Der Goldfisch und die Nachtigall
Ein Goldfisch, dessen gläserner Kerker
Dem Bauer einer Nachtigall
Zur Seite hing in Phanors Erker,
Erhob bei ihrer Hymnen Schall
Den Kopf aus seiner nassen Sphäre.
"Freund," rief die Nachbarin ihm zu,
"Du singst nicht; warum bist denn du
Hier eingesperrt?" — "Zu dieser Ehre
Verhalf mir meines Rockes Pracht,"
Sprach er; "du kennst die Zaubermacht
Des Goldes auf des Menschen Seele." —
"Ja so," versetzte Philomele;
"Allein, ist denn dein Rock von Gold?" —
"Nicht doch! sonst wär' ich längst geschunden." —
"Was hat man denn damit gewollt?" —
"Man hat ihn schön und rar gefunden,
Weil er dem Gold an Farbe gleicht;
Wär er, wie deiner, braun, vielleicht
Würd' ich mich noch im Ganges wiegen." —
"Ach!" fiel die Sängerin ihm ein,
"Warum hab' ich nicht stets geschwiegen?
So könnt' ich noch im Freien fliegen."
Jawohl; um nicht verfolgt zu sein,
Muß man in dunkler Stille leben,
Und sich durch kein Verdienst erheben.
Die Kaninchen und die Wölfin
Eine Wölfin, unglücksschwanger
Streifte sie durch Feld und Hain,
Brach in den Kaninchenanger
Eines öden Burgstalls ein.
Friedsam, in verborgner Stille,
Lebte hier die Kolonie,
Und genoß in reicher Fülle,
Was ihr die Natur verlieh.
Plötzlich floh der sichre Friede.
Schrecken, Graus und Untergang
Zogen mit der Eumenide,*
Als sie in die Festung drang.
Zwar des Völkchens Kellerstuben
Schützten es; doch Hungersnot
Rief sie kaum aus ihren Gruben,
Ach! so fanden sie den Tod.
Täglich wuchsen ihre Plagen.
Große straft kein Halsgericht,*
Und der Schwachen Unschuld Klagen
Hört oft selbst der Himmel nicht.
"Brüder, laßt mich für euch sterben!"
Rief zuletzt mit Römermut
Flink, ihr Hetmann; "Vom Verderben
Rettet euch vielleicht mein Blut.
Bis auf eine dünne Rinde
Höhlt mir den bewachsen Grund."
Sprach's. Vom Greise bis zum Kinde
Schanzet alles an dem Schlund.
Kaum erreicht er Brunnentiefe,
Als der Held das Dach besteigt,
Und sich stellt, als ob er schliefe,
Bis die Mörderin sich zeigt.
Grinsend kommt sie hergesprungen;
Flink entwischt, die Gruft stürzt ein,
Und das Untier wird verschlungen.
Auch die List kann Tugend sein.
*Eumenide,
griech. beschönigender Name für die Erinnyen,
die Rachegöttinnen der griechischen Unterwelt.
*Halsgericht
oder Hochgericht, seit dem 13. Jahrhundert ein
Gericht,
das über Leben oder Tod des Angeklagten bei schweren
Verbrechen
zu urteilen hatte; später Ausdehnung der
Zuständigkeit auf alle Strafsachen.
Der Hummer
Ein Krebs, nicht weit vom Ozean
In einem kleinen Bach geboren,
Traf, in Betrachtung einst verloren,
Am Ausfluß einen Hummer an.
Er wich zurück; vor einem Sterne
Der ersten Größe stehet man
In einer ehrfurchtsvollen Ferne.
Doch bald wird seine Furcht verbannt.
Dreist, wie Bellerophon Chimären,
Betrachtet er ihn unverwandt,
Zumal die ungeheuren Scheren.
Jetzt wagt er's näher hin zu gehen:
"Sei mir gegrüßt, erlauchter Ahne!
