Fabelverzeichnis
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Fabeln und Parabeln 2
 
Vertrauen
Der Leuchtturm und der Telegraf
Der Phönix
Pflug und Dampfboot
Der Taucher und der Hai
Das Kerzenlicht und der Bergkristall
Ohr und Auge
Das Gold und die Muschel
Das Zebra
Der Tintenfisch
Der Hirtenstab
Der Bär und der Siebenschläfer
Der Fels und die Blumen
Die Himmelsperle
Die Schnecke und der Seidenwurm

 
Der Negerkönig
Der Engel der Erde
Baum und Rose
Der Schutzengel
Kreuz und Schwert
Der Nagel
Der Luftballon

 

Vertrauen

Ein Christ und Muselmann durchzogen einst die Wüste,
Um Gold und Elfenbein zu holen von der Küste.

Der Christ rühmt seinen Mut und seinen festen Glauben,
Und meint, es könnte nichts die Zuversicht ihm rauben.

Der Muselmann schwieg still; — sie kamen zur Oase,
Und labten sich am Quell und lagerten im Grase.

Und als der Dromedar von Neuem sich bewegte,
Da sah der Osmann, wie der Christ ein Brot versteckte.

Was schaffst du? — frug er ihn — der Christ sprach: Noch ein Morgen
Trennt uns vom fernen Ziel'; für Nahrung will ich sorgen.

Da lächelt der Moslem: "Du willst auf Felsen bauen,
Und kannst der Vorsicht doch nicht einen Tag vertrauen?"


Der Leuchtturm und der Telegraf

Der Leuchtturm sprach zum Telegrafen:
Du siehst, wie ich voll hohem Glanz
Der König bin im weiten Hafen,
Gekrönt mit einem Strahlenkranz.

Du streckst nach Ost, West, Süd und Norden
Die Arme rastlos — welcher Lohn
Ist dir dafür bisher geworden?
Umstrahlt ein gleicher Glanz dich schon? —

Ich geize nicht nach deinem Lohne,
Sprach dieser — ströme aus dein Licht!
Sei du des weiten Hafens Krone,
Mein Wirken überstrahlst du nicht.

Du leuchtest hier — ich in der Ferne,
Die Lampe ist's, die dich erhellt; —
Mir strahlen meines Ruhmes Sterne
Fern — doch durch eine weite Welt!

* * *
Im Vaterland? — Nein! in der Ferne
Erglüh'n dem Dichter seine Sterne.

Der Phönix

Es war einmal ein Vogel
Der Phönix zubenannt,
Der, wenn er alt geworden,
Sich endlich selbst verbrannt.

Zu dem sprach einst ein Reiher:
Was kürzest du dir so
Noch selbst dein kurzes Leben,
Genieß es lieber froh. —

Der Phönix sprach gar weise:
Was nützt das Leben mir,
In dem ich nur genieße?
Zu Bess'rem bin ich hier:

Daß meine Lieder schallen
Zum Lob dem Herrn der Welt,
Dazu bin ich geschaffen,
Dazu bin ich bestellt.

Drum wenn die Kraft versieget,
Die Kehle matter wird,
Und schon in leisen Tönen
Mein Sang zum Himmel schwirrt;

Wenn schon mein goldner Flügel
Vom Erdenstaub entstellt:
Dann kräftigt ihn die Flamme
Daß er sich wieder schwellt;

Daß ich mich neugeboren
Zum reinen Äther schwing',
Und rein die heil'ge Hymne
Dem Reinsten wieder bring'.

* * *

Du lächelst ob dem Vogel,
Der da sich selbst verbrannt,
Damit er neu geboren
Sich schwing' ins Sternenland. —

Zieh aus den alten Menschen,
Und brenne rein dein Herz;
Denn anders, Mensch, gelangest
Du niemals himmelwärts.

Pflug und Dampfboot

Zog ein Pflug die kleine Furche
An dem Ufer durch das Feld;
Rauscht ein Dampfer da vorüber,
Wie am Weisen eine Welt.

Meinte da der Meeres-Adler:
Armer Pflug, wie mühst du dich!
Zehnmal größre Furchenkreise
Schlägt mein Rad im Nu um sich. —

Zeige mir doch deine Furchen, —
Fiel Tritonius hier ein —
Die du noch vor zwei Minuten
Grubst in meinen Spiegel ein.

Poltert auch dein Rad dich weiter,
Deine Furchen schwinden gleich;
Furchen, die der Pflug gegraben,
Bringen Saaten groß und reich! —

* * *

Kritiker, zieh' auf der Stirne
Furchen, wie das Schiff sie zieht,
Blicke auf den Dichter nieder
Nur mit halbem Augenlid:

Deine Furchen glättet schneller
Als sie kamen, aus die Zeit; —
Doch die Saat im Dichterherzen
Reifet zur Unsterblichkeit.

Der Taucher und der Hai

Ein Taucher, der mit kluger Hand
Manch' Perle brachte an den Strand,
Hielt einst durchnäßt vom Wasserstrahl
Am Schiffesbord sein kleines Mahl. —

Da schwamm sein Feind, der Hai, heran;
Du dreimal unbesorgter Mann! —
Rief ihm der Fisch von Weitem zu —
Wo lerntest diesen Gleichmut du?
Des Tages zehnmal senkst du dich
Ins Meer — und denkest nie an mich.
Sprich, fürchtest du nicht meinen Zahn,
Der täglich dich zermalmen kann?
Und weißt du nicht, daß manchen Nachen
Samt Mann und Maus verschlang mein Rachen?
Wohl weiß ich es, versetzt der Mann,
Doch ficht mich dies gar wenig an.
Ist die Gefahr für mich auch groß,
Der Tod mein unausweichlich Los —
Was nützte mir die Furcht vor dir?
Mein Los ist: in dem Meere hier
Die Perle täglich mir zu holen;
Mein Leben hab' ich Gott befohlen.
Die Klugheit leitet meine Hand,
Daß ich schon manches Kleinod fand.
So gut ich kann stell' ich es an,
Daß ich entweiche deinem Zahn;
Dem Tod entrinnen kann ich nicht,
Sterb' ich, so sterb' ich meiner Pflicht.
Drum will ich froh nach Perlen schwimmen,
Der Himmel wird mein Ziel bestimmen.

* * *

Dem Tod entfliehen kannst du nicht;
Doch lebe treu nach deiner Pflicht,
Genieße deines Daseins froh,
Der gute Himmel will es so.
Vermeide klug durch eignen Wahn
Dich deiner Gruft zu früh zu nahn;
Doch laß nicht steten Leichenduft
Durchwehn dir deine Lebenslust.
Wann dir dein Lämpchen soll verglimmen,
Dies wird der Himmel schon bestimmen.

Das Kerzenlicht und der Bergkristall

Ein Kerzenlicht stand auf dem Tische,
Daneben lag in einer Nische
Ein blankgeschliffner Bergkristall.
Der sprach zum Lichte: Brenne immer!
Du überstrahlst nicht meinen Schimmer,
Und zehrst dich endlich auf einmal.

Das Licht dagegen sprach bescheiden:
Ich will nicht deine Pracht beneiden;
Du bietest Glanz nur — und ich Licht.
Des Weisen Ruhm ist, daß zur Ehre
Der Menschheit er sich selbst verzehre;
Du strahlest, aber nützest nicht.

Ohr und Auge

Es stritten um den Vorzug
Das Auge und das Ohr.
Das Auge sprach: Man nennt mich
Mit Recht der Seele Tor;

Durch mich dringt zu dem Herzen
Der Glanz der schönen Welt,
Und Alles fehlt dem Menschen,
Wenn ihm das Auge fehlt.

Das Ideal der Schönheit
Senk ich ihm in das Herz,
Und strahle seine Träne
Des Dankes himmelwärts.

Das Ohr sprach hier: es schlichte
Das starke Herz den Streit;
Und sieh, das Herz erklärte
Sich auch dazu bereit.

Da klang das Ohr ganz leise:
Kennst du des Tones Macht?
Kannst, Auge, du verklären
Wie ich die heil'ge Nacht?

Den Großen, Unsichtbaren
Erblickst du ihn? — o nein!
Kein Auge kann ihn sehen,
Dazu ist es zu klein.

Doch kann der Laut ihn nennen;
Sieh' wie das Herz sich hebt,
Als kaum der "Name Gottes"
Durch mich zu ihm entschwebt.

So sprach das Ohr — weit schwellet
Das Herz sich auf und spricht:
Der Töne Macht ist größer,
Ob schöner auch das Licht.

Das Gold und die Muschel

Ein Schiff das von Biskaya kam,
Und seinen Lauf nach Adel nahm,
Trug einen Klumpen Gold im Raume,
Der da in eitlem Hochmutstraume
Der armen Muschel fühlen ließ,
Daß sie nur eine Muschel hieß.

Die Muschel sprach: Hier wiegst du viel,
Doch Afrika ist unser Ziel;
Bei Adels Strand legt der Matros —
So sagte er — die Anker los. —

Das Gold erfaßte nicht die Worte;
Doch als das Schiff die Todespforte
Bei Bab-El-Mandeb einpassierte,
Wo nie ein andres Geld kursierte
Als Muscheln — griff der Seepilot,
Der sie bemerkt von seinem Boot,
Zur Muschel gleich mit frohen Zügen,
Und ließ das Gold als wertlos liegen.

* * *

Und ist dein Platz der erste nicht,
So füll' ihn aus nach deiner Pflicht;
Legt einst dein Schiff den Anker an,
Dann gilt der Platz nicht, nur der Mann!

Das Zebra

Vor den Thron Jupiters trat
Einst der Esel: Herr der Erde,
Sprach er, deine Rechte hat
Mich geschaffen zur Beschwerde.
Distel kauen, Lasten tragen,
Schläge auf den leeren Magen,
Dies, Chronion, ist mein Los.
Dennoch ränge sich kein Laut
Eitler Klage in mir los,
Brächte mir nicht meine Haut,
Dieses Fell mir angetan,
Hohn und Spott von Jedermann.
Läßt mein Vlies sich sehen nur,
Folgt der Spott mir auf der Spur.
Vater der Unsterblichkeit,
Gib mir doch ein andres Kleid! —

Zeus sprach lächelnd: Armes Tier!
Nur am Kleide fehlt es dir?
Wohl ich will dich prächtig kleiden,
Daß dich Wald und Flur beneiden!
Und wir wollen sehn, ob dann
Spott und Hohn dir folgen kann.
Und er hebt die Schöpferhand:
Rascher als der Blitzstrahl stand
Statt dem Tier mit grauen Ohren
Hier das Zebra neugeboren.

Strohgelb, weiß und braun gesäumt,
Wie er es sich nie geträumt,
Lief der Esel, daß es hallt,
Nun als Zebra in den Wald.
Doch kaum schallt hier sein Ia
Hieß es: Seht den Esel da!
Hat er auch sein Fell verloren,
Ihn verraten doch die Ohren! —
Und war auch jetzt weiß sein Haar,
Blieb der Esel, was er war.

* * *

Aller Dünkel — alles Preisen
Macht den Toren nicht zum Weisen.

Der Tintenfisch

Es lag nicht weit vom Meere ein Weiher klar und frisch,
Dahin verirrt sich einmal ein grauer Tintenfisch.
Der spielte gleich den König im kleinen Wasserreich,
Und trübte da die Welle und färbte schwarz den Teich.

Und als es trüb geworden rings um sein Flossenpaar,
Da meint er: wie doch anders das Meer sei hell und klar,
Wie aus der dunklen Pfütze er müsse wieder ziehn,
Und nur des Meeres Woge geschaffen sei für ihn.

Da rief ihm nach der Schilfgott des Weihers aus dem Rohr:
Du fliehst den trüben Weiher, den selbst du trübtest, Tor!
Bevor du kamst geschwommen, war klar der Teich und rein,
Der Stoff, der da ihn trübte — der warst nur du allein!

* * *

Die Welt Gottes ist Eden, ist groß, ist schön, ist gut,
Und nur der Mensch ist's, der da sie düngt mit seinem Blut.
Wohl ist die schöne Erde ein Paradies, allein
Verstünden es die Menschen nur Engel auch zu sein!

Der Hirtenstab

Neben seinem Hirtenstabe
Schuldlos und wie Engel rein,
Schlief der gottgeweihte Knabe
David bei der Herde ein.

Leiser tönt das Laubgeflüster,
Und melodischer der Quell;
Von dem Felsen zieht ein Priester,
Juda's weiser Samuel.

Und er sieht den Knaben liegen,
Blickt ihm forschend ins Gesicht,
Sieht, wie aus den schönen Zügen
Seiner Seele Unschuld spricht.

Und er weckt ihn: Schöner Knabe!
Sprich, was lehrt dein Traumgesicht?
Sprich! mir ward die Sehergabe.
Und der fromme David spricht:

Da ich schlief, wars mir im Traume,
Als verlör' ich meinen Stab;
Und ich ging zu einem Baume,
Schnitt mir einen neuen ab.

Steckte ihn dann in die Erde,
Streckte mich ins Gras dabei;
Über mir die bunte Herde,
Und mein Herz so warm, so frei!

Sieh, da sah ich Blätter keimen
An dem Stabe, längst entlaubt;
Und zu jenen lichten Räumen
Hob ein Baum sein junges Haupt.

Doch wie seltsam! in der Mitte
Wand ein Ast sich durch den Baum.—
Als ich staunte ob dem Schnitte,
Sieh da endete mein Traum. —

Und er schwieg. — In tiefem Sinnen
Stand der heilige Prophet,
Und auf seinen frommen Mienen
Strahlte stille Majestät:

Durch ein Querholz sahst du teilen
Deines Baumes heil'gen Stamm? —
Wunden wird dies Querholz heilen,
Wird der Sünde sein ein Damm.

Wisse, was du sahst im Traume,
Ist des Himmels höchster Reiz.
Ehre Gott! in jenem Baume
Sahst du des Erlösers Kreuz!

Der Bär und der Siebenschläfer

Im düstern Waldesreiche
Am Fuß der höchsten Eiche,
Hielt Meister Petz die Rast.
Da sah den Schreck der Schäfer
Ein kleiner Siebenschläfer
Und floh auf seinen Ast.

Doch Petz war grad bei Laune,
Und rief — o man erstaune!
Das Tierchen gar zu sich:
Komm, laß uns Freunde werden!
Mich liebt kein Tier auf Erden,
Und keines liebt auch dich.

Du nistest auf den Bäumen,
Und gern in dunklen Räumen,
Und liebst den Schlaf gleich mir! —
Drauf bot ihm unter Schmeicheln
Freund Petz von seinen Eicheln,
Und teilte sein Quartier.

Doch war's beim Honigdiebe
Nicht Freundschaft bloß und Liebe,
Was ihn so fest verband;
Er wußt', den eig'nen Klauen
Sei schlafend nicht zu trauen,
Wenn ihn ein Jäger fand.

Ein Wecker, der bei Zeiten,
Naht die Gefahr vom Weiten,
Ihn warnte, tat ihm Not;
Drum soll ihn dann bei Strafe
Der wecken aus dem Schlafe,
So lautet das Gebot;

Und dies beschwur der Kleine
Im falben Mondesscheine
Dem Bären auf sein Fell. —
Und nahte Hund und Schäfer
So weckt der Siebenschläfer
Den Bären auf der Stell'.

Drum lief der wie ein Häscher,
Wenn er dem kleinen Näscher
Ein Nüßchen wo erspäht'
So lebte denn fünf Monden
Der Braune mit dem Blonden,
Bis Zeus die Flocken sät.

Doch mit den ersten Flocken
Geriet gar bald ins Stocken
Des Treuen Wächteramt. —
Einst träumt im fahlen Laube
Herr Petz vom Honigraube,
Von süßer Gier entstammt.

Da fühlt er in den Weichen
So was von argen Streichen,
Und raschelt stracks empor,
Und dankt es nur dem Baume,
Daß nicht im letzten Traume
Ihn traf des Jägers Rohr.

Und als mit tiefen Wunden
Er schwer entrann den Hunden,
Und mancher Zahn ihn traf;
Da sieht er wie am Aste
Schon längst sein Wächter raste
Im tiefen Winterschlaf.

Da weis't Herr Petz die Zähne:
Daß ich mich sicher wähne —
Spricht er — vertraut' ich dir.
Unmögliches versprechen
Heißt auch die Treue brechen!

Und er verschlingt ihn hier.

Der Fels und die Blumen

Es ragte ein Basalt seit dem Beginn der Zeiten,
Der Schöpfung Riesensohn, auf in des Äthers Weiten.
Ein Wolkendiadem umfloß sein stolzes Haupt,
Von Blüten war sein Fuß, so weit er reicht, belaubt.

Da prangten einst im Lenz auch liebliche Narzissen,
Die ihren Blütenduft zum Berge steigen ließen;
Der Fels tränkt sie mit Tau aus seinem Wolkenkranz,
Und nähret ihren Wuchs mit seinem Sonnenglanz.

Sie dankten ihm durch Duft, durch Blühn — ihr Sein, ihr Leben
War ja durch ihn! — Was konnten sie ihm And'res geben? —
Doch sieh! als nun der Lenz mit höchster Pracht sie schmückt,
Daß jeden Wanderer ihr Frühlingskleid entzückt;

Da hoben stolz empor die aufgeblähten Zwerge
Ihr Blütendiadem zu dem gewalt'gen Berge,
Und meinten: keimte nicht ihr heller Maienflor,
Am Fuße des Basalts mit seltnem Reiz hervor;

So ragte auch der Berg nicht halb so schön zum Himmel,
Ihn ziere ganz allein der Blumen bunt Gewimmel.
Und daß er spende Tau und mildes Sonnenlicht,
Sei seine Pflicht, und Dank gebühre drob ihm nicht. —

Was tat der Fels? — ließ er wohl Nebel niederschauern,
Daß ihren Hochmut sie im schnellen Tod betrauern?
Entband er seinen Blitz, daß er mit seinem Strahl
Die eitle Blumenschar vertilge aus dem Tal?

O nein! — der Fels ließ sie ganz ihren Lenz durchblühen,
Stand ruhig da — ein Fels! trotz ihrem eitlen Mühen,
Stand als der Winter kam noch stolz den Wolken nah;
Allein wo waren wohl die eitlen Blumen da?

* * *

Wie oft vergißt der Wurm den Staub ob Erden-Ruhme;
Gott ist der Fels, o Mensch! du bist die eitle Blume!

Die Himmelsperle

Als der unbarmherz'ge Reiche
Lag in Finsternis verbannt,
Geizte er nach einem Tropfen
Von des armen Lazar Hand.

Doch vergebens war sein Weinen,
Denn der Raum ist ewig weit,
Und sein Laut drang nie zum Ziele
Denn für ihn gab's keine Zeit.

Aber als die letzten Worte,
Die der Himmel zu ihm sprach,
In die Nacht verklungen waren,
Klang ein leiser Wehlaut nach;

Und dem Thron des Allerbarmers
Naht ein Cherub sternenlicht,
Legte eine Himmelsperle
Vor den Weltenthron und spricht:

Diese Perle schwamm im Raume,
Strebte nach des Abgrunds Rand,
Vor der furchtbar stillen Pforte
Faßt' ich sie, eh' sie verschwand.

Und der Herr nahm diese Perle,
Schmückt' damit den Sternenthron,
Sprach — und alle Welten klangen
Nach das Wort im Sphärenton:

Wäre je noch Rettung möglich
Aus der ew'gen Finsternis:
Wahrlich ihre Riegel sprengte
Diese Perle ganz gewiß. —

Und zerfließend strahlt die Perle,
Eine Träne nun erscheint —
Träne von der Mutterliebe
Noch für ihren Sohn geweint!

Die Schnecke und der Seidenwurm

Der Seidenwurm kroch mit der Schnecke
Des Morgens durch die feuchte Hecke
Nach frischem grünen Futter aus.
Die Luft war rein, der Äther strahlte,
Und Föbus goldner Finger malte
Ein Bild voll Lust in's Erdenhaus.

Wie bist du, Armer, zu bedauern! —
Sprach zu dem Wurm die Schneck', — dir lauern
Gefahren ohne Maß und Zahl;
Wo soll dir armen Seidenwurme
Ein Obdach werden vor dem Sturme,
Wo Schutz vor heißem Sonnenstrahl?

Wie sicher wohne ich dagegen!
Mein Häuschen folgt mir allerwegen,
Wie sanft und ruhig schlumm're ich!
Und bin ich wach am nächsten Morgen,
So bin ich es auch ohne Sorgen,
Mein eignes Haus umschließet mich. —

So prahlt die Schnecke — Würmchen hatte
Sich festgesponnen auf dem Blatte,
Und zog sich Fäden hin und her.
Gott Morpheus mit seinen Träumen
Sah aus des Haines düstern Räumen,
Und fern stieg auf ein Wolkenmeer.

Und es ward Nacht. — Der Nordwind grollte
Den Blitz im Schoß, der Hagel rollte
Zerschmetternd auf das Schneckenhaus,
Und mühsam suchte in der Hecke
Die hausberaubte nackte Schnecke
Sich einen sicher'n Winkel aus.

Als Helios darauf vom Neuen
Begann die Strahlensaat zu streuen,
Kroch Schneck' und Wurm aus dem Versteck,
Der Seidenwurm spann gleich sich wieder
Sein Kleid, zog Fäden auf und nieder;
Doch nirgends fand ihr Haus die Schneck'.

* * *

Ein Haus, und glich es einem Turme,
Ist sicher nicht vor Blitz und Sturme.
Nur Tugenden und ein Gewerbe
Sind eurer Kinder bestes Erbe!

Der Negerkönig

Am Kap durchschnitt ein Schiff die Breite,
Es war ein Sklavenschiff — im Raum'
Schlief angeschmiedet Seit' an Seite
Manch Neger seinen Freiheitstraum;

Den Traum nur — denn die Peitsche knallte,
So bald sein Auge sich erschloß,
Und des Korsaren Ruf erschallte
Vom Deck; es fluchte der Matros.

Doch lauter braust des Sturm's Getose,
Und soll nicht sinken gleich die Yacht,
So greife Sklave und Matrose
Zur Pumpe schnell mit Löwenmacht!

Die Geißel treibt den Sohn des Strandes
Auf's Deck, und ruft er auch: Wißt ihr,
Ich bin der König meines Landes!
So schallt es: Sklav'! gehorche hier!

Der König war am Strand des Nigers,
Ist hier ein Sklave — sonst nichts mehr!
Er knirscht im Grimme eines Tigers,
Und seine Klagen tönen leer. —

Doch sieh, das Blatt hat sich gewendet:
Das Schiff zertrümmert der Orkan,
Das Sklavenjoch ist nun beendet,
Die Barke legt am Strande an.

Und Wenige, verschont vom Sturme,
Sie beugen nun vor dem das Knie,
Den sie zertraten gleich dem Wurme,
Und der nun Herr ist über sie.

Im Kanot steht der Sohn der Wüste,
Und schwingt die Keule in der Hand:
"Habt ihr zu herrschen noch Gelüste,
Ihr Männer von des Tajo Strand?

Fort! eure Seufzer nützen wenig;
Du großer Geist! ich danke dir!
Dort war ich Sklav', hier bin ich König;
Wohlan, ihr Sklaven; dienet mir!"

* * *

Beneide nicht die bunten Kränze,
Womit das Unrecht sich hier schmückt;
Dir blüh'n dereinst noch andre Lenze,
Wenn Staub längst deine Presser drückt.

