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Der Roman
Der Sperling und der Kanarienvogel
Die Kanone und die Pulvermine
Der Weizen und der Mais
Die zwei Träger
Die Affen
Die Löwin und der Fuchs
Die Ziffer und die Nulle
Der Schäfer und der Wolf
Die jungen Füchse
Das Bild der Sonne
Der gefangene Affe
Der Löwe und der Hase
Die Ähren
Die Grille und die Nachtigall
Der Storch und der Fuchs
Der Einsiedler
Der Wanderer
Der Eroberer
Das doppelte Lehrgeld

 

Der Roman

Ein Vater, dessen Sohn den Musen sich geweiht,
Kauft, da er keine Kosten scheut;
Dem Sohne einen Saal voll auserlesner Bücher.
Ich dinge, sprach er zu dem Sohn,
Mir aus dafür als einz'gen Lohn,
Daß du in dieser Bände Zahl
Kein Buch mir aufnimmst, das vom Satan eingegeben,
Und von ihm honoriert dereinst mit ew'ger Qual.
Ein hung'riger Skribent, den Neulingen zum Fall,
Den Frommen zum Verdruß, der Presse übergeben,
Heiß' es nun Schauspiel, Almanach, Roman;
Es wächst des Unkrauts jede Messe mehr,
Und untergräbt das fromme Leben.

Der Sohn — ihn wandelt zwar ein leises Lächeln an —
Ob seines alten Vaters Wehe —
Gibt ihm darauf sein Ehrenwort.
Allein, kaum war der Vater fort,
Da zog der junge Herr ein Bändchen schnell hervor;
Ein schlüpfriger Roman, worin ein siecher Tor,
Aus Fieberträumen der verschwel'gten Jugendkraft
Ein ekelhaft Gericht geschafft,
Um Kopf, Geschmack und Herz der Jugend zu verderben,
Und durch ein Krümchen matten Witz
Sich einen angeseh'nem Sitz
Wo nicht am Pindus, doch im Orkus zu erwerben.
Dies Büchlein ward sehr schlau in Korduan gebunden;
Man hatte es der Kosten wert gefunden.
Von außen war es schwarz gleich einem Trauertuch,
Der Schnitt von Gold, wie bei dem besten Buch.
So ward es einer Bibel angetraut,
Die ob der Nachbarin sich gar nicht sehr erbaut.

Es kam nach einer kleinen Reise
Der Vater zu dem Sohn zurück,
Und musterte mißtrauisch nach der Weise
Der Alten gleich den ganzen Büchersaal.
Da sieht er auf einmal
An Mutter Bibel Seit' ein schwarzes Büchlein stehen.
Ei, rief er aus, dies Buch hab' ich noch nie gesehen. —
Es ist ein Andachtsbuch, das ich vor wenig Tagen
In einem Bücherladen fand,
Man sieht es gleich aus Schnitt und Band. —
Da tatest du, mein Söhnchen, recht gescheit.
Wir wollen es ein wenig überschlagen;
Vielleicht lös' ich es ab mit Geld,
Wenn's mir so sehr, wie dir gefallt.

Hier griff er nach dem Augenglas,
Und unser Herrchen wird vor Schrecken blaß.
Bereits das erste Kupferblatt
Wird an dem Inhalt zum Verrat;
Ha, rief der Vater aus, war's so gemeint, du Schmeichler?
Du und dein schwarzes Buch — ihr beide seid nur Heuchler.
Dich will ich deinen Übermut
Durch strenge Aufsicht fühlen lassen,
Doch dieser schändliche Roman,
Den Belzebub in einer Schäferstund' ersann,
Soll diesen schweren Frevel büßen.
Mit diesem donnernden Sermon begann
Das Buch er grimmig anzufassen.
Da sprach das Buch zu ihm: Bewahre dein Gewissen!
Hab' Ehrfurcht vor dem geistlichen Gewand,
Du siehst es, ich bin kein gemeiner Band.
Du Heuchler, spricht der Greis, nichts soll dein Kleid dir nützen,
Dein Inhalt ist nicht wert, ein solches zu besitzen.
Ja, um dein schwarzes Kleid da wäre wirklich Schade,
D'rum findet dieses nur, doch nicht dein Inhalt Gnade.
Er zieht ihm aus das Kleid vom Kopf bis zu den Füßen,
Dann ward das ganze Werk zerrissen.