Mich freuet höchlich dich zu sehn." —
"Wie?" rief im Ton der Großsultane
Der Bürger der gesalznen Flut,
"Seit wann erhob der Übermut
Dich, Zwerg, zu meinem Anverwandten?" —
"Je nun," Sprach dieser zum Giganten,
"Ich mag vom Kopfe bis zum Schwanz
Dich mustern, so erscheinst du ganz
Als Krebs vor meinem Späherblicke;
Nur daß du stärker bist als ich." —
"Wie frech! was hält mich, daß ich dich,
Du Wurm, zur Probe nicht erdrücke?" —
"Pfui!" sprach der Zwerg, "dann wärst du doch
Nicht mehr als ich," Er sprach's und kroch
Wohlweislich in sein Loch zurücke.
Die Gemse und das
Murmeltier
Zur Gemse sprach das Murmetier:
"Wenn du dich so von Klippe auf Klippe
Umherschwingst, sieh, so schwindelt mir;
Mich dünkt, du springest in der Hippe
Des Todes." — "Freund, mir ist nicht bang;
Es ist mein gewohnter Gang,"
Versetzt die Gems. —"Ei was! ich wette,
Du brichst mit nächstem das Genick;
Du tust, als wenn dich das Geschick
Mit Flügeln ausgerüstet hätte." —
"Die habe ich," sprach zum armen Wicht
Die Gems, "allein du siehst sie nicht."
So könnte in der Tat in unsern Tagen
Oft das Genie vor dem Gericht
Der scheelen Aristarchen sagen:
Ihr sehet meine Flügel nicht.
Der Löwe und der
Elephant
Vom Perser Schach war König Leu
Einst mit dem Elephanten
Gefangen und zur Sklaverei
Verdammt. Bei Kronverwandten
Trug sich der Fall wohl eher zu;
Die Herren haben keine Ruh,
Ihr Zeitvertreib ist balgen.
Ein Felsenhaus verschloß das Paar,
Mit dichtem Erz vergittert.
Kaum nimmt der Leu den Kerker wahr,
So schäumet er und wittert
Wie Zeus, wenn er den Erdball schilt,
Und auf das bebende Gefild
Die Donnerkeile schleudert.
Allein, umsonst ist seine Wut,
Gestumpft sind seine Zähne,
Der wunden Stirn entströmt das Blut
Auf die gesträubte Mähne.
Der Elephant sah königlich
Auf ihn herab. "Du jammerst mich,"
Sprach er, "du kannst nur herrschen."
Der Marder und der
Kater
Ein Marder stahl sich in ein Hühnerhaus;
Die Kolonie entfloh. Ein Nest voll Eier
Entschädigte den Dieb; er sog sie aus,
Und schlich davon. "Verdammtes Ungeheuer!"
Rief ihm ein Kater nach; "nein, das ist unerhört;
Ein kommendes Geschlecht hast du im Keim zerstört.
Unsichtbar lag ein Huhn in jeder Schale,
Und das verschlangst du, Kannibale!"
Der Nachbar hörte still dem Nathan zu;
Jetzt unterbrach er ihn: "Nur eins hast du vergessen:
Ich soff die Eier aus, die Hühnchen hättest du,
Herr Bruder, seiner Zeit gefressen."
Die zwei Hirsche
und der Wolf
Bei Menschen nicht allein,
Auch bei Wild im Hain
Ist Eifersucht die Quelle
Erbitterter Duelle.
Einst balgten sich voll Wut
Um eine schlechte Dirne
Zwei Hirsche bis aufs Blut.
Nichts glich an Aug und Stirne
Dem Abgott ihrer Glut.
Auch kämpfte mit Achillen
Im troischen Gefild
Um Frau Helenens willen
Fürst Hektor kaum so wild,
Als eines Schmaltiers wegen
Die zwei verliebten Degen.
Sie kannten sich nicht mehr,
Und schlugen wie die Toren
So lang sich um die Ohren
Mit ihrem Horngewehr,
Bis die verschränkten Zacken
Fest ineinander staken
Und jeder selbst sich fing.
Nun sträubten sie den Nacken,
Ihr toller Grimm verging,
Sie rangen um die Wette
Nach Freiheit; doch die Kette,
Daran, wie Klette an Klette,
Ihr Ich zusammen hing,
War gar nicht los zu bringen.
