3.
So ist es laider vil zu spat.
ich ruef in angestlicher wat:
hilf magt mit ganzer trinitat
und las uns nicht der helle vas!
so pistus, frau, der ich genas.
des sing wir deo gracias.
mit frid, rue, herr, alle selen beklaid,
wa sich der glauben erfint. amen.

 

Benedicite

Gesegnet sei die Frucht,
Trank, Speise, Wein und Brot,
von Gott, den – das ist wahr -
jungfräuliche Tugend gebar,
der, als einer drei, für uns erlitt den Tod,
der ohne Ende immer leben wird
und ohne Anfang schon von jeher war;
die Speise seines Leibes sende er
uns bald, wenn wir
hinfällig werden hier in diesem Leben.
Hilf du dazu, gekrönte Königin!
Kyrie Eleison,
Vater, heiliger Geist
samt deinem Sohn,
gewähre uns Gnade,
erlaube nicht den Feinden,
daß sie in das Unheil uns verführen.
Amen. Benedicite.

Gratias

1.
Auf, alles, was im Himmel lebt,
ihr alle, die in Liebe wohnen
beim Alpha und Omega, ihm Ehre zurufen:
Helft uns mit süßen Engelgesang,
ihm den rechten Dank zu sagen
für Speise und Trank zur Genüge,
womit er die Schwachheit versorgt,
die Menschenkindern eigen ist.

2.
Dafür seist du in aller Demut, Herrin,
gelobt samt deinem höchsten Liebsten,
der in dir eine Freistatt schafft.
Vor ihm klage ich mich an, ich Sünder,
daß in der Waagschale der Fremde
ich viele Tage unnütz habe verzehrt
in dieser armen Zeit, die mir
dein Kind so lange schon verliehen hat.

3.
Nun ist es leider viel zu spät.
Ich rufe, eingehüllt in Angst:
Hilf, Jungfrau, mit der ganzen Trinität
und überlaß uns nicht dem Faß der Hölle!
Dann bist du, Herrin, meine Retterin.
Dann singen wir Deo gratias.
Bekleide alle Seelen, Herr, die gläubig sind,
mit Frieden und mit Ruhe! Amen.

 

zu Lied 37

Strophe 1:
*Diese Legende ist sonst nirgends bezeugt. Sie wird den Besuchern in der über der Geburtsgrotte erbauten Kirche folgendermaßen erzählt:
Als ein Sultan kostbare Marmortafeln aus der Kirche wegnehmen wollte, sei eine Schlange gekommen und habe die Tafeln entzweigebissen;
da habe der Sultan sein Vorhaben aufgegeben, die Tafeln aber zeugten noch von der Geschichte.
1409/10 unternahm Oswald eine Pilgerfahrt ins Heilige Land und da dürfte er diese Legende gehört haben.

1/1 Suria ist weiter gefaßt als das heutige Syrien und schließt das Heilige Land mit ein.

 

Lied 37
Typus: Weihnachtslied mit Reminiszenz des Bethlehem-Pilgers.
 

In Suria ain braiten hall
 

1.
In Suria ain braiten hall
hört man durch gross geschelle.
des freunt sich da die frummen all
auf erden und zu helle
Der neuen mär, wie das an swär geporen wär
ein sun von rainer maide.
des wunders ploss gar ser verdross den tiefel gross,
das er von rechtem laide
Prach durch die mauer dick ein kluft,
*als es die alten jehen,
zu Bethlaheme ob der gruft.
die spalt hab ich gesehen.

2.
O reicher got, küng aller reich,
herr, fürste aller herren,
der lebentig, rot auf ertereich,
vergangen und noch werden,
Wie ward die nacht mit armer macht so bol bedacht
durch dein götleiches wunder,
als dich an mail löbleichen gail mit grossem hail
gepar keuschleich besunder
Die schönste junkfrau wolgetan,
als mentsch ie ward erkoren.
die muesst ein ellend herberg han,
do si dich hett geboren.

3.
Ein ochs dem esel, tierlich sipp,
mit freuntschaft tet begegen,
vor den mit fesel stuend ein kripp,
darin muesst si dich legen,
Die dein genas, vor der du sass, ir herr du was,
got, vatter und si dein mueter.
du si beschuef von veiner pruef. si hat den ruef,
du seist, ir kind, sun gueter,
Freuntlich veraint, das ich Wolkhenstain
die lieb nicht kan beklaiden.
götleich gepurt, durch magt mentsch rain,
hilf an dem letzten schaiden.

 

1.
In Suria hört man es weithin hallen
von einem lauten Ruf.
Da freuen sich die Frommen allesamt
auf Erden und in der Hölle
bei dieser neuen Kunde, daß da ein Sohn geboren sei
von einer reinen Jungfrau ohne Schmerzen.
Dies offenbare Wunder ärgerte den großen Teufel
so sehr, daß er aus lauter Schmerz
eine Lücke in die dicke Mauer brach,
*wie die Alten überliefern,
zu Bethlehem über die Grotte.
Die Spalte habe ich selbst gesehen.

2.
O mächtiger Gott, du König aller Reiche,
Herr, Fürst über alle Herren,
über den vielen, die auf Erden leben,
einst lebten und noch kommen werden,
wie wurde doch die Nacht, armselig, wie sie war,
so reich beschenkt durch dein göttliches Wunder,
als dich zu großem Heil in rühmenswerter Freude
ganz einzigartig keusch und ohne Makel
gebar die schönste, die anmutigste Jungfrau,
die je als Mensch zu finden war.
Die mußte, als sie dich geboren hatte,
in einer elenden Herberge sein.

3.
Ein Ochse, stellte freundlich sich zum Esel
Tier zu Tier,
vor ihnen stand eine Krippe voller Spreu;
in die mußte sie dich legen,
als sie von dir entbunden war, vor der du throntest,
du warst ihr Herr, Gott, Vater, sie war deine Mutter.
Du schufest sie von edler Art. Von ihr rühmt man,
du als ihr Kind und guter Sohn seid freundlich nun
mit ihr vereint, so daß ich Wolkenstein
die Liebe nicht beschreiben kann.
Du Gottessohn, durch eine Jungfrau ganz ein Mensch,
hilf bei dem letzten Abschied.

 

Lied 38

Typus: Marienpreis im Ton eines Frühlingsreihens.
Das Lied ist eines der schwierigsten Lieder Oswalds. Übersetzung und Kommentar bieten nicht mehr als den Versuch einer Annäherung.
 

Keuschlich geboren
 

1.
Keuschlich geboren
ain kind so küene
von rainer mait,
das grossen zoren
durch ewig süene
hat erlait.
All unser veind an zal
sein zu mal
schricklich ser erloschen
Von dem kindlein klaine,
sein raine
lauter vein gedroschen.
Der selben plueder freut eu brueder,
seid ein mueder hat die lueder zue geschockt,
suess gelockt
uns zue dem raien. maien zier hat er gewalt,
Und aller freude übergeude,
würzlin, kreude, laub, gesteude, pluemen spranz,
disem tanz
mag nicht geleichen. weichen vor des raien schalt!

2.
Ain weib, ain dieren,
ain maid und fraue
des kinds genas.
Wer kan volzieren
so genaue
des degens vas
Das er im selb erwelt?
als ein held
frischlich er daraus sprank,
an sorg, we, sunder mail,
so gar gail.
des hab er immer dank.
Des grossen wunder freut eu munder,
seid ain zunder bracht besunder feuers flünt,
unerzünt.
wer hat die macht bedacht, der alle ding vermag?
Des freu dich immer in dem zimmer,
da kein wimmer, trauren, timmer nie hin kam!
nicht enscham
dich, rain figur, der kur von dem, der in dir lag!

3.
Wer mag durchgründen
die abenteuer
von dem jungen
aus der erzünden
mit gaistes feuer?
nie gedrungen
wart seiner werke spür
durch kain tür
so weit volkomner gab
Unzälich aus der mass.
sein tuen, lass
gerecht an widerhab.
gerüemt der steren! dein geperen
und das meren sterbens geren uns ze trost
hat erlost
mit deiner früchte güfte von dem höchsten poum,
Die von dem zoren was verloren,
das ain doren stach das koren deiner sat,
die du jat.
aus deinem garten warten sei wir gnaden goum.

 

1.
Von reiner Jungfrau
keusch geboren,
ein Kind, so kampfbereit,
das großen Zorn
zu ewiger Versöhnung
gestillt hat.
Alle unsere Feinde, übermächtig,
sind auf einmal
erschreckt, ihr Feuer ausgelöscht
von diesem kleinen Kind,
sind allesamt
kurz und klein gedroschen.
Über solch Gestöber freut euch, Brüder,
da nun eine Mutter uns Lockspeisen angerichtet,
süß uns eingeladen hat zum Reigentanz.
Dem ist alle Maienschönheit eigen,
und, was alle Freuden überjubelt,
Kräuter, Pflänzlein, Laub und Stauden, Blumenpracht
können sich mit diesem Tanz nicht messen,
müssen vor des Reigens Schwung zurückstehn.

2.
Eine Frau, ein Mädchen,
Jungfrau und Herrin,
gebar das Kind.
Wer kann vollständig
und genau genug
die Schönheit des Gefäßes rühmen,
das der Knabe sich erwählt hat?
Wie ein Held
sprang er munter daraus hervor,
ohne daß sie Sorgen, Schmerz und Makel litt,
kampfesfroh.
Dafür sei im immer Dank!
Über diese großen Wunder freut euch lebhaft,
daß ein Zunder unvergleichlich ohne einen Funken
einen Feuerstein hervorgebracht hat.
Wer hat je genug bedacht, was der Allmächtige kann?
So freue dich nun immer in dem Saal,
in den nie Trauern, Weinen und nie Dunkles drang!
Schäm dich nicht, du reine Gestalt,
daß du von dem, der in dir lag, erwählt bist.

3.
Wer kann ausloten
die erregende Geschichte
von dem Knaben, der aus ihr kam,
die entbrannt war
von des Geistes Feuer?
Wer seinen Werken nachspürt
ist noch nie gedrungen
durch eine Tür, so weit sie auch
für seine reichen Gnadengaben,
die unermeßlich-ungezählten, offen steht.
Sein Tun und Lassen
ist gerecht und ohne Widerhaken.
Preis sei dem Stern! Daß du den geboren und
ernährt hast, der uns zum Trost den Tod begehrte,
das hat mit dem Schrei deiner Frucht
vom höchsten Baum herab diejenige erlöst,
die wegen seines Zorns verloren war,
bis ein Dorn das Saatkorn stach,
das du gehegt hast.
Aus deinem Garten hoffen wir Gnade zu schmecken.

 

Lied 39
Typus: Marienpreis mit Motiven aus Tagelied und Minnewerbung.
 

Es leucht durch grau die fein lasur
 

1.
Es leucht durch grau die fein lasur,
durchsichtiklich gesprenget.
plick durch die prau, rain creatür,
mit aller zier gemenget!
Preislicher jan, dem niemant kan nach meim verstan
plasiniren neur ain füesslin,
an tadels mail ist sie so gail. wurd mir zu teil
von ir ain freuntlich grüesslin,
So wär mein swär auf ringer wag
volkomenlich geschaiden,
von der man er, lob singen mag
ob allen schönen maiden.

2.
Der tag scheint gogel- leichen hel,
des klingen alle auen,
darin mang vogel reich sein kel
zu dienst der rainen frauen
Schärpflichen bricht, süesslichen ticht und tröstlich flicht
mit strangen heller stimme.
all plüemlin spranz, des maien kranz, der sunnen glanz,
des firmaments hoch klimme
Dient schon der kron, die uns gepar
ein frucht keuschlich zu freuden.
wo ward kain zart junkfrau so klar
ie pillicher zu geuden?

3.
Das wasser, feuer, erd und wind,
schatz, kraft der edlen staine,
all abenteuer, die man vindt,
gleicht nicht der maget raine,
Die mich erlöst, täglichen tröst. si ist die höst
in meines herzen kloster.
ir leib so zart ist unverschart. ach, rainer gart,
durch wurz frölicher oster
Ste für die tür grausleicher not,
wenn sich mein haupt wirt senken
gen deinem feinen mündlin rot,
so tue mich, lieb, bedenken!

 

1.
Es strahlt durch Grau das feine Azurblau,
durchschimmernd eingesprengt.
Blick durch die Wimpern, du reines Geschöpf,
bedacht mit aller Schönheit!
Preiswertes Garbenfeld, dem niemand, wie ich weiß,
auch nur ein Füßlein richtig blasonieren kann
so ohne Makel herrlich ist sie, würde mir von ihr
ein kleiner freundlicher Gruß geschenkt,
mein schweres Leid, es wöge leicht
und wäre ganz von mir genommen
durch sie, der man vor allen schönen Mädchen
Lob und Ehre singen kann.

2.
Der Tag erglänzt fröhlich und hell,
darum tönt es in allen Auen,
wo all die Vögel ihre vielfältigen Stimmen
im Dienste dieser reinen Frau
fein kolorieren, süß erfinden, tröstlich flechten
aus Bändern heller Melodien.
Das Sprießen der Blumen, die Bekränzung des Mai, der Glanz der Sonne
und das hohe Dach des Firmaments,
das alles dient schön der Krone, die uns zur Freude
keusch eine Frucht geboren hat.
Wo gab es je ein anmutig strahlendes Jungfräulein,
dem man mit mehr Recht zujauchzen wollte?