Der Sperling und der Kanarienvogel

Ein Sperling, der im Feld nicht mehr viel Futter fand,
Flog durch das offne Fenster in den Saal,
Wo in dem prächt'gem Käfig an der Wand
So eben ein Kanarienvogel hing.
Und weidlich schmauste bei dem leckern Mahl.
Ach, lieber Bruder Sperling, fing
Der Spatz zu flehen an, ich sterbe fast vor Not,
Gib mir ein wenig doch von deinem Zuckerbrot
Du hast ja dessen in der Fülle. —
"Mit dieser Bitte schweige stille,"
Piept unser Männchen, "was ich habe,
Ist eine wohlverdiente Gabe,
Von meinem Herrn, der sehr mich schätzt,
Weil ihn mein schönes Lied ergötzt.
Und meine Stimme sanft und zart,
Auch scheinst du von der guten Lebensart,
Du grober Spatz, sehr wenig noch zu kennen,
Sonst würdest du, bei meiner Seel',
Das Städter-Zeremoniel
Weit besser wissen und versteh'n.
Und einen fremden Gast aus den Kanarien
Nicht so vertraulich: Bruder Sperling, nennen."
He! sagte unser Sperling ärgerlich,
Sei immer stolz auf deinen hohen Stand,
Und brüste dich damit in einem fremden Land,
Zu Hause bist du sicherlich
Ein bloßer Sperling nur, wie ich.

Die Kanone und die Pulvermine

Du bist ein mördrisches Geschütz,
Sprach eine Pulvermine zur Kanone.
Es fährt aus deinem Rohr der Tod wie Blitz,
Und die Verwüstung zeichnet deine Spur.
Nun ist es zwar, ich sage selbst, nicht ohne,
Daß ich — versteht sich, nur aus Pflicht
Zuweilen hie und da an einen Schaden richt'.
Allein ich wüte einmal nur,
Dann bin ich auch versöhnt, doch du, schlägst du auch nieder,
Tobst immer auf das Neue wieder.
"Wie du so schonend bist," sprach hier im Spöttertone
Zu unsrer Heuchlerin die eherne Kanone,
"Fast möchten Jene, die nicht besser dich erkennen,
Mich einen Wolf, und dich ein Lämmchen nennen.
Ja, wahr ist's, einmal tobst du nur,
Doch wehe dem, der deine Tück" erfuhr.
Du gräbst für Tausende auf einmal Totengrüfte.
Und sprengest ganze Städte in die Lüfte.
Ich bin ein offner Feind; vor mir kann man sich schützen
Durch dicke Mauern, hohen Wall;
Du legest heimlich eine Fall'.
Man glaubt, auf Rasen sanft zu sitzen,
Und labt sich an der Blumen Duft,
Und fliegt dann schnell mit mörderischem Knall
Zerschmettert in die Luft."

