Fabeln 2
 



 

Abraham a Sancta Clara
(auch: Gaudentius Hilarion, Hilarius von Freudenberg, Theophilus Mariophilus; bürgerlich: Johann Ulrich Megerle)

geb. 2.7.1644 in Kreenheinstetten bei Meßkirch/Baden
gest. 1.2.1709 in Wien.

Er gilt als bedeutendster katholischer Prediger der Barockzeit.

Quelle:

Auserlesene Gedanken, Anekdoten, Fabeln aus den Schriften des Pater Abraham a St. Clara
Wien 1818/Verlag der Carl Gerold'schen Buchhandlung

Fabeln 1
 
Der blinde und der lahme Bettler
Der Feinschmecker und die Holzbirnen
Der Froschvater und seine Jungen
Der junge und der alte Fuchs
Der Knabe am Ziehbrunnen
Der Lügenbach
Der Pfau
Der Roßschweif an der Krippe
Der Traum des Ochsen
Die Narrenkappe
Die Schwalbe und die andern Vögel
Adler und Schildkröte
Bauer und Schiffsmann
Bauer, Fuchs und Jäger
Bäume und Hopfenstange
Eichbaum und Haselnuß
Ein Bauer wirft einen Pfleger in den Bach
Eine Fabel
Eine schlagfertige Antwort
Fuchs und Maultier
Fuchs und Maus
Fuchs und Rabe
Greisin und Tod

 


Der blinde und der lahme Bettler

Fürwahr, jene zwei Bettler haben sehr verständig gehandelt, deren einer an beiden
Füßen krumm und lahm, der andre an beiden Augen stockblind, indem sie
beratschlagten, wie sie doch möchten in einen gewissen Ort kommen. "Ich," sagt der
Blinde, "hab sehr gute Füße und kann stattlich gehen. Es mangelt mir aber das Gesicht,
und weil du ein gutes Gesicht hast, entgegen lahme und krumme Füß, also will ich dich
auf meinen Achseln tragen. Du mußt mir aber den Weg zeigen, der ich stockblind bin."
Sind also diese zween arme Bettler nach allem Wunsch ans bestimmten Ort gelangt.

Es scheint demnach nichts Schöners, als wenn einer dem andern Hülf leistet.

Der Feinschmecker und die Holzbirnen

Ein gewisser Bacchus- und Bauchus-Bruder strebte dergestalt nach guten Bisserln,
daß er seine Wampen mehr verehrt als die Philistäer den Abgott Dagon. Wie nun dieser
Gesell einst aufs Land hinaus zu einem Freund eingeladen worden, da hat er den Abend
zuvor sich des Nachtessens enthalten, der Hoffnung, daß ihm den Tag nachher das
Essen besser werde schmecken, weil er vorausgesehen, daß sein Freund kein Esel
werde sein und ihm Ochsenfüß aufsetzen, sondern weit beßre Speisen; denn
Rebhühnderl waren ihm Lebhühnderl. Als er nun unterwegs in einen Wald geraten, wo er
von ungefähr sehr viele vom Wind abgeschlagne Holzbirnen unterm Baum gefunden,
da hat er selbige mutwilligerweis und aus sondrer Verachtung gar mit eignem Urin
besudelt. Bald aber darauf entstand ein großer Platzregen, von welchem der Bach,
worüber er hätt sollen passieren, sich dergestalt ergossen, daß er wirklich ohne
Todesgefahr darüber nit konnte kommen, mußt also nothalber den Weg zurück
nehmen. Weil er aber von der Nacht überfallen worden, also hat er seine
Nachtherberg genommen unterm Baum, dessen Frucht er zuvor mit einem schlechten
Himmeltau benetzt hat. Weil aber in selbiger Gegend weder Dorf noch Haus war und
folglich auch keine Nahrungsmittel, anbei aber ihn der Hunger mächtig gedruckt, also
hat er fleißig die Holzbirn, die er zuvor mit eignem Wasser bebeizt, von der Erden
aufgeklaubt, und es hat ihm solches vorhin verachtete Konfekt über alle Maßen geschmeckt.

Aus diesem folgt, daß der Hunger zuweilen sehr gut sei und einem manchen ganz
schlechte Speisen als die besten Schleckerbisserl vorkommen. – Wenn ein Hungriger ein
Habermus, ein Steiermärker einen Sterz, ein Westphälinger einen Pumpernickel, ein
Bayer einen Topf Nudeln vor seiner Hand hat, so schmeckt ihm dies weit besser als
einem Edelmann eine Fasanpasteten, die ihm auf die Tafel getragen wird. – Kein Gewürz
tut die Speisen so Wohlgeschmack zurichten wie der Hunger: dieser ist der allerbeste
Koch. Wann einige vornehme Herrn müßten durch die Arbeit ihr Brot gewinnen, so würden
sie gleich andern, gemeinen und gewöhnlichen Leuten mit größerm Appetit zur Tafel sitzen.


Der Froschvater und seine Jungen

Bekannt ist jene Fabel von den jungen Fröschen, die einmal bei warmer Sommerszeit
nächst einer Lacken über alle Maßen gequackzet und geschrieen, also zwar, daß ein alter
Frosch selbst über diese abgeschmackte Musik urdrüssig geworden und die Jungen nit
wenig ausgefilzt und verschimpft hat. "Schämt euch, ihr grünhosende Fratzen!" sagt er;
"ihr wilden Lackendrescher, ihr hupfenden Spitzbuben! Schämt's euch, daß ihr so ein
verdrießliches Geschrei verführt! Wenn ihr doch wollt lustig sein und frohlocken, so singt
aufs wenigst wie die Nachtigall, die auf diesem nächsten Baum sitzt, ihr großmaulenden
Narren, könnt's denn nichts andres als nur das Qua, qua, qua?" – "Vatter", antworteten
die Fröscherl, "das haben wir von dir gelernt!"