3.
Wasser und Feuer, Erde und Wind,
Wert und Kraft der Edelsteine
und alle Wunderdinge auf Erden,
sie können nicht der reinen Jungfrau gleichen,
die mich erlöst, mir täglich Hoffnung gibt. Sie ist die Höchste
in meines Herzens Klause.
Ihr lieblicher Leib ist unversehrt. Ach, reiner Garten,
um des Heilkrauts froher Ostern willen
verstelle der schrecklichen Not die Tür,
und wenn mein Haupt sich neigen wird
zu deinem feinen roten Mündlein hin,
dann, Liebste, gedenke mein!

 

Lied 40
Typus: Gottespreis.
 

Der oben swebt und niden hebt
 

1.
Der oben swebt und niden hebt,
der vor und hinten, neben strebt
und ewig lebt, ie was an anefange,
Der alt, der jung und der von sprung
trilitz gevasst in ainlitz zung
an misshellung mit unpegrifner strange,
Der strenklich starb und was nicht tot,
der keuschlich ward enpfangen und an alle not
geporen rot, weiss durch ein junkfrau schöne,
Der manig wunder hat gestift,
die hell erbrach, den teufel ser darin vergift,
getult, geschift all wurz durch stammes tröne,

2.
Dem offen sein all herzen schrein,
grob, tadelhaftig, swach. guet, vein,
das er darein sicht allerlai gedenke,
Dem tuen und lan ist undertan,
die himelsteren, sunn, der man,
der erden plan, mentsch, tier, all wasserrenke,
Aus dem all kunst geflossen ist,
von dem, der aller creatur durch spächen list
zu jeder frist ir zierhait wirkt, schon eusset,
dem alle tier, zam und auch wild,
hie dankper sein, das er den samen hat gepildt
der narung milt, gar waidenleich vergreusset,

3.
Der himel, erd gar unversert
hat undersetzt an grundes herd,
das wasser kert darin durch fremde rünste -
der wunder zal vil tausend mal
wär mer zu singen überal
mit reichem schal, so hindern mich die künste, -
Der mir die sel klar geben hat,
leib,er und guet, vernuft und cristenliche wat:
der geb mir rat, das ich im also danke,
Damit ich all mein veind verpau
paid hie und dort, damit mich kainer nicht verhau.
o keuschlich frau, dein hilf mir darzu schranke!

 

1.
Der oben schwebt und unten trägt,
der vorne, hinten, an den Seiten stützt,
der ewig lebt und immer ohne Anfang war,
der alt und jung ist und vom Ursprung her
dreifältig in ein einziges Wort gefaßt
in unbegreiflicher Verflechtung ohne Widerspruch,
der schmerzvoll starb und doch nie tot war,
der keusch empfangen wurde und ohne Schmerzen
als blühendes Kind geboren von einer schönen Jungfrau,
der viele Wunder gestiftet hat,
die Hölle aufbrach, den Teufel in ihr vertilgte,
der allen Wurzeln Dolden, Stengel gab durch Stammsaft,

2.
dem offenstehen die Kammern aller Herzen,
der bösen, fehlerhaften, schwachen, guten, edlen,
so daß er jeden Gedanken in ihnen sieht,
dem Tun und Lassen unterworfen sind,
die Himmelssterne, Sonne, Mond, die weite Erde,
die Menschen, Tiere, alle Wasserströme,
von dem alle Kunst und Weisheit ausgeht,
der jeder Kreatur mit feinem Sinn
fortwährend ihre Schönheit schafft, sie herrlich zeigt,
dem alle Tiere hier auf Erden dankbar sind,
die zahmen und die wilden, daß er freigebig schuf
den Samen für die Nahrung und ihn köstlich ausstreut,

3.
der Himmel, Erde ohne gründenden Boden
ganz unverletzbar unterfangen hat und im Erdreich
das Wasser auf geheimnisvollen Wegen rinnen läßt
- es gäbe von der Fülle der Wunder überall
vieltausendmal mehr zu singen, laut und prächtig,
doch reicht dafür nicht meine Kunst, -
der mir gegeben hat die lichte Seele, den Leib,
Ehre und Besitz, Vernunft und das Kleid eines Christen:
der helfe mir, ihm so zu danken,
daß ich vor allen meinen Feinden sicher wohne
so hier wie dort, daß keiner mich zerschlage.
O keusche Herrin, gib deine Hilfe mir dazu als Schild!