Der Weizen und der Mais

Ein Weizenfeld stand einem Maisfeld nah',
Mit Hochmut und Verachtung sah
Der Weizen auf das Maisfeld hin,
So, daß es nicht undeutlich schien,
Es gönne ihm mit Schwierigkeit
Das Plätzchen da an seiner Seit'.
Das Mehl, sprach es, das meine Ähren geben,
Ist fein und zart und weiß;
Drum pflegt man es zum Backwerk aufzuheben.
Es ist der reichen Leute Speis,
Doch deine Frucht taugt nur für plumpe Bauernmägen,
Die Stahl und Eisen selbst vertragen.
"Wahr ist es," sprach der Mais,
"Ich liefre nur für ärm're Leute Brot,
Allein, oft steu'rt' ich einer Hungersnot,
Wenn deine Frucht mißriet, wie nur zu oft geschehen.
Du forderst guten Grund und delikates Pflegen,
Sparsamen Sonnenschein und nicht zu starken Regen.
So zärtlich bin ich nicht. Ich komm' an jedem Ort
Mit gar geringer Pfleg' in jeder Witterung fort;
Und pflege jedem Mangel stets zu wehren,
Du aber bist sehr teu'r, und dich kann man entbehren."

Die zwei Träger

Zwei Brüder reisten über Land,
Und jeder trug auch einen Pack.
Doch sehr verschieden war die Last,
Der Eine schleppte Stein und Sand,
Daß er erlag der Bürde fast.
Voll Flaumen war des andern Sack.
Der Erstere zog schweigend fort
Und man hielt für gering die Bürde,
Weil er, wär's auch mit einem Wort,
Sich ob der Last beklagen würde.
Der zweite stieß bei jedem Schritte
Aus jammernd einen Schmerzensschrei,
Ich kann nicht weiter; ach, ich bitte,
Eilt mir zur Hilfe doch herbei
Damit man mich vom Tode rette.
Gleich lief man scharenweise her,
Haus, Werkstatt wird in Stich gelassen,
Und Alles müht sich um die Wette,
Die leichte Bürde anzufassen.
Erschöpfet stützt er sich auf seinen Wanderstab.
Man nimmt ihm schnell sein leichtes Säckchen ab,
Und führt den schlauen Wanderer,
Als käm' er hundert Meilen her,
In eine gute Herberg ein,
Und füttert ihn bis in die Nacht,
Indes er bei dem Glase Wein
Der leichtberückten Toren lacht.

Die Affen

Es hielt ein König im Ägyptenlande
Sich einmal eine Affenbande,
Und kleidete den haarbedeckten Leib
Mit goldgesticktem, prächtigem Gewande,
Als wären sie von hohem Rang, und Stande.
Dies Völkchen war sein liebster Zeitvertreib
Wenn sie vor ihm sich in den Künsten übten,
Im Voltigieren, Reiten, Tanze.

Einst spielten sie bei Silberlampen Glanze
Auf einer Bühn', und machten trefflich ihre Sache,
Und Meister schienen sie in jedem Fache.
Es saß bewund'rungsvoll und stumm
Das ganze Auditorium
Manch' Bauer hat die seltsamen Gestalten
Im vollem Ernst für Junker selbst gehalten.

Doch plötzlich kam ein Weib — wie teuer muß sie büßen
Die Unbehutsamkeit? mit einem Korb voll Nüssen
Der Bühne nah; sobald, als sie die Affen sehen,
So lassen sie gleich Alles liegen, stehen,
Und springen vom Theater; fallen auch
Hin auf den Korb mit Nüssen, Räubern gleich.
Was auch der Herr Direktor lärmt und rief,
Umsonst, nichts half, und Alles lief
Mit lautem Lärm und gier'gen Blicken
Trotz ihrem goldgestickten Kleide,
Bunt durcheinander, voll vom Neide
Riß man die Frucht sich aus dem Munde,
Und balgt' und zerrte sich wie wilde Fleischerhunde. —

Es läßt sich die Natur nie gänzlich unterdrücken.

Die Löwin und der Fuchs

Als einst die Löwin in den Wochen lag,
Kam unter Andern auch der Fuchs herzu.
Ei, sprach er, für ein Tier von deinem Schlag,
Die Wälderkönigin, ist's gar nicht fein,
So mächtig und dabei nicht fruchtbarer zu sein.
Das dümmste Schaf ist fruchtbarer, als du.
Pfui, alle Jahr der Welt ein Junges nur zu geben! —

Ja, sprach hierauf die Löwin, aber einen Löwen!