Die Zeit ist schnell — das Glück ist wenig;
Laß Jeden seine Straße ziehn;
Hier bist du Bettler, dort ein König,
War groß und edel nur dein Sinn.

Der Engel der Erde

Als Gottes Wort den Mann mit seinem Weib verbannte,
Und beide nun der Schmerz des Daseins übermannte:
Da sank mit jedem Tag' ein Engel noch zur Erde,
Daß süßer Himmelstrost den armen Menschen werde.

Doch glomm der Stern empor, so schied der Engel wieder,
Und weinend sank der Mensch mit seinem Weibe nieder:
"Herr! gib doch — rief er aus — dem Erdensohn', der leidet,
Aus deinem Strahlenlicht den Engel, der nicht scheidet.

Wie sanft ist deine Hand! du segnest im Vergeben;
Drum laß den Engel mir, mein Vater nicht entschweben!" —
Und was der Mensch erfleht, das gab die ew'ge Liebe,
Den Engel der da stets an ihrer Seite bliebe.

Ihn ziert' der Unschuld Reiz, er glich der Maienblüte;
Nur nahm, daß er nicht flieh', die Schwingen Gottes Güte. —
So mußt' das erste Kind vom Mutterschoß sich ringen:
Was jetzt noch Kinder sind — ein Engel ohne Schwingen!

Baum und Rose

Mit der Blume schloß der Baum
Für den kurzen Lebenstraum
Einen treuen Freundschaftsbund;
Rose küßt' mit sanftem Mund
Oft des Baumes edlen Stamm
Und sein grünbelaubter Kamm
Bot ihr Schutz und sichern Hort
Oft im rauhen Sturmesnord.

Aber einst mit Einemmal
Sengte ihn der Sonnenstrahl,
Und es stand der Baum entlaubt, —
Senkte Rose da ihr Haupt,
Klagte still: Wer schützt jetzt mich? —
Sprach der Baum: O tröste dich!
Hab' ich zwar kein Blättchen mehr,
Ragt ja noch mein Stamm, und der
Gibt dir Schatten, bis auch ihn
Sturm und Wind zum Staube ziehn. —

* * *

Bild der Freundschaft! edler Baum,
Der im schweren Lebenstraum,
Wenn versengt er selbst schon fällt,
Noch dem Freund' die Treue hält'.

Der Schutzengel

In des Spieles heit'rer Lust
Liegt an seiner Mutter Brust
Kindlein — und der Stern der Nacht
Blickt herab in stiller Pracht.
Und der Kleine steht so schön:
Laß mir doch aus jenen Höh'n,
Mütterchen, den Engel kommen,
Der da leitet alle Frommen;
Möchte vor dem Schlafengeh'n
Gern noch meinen Engel seh'n! —

Mütterchen in Himmelslust
Drückt den Kleinen an die Brust:
"Schlafe, schlafe jetzt in Ruh',
Morgen siehst den Engel du." —
Und in sanftem Traum gewiegt
Nun der kleine Engel liegt. —

Eos küßt den Wolkensaum,
Und noch halb im Morgentraum
Wacht der kleine Schläfer wieder,
Öffnet kaum die Augenlider,
Rufet schon: "Lieb Mütterchen,
Siehst du da den Engel steh'n!"
Und mit seinem kleinen Arm',
Mit den Händchen lebenswarm,
Strebt er voll von Glutverlangen
Seinen Engel zu umfangen,
Und das Äuglein mählig klar
Nimmt voll Lust — die Mutter wahr!

Kreuz und Schwert

Ein Schwert und eine Armbrust hingen
Einst neben vielen andern Dingen
In einer Sammlung, und erzählten sich,
Wie es gekommen, daß sie nun
Zusammen an den Wänden ruh'n.
Das Schwert sprach: einst erlöste mich
Des Bergmanns Hand vom Erdengrabe,
Wo ich so manches Jahr vergessen
Als Eisenkloß geschlafen habe;
Dann mußt' ich durch des Schmiedes Essen,
Und ward zum Spaten, den die Hand
Des Landmanns durch die Furche wand. —
Der Landmann starb. — Sein frommer Sohn
Pflanzt', als der Kindesliebe Lohn,
Den Spaten, dem die Form er gab
Von einem Kreuze — auf sein Grab,
Wo ich manch langes Jahr schon stand,
Als einst ein Dieb mit frecher Hand
Mich abriß — hätt' er's nie getan!
Denn kaum stand es sechs Monden an,
Da schmiedete man mich zum Schwert,
Und der als Grabkreuz mich begehrt',
Erhielt mich nun von Henkershand,
Als er am Hochgerichte stand. —

So sprach das alte Eisenschwert,
Sein Wort ist des Gedankens wert!

* * *

Das Eisen ist das Menschenherz,
Ist des Gewissens reines Erz!
Der Mensch prägt es durch seine Taten
Zu seines Friedens - Ackers Spaten;
Zum Kreuze, das auf seinem Hügel
Ihm prangt, der letzten Ruhe Siegel!
Doch ist er nicht des Kreuzes wert,
So wird der Spaten ihm zu Schwert!

Der Nagel

Zu Bagdad im Schatz des Kalifen lag
Ein Demant, der blitzte hell wie der Tag
Im siebenfachen prächtigen Schein';
Dabei lag ein rostiges Nägelein.

Grollte der Demant, der König im Schatz:
"Räume, du rostiger Nagel, den Platz!
Ziemt es wohl, daß zu solch edlem Gestein
Schleiche ein rostiger Nagel sich ein?" —

Meinte dagegen der Nagel: "Daß ihr
Heute noch flimmert im Schatzkästlein hier,
Daß der Kalife noch Kronen nennt sein,
Dankt er dem rostigen Nagel allein.

Noch sind zehn Monden wohl nicht vorbei,
Da floh der Kalif durch die Wüstenei;
Des Rosses Flug' folgt der Feinde Troß,
Da machte ein Huf vom Pferde sich los.

Nur ich allein hielt das Eisen am Huf,
Der Huf hielt das Pferd, das gehorsam dem Ruf'
Den Reiter erhielt, — der erhielt das Land;
Und so bot Eines dem Andern die Hand.

Und hätte der Huf nicht erhalten das Roß,
So hätt' es ereilt der Verfolger Troß,
So hätte das Roß nicht erhalten den Mann;
Und ohne dem wär's um das Reich längst getan! —

* * *

Der du den Landmann mit halbem Gesicht
Betrachtest — bedenk', was das Nägelein spricht:
Die erste Furche zur sicheren Saat
Gräbt wohl der rostige Pflug für den Staat!

Der Luftballon

Festgebunden an den Pfählen
Hing ein schöner Luftballon,
Sich den Lüften zu vermählen
Zittert seine Kugel schon.

Und der Künstler stand daneben,
Schürt und bläst mit frohem Blick',
Um mit Gasen zu beleben,
Sein geschaffnes Meisterstück.

Und sein Ächzen und sein Beben
Rührte einen Schmetterling,
Der auf dunkelblauen Reben
In dem nahen Busche hing.

"Ach wie bist du zu beklagen!"—
Rief die Sylphe, — "hingen dir
Flügel an, wie sie mich tragen,
Lägst du nicht so stöhnend hier."

Und er schlägt die bunten Flügel
Auseinander und entfleucht
Auf den nächsten Blumenhügel,
Wo er sich schon Adler däucht.

Doch die Glut weht immer heller,
Die den Luftballon umfacht,
Und die Gase strömen schneller —
Jetzt reißt er das Seil mit Macht.

Schwingt begeistert von der Flamme,
Und belebt von inn'rer Glut,
Weit entfernt vom Erdenschlamme
Aufwärts sich, wo Psyche ruht. —

* * *

Also suchen große Seelen,
Wenn ihr Schmerz am höchsten ist,
Sich dem Himmel zu vermählen,
Der mit Leiden sie begrüßt,
Und in seinem höchsten Schmerz
Zeigt die höchste Kraft das Herz!