Ein mancher Sohn schilt und flucht, daß der Himmel möcht krachen, er segelt mit
ganzen Galeeren voller Sapprament, er schickt ein Ladungsschreiben ums ander dem
Teufel zu: er soll ihn holen; Donner! und Hagel! steht eine ganze Zeit in seinem
Kalender. – Aber: "Vatter," sagt ein solcher, "das hab ich von dir gelernt." – Eine
manche Tochter bringt die meiste Zeit beim Spiegel zu: ihr öftester Vorstand ist bei
diesem gläsernen Richter; ihre rotzige Hoffart macht, daß die Haar müssen zu
Schnecken (!) werden; und ist's, daß die Natur etwa gesparsam gewest an der Gestalt,
so muß der Anstrich und Schminke in die Robot und Fronarbeit gezogen werden.
Nach vollendeter Gesichtsmustrung begibt sie sich unters Fenster und will, daß alle Leut
sollen zu Israelitern werden und dieses goldne Kalb (sie möcht wohl gar gern eine Kuh
sein!) anbeten. – Aber: "Mutter," sagt diese, "das hab ich von dir gelernt!"

Und ich sag dazu: "Wehe, weh, solchen Eltern!"


Der junge und der alte Fuchs

Der junge Fuchs hat etlichmal wahrgenommen, wie die Vögel in der Höhe hin und her
fliegen, so geschwind wie der Wind, sagt demnach zum alten Fuchsen: "Vatter, ich will
fliegen!" – "Du junger Phantast!" setzt hinwieder der Alte; "was sticht dich für ein
Vorwitz?" – "Vatter, ich will fliegen," wiederholt der kleine Narr. "Du unbesunnenes
Fletschmaul!" sagt mehrmals der Alt, "hast du doch kaum soviel Haar am Schweif, daß
du ein ABC-Taferl könntest abstauben, und willst dennoch fliegen! Wo die Flügel
nehmen?" – "Vatter, ich will fliegen! Um die Flügel laß du dir kein graues Haar
wachsen, zwar bist du ohnedas schon weiß!" Ist also der junge Kehrwisch da und macht
sich ein Paar Flügel von den Hennenfedern, deren eine Meng daselbst gelegen; steigt auf
einen hohen Turn und springt zum Fenster hinaus, fliegt aber gar nit glückselig; denn
gleich dazumal hat ein Hechelmacher unterhalb seine Sachen feil gehabt. Auf dessen
spitzfindige War ist der Flieger mit solcher Gewalt gefallen, daß ihm allerseits das
häufige Blut heruntergeronnen, worauf der alte Fuchs alsobald gefragt: "Bürschl, wie
kommt dich das Fliegen an?" – "Das Fliegen hat mich schon sanft gedünkt; aber das
Niedersitzen hat der Teufel gesehn!" – "Geschieht dir recht, warum willst du den Alten
nit folgen! Warum verachtest du den Rat der Alten, die weit verständiger sind als die Jungen?"


Der Knabe am Ziehbrunnen

Ein Knab ist vor einem Brunnen gesessen und hat bitterlich geweint. Ein Geiziger geht
vorüber: "Was weinst?" – "Ich, Herr, ich hab einen guldnen Becher lassen in Bronn
hinunter fallen; ich trau mir nit nach Haus." Der Goldbegierige zieht sich geschwind
ganz nackt aus, steigt hinunter. Wie er so hinuntersteigt, nimmt der Bub die Kleider und
marschiert davon, laßt den Narren stehen; denn er ist umsonst hinuntergestiegen, da
dem Buben nix hinuntergefallen.

Also wird's gehn den Geizigen. Es geschieht ihnen als wie den Egeln: diese schwarzen
Immen, die saugen Blut und Blut, daß sie gestrotzt voll werden; wann's gnug gesoffen
haben, so streicht man's ihnen wieder aus. Die anbrennten Geldnarren, die füllen sich an
mit Geld, mit Geld, mit Gut, mit Batzen; wann's gnug haben, so kehrt's und streckt's der
Tod aus, nimmt alles wieder von ihnen.


Der Lügenbach

Ein Herr reiste mit seinem Diener über Land; der Diener aber unterwegs ließ sich hören,
was er für Wunderding in fremden Ländern hab gesehn, worunter aber die mehrsten mit
dem großen Messer bezeichnet waren: mit dem Aufschneidmesser! Gäh lauft ein Fuchs
übern Weg; darauf sagte der Herr: "Das war ein großer Fuchs." – "O Herr,"
setzt hinwieder der Diener, "ich hab Fuchsen gesehn, so groß wie ein Ochs!" – "Holla!"
gedachte der Herr; "das ist eine gewichtige Lug!"
Des andern Tags betete der Herr überlaut auf seinem Pferd: Gott woll ihn doch
denselben Tag vor einer Lug hüten! Dieses Gebet kam dem Diener sehr fremd und
seltsam vor, fragte demnach seinen Herrn die Ursach, worauf der Herr mit Seufzen
geantwortet: "Wir müssen heut über einen Fluß reiten, worin alle ersaufen, die da mit
einer Lug behaftet sind." Nach diesem kamen sie zu einem Wasser, allwo der Diener aus
nagendem Gewissenswurm gefragt, ob dieses solche Eigenschaft hab; denn er besinne
sich, daß er wegen des Fuchsen hab zuviel geredet: er sei nit größer gewesen als eine
mittlere Kuh. "Dieses Wasser ist's nit."
Bald darauf gelangten sie zu einem andern Wasser; der Diener erforscht wiederum, ob's
denn dieses sei; denn er hab einen Skrupel und Gewissensbiss wegen des Fuchsen,
indem derselb nit größer gewest als ein Kalb. "Noch nit," sagt der Herr; "aber unweit ist
der Fluß entlegen." Wie sie nun zum Gestad kommen, da zitterte hinter ihm der Diener
am ganzen Leib, daß er fast vom Pferd heruntergefallen, und wollt auf keine Weis
seinem Herrn nachreiten mit dem Vorwand, er hab allzu vermessen vom Fuchsen geredet,
indem derselbige nit größer gewesen als die Füchs in diesem Land, worauf der Herr gesagt:
"Weil der Fuchs ist gewest wie andre, so ist auch das Wasser dieses Flusses wie ein andres."