Die Ziffer und die Nulle

                       Die Nulle

Du stolzes Ding, so gib' mir doch die Ehre,
Bekenn', wie sehr ich nütze dir,
Die ich so vielfach deinen Wert vermehre.

                      Die Ziffer

Dies tust du doch nur dann,
Steh' ich voran,
Du hinter mir.

Der Schäfer und der Wolf

Der Wolf schlich einmal spähend über's Feld
Da sah er, wie die Schäfer in dem Zelt
Vertraulich an dem Feu'r beisammen saßen.
Und zu dem Abendbrot ein Lamm gebraten aßen.
Vortrefflich schmeckte ihnen diese Kost.
Ha, sprach der Wolf, ihr Schelme pros't,
Wie würdet ihr nicht lärmen um die Wette,
Wenn ich es täte? —

Die jungen Füchse

Hört Kinder, sprach am frühen Morgen
Zu den zwei Jungen einst ein alter Fuchs.
Ich muß jetzt über's Land, die Küche zu besorgen,
Zu einem vollem Hühnerstalle,
Der wert ist meines fleißigen Besuchs.
Geht nur, bis ich mit Beute wohl beladen,
Von meiner Reise kehr' nach Haus,
Versteht mich wohl, in keinem Falle
Aus unserm sichern Bau heraus;
So unerfahren, wie ihr seid,
Wie leicht gerietet ihr in eine jener Schlingen,
Die Jäger fast auf allen Wegen,
Uns arme Tiere umzubringen.
Und unsern Balg zu kriegen, legen.
Folgt meinem Rat, und hütet euch vor Schaden. —

Der Vater war noch nicht gar weit,
Als schon den jüngern Fuchs der Vorwitz stach,
Die Gegend ringsumher ein wenig zu besehen,
Worauf er zu dem Bruder traulich sprach:
Hee? Unser Alter hat doch seltne Grillen!
Wir haben doch so gut, wie er, den freien Willen.
Ich will ein wenig auf den Acker gehen,
Da gibt es manchmal eine fette Maus;
Ein guter Bissen zu dem Abendschmaus!
Es wird doch nicht in jedem Winkel
Ein Jäger mit der Büchse stehen,
Und Schlingen kann man ja vermeiden;
Dafür läßt sich wohl Rat durch kluge Vorsicht finden.

Umsonst bekämpft des Bruders Eigendünkel
Der ält're Fuchs mit vielen weisen Gründen,
Der Jüng're blieb auf seinem Sinn,
Und war, da noch sein Bruder sprach, dahin.
Und lief umher im Wald und Feld mit Freuden.
Mitleidig sah der Klügere ihm nach,
Beklagend seinen Eigensinn, als, ach!
Ein Klaggeschrei, so jammernd und so bang
Ihm herzzerreißend in die Ohren drang.
Sein Bruder schrie, der in der Schlinge war.
Soeben schlug ihn tot der Jäger wilde Schar.

Der arme Tor, sprach er, büßt seinen stolzen Wahn
Mit einem bittern Tod und einem frühen Grabe;
Ich kann ihn retten nicht; wie wohl hab' ich getan,
Daß ich befolgt des Vaters Lehre habe.

Das Bild der Sonne

Der kleine Wilhelm stand an einer schönen Quelle,
Die sanft durch Blumenauen floß;
In ihrer Flut, so silbern und so helle
Schwamm auch der Sonne Bild, so herrlich und so groß.
In aller Majestät mit ihrem Strahlenkranz;
Die Wellen bebten sanft von ihrem Glanze.
Da nahm auf einmal unser kleine Mann
Sein Haselstäbchen, und begann,
Um ein'ge Frösche aufzuspüren,
Das Wasser in dem Grunde aufzurühren.
Da trübte schnell das klare Wasser sich,
Und mischte sich mit Schlamm, und es entwich
Nun schnell der Sonne Strahlenbild,
Das vorhin ihn mit Lust erfüllt.
Umsonst beugt er sich zu der Quelle nieder;
Zu seinem nicht geringen Schmerzen
War weg das Bild, und kam nicht wieder. —

Die Gottheit spiegelt sich nur in dem reinen Herzen.

Der gefangene Affe

Auf Affen streifte einst ein Jäger Morgens
Doch war umsonst sein Gang und seine Mühe.
Vereint saß stets die ganze Affenbande,
Und wehrte sich mit Prügeln, Steinen, Sande,
Daß stets er vor der kampfbereiten Schar,
War ihm sein Leben lieb, zu flieh'n, gezwungen war.
Ha, sprach er zornig, ihr verwünschten Affen
Was mir Gewalt versagt, soll mir die List verschaffen.

Er ging nun an den Bach, der zwischen Blumensaum
Sanft strömte, gar nicht weit vom Baum,
In dessen breiten, kühlen Schatten
Ihr Hauptquartier die Affen hatten.
Er zog zuerst die Stiefel aus,
Als ob er sich die Füße baden wollte,
Und als er sich bemerkt sah, holte
Er ein paar Stiefelchen aus seinem Sack heraus,
Rot, niedlich, und mit Bändern schön geziert;
Doch innerlich mit Leim beschmiert.
Dann zog der schlaue Jägersmann
Die alten Stiefel wieder an,
Und fing zum Schein an fortzugehen;
Die Stiefelchen ließ er jedoch am Bache stehen.

Er hatte kaum gewand't den Rücken,
Als schon ein Äffchen mit vorwitz'gen Blicken
Herab von jenem Baume hüpfte,
Und zur Vewund'rung der Kollegen,
Recht dreist und munter, und verwegen,
Schnell in die kleinen Stiefel schlüpfte.
Doch ach! das Füßchen blieb am zähen Leime hangen,
Und unser Äffchen — war gefangen!

Der Löwe und der Hase

An einem Stündchen froher Laune
Geruht des Löwen Majestät
Mit einem Häschen, das am Zaune
Vor ihm ein Männchen macht, zu spaßen.
Das Häschen, dreist durch solche Gnade, untersteht
Sich's, den Monarchen kühn zu fragen:
Ist es wohl wahr, was Menschen von dir sagen,
Daß du, worüber billig ich erstaune,
Der Tiere Fürst, verjagen dich sollst lassen
Durch eines schlechten Hahn's Geschrei?
Ich hielt es für ein Märchen, meiner Treu!
Es ist die reine Wahrheit, sprach der Löwe,
Doch bin denn ich es ganz allein,
Der solch' ein Beispiel seltner Furcht euch gebe?
Weißt du denn nicht, daß selbst der Elephant,
Sobald er grunzen hört ein Schwein,
Den Rücken hat zur Flucht gewandt?
Ist Furchtsamkeit der großen Tiere Brauch,
Spricht's Häschen, nun so weiß ich auch,
Warum wir Hasen vor der Hunde Haufen,
Die uns verfolgen, schnell entlaufen.

Die Ähren

Der kleine Fritz besah an seines Vaters Hand,
Ein Kornfeld, das in schönster Reife stand.
Da sah er manche Ähr', und ihr zur Seite ragte
Manch grüner Halm empor, und unser Fritzchen fragte
Den Vater: Warum rottest du denn nicht
Die schlechten Halme aus, die sich zur Erde senken?
Die werden dir wohl wenig Körner schenken,
Wogegen jene, die so stolz empor sich heben,
Dir ohne Zweifel eine reiche Ernte geben.
Unwissenheit ist es, die aus dir spricht,
Erwiderte der Vater. Wisse, schwer
Ist vom Getreide die gesenkte Ähr',
Und jener Halm, der sich so stolz erhebt, ist — leer!

Die Grille und die Nachtigall

Als einst im Hain die sanfte Nachtigall
Mit ihrer Kehle Zauberschall
Die ganze Gegend ringsumher entzückte,
Die unsrer Künstlerin in ehrfurchtsvoller Stille
Demütig huldigte, da rückte
Aus ihrem Loch heraus auch eine Grille,
Und sprach zur Nachtigall: Dein Lied klingt zwar erträglich,
Doch singst du nicht allein, denn ich auch bin,
Glaub' mir es auf mein Wort, Tonkünstlerin,
Und produziere mich im Sommer täglich.
Es will nun zwar das eigne Rühmen
Bescheidnen Künstlern nicht geziemen,
Doch gibt's viel Leute, die mit Wohlgefallen
Mich hören dort, wo meine Lieder schallen.

Fürwahr, das wußt' ich nicht, sprach Philomele,
Ein wenig heiser zwar scheint deine Kehle.
Doch, wenn ich fragen darf, wer waren denn die Leute,
Die dein Gesang ergötzt? — Die Bauern sind's, die heute
Auf jener nahen Wiesen mähen. —
Das geb' ich zu, well sie die Musik nicht verstehen.
Mir horchten Hirten zu auf jenem grünen Rasen,
Die selber Künstler sind, und auf der Flöte blasen.

Der Storch und der Fuchs

Ein Storch kam einst zurück von seinen Reisen,
Und wurde müde nicht, wie's nun zu gehen pflegt,
Das Land, das er durchreist, als Paradies zu preisen.
Der Fuchs, des' Neugier er erregt,
Und der schon halb und halb beschloß, dahin zu gehen,
Fragt nun den Reisenden: Was hast du denn gesehen,
Das dir so wohl gefiel? Wohl hundert schöne Sachen;
Besonders gibt es dort prachtvolle Lachen,
Und tiefe Sümpfe, lang und breit,
Und Pfützen, hundert Schritte weit,
Nebst unvergleichlichen Morästen,
Wo Kröten sich und Frösche mästen.
Ein Paradies! Ich sag' es ohne Übertreibung. —
O, höre auf mit deiner Reisbeschreibung,
Fiel ihm der Fuchs in's Wort, dies ist ein Land allein
Für die, die Sumpf, Morast, und Lach' und Pfütz' erfreu'n.

Der Einsiedler

Des Weltgetümmels müd' floh Theodat,
Der Gnade Ruf gehorchend, aus der Stadt,
Eilt an des Niles öden Rand,
Und suchet dort in einer Klause
Die Ruhe, die er nimmer fand
Im Überflusses Schoß, im goldnen Hause.
Den Armen teilt er aus die Güter,
Hüllt sich in rauhes Bußgewand,
Und zähmt des Leibes rege Lüste
Durch Beten, Fasten in der Wüste.

Viel Jahre lebt' er so; da zog ein Ritter
Einst durch die öde Gegend; ihm ritt nach
Ein Diener, müde von des Tages Hitze
War Herr und Knecht und Pferd.
Der Ritter schien ein rauher Mann;
Er hielt jetzt mit dem Rosse an.
"Ha." fuhr er auf den Knecht los, wie besessen,
"Du Schurke hast im Nachtquartier vergessen
Ein Ding von Wert." (So nannt' er's zwar, allein
Sein Diener hieß es eine Kleinigkeit)
Und, da der Knecht ihm anfangs widersprach,
Obgleich er endlich um Vergebung bat,
So zog der Ritter gleich dem Blitze
Sein stammend Damaszener Schwert,
Und hieb dem Knechte ab das Bein,
Und sprengte nach vollbrachter Tat
Schnell in den nächsten Wald hinein. —

Als der Verwundete um Hilfe schrei't,
Kommt Theodat, erschreckt durch das Geschrei,
Aus seiner dunkeln Zelle schnell herbei.
Und nach des Christentumes frommer Sitte
Besorgt er mit geschickter Hand
Nur für den Notfall jetzt den dringendsten Verband,
Und trägt den Armen in die stille Hütte.
Der Klausner beugt sich seufzend über ihn;
Mit Gott zu hadern schien sein trüber Sinn.
Des Alten finst're Laune merkt der Knecht,
Und spricht: "Wißt, daß ich zwar diesmal unschuldig bin,
Doch hab' ich's sonst verdient; Gott ist gerecht.
Mit eben diesem Fuß, der heut mir abgehauen,
Hab' ich die Mutter einst als Kind gestoßen.
Daß von der wunden Stirne Blut geflossen."—
Er schwieg, und ächzte, und mit stillem Grauen
Vernimmt der Klausner die Geschichte.
Es betet nun der fromme Mann
Im Staube Gottes Strafgerichte
Mit heimlichem Entsetzen an,
Sie, die dem Menschenaug, das trüb und blind,
Verborgen oft, doch stets gerecht und heilig sind.

Der Wanderer

An einem Sommertage
Reist' ich, nicht ohne Plage,
(Das Wetter war so schwül)
Nach einem fernen Ziel.
Kein sanftes Lüftchen schwirrte
Mir süße Kühlung zu.
Ich trug die schwere Bürde,
Und sehnte mich nach Ruh'.
Da kam am blauen Bache
Aus einem Blätterdache,
Wie Sonn' aus Wolkenflor,
Ein schönes Kind hervor.
Es sprach aus holden Zügen
Die reinste Kindlichkeit,
Im Rosenantlitz wiegen
Sich Scherz und Heiterkeit.
Sie kam heran geschritten:
"Hast heute viel gelitten,
Du armer Wandersmann!"
So red'te sie mich an.
"Die Bürde beug't den Rücken,
Erschöpft ist deine Kraft,
D'rum will ich dich erquicken
Zur fernern Wanderschaft."
Hier nahm von freien Stücken
Herab sie mir die Last,
Und ihre Hände pflücken
Mir Beeren ohne Rast;
Sie trocknet mir den hellen
Schweiß, der da glühend rann,
Und labt aus nahen Quellen
Mich durst'gen Wandersmann.
Nicht konnt' ich mich enthalten,
Und dankbar fragte ich:
"O schönste der Gestalten,
Die labt so freundlich mich,
Sag', die so milde bist,
Wo deine Heimat ist?"
"Ich bin in Blumenauen
Auf dieser Welt zu schauen,
Dort meine Heimat ist."
"Wenn hier zu Haus du bist,"
Sprach ich nicht ohne Zagen,
"Was soll ich ferners plagen
Mich mit der Wanderschaft,
Die nur erschöpft die Kraft?
Laß in den Blumenauen
Uns uns're Hütten bauen,
Wo mich, von dir entzückt,
Ein ew'ger Lenz beglückt." —
Laß fallen, ach, laß fallen
Den unglückseligen Wahn;
Du mußt zum Ziele wallen
Mein lieber Pilgersmann!
Ich heiße Erdenfreude,
Ein guter Gott mich schuf,
Zu trösten in dem Leide,
Sprach er, sei dein Beruf.
Den Pilgern, die ermüden,
Sei durch dich Kraft beschieden,
Doch darf er hier nicht weilen,
Er muß zum Ziele eilen,
Wenn ich ihm Labung gab,
Greif' er zum Wanderstab.
Ich hab' zwei Schwesterlein,
Sind beide hold und fein
Heißt eine Seelenfrieden,
Ist denen nur beschieden,
Die reinen Herzens sind,
An Einfalt noch ein Kind.
Die zweit' ist Himmelsfreude;
Sie prangt im Sternenkleide,
Hast du vollbracht die Bahn,
Mein lieber Pilgersmann,
Dann wird sie dich umfangen
Mit Glanz und hohem Prangen;
Nimmt dir den Wanderstab,
Und trocknet von den Wangen
Des Pilgers Tränen ab,
Und mit dem Kranz sie ihn belohnt,
Dort, wo die ew'ge Liebe thront.

