Fabelverzeichnis
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Der fahrende Berufssänger mit dem redenden Künstlernamen »Räum-das-Land«
hielt sich nach Ausweis seiner Gedichte vorwiegend in der nördlichen Hälfte
des deutschen Sprachraumes auf.
Seine datierbaren (politischen) Strophen fallen in die Zeit zwischen 1273 und 1286.
Mehrfach beteiligte sich Rumelant an Sängerkriegen mit anderen Kollegen.

Unter dem Namen »Rumslant«/»Meyster Rumelant« sind zahlreiche Strophen (130) überliefert.


 

Der den zirkel tichte
 

Der den Kreis entworfen hat
 
1.
Der den zirkel tichte
sinewel umme
und die linien durch die richte
sunder alle krumme
nach der winkel maze
zwier wende schaft,
Wol sin zirkel elle
dinc begrifet,
beide himel und die helle,
daz im nicht untslifet.
ganz in rechter saze
vullichlich sin kraft
Gezirkelt hat sich selbe um alle kere,
daz nicht ist uzen im, des man gedenket,
Sin linie durch den zirkel recht uns lere
der wise geist, den uns der vater schenket:
Und den sun gewaltich
künde senden
uns ein got, des name drivaltich
ist, der in zwen wenden,
zwier e gelaze,
selbe ist winkelhaft.

*
2.
Loterritter, böse
phlichtgeselle,
daz din wib got von dir löse!
du laz und du snelle:
snell in houbetschanden,
aller tugende laz.
Vische, vogele, worme,
tier mit lüten
diner vreuden burch irstorme!
waz ich kan gedüten
gnade in allen landen,
sol dir sin gehaz.
Dich mide gruz von allen guten vrouwen,
din same und ouch din sat vurdurre unsüze,
So Gelboe der berc von allen touwen
vurteilet ist. der vluch dir haften müze!
Unheil dir begegene,
swa du keres!
swebel, bich, vür of dich regene,
wen du schände meres.
got der sol min anden
an dir rechen baz.

*
3.
Prübet, herren, prübet,
wer vurtirbet,
nach dem lützel ougen trübet!
der in kirge stirbet,
sin lob mit im siget,
so daz recht gebot.
Swa ein milter herre
libes wantelt,
klagende lob vür helle werre
wirt um in gemantelt,
daz er schone of stiget
uz von aller not.
Wer helfet dem, des name hie wirt vurgezzen,
des man nach tode selten wol gedenket?
Sie ne ruchen, die sin erbe haben besezzen,
ob er wirt in der helle grünt gesenket.
Swer nu lob vursumet
riche lebende,
swenne er'z hie mit schänden rumet,
klage im nach zu gebende
wirt vil gar geswiget,
so ist er vullen tot.

*
4.
Missinc unde kopfer,
der daz werket,
der ist ouch ein hamerklopfer.
doch so wirt gemerket
missinc bi dem golde,
swer daz prüben kan.
Luter guldin smide
vürsten zieret.
herren brüste nicht irlide
kopfer wirt gewieret,
missincmeister solde
wichen baz hindan.
Die vürsten sint des kopfers worden inne,
wie daz gemischet ist mit kalemine.
Die trügen ez noch vür gut in irme sinne,
gemischet valsch bi goldes Hechten schine.
Kunterfeiter bringe
din zimirde!
missinc unde kopfer dringe
her mit valscher wirde!
daz din herze wolde,
dar hastu nicht an.

*
5.
Ihesus Krist, der kristen
e wart gichtich,
der mac uns vil wol gevristen.
daz ist ougensichtich.
todes kunft uns allen
willich ist bereit.
Got hett einen Marner
lange vristet,
der was maniges warner.
nu hat in vurlistet
mortlich todesvallen.
got, daz ist mir leit.
Schentlicher mort der wart noch nie begangen
an eime kranken blinden alten manne,
Dem selber nach dem tode mochte klangen.
die morder sin die sten zu gotes banne.
Kristes muter, süze
maget, gedenke,
waz er dines lobes grüze
schone mit gelenke
manigem künde schallen
diner werdicheit.
 
1.
Der den Kreis entworfen hat
ringsherum
und die Linie genau hindurch
ohne alle Krümmung
nach Maßgabe des Winkels,
den zwei Schäfte bilden:
sein Kreis umfaßt
alle Dinge,
auch Himmel und Hölle,
so daß nichts aus ihm herausfällt.
Mit ganz genauem Zirkelansatz
hat seine Kraft sich so vollkommen
nach allen Richtungen herumgezirkelt,
daß man nickts denken kann, was außer ihm
Der weise Geist, den uns der Vater schenkt,
lehre uns recht seine Linie durch den Kreis:
daß uns den mächtigen Sohn
gesandt hat
ein Gott, dessen Name dreifaltig ist,
der an zwei Wänden,
wo zwei Testamente sich zusammenfügen,
selbst den Winkel bildet.

*
2.
Lotterritter,
treuer Gefährte des Bösen,
daß doch Gott dein Weib von dir erlöse!
Du Fauler und du Eifriger:
eifrig in den Hauptschanden,
faul in allen Tugenden.
Fische, Vögel, Kriech- und Lauftiere
samt allen Menschen
sollen deiner Freuden Burg erstürmen.
Was ich an Gnadengaben
irgendwo auffinden kann,
soll dich alles hassen!
Es meide dich der Gruß von allen edlen Frauen!
Dein Same, deine Saat verdorre in Bitternis,
so wie vom Berge Gilboa aller Tau
verbannt ist. Solcher Fluch möge an dir haften.
Unheil treffe dich,
wohin du gehst!
Schwefel, Pech und Feuer regne auf dich,
weil du die Schande mehrst!
Gott soll meinen Zorn
noch schlimmer an dir rächen.

*
3.
Prüft, ihr Herren, prüft
und seht hin, wer so stirbt,
daß kaum ein Auge nach ihm trüb wird!
Wer im Geiz dahingeht,
dessen Lob schwindet mit ihm,
wie es die Gerechtigkeit will.
Wo ein freigebiger Herr
aus dem Leben scheidet,
da wird klagendes Lob als Mantel
gegen die Gefahren der Hölle um ihn gelegt,
so daß er unbehelligt
aus aller Not aufsteigt.
Wer aber hilft dem, dessen Name hier vergessen wird,
an den man, wenn er tot ist, nie mehr freundlich denkt?
Die sein Erbe übernommen haben, kümmert es nicht,
ob er in den Höllengrund geworfen wird.
Wer als Reicher hier im Leben
versäumt hat, für sein Lob zu sorgen,
wenn der mit Schande von hier verschwindet,
wird sich keine Stimme erheben,
ihm Klage nachzusenden.
Dann ist er vollends tot.

*
4.
Messing und Kupfer,
wer das bearbeitet,
ist wohl auch ein Hammerklopfer.
Aber beim Vergleich mit Gold
wird erkannt, was Messing ist,
von einem, der zu unterscheiden weiß.
Reines Goldgeschmeide
ziert Fürsten.
Die Brust von Herren dulde kein Kupfer.
Wo Schmuck gemacht wird,
sollte der Messingmeister
sich ganz fernhalten.
Die Fürsten aber haben sich aufs Kupfer eingelassen,
wenn es legiert ist mit Galmei.
Sie trügen's gerne als Gesinnung, so als war es edel,
gefälschte Mischung, die nur glänzt wie Gold.
Fälscher, so bringe nur
deinen Zierat!
Messing und Kupfer,
dränge dich nur vor mit angemaßter Würde!
Was du so gerne möchtest,
davon hast du doch nichts.

*
5.
Jesus Christus, der sich
zum Bund mit den Christen bekannt hat,
kann unser Leben erhalten.
Das sieht, wer Augen hat zu sehen.
Der Tod ist eifrig bereit,
zu uns allen zu kommen.
Gott hatte einen Marner
lange leben lassen,
der war für viele ein Warner.
Nun hat ihn überlistet
eine mörderische Todesfalle.
Gott, das betrübt mich.
Ein schändlicherer Mord ist nie begangen worden
an einem kranken, blinden alten Mann,
der sich wohl selbst schon nach dem Tode sehnte.
Seine Mörder stehen unter dem Bannfluch Gottes.
Mutter Christi, süße
Jungfrau, denke daran,
wie viele Lobesgrüße,
schön und geschmeidig,
er vor vielen zu singen wußte
auf dich und deine Ehre.
 
Ir knechte, set üch alle vür
 
Ihr Knappen alle, sorgt für euch
 
Ir knechte, set üch alle vür, des sult ir mir gelouben:
der vürsten und der herren vride ist uz gegangen.
Swer nu kan tac unde nacht hus unde strazen rouben,
der wirt in der herberge wol untfangen.
Swenne er maniger hande ware in sime sacke bringet,
so wirt im gelt,
Davon im sin gere und ouch sin bütel dicke erklinget.
er kluger helt,
Ist er dan ein küne rouber grimmes mutes,
im gebrichet e des libes dan des gutes.

2.
Got, der nie sündenwerc begienc, der mache'z in zu sure,
der schult ez si, daz man urlouge nicht ensünet.
Sie hetten leides al zu vil, die armen lantgebure.
nu se ich, daz bi irme gute maniger künet:
Die kranke diet von swacher art
die kristenheit nu neisen.
gebures kint
Die 'nlazen nichtes nicht den armen witewen unde weisen,
die rouber sint,
Sie loufen sumeliche von ir meister pfluge,
den armen lüten nieman tut so groze unvuge.

3.
Ich wolte, daz die hoen vürsten und die herren alle
gedechten an die not der gotes kristenheite.
Daz man sie vünde in milten mute in richer vreuden schalle,
daz in irn landen were vride, gut geleite,
So mochten sie mit rechticheit vür gotes angesichte
zu rechte stan.
Mit kurzen worten sprichet got, sin grüwelich gerichte
sol vollen gan
Of den, der unrecht urloug und unvride minnet,
daz er in hellegluten sunder vride brinnet.

*
4.
Vil lieber Marner, vrünt, bistu der beste dütische singer,
den man nu lebendich weiz, des hat din name groz ere.
Du has die museken an der hant,
die sillaban an dem vinger
gemezzen, des vursma die leien nicht zu sere.
Du weist nicht al, daz got vurmac, wie er al sine gabe
geteilet hat.
Ja git er eime Saxsen also vil also eime Swabe
helfe unde rat.
Daz sunte Pawel in der pisteln hat gesprochen,
»got git nach sinen willen«, la daz ungerochen!

*
5.
Die swalewe vet die mucken vür den valken,
des sie baget.
den ertvlug und den swippersweif kan sie baz üben.
Ir arme quitel zwitter Schorfen snarz ouch sänge laget.
sie wil mit listen aller vogele döne prüben.
Die lerche und ouch die nachtegal
die müzen von der swalewen
vurdulden spot.
Daz ist mir leit, ich klage'z me, dan ob die louber valewen.
ach herre got,
Wie sol ein tore werden wis, der sich vurgizzet,
der zirket vremede kunst, e danne er sine mizzet?
 
Ihr Knappen alle, sorgt für euch! Ihr sollt mir glauben:
Der Fürsten und der Herren Friede ist aufgehoben.
Wer jetzt tags oder nachts in Häusern und auf Straßen raubt,
wird in der Herberge freundlich aufgenommen.
Wenn er im Sack vielerlei Waren mitbringt,
so wird er gut bezahlt,
daß ihm die Manteltasche und der Beutel kräftig klingeln.
Ein schlauer Bursche!
Ist er nur keck als Räuber und brutal,
wird's ihm, solang er lebt, an Geld nicht fehlen.

2.
Gott, der nie Sündenwerke tat, mache es denen bitter,
die daran schuld sind, daß man Fehden nicht beendet.
Die armen Bauern hatten schon ein allzu schweres Leben.
Nun seh ich, daß von ihrer Habe sich mancher ausrüstet:
Schlechte Leute minderer Herkunft
plagen nun die Christenheit.
Bauernbrut
läßt den armen Witwen und Waisen nichts mehr übrig.
Die Räuber
sind oft ihren Meistern vom Pflug weggelaufen,
und niemand tut den armen Leuten soviel Unrecht wie sie.

3.
Ich wollte, daß die hohen Fürsten und die Herren alle
dächten an die Not von Gottes Christenheit.
Fände man sie freigebigen Sinns bei ihren reichen Festen
und gäb's in ihren Ländern Frieden, sicheres Geleit,
dann dürften sie vor Gottes Angesicht gerechtfertigt
zu seiner Rechten stehen.
Gott sagt es knapp und klar: Sein furchtbares Gericht
wird über den ergehen,
der ungerechten Krieg und Unfrieden liebt,
der wird auch ohne Frieden in den Höllengluten brennen.

*
4.
Mein lieber Marner, guter Freund,
bist du der beste deutsche Sänger,
der heute lebt, so hat dein Name große Ehre.
Du hast die Musik an der Hand, die Silben am Finger
gemessen, doch verschmähe nicht zu sehr die Laien.
Du weißt nicht alles, was Gott vermag,
nicht, wie er seine Gaben verteilt hat.
Er gibt ja einem Sachsen ebensoviel Rat und Hilfe
wie einem Schwaben.
Was Sankt Paulus hat gesagt in der Epistel —
»Gott gibt nach seinem Willen« —, das laß unangefochten!

*
5.
Die Schwalbe fängt die Mücken besser als der Falke,
dessen rühmt sie sich.
Den Tiefflug und den Wendeschwung beherrscht sie besser.
Doch zielt ihr ärmlicher Zerfe-Zwitscher-Schnarre-Spott auch auf Gesang.
Sie will an ihrer Kunst die Lieder aller Vögel messen.
Die Lerche und die Nachtigall müssen von der Schwalbe
Spott ertragen.
Das ärgert mich, und ich bedaure es
mehr als das Welken des Laubs.
Ach Gott,
wie soll ein Tor, der sich verkennt, vernünftig werden,
der fremde Kunst nachrechnet, ehe er die seine mißt?
 
Ob aller minne minnen kraft
 
Der Liebeskraft ob aller Liebe
 
1.
Ob aller minne minnen kraft,
der hoch gelobeten werden minne meisterschaft,
der minnichlichen vreude gebenden minne,
Der süzen minne berenden vrucht,
die den heren geist mit siner gotes zucht
al ummesloz, der minne meisterinne,
Der wil ich singen minen sanc,
daz erste lob in diser nüwen wise,
Sit gotes zorn ir minne twanc:
maget Maria, din minne in hoen prise
Den starken got des überwant,
daz er durch menschen minne mensche wart irkant.
heil von Jesse dem vreude berenden rise.

*
2.
Ein tier hat grüwelichen zorn,
des alle jegere gruwet, daz ist der einhorn.
man jaget' in lange, in kunde nieman vahen.
Doch vienc in, so mir ist gesaget,
ein edele reine luter unbewullen maget.
do begunde ez siner müde vaste nahen.
Er leite sich in der megede schoz
und gab sich ane wunden ir gevangen,
Gewaltich, starc und also groz,
in ne kunden alle jegere nicht irlangen,
Wen do er sich gevangen bot.
sin vleisch wart müre geslagen, in stach ein jegere tot.
do wart ein türe wiltbrete of gehangen.

3.
Uns seit die glosa daz vür war:
got was vil erres mutes wol vünf tusent jar
und dannoch me, des wart vil manich tote
Behalten in der helle habe,
einborner gotes sune, do jagete dich herabe
din vater, wen er dich vurlos vil note.
Er jagete dich unz in den lib
der süzen maget, so man daz einhorn jagete.
Des alle megede und alle wib
getüret sin, daz sie dich wol behagete,
Die muter, die dich maget gebar.
man jagete dich darnach wol dri und drizich jar
und dennoch me, also din vater sagete.

*
4.
Nu set, daz wunder got vurmac:
sper unde krone of Drivels was vil manigen tac
behalten, e sich ieman sin vurmeze.
Nach keiser Vrideriches zit
waren küninge vünfe, der nie keiner sit
zu Ake, wen ich, küninges stul beseze.
Swie vil sie trugen arebeit
mit kost, mit koufe und ouch mit gabe,
Daz riche was in umbereit.
nu hab iz im von Havekesburch der grabe,
Der milte Rodolb unvurzaget.
in also grözen eren wart nie küninc betaget.
kum heil dem gotes uzirwelten Swabe!
 
1.
Der Liebeskraft ob aller Liebe,
der hochgelobten edlen Liebesmeisterschaft,
der liebenswerten freudespendenden Liebe,
der süßen liebebringenden Frucht,
die den hohen Geist mit seiner Gotteszeugung
ganz in sich aufnahm, der Meisterin der Liebe,
der will ich meinen Gesang anstimmen,
das erste Lob in dieser neuen Melodie,
weil ihre Liebe Gottes Zorn bezwang.
Jungfrau Maria, deine hochrühmliche Liebe
hat den starken Gott so überwunden,
daß er aus Menschenliebe sich als Mensch erkennen ließ.
Heil dem freudebringenden Zweig von Jesse!

*
2.
Ein Tier ist so grausam und zornig,
daß alle Jäger es fürchten; das ist das Einhorn.
Man jagte es lange, niemand konnte es fangen.
Doch fing es, so wurde mir gesagt,
eine edle, reine, keusche, unbefleckte Jungfrau.
Da kam es bald so weit, daß es sich müde fühlte.
Es legte sich der Jungfrau in den Schoß
und gab sich ihr gefangen, ohne sie zu verletzen.
Es war so stark und mächtig und so groß,
daß alle Jäger es nicht erreichen konnten,
bis es sich selbst gefangen hingab.
Sein Fleisch wurde mürbe geschlagen, ein Jäger stach es tot.
Da wurde ein edles Wildbret aufgehängt.

3.
Uns sagt der Kommentar dazu als Wahrheit:
Gott war sehr zornig wohl fünftausend Jahre lang
und länger, darum wurden viele Tote
gefangen in der Hölle festgehalten.
Da jagte dich herab, du eingeborener Gottessohn,
dein Vater, der dich doch ungern verlor.
Er jagte dich bis in den Leib
der süßen Jungfrau, so wie man das Einhorn jagte.
Drum seien alle Jungfrauen und Frauen
gepriesen, daß sie dir wohlgefiel,
die Mutter, die als Jungfrau dich gebar.
Man jagte dich danach noch dreiunddreißig Jahre
und mehr gemäß dem Worte deines Vaters.

*
4.
Nun seht, was für ein Wunder Gott vollbringen kann:
Speer und Krone waren auf Trifels lange Zeit verwahrt,
ehe jemand Anspruch auf sie haben durfte.
Seit Kaiser Friedrichs Zeit
gab es fünf Könige, von denen keiner, denke ich,
zu Aachen auf den Königsstuhl sich setzen durfte.
Sosehr sie sich auch mühten
mit Prachtentfaltung, mit Bestechung und Geschenken,
die Herrschaft übers Reich blieb ihnen verwehrt.
Nun soll sie der Graf von Habsburg haben,
der gütige und mutige Rudolf.
In so hohen Ehren hat man noch keinen König gesehen.
Gesegnet sei der gotterwählte Schwabe!
 
Aller güte vuller vlüte
 
Aller Güte Fluß und Flutenfülle
 
Aller güte vuller vlüte vloz in gnadenstramen
kumt gevlozzen her uz gotes herzen griez orsprunge.
da von trinkent al, die siner helfe durstic sin.
Sin geist vlüzet. des genüzet, swer des kan geramen,
daz er sündenrüwich si. der schrie an gotes barmunge,
so mac er gelazen nicht, er tu im helfe schin.
Er stet zu vange mit den armen,
im zur axlen ist sin houbt geneiget,
Als er sich wil über uns irbarmen:
umbevanc und kus er uns irzeiget.
Sünder, wiltu gnade suchen, du bist ungeveiget.
dines herzen ougenvlut mit rüwe trost of reiget.
damit wirt gesweiget al die lange sorge din.

*
2.
Klar gelutert, liecht in schine, glanz ein lieblich Sterne
liez mich sinen werden glast bi sunnenschine an blicken,
do dachte ich: ist diz Merkurius? ich sol werden rich.
Do quam trübe ein wolken swarz, ich sach ez vil ungerne,
daz begunde sine dinster vur den sterne schicken.
also wart sin blic untwendet mir vurlustelich.
So kreftich starc, als ich in prübe,
so truwe ich, daz er daz wolken breche.
Er schinet wol durch sine trübe,
swenn er wil, daz er sich selben reche.
Of daz man im wol zu siner liechten glenze spreche,
so rat ich, daz er vurtelge valsche wolken vreche.
ich an miner zeche sach den stern zu Bruneswich.
 
Aller Güte Fluß und Flutenfülle kommt als Gnadenströmen
hergeflossen aus der Quelle Kies, aus Gottes Herzen.
Davon trinken alle, die nach seiner Hilfe dürsten.
Sein Geist strömt. Davon kostet, wer sich Sündenreue
zum Ziele setzen kann. Er schreie um Gottes Erbarmen,
dann wird er ihm, er kann nicht anders, helfen.
Er steht, die Arme zum Empfang gebreitet,
zur Schulter ist sein Haupt geneigt:
So will er sich unser erbarmen,
Umarmung und Kuß zeigt er uns so an.
Sünder, wenn du Gnade suchst, verfällst du nicht dem Tode.
Deines Herzens Augenflut gewinnt dir Trost durch Reue,
und so wird deine ganze lange Angst gestillt.

*
2.
Klar und lauter, hell erstrahlend, ließ ein freundlicher Stern
mich seinen edlen Glanz am hellen Tag erblicken.
Da dachte ich: Ist dies Merkur? So werde ich wohl reich.
Da kam eintrübend eine schwarze Wolke, sehr ungern sah ich das.
Die ließ ihre Finsternis den Stern bedecken.
So wurde sein Anblick mir geraubt zu meinem Schaden.
Doch so stark und kräftig, wie ich ihn kenne,
traue ich ihm zu, daß er durch die Wolke bricht.
Er kann durch ihre Trübung leuchten, wenn er will,
um sich an dem zu rächen, was ihn stört.
Damit man seinen hellen Glanz auch rühme,
so rate ich, daß er vertilge freche, falsche Wolken.
Als ich die Rechnung zahlen sollte, sah ich den Stern zu Braunschweig.
 
Untrüwe slichet als ein mus
 
Untreue schleicht wie eine Maus
 
1.
Untrüwe slichet als ein mus
in valsches mannes herzen hus,
der sie mit willen huset.
Der wenet, daz er werde rich,
und slint den angel girichlich.
her vox, der wile ir muset,
So rat ich, daz ir umme sen.
ir muget beslichen werden of der weide,
Da ir Verliesen üwern balc.
schint man den ungetrüwen schale,
ich tröste mich der leide.

*
2.
Daz ein getrüwe steter man
vil Schalkes list weiz unde kan,
des wil ich im wol günnen.
»Nicht, meister, tu die sprüche hin!
min trüwer mut, min steter sin
sol nimmer valscheit künnen.«
Nein, steter vrünt, getrüwer helt,
du must wol schalkheit wizzen unde prüben,
So kanstu schalken widerstan.
hastu ir liste, die sie han,
du ne solt ir doch nicht üben.

*
3.
Die tenschen morder haben den pris!
zu morde nieman ist so wis,
da man sol küninge morden.
Sie morden gerne unde künnenz wol.
den hoesten mort man prisen sol
zu Jütlante in dem norden:
Dar ist begangen mortlich mort.
sie künden iren küninc unsanfte wecken
Of einem bette, da er slief.
sex unde vünftich wunden tief
durchstachen im die recken.

4.
Sie mügen wol küne recken sin,
daz ist an irme lebende schin,
die ez mit den handen taten:
Ir varwe und ir gelaz ist hin,
sich hat vurwandelt al ir sin.
die'z mit in haben geraten,
Die ne wizzen sich nicheinen rat,
sie geren dem jungen küninge bi zu stande.
Sie willen sin unschuldich noch
und bieten vür ir tenisch loch.
nein, ez wirt anders gande.

5.
Ir morder, prübet üwern mort,
wie groz ein mortlich sündenhort
in üwer kameren hordet!
Set, üwer küninc was üwer knecht,
der ü gewalt gab unde recht.
den habet ir gemordet.
Des sit ir immer me vursmat,
von allen gnaden vreudelos gescheiden.
Der mort ist üwer heilvurtrib.
man git daz krüze of üweren lib
und slet üch sam die heiden.
 
1.
Untreue schleicht wie eine Maus
und nistet sich im Herzen eines falschen Mannes ein,
der nimmt sie gerne bei sich auf.
Er glaubt, er werde dadurch reich,
und schluckt den Angelhaken gierig.
Herr Fuchs, geht Ihr auf Mäusejagd,
so rat ich, daß Ihr um Euch blickt.
Es könnte jemand gegen Euch anschleichen,
so daß beim Mausen Ihr das Fell verliert.
Wenn man dem ungetreuen Schuft die Haut abzieht,
kann ich das leicht verschmerzen.

*
2.
Daß ein verläßlich ehrlicher Mann
viel Schurkenlisten weiß und kennt,
will ich ihm nicht verargen.
»Nein, Meister, sag so etwas nicht!
Mein ehrliches Herz, mein getreuer Sinn
soll niemals Bosheit kennen.«
Doch, mein getreuer Freund, ehrlicher Mann,
du mußt die Schurkerei durchschauen und kennen,
dann kannst du auch den Schurken widerstehen.
Verfügst du über alle ihre Listen,
anwenden sollst du sie doch darum nicht.

*
3.
Die dänischen Mörder verdienen den Preis.
Niemand versteht aufs Morden sich wie sie,
wenn es gilt, Könige zu morden,
Sie morden gern und können es gut.
Den höchsten Mord soll man auszeichnen
In Jütland, dort im Norden:
Da ist ein mörderischer Mord begangen worden,
Sie konnten ihren König unsanft wecken,
als er in einem Bette schlief.
Sechsundfünfzig tiefe Wunden
haben diese Helden in ihn hineingestochen.

4.
Es müssen wohl mutige Helden sein,
die es mit ihren Händen taten,
das zeigt sich daran, wie sie sich verhalten:
Ihre gute Farbe, ihre Haltung ist dahin,
ihr ganzes Denken verändert.
Und die es mit ihnen rieten und planten,
die wissen sich keinen anderen Rat,
sie wollen dem jungen König beistehen.
Sie behaupten noch immer, unschuldig zu sein,
und berufen sich auf ihr dänisches Recht.
Nein, es wird anders kommen.

5.
Bedenkt, ihr Mörder, euern Mord,
welch großer Schatz an mörderischen Sünden
in euern Kammern aufgehäuft ist!
Seht, euer König war euer Knecht,
er gab euch Gewalt, er sprach euch Recht.
Den habt ihr ermordet.
Dafür seid ihr hinfort geächtet
und aller Gnaden, aller Freuden beraubt.
Der Mord zerstört euch euer Heil.
Man ruft zum Kreuzzug gegen euch auf
und erschlägt euch wie die Heiden.
 

Quelle:
© Deutscher Klassiker Verlag/2006/Deutsche Lyrik des späten Mittelalters/Herausgegeben von ©Burghart Wachinger