[Vorrede]
Der Dichter an Particulo
Obgleich ich schon beschlossen hatt', mein Werk zu enden,
Damit für andere noch reichlich Stoff verbliebe,
Verdammt' ich doch in stillem Herzen meinen Plan.
Denn will ein andrer auch nach gleicher Ehre ringen,
Wie kann er ahnen, was ich nicht besungen hätte,
Damit er dieses selbst der Nachwelt überliefre?
Hat nicht ein jeder seine eigne Art zu schreiben,
Sein eignes Kolorit? Mich hat nicht Flattersinn,
Vielmehr ein sichrer Plan zum Dichten hingezogen.
Du hast ja meine Fabeln immer schön gefunden,
Die ich Aesopische, nicht Aesops Fabeln nenne
(Denn er schrieb ja nur wenig, ich dagegen viel,
Den alten Stil gebrauchend, doch in neuen Szenen).
Da du dies vierte Buch in Varia durchliest,
So mögen böse Krittler auf dasselbe schelten,
Denn nie vermögen sie die Lieder nachzuahmen.
Mir ward ein Lob zuteil, wenn du und deinesgleichen
In eure Bücher meine Lieder aufgenommen
Und sie für würdig hielt, der Nachwelt aufzuheben.
Was soll ich nach dem Beifall großer Toren ringen?
1.
Der Esel und die Priester
Wer unter einem schlechten Stern geboren ward,
Der wird nicht nur den Lebenslauf in Schmerz vollenden,
Auch nach dem Tode wird ihm noch das Unglück folgen.
Die Priester der Kybele pflegten einen Esel,
Die Lasten tragend, zum Erwerb umherzuführen.
Als er infolge seiner Mühn und schweren Arbeit
Gestorben war, verfertigten sie aus dem Felle,
Das dem Kadaver abgezogen, eine Trommel.
Bald wurden sie gefragt, was sie mit ihrem Tiere,
Dem lieben, denn begonnen hätten. Diese sagten:
»Es glaubte nach dem Tod vom Schmerze frei zu sein,
Doch andre Schläge führt man auf den Toten aus.«
2.
Der Dichter 1
Die Fabel scheint dir läppisch, doch wir müssen dichten
Nur kleine Sachen, da wir keine größren haben.
Und wenn du diese nun mit großer Sorgfalt liest,
Kannst du fürwahr aus ihnen großen Nutzen ziehen.
Sie sind nicht immer das, was sie uns scheinen. Viele
Zwar täuscht der erste Anblick, der Verstand von wen'gen
Erkennet nur, was sie in ihrer Schale bergen.
Damit ich dieses nicht umsonst gesprochen habe,
Füg ich die Fabel bei: »Das Wiesel und die Mäuse.«
Da, durch die Jahre und das Alter schon geschwächt,
Ein Wiesel nicht die schnellen Mäuse fangen konnte,
So überstäubte es sich ganz mit Mehl und warf sich
Am dunklen Orte nieder. Dies für Speise haltend,
Sprang froh die Maus herbei – der Räuber würgte sie.
So ging's der zweiten, auch die dritte ward getötet.
Nachdem das Wiesel sich schon manche so gefangen,
Kam eine schon vom Alter eingeschrumpfte Maus,
Die den gestellten Fallen oft entflohen war.
Als sie des Feindes Hinterhalt von weitem sah,
Rief sie: »Es möge dir so wohl gehen, wie du Mehl bist.«
3.
Der Fuchs und die Traube
Gequält vom Hunger wollt' ein Fuchs vom hohen Weinstock
Sich eine Traube holen, und er sprang hinan;
Doch da es ihm unmöglich war, sie zu erlangen,
Sprach er im Gehn: »Sie sind nicht reif, und saure mag ich nicht.«
Wer das mit Worten schmäht, was er nicht haschen kann,
Der muß sich auf sein Konto diese Fabel setzen.
4.
Das Pferd und der Eber
Am Ort, wo stets das Roß den Durst zu löschen pflegte,
Wühlt' einst der Eber, also das Gewässer trübend.
