Der blinde und der lahme Bettler
Fürwahr, jene zwei Bettler haben sehr verständig gehandelt,
deren einer an beiden
Füßen krumm und lahm, der andre an beiden Augen stockblind,
indem sie
beratschlagten, wie sie doch möchten in einen gewissen Ort
kommen. "Ich," sagt der
Blinde, "hab sehr gute Füße und kann stattlich gehen. Es mangelt
mir aber das Gesicht,
und weil du ein gutes Gesicht hast, entgegen lahme und krumme
Füß, also will ich dich
auf meinen Achseln tragen. Du mußt mir aber den Weg zeigen, der
ich stockblind bin."
Sind also diese zween arme Bettler nach allem Wunsch ans
bestimmten Ort gelangt.
Es scheint demnach nichts Schöners, als wenn einer dem andern
Hülf leistet.
Der Feinschmecker und die Holzbirnen
Ein gewisser Bacchus- und Bauchus-Bruder strebte dergestalt nach
guten Bisserln,
daß er seine Wampen mehr verehrt als die Philistäer den Abgott
Dagon. Wie nun dieser
Gesell einst aufs Land hinaus zu einem Freund eingeladen worden,
da hat er den Abend
zuvor sich des Nachtessens enthalten, der Hoffnung, daß ihm den
Tag nachher das
Essen besser werde schmecken, weil er vorausgesehen, daß sein
Freund kein Esel
werde sein und ihm Ochsenfüß aufsetzen, sondern weit beßre
Speisen; denn
Rebhühnderl waren ihm Lebhühnderl. Als er nun unterwegs in einen
Wald geraten, wo er
von ungefähr sehr viele vom Wind abgeschlagne Holzbirnen unterm
Baum gefunden,
da hat er selbige mutwilligerweis und aus sondrer Verachtung gar
mit eignem Urin
besudelt. Bald aber darauf entstand ein großer Platzregen, von
welchem der Bach,
worüber er hätt sollen passieren, sich dergestalt ergossen, daß
er wirklich ohne
Todesgefahr darüber nit konnte kommen, mußt also nothalber den
Weg zurück
nehmen. Weil er aber von der Nacht überfallen worden, also hat
er seine
Nachtherberg genommen unterm Baum, dessen Frucht er zuvor mit
einem schlechten
Himmeltau benetzt hat. Weil aber in selbiger Gegend weder Dorf
noch Haus war und
folglich auch keine Nahrungsmittel, anbei aber ihn der Hunger
mächtig gedruckt, also
hat er fleißig die Holzbirn, die er zuvor mit eignem Wasser
bebeizt, von der Erden
aufgeklaubt, und es hat ihm solches vorhin verachtete Konfekt
über alle Maßen
geschmeckt.
Aus diesem folgt, daß der Hunger zuweilen sehr gut sei und einem
manchen ganz
schlechte Speisen als die besten Schleckerbisserl vorkommen. –
Wenn ein Hungriger ein
Habermus, ein Steiermärker einen Sterz, ein Westphälinger einen
Pumpernickel, ein
Bayer einen Topf Nudeln vor seiner Hand hat, so schmeckt ihm
dies weit besser als
einem Edelmann eine Fasanpasteten, die ihm auf die Tafel
getragen wird. – Kein Gewürz
tut die Speisen so Wohlgeschmack zurichten wie der Hunger:
dieser ist der allerbeste
Koch. Wann einige vornehme Herrn müßten durch die Arbeit ihr
Brot gewinnen, so würden
sie gleich andern, gemeinen und gewöhnlichen Leuten
mit größerm Appetit
zur Tafel sitzen.
Der Froschvater
und seine Jungen
Bekannt ist jene Fabel von den jungen Fröschen, die einmal bei
warmer Sommerszeit
nächst einer Lacken über alle Maßen gequackzet und geschrieen,
also zwar, daß ein alter
Frosch selbst über diese abgeschmackte Musik urdrüssig geworden
und die Jungen nit
wenig ausgefilzt und verschimpft hat. "Schämt euch, ihr
grünhosende Fratzen!" sagt er;
"ihr wilden Lackendrescher, ihr hupfenden Spitzbuben! Schämt's
euch, daß ihr so ein
verdrießliches Geschrei verführt! Wenn ihr doch wollt lustig
sein und frohlocken, so singt
aufs wenigst wie die Nachtigall, die auf diesem nächsten Baum
sitzt, ihr großmaulenden
Narren, könnt's denn nichts andres als nur das Qua, qua, qua?" –
"Vatter", antworteten
die Fröscherl, "das haben wir von dir gelernt!"
Ein mancher Sohn schilt und flucht, daß der Himmel möcht
krachen, er segelt mit
ganzen Galeeren voller Sapprament, er schickt ein
Ladungsschreiben ums ander dem
Teufel zu: er soll ihn holen; Donner! und Hagel! steht eine
ganze Zeit in seinem
Kalender. – Aber: "Vatter," sagt ein solcher, "das hab ich von
dir gelernt." – Eine
manche Tochter bringt die meiste Zeit beim Spiegel zu: ihr
öftester Vorstand ist bei
diesem gläsernen Richter; ihre rotzige Hoffart macht, daß die
Haar müssen zu
Schnecken (!) werden; und ist's, daß die Natur etwa gesparsam
gewest an der Gestalt,
so muß der Anstrich und Schminke in die Robot und Fronarbeit
gezogen werden.
Nach vollendeter Gesichtsmustrung begibt sie sich unters Fenster
und will, daß alle Leut
sollen zu Israelitern werden und dieses goldne Kalb (sie möcht
wohl gar gern eine Kuh
sein!) anbeten. – Aber: "Mutter," sagt diese, "das hab ich von
dir gelernt!"
Und ich sag dazu: "Wehe, weh, solchen Eltern!"
Der junge und der alte
Fuchs
Der junge Fuchs hat etlichmal wahrgenommen, wie die Vögel in der
Höhe hin und her
fliegen, so geschwind wie der Wind, sagt demnach zum alten
Fuchsen: "Vatter, ich will
fliegen!" – "Du junger Phantast!" setzt hinwieder der Alte; "was
sticht dich für ein
Vorwitz?" – "Vatter, ich will fliegen," wiederholt der kleine
Narr. "Du unbesunnenes
Fletschmaul!" sagt mehrmals der Alt, "hast du doch kaum soviel
Haar am Schweif, daß
du ein ABC-Taferl könntest abstauben, und willst dennoch
fliegen! Wo die Flügel
nehmen?" – "Vatter, ich will fliegen! Um die Flügel laß du dir
kein graues Haar
wachsen, zwar bist du ohnedas schon weiß!" Ist also der junge
Kehrwisch da und macht
sich ein Paar Flügel von den Hennenfedern, deren eine Meng
daselbst gelegen; steigt auf
einen hohen Turn und springt zum Fenster hinaus, fliegt aber gar
nit glückselig; denn
gleich dazumal hat ein Hechelmacher unterhalb seine Sachen feil
gehabt. Auf dessen
spitzfindige War ist der Flieger mit solcher Gewalt gefallen,
daß ihm allerseits das
häufige Blut heruntergeronnen, worauf der alte Fuchs alsobald
gefragt: "Bürschl, wie
kommt dich das Fliegen an?" – "Das Fliegen hat mich schon sanft
gedünkt; aber das
Niedersitzen hat der Teufel gesehn!" – "Geschieht dir recht,
warum willst du den Alten
nit folgen! Warum verachtest du den Rat der Alten, die weit
verständiger sind als die
Jungen?"
Der Knabe am Ziehbrunnen
Ein Knab ist vor einem Brunnen gesessen und hat bitterlich
geweint. Ein Geiziger geht
vorüber: "Was weinst?" – "Ich, Herr, ich hab einen guldnen
Becher lassen in Bronn
hinunter fallen; ich trau mir nit nach Haus." Der Goldbegierige
zieht sich geschwind
ganz nackt aus, steigt hinunter. Wie er so hinuntersteigt, nimmt
der Bub die Kleider und
marschiert davon, laßt den Narren stehen; denn er ist umsonst
hinuntergestiegen, da
dem Buben nix hinuntergefallen.
Also wird's gehn den Geizigen. Es geschieht ihnen als wie den
Egeln: diese schwarzen
Immen, die saugen Blut und Blut, daß sie gestrotzt voll werden;
wann's gnug gesoffen
haben, so streicht man's ihnen wieder aus. Die anbrennten
Geldnarren, die füllen sich an
mit Geld, mit Geld, mit Gut, mit Batzen; wann's gnug haben, so
kehrt's und streckt's der
Tod aus, nimmt alles wieder von ihnen.
Der Lügenbach
Ein Herr reiste mit seinem Diener über Land; der Diener aber
unterwegs ließ sich hören,
was er für Wunderding in fremden Ländern hab gesehn, worunter
aber die mehrsten mit
dem großen Messer bezeichnet waren: mit dem Aufschneidmesser!
Gäh lauft ein Fuchs
übern Weg; darauf sagte der Herr: "Das war ein großer Fuchs." –
"O Herr,"
setzt hinwieder der Diener, "ich hab Fuchsen gesehn, so groß wie
ein Ochs!" – "Holla!"
gedachte der Herr; "das ist eine gewichtige Lug!"
Des andern Tags betete der Herr überlaut auf seinem Pferd: Gott
woll ihn doch
denselben Tag vor einer Lug hüten! Dieses Gebet kam dem Diener
sehr fremd und
seltsam vor, fragte demnach seinen Herrn die Ursach, worauf der
Herr mit Seufzen
geantwortet: "Wir müssen heut über einen Fluß reiten, worin alle
ersaufen, die da mit
einer Lug behaftet sind." Nach diesem kamen sie zu einem Wasser,
allwo der Diener aus
nagendem Gewissenswurm gefragt, ob dieses solche Eigenschaft
hab; denn er besinne
sich, daß er wegen des Fuchsen hab zuviel geredet: er sei nit
größer gewesen als eine
mittlere Kuh. "Dieses Wasser ist's nit."
Bald darauf gelangten sie zu einem andern Wasser; der Diener
erforscht wiederum, ob's
denn dieses sei; denn er hab einen Skrupel und Gewissensbiss
wegen des Fuchsen,
indem derselb nit größer gewest als ein Kalb. "Noch nit," sagt
der Herr; "aber unweit ist
der Fluß entlegen." Wie sie nun zum Gestad kommen, da zitterte
hinter ihm der Diener
am ganzen Leib, daß er fast vom Pferd heruntergefallen, und
wollt auf keine Weis
seinem Herrn nachreiten mit dem Vorwand, er hab allzu vermessen
vom Fuchsen geredet,
indem derselbige nit größer gewesen als die Füchs in
diesem Land, worauf der Herr gesagt:
"Weil der Fuchs ist gewest wie andre, so ist auch
das Wasser dieses
Flusses wie ein andres."
Der Pfau
Ein Pfau hat die Göttin Juno ganz inständig gefragt, sie möchte
doch seine untertänigste
Bitte erhören. Wie sie nun fragt, was dann sein Begehren sei,
und was er so stark
verlange? Um das bitte ich sagt der Pfau, daß ich neben meinen
schönen Spiegelfedern
auch könnte einen schönen Gesang, gleichwie der Nachtigall
haben, damit ich sowohl mit Gang und Gesang könnte den Leuten
gefallen.
Die Göttin Juno machte hierüber gar kein freundliches Gesicht
und gab ihm zu verstehen, sein unverschämtes Begehren, ja der
Pfau solle mit dem Pracht und Glanz seiner Federn zufrieden sein
und nicht gar zu viel begehren denn ihr Brauch sei nicht, daß
sie einem alles pflege zu geben sondern einem dies dem andern
etwas anders.
Dieses ist zwar ein Gedicht, unterdessen aber ist es eine
allbekannte Wahrheit, daß der
vorsichtigste Gott durch seine grundlose Weisheit alles
dergestalten eingerichtet, daß er
keinem Menschen alle Gaben mitgeteilt, sondern einem dieses
spendieret, dem andern
was anders.
Der Roßschweif an der
Krippe
Ein Landfahrer und Leutebetrüger ist einmal auf Landshut, so
eine Stadt in Bayern,
ankommen und hat daselbst austrommlen und ausrufen lassen, daß
bei ihm eine
Wundersach zu sehen seie, nämlich, er habe ein Pferd, welches
den Kopf hat, wo andere
Roß den Schweif, wer solches schauen will, der muß einen
Groschen geben. Die Leute,
so mehrerteils dem Vorwitz ergeben, sind in großer Menge
zugeloffen. Nachdem nun alle
bezahlet, da hat er den Stall eröffnet. Ein jeder wollte fast
der erste darin sein,
es wurden aber alle diesfalls ziemlich betrogen, maßen er das
Pferd im Stall umgekehret
und mit dem Schweif am Roßbahrn oder Krippen gebunden. "Da
schauet," sagt er,
"andere Pferde haben den Kopf an diesem Ort, mein Roß aber den
Schweif", welches
dann nicht ohne Gelächter abgeloffen.
Die Leute und gewinnsichtige Menschen erdenken allerlei Ränke
und Betrug, wie sie nur
mögen Geld bekommen, sie erwägen dessenthalben nicht weder
Gottes Gebot noch der
Menschen. Das Geld sollte eigentlich genennet werden Vestra
Dominatio, Eure
Herrlichkeit, maßen es über die mehreste Menschen herrschet.
Der Traum des Ochsen
Als ein Ochsenknecht einmal frühmorgens in den Stall kommt,
bemerkt er, daß die
Ochsen vor lauter Freude herumgehüpft und –gesprungen sein
müssen, worüber er sich
sehr verwundert und schließlich nach der Ursache erkundigt,
warum sie so lustig und
wohlauf gewesen seien. Hierauf haben die Ochsen zur Antwort
gegeben: "Mein lieber
Michael, es hat uns heute nacht geträumt, daß wir auf eine grüne
Weide getrieben
werden." – "Ei," sagte der Knecht, "und mir hat geträumt, ihr
werdet heute auf dem
Acker den Pflug ziehen."
Nun ist der Menschen Traum weit sicherer und wahrhafter als der
Viehtraum. Ist also
der Ochsen ihr Traum in den Brunnen gefallen.
Die Narrenkappe
Ein geschickter Maler erhielt einst den Auftrag, das Porträt
eines reichen Kaufmanns zu
malen, welcher seines Geldes wegen sehr stolz und aufgeblasen,
und doch geizig war.
Man kam überein über den Preis, und der Künstler lieferte ein
Meisterstück.
Das Gemälde war so ähnlich, daß jeder es mit dem ersten Blick
erkannte, und ihm nur
die Sprache zu fehlen schien, um zu leben. Der Kaufmann hatte
eine große Freude,
als er aber zahlen sollte, suchte er dem Künstler eine große
Summe abzuziehen.
Dieser wollte sich den Abzug nicht gefallen lassen, und da sie
nicht einig werden
konnten, behielt er das Bild, versah es mit einer Narrenkappe,
und hängte es in seiner
Wohnung zur Schau aus. Das Zuströmen der Neugierigen war groß,
und da jeder
sogleich das Bild erkannte, so war des Witzelns und Spottens
kein Ende. Der Kaufmann
erfuhr es, und bezahlte nun gern alles, was der Maler forderte,
allein mit allem Gelde
konnte er die Schande nicht wieder abwaschen.
Die Schwalbe und
die andern Vögel
Die Schwalm hat sich vor diesem und ehedem gleich andern Vögeln
in Wäldern und
Feldern aufgehalten. Als sie aber wahrgenommen, daß ein Bauer
auf einem großen und
breiten Acker den Hanfsamen ausgeworfen, da hat sie sich
unverzüglich zu den
gesamten Vögeln begeben und ihnen treuherzig geraten, sie
sollten allen möglichsten
Fleiß anwenden, wie sie doch möchten den Samen als eine ihnen
höchst schädliche Sach
hinwegbringen; es koste nit mehr Müh, als daß ein jeder Vogel
ein oder zwei Körnle mit
dem Schnabel hinwegtrüge. Die Vögel lachten die Schwalm aus als
ein Einfalt und
Dummrian; ja, etliche hielten sie gar für eine unnützige
Schwätzerin, die den ganzen
Tag hindurch mit Plaudern zubringe und folglich nit wenig Lugen
einmische, maßen noch
bei den Leuten ein teutsches Sprüchwort: wenn man einen gar
höflich Lügen straft, d. h.
der Lüge zeiht, so sagt man: er schwälmelt.
Die gute Schwalm mußte solche Unbild ertragen; denn ich sahe
wohl, daß unter den
Vögeln große Flegel seien. Sie konnt's aber aus Gutherzigkeit
nit lassen, daß sie nit
nach etlichen Tagen ihren Ratschlag wiederholte; ja, sie hat's
ihnen wohlmeinend zu
verstehen gegeben, daß der Hanf wirklich grad eben aufwachse und
folgsam noch Zeit
war, solchen mit geringer Müh auszuraufen. Weil aber die guten
Vögel hierüber fliegende
Gedanken gemacht und die Sach weder reiflicher entörtert noch
weniger zu einem
Schluß gebracht, also hat sich die vorsichtige Schwalm, um
fernerem Übel zu entgehn,
gänzlich entschlossen, dero Gesellschaft hinfüran zu meiden, und
sodann ihr Nest nit
mehr in Hecken und Gesträuß gemacht, sondern sich sehr weislich
in die Häuser
salviert, wie man's noch derzeit wahrnimmt.
Unterdessen ist der Hanf fast mannshoch aufgewachsen, auch zur
völligen Zeitigung
kommen, daß er also nach ausgestandner Dürre (Dörrung) und
Breche in der alten
Weiber Hand geraten und, nit ohne öfters Hecheln und Lecken, zu
einem Faden
promoviert worden, woraus endlich ein großes, langes, breites
Garn gestrickt worden,
womit nachmals viel tausend Vögel auf unterschiedliche Manier
gefangen werden.
In solchem äußersten Elend haben die übrigen Vögel ihre Zuflucht
gesucht bei der
Schwalm und selbige demütigst beratschlagt und befragt, wie doch
ferneren Gefahren
und Nachstellungen vorzubiegen sei, worauf die Schwalm
geantwortet, daß es nunmehr
viel zu spat, und hätte man, nach ihrer Einratung, sollen gleich
den Samen aus dem
Weg räumen.
Hast's gehört, Mensch? Alle bösen, verruchten und leichtfertigen
Gedanken, so dir
immerzu einfallen, sind nichts anders als ein Samen, die der
leidige Satan in den Grund
deines Herzens beginnt einzuwerfen; aber gib um Gottes willen
acht, gib acht, daß,
sofern nur einziges Körnl dareinfällt, du solches ohne einige
Verweilung wiederum
ausrottest; sonst wächst es in einem Vaterunser lang so stark
aus, daß es dich
nachmals ums ewige Vaterland bringt . . . O freche Jugend, du
bildest dir ein, daß du
allen Mutwillen in größter Freiheit treiben könnest, weder Gott
noch Menschen fürchten,
weder Regeln noch Gesetz halten, und sparst etwa deine Bessrung
ins Alter; aber wisse,
daß Gott auch die Jungen in blühenden Jahren oft unvermerkt
hinwegzucke!
Adler und Schildkröte
Stolzier nur, mein elender Tropf (von Mensch): du bist ein
Garten, aber voller Disteln;
du bist ein Buch, aber voller Eselohren; du bist ein Wein, aber
voller Gleger und
Bodensatz; du bist ein Apfel, aber voller Wurmstich; du bist ein
Acker, aber voller
Unkraut . . . Stolzier nur; aber sei versichert, daß Gott auch
auf der Welt schon solche
Feder- und Prahlhansen nit ungeropft lasse.
"Das hab ich erfahren", sagt eine Schildkrott: diese hat auf
eine Zeit der Vorwitz
gestochen, daß sie doch gern möchte die Welt sehen; sie habe
soviel gehört vom Papst
zu Rom, vom Kaiser zu Wien, vom Sultan zu Konstantinopel, vom
Zar zu Moskau, vom
Mogol in Indien, vom Cham in der Tartarei, vom Kaiser in China
und von andern großen
Häuptern; also möchte sie gern dero Länder, Reich und Residenzen
sehn. Sie sagt anbei,
daß ihr solcher Vorwitz nit sei übel auszulegen; denn sie komme
ja nirgends hin und
müsse eine ganze Zeit zu Haus hocken, bittet demnach den Adler,
diesen so
majestätischen Sonnenvogel, er möcht sie in die Höh
hinauftragen, damit ihr alle
besagten Länder und Örter unter die Augen kämen. "Fiat! Sei's
drum!" sagt der Adler,
und wenn sie auch wolle zur Sonne hinauf, so woll er sie ganz
sicher dahin liefern.
"Bedank mich dessen aber!" sagt die Schildkrott. "Ich kann die
Hitz gar nit leiden;
sonst in die Höh über Berg und Tal wär mir eine sondre Gnad."
Worauf sie gleich der Adler in beiden Klauen gefaßt und sich
samt ihr alsobald in die
Höh geschwungen. Er aber hätte schon längst gern ein solches
Schnappbisserl gehabt;
aber niemalen hat er können Zweck und Ziel erreichen, weil selbe
sich allemal unter
ihren Schild verborgen. Als er nun die Schildkrott in alle Höhen
geführt und sie sich
gewunschen, daß sie auch möcht Federn und Flügel haben, um in
der Höhe zu
schweben, da läßt er sie auf einen harten Felsen herunterfallen,
wodurch ihr Schild
oder Haus völlig zerschmettert und sie folglich dem Adler zum
Raub worden.
Bauer und Schiffsmann
Ein Bauer verwunderte sich über der Schiffleute Kühnheit, daß
sie einem so schwachen
Holz Leib und Leben anvertrauen, indem sie so oft beides an den
wilden Meerklippen
einbüßen; darum fragte auf eine Zeit dieser Bauer einen
Schiffer, wo sein Vater sei
gestorben. Dieser antwortet: "Auf dem Meer." Der Bauer fragt
ferners, wo denn sein
Groß- und Übergroßvater gestorben seien. Als der Schiffmann
wiederum antwortete:
"Auf dem Meer," so sprach der Bauer: "Wie kannst du dann so
närrisch sein, daß du
dich dem Meer vertrauest, das dir deinen Vater, Großvater und
Übergroßvater
hinweggenommen?"
Der Schiffsmann fragte hinwieder den Bauern, wo denn sein Vater
und Großvater
gestorben seien. Der Bauer antwortete: "Auf dem Bett." Da sagte
der Schiffsmann:
"Warum bist du dann ein so großer Narr, daß du alle Nacht in
dasselbe Bett gehst,
worauf deine Voreltern gestorben? Darum siehst du, Bauer, daß es
nichts schadet,
man sterbe, wo man woll, wenn man nur selig stirbt!"
Viel, die durch des Henkers Hand sterben wegen begangner
Missetaten, sterben
glückseliger als einige, die im Bett unter den umstehnden
Verwandten ihren Geist
aufgeben.
Bauer, Fuchs und Jäger
O, wie mancher Bruder zeigt sich wie jener Bauer gegen den
Fuchs, der, vom Jäger mit
Hunden gehetzt, zu allem Glück sich in eine Bauernscheuer
salviert, auch den Bauern
aufs schönst gebeten hat, er möge seinen armen Fuchsbalg
schützen, und zwar mit dem
hohen Versprechen und Schwören gebeten: es solle hinfüro weder
von ihm selber noch
seiner ganzen fuchsischen Casada und Sippe seinen Hühnern ein
Leid geschehen.
Der Bauer ließ sich überreden und versteckt ihn unter das Stroh.
Bald hernach kam der
Jäger und fragt den Bauern, ob er nit hab gesehen einen Fuchsen
vorbeistreichen.
Der Bauer antwortet: "Da und da hab ich ihn gesehen
hinauslaufen", winkte aber
indessen mit den Augen, daß er hier unterm Stroh verborgen
liege, was zwar der
Fuchs, so unterm Stroh in größten Ängsten hervorsah, wohl, der
Jäger aber nit
vermerkte, so nur auf die Wort und Wegweisung des Bauren
achthatte.
Als nun der Jäger hinweggegangen, deckte der Bauer den Fuchsen
auf und ließ ihn
laufen, sprechend: "Mein lieber Fuchs, du kannst mir und sollst
mir dein Lebentag
dankbar sein, auch deiner Zahlung nachkommen; denn durch meine
Wort hab ich dich
beim Leben erhalten."
"Ja", sagt der Fuchs hinwieder, "dein Mund war zwar gut; aber
dein Augenwinken dank
dir der Teufel!"
Das ist die Art vieler falschen Brüder, die sich mehrmalen ganz
redlich und gut zeigen
mit dem Maul, unterdessen in der Still einen verfolgen und nach
dem Seinigen trachten.
Dergleichen Exempel ist die halbe Welt voll.
Bäume und Hopfenstange
Es sind auf eine Zeit die Bäumer in einer gewissen Gesellschaft
zusammengekommen,
wobei ein jeder seine guten und herrlichen Qualitäten
hervorgestrichen. "Ich", sagte
der Ölbaum, "trag eine so stattliche Frucht, daß ich die ganze
Welt mit Schmieralien
besteche, und ist niemand, der mir deswegen nit mit schmutzigem,
d. h. fettem, Maul
danken tut." – "Ich", sagte der Feigenbaum, "bin so keck, daß
ich auch großen
Fürsten und Herren die Feigen zeig und so ein Schnippchen
schlag, und werd ich allemal
perfekt und Präfekt unter dem Konfekt sein." – "Ich", sagte der
Nußbaum, "trag eine
so gute Frucht, daß man mir allerseits mit Prügeln nachstellt;
auch bewahrt keiner
seinen Kern so gut wie ich." – "Was?" sagt der Apfelbaum; "mir
laß ich an meiner
Prärogativ und Vorrang nichts nehmen; denn ich und kein andrer
ist's gewest, der dem
ersten Menschen so gefallen."
Wie sie nun so miteinander disputierten, fast um das Majorat wie
die Apostel (Matth.
Kap. 20, 24 ff.), da nehmen sie wahr, daß auch die Hopfenstang
sich unter ihnen
befind. "Pfui, Teixl!" sagten die Bäumer;" daß sich dieser
Lumpenhund in unsre
Gesellschaft mischt! Schau, schau, daß nit die Hopfenstang auch
unter die ehrlichen
Bäumer gehöre! Fort mit ihr zum Feuer!" – "Gemach, gemach", sagt
die
Hopfenstangen; es ist zwar wahr, und kann's nit leugnen: eine
bloße und kahle,
eine arme, nackende Tröpfin bin ich; ich gesteh's: keine Frucht
trag ich nit wie ihr – es
ist nur zu wahr; aber das tue ich: meinem Nächsten hilf ich! Der
Hopf, der arme Tropf,
mitsamt seinem bitteren Schopf müßte zugrund gehen, wenn ich nit
wär. Also hilf ich
ihm als meinem Nächsten!" – Worauf ist erkannt worden, daß auch
dieser unter die
Zahl und Gesellschaft der ehrlichen Bäumer könne gezählt werden.
Wahr ist's, daß mancher vor unserm Herrn inmitten der
fruchtbaren Bäumer:
der großen, meritierten und verdienten Heiligen stehen wird am
Jüngsten Tag und
bekennen: "Ja, mit solcher Frucht kann ich nit prangen wie
diese: so rein und unbefleckt
nit wie Antonius von Padua, so eifrig im Gebet nit wie
Franciscus Seraphicus,
wenig dergleichen, ja, schier gar nichts; aber das bisweilen hab
ich, wie die
Hopfenstang, gehabt: hab zuweilen meinem Nächsten Hülf geleistet
und ihm
aufgeholfen, bin den kranken Leuten mit Rat und Tat an die Hand
gangen, hab ein
armes Kind und Waiserl auferzogen und in Summa: dem Nächsten
etwas Gutes getan."
Ei, so wird Gott auch sagen: "Der hat das ganze Gesatz erfüllt;
denn er hat seinen
Nächsten geliebt wie sich selbst."
Eichbaum und Haselnuß
Ein Eichbaum ist vom Wind sehr übel zugerichtet worden, also
zwar, daß ihm viel Äst
abgebrochen sind und er an Blättern meistens entblößt wurde, so
daß er nit anderst
hergesehen, als wär er zu Höchstädt in der Schlacht gewesen,
wessenthalben er sich
gegen den Wind sehr beklagt, denselben einen aufgeblasnen Kerl
genennt, ja gleichsam
einen Straßenräuber gescholten, sogar für einen ungerechten
Gesellen ausgeschrien:
in Erwägung, daß neben seiner Seite eine Haselnußstaude stehe,
die vom Wind gar
nichts leide. "Du Krott," sagt der Eichbaum zur Staude, "du bist
gegen mich ein
schlechter Mistfink! Du bist zu nichts anderm zu gebrauchen,
außer daß du den kleinen
Knaben einen hölzernen Klepper abgibst oder einem rotzigen
Eseltreiber als Spießrute
dienst." – "Ho", sagt der Wind zum Eichbaum, "du bist mir wohl
ein knoperter und
grober Lümmel! Du mußt wissen, daß derentwegen die Staude von
mir unverletzt
bleibt, weil sie mir und meinem Zorn weicht und nachgibt; du
aber tust dich meiner
Gewalt halsstarrig widersetzen."
Von solcher Staude können viel Leut, förderst aber die Weiber,
eine gute Lehr schöpfen,
insonderheit diejenigen, die mit einem groben und zornsüchtigen
Mann verheiratet.
Responsio mollis frangit iram (Eine sanfte Antwort bricht den
Zorn. Sprüche Salomons
15, 1)
Ein Bauer wirft einen
Pfleger in den Bach
Ein Verwalter oder Pfleger, der seines Edelmannes Bauren tapfer
schinden helfen und
nach Wohlgefallen dieselbe gekämplet, kam endlich auch in
Ungnaden, also, daß er
seines Dienstes entlassen worden.
Wie er sich nun auf den Weg gemachet, um andere Dienst
umzuschauen, kam er in ein
Dorf, so seinem gewesenen Herren zugehörig. Daselbst war ein
Bach, daß er zu Fuß
nicht wohl durch konnte, bate demnach einen Bauren, er möchte
ihn doch
hindurchtragen, er wolle ihm anderwärts wiederum einen Dienst
erweisen.
Der Bauer war hierzu gar ehrerbietig. Wie er aber mitten in den
Bach gekommen und
den Pfleger auf dem Rücken getragen, so fragte er denselben, wo
er denn hin wolle.
Der Pfleger gab zur Antwort: "Ich muß sehen, daß ich andere
Dienst bekomme."
Der Bauer sagt: "Wie, seid Ihr nicht mehr bei unseren Edelmann
und Herrschaft?"
Der Pfleger sagte: "Nein." Darauf sagte der Bauer: "So trag Dich
der Teufel", und warf
ihn damit in Bach und lief davon.
Diejenigen, die so allzuhart mit dem armen Bauersmann verfahren,
verdienen nicht
allein dergleichen Dinge, sondern haben andere Strafe von Gott
zu erwarten.
Eine Fabel
Ein Bauer ging durch einen Wald, und hörte plötzlich ein großes
Wimmern, Er ging
darauf zu, und fand, daß eine große Schlange in einem engen
Felsenloche eingesperrt
war, indem ein vorgewälzter Stein die Öffnung schloß. Sie bat
flehentlich, sie zu retten,
und versprach den Bauer zu lohnen, wie die größten Wohltaten
unter den Menschen
belohnt werden. Der Bauer ließ sich erbitten, allein kaum sah
sich die Schlange in
Freiheit, als sie ihren Befreier erwürgen wollte, indem sie
versicherte, daß das der
Weltdank sei, welchen sie ihm versprochen hatte.
Nun flehte der Bauer seinerseits, und man kam endlich überein,
einen Schiedsrichter zu
nehmen. Sie gingen, und trafen bald einen abgemergelten Schimmel
auf einer dürren
Weide. Sie fragten ihn, warum er sich mit so elender Kost
behelfe, und nicht lieber zu
Hause, und in Ruhe, seinen Haber verzehre? "Ach," seufzte der
Schimmel, "für mich
gibt es keinen Haber mehr. Ich habe 30 Jahre einem Edelmann
gedient, und ihn im Kriege
zweimal dem Tode entrissen. Nun ich alt, und schwach bin,
hat er mich verstoßen,
und zum Hungertode verdammt." Die
Schlange wollte nun ohne weiters den Bauer verzehren;
allein
dieser behauptete, ein Spruch reiche in solch einem Falle nicht
hin, und die Schlange
ließ es sich gefallen.
Sie wanderten weiter, und sahen einen Hund, welcher einem
Gerippe glich, und an einen
Zaun angebunden war. "Wie, Herr Phylax," rief der Bauer, "ihr
seht ja erbärmlich aus.
Wie seid ihr in diesen Zustand geraten?" Der arme Hund erzählte
winselnd, daß sein
Herr, welchem er auf der Jagd so manchen fetten Braten
zugetrieben, und Haus und Hof
bewacht habe, ihn verstieß, weil er nun fast blind, gehörlos sei
und keine Zähne mehr
habe. Er sei nun hier angebunden, und erwarte nun jeden
Augenblick erschossen zu
werden". Länger wollte sich die Schlange nicht halten lassen,
doch willigte sie endlich
ein, auch den dritten Richter noch anzuhören.
Auf ihrer Wanderung begegneten sie bald einem Fuchs, welchem sie
die Sache
vortrugen. Dieser blickte schlau und schmunzelnd umher. Er zog
den Bauer bei Seite,
und erkundigte sich, ob er einen gutbesetzten Hühnerstall habe.
Dieser bejahte es,
und versprach dem Richter eine reiche Beute. Nun nahm der Fuchs
eine wichtige Miene
an, und erklärte, das Urteil nicht eher fällen zu können, bis er
an Ort und Stelle sich von
dem ganzen Vorfall genau überzeugt habe. Man begab sich zu der
Felsenhöhle, und die
Schