In längst vergangenen Zeiten, da lebte eine Schar von Affen
im Walde. Als sie einmal
umherschweiften, sahen sie das Spiegelbild des Mondes in
einem Brunnen, und der Führer
der Affenbande sagte: "O Freunde, der Mond ist in diesen
Brunnen gefallen. Die Welt ist
jetzt ohne Mond. Sollten wir ihn nicht herausholen?"
Die Affen sagten: "Gut, wir wollen ihn herausziehen", und
sie begannen Rat zu halten, wie
sie ihn herausbekommen könnten. Einige von ihnen schlugen
vor: "Ja, wißt ihr denn nicht?
Die Affen müssen eine Kette bilden und auf diese Weise den
Mond herausziehen."
So formten sie eine Kette. Der erste Affe hing am Zweige des
Baumes, der zweite Affe
hing an dem ersten Affen und der dritte seinerseits am
Schwanze des zweiten Affen.
Als sie auf diese Weise alle aneinanderhingen, begann sich
der Zweig ein gutes Stück zu
neigen. Die Wasseroberfläche begann sich zu bewegen, das
Spiegelbild des Mondes
verschwand, schließlich brach der Zweig, alle Affen fielen
in den Brunnen und wurden
höchst unerfreulich beschädigt.
Eine Gottheit sprach daraufhin folgenden Vers: "Wenn die
Narren einen närrischen Anführer
haben, so gehen sie alle dem Untergang entgegen, genau sowie
jene Affen, die den Mond
aus einem Brunnen holen wollten."
Der Pfau als Bräutigam
In langvergangenen Zeiten lebte der König der Flamingos,
Raschtrapala. Als die Vögel, die in
den verschiedenen Ländern wohnten, hörten, daß seine
Tochter sich einen Gatten zu erwählen
beabsichtige, da versammelten sie sich, und jeder
hoffte, daß er ihr Gemahl
werden würde.
Als die Vogelprinzessin jedoch den Pfau erblickte, sagte
sie: "Dieser soll mein Gatte
werden!" Daraufhin teilten ihm die anderen Vögel mit, daß er
als Gatte erwählt worden sei,
und er breitete seinen Fächerschwanz aus und begann zu
tanzen.
Auch Raschtrapala sah ihn und fragte: "Warum tanzt er?" Die
anderen antworteten: "Weil
er der Gatte deiner Tochter werden wird." Raschtrapala
erklärte jedoch: "Ihm will ich meine
Tochter nicht geben, denn er ist dreist und schamlos." Als
der Pfau dies hörte, ging er zu
Raschtrapala und fragte ihn in der Form eines Doppelverses:
"Warum weigerst du dich, mir
deine Tochter zu geben, obwohl ich eine liebliche Stimme,
eine wunderschöne Farbe,
Schwingen mit Augen geschmückt und einen Hals gleich
Lapislazuli habe?
Raschtrapala antwortete: "Obwohl du eine liebliche Stimme,
eine wunderschöne Farbe,
Schwingen geschmückt mit Augen, und einen Hals gleich
Lapislazuli hast, will ich sie dir
dennoch nicht geben, denn du leidest an Unverschämtheit."
Der
weise und der närrische Affenführer
In langvergangenen Zeiten lebten in einem bestimmten Lande
zwei Affenführer, und jeder
von ihnen herrschte über eine Bande von fünfhundert Affen.
Als einer von ihnen mit seiner
Schar umherwanderte, näherte er sich einem Dorfhügel. Dort
wuchs ein Kimapakabaum,
dessen Zweige sich unter den Früchten bis auf den Boden
neigten. Deshalb sagten die Affen
zu dem Anführer ihrer Schar: "O Anführer, da der Baum sehr
reich an Früchten ist und das
Gewicht der Früchte seine Zweige bis an den Boden drückt, so
lasse uns nach unseren
Anstrengungen die Früchte genießen." Nachdem der Anführer
der Schar nach dem Baume
gesehen hatte, sagte er in Versen: "Obwohl der Baum nahe des
Dorfes steht, so haben die
Kinder doch nicht von den Früchten gegessen. Daraus kann man
schließen, daß es nicht ratsam
ist, Früchte dieses Baumes zu genießen." Nachdem er
so gesprochen hatte, gingen
sie weiter.
Nach ihnen näherte sich auch der Anführer der anderen
Affenschar diesem Dorfe. Und als
die Affen den Kimpakabaum sahen, sagten sie zu ihrem
Anführer: "O Anführer, da es
Früchte auf diesem Baume hat und wir erschöpft sind, würden
wir gerne die Früchte
genießen und Kräfte gewinnen." Er antwortete: "Gut, tuet
so."
Die Affen aßen von den Früchten und erlitten leider in der
Folge Todesqualen.
Der heuchlerische Kater
In langvergangenen Zeiten lebte ein Häuptling einer Kompanie
von Mäusen, der eine
Gefolgschaft von fünfhundert Mäusen hatte. Und es lebte auch
ein Kater, namens Angija.
In seiner Jugend hatte er den Wunsch gehabt, alle Mäuse in
der Nachbarschaft seines
Wohnplatzes zu töten. Nachher jedoch, als er schon alt
geworden war und nicht mehr die
Kraft hatte, Mäuse zu fangen, da dachte er: "In früheren
Zeiten, als ich noch jung war,
da bin ich fähig gewesen, Mäuse mit Gewalt zu fangen. Aber
jetzt, nachdem ich dies nicht
mehr tun kann, muß ich irgendeine List anwenden, um aus
ihnen eine Mahlzeit zu machen."
Deshalb begann er die Mäuse heimlich zu beobachten. Durch
diese Beobachtungen fand er
heraus, daß sich fünfhundert Mäuse bei der Truppe befanden.
An einem Platze, der nicht weit entfernt vom Mauseloch war,
begann der Kater mit
täuschenden Bußhandlungen, und als die Mäuse hin und her
rannten, sahen sie ihn dort
stehen mit frommer Miene. Deshalb riefen sie aus weiter
Entfernung: "Onkel, was tut ihr
da?" Der Kater antwortete: "Da ich in meiner Jugend viele
schlechte Taten begangen habe,
tue ich nun Buße, um sie wieder gutzumachen." Die Mäuse
dachten sich, daß er sein
sündenvolles Leben aufgegeben habe, und Vertrauen wuchs in
ihnen, das durch diesen
Glauben genährt wurde.
Als sie nun jeden Tag, nachdem sie ihre Runde gemacht
hatten, in ihr Loch zurückkehrten,
ergriff der Kater immer diejenige Maus, die zuletzt kam und
verschlang sie. Der Anführer,
der sah, daß seine Truppe immer mehr abnahm, dachte: "Es muß
irgendeinen Grund dafür
geben, daß meine Mäuse ständig an Zahl abnehmen, und dieser
Kater streicht dauernd
herum."
Er begann nun den Kater genau zu beobachten. Und als er
bemerkte, daß der Kater fett
und gut mit Haaren bedeckt war, da dachte er: "Ohne Zweifel
hat dieser Kater die Mäuse
getötet. Deshalb muß ich diese Sache ans Tageslicht
bringen." Als er nun sorgfältig von
einem versteckten Platze weiter beobachtete, da sah er, wie
der Kater die letzte Maus
aufaß. Da sprach er aus weiter Entfernung den folgenden
Vers: "Da des Onkels Körper
immer größer wird, meine Truppe aber im Gegensatz dazu immer
kleiner wird und weil
derjenige, der Wurzeln und Beeren ißt, nicht fett wird und
schön bedeckt mit Haaren ist,
so handelt es sich hier nicht um eine edle Buße, sondern nur
um eine, die des Gewinnes
wegen gepflogen wird. Weil die Zahl der Mäuse sich
verringerte, hast du, O Angija,
geheuchelt."
Die Krähe mit
der goldenen Kappe
Es geschah vor langer Zeit, daß eine Krähe angenehme Laute
in Gegenwart einer Frau
äußerte, deren Gatte eine lange Reise unternommen hatte. Die
Frau sagte: "He da,
O Krähe! Wenn mein Gatte sicher und gesund heimkommt, werde
ich dir eine goldene Kappe
geben." Als nach einiger Zeit der Gatte sicher und gesund
heimkam, da erschien die Krähe
vor der Frau, warf ein Auge auf die goldene Kappe und
äußerte angenehme Laute.
Sie gab
ihr die goldene Kappe.
Die Krähe setzte sie auf und flog dorthin und dahin. Wegen
dieser goldenen Kappe erspähte
sie jedoch ein Falke und riß der Krähe den Kopf ab. Eine
Gottheit äußerte darauf folgenden
Vers: "Ein Besitz, der keinen notwendigen Grund hat, wird
weggenommen werden.
Ein Räuber hat sich des Goldes auf dem Kopf der Krähe
angenommen."
Die Gazelle und der
Jäger
Viele der beliebtesten Fabeln des Kandjur beziehen sich auf
ein vorangegangenes Leben
des Buddha, auf eine Zeit, wo er noch als Bodhisattva, in
der Gestalt verschiedener
Lebewesen, die Verdienste seiner guten Taten (sein Karma)
ansammelte, um erst dann in
seiner letzten Wiedergeburt der Buddha unseres Zeitalters zu
werden:
In langvergangenen Zeiten, als sich der Bodhisattva noch in
einem Zustand unbeendeter
Ansammlung verdienstvoller Werke befand, da lebte er als
Fürst einer Schar von
fünfhundert Gazellen.
Nun hatte ein Jäger viele Fallen, Netze und Fangschlingen
vorbereitet, um die Gazellen zu
fangen.
Als der Gazellenprinz, der sich unbeschwert seines Lebens
erfreute, mit seiner Schar von
fünfhundert Gazellen durch den Wald streifte, verfing er
sich eines Tages in dem Netz.
Sobald die anderen Gazellen ihren Anführer in einem Netz
gefangen sahen, flohen sie alle
davon mit Ausnahme einer Gazelle, die bei dem Prinzen blieb.
Obwohl sich der Gazellenprinz hart abquälte, um loszukommen,
so war er doch nicht
imstande, das Netz zu zerreißen. Als die Gazelle dies sah,
sagte sie:
"Da der Jäger dieses Netz vorbereitet hat, so strenge dich
an, O du Gesegneter, strenge
dich an, O Haupt der Gazellen." Er antwortete: "Obwohl ich
meine Hufe hart gegen den
Boden stemme, so ist doch das Netz, das mich fesselt, stark,
und meine Füße sind arg
verwundet, ich kann das Netz nicht zerreißen. Was soll nun
geschehen?"
Da kam der Jäger an diese Stelle. Er hatte braune Kleider an
und trug einen Bogen und
Pfeile. Die Gazelle sah, wie der Jäger näher kam, um den
Gazellenprinzen zu töten.
Als sie ihn so sah, rief sie schnell folgenden Vers: "Da
dies der Jäger ist, der dieses
Fangnetz vorbereitet hat, strenge dich an, O höchst
gesegneter Gazellenprinz, strenge dich
an." Er antwortete ebenfalls mit einem Vers: "Obwohl ich
meine Hufe hart gegen den Boden
gestemmt habe, so ist doch dieses Netz, das mich festhält,
stark und meine Füße sind arg
verwundet, ich kann das Netz nicht zerreißen. Was soll nun
geschehen?"
Da näherte sich die Gazelle mutigen Herzens dem Jäger und,
vor ihm angelangt, sprach sie
folgenden Vers: "O Jäger, ziehe dein Schwert und töte mich
zuerst, und dann erst töte den
Gazellenprinzen." Als der Jäger sie erstaunt fragte, was sie
denn mit dem Gazellenprinzen
zu tun habe, antwortete sie: "Er ist mein Gatte." Da
antwortete der Jäger mit einem Vers:
"Ich will weder dich noch den Gazellenprinzen töten. Du
sollst mit deinem geliebten Gatten
weiter zusammenleben." Jetzt antwortete die Gazelle
ebenfalls mit einem Vers: "Sowie ich
mich, O Jäger, meines lieben Gatten erfreue, so mögest du, O
Jäger, dich an allem, was zu
dir gehört, erfreuen."
Der Jäger, dessen Erstaunen immer größer wurde, ging
zusammen mit den Gazellen, die er
in der Freiheit ließ, weg.
Der Schakal rettet
den Löwen
In langvergangenen Zeiten, als sich der Bodhisattva noch in
einem Zustand unvollendeter
Ansammlung verdienstvoller Werke befand, lebte er in einer
bestimmten Hügelgegend als
Löwe, als König der Tiere. In der Nachbarschaft des Hügels
hausten fünfhundert Schakale,
die seiner Spur folgten und das verschlangen, was er
übrigließ. Wenn der Löwe irgendein
Tier getötet hatte und von dessen gutem Fleisch gegessen und
von dessen gutem Blut
getrunken hatte, pflegte er den Rest auf dem Boden liegen zu
lassen und wegzugehen.
Dieser Zustand der Dinge dauerte eine lange Zeit.
Einmal als der Löwe, der König der Tiere, des nächtens nach
Beute jagte, fiel er in einen
tiefen Brunnen, und alle fünfhundert Schakale verstreuten
sich, mit einer einzigen
Ausnahme, in verschiedene Richtungen. Nur einer der Schakale
widmete seine
Aufmerksamkeit dem Löwen, saß an der Ecke des Brunnens und
dachte darüber nach, wie
er den Löwen herausziehen könne. Während er in der
Nachbarschaft des Brunnens auf und
ab rannte, sah er einen nicht weit entfernten, kleinen
Teich. Nachdem er ihn entdeckt
hatte, begann er einen Kanal zu graben und füllte dann den
Brunnen mit dem Wasser des
Teiches, so daß der Löwe imstande war, herauszukommen.
Eine Gottheit äußerte darüber folgenden Vers: "Die Mächtigen
sowohl als der Rest (der
Lebewesen) müssen sich miteinander befreunden. Sehet, wie
dieser Schakal den Löwen aus
einem alten Brunnen errettet hat."
Der undankbare Löwe
In langvergangenen Zeiten, als der Bodhisattva die Zeit
seiner Verdienstansammlungen noch
nicht beendet hatte, wurde er als Specht unter den
Vögeln wiedergeboren und lebte in einer
hauslosen Einsamkeit in einer Hügelgegend, die reich
war an Bergflüssen, Früchten
und Blumen.
In derselben Gegend lebte ein König der Tiere, ein Löwe, der
die Gewohnheit hatte,
Gazellen nach seinem Vergnügen zu verschlingen. Eines Tages,
als er Fleisch aß, blieb ein
Knochen zwischen seinen Zähnen stecken, und der Löwe, der
weder Furcht noch
Beklemmung gekannt hatte, war nun da Zahnschmerzen seinen
Körper plagten ganz
niedergeschmettert und konnte nichts essen.
Glücklicherweise kam ein Specht, der gewohnt war, von einem
Baumwipfel zum anderen zu
fliegen, an den Platz, wo sich der König der Tiere befand.
Als er den Löwen so von
Schmerzen geplagt sah, da sagte er: "Onkel, warum bist du so
niedergeschlagen?"
Der Löwe antwortete: "Neffe, ich bin geplagt von Schmerzen."
"Was für eine Art von
Schmerzen?" fragte der Specht, und als ihm der Löwe die
ganze Geschichte erzählt hatte,
sagte der Specht: "Onkel, ich will deinen Fall behandeln. Da
du aber der Löwe bist und der
König der Tiere, kannst du nützlich sein, deshalb mußt du
von Zeit zu Zeit auch mir
nützlich sein." Der Löwe erwiderte: "Ich werde so handeln,
wie du sprichst." Der Specht
dachte: "Ich will es so einrichten, daß der Löwe gar nicht
merkt, was ich an ihm mache
und erst daraufkommt, wenn er wiederhergestellt ist."
Darum besorgt, dem Löwen zu helfen, blieb der Specht bei
ihm, um seine Lebensweise zu
beobachten. Nachdem die Wucht des Schmerzes nachgelassen
hatte, verfiel der König der
Tiere in eine bessere Stimmung und legte sich, seine Klauen
weit von sich gestreckt, auf
einem breiten, flachen Felsen schlafen.
Nun näherte sich der Specht dem König der Tiere und dachte,
als er den Löwen in einer so
angenehmen Stellung daliegen sah, daß dies der richtige
Augenblick sei, um ihn zu
behandeln. Nach sorgfältiger Untersuchung entfernte der
Specht den Knochen aus des
Löwen Zahn, indem er fortwährend mit den Flügeln schlug. Der
Löwe setzte sich auf mit
nach dem Schlafe geöffneten Augen. Der Specht, der wußte,
daß der König der Tiere von
Schmerzen und Unbehagen befreit worden war, kam in großer
Fröhlichkeit herbei und
sagte: "O Onkel, hier ist der Knochen, der die Schmerzen
verursachte." Der König der Tiere
war sehr erstaunt und sagte: "O Neffe, da ich dir für deine
Dienste danken möchte, komme
von Zeit zu Zeit zu mir und sage mir, was ich für dich tun
kann." Der Specht antwortete:
"Gut, so will ich es machen", und flog davon.
Später einmal, als der König der Tiere gerade Fleisch
verschlang, kam der Specht der
gerade von einem Falken angefallen worden und knapp dem Tode
entronnen war in einer
Verfassung von großem Hunger zu ihm. Nachdem er seine Nöte
beschrieben hatte, sagte er
zu dem Löwen: "O Onkel, ich bin von Hunger geplagt, gib mir
ein Stückchen Fleisch."
Doch der Löwe antwortete mit diesem Vers: "Nachdem ich die
lebende Kreatur in Stücke gerissen habe,
bin ich nun einmal
ein Wilder und ein Missetäter. Bist nicht du, der du
zwischen meinen Zähnen durchgerutscht bist, dankbar, am
Leben geblieben zu sein?"
Auch der Specht antwortete in einem Vers: "Ohne Nutzen sind
Formen, die man im Schlafe
sieht und Verdienste, die man in den Ozean wirft. Ohne
Nutzen ist der Verkehr mit einem
bösen Menschen und Wohltaten, die man auf Undankbare häuft."
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