 

Lied 41

Typus: Sündenmahnung mit Elementen der Zeitklage, inszeniert als Wächterlied mit Tagelied-Anklängen.
Strophe 1/5: Mit dem Löwen ist hier der Teufel gemeint, vgl. dazu 1. Petrus 5/8
 

Wol auf und wacht, acht, ser betracht
 

1.
Wol auf und wacht, acht, ser betracht
den tag, die nacht eur fräveleiche sünde,
das sich die selbig nicht erzünde
tiefflich in der helle gründe!
ritterlich vecht mit den leuen!
für ir peissen und das keuen,
für ir reissen scharpfer kleuen
reuen ser durch nimmer preuen
lass dich pei den gueten treuen
gen dem alden und dem neuen,
wo wir die und den erzürnet han.

2.
Gesell, dich weck, reck, ranslich streck
dich auf und schreck den, der uns neur wil verhetzen,
unser dienst swachlich ergetzen
falschlich pei den snöden smetzen,
die wir im gelihen haben,
damit er uns wil pegaben.
paide frauen und die knaben,
schaben aus den engen naben
süll wir, flüchtikleichen traben,
das wir uns schön mügen laben
mit der höchsten pluemen lobesan.

3.
Los, hör mein don! schon, dient den lon
von ainer kron, die uns mit scharfen doren
swärlich erlost von dem zoren,
der ewigen helle horen,
die uns fraislich het verslunden,
ser gevangen und gepunden;
mit den zorniklichen hunden,
funden trauren het wir unden.
das hat alles überwunden
ainer, der da ward geschunden
und genagelt auf des creutzes pan.

4.
Ir horcht mich sain. rain ich eu main.
neur ja und nain beschaid ich uns der märe
getreulichen an geväre.
unsre wort, werk und gepäre
mich Wolkenstainer verseret,
dorumb, das sich teglich meret
alles, das die werlt enteret.
geret wert neur, was uneret,
falscher rat die untreu leret,
pös in pös sich nicht verkeret.
dorumb fürchtet gotes zorn ergan!

5.
Vernempt mein schal, hal überal,
auf perg, in tal, durch meines herzen schreien:
dient dem einen und den dreien,
damit das er uns welle freien
von des widervalles schiessen,
also das wir doch geniessen
hoher gnaden, die entspriessen,
und das uns nicht well vergriessen
nach verdienen haisser läne ran.

 

1.
Nun auf, erwacht, seid achtsam und bedenkt genau
bei Tag, bei Nacht euer freches Sündenleben,
daß es nicht zum Brennen komme
tief unten im Abgrund der Hölle!
Ritterlich kämpft mit dem Löwen!
Gegen ihr beißen und ihr malmen,
gegen das Reißen ihrer Krallen
laß es dich, um es nie mehr zu treiben,
tief reuen bei den Guten, Wohlgesinnten
vor dem Alten und dem Jungen,
wo wir sie und ihn erzürnt haben!

2.
Freund, ermuntere dich, reck, dehne, streck dich hoch!
Verschrecke den, der uns nur auf den falschen Weg
will hetzen, unsere Dienste schlimm belohnen wird,
tückisch in den bösen Küssen,
die wir ihm geliehen haben
und die er uns wiedergeben will!
Ihr Damen alle und ihr Burschen,
rausspringen sollen wir aus den engen Löchern,
flüchtend laufen,
daß wir uns dann schön erquicken können zusammen
mit der obersten Blume, die gepriesen sei.

3.
Horch, hör mein Lied! Dient eifrig um den Lohn
der Krone, die mit ihren scharfen Dornen
uns mühsam aus dem Zorn erlöst hat
und von den Hörnern der ewigen Hölle,
die uns gräßlich verschlungen hätte,
eingefangen und gefesselt;
drunten bei den wütenden Hunden
hätten wir nur Leid erfahren.
Das hat alles abgewendet
einer, der gemartert wurde
und genagelt an den Baum des Kreuzes.

4.
Ihr hört mir träge zu. Ich mein es mit euch aufrichtig.
Ich sage uns nichts als ja und nein, sage es, wie es ist,
getreulich ohne böse Absicht.
Unsere Worte, Werke, unser Gebaren
schmerzen mich, den Wolkensteiner,
darum, weil sich täglich mehrt
alles, was der Welt nur Schande macht.
Geehrt wird nur, was Unehre bringt,
falscher Rat lehrt die Untreue,
bös bleibt bös und kehrt sich nicht zum Guten.
Darum fürchtet, daß Gott seinen Zorn vollstreckt.

5.
Vernehmt mein Singen, wie es überall tönt,
über Berge, Täler, weil es aus meinem Herzen schreit!
Dient dem Dreieinen,
daß er uns befreien wolle
von den Pfeilen eines Rückfalls,
daß wir doch noch empfangen dürfen
große Gnaden, die da wachsen,
und daß uns nicht verschütten wolle,
wie wir es verdienten, heißer Lawinen Schwall.

 


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