Jetzt eilt ein Wolf heran,
Den Kämpfern beizuspringen:
Er fletscht seinen Zahn,
Und wie Held Alexander
Den Knoten einst zerhieb,
Riß sie der Lämmerdieb
So glücklich auseinander,
Daß vom Athletenpaar
Im blutgetränkten Haine
Bald nichts mehr übrig war,
Als rauchende Gebeine.
Die Unterhändler
Schach Löwe stritt mit Sultan Leopard
Um einen Wald. Der Streit war lang und hart,
Bis endlich doch dem Schach das stete Blutvergießen
Ein bißchen lästig fiel. Nun ward der Fuchs ernannt,
Um mit dem Leopard den Grenzverein zu schließen.
"Du bist," sprach der Monarch, "ein schlauer Fant,
Und wirst mit aller Kunst ihn zu betrügen wissen." —
"Das geht nicht an," sprach er, "wähl einen andern Rat,
Herr König, denn durch mich wird das Geschäft verdorben." —
"Wieso?" versetzt der Schach. — "Ei," sprach der Diplomat,
"Ich habe mir als Schelm, zu großen Ruhm erworben."
Der junge Fuchs
Ein Fuchs, den erst vor wenig Tagen
Sein Vater mündig sprach, ging auf den Anstand aus,
Und brachte zum Beweis für sein Talent zum Jagen
Ein fettes Rebhuhn mit nach Haus.
Der Sieg macht stolz; der junge Nimrod glaubte
Bereits der erste Held des Waldes zu sein.
Und trotz des Vaters Rat zog er nun stets allein
Auf Kapereien aus und raubte
So kühn, so frech beim hellen Sonnenschein,
Daß er den ganzen Gau in Furcht und Schrecken setzte,
Indes der Vater stets mit schlauem Vorbedacht,
Und immer nur bei dunkler Nacht,
Der Bauern Hausgeflügel hetzte.
Einst lenkte dieser seinen Lauf
Nach einem Meierhofe. Der kecke Knappe
Schleicht unbemerkt ihm nach. Jagt er ein Wildbret auf,
Denkt er, so spring' ich flugs herbei und schnappe
Den Fang ihm vor der Schnauze weg.
Der Alte blieb auf einem Steg,
Der auf ein Hofgut stieß, ein Weilchen stehen;
Dann zog er hastig weiter fort.
Der junge Hannibal betrat nun auch den Ort
Und stutzte. "Hab' ich recht gesehen?"
Rief er auf einmal aus. "Jawohl, beim großen Pan!
Dort schläft ein weißer Puterhahn,
Geduckt im mondbestrahlten Grase.
Ei, ei! wo hatte nur Papachen sein Gesicht,
Und seine hocherfahrne Nase?
Doch mir entwischt die Beute nicht."
Er fällt darüber her. Mit einem lauten Knalle
Springt eine Feder los, die ihm ein Bein zerbricht.
"Ach Vater!" seufzt der arme Wicht,
"Ich sah den Köder, du die Falle."
Die Ameise und die
Grille
"Ei, singe, singe, singe nur!"
So schmäht, auf der schon kahlen Flur,
Im ernsten Tone der Sybille,
Die Ameis' auf die frohe Grille.
"Bald ist der Winter vor der Tür,
Und dann?" — "Ei nun, dann sterben wir,"
Versetzt die Grille: "du mit Jammer
In deiner vollen Speisekammer;
Ich, nach genoss'nem Freudenmahl,
Mit Lobgesang im leeren Saal."
Der Löwentrabant
Des Leuen ungeratner Sohn
Trieb durch das Volk, das er verführte,
Den alten Vater von dem Thron,
Auf den er wie Saturn regierte.
Indes ließ ihm der Absalon
Die Freiheit, sein Exil zu kiesen.*
Als er vom Hof entwich, verkroch
Der Schranze sich, der gestern noch
Ihn laut als einen Gott gepriesen.
Selbst seine Vettern flohen ihn;
Der Dogge zwar blieb ihm zur Seite,
Doch gab er bloß ihm das Geleite
Bis vor die Burg und ließ ihn ziehn.
