Frauenlieder
Lied 1
1.
Dêst ein nôt, daz mich ein man
vor al der werlte twinget, swas er wil.
sol ich, des ich niht enkan,
beginnen, daz ist mir ein swaerez spil.
Ich hât ie vil staeten muot.
nu muoz ich leben als ein wîp,
diu minnet und daz angestlîchen tuot.
2.
Der mîn huote, des waere zît,
ê daz ich iht getaete wider in.
wolt er lâzen nû den strît!
wes gert er mêre, wan daz ich im holder bin
Danne in al der werlte ein wîp?
nu wil er – daz ist mir ein nôt —,
daz ich durch in die êre wâge und ouch den lîp.
3.
Des er mich nu niht erlât,
daz tuon ich unde tete sîn gerne vil,
wand ez mir umb in sô stât,
daz ich sîn niht ze vriunde enbern wil.
Ein alsô schône redender man,
wie möhte ein wîp dem iht versagen,
der ouch sô tugentlîche lebt, als er wol kan?
4.
Schône kann er im die stat
gevüegen, daz er sprichet wider mich.
zeinen zîten er mich bat,
daz ich sînen dienest naeme; daz tet ich.
Dô wânde ich des, ich taete wol.
dône wiste ich niht, daz sich dâ huop
ein swaere, diu lange an mînem lîbe wesen sol.
5.
Mînes tôdes wânde ich baz,
danne daz er gewaltic iemer wurde mîn.
wê, war umbe spriche ich daz?
jâ zürne ich âne nôt; ez solte eht sîn.
Dicke hât ich im versaget,
dô tet er als ein saelic man,
der sînen kumber alles ûf genâde klaget.
1.
Es ist eine Qual, daß mich ein Mann
in aller Öffentlichkeit zwingt, wozu er will.
Wenn ich etwas, was ich nicht kann,
beginnen soll, dann ist das schwer für mich.
Ich bin immer sehr standhaft gewesen.
Nun aber muß ich leben wie eine Frau,
die liebt und dies in Angst tut.
2.
Es wäre Zeit, daß jemand auf mich aufpaßte,
bevor ich mich in irgendeiner Weise auf ihn einlasse.
Wenn er jetzt doch aufhören wollte, mich zu bestürmen!
Was will er mehr, als daß ich ihn mehr liebe
als jede andere Frau in der ganzen Welt?
Nun will er – das ist mein Kummer —,
daß ich für ihn meine Ehre und auch mein Leben wage.
3.
Was er mir nun nicht erläßt,
das tue und täte ich überaus gern,
denn, was ihn angeht, steht es um mich so,
daß ich auf ihn als Freund nicht verzichten will.
Wie könnte eine Frau einem Mann auch
etwas versagen, der so wunderbar redet
und dazu so vorbildlich lebt, wie er nur kann?
4.
Er versteht es wunderbar, die Gelegenheit
abzupassen, um zu mir zu sprechen.
Einmal bat er mich,
seinen Dienst anzunehmen. Das tat ich.
Da meinte ich, richtig zu handeln.
Ich wußte nicht, daß damit der Kummer
begann, der mich noch lange bedrücken wird.
5.
Besser erschiene mir mein Tod,
als daß er jemals Macht über mich gewänne.
Ach, warum sage ich das?
Ich zürne ohne Not; es sollte doch sein.
Oft hatte ich ihn abgewiesen,
da verhielt er sich wie ein vorbildlicher Mann,
der sein Leid ganz im Vertrauen auf Gnade beklagt.
Lied 2
1.
»War kan iuwer schoener lîp?
wer hat iu, saelic vrouwe, den benomen?
ir wâret ein wunneclîchez wîp,
nu sint ir gar von iuwer varwe komen.
Dâst mir leit und müet mich sêre.
swer des schuldic sî, den velle got und nem im al sîn êre.«
2.
>Wâ von solt ich schoene sîn
und hôhes muotes als ein ander wîp?
ich hân des willen mîn
niht mêre wan sô vil, ob ich den lîp
Mac behüeten vor ir nîde,
die mich zihent unde machent, daz ich einen ritter mîde.
3.
Solhe nôt und ander leit
hât mir der varwe ein michel teil benomen.
doch vröuwet mich sîn sicherheit,
daz er lobte, er wolte schiere komen.
Weste ich, ob ez alsô waere,
sô engehôrte ich nie vor maniger wîle mir ein lieber maere.
4.
Ich gelache in iemer an,
kumt mir der tac, daz in mîn ouge ersiht.
wand ichs niht verlâzen kan
vor liebe, daz mir alsô wol geschiht.
Ě ich danne von im scheide,
sô mac ich sprechen 'gên wir brechen bluomen ûf der heide.'
5.
Sol mir disiu sumerzît
mit manigem liehten tage alsô zergân,
daz er mir niht nâhen lît,
dur den ich alle ritter hân gelân,
Ôwê danne schoenes wîbes!
sôn kam ich nie vor leide in groezer angest mînes lîbes.
6.
Mîne vriunde mir dicke sagent —
und liegent -, daz mîn niemer werde rât.
wol in, daz si mich sô klagent!
wie nâhen in mîn leit ze herzen gât!
Swenne er mich getroestet eine,
sô gesiht man wol, daz ich vil selten iemer iht geweine.<
1.
»Wo ist Eure Schönheit geblieben?
Wer hat Euch, liebe Herrin, die genommen?
Ihr wart eine wunderschöne Frau,
nun habt Ihr all Euren Glanz verloren.
Das ist mir leid und bekümmert mich sehr.
Wer daran Schuld hat, den möge Gott vernichten und ihm all seine Ehre nehmen.«
2.
>Wie könnte ich so schön
und froh sein wie andere Frauen?
Ich habe keinen Wunsch
mehr als den, mich vor der Mißgunst derer zu hüten,
die mich tadeln und es bewirken,
daß ich einem Ritter fernbleibe.
3.
Dieser Kummer und anderes Leid haben
mir viel von meiner Schönheit genommen.
Doch freut mich sein Versprechen,
das er gab, er wolle bald zurückkommen.
Wenn ich wüßte, daß es so wäre,
dann hätte ich seit langer Zeit keine so liebe Nachricht gehört.
4.
Ich werde ihm immer zulächeln,
wenn der Tag kommt, an dem ich ihn erblicke.
Denn ich werde es nicht lassen können
aus Freude darüber, daß ich ein solches Glück erlebe.
Bevor ich mich dann von ihm trenne,
kann es wohl sein, daß ich sage: 'Gehen wir Blumen auf der Wiese pflücken!'
5.
Wenn mir dieser Sommer
mit manchem strahlenden Tag vergehen soll,
ohne daß er nahe bei mir liegt,
um dessentwillen ich alle Ritter aufgegeben habe,
dann wehe meiner Schönheit!
Niemals hatte ich vor Kummer größere Sorge um mein Aussehen.
6.
Meine Verwandten sagen mir oft —
aber sie lügen! – daß es keinen Trost für mich gibt.
Wohl ihnen, daß sie mich so bedauern!
Wie nah ans Herz ihnen mein Schmerz geht!
Wenn nur er allein mich tröstet,
dann wird man schon sehen, daß ich niemals mehr weine.<
Lied 3
1.
»Zuo niuwen vröuden stât mîn muot
vil schône«, sprach ein schoenez wîp.
»ein ritter mînen willen tuot;
der hât geliebet mir den lîp.
Ich wil im iemer holder sîn
denne keinem mâge mîn.
ich getuon ime wîbes triuwe schîn.
2.
Diu wîle schône mir zergât,
swenne er an mîme arme lît
und er mich zuo ime gevangen hât.
daz ist ein wunnenclîche zît.
Sô ist mîn trûren gar zergân
und bin al die wochen wol getân.
ei, waz ich denne vröuden hân!«
1.
»Neuen Freuden seh ich
froh entgegen«, sagte eine schöne Frau,
»ein Ritter tut meinen Willen,
der hat mich beglückt.
Ich will ihn immer mehr lieben
als irgendeinen meiner Verwandten.
Ich werde ihm zeigen, was die Treue einer Frau bedeutet.
2.
Herrlich geht die Zeit für mich dahin,
wenn er in meinem Arm liegt
und mich an sich drückt.
Das ist ein glücklicher Augenblick.
Dann ist mein Kummer völlig verflogen,
und ich bin die ganze Woche lang vergnügt.
Oh, welche Freude ich dann habe!«
Lied 4
1.
Ungenâde und swaz ie danne sorge was,
der ist nu mêre an mir,
danne ez got verhengen solde.
rât ein wîp, diu ê von senender nôt genas,
mîn leit, und waer ez ir,
waz si danne sprechen wolde.
Der mir ist von herzen holt,
den verspriche ich sêre,
niht durch ungevüegen haz,
wan durch mînes lîbes êre.
2.
Ich bin niht an disen tac sôher bekomen,
mir ensî gewesen bî
underwîlent hôchgemüete.
guotes mannes rede habe ich vil vernomen;
der werke bin ich vrî,
sô mich iemer got behüete.
Dô ich im die rede verbôt,
dône bat er niht mêre.
disen lieben guoten man,
enweiz ich, wie ich von mir bekêre.
3.
Als ich eteswenne in mîme zorne sprach,
daz er die rede vermite
iemer dur sîn selbes güete,
sô hât er, daz ichz an manne nie gesach,
sô jaemerlîche sîte,
daz ez mich zwâre müete,
und iedoch sô sêre niet,
daz ers iht genieze.
mir ist lieber, daz er bite,
danne ob er sîn sprechen lieze.
4.
Mir ist beide liep und herzeclîchen leit,
daz er mich ie gesach
oder ich in sô wol erkenne,
sît daz er verliesen muoz sîn arebeit,
sô wol als er mir sprach.
daz müet mich doch eteswenne,
und iedoch dar umbe niht,
daz ich welle minnen.
minne ist ein sô swaerez spil,
daz ichz niemer tar beginnen.
5.
Alle, die ich vernam und hân gesehen,
der keiner sprach sô wol
noch von wîben nie sô nâhen.
waz wil ich des lobes? got lâze im wol geschehen.
sîn spaehe rede in sol
lützel wider mich vervâhen.
Ich muoz hoeren, swaz er saget.
wê, waz schât daz ieman,
sît er niht erwerben kan
weder mich noch anders nieman?
1.
Was es jemals an Unglück und Sorge gab,
davon habe ich nun mehr,
als Gott zulassen sollte!
Wenn eine Frau sich je in ihrem Liebesschmerz tröstete,
soll sie mir raten, was sie, hätte sie meinen Kummer,
jetzt sagen würde.
Den, der mir von Herzen zugetan ist,
weise ich entschieden ab,
jedoch nicht aus maßlosem Haß,
sondern aus Rücksicht auf meine Ehre.
2.
Ich habe mein Leben bislang nicht so verbracht,
daß ich bisweilen
nicht glücklich gewesen wäre.
Die Worte eines lieben Mannes habe ich oft gehört,
eingelassen habe ich mich darauf nicht,
so Gott mich stets behüte.
Als ich ihm verbot zu reden,
da bat er nicht weiter.
Diesen lieben, guten Mann,
ich weiß nicht, wie ich ihn von mir abwenden kann.
3.
Als ich damals in meinem Zorn sagte,
er solle dieses Thema für immer,
bei seinem guten Wesen, meiden,
da sah er, wie ich es noch nie an einem Mann erlebt habe,
so kläglich aus,
daß es mich wirklich bewegte,
aber so sehr nun wieder nicht,
daß er einen Nutzen davon hat.
Mir ist es lieber, daß er seine Bitte vorträgt,
als daß er gar nichts sagt.
4.
Mir ist es lieb und zugleich herzlich leid,
daß er mich je sah
und ich ihn so gut kenne,
weil seine Mühe vergeblich bleiben muß,
so wunderbar er auch zu mir sprach.
Das bekümmert mich doch manchmal,
aber nicht etwa deshalb,
weil ich ihn lieben wollte.
Liebe ist ein so schwieriges Spiel,
daß ich es niemals zu beginnen wage.
5.
Von allen, die ich je hörte und sah,
hat nicht einer so schön
und bewegend über Frauen gesprochen.
Was will ich Lob? Gott lasse es ihm wohl ergehen.
Seine Redekunst soll
bei mir überhaupt nicht verfangen.
Ich muß hören, was er sagt.
Ach, was kann das jemand schaden,
da er weder mich
noch jemand anderen erobern kann?
Quelle:
©Reclam 1990/Frauenlieder des Mittelalters /Übersetzt und herausgegeben von ©Ingrid Kasten