Der Pfau

Ein Pfau hat die Göttin Juno ganz inständig gefragt, sie möchte doch seine untertänigste
Bitte erhören. Wie sie nun fragt, was dann sein Begehren sei, und was er so stark
verlange? Um das bitte ich sagt der Pfau, daß ich neben meinen schönen Spiegelfedern
auch könnte einen schönen Gesang, gleichwie der Nachtigall haben, damit ich sowohl mit Gang und Gesang könnte den Leuten gefallen.
Die Göttin Juno machte hierüber gar kein freundliches Gesicht und gab ihm zu verstehen, sein unverschämtes Begehren, ja der Pfau solle mit dem Pracht und Glanz seiner Federn zufrieden sein und nicht gar zu viel begehren denn ihr Brauch sei nicht, daß sie einem alles pflege zu geben sondern einem dies dem andern etwas anders.

Dieses ist zwar ein Gedicht, unterdessen aber ist es eine allbekannte Wahrheit, daß der
vorsichtigste Gott durch seine grundlose Weisheit alles dergestalten eingerichtet, daß er
keinem Menschen alle Gaben mitgeteilt, sondern einem dieses spendieret, dem andern was anders.


Der Roßschweif an der Krippe

Ein Landfahrer und Leutebetrüger ist einmal auf Landshut, so eine Stadt in Bayern,
ankommen und hat daselbst austrommlen und ausrufen lassen, daß bei ihm eine
Wundersach zu sehen seie, nämlich, er habe ein Pferd, welches den Kopf hat, wo andere
Roß den Schweif, wer solches schauen will, der muß einen Groschen geben. Die Leute,
so mehrerteils dem Vorwitz ergeben, sind in großer Menge zugeloffen. Nachdem nun alle
bezahlet, da hat er den Stall eröffnet. Ein jeder wollte fast der erste darin sein,
es wurden aber alle diesfalls ziemlich betrogen, maßen er das Pferd im Stall umgekehret
und mit dem Schweif am Roßbahrn oder Krippen gebunden. "Da schauet," sagt er,
"andere Pferde haben den Kopf an diesem Ort, mein Roß aber den Schweif", welches
dann nicht ohne Gelächter abgeloffen.

Die Leute und gewinnsichtige Menschen erdenken allerlei Ränke und Betrug, wie sie nur
mögen Geld bekommen, sie erwägen dessenthalben nicht weder Gottes Gebot noch der
Menschen. Das Geld sollte eigentlich genennet werden Vestra Dominatio, Eure
Herrlichkeit, maßen es über die mehreste Menschen herrschet.


Der Traum des Ochsen

Als ein Ochsenknecht einmal frühmorgens in den Stall kommt, bemerkt er, daß die
Ochsen vor lauter Freude herumgehüpft und –gesprungen sein müssen, worüber er sich
sehr verwundert und schließlich nach der Ursache erkundigt, warum sie so lustig und
wohlauf gewesen seien. Hierauf haben die Ochsen zur Antwort gegeben: "Mein lieber
Michael, es hat uns heute nacht geträumt, daß wir auf eine grüne Weide getrieben
werden." – "Ei," sagte der Knecht, "und mir hat geträumt, ihr werdet heute auf dem
Acker den Pflug ziehen."

Nun ist der Menschen Traum weit sicherer und wahrhafter als der Viehtraum. Ist also
der Ochsen ihr Traum in den Brunnen gefallen.

Die Narrenkappe

Ein geschickter Maler erhielt einst den Auftrag, das Porträt eines reichen Kaufmanns zu
malen, welcher seines Geldes wegen sehr stolz und aufgeblasen, und doch geizig war.
Man kam überein über den Preis, und der Künstler lieferte ein Meisterstück.
Das Gemälde war so ähnlich, daß jeder es mit dem ersten Blick erkannte, und ihm nur
die Sprache zu fehlen schien, um zu leben. Der Kaufmann hatte eine große Freude,
als er aber zahlen sollte, suchte er dem Künstler eine große Summe abzuziehen.
Dieser wollte sich den Abzug nicht gefallen lassen, und da sie nicht einig werden
konnten, behielt er das Bild, versah es mit einer Narrenkappe, und hängte es in seiner
Wohnung zur Schau aus. Das Zuströmen der Neugierigen war groß, und da jeder
sogleich das Bild erkannte, so war des Witzelns und Spottens kein Ende. Der Kaufmann
erfuhr es, und bezahlte nun gern alles, was der Maler forderte, allein mit allem Gelde
konnte er die Schande nicht wieder abwaschen.


