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Tagelied oder Wächterlied 3
 

Hugo von Montfort
Reinmar der Alte
Ulrich von Singenberg
Der Marner
Ulrich von Winterstetten
Heinrich von Frauenberg
Walther von Breisach
Günther von dem Forste

 

Hugo von Montfort
 
 
Ich fröw mich gen des abentz kunft
 
Ich freue mich abends
 
1.
Ich fröw mich gen des abentz kunft
der nacht, wenn si her slichen tuot.
Das machet als ir lieb vernunft,
davon so han ich hohen muot,
das ich ir guet solt sehen an:
frowt si mich nit die rein, die zart,
so wer ich gar ein hürnin man.

2.
Ein glöggli man erklenket suss,
darnach hör ich eins hornes don;
Ein halsen und ein lieplich kuss
das wirt uns beiden nun zelôn.
Wann scheiden daz tuot also we:
und gedecht ich nit hinwider ze kon,
so wer mins senens dester me.

3.
Mitt züchten schôn gar ân gever,
dabi so mug wir wol bestân;
Seit ieman davon andre mer,
da beschicht uns gar unguetlich an.
Venus und och Jupiter
die gând vor der sunnen:
damit so vert der tag daher.


~0~~0~~0~

 
1.
Ich freue mich abends auf die Nacht,
wenn sie leise herbeikommt.
Das macht alles ihre liebe, kluge Art,
durch die ich so hochgestimmt bin, da ich ihre
Vollkommenheit betrachten kann. Würde die
schöne, zärtlicher Frau mich nicht froh machen,
so wäre ich ein ganz und gar gefühlloser Mann.

2.
Ein Glöckchen läßt man süß erklingen,
danach höre ich ein Horn ertönen.
Nun werden wir beide mit einer Umarmung
und einem zärtlichen Kuß belohnt,
denn Abschied nehmen tut weh.
Und dächte ich nicht an die Rückkehr,
so wäre meine Sehnsucht noch größer.

3.
Liebevoll und ohne jede Arglist
werden wir zusammen sein.
Behauptet jemand etwas anderes,
dann geschieht uns großes Unrecht.
Venus und Jupiter
gehen der Sonne voraus.
Auf diese Weise bricht der Tag an.


~0~~0~~0~

 
Weka, wekch die zarten lieben!
 
Weck auf, weck die zärtliche Geliebte!
 
1.
Weka, wekch die zarten lieben!
ich glob, es si nicht unrecht tân;
ich wil ir nit betrigen:
der tag der gât daher.
Si stât zwar uff mit eren,
mins hertzen muot erkikerinn,
(ir glükch das tuot sich meren)
ze dinst dem werden gott.
Wer hât uff erd ein biderb wib,
der hât ein seldenrichen hort:
ir zucht, ir er ist leid vertrib. -
ich hör der vogel sang,
ich sich die sternen schiessen:
es chuolet gen dem morgen fruo.
mich tuot zwar nicht verdriessen:
das macht ir angesicht.

2.
Wachter, ich wil dir sagen:
was got uff erd ie geschaffen hât,
so tuond die frowen tragen,
der himel chör erfüllen.
Davon so lob ich selge wib
bi tag und och bi nacht,
die sind der welt doch leid vertrib:
ich wünsch in er und guot.
Das ich vil sung von wekchen,
min frow die stât mit selden uf,
fro Er die tuot si dekchen:
si fürcht nicht sunnen schin.
Ich lob minr frowen guete
für vogelsankch und bluomen schin:
si git gar hochgemuete,
ir er ist wol behuot.

3.
Ach wachter,ich muoss tichten
minr frowen hie ein tagewis;
und künd ichs wol ussrichten,
ich tetzmit gantzem fliss.
So ist mir min muot gesunken,
und gât das weltlich nicht me dar
(mag wol die jungen dunken),
und grawet mir min har.
Si hett michs wol erlassen,
so sol ich ir gehorsam sin:
in gassen und uff strâssen
ir diener bin ich zwâr.
Herr got, durch dine guete
verlich uns beiden sinn und muot,
vor ungelükch behuete
uns durch dine gnad.

4.
Ich wünsch minr frowen heile,
glükch, er und guot daz wont ir bi
und wird ir als ze teile:
got habs in siner huot!
Des swer ich wol bi minem lib,
das ich vil sung von sternen schin;
dafür sech ich ein biderb wib,
die geb mir hochgemuete.
Es wer kein muot von mannen,
und weren selge, werde wib:
got bhuet si all vor schanden!
ir gestalt ist wunneklich;
Des wil ich sicher wekchen.
got bhuet der werden frowen er,
tuo si mit gnaden dekchen,
wann es ist liechter tag.


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1.
Weck auf, weck die zärtliche Geliebte!
Ich glaube, das geschieht zu Recht.
Ich will sie nicht täuschen,
der Tag bricht an. Sie, die mein Herz erfreut,
steht wahrhaft in Ehren auf,
um dem großen Gott zu dienen
(ihr Glück wird immer größer).
Wer auf Erden eine gute Frau hat,
der besitzt einen glückbringenden Schatz.
Ihr angemessenes Verhalten und ihre
ehrenvolle Gesinnung vertreiben den Schmerz.
Ich höre die Vögel singen
und sehe die Sterne untergehen:
es wird kühl am frühen Morgen.
Mich kann das wahrhaftig nicht verdrießen,
das bewirkt ihr Anblick.

2.
Wächter, ich will dir sagen,
Was Gott je auf Erden geschaffen hat,
das besitzen die Frauen,
um die Himmelschöre zu füllen.
Deshalb preise ich anmutige Frauen
bei Tag und auch in der Nacht,
vertreiben sie doch alles Leid der Welt.
Ich wünsche ihnen Ansehen und Reichtum.
Da ich viel vom Wecken gesungen habe,
steht meine Frau glücklich auf.
Frau Ehre beschützt sie:
sie fürchtet das helle Sonnenlicht nicht.
Ich preise die Vollkommenheit meiner Frau
mehr als Vogelsang und Blumenpracht:
Sie schenkt ungeschmälertes Hochgefühl
ihr Ansehen ist sorgfältig bewahrt.

3.
Ach, Wächter, ich soll meiner Frau
ein Tagelied dichten.
Könnte ich das gut zustande bringen,
täte ich es mit großem Eifer.
Nun habe ich allen Mut verloren.
Es gelingt auf dieser Welt nicht mehr
(mögen die Jungen denken),
denn mein Haar wird grau.
Sie hat es mir zum Glück erlassen,
ich soll ihr auf andere Weise gehorsam sein.
In den Gassen und auf den Straßen
bin ich wahrhaft ihr Diener.
Herr Gott, durch deine Güte
verleih uns beiden Zuversicht
und die richtige Gesinnung und beschütze
uns durch Deine Gnade vor Unglück.

4.
Ich wünsche meiner Frau Gesundheit,
Glück, Ansehen und Reichtum,
das alles soll ihr zuteil werden.
Möge Gott sie beschützen.
Ich schwöre gerne bei meinem Leben,
daß ich viel vom Glanz der Sterne gesungen habe.
Lieber wäre mir statt dessen eine gute Frau,
die mir Freude schenken würde.
Es gäbe keine edle Gesinnung bei den Männern,
wenn es keine schönen, edlen Frauen gäbe.
Gott behüte sie alle vor Schande.
Ihre Gestalt ist liebreizend.
Deshalb will ich sie gewiß aufwecken.
Gott behüte das Ansehen der edlen Damen
und schütze sie mit seiner Gnade,
denn es ist heller Tag.


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Reinmar der Alte
 

 
Sô ez iender nâhet gegen dem tage
 
Immer wenn der Tag anbricht
 
1.
Sô ez iender nâhet gegen dem tage,
sôn getar ich niht gevrâgen: ist es tac?
diz machet mir diu swaere klage,
daz mir ze helfe nieman komen mac.
Ich gedenke wol, daz ich es anders pflac
hie vor, dô mir diu sorge
so niht ze herzen wac.
iemer an dem morgen
sô troest mich der vogele sanc.
mir enkome ir helfe an der zît,
mir ist beidiu winter und der sumer alze lanc.

2.
Ime ist wol, der mac gesagen,
daz er sîn liep in senenden sorgen lie.
nû muoz aber ich ein anderz klagen:
ich gesach ein wîp nâch mir getrûren nie.
Swie lange ich was, sô tet si doch daz ie.
diu nôt mir underwîlent
rehte an mîn herze gie.
und waere ich ander iemen
alse unmaere manigen tac,
deme het ich gelâzen den strît.
diz ist ein dinc, des ich mich niht getroesten mac.

3.
Diu liebe hât ir varnde guot
geteilet sô, daz ich den schaden hân.
des nam ich mêr in mînen muot,
danne ich ze rehte solte hân getân,
Und ist ienoch von mir vil unverlân,
swie lützel ich der triuwen
mich anderhalp entstân.
sî was ie mit vröiden
und lie mich in den sorgen sîn.
alsô vergie mich diu zît.
ez taget mir leider selten nâch dem willen mîn.

4.
Diu welt verswîget mîniu leit
und saget vil lützel iemer, wer ich bin.
ez dunket mich unsaelichkeit,
daz ich mit triuwen allen mînen sin
bewendet hân, dar es mich dunket vil,
und mir der besten einiu
des niht gelouben wil.
ez wart von unschulden
nieman sô rehte wê.
Got helfe mir, deich mich bewar,
daz ich ûz ir hulden kome niemer mê.

5.
ꞋOwê trûren unde klagen,
wie sol mir dîn mit vröiden [] werden buoz?
mir tuot vil wê, deich dich muoz tragen:
du bist ze grôz, doch ich dich tragen muoz?
Die swaere wendet nieman, er entuoz,
den ich mit triuwen meine.
gehôrt ich sînen gruoz,
daz er mir nâhe laege,
sô zergienge gar mîn nôt.
sîn vremeden tuot mir den tôt
unde machet mir diu ougen rôt.Ꞌ

~0~~0~~0~

 
1.
Immer wenn der Tag anbricht,
wage ich nicht zu fragen: ist es Tag?
Die Ursage hierfür ist ein so großer Schmerz,
daß niemand mir helfen kann.
Ich erinnere mich gut, daß ich es zuvor anders erlebt habe,
als mir der Kummer
noch nicht das Herz so schwer machte.
Möge mich in Zukunft am Morgen
immer der Gesang der Vögel trösten.
Kommt ihre Hilfe nicht rechtzeitig, so erscheint mir
sowohl der Winter als auch der Sommer viel zu lang.

2.
Dem geht es gut, der sagen kann,
daß er seine Geliebte voller Sehnsuchtsschmerz zurückließ.
Ich jedoch muß etwas anderes beklagen:
Ich habe nie eine Frau mir nachtrauern sehen.
Wie lange ich auch fort war, sie hat sich doch nie anders verhalten.
Dieser Kummer ging mir
bisweilen sehr zu Herzen.
Und wäre ich irgend jemand
anderem viele Tage lang so gleichgültig
hätte ich mich längst zurückgezogen.
Dies ist eine Sache, über die ich nicht hinwegkommen kann.

3.
Die Liebe hat ihre Gaben so verteilt,
daß ich den Schaden habe.
Ich nahm mir mehr davon zu Herzen,
als ich eigentlich hätte tun sollen.
Und immer noch gebe ich nicht auf,
wie wenig an Treue
ich auch von ihrer Seite wahrnehme.
Sie war immer glücklich
und ließ mich leiden.
So ging die Zeit an mir vorüber.
Leider bricht für mich nie so ein Tag an, wie ich es mir wünsche.

4.
Die Welt verschweigt meinen Schmerz
und sagt immer nichts darüber, wer ich bin.
Ich halte es für ein Unglück,
daß ich alle meine Gedanken in Treue
auf etwas gerichtet habe, das mir viel bedeutet,
und eine der Besten
mir dies nicht glauben will.
Niemandem ist grundlos
jemals so großer Schmerz widerfahren.
Gott helfe mir, daß ich mich davor hüte,
jemals wieder ihre Gunst zu verlieren.

5.
ꞋAch, trauern und wehklagen,
wie soll ich durch Glück für dich entschädigt werden?
Es bereitet mir großen Schmerz, daß ich dich ertragen muß,
Du bist zu groß, und doch muß ich dich ertragen.
Diese Qual wendet niemand von mir ab,
es sei denn, derjenige, den ich in aufrichtiger Treue liebe.
Wenn ich ihn sagen hörte,
daß er ganz nah bei mir liegen wolle,
so nähme alle meine Not ein Ende.
Sein Fernbleiben bringt mir den Tod
und macht mir die Augen rot.Ꞌ

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Ulrich von Singenberg
 
 
Wie hôhes muotes ist ein man
 
In welcher Hochstimmung ist ein Mann
 
1.
Wie hôhes muotes ist ein man,
der sich zuo herzeclichem liebe schoenem lîbe hât geleit!
Zer vreude ich niht gelîchen kan:
mir ist elliu vreude gar enniht gegen dirre, swaz mir ieman seit.
Swer sich so wunneclicher wunne wol für wâr gevreuwen mac,
der hât die naht niht angest, wan daz in vertrîben sol der tac.


2.
Geselliclicher umbevanc
mit blanken armen sunder wân tuot senede herze hôhgemuot.
Da wirt daz ungemüete kranc,
swa minneclicher minne kus so lieplîch liep anander tuot.
Swer sich so wunneclicher wunne wol für wâr gevreuwen mac,
der hât die naht niht angest, wan daz in vertrîben sol der tac.


3.
Der tac mich leider hât betaget
so selten nâch der êren sige, daz ich niht vreude mac verjehen.
Vil saelic man, der des niht clagit,
und ime sîn herze mac gesagen, waz ime ze leide ist geschehen!
Swer sich so wunneclicher wunne wol für wâr gevreuwen mac,
der hât die naht niht angest, wan daz in vertrîben sol der tac.


4.
Der süeze wehsel under zwein,
den werdiu minne vüegen kan, wie ruchet der daz herze enbor!
Diu beide ir muotes sint al ein:
ich kan nach wunsch erdenken niht zer welte saelde dirre vor.
Swer sich so wunneclicher wunne wol für wâr gevreuwen mac,
der hât die naht niht angest, wan daz in vertrîben sol der tac.


5.
»Der tac wil scheiden, ritter wert,
von liebe liep: ez muoz eht sîn, wol ûf, lâz ir daz herze hie,
diu dî ze friunde hât gegert.
si wil och dir ir herze lân, diu triuwen dir gewankte nie:
Die leist och ir, als ez dîn werder lîp vil wol geleisten mac, mit
schiere komenne! ez mac niht langer hie gesîn: ich sihe den tac.«

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1.
In welcher Hochstimmung ist ein Mann,
der mit einer liebenswerten schönen Geliebten geschlafen hat. Es gibt nichts,
das ich mit diesem Glück vergleichen kann. Jedes andere Vergnügen erscheint mir,
verglichen mit diesem, völlig unbedeutend, was immer mir auch jemand erzählen mag.
Wer solch herrliches Glück von ganzem Herzen genießen kann,
der hat während der Nacht nur die eine Sorge: daß ihn der Tag vertreiben wird.


2.
Eine liebevolle Umarmung
mit nackten Armen macht ein sehnsuchtsvolles Herz zweifellos glücklich.
Wo bereits allein ein Kuß aus innigster Liebe so liebevolle Zärtlichkeit schenkt,
da verfliegt alle Niedergeschlagenheit.
Wer solch herrliches Glück von ganzem Herzen genießen kann,
der hat während der Nacht nur die eine Sorge: daß ihn der Tag vertreiben wird.


3.
Der Tag ist für mich leider kaum einmal in der Weise angebrochen,
daß ihm ein rühmenswerter Erfolg vorausgegangen wäre, so daß ich keinen Grund zum
Jubeln habe. Wie glücklich muß hingegen ein Mann sein, der darüber nicht zu klagen
braucht und dem sein Herz sagen kann, was ihm Schmerzliches widerfahren ist.
Wer solch herrliches Glück von ganzem Herzen genießen kann,
der hat während der Nacht nur die eine Sorge: daß ihn der Tag vertreiben wird.


4.
Das zärtliche Geben und Nehmen zwischen zwei Menschen,
das wahre Liebe bewirken kann, wie leicht versetzt das ein Herz in den siebten Himmel.
Die beiden sind in ihrem Herzen ganz eins.
Ich kann mir auf dieser Welt kein Glück vorstellen, das vollkommen wäre.
Wer solch herrliches Glück von ganzem Herzen genießen kann,
der hat während der Nacht nur die eine Sorge: daß ihn der Tag vertreiben wird.


5.
»Der Tag wird die Liebenden voneinander trennen, edler Ritter.
Dies ist unweigerlich so. Auf, auf, laß dein Herz hier bei der zurück,
die dich zu ihrem Geliebten erwählt hat. Dann wird auch sie,
die dir immer treu war, dir ihr Herz überlassen. Halte auch du ihr die Treue,
wie es deinem edlen Wesen entspricht, indem du bald zurückkommst.
Es ist unmöglich, länger hierzubleiben. Ich sehe den Tag anbrechen.«

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Der Marner
 
 
Guot wahter wîs
 
Lieber kluger Wächter
 
1.
»Guot wahter wîs,
dû merke wol die stunt,
sô die wolken verwent sich
und werdent grîs:
die zît tuo mir kunt,«
sprach ein frouwe minneclich.
»Warne ob ich entslâfen bin,
sô daz der ritter vor der argen huote kume hin;
kius den morgensterne,
sanc der kleinen vogellîn.
ich waere gerne
langer hie; des mac niht sîn.
er liebet wol dem herzen mîn.«

2.
Der wahter schiet
oben ûf die zinne dan.
dô der tac die wolken spielt,
ein tageliet
in der wîse vienc er an:
»saelde ir beider mâze wielt.
Troie wart zerstoeret ê,
Tristranden wart von minne Isalden dicke wê,
noch hât Minne werden
man, der wirbet frouwen gruoz,
dem sol er werden,
ob ich alsus warten muoz:
ez ist vor tage nicht einen vuoz.«

3.
Diu liebe entslief,
wan si was vermüedet sô,
daz diu frouwe zuo dem man
sich umbeswief.
wahte dâ diu minne dô,
sô kumt wol der ritter dan.
Minne lache, unminne habe
unminne; entsliuz dû, Minne, tuo daz slôz mit fuogen abe.
diu zît meldet, melde
kumt, diu selten ie gelac.
an minne gelde
hât unminne noch bejac.
»nû wol ûf, ritter, ez ist tac.«

~0~~0~~0~

 
1.
»Lieber kluger Wächter,
gib genau acht auf die Zeit,
wenn die Wolken sich verfärben
und grau werden,
und melde es mir,«
sagte eine liebreizende Dame.
»Warne uns, wenn ich eingeschlafen bin,
damit der Ritter unbemerkt von den feindseligen
Aufpassern davonkommt. Achte auf den
Morgenstern und den Gesang der kleinen Vögel.
Ich bliebe gern länger hier,
aber das ist unmöglich.
Er gefällt mir sehr.«

2.
Der Wächter stieg
daraufhin auf die Zinne hinauf.
Als der Tag durch die Wolken drang,
begann er folgendes
Tagelied zu singen:
»Diese beiden hielten Maß in ihrem Liebesglück.
Troja hingegen wurde erstmals zerstört, und
Tristan stürzte die Liebe zu Isolde häufig in tiefes
Leid. Noch hält die Liebe einen edlen Mann fest,
der um die Zuneigung einer Frau wirbt.
Die soll er erhalten,
wenngleich ich erkennen kann,
es wird bald Tag.«

3.
Die Geliebte war eingeschlafen,
denn sie war nach dem Liebesspiel sehr müde
geworden. Wäre sie wach, käme der Ritter
wohlbehalten davon.
Wahre Liebe soll fröhlich sein,
falsche Liebe sei verhaßt.
Löse du, Frau Minne, ihre innige Umarmung
auf angemessene Weise.
Es ist soweit, Frau Melde kommt,
die noch niemals geruht hat.
Bei einer kostbaren Liebe sind Haß
und Feindschaft immer noch auf Beute aus.
»Steht jetzt auf Ritter, es ist Tag.«

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Ulrich von Winterstetten
 
 
Verholniu minne sanfte tuot
 
Heimliche Liebe ist süß
 
1.
»Verholniu minne sanfte tuot«,
— sô sanc ein wahter an der zinne —
»doch sol sich liep von liebe scheiden.
dar nâch sô wende er sînen muot,
ist ieman tougenlîche hinne;
deswâr sô tuot er wol in beiden.
er sol sorgen wier von hinnen kêre:
est an dem morgen. volge er mîner lêre,
sî daz ich in warnen sol;
sô tuot er wol und sint sîn êre.«

2.
Der frouwen dienerinne kluoc
erhôrte dâ des wahters singen.
dâ von erschrac diu vil getriuwe.
diu maer si hin zer frouwen truoc.
si sprach »wol ûf und lât iu lingen:
der tac ist komen.« dâ huop sich riuwe.
Ꞌest ân sündeꞋ sprach diu tugenderîche,
Ꞌder in sô fünde ligen minneclîche:
erst entslâfen, nû sich hie!
in weiz niht wie er hin entwîche.Ꞌ

3.
Die rede erhôrt der werde gast
dâ er lac bî der minneclîchen
bî liebes brust an blanken armen;
dâ von im slâfes dô gebrast.
er sprach »sol ich von hinnen strîchen,
owê daz müeze got erbarmen.«
beider sinne wurden dâ versêret,
(daz schouf frou Minne) fröide gar verkêret.
dâ schiet leit der wunnen spil.
der trehene vil wart dâ gerêret.

~0~~0~~0~

 
1.
»Heimliche Liebe ist süß«,
sang ein Wächter auf der Zinne,
»doch muß sich der Geliebte nun von seiner Liebsten trennen.
Wenn jemand heimlich hier ist,
so richte er sich danach,
dann tut er für beide gewiß das Richtige.
Er muß sich darum kümmern, wie er von hier fortkommt.
Es ist Morgen. Er möge meinem Rat folgen,
da ich die Aufgabe habe, ihn zu warnen.
Dann handelt er richtig und bewahrt sein Ansehen.«

2.
Die kluge Dienerin der Dame
hörte den Gesang des Wächters.
Darüber erschrak die zuverlässliche Frau.
sie berichtete ihrer Herrin davon und sagte:
»Steht auf und beeilt euch: Der Tag ist angebrochen.«
Da machte sich traurige Niedergeschlagenheit breit.
ꞋEs ist keine SündeꞋ, sagte die edle Frau,
Ꞌwenn ihn jemand so liebenswert hier liegen fände.
Er ist eingeschlafen, sieh doch hier.
Ich weiß nicht, wie er von hier fortkommen soll.Ꞌ

3.
Diese Worte hörte der edle Ritter,
als er an der Brust seiner zärtlichen Geliebten lag,
in ihren weißen Armen.
Deshalb konnte er nicht länger schlafen.
Er sagte: »Muß ich von hier fort,
ach, das möge Gott erbarmen.«
Beide wurden von Schmerz überwältigt
(dies bewirkte Frau Minne) und ihr Glück völlig
in sein Gegenteil verkehrt. Der Schmerz beendete ihr
Liebesspiel. Viele Tränen wurden dort vergossen.

~0~~0~~0~

 

Heinrich von Frauenberg
 

 
Gegen den morgen
 
Gegen Morgen
 
1.
Gegen den morgen
suozze ein wahter lûte sank,
dô er sach den oriôn.
Dâ verborgen
wîbes bilde zuo zim drank,
<     >
durch minnen lôn:
»Frouwe hêre,
ja sult ir wachen:
ich sihe des nahtes krefte balde swachen,
in singe niht mêre.«

2.
ꞋWahter, schouwe,Ꞌ
sprach daz minnekliche wîb,
Ꞌob der leide tag ûf gê!Ꞌ
Er sprach: »frouwe,
swer wol solder mir den lîp,
swenne ez taget, ich singe iu mê.
Ist der ritter
hie inne, frouwe,
vermîde ich danne mîner ougen schouwe,
so wirt iuwer froede bitter.«

3.
ꞋHôhem solde
warte mir, geselle mîn,Ꞌ
sprach diu frouwe wolgetân,
Ꞌdaz mîn holde
lange bî mir muge sîn,
den ich umbevangen hân.
Wahter liebe,
hilf mir in fristen
mit dînen kluogen, wol verholnen listen.
wirt sant mir zeinem diebe!Ꞌ

~0~~0~~0~

 
1.
Gegen Morgen
begann ein Wächter mit schöner heller
Stimme sein Lied, als er den Orion erblickte.
Da schlich sich aus Sorge um ihre Liebe
heimlich eine Frauengestalt zu ihm.
<                                                  >
»Edle Herrin,
Ihr müßt wahrhaftig aufstehen.
Ich sehe die Kräfte der Nacht schnell schwächer
werden, ich singe nicht mehr länger.«

2.
ꞋWächter, sieh nachꞋ,
sagte die liebreizende Frau,
Ꞌob der verhaßte Tag anbricht.Ꞌ
Er antwortete: »Herrin,
wenn mich einer angemessen bezahlt,
singe ich länger für Euch, wenn der Tag anbricht.
Wenn der Ritter
hier drinnen ist, Herrin,
und ich es dann unterlasse, aufmerksam
Ausschau zu halten, so wird Euer Freund bitter.«

3.
ꞋDu kannst eine hohe Belohnung
von mir erwarten, mein FreundꞋ,
sagte die schöne Dame,
Ꞌdamit mein Geliebter
den ich in meinen Armen halte,
lange bei mir bleiben kann.
Lieber Wächter,
hilf mir, sein Weggehen mit deiner
listenreichen Schläue heimlich hinauszuzögern.
Werde gemeinsam mit mir zu einem Dieb!Ꞌ

~0~~0~~0~

 
Walther von Breisach
 
 
Ich singe und solte weinen
 
Ich singe und sollte eigentlich
 
1.
»Ich singe und solte weinen
den tugenthaften ritters lîp,
daz niht mîns sanges meinen
dich kan gemanen, werdez wîp.
noch hoere wîsen rât:
der tac ûf gât
und lât diu naht ir vinster varwe als ie.
vil schône wîp, bewar
daz wol gevar
der gar an mîne huote sich verlie.«

2.
Des wahters klagesingen
mit jâmer in ir herze brach,
dâ von ein misselingen
an lieben fröiden in gesach.
ir leides hûsgenôz,
der trehene flôz,
begôz ir beider wengel dô vil gar.
si sprach Ꞌfriunt, herre mîn,
wie sol ich dîn
nu sîn verweiset aller saelden bar.Ꞌ

3.
Der wahter aber lûte
mit zorne sanc durch friundes klage
»swâ liep betagt bî trûte,
dâ kumet der merkaere sage.
ein herze in fröiden hô
sol minnen sô
daz frô dar nâch diu liebe und lanc bestê.
wirt sî der huote erkant,
sô wirt zehant
gesant ir wunne in lange wernde wê.«

4.
Sîns lebens küneginne
der ritter an sich nâher twanc.
dâ schuof diu werde minne
von beiden süezen umbevanc.
ein lieber nâher smuc,
ir mündel druc,
ein fluc ir herzen an ein ander dâ
tet kunt ir minne gir,
sî im, er ir:
Ꞌan dir mîn leben lît, niht anderswâ.Ꞌ

5.
Von den gelieben beiden
wart dâ mit willen unbegert
ein jâmerlîchez scheiden.
dem ritter und der frouwen wert
ir wunneclicj gemach
daz scheiden brach
und jach in wandelunge: liebe in leit.
ir herzen wehsel wart
dâ niht gespart.
diu vart alsô geschach. der tac zuo schreit.

~0~~0~~0~

 
1.
»Ich singe und sollte eigentlich
um den vorbildlichen Ritter weinen,
da mein Lied dich nicht aufzurütteln
vermag, edle Frau.
Doch höre meinen guten Rat:
Der Tag bricht an, und die Nacht
verliert ihre finstere Farbe wie immer.
Sorge dafür, wunderschöne Frau, daß er
sicher davonkommt, der sich uneingeschränkt
auf meine Wachsamkeit verlassen hat.«

2.
Das Klagelied des Wächters
drang schmerzlich in ihr Herz
und bereitete ihrem Liebesglück
ein jähes Ende.
Der Strom der Tränen,
der ihren Schmerz begleitete,
machte ihre beiden Wangen ganz naß.
Sie sagte: ꞋMein Freund und Geliebter,
wie kann ich ohne dich sein
und ohne jedes Glück?Ꞌ

3.
Der Wächter, den die Klage um den
Geliebten erzürnte, sang von neuem laut:
»Wo immer ein Geliebter den Tag über
bei seiner Liebsten bleibt, da entsteht
das Gerede der Aufpasser. Selbst im Zustand
höchsten Glücks soll ein Herz so lieben,
daß die Liebe auch danach noch glücklich ist
und lange Bestand hat. Wenn sie der
Aufsicht bekannt wird, so verkehrt sich
ihr Glück sogleich in lang währendes Leid.«

4.
Der Ritter preßte die Königin
seines Herzens noch fester an sich.
Dann ließ die edle Frau Minne
sie einander zärtlich umarmen.
Eine liebevolle Umarmung,
das Zusammentreffen ihrer Lippen
und der Flug ihrer Herzen zueinander
machten ihr Verlangen nach Liebe offenbar.
Sie versicherte ihm, er ihr:
ꞋAn dir hängt mein Leben, an nichts anderem.Ꞌ

5.
Die beiden Liebenden nahmen
die schmerzliche Trennung nur widerwillig hin.
Der Abschied bereitete ihrem glücklichen
Zusammensein ein jähes Ende
und bedeutete für den Ritter und der
edlen Dame, daß Liebe in Leid umschlug.
Der Austausch ihrer Herzen
wurde da nicht länger hinausgezögert.
So vollzog sich der Abschied.
Der Tagesanbruch schritt voran.

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Über den Autor des nun folgenden Tageliedes ist so gut wie nichts bekannt.
Sein Lied hat 23 Strophen und ist somit das Umfangreichste in der mhd. Literatur.

 

Günther von dem Forste
 

 
Nu her, ob ieman kan verneme
 
Nun kommt hierher, wenn ihr hören möchtet
 
1.
Nu her, ob ieman kan verneme
des ich von minne kunden wil.
ob ûch diu rede niht gar enzeme,
verdrieze ûch, leget mir ein zil,
vur daz sprich ich niht mê:
swer mich dar an bedenke,
des wille muoze an wunsche ergê.
ez nâhet dem tage.
swâ sich zwei liebe scheiden,
die haben herzeleide klage.


2.
Ez warb ein ritter lange zît
umb eine vrouwen vil gemeint;
doch wart verendet wol sîn strît,
si galt im al sîn arebeit
vil wol nâch sîner ger;
si beschiet im tougenlîchen
dâ sî in des lônes wolde wer.
ez nâhet dem tage.
swâ sich zwei liebe scheiden,
die haben herzeleide klage.


3.
Diu schône vrouwe kam gegân
dâ sî den selben ritter vant.
er wânde sî zuo sich gevân,
in dûhte, er waere al dâ volant.
bindes huop sich ein dôz,
daz sî sich muosten scheiden;
des wart ir beider leit vil grôz.
ez nâhet dem tage.
swâ sich zwei liebe scheiden,
die haben herzeleide klage.


4.
Si wâren beide enzundet gar,
der ritter und diu vrouwe hêr.
des nam diu Minne guote war,
si enliez si langer beiten mêr,
si schuof vil schire alsô,
dazs aber zeinander kâmen
und wurden wol nach leide vrô.
ez nâhet dem tage.
swâ sich zwei liebe scheiden,
die haben herzeleide klage.


5.
Dô alle ir wille wol ergienc
mit lieben werken dâ ze stunt,
die vrouwen er zuo sich gevienc,
er kustes an ir suozen munt,
er swuor vil tiure hie,
im wurde nie sô liebe,
sî daz in got zer werlde lie.
ez nâhet dem tage.
swâ sich zwei liebe scheiden,
die haben herzeleide klage.


6.
Nâch der vil grôzen liebe kam
im ein unsenftez ungemach,
daz im der minne ein teil benam.
der lieben vrouwen er verjach,
er sprach: »vil schône wîp,
daz wir uns muozen scheiden,
des lît gar vröudelôs mîn lîp.«
ez nâhet dem tage.
swâ sich zwei liebe scheiden,
die haben herzeleide klage.


7.
Diu minneclîche vrouwe sprach
Ꞌvröu dich, trûtgeselle mîn,
sît dir sô liebe nie geschach
sô her ze mir, nu bin ich dîn.
ich hân dich umbevân:
nu wis in hôhem muote,
jo 'st al dîn wille an mir ergân.Ꞌ
ez nâhet dem tage.
swâ sich zwei liebe scheiden,
die haben herzeleide klage.


8.
Der ritter guot sprach dô hin zir
»genâde, vrouwe kunegîn,
du hâst sô wol gelônet mir,
daz dir iemer sol daz herze mîn
gelîchen willen trage
alsô mîn selbes lîbe;
vurwâr vernim waz ich dir sage.«
ez nâhet dem tage.
swâ sich zwei liebe scheiden,
die haben herzeleide klage.


9.
ꞋIch sol dirꞋ, sprach diu vrouwe hêr,
Ꞌgetrûwen aller staetigkeit.
nu tuo durch mich ein lutzel mêr,
daz dû vermîdes sendiu leit,
ob ich dir maere bin.
dun' leistes mînes lêre,
so ist unser zweier liebe hin.Ꞌ
ez nâhet dem tage.
swâ sich zwei liebe scheiden,
die haben herzeleide klage.


10.
»Wie mohte ich leisten dîniu wort,
diu dû mir vor gezellet hâst?
der liebe vunde nieman ort,
wie nâ du mir ze herzen gâst.
des muoz ich kumber dol,
swenn ich mich von dir scheide,
des ich von schulden trûren sol.«
ez nâhet dem tage.
swâ sich zwei liebe scheiden,
die haben herzeleide klage.


11.
Dô sprach daz wunneclîche wîp
Ꞌnu 'ntrûre niht, daz ist mîn rât:
wiltû verliesen sô den lîp,
daz ist unvrumes mannes tât.
du solt geduldic sî:
swer minnet âne mâze,
dâ nist niht guoter sinne bî.Ꞌ
ez nâhet dem tage.
swâ sich zwei liebe scheiden,
die haben herzeleide klage.


12.
»Swer sich an liebe mâzen kan,
der hât mir ungelîchez leben.
jâ twinget mich vil senden man
diu minne, daz ich muoz begeben
die werlt in kurzen tagen
nâch dînem suozen lîbe.
mahtû daz, vrouwe, an mir vertragen?«
ez nâhet dem tage.
swâ sich zwei liebe scheiden,
die haben herzeleide klage.


13.
ꞋWie mohte ich lengen baz dîn leben?
nu tuon in allez daz ich sol.
mich selben hân ich dir gegeben:
sô wânde ich dir gesenften wol.
nu sprich, waz wiltu mê?
mag ich dir daz gewinnen,
dar an sol al dîn wille ergê.Ꞌ
ez nâhet dem tage.
swâ sich zwei liebe scheiden,
die haben herzeleide klage.


14.
»Mîn sorge swachet mir den sin,
des muoz ich in den riuwen sîn,
swenn ich sô lange von dir bin,
daz dû vergezzest, vrouwe, mîn.
des muoz ich kumber trage:
 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
daz ist mîn allermeiste klage.«
ez nâhet dem tage.
swâ sich zwei liebe scheiden,
die haben herzeleide klage.


15.
Nu hôret wie der vrouwen guot
des heldes klage ze herzen gie.
si dâhte senften im den muot,
mit armen sin ze sich gevie.
si kuste in âne zal.
si sprach gezogenlîchen
Ꞌnu hâstu guoter minne wal.Ꞌ
ez nâhet dem tage.
swâ sich zwei liebe scheiden,
die haben herzeleide klage.


16.
Dô sprach der ritter uberlanc
»nu hôre, herzevrouwe, mir:
ein swaere tuot mich vröuden kranc,
sô mir gedanke komet von dir
und ich dîn niene hân,
sô gât ez an ein trûren;
des muoz ich staete vröude lân.«
ez nâhet dem tage.
swâ sich zwei liebe scheiden,
die haben herzeleide klage.


17.
Dô sprach diu vrouwe wolgetân
Ꞌder sorgen soltu wesen vrî.
die wîle ich muot ze minnen hân,
sô sol mir iemer wonen bî
guot trûtschaft hin ze dir
von herzelîcher liebe;
des soltu wol getrûwen mir.Ꞌ
ez nâhet dem tage.
swâ sich zwei liebe scheiden,
die haben herzeleide klage.


18.
»Sô wol mich daz ich hân vernomen
von dir so wunneclîchen trôst.
ez sol mir al ze heile komen,
ich wirde ab aller leide erlôst,
sît ich gehôret hân
von dir sô suoze maere;
des wil ich allez trûren lân.«
ez nâhet dem tage.
swâ sich zwei liebe scheiden,
die haben herzeleide klage.


19.
Nu hôret wie die lieben dô
ir leit verklageten dô zehant.
si wurden beide ein ander vrô.
diu minne het an in geblant
riuw unde sende nôt.
si sprach Ꞌmîn trûtgeselle,
uns mac niht scheiden wan der tôt.Ꞌ
ez nâhet dem tage.
swâ sich zwei liebe scheiden,
die haben herzeleide klage.


20.
Hie mugt ir merken vremde zal,
wie liebe dâ mit liebe vaht:
ê dan si schieden ab dem wal.
daz jâmer swendet in die naht.
dâ was sîn ungemach,
er sûfte inneclîchen,
dô er den morgen schînen sach.
ez nâhet dem tage.
swâ sich zwei liebe scheiden,
die haben herzeleide klage.


21.
Swer ûch von ende solte sage,
wie daz in dô diu minne twanc
dô er erschrac von deme tage,
ez mohte ûch dunken al ze lanc.
des wart sîn herze sêr,
er sprach vil jâmerlichen
»gebût mir, edeliu vrouwe hêr!«
ez nâhet dem tage.
swâ sich zwei liebe scheiden,
die haben herzeleide klage.


22.
Diu schône vrouwe sprach alsô
Ꞌvil lieber lîp, nu wis gesunt,
vil senftes muotes unde hô.Ꞌ
si kusten sich ze maniger stunt.
er sprach »trût vrouwe mîn,
gelucke liebe und êre,
heil, saelde muoze mit dir sîn.«
ez nâhet dem tage.
swâ sich zwei liebe scheiden,
die haben herzeleide klage.


23.
Sus endet sich der zweier strît
mit suozen worten âne haz.
swâ lieb an liebes arme lît,
die sulen iemer merken daz,
ê 'z an ein scheiden gê,
dazs aber zesamene denken;
wan afterriuwe tuot vil wê.
ez nâhet dem tage.
swâ sich zwei liebe scheiden,
die haben herzeleide klage.


 
1.
Nun kommt hierher, wenn ihr hören möchtet,
was ich von der Liebe erzählen will.
Wenn euch mein Vortrag nicht ganz gefällt
und euch langweilt, sagt mir, wenn ich abbrechen soll,
dann werde ich nicht weitersprechen.
Wer mich dafür beschenkt,
dessen Wünsche mögen in Erfüllung gehen.
Es geht auf den Tag zu.
Überall, wo sich zwei Liebende trennen müssen,
sind sie von tiefem Schmerz erfüllt.


2.
Ein Ritter hatte lange
um eine wunderschöne Dame geworben,
und schließlich war sein Bemühen erfolgreich.
Sie belohnte ihn für all seine Mühe
ganz nach seinem Wunsch.
Heimlich ließ sie ihm wissen,
wo sie ihm den Lohn gewähren wollte.
Es geht auf den Tag zu.
Überall, wo sich zwei Liebende trennen müssen,
sind sie von tiefem Schmerz erfüllt.


3.
Die schöne Dame kam an den vereinbarten
Ort, wo sie den Ritter fand.
Er hoffte, sie umarmen zu können,
und glaubte, am Ziel seiner Wünsche zu sein.
In diesem Augenblick setzte ein Lärm ein,
der sie zwang, sie zu trennen.
Dies bereitete beiden sehr großen Schmerz.
Es geht auf den Tag zu.
Überall, wo sich zwei Liebende trennen müssen,
sind sie von tiefem Schmerz erfüllt.


4.
Der Ritter und die edle Dame
waren beide in heftiger Liebe entbrannt.
Dies erkannte die gute Frau Minne
und ließ sie nicht mehr länger warten.
Sie sorgte sehr bald dafür,
daß sie einander erneut trafen
und nach der Trauer wieder Freude empfanden.
Es geht auf den Tag zu.
Überall, wo sich zwei Liebende trennen müssen,
sind sie von tiefem Schmerz erfüllt.


5.
Als sich daraufhin alle ihre
Wünsche in Liebesdingen erfüllten,
zog er die Dame an sich.
Er küßte ihren süßen roten Mund
und schwor ihr hoch und heilig,
daß er in seinem ganzen Leben
noch nie solche Liebe erfahren hätte.
Es geht auf den Tag zu.
Überall, wo sich zwei Liebende trennen müssen,
sind sie von tiefem Schmerz erfüllt.


6.
Nach dem leidenschaftlichen Liebesspiel
überfiel ihn eine bedrückende Unruhe,
die ihm einen Teil des Liebesglücks raubte.
Er sagte zu seiner geliebten Dame:
»Schönste Frau,
daß wir uns trennen müssen,
macht mich ganz unglücklich.«
Es geht auf den Tag zu.
Überall, wo sich zwei Liebende trennen müssen,
sind sie von tiefem Schmerz erfüllt.


7.
Die liebreizende Dame antwortete:
ꞋFreue dich, mein Liebster.
Da dir bisher solches Liebesglück nie widerfahren
ist, komm her zu mir, ich bin nun dein.
Ich habe dich umarmt, nun sei glücklich,
denn es sind doch alle deine Wünsche
bei mir in Erfüllung gegangen.Ꞌ
Es geht auf den Tag zu.
Überall, wo sich zwei Liebende trennen müssen,
sind sie von tiefem Schmerz erfüllt.


8.
Der edle Ritter erwiderte ihr daraufhin:
»Erbarmen, meine Königin,
du hast mich so reich belohnt,
daß ich für dich immer das gleiche
empfinden werde wie für
mich selbst.
Fürwahr, höre, was ich dir sage.«
Es geht auf den Tag zu.
Überall, wo sich zwei Liebende trennen müssen,
sind sie von tiefem Schmerz erfüllt.


9.
ꞋIch willꞋ, sagte die edle Dame,
Ꞌauf deine uneingeschränkte Beständigkeit vertrauen.
Nun tu um meinetwillen noch ein wenig mehr,
indem du jeglichen Sehnsuchtsschmerz vermeidest,
wenn du mich liebst.
Wenn du meiner Bitte nicht folgst,
ist unsere Liebe zu Ende.Ꞌ
Es geht auf den Tag zu.
Überall, wo sich zwei Liebende trennen müssen,
sind sie von tiefem Schmerz erfüllt.


10.
»Wie könnte ich das befolgen,
was du mir gerade gesagt hast?
Niemand könnte unserer Liebe ein Ende setzen,
so nah, wie du mir am Herzen liegst.
Deshalb muß ich Leid auf mich nehmen,
wenn ich von dir Abschied nehme,
und werde zu Recht darüber traurig sein.«
Es geht auf den Tag zu.
Überall, wo sich zwei Liebende trennen müssen,
sind sie von tiefem Schmerz erfüllt.


11.
Da sprach die wunderschöne Frau:
ꞋNun sei nicht traurig, das rate ich dir.
Wenn du auf diese Weise dein Leben verlieren willst,
dann ist das die Tat eines schwächlichen Mannes.
Du mußt Geduld haben:
wer maßlos liebt,
der handelt nicht vernünftig.Ꞌ
Es geht auf den Tag zu.
Überall, wo sich zwei Liebende trennen müssen,
sind sie von tiefem Schmerz erfüllt.


12.
»Wer in der Liebe maßhalten kann,
der ist von mir völlig verschieden.
Mein Verlangen ist so groß,
daß die Liebe mich vor lauter Sehnsucht
nach dir, Liebste,
nicht länger leben läßt.
Kannst du, Herrin, mir das verzeihen?«
Es geht auf den Tag zu.
Überall, wo sich zwei Liebende trennen müssen,
sind sie von tiefem Schmerz erfüllt.


13.
ꞋWie könnte ich dein Leben verlängern?
Ich werde jetzt alles tun, was ich soll.
Ich habe mich selbst dir hingegeben
und hoffte, auf diese Weise deinen Schmerz
zu stillen. Nun sage, was willst du mehr?
Kann ich es dir verschaffen,
so soll sich dein Wunsch erfüllen.Ꞌ
Es geht auf den Tag zu.
Überall, wo sich zwei Liebende trennen müssen,
sind sie von tiefem Schmerz erfüllt.


14.
»Die Angst, daß du mich vergißt,
wenn ich so lange von dir fort bin,
nimmt mir allen Mut
und macht mich traurig.
Deshalb bedrückt mich Kummer.
 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Dies ist meine allergrößte Not.«
Es geht auf den Tag zu.
Überall, wo sich zwei Liebende trennen müssen,
sind sie von tiefem Schmerz erfüllt.


15.
Hört nun, wie sehr die Not
des Helden der edlen Dame zu Herzen ging.
Sie wollte ihn beruhigen
und zog ihn in ihre Arme.
Sie küßte ihn unzählige Mal
und sagte freundlich:
ꞋJetzt kannst du frei über die wahre Liebe verfügen.Ꞌ
Es geht auf den Tag zu.
Überall, wo sich zwei Liebende trennen müssen,
sind sie von tiefem Schmerz erfüllt.


16.
Nach langer Zeit ergriff der Ritter wieder das Wort:
»Nun höre mir zu, Liebste.
Ein Schmerz nimmt mir jegliche Freude.
Wenn ich an dich denke
und dich nicht bei dir habe,
beginnt die Traurigkeit.
Deswegen ist dauerhaftes Glück mir fremd.«
Es geht auf den Tag zu.
Überall, wo sich zwei Liebende trennen müssen,
sind sie von tiefem Schmerz erfüllt.


17.
Darauf erwiderte die schöne Dame:
ꞋDeswegen brauchst du dir keine Sorgen machen.
Solange mir der Sinn nach Liebe steht,
werde ich immer zärtliche
und innige Liebe
für dich empfinden.
Das mußt du mir glauben.Ꞌ
Es geht auf den Tag zu.
Überall, wo sich zwei Liebende trennen müssen,
sind sie von tiefem Schmerz erfüllt.


18.
»Wohl mir, daß ich so liebevollen
Trost von dir empfangen habe.
Meinem Glück steht nun nichts mehr im Wege.
Ich werde von allem Schmerz erlöst,
seit ich diese angenehme Nachricht
von dir vernommen habe.
Darum will ich nicht länger traurig sein.«
Es geht auf den Tag zu.
Überall, wo sich zwei Liebende trennen müssen,
sind sie von tiefem Schmerz erfüllt.


19.
Hört nun, wie die beiden Liebenden
daraufhin sogleich aufhörten, ihr Unglück zu beklagen.
Sie begannen, sich aneinander zu freuen.
Die Liebe hatte ihren Schmerz
und ihre Sehnsuchtsqualen vertrieben.
Sie sagte: ꞋLiebster,
uns kann nichts mehr trennen, außer der Tod.Ꞌ
Es geht auf den Tag zu.
Überall, wo sich zwei Liebende trennen müssen,
sind sie von tiefem Schmerz erfüllt.


20.
An dieser Stelle könnt ihr eine wunderliche
Erzählung hören, wie die Liebenden
dort miteinander rangen, ehe sie den Ort
verließen. Die Nacht vertrieb ihren Kummer.
Als er jedoch den Morgen
heraufdämmern sah,
wurde er wieder unglücklich und seufzte tief.
Es geht auf den Tag zu.
Überall, wo sich zwei Liebende trennen müssen,
sind sie von tiefem Schmerz erfüllt.


21.
Wenn euch jemand von Anfang
bis Ende schildern müßte, wie ihn die Liebe
überwältigte, als er über den Tagesanbruch erschrak,
würde euch das viel zu lang erscheinen.
Er wurde deswegen sehr traurig
und sagte voller Kummer:
»Laß mich gehen, edle Herrin.«
Es geht auf den Tag zu.
Überall, wo sich zwei Liebende trennen müssen,
sind sie von tiefem Schmerz erfüllt.


22.
Die schöne Dame antwortete:
ꞋLiebster, bleibe gesund,
heiter und froh.Ꞌ
Sie küßten sich immer wieder.
Er sagte: »Liebste Herrin,
mögen Glück, Liebe und Ansehen,
Gesundheit und Gottes Segen mit dir sein.«
Es geht auf den Tag zu.
Überall, wo sich zwei Liebende trennen müssen,
sind sie von tiefem Schmerz erfüllt.


23.
So endete das Liebesspiel der beiden
mit zärtlichen Worten ohne Haß. Überall,
wo zwei Liebende einander in den Armen liegen,
sollen sie, bevor es ans Abschiednehmen geht,
immer an ihr nächstes Zusammensein denken.
Denn wenn sie dies unterlassen,
werden sie es sehr schmerzlich bereuen.
Es geht auf den Tag zu.
Überall, wo sich zwei Liebende trennen müssen,
sind sie von tiefem Schmerz erfüllt.


 

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