Der Löwe sah die Sklavenseele
Erbarmend an; er drang allein
In einen dunklen Palmenhain,
Und las sich eine Felsenhöhle
Zur Wohnung aus. Ein Vöglein,
Das, als er auf dem Throne lebte,
Ihn schon, doch unbemerkt, umschwebte,
Und schweigend ihm gefolget war,
Bot nun sich seinem Auge dar.
"Wie!" rief der Leu mit einer Zähre:
"Mein kleiner Freund, du folgtest mir?
Warum?" — "Weil ich," sprach er, "in dir
Den Weisen, nicht den Sultan ehre."
Auch uns, wenn in den Friedenshain
Wir, nach vollbrachter Pflicht, allein
Und oft misskannt, entweichen müssen,
Begleitet solch ein Vögelein;
Es heißt: ein freudiges Gewissen.
*kiesen
mhd. für gewahren, sehen oder erwählen.
Der Strauß und das
Eichhorn
"Verkehrte Welt, du bist dem Ende nah!
Der Vierfuß flieget, trotz den Vögeln,
Und ich, der Vögel Fürst, muß längs der Erde segeln."
So rief ein Strauß, als er ein Eichhorn sah
Behend von Baum zu Baum sich schwingen.
"Dir Gaukler," fuhr er fort, "dir hilft (mit rechten Dingen
Geht es unmöglich zu) gewiß der Urian." —
"Ei, schönen Dank für deine Komplimente!"
Versetzt der hüpfende Kumpan.
"Man darf kein Zauberer sein, um nicht wie Gans und Ente
Und (hier gesagt, wir sind allein)
Wie du, Herr Flügelmann, am Boden hin zu schweben.
Du siehst es, besser ist's, um sich empor zu heben,
Klein und gewandt, als groß und plump zu sein."
Das Tierstück
Ein Freund von Tiergemälden war
Der Wildgraf Max. Einst mußte gar
Ihm Dietrich einen Esel malen.
Der Künstler ließ für seine Müh'
Achthundert Gulden sich bezahlen.
Entzückt sah Grauchen das, und schrie
So laut, als horchten beide Welten:
"Achthundert Gulden die Kopie!
Was muß nicht erst das Urbild gelten!"
Der junge Hase
Mit ernstem Schritte, wie der Held
Von Mancha, kam ein junger Hase
Nach Haus, und seine wunde Nase
Schien laut zu rufen: Staune Welt!
"Du blutest Neffe?" sprach ein Greis
Zu ihm, "was hat sich zugetragen?" —
"Je nun! ich habe mich geschlagen,"
Versetzt er, "und der Kampf war heiß."
"Was!" rief die ganze Sippschaft aus,
"Geschlagen? Wie? mit welchem Feinde?
Mit einem Hund?" — "Ach liebe Freunde,
Mit einer ungeheuren Maus."
Der Kapaun
Die Vögel gingen vormals auch
Auf Schulen; ihre Professoren
Erwählten stets, nach Landesbrauch,
Der Aar im Rate der Ephoren.
Einst ging ein Lehrstuhl auf; da trat,
Im ersten Glied der Postulanten,
Auch ein Kapaun vor den Senat,
Und mit dem Stolze des Pedanten
Sprach er: "Wo hat ein Kandidat
Mehr Recht zur Pädagogenwürde
Als ich? Mich überhebt mein Stand
Des Ehejochs, der Vaterbürde;
Er heißt mich jedes fremde Band
Als Fessel meiner Tatkraft fliehen,
Und" . . . "Wie!" fiel ihm der Adler ein,
"Du kannst, sagst du, nicht Vater sein,
Und willst doch andrer Kinder ziehen?
Nein; guter Freund, das geht nicht an!
Wir würden uns zur Fabel machen.
Am besten taugst du für den Hahn,
Um seine Weiber zu bewachen."
Der kranke Tiger
Ein Tiger lag, zwar alt, doch gar nicht lebenssatt,
Voll Schwermut an des Grabes Schwelle.
Der Pavian, sein Hippokrat,
Verschrieb ihm eine Kur von der Gazelle
Gewürzter Muttermilch. Der Patient
Befahl dem Arzt, die Amme vorzuladen.
Er sucht und findet sie. Nach einem Kompliment
Von seines hohen Gönners Gnaden
Trägt er ihr seine Botschaft vor.
Sie hört ihn ruhig an. "Darf ich ein Wörtchen fragen?"
Sprach sie zuletzt. –"Bin lauter Ohr." —
"Hat dein Patron in seinen alten Tagen
Noch Klauen?" — "Allerdings!" — "Auch Zähne?" —
"Wie mir scheint,
So kann ihm höchstens Einer fehlen." —
"Gut, daß ich's weis. Ade, mein Freund,
Sag' ihm, ich lasse mich empfehlen."
Die Bescheidenheit
"Ich bin kein Sänger, meine Kehle,"
So sprach zur Nachtigall der Pfau,
"Ist, deutlich zu sagen, etwas rau." —
"Ich bin," versetzte Philomele,
"Nicht schön, drum ist die Einsamkeit
Mein Wohnsitz." — "Die Bescheidenheit,"
Rief Pallas Vogel, "macht euch Ehre.
Allein, wie würde es um sie stehn,
Wenn Fräulein Philomele schön
Und Junker Pfau ein Sänger wäre?"
Die Turteltaube, die
Dohle und der Weih
Zwei Ariadnen, eine Turteltaube
Und eine Dohle, hauchten ihren Schmerz
In den vertrauten Schoß der himmelhohen Laube
Des Waldes aus. Der Dohle schwoll das Herz
Von wildem Ingrimm, sie verfluchte
Den Gatten, der so schändlich sie verließ.
Der Taube Gram war schmelzend; sie versuchte
Den Falschen, der auch jetzt noch ihr Geliebter hieß,
Vom Schicksal still zurück zu flehn.
"Ihr rührt mich" rief ein Weih den beiden Witwen zu;
"Doch tröstet euch, ich kann es rächen.
Wo find ich sie? Ich will den Mördern eurer Ruh
Fürs erste bloß die Hälse brechen." —
"Auf jener Ulme thront mein Bösewicht,"
Versetzt die Dohle; "schone meiner nicht!
Doch laß mir ja sein Kebsweib nicht entwischen!
Ihr Blut muß sich mit seinem Blute mischen."
Das Täubchen schwieg. — "Wo hauset," sprach der Weih,
"Dein Ungeheuer?" — "Spare deine Fragen.
Ich weiß es nicht. Doch sei er, wo er sei!
Wenn ich es wüßte, würd' ich es nicht sagen."
So sprach es und ergriff die Flucht;
Ihm graute vor dem Hühnerdiebe.
Der Dohle Schmerz war Eifersucht,
Der Gram des Täubchens wahre Liebe.
Die Mücke
Ein Sperling flog erbost nach einer Mücke;
So hetzt ein Kater eine Maus.
Sie wich bald rechts, bald links ihm aus,
Und fand zuletzt, zu ihrem größten Glücke,
Ein offenes Fensterchen in einem Bauernhaus.
Noch dankte sie mit Zittern dem Geschicke
In ihrem rauchigen Asyl,
Als eine ungeheure Spinne,
Gleich einer wütenden Erynne,
Mit ihrem Garn sie überfiel.
Und hätte nicht mit einem Besen
Die Wirtin flugs das Ungetüm zerdrückt,
Das sie von ungefähr erblickt,
Die Mücke wär' ein Kind des Todes gewesen.
Der Schrecken trieb sie weiter fort;
Sie ward ein Schloß gewahr, nach dem sie steuerte.
Hier fand sie einen sichern Port,
Weil eben der Patron sein Brautfest feierte.
Sie drang in einen Marmorsaal,
Wo fünfzig Gäste schmausten,
Und weder Spatz noch Spinne hausten.
Auch sie nahm teil am fetten Mittagsmahl,
Und faßte den Entschluß, befreit von Angst und Plagen,
Auf immer ihr Gezelt hier aufzuschlagen.
Die Nacht brach ein. Ein Leuchter senkte sich
Als ein kristallner Baum hernieder.
Mit einem Glanz, der kaum der Sonne wich,
Erhob er sich als Sternenkrone wieder.
"Ach," rief die Mücke, "lügt mein Auge nicht?
Nein, nein, wohlan, ich muß an diesem Strahlenherde
Mich wärmen." Gaukelnd naht sie sich dem Kerzenlicht,
Stürzt rasch hinein und fällt zur Erde,
Versengt vom falschen Element.
Die schrecklichste Gefahr ist die, die man nicht kennt.
Der alte Hirsch
Ein alter Hirsch von vierzig Enden
Der Patriarch des Hains, aus dessen Lenden
Ein ganzes Volk entsprossen war,
Lag einst im weichen Gras, vom Hochgesträuch umgeben,
Und wiederholte seiner Enkel Schar
Fein wortreich, wie man denkt, was sich in seinem Leben
Von fünfzehn Lustern, Jahr für Jahr,
Mit ihm und andern zugetragen.
"Da, Kinder, war es gute Zeit!"
Rief er. "In jenen frohen Tagen
Genossen wir, in frommer Einigkeit,
Das höchste Gut, die Sicherheit.
Noch wurde Berg und Tal nicht von dem Rohr erschüttert,
Das Elefanten fällt und Pinien zersplittert,
Das aus der Ferne Donnerkeile speit,
Und" — "Trauter Großpapa! du hast noch nicht erzählet,"
Fiel ihm ein Enkelsohn ins Wort,
"Warum dein rechtes Ohr dir fehlet." —
"Je nun, ein Windspiel hat," so fuhr der Alte fort,
"Vor dreißig Jahren abgebissen;
Dagegen hab ich ihm den Ranzen aufgerissen." —
"Und hier die breite Naht auf der enthaarten Brust,
Wo rührt den diese her?" — "Ein Spießer kriegte Lust,
Mit meinem zehnten Weib zu naschen.
In seinem Blute ward mein Schimpf gewaschen;
Allein auch meines floß." — Des Fragers Vorwitz stieg:
"Wenn mich," sprach er, "der Schein nicht täuschet,
So trägt dein Schenkel auch die Spur von einem Sieg?" —
"Den hat ein schnöder Pfeil zerfleischet,"
Erwiderte der Greis. "Nur mit genauer Not
Entrann ich durch die Flucht dem Tod." —
"Mich deucht, ein Pfeil und eine Kugel wären
Einander ziemlich nah verwandt,"
Versetzt der junge Schalk. "Auch kann mein Unverstand
Der Vorzeit höhern Wert sich nicht erklären.
Das schlimmste Tier, der Mensch, und sein Trabant
Bekriegten euch, wie uns; von euern innern Fehden,
Die Trug und Eifersucht erregten, nicht zu reden.
Kurz, damals ging es zu, wie heut."
Der Enkel hatte recht; die Welt, genau genommen,
Läuft stets im gleichen Kreis. Der Weise braucht die Zeit,
Und nimmt die Menschen, wie sie kommen.
Der Kakadu und der Hase
"Wo hattest du den deine Beine,
Mein armer Freund?" So sprach ein Kakadu
Zum Hasen, den ein Hund in eines Nabobs Haine
Zu Boden riß. Im gleichen Nu
Erscholl ein Büchsenknall durch Tal und Hügel.
Der Sittig fiel. "Freund!" rief der Has' ihm zu,
"Wo hattest du denn deine Flügel?"
Der Fuchs und der Esel
Ein Fuchs, der einen Hahn zerrissen,
Blieb vor dem Leichnam stehn und sah ihn traurig an.
Ein Esel nahm es wahr. "Dich reut, was du getan,
Mein Lieber," sprach er, "dein Gewissen
Erwacht ein bißchen spät; doch besser spät, als nie."
"Freund, ächzte der Bandit, "dein Mund hat wahr gesprochen.
Mich reuet meine Tat, denn ach, das Rabenvieh
Hat leider! nichts als Haut und Knochen."
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