Die Schwalbe und die andern Vögel

Die Schwalm hat sich vor diesem und ehedem gleich andern Vögeln in Wäldern und
Feldern aufgehalten. Als sie aber wahrgenommen, daß ein Bauer auf einem großen und
breiten Acker den Hanfsamen ausgeworfen, da hat sie sich unverzüglich zu den
gesamten Vögeln begeben und ihnen treuherzig geraten, sie sollten allen möglichsten
Fleiß anwenden, wie sie doch möchten den Samen als eine ihnen höchst schädliche Sach
hinwegbringen; es koste nit mehr Müh, als daß ein jeder Vogel ein oder zwei Körnle mit
dem Schnabel hinwegtrüge. Die Vögel lachten die Schwalm aus als ein Einfalt und
Dummrian; ja, etliche hielten sie gar für eine unnützige Schwätzerin, die den ganzen
Tag hindurch mit Plaudern zubringe und folglich nit wenig Lugen einmische, maßen noch
bei den Leuten ein teutsches Sprüchwort: wenn man einen gar höflich Lügen straft, d. h.
der Lüge zeiht, so sagt man: er schwälmelt.

Die gute Schwalm mußte solche Unbild ertragen; denn ich sahe wohl, daß unter den
Vögeln große Flegel seien. Sie konnt's aber aus Gutherzigkeit nit lassen, daß sie nit
nach etlichen Tagen ihren Ratschlag wiederholte; ja, sie hat's ihnen wohlmeinend zu
verstehen gegeben, daß der Hanf wirklich grad eben aufwachse und folgsam noch Zeit
war, solchen mit geringer Müh auszuraufen. Weil aber die guten Vögel hierüber fliegende
Gedanken gemacht und die Sach weder reiflicher entörtert noch weniger zu einem
Schluß gebracht, also hat sich die vorsichtige Schwalm, um fernerem Übel zu entgehn,
gänzlich entschlossen, dero Gesellschaft hinfüran zu meiden, und sodann ihr Nest nit
mehr in Hecken und Gesträuß gemacht, sondern sich sehr weislich in die Häuser
salviert, wie man's noch derzeit wahrnimmt.

Unterdessen ist der Hanf fast mannshoch aufgewachsen, auch zur völligen Zeitigung
kommen, daß er also nach ausgestandner Dürre (Dörrung) und Breche in der alten
Weiber Hand geraten und, nit ohne öfters Hecheln und Lecken, zu einem Faden
promoviert worden, woraus endlich ein großes, langes, breites Garn gestrickt worden,
womit nachmals viel tausend Vögel auf unterschiedliche Manier gefangen werden.
In solchem äußersten Elend haben die übrigen Vögel ihre Zuflucht gesucht bei der
Schwalm und selbige demütigst beratschlagt und befragt, wie doch ferneren Gefahren
und Nachstellungen vorzubiegen sei, worauf die Schwalm geantwortet, daß es nunmehr
viel zu spat, und hätte man, nach ihrer Einratung, sollen gleich den Samen aus dem Weg räumen.

Hast's gehört, Mensch? Alle bösen, verruchten und leichtfertigen Gedanken, so dir
immerzu einfallen, sind nichts anders als ein Samen, die der leidige Satan in den Grund
deines Herzens beginnt einzuwerfen; aber gib um Gottes willen acht, gib acht, daß,
sofern nur einziges Körnl dareinfällt, du solches ohne einige Verweilung wiederum
ausrottest; sonst wächst es in einem Vaterunser lang so stark aus, daß es dich
nachmals ums ewige Vaterland bringt . . . O freche Jugend, du bildest dir ein, daß du
allen Mutwillen in größter Freiheit treiben könnest, weder Gott noch Menschen fürchten,
weder Regeln noch Gesetz halten, und sparst etwa deine Bessrung ins Alter; aber wisse,
daß Gott auch die Jungen in blühenden Jahren oft unvermerkt hinwegzucke!


Adler und Schildkröte

Stolzier nur, mein elender Tropf (von Mensch): du bist ein Garten, aber voller Disteln;
du bist ein Buch, aber voller Eselohren; du bist ein Wein, aber voller Gleger und
Bodensatz; du bist ein Apfel, aber voller Wurmstich; du bist ein Acker, aber voller
Unkraut . . . Stolzier nur; aber sei versichert, daß Gott auch auf der Welt schon solche
Feder- und Prahlhansen nit ungeropft lasse.

"Das hab ich erfahren", sagt eine Schildkrott: diese hat auf eine Zeit der Vorwitz
gestochen, daß sie doch gern möchte die Welt sehen; sie habe soviel gehört vom Papst
zu Rom, vom Kaiser zu Wien, vom Sultan zu Konstantinopel, vom Zar zu Moskau, vom
Mogol in Indien, vom Cham in der Tartarei, vom Kaiser in China und von andern großen
Häuptern; also möchte sie gern dero Länder, Reich und Residenzen sehn. Sie sagt anbei,
daß ihr solcher Vorwitz nit sei übel auszulegen; denn sie komme ja nirgends hin und
müsse eine ganze Zeit zu Haus hocken, bittet demnach den Adler, diesen so
majestätischen Sonnenvogel, er möcht sie in die Höh hinauftragen, damit ihr alle
besagten Länder und Örter unter die Augen kämen. "Fiat! Sei's drum!" sagt der Adler,
und wenn sie auch wolle zur Sonne hinauf, so woll er sie ganz sicher dahin liefern.
"Bedank mich dessen aber!" sagt die Schildkrott. "Ich kann die Hitz gar nit leiden;
sonst in die Höh über Berg und Tal wär mir eine sondre Gnad."
Worauf sie gleich der Adler in beiden Klauen gefaßt und sich samt ihr alsobald in die
Höh geschwungen. Er aber hätte schon längst gern ein solches Schnappbisserl gehabt;
aber niemalen hat er können Zweck und Ziel erreichen, weil selbe sich allemal unter
ihren Schild verborgen. Als er nun die Schildkrott in alle Höhen geführt und sie sich
gewunschen, daß sie auch möcht Federn und Flügel haben, um in der Höhe zu
schweben, da läßt er sie auf einen harten Felsen herunterfallen, wodurch ihr Schild
oder Haus völlig zerschmettert und sie folglich dem Adler zum Raub worden.


Bauer und Schiffsmann

Ein Bauer verwunderte sich über der Schiffleute Kühnheit, daß sie einem so schwachen
Holz Leib und Leben anvertrauen, indem sie so oft beides an den wilden Meerklippen
einbüßen; darum fragte auf eine Zeit dieser Bauer einen Schiffer, wo sein Vater sei
gestorben. Dieser antwortet: "Auf dem Meer." Der Bauer fragt ferners, wo denn sein
Groß- und Übergroßvater gestorben seien. Als der Schiffmann wiederum antwortete:
"Auf dem Meer," so sprach der Bauer: "Wie kannst du dann so närrisch sein, daß du
dich dem Meer vertrauest, das dir deinen Vater, Großvater und Übergroßvater
hinweggenommen?"
Der Schiffsmann fragte hinwieder den Bauern, wo denn sein Vater und Großvater
gestorben seien. Der Bauer antwortete: "Auf dem Bett." Da sagte der Schiffsmann:
"Warum bist du dann ein so großer Narr, daß du alle Nacht in dasselbe Bett gehst,
worauf deine Voreltern gestorben? Darum siehst du, Bauer, daß es nichts schadet,
man sterbe, wo man woll, wenn man nur selig stirbt!"

Viel, die durch des Henkers Hand sterben wegen begangner Missetaten, sterben
glückseliger als einige, die im Bett unter den umstehnden Verwandten ihren Geist aufgeben.


Bauer, Fuchs und Jäger

O, wie mancher Bruder zeigt sich wie jener Bauer gegen den Fuchs, der, vom Jäger mit
Hunden gehetzt, zu allem Glück sich in eine Bauernscheuer salviert, auch den Bauern
aufs schönst gebeten hat, er möge seinen armen Fuchsbalg schützen, und zwar mit dem
hohen Versprechen und Schwören gebeten: es solle hinfüro weder von ihm selber noch
seiner ganzen fuchsischen Casada und Sippe seinen Hühnern ein Leid geschehen.

Der Bauer ließ sich überreden und versteckt ihn unter das Stroh. Bald hernach kam der
Jäger und fragt den Bauern, ob er nit hab gesehen einen Fuchsen vorbeistreichen.
Der Bauer antwortet: "Da und da hab ich ihn gesehen hinauslaufen", winkte aber
indessen mit den Augen, daß er hier unterm Stroh verborgen liege, was zwar der
Fuchs, so unterm Stroh in größten Ängsten hervorsah, wohl, der Jäger aber nit
vermerkte, so nur auf die Wort und Wegweisung des Bauren achthatte.

Als nun der Jäger hinweggegangen, deckte der Bauer den Fuchsen auf und ließ ihn
laufen, sprechend: "Mein lieber Fuchs, du kannst mir und sollst mir dein Lebentag
dankbar sein, auch deiner Zahlung nachkommen; denn durch meine Wort hab ich dich
beim Leben erhalten."
"Ja", sagt der Fuchs hinwieder, "dein Mund war zwar gut; aber dein Augenwinken dank
dir der Teufel!"

Das ist die Art vieler falschen Brüder, die sich mehrmalen ganz redlich und gut zeigen
mit dem Maul, unterdessen in der Still einen verfolgen und nach dem Seinigen trachten.
Dergleichen Exempel ist die halbe Welt voll.


Bäume und Hopfenstange

Es sind auf eine Zeit die Bäumer in einer gewissen Gesellschaft zusammengekommen,
wobei ein jeder seine guten und herrlichen Qualitäten hervorgestrichen. "Ich", sagte
der Ölbaum, "trag eine so stattliche Frucht, daß ich die ganze Welt mit Schmieralien
besteche, und ist niemand, der mir deswegen nit mit schmutzigem, d. h. fettem, Maul
danken tut." – "Ich", sagte der Feigenbaum, "bin so keck, daß ich auch großen
Fürsten und Herren die Feigen zeig und so ein Schnippchen schlag, und werd ich allemal
perfekt und Präfekt unter dem Konfekt sein." – "Ich", sagte der Nußbaum, "trag eine
so gute Frucht, daß man mir allerseits mit Prügeln nachstellt; auch bewahrt keiner
seinen Kern so gut wie ich." – "Was?" sagt der Apfelbaum; "mir laß ich an meiner
Prärogativ und Vorrang nichts nehmen; denn ich und kein andrer ist's gewest, der dem
ersten Menschen so gefallen."

Wie sie nun so miteinander disputierten, fast um das Majorat wie die Apostel (Matth.
Kap. 20, 24 ff.), da nehmen sie wahr, daß auch die Hopfenstang sich unter ihnen
befind. "Pfui, Teixl!" sagten die Bäumer;" daß sich dieser Lumpenhund in unsre
Gesellschaft mischt! Schau, schau, daß nit die Hopfenstang auch unter die ehrlichen
Bäumer gehöre! Fort mit ihr zum Feuer!" – "Gemach, gemach", sagt die
Hopfenstangen; es ist zwar wahr, und kann's nit leugnen: eine bloße und kahle,
eine arme, nackende Tröpfin bin ich; ich gesteh's: keine Frucht trag ich nit wie ihr – es
ist nur zu wahr; aber das tue ich: meinem Nächsten hilf ich! Der Hopf, der arme Tropf,
mitsamt seinem bitteren Schopf müßte zugrund gehen, wenn ich nit wär. Also hilf ich
ihm als meinem Nächsten!" – Worauf ist erkannt worden, daß auch dieser unter die
Zahl und Gesellschaft der ehrlichen Bäumer könne gezählt werden.

Wahr ist's, daß mancher vor unserm Herrn inmitten der fruchtbaren Bäumer:
der großen, meritierten und verdienten Heiligen stehen wird am Jüngsten Tag und
bekennen: "Ja, mit solcher Frucht kann ich nit prangen wie diese: so rein und unbefleckt
nit wie Antonius von Padua, so eifrig im Gebet nit wie Franciscus Seraphicus,
wenig dergleichen, ja, schier gar nichts; aber das bisweilen hab ich, wie die
Hopfenstang, gehabt: hab zuweilen meinem Nächsten Hülf geleistet und ihm
aufgeholfen, bin den kranken Leuten mit Rat und Tat an die Hand gangen, hab ein
armes Kind und Waiserl auferzogen und in Summa: dem Nächsten etwas Gutes getan."
Ei, so wird Gott auch sagen: "Der hat das ganze Gesatz erfüllt; denn er hat seinen
Nächsten geliebt wie sich selbst."


Eichbaum und Haselnuß

Ein Eichbaum ist vom Wind sehr übel zugerichtet worden, also zwar, daß ihm viel Äst
abgebrochen sind und er an Blättern meistens entblößt wurde, so daß er nit anderst
hergesehen, als wär er zu Höchstädt in der Schlacht gewesen, wessenthalben er sich
gegen den Wind sehr beklagt, denselben einen aufgeblasnen Kerl genennt, ja gleichsam
einen Straßenräuber gescholten, sogar für einen ungerechten Gesellen ausgeschrien:
in Erwägung, daß neben seiner Seite eine Haselnußstaude stehe, die vom Wind gar
nichts leide. "Du Krott," sagt der Eichbaum zur Staude, "du bist gegen mich ein
schlechter Mistfink! Du bist zu nichts anderm zu gebrauchen, außer daß du den kleinen
Knaben einen hölzernen Klepper abgibst oder einem rotzigen Eseltreiber als Spießrute
dienst." – "Ho", sagt der Wind zum Eichbaum, "du bist mir wohl ein knoperter und
grober Lümmel! Du mußt wissen, daß derentwegen die Staude von mir unverletzt
bleibt, weil sie mir und meinem Zorn weicht und nachgibt; du aber tust dich meiner
Gewalt halsstarrig widersetzen."

Von solcher Staude können viel Leut, förderst aber die Weiber, eine gute Lehr schöpfen,
insonderheit diejenigen, die mit einem groben und zornsüchtigen Mann verheiratet.
Responsio mollis frangit iram (Eine sanfte Antwort bricht den Zorn. Sprüche Salomons 15, 1)


Ein Bauer wirft einen Pfleger in den Bach

Ein Verwalter oder Pfleger, der seines Edelmannes Bauren tapfer schinden helfen und
nach Wohlgefallen dieselbe gekämplet, kam endlich auch in Ungnaden, also, daß er
seines Dienstes entlassen worden.
Wie er sich nun auf den Weg gemachet, um andere Dienst umzuschauen, kam er in ein
Dorf, so seinem gewesenen Herren zugehörig. Daselbst war ein Bach, daß er zu Fuß
nicht wohl durch konnte, bate demnach einen Bauren, er möchte ihn doch
hindurchtragen, er wolle ihm anderwärts wiederum einen Dienst erweisen.
Der Bauer war hierzu gar ehrerbietig. Wie er aber mitten in den Bach gekommen und
den Pfleger auf dem Rücken getragen, so fragte er denselben, wo er denn hin wolle.
Der Pfleger gab zur Antwort: "Ich muß sehen, daß ich andere Dienst bekomme."
Der Bauer sagt: "Wie, seid Ihr nicht mehr bei unseren Edelmann und Herrschaft?"
Der Pfleger sagte: "Nein." Darauf sagte der Bauer: "So trag Dich der Teufel", und warf
ihn damit in Bach und lief davon.

Diejenigen, die so allzuhart mit dem armen Bauersmann verfahren, verdienen nicht
allein dergleichen Dinge, sondern haben andere Strafe von Gott zu erwarten.


Eine Fabel

Ein Bauer ging durch einen Wald, und hörte plötzlich ein großes Wimmern, Er ging
darauf zu, und fand, daß eine große Schlange in einem engen Felsenloche eingesperrt
war, indem ein vorgewälzter Stein die Öffnung schloß. Sie bat flehentlich, sie zu retten,
und versprach den Bauer zu lohnen, wie die größten Wohltaten unter den Menschen
belohnt werden. Der Bauer ließ sich erbitten, allein kaum sah sich die Schlange in
Freiheit, als sie ihren Befreier erwürgen wollte, indem sie versicherte, daß das der
Weltdank sei, welchen sie ihm versprochen hatte.

Nun flehte der Bauer seinerseits, und man kam endlich überein, einen Schiedsrichter zu
nehmen. Sie gingen, und trafen bald einen abgemergelten Schimmel auf einer dürren
Weide. Sie fragten ihn, warum er sich mit so elender Kost behelfe, und nicht lieber zu
Hause, und in Ruhe, seinen Haber verzehre? "Ach," seufzte der Schimmel, "für mich
gibt es keinen Haber mehr. Ich habe 30 Jahre einem Edelmann gedient, und ihn im Kriege
zweimal dem Tode entrissen. Nun ich alt, und schwach bin, hat er mich verstoßen,
und zum Hungertode verdammt." Die Schlange wollte nun ohne weiters den Bauer verzehren;
allein dieser behauptete, ein Spruch reiche in solch einem Falle nicht hin, und die Schlange
ließ es sich gefallen.

Sie wanderten weiter, und sahen einen Hund, welcher einem Gerippe glich, und an einen
Zaun angebunden war. "Wie, Herr Phylax," rief der Bauer, "ihr seht ja erbärmlich aus.
Wie seid ihr in diesen Zustand geraten?" Der arme Hund erzählte winselnd, daß sein
Herr, welchem er auf der Jagd so manchen fetten Braten zugetrieben, und Haus und Hof
bewacht habe, ihn verstieß, weil er nun fast blind, gehörlos sei und keine Zähne mehr
habe. Er sei nun hier angebunden, und erwarte nun jeden Augenblick erschossen zu
werden". Länger wollte sich die Schlange nicht halten lassen, doch willigte sie endlich
ein, auch den dritten Richter noch anzuhören.

Auf ihrer Wanderung begegneten sie bald einem Fuchs, welchem sie die Sache
vortrugen. Dieser blickte schlau und schmunzelnd umher. Er zog den Bauer bei Seite,
und erkundigte sich, ob er einen gutbesetzten Hühnerstall habe. Dieser bejahte es,
und versprach dem Richter eine reiche Beute. Nun nahm der Fuchs eine wichtige Miene
an, und erklärte, das Urteil nicht eher fällen zu können, bis er an Ort und Stelle sich von
dem ganzen Vorfall genau überzeugt habe. Man begab sich zu der Felsenhöhle, und die
Schlange mußte auf Befehl des Richters in das Loch zurück kriechen, um, wie er sagte,
alles beobachten zu können. Es geschah, und der Bauer wälzte schnell den Stein wieder
vor die Öffnung. Als er sich in Sicherheit sah, ergoß er sich in Danksagungen,
und bestellten den Fuchs, am frühsten Morgen des nächsten Tages, den versprochnen
Lohn in Empfang zu nehmen. Er stellte sich ein, allein zu seinem größten Unglück.
Die Bäurin wollte nicht einwilligen, ihre Hühner preis zu geben, und schlug dem armen
Fuchs für die geleisteten Dienste, den Rückgrad entzwei. Sterbend jammerte dieser sein
unglückliches Schicksal, und beteurte, daß ihn der Tod weniger schmerze, als der
Undank, mit welchem man ihn lohnte.

Diese Fabel stellt das Bild so vieler undankbaren Menschen dar, welche ihren Wohltätern
Gutes mit Bösem vergelten. Groß ist die Sünde des Undanks der Menschen gegen
einander, allein noch viel unverzeihlicher ist die Undankbarkeit gegen Gott, welchem wir
so viel zu verdanken haben.


Eine schlagfertige Antwort

Ein Bote ging einmal mit seinem Spieß durch ein Dorf, allwo ihn ein bissiger Hund
angefallen. Der Bote aber wehrete sich tapfer mit dem Spieß, also zwar, daß der Hund
auf dem Platz liegengeblieben. Der Herr dieses Hundes wollte in alleweg ihn bezahlter
haben, schlug ihn auch in hohen Preis an wegen seiner bekannten Treu und
Wachsamkeit. Der Bote entschuldiget sich, es wäre aus keinem Vorsatz geschehen,
sondern er habe seinen Leib müssen schützen. Darüber kamen sie vor den Richter,
welcher zu dem Boten als Beklagten gesaget: "Du hättest fein den Spieß sollen
umwenden und nicht die Spitz vorhalten." – "Ja", sprach der Bot, "wann mir der Hund
den Schweif und nicht die Zähne gewiesen hätte."
Der Richter mußte hierüber lachen, und der Bot wurde ohne Entgelt ledig gesprochen.


Fuchs und Maultier

Ein Fuchs, nach höflichem Willkomm und freundlicher Ansprach, fragt einmal das
Maultier, was Geschlechts und Herkommens es sei. Dies antwortet, es sei ein Geschöpf
Gottes. "Wie seltsam ist das geredet!" sagt hinwieder der Fuchs. "Ich frag nur, wer seine
Eltern gewest." Das Maultier schämte sich, daß sein Vater schinderischer Gedächtnis
ein Esel gewest, wußte aber beinebens, daß seine Mutter ein Pferd sei aus dem
Hofstall, sagte also: "Ich bin ein nächster Blutsverwandter des Leibpferds Ihrer
Königlichen Majestät!"

Gar viel desgleichen sind anzutreffen, die sich Herkommens schämen, und prahlt
mancher, sein Vater sei ein Landmann gewest, der doch nur ein Fuhrmann war; sagt oft
einer, sein Vater sei ein Ratsherr gewest, da er unterdessen nur als ein Ratsherr das
Wagnerhandwerk betrieben. Ich hab selbst einen gekennt, der vorgegeben, sein Vater
sei ein Musikant gewest, indem er doch nur als Kalkant die Blasbälg getreten.


Fuchs und Maus

Ein zaundürrer Fuchs hat sich in eine wohl angefüllte Speiskammer hinein praktiziert.
Das hat eine Maus daselbst wahrgenommen und also nit wollen höflichkeitshalber ihn zu
grüßen unterlassen. "Willkomm!" sagt sie; "willkomm, mein hochgeehrter Pelzkramer!
Wie treffen wir allhier einander an! Erfreue mich seiner guten Gesundheit. Aber, wenn
ich darf fragen", sagt ferner die Maus als ein arger Mauskopf (= Schlaufuchs!); "bitt um
Vergebung, daß ich mich untersteh zu fragen! Wie ist er in dieses Speisgewölb
hereingekommen?" – "Herein bin kommen durch ein gar enges Loch vermittelst meiner
Magrigkeit." – "Aber in was für Geschäften just daherein? Hat er etwan eine
Kommission und Auftrag", sagt weiter die Maus, "vom ganzen Geflügelwerk und allen
Hennen insgemein?" – "O nein!" widersetzt der Fuchs; "ich hab mich einzig und allein
hereingedrungen, damit ich mir eine Weil gute Tag mög antun und wiederum am Leib
zunehmen." – "So!" sagt die Maus; "addio! Dein Balg ist hin!" Der Fuchs hat sich
dergestalten mit Speisen angefüllt, daß ihm der Bauch auseinander gangen wie eine
aufgeblasne Sackpfeifen.
Als nun der Koch im Speisgewölb den Hennendieb ertappte, wollte der unverzüglich
durchs vorige enge Loch den Ausfall nehmen, konnte aber der angeschoppten Wampen
wegen nit, mußte demnach elend und ganz frühzeitig um seinen Balg kommen.
In seiner Marter gedachte er noch an der Maus Prophezeiung, aber zu spat, erfuhr also
mit dem höchsten Schaden, daß er länger gelebt hätte, wenn er nit das Wohlleben gesucht.

Es ist wahr und bleibt wahr, daß das unmäßige Essen und Trinken die meisten
Menschen zu früh ins Grab befördre.


Fuchs und Rabe

O wieviel Schmeichlerzungen haben andre ins Verderben gebracht! Was dem Raben
begegnete, ist oft manchem Menschen und vornehmen Herrn widerfahren:

Der Rab hatte einst ein ziemlich gutes und großes Stuck Käs entfremdet und war damit
im Schnabel auf einen Baum geflogen. Als dies der arge Fuchs wahrgenommen, ist er
ganz hurtig dahin geloffen und hat den Raben angefangen zu loben.
"Ei, ei, ei!" sagt er, "das ist ein Vogel! Laß mir dies einen schönen Vogel sein! Hab
meiner Lebtag keinen dergleichen Vogel gesehn. Du bist gewiß der Paradiesvogel oder
der berühmte Phönix! Deine Mutter muß sich am Sammet versehen haben, wie sie auf
den Eiern gesessen, hast du doch ein Paar Augen! Die haben gleichsam den Glanz von
der Sonn zu Leihe genommen. Deine Klauen, diese so wunderlich erschaffnen Waffen,
verraten, daß du von einem martialischen Geblüt abstammst. Deinesgleichen wird wohl
nit unter dem adlichen Geschlecht der Vögel zu finden sein. O du schöne Kreatur, wie
recht ist's geschehen, daß man die berühmte Festung in Ungarn nach deinem Namen
Rab genannt hat! – Ein Ding, mein auserwählter Vogel, möcht ich doch gern wissen, weil
in allem die Natur gegen dich so freigebig gewest: was du nämlich für eine Stimm wirst
haben. Wenn ich dich, ansehnlicher Vogel, nur mal hörte singen, so wollt ich mich für
den glückseligsten Fuchsen erkennen. Ei, ei, das ist ein Vogel!"
Der Rab glaubt dem Schmeichler in allem, übernimmt sich des großen Lobs, sperrt den
Schnabel in alle Weit auf, um zu singen. Unterdessen fallt ihm das große Stuck Käs aus
dem Schnabel. Der Fuchs schnappt und tappt darauf und lauft mit dieser Kollation und
Imbiß davon. – Oh, wie oft geschicht, was da ist gedicht'!


Greisin und Tod

Es ist eine Fabel, aber einer Wahrheit ganz gleich, daß ein armes altes Mutterl einmal in
den Wald gegangen, um daselbst Holz zu klauben und zu ihrer Notdurft mit sich nach
Haus zu tragen. Wie nun die arme Haut eine ziemliche Bürde zusammengebunden hatte,
diese aber aus Schwachheit nit konnte auf den Kopf heben, da hat sie angefangen,
inniglich zu seufzen und zu weinen. "Ach", sagte sie, "ich elende Tröpfin! Ich denk noch
wohl, daß mir kein Stiegerl zu hoch gewest, kein Tanz zu lang gewährt hat, keine Arbeit
zu stark und hart gewest ist. Jetzt bin ich schon alt und gar nichts nutz mehr. O, mein
Gott, nimm mich lieber zu dir! Der alte Kram (wie ich einer bin) hat doch keinen Kauf
mehr auf der Welt. O, wär ich halt tot! Oh, wär ich doch tot!"
Über diesem kommt und erscheint der Tod persönlich mit seiner Sensen und sagt:
"Alte, da bin ich, gleichwie du dir gewünscht und begehrt! Also stell ich mich hier
gegenwärtig." – "Ja, ja", geraunzt die alt Husterin; "ich gesteh's und kann's nit leugnen:
ich hab' dir gerufen, aber nur darum, daß du mir helfest, die Trag(last) auf den Kopf zu
heben. Alsdann kannst du wieder hingehn, wo du bist hergekommen."

Freilich ist dies ein äsopisches Märl und Gedicht; allein es will doch nit unförmlich
andeuten, daß die Menschen so ungern sterben und sogar die alten und vielerlebten
Leut sich vorm Tod scheuen; aber warum dies? O forchtsame und hasenherzige
Adamskinder, ihr betet ja alle Tag im Vaterunser: "Zukomm uns dein Reich!"