Daraus entstand ein Streit, und das erzürnte Pferd
Begehrte Hilf' vom Menschen. Diesen auf dem Rücken,
Kehrt er zum Feind zurück. Nachdem der Reitersmann
Ihn mit dem Wurfspieß umgebracht, sprach er zum Rosse:
»Es freut mich, daß ich dir die Hilf' geleistet habe,
Denn ich fing Beute und erkannte deinen Nutzen.«
Und also zwang er's, ungeachtet alles Sträubens,
Den Zaum zu tragen. Jenes sprach betrübt: »Ich habe
Die Sklaverei erlangt, indem ich Rache suchte.«
Die Fabel lehret jeden, daß es besser ist,
Verletzt zu werden, als sich andern zu ergeben.
5.
Der Dichter 2
[Äsop als Übersetzer eines Testaments]
Daß oft ein einz'ger mehr kann als der Haufen,
Will ich in einer kurzen Mär der Nachwelt zeigen.
Es hinterließ ein Vater sterbend einst drei Töchter,
Die eine schön, doch sah sie gern den Männern nach,
Die zweite spann und baute fleißig ihren Acker,
Die dritt' und häßlichste war sehr dem Wein ergeben.
Die Mutter dieser war als Erbin eingesetzt,
Mit der Bedingung aber, daß sie ihren Kindern
Ganz gleiche Teile überlasse, so jedoch,
Daß sie vom Erbe nichts besäßen noch genössen;
Wenn sie das Gut dann eingebüßt, das sie erhalten,
So sollt' der Mutter jede hundert Drachmen zahlen.
Es sprach Athen hiervon. Die Mutter fragte eifrig
Die Rechtsgelehrten. Niemand konnt' den Sinn enträtseln,
Auf welche Art sie nicht besäßen noch genössen,
Was ihnen doch gegeben wäre, wie sie ferner
Das Geld bezahlen sollten, wenn sie nichts erhalten.
Nachdem schon eine ziemlich lange Zeit verstrichen
Und nicht der Sinn des Testaments enträtselt war,
Verteilt' die Mutter nach dem eigenen Ermessen
Und ohn' Gesetzeshilf die Hinterlassenschaft.
Der liederlichen Dirne gab sie Kleider, Putz und
Silberzeug und Tand und manche Diamanten,
Der Spinnerin das Feld, ein Haus und Arbeitsleute
Sowie auch Wagen, Vieh und andere Geräte;
Der Säuferin dagegen ganze Fässer Wein,
Ein schmuck möbliertes Haus und üppig schöne Gärten.
Als sie den Töchtern nun die Teile geben wollte
Und auch das Volk, das jene kannt', zufrieden war,
Da blieb Aesopus im Gedränge stehn und sagte:
»O wenn der arme Vater dies im Grabe wüßte:
Wie schmerzlich würd' es für ihn sein, daß die Athener
Es nicht verstehn, sich seinen Willen auszulegen.«
Befragt nach seiner Meinung, löst' er so den Irrtum:
»Das Haus, den ganzen Schmuck und auch die schönen Gärten
Sowie den alten Wein vermacht der Spinnerin;
Die Kleider, Edelsteine, Diener und das andre
Teilt jener zu, die sich an Spiel und Trunk ergötzt,
Die Äcker aber und die Herden mit den Hirten
Bekomm' die Buhle. Keine wird jedoch von ihnen
Sich lange daran freu'n, was ihren Sitten fremd.
Die Häßliche verkauft den Prunk für alten Wein,
Das Land verkauft die Buhle, um sich Schmuck zu kaufen,
Und jene Freundin von dem Felde und der Wolle
Wird ihr so schönes Haus um jeden Preis verkaufen.
So wird das niemand haben, was ihm zugeteilt,
Und ihrer Mutter werden sie das Geld bezahlen
Von dem Erlös der Sachen, die sie je verkauften.«
So hat die Einsicht eines Mannes das gefunden,
Was einer unerfahrnen Menge ist entgangen.
6.
Der Kampf der Mäuse und Wiesel
Als die vom Heer der Wiesel überwundnen Mäuse –
In jeder Schenk' wird es in Bildern dargestellt –
Entflohn und um die engen Löcher trippelnd liefen,
Entgingen sie dem Tode mit genauer Not.
Die Führer aber, welche Hörner an den Häuptern
Befestigt hatten, daß sie in dem heißen Kampfe
Ein Zeichen hätten, dem die Krieger folgen könnten,
Die wurden, hängenbleibend an dem Tor, gefangen.
Der Sieger würgt' mit scharfem Zahn die Opfertiere
Und senkt' sie in die Hölle seines Bauchs hinab.
Bedrückt ein schlimmer Ausgang irgendwelches Volk,
So sind für stets des Staates Häupter nur bedroht.
Das niedre Volk verkriecht sich furchtsam in die Winkel.
7.
Phaedrus 1
Du Schwätzer, der du meine Fabeln so bekrittelst
Und diese Scherzesart zu lesen dich gar schämst,
O hab für kurze Zeit mit meinem Buch Geduld,
Bis ich den strengen Zug auf deiner Stirn vertilgt
Und bis Aesop auf einem neuen Kothurn auftritt.
O daß doch niemals in dem Hain von Pelion
Das scharfe Eisen die thessal'sche Ficht' gefället
Und Argos nicht zum Wege in den sichern Tod
Das Schiff mit Pallas' reger Hilf' gebauet hätte,
Das frevelnd sich zuerst des weiten Meeres Schoß
Erschloß zum Untergang der Griechen und Barbaren;
Denn des gewaltigen Aietes Haus hat Trauer,
Und des Pelias große Herrschaft liegt gestürzt
Durch der Medea Schandtat, die sich frech verstellte,
Dort warf sie auf der Flucht des Bruders Glieder hin,
Und hier befleckte sie, das ganz entmenschte Wesen,
Mit ihres Vaters Blut den Stamm der Peliaden.
Wie scheint dir dies? — »Du sagst, auch dies ist abgeschmackt
Und falsch berichtet, da doch schon bedeutend früher
Der König Minos das Ägäische Meer beherrschte
Und hart der Feinde Angriff auf dasselbe rächte.« —
Wie werd ich dir gefallen können, strenger Leser,
Wenn weder Märchen noch auch Mären dich ergötzen?
Oh, bitte, falle nie den Musensöhnen lästig,
Damit sie dir nicht größre Last und Scham bereiten.
Dies gilt für die, die töricht stets die Nase rümpfen
Und, weise zu erscheinen, selbst den Himmel tadeln.
8.
Die Schlange und die Feile
Wer mit gehäss'gem Zahne einen andern angreift,
Der noch bedeutend schmähsüchtiger ist als er,
Der fühl', daß dieses nur für ihn geschrieben ist.
Es kam einst in die Werkstatt eines Schmieds die Schlange.
Da sie versuchte, ob zum Speisen etwas wäre,
Biß sie auf eine Feile. Diese sagte sträubend:
»Was trachtest du mit deinem Zahn mich zu verletzen,
Die ich doch alles Eisen zu zerstäuben pflege?«
9.
Der Fuchs und der Ziegenbock
Ein schlauer Mann, sobald er in Gefahr gerät,
Sucht stets durch eines Zweiten Unglück Hilf' zu finden.
Durch Zufall war ein Fuchs in einen Born gestürzt
Und hier durch dessen hohe Mauer eingeschlossen.
Es kam der durst'ge Bock zu ebendiesem Orte;
Sogleich stellt' er die Frag', ob süß das Wasser wäre
Und reichlich. Eine List ersinnend, rief der Fuchs:
»Freund, komm herab, des Wassers Güte ist so groß,
Daß ich mich von der Quelle gar nicht trennen mag.«
Der Langbart stieg hinein. Darauf entkam das Füchschen,
Sich auf des Ziegenbockes hohe Hörner stützend,
Und ließ den Bock im ringsumschloßnen Raum zurück.
10.
Über die Fehler der Menschen
Zwei Säcke legte Jupiter uns allen auf:
Den mit den eignen Fehlern legt' er auf den Rücken
Und den mit unsers Nächsten Fehlern vor die Brust.
Auf diese Weise können wir nicht unsre sehen;
Sobald die Nächsten fehlen, sind wir Sittenrichter.
11.
Der Dieb und die Laterne
Ein Dieb entzündet' an des Zeus Altar die Lampe
Und stahl sein Heiligtum bei seinem eignen Lichte.
Als er nun mit dem heil'gen Raub entfliehen wollte,
Ließ eine Gottheit plötzlich eine Stimme sprechen:
»Obgleich ich jene Gaben, die die Bösen brachten,
Veracht', so daß ich nicht den Raub verhindern werde,
So sollst du, Sünder, mir die Schuld doch teuer büßen,
Wenn einst der festgesetzte Tag der Strafe kommt.
Daß aber nicht dem Frevel unser Feuer leuchte,
Durch das die Frömmigkeit die großen Götter ehrt,
Soll künftighin kein Austausch mit den Lichtern sein.
Drum sei's verboten, daß die Lamp' am Licht der Götter
Und an der Lamp' das Opfer angezündet werde.«
Wie viele Nutzanwendung diese Fabel birgt,
Kann nicht ein andrer sagen als der Dichter selbst.
Zuerst weist sie drauf hin, daß die, die du verehrst,
Gar oft als deine größten Gegner sich entpuppen.
Dann, daß nicht durch den Zorn der Götter unsre Sünden
Die Strafe finden, sondern durch des Schicksals Spruch;
Und endlich mahnet sie, daß nie ein guter Mann
Mit einem Bösewicht Gemeinschaft machen soll.
12.
Reich zu sein taugt nicht
Die Schätze sind mit Recht dem guten Mann verhaßt,
Weil stets das Geld den höchsten Schmuck, die Ehr', betrügt.
Ob seiner Tüchtigkeit im Himmel aufgenommen,
Begrüßte Herkules der Reihe nach die Götter,
Die sich als Gratulanten ihm genähert hatten.
Als auch der Gott des Reichtums kam, der Sohn des Glücks,
Wandt' er die Augen ab. Zeus fragte nach dem Grunde.
Er sprach: »Ich hasse ihn, weil er ein Freund der Bösen,
Und weil er mit dem Gelde alle Welt verdirbt.«
13.
Die Ziegen mit dem Barte
Als Zeus den Ziegen einen Bart gegeben hatte,
Begannen alle Böcke jammernd zu beklagen,
Daß ihre Weiber auch die gleiche Würde führten.
»O laßt«, sprach jener, »diese auch den Ruhm genießen,
Und laßt sie sich am Schmuck erfreun, der euch gebührt,
Solange sie euch nicht an Tapferkeit gleichstehen.«
Die Fabel lehrt, daß du es ruhig dulden sollst,
Daß dir an Haltung ähneln, die an Tugend ungleich.
14.
Das Glück der Menschen
Als jemand einst sein schweres Unglück tief beklagte,
Erfand Aesop, um ihn zu trösten, diese Fabel.
Vom grausen Sturme ward ein Schiff umhergeworfen,
Die Passagiere zitterten vor Todesfurcht.
Da plötzlich heitert sich der dunkle Himmel auf,
Und sanft bewegt von Wellen treibt das Schiffchen fort,
Und alle schwelgten jetzt in froher Heiterkeit.
Drauf spricht der Steuermann, durch die Gefahr belehrt:
»Wir müssen uns gelassen freun und mäßig klagen,
Denn in des Menschen Leben mischt sich Schmerz und Freude.«
15.
Die Hunde schicken Gesandte an Jupiter
Einst schickten die Hunde Gesandte zu Zeus, um ein
Besseres Lebenslos zu erbitten; er möge sie von der
Schmählichen Behandlung durch die Menschen erlösen, die
Ihnen Brot voller Kleie geben und ihren großen Hunger mit
Widerlichen Schmutz stillten. Die Boten zogen los, freilich
Nicht gerade eilig, und während sie im Abfallhaufen nach
Fressen schnüffelten, antworteten sie nicht, als man sie aufrief.
Hermes konnte sie schließlich gerade noch finden
Und zerrte die Verwirrten herbei. Dann aber, als sie das
Antlitz des großen Zeus sahen, machten sie in ihrer Angst
Den ganzen Palast voll; mit Prügeln vertrieben, liefen sie
Aber wieder hinaus. Der große Zeus aber ließ sie nicht fortziehen.
Die Hunde wunderten sich, daß ihre Gesandten nicht
Zurückkamen, und weil sie glaubten, die Ihren hätten
Etwas schimpfliches begangen, ließen sie nach einer Zeit
Andere Boten einsetzen. Das Gerücht verriet, was die vorigen
Gesandten angestellt hatten.
Man fürchtete nun, es könnte wieder etwas Ähnliches
Passieren, und füllte den Hunden den Hintern mit vielem
Duftstoff. Dann bekamen sie ihren Auftrag und wurden
Sogleich entlassen. Sie zogen hin, erbaten Audienz und
Erhielten diese sofort. Da setzte sich der höchste Vater der
Menschen nieder und schüttelte seinen Blitz; alles begann zu
Zittern. Die Hunde – ein wirrer Donner kam ganz plötzlich –
Ließen gleich den Duftstoff, mit Kot vermischt, fallen.
Alle schrien, dieses Unrecht müsse man rächen.
So sprach Zeus vor der Bestrafung: »Es ziemt sich nicht für
Einen König, Gesandte nicht zu entlassen; Es ist auch nicht
Schwer, für eine Schuld Strafe aufzuerlegen; aber ihr sollt
Folgendes >Geschenk< anstelle des Gerichts bekommen:
Ich verbiete nicht, euch zu entlassen, doch sollt ihr durch
Hunger gequält sein, damit ihr euren Bauch beherrschen könnt.
Die aber, die euch Trottel geschickt haben, werden nie von
Der schmählichen Behandlung durch die Menschen frei
Werden.« So warten heute noch die Hunde-Nachfahren auf
Die Gesandten, und wer einen neuen Hund kommen sieht,
Riecht hinten an ihm.
16.
Die Schlange. Nachteiliges Mitleid
Wer Bösen Hilfe bringt, wird's hinterdrein bereuen.
Ein Mann nahm eine ganz vom Frost erstarrte Schlange
Und wärmte sie voll Mitleid zu dem eignen Schaden,
Denn als sie sich erholt, vergiftet' sie den Menschen.
Von einer andern nach dem Grund der Tat befragt,
Sprach sie: »Ich tat es nur, damit die Menschen lernen,
Wie sehr es schädlich ist, den Bösen Hilf' zu leisten.«
17.
Der Fuchs und der Drache
Um sich ein Lager zu bereiten, grub ein Fuchs
Tief in die Erde und macht' sich verschiedne Gänge.
Zuletzt kam er zu eines Drachens finstrer Höhle,
Der bei den tief verborgnen Schätzen Wache hielt.
Sobald er ihn erblickte, sagte er: »Ich bitte,
Verzeih zuerst, weil ich durch Zufall kam, und ferner,
Da du erkennst, wie wenig dies für mich sich eignet.
Doch sag mir freundlichst, welche Frucht genießest du
Von dieser Arbeit oder was für großen Lohn,
Daß ohne Schlaf und in der Dunkelheit du lebst?«
»Ich habe keinen«, sprach er, »doch hat Jupiter
Mir dieses aufgetragen.« — »Daher nimmst du weder
Für dich etwas, noch gibst du einem andern?«
»So bestimmt's das Schicksal.« — »Zürne nicht, wenn ich dir sage:
Geboren ward beim Zorn der Götter deinesgleichen.«
Da du auch dorthin gehst, wohin die Menschen gehen,
Was quälst du mit verblend'tem Sinn die Seele?
Ich sag's dir, Filz, der du der Erben Freude bist,
Der du nur kärglich opferst, dir die Speis' entziehst,
Der du im finstern Unmut die Musik vernimmst
Und dem die Flötentöne tief das Herz zerreißen
Und dem der schnöde Mammon Seufzer gar erpreßt,
Der du, um einen Heller dein Vermögen mehrend,
Durch Lug und Trug die himmlische Geduld ermüdest,
Der du die ganzen Kosten der Bestattung schmälerst,
Damit auch Libitine nichts von dir gewinne.
18.
Phaedrus 2
Welch ein Richterspruch der Niedre fällen will,
Ist mir, sosehr er sich verstellen mag, bekannt;
Denn was er der Erinnerung für würdig hält,
Das schiebt er dem Aesopus zu; wenn aber etwas
Ihm nicht behagt, so wettet er um jeden Preis,
Daß ich's geschrieben. Diesem gebe ich die Antwort:
»Mag auch das Werkchen schlecht sein oder lobenswürdig,
Erfunden ist's vom ihm, von mir nur nachgefeilet.
Ich aber werde die betretne Bahn verfolgen.«
19.
Simonides
Stets findet der Gelehrte Schätze in sich selbst.
Simonides, der Dichter glänzend schöner Lieder,
Begann, damit er seine Armut besser trüge,
In größern Städten Asiens umherzugehen,
Besingend um erhaltnen Lohn das Lob der Sieger.
Durch diese Art Erwerb ein reicher Mann geworden,
Beschloß er, in sein Vaterland zurückzukehren;
Er war – man glaubt's – geboren auf der Insel Kea.
Er stieg aufs Schiff, das aber ließ der grause Sturm
Sowie sein hohes Alter auf dem Meer zerbersten,
Die einen sammeln Geld, die andern Kostbarkeiten,
Die Wert fürs Leben haben. Einer fragt besorgt:
»Simonides, nimmst du denn nichts von deinen Schätzen?«
Er sprach: »Ich trag sie bei mir.« - Wenige entkamen,
Weil viele, durch die Last beschwert, zugrunde gingen.
Es kommen Räuber, rauben, was ein jeder barg,
Und lassen nackt die Leut' zurück. Klazomenä,
Die alte Stadt, war nah, und hierher eilen alle.
Ein Mann, den schönen Wissenschaften sehr ergeben,
Der oft die Verse des Simonides gelesen
Und immer ein Bewundrer des Entfernten war,
Nahm ihn begierig auf, nachdem er im Gespräch
Ihn hatt' erkannt. Er stattet ihn mit Kleidern, Geld
Und Dienern aus. Die andern tragen ihr Gemälde,
Um Spenden bittend. Als Simonides sie sah,
Da rief er ihnen zu: »Ich hab's euch ja gesagt,
Ich trug mein Gut bei mir; doch ihr verlort das eure.«
20.
Der gebärende Berg
Ein Berg gebar, indem er laut und schrecklich brüllte,
Und groß war die Erschütterung der Erde.
Doch er gebar – die Maus. Dies ist für dich geschrieben,
Der du auf Großes hoffen läßt, doch nichts verrichtest.
21.
Die Ameise und die Fliege
(Die Fabel lehrt uns, niemals, was nicht nützt, zu tun.)
Es stritt die kleine Ameis' heftig mit der Fliege,
Wer mehr vermöcht'. Die Fliege ließ zuerst sich hören:
»Mit unsern Eigenschaften willst du dich gar messen?
Sobald geopfert wird, speis ich vom Opfermahle,
Ich weile zwischen den Altären, flieg in Tempeln,
Ich sitze auf des Königs Haupt, sooft ich will,
Und küsse selbst die keuschen Wangen der Matrone.
Ich tue nichts, doch lab ich mich an schönen Speisen.
Was ist dir Ähnliches beschieden, Bäuerin?«
»O herrlich ist es mit den Göttern zu verkehren,
Doch für die Geladnen, nicht für Ungebetne.
Du rühmst dich mit dem König und mit den Matronen?
Wenn ich mit großem Fleiß zum Winter Futter suche,
Seh ich dich um verfallne Mau'r im Dünger sitzen.
Am Altar bist du, man verjagt dich, wenn du kommst;
Du arbeitest nichts, wenn's nötig ist. Du prahlst mit Dingen,
Die uns schamrot machen. Im Sommer höhnst du mich,
Wenn's aber kalt ist, schweigst du.
Wenn du, vom Frost erstarret, eine Leiche bist,
Empfängt mich unversehrt mein wohlversorgtes Haus.
Jetzt habe ich deinen Stolz gewiß genug gebeugt.«
Die Fabel zeichnet uns verschiedne Charaktere,
Die, welche sich am trügerischen Glanz erfreuen,
Und ferner solche, die nach echtem Glanze jagen.
22.
Die Rettung des Simonides
Wieviel die Wissenschaften bei den Menschen gelten,
Hab' ich schon erst gezeigt, wie sehr sie aber auch
Die Götter schätzen, werd ich jetzt die Nachwelt lehren.
Simonides, von dem ich oben schon gesprochen,
Versprach für ausbedungnes Geld ein Lied dem Sieger
Im Faustkampf zu verfassen. Drauf schloß er sich ein.
Da dieser Stoff jedoch zuwenig Anhalt bot,
So wob er ins Gedicht, nach freier Dichterweise,
Der Zwillingssöhne Ledas Sternenlicht hinein,
Als Beispiel eines gleichen Ruhms dieselben nennend.
Das Lied gefiel. Doch nur den dritten Teil des Lohnes
Erhielt der Dichter; als er auch den Rest begehrte,
Sprach dieser: »Jene werden dir ihn geben, welche du
So herrlich in zwei Teilen deines Lieds gelobt.
Damit ich aber weiß, daß du nicht auf mich zürnst,
So sei ein Gast beim Mahle, ich will heute laden
Die Freunde alle, unter die ich dich auch zähle.«
Obgleich betrogen und das Unrecht tief empfindend,
Sagt er doch zu, die Gunst des Mannes zu erhalten.
Er kam zur festgesetzten Zeit und legt' sich nieder.
Es schimmerten, vom Weine schäumend, die Pokale,
Und froher Jubel tönte im den ganzen Haus.
Da traten plötzlich auf zwei muntre Jünglinge,
Bedeckt von Staub, der Körper ganz in Schweiß gebadet,
Wie Göttersöhne anzusehen. Einem Sklaven
Befahlen sie, gar schnell Simonides zu rufen.
Es läge jenem dran, daß er nicht länger weile.
Der Sklave, ganz betäubt, ruft den Simonides.
Kaum hatte er sich einen Schritt vom Saal entfernt,
So stürzt mit dumpfen Fall die Decke auf die andern.
Verschwunden waren an der Tür die Jünglinge.
Als bald darauf das Volk nun dies Ereignis hörte,
Erkannte deutlich alle Welt, daß statt des Lohnes
Die guten Götter ihn vom sichern Tod errettet.
[Schlußrede]
Der Dichter an Particulo
Noch gebe es vieles, was ich dichten könnte, und ich hätte
eine Fülle der buntesten Stoffe; aber eine geist- und sinnreiche
Darstellung ist in Maßen willkommen, in Masse stört sie.
Daher, ehrwürdiger Particulo (ein Name, der durch meine Schriften
fortleben wird, solange die lateinische Literatur geschätzt wird),
erkenne, wenn nicht schon meinen Geist, so doch die Kürze meines
Werkes an! Diese Kürze verdient desto mehr Anerkennung,
je lästiger Sänger sind, die kein Ende finden.