Der Eroberer

"Ha! Eben jetzt," so sprach in trauter Abendstunde
Osmin, der Fürst von Chorosan
Zu dem Vezier, "erhalt' ich sichre Kund,
Daß Azor, der beherrschte Baktrian,
Der mutige Eroberer,
Von dem die Nachbarn oft erkauft den Frieden,
Als er mit einem großen Heer
Nach Osten zog, schnell auf dem Marsch verschieden.
Die herrliche Gelegenheit, mit leichtem Siege
Sein Reich an mich zu zieh'n, kommt nimmermehr.
Des Thrones Erbe liegt noch in der Wiege,
Das Volk ist mißvergnügt, vom Vater ausgesaugt.
Kein Prinz ist da, der zum Regieren taugt.
Die Großen dieses Reichs sind uneins unter sich.
Das Land hat keine Bundsgenossen.
Es werde mein! So hab' ich es beschlossen.
D'rum rüste schnell ein Heer, Vezier; ich schicke dich
Damit nach Baktrian, erob're mir dies Land!
Entreiß mit sieggewohnter Hand
Dem Kind das Diadem; es ist kein Ding, zum Spielen.
Und wer sich widersetzt, soll deine Rache fühlen.
Hilf mir zum umgestürzten Throne,
Und ford're Fürstentümer dann zum Lohne!"

Hier beugte der Vezier sich vor dem Herrscher tief.
"Erlaub'," sprach er, "erhabener Kalif,
Daß ich zuvor im Staub es wage,
An dich zu tun nur eine Frage:
Was hat dir dieses Kind getan,
Daß du ihm den ererbten Thron willst rauben?
Was dieses Volk, daß gegen Treu' und Glauben
In tiefem Frieden du es greifest an,
Es unterjochen willst mit deinen Heeren?"
"Ich will," so sprach Osmin, "noch meine Macht vermehren
Durch die Eroberung. Wer kann mit Fug mir's wehren,
Wenn ich durch Mut und Siege glänze,
Erweit're meines Reiches Grenze?" —
"O Fürst," sprach der Vezier, "der du den Ruhm so liebst,
Hältst du es nicht für sehr gefehlt,
Wenn du dem eignen Volke und der Welt
Ein böses Beispiel des verletzten Rechtes gibst?"

Das doppelte Lehrgeld

Es fährte einst zum weisen Ebenetzer
Ein Bürger seinen Sohn, der als ein dreister Schwätzer
Im ganzen weiten Land
Nicht seines Gleichen fand.
"Berühmter Philosoph," sprach er, "nimm meinen Sohn,
Um ihn zu bilden, in die Lehre!
Du wirst es seh'n, er macht' dir Ehre.
Es zieren diesen Knaben —
Ich sollt' 's nicht sagen — seltne Gaben.
D'rum lehr' ihn, was du weißt, und sag mir, welchen Lohn
Du forderst." — Unser Weise zeigt sich willig.
Gern gäb' umsonst ich meinen Unterricht,
Allein die Selbsterhaltung bleibt mir Pflicht.
Auch nimmst du's übel nicht, wenn ich für deinen Sohn
Begehre zweifach meinen Lohn." —
"Wieso," fragt unser Bürger hitzig,
"Glaubst du, mein Sohn sei minder witzig,
Gelehriger und reifer minder,
Als meiner Nachbar-Bürger Kinder?
Es wird das Gegenteil sich zeigen."
"Ich will es hoffen," sprach der Philosoph,
"Doch zweifach ist des Unterrichtes Stoff:
Ich muß ihn reden lehren, und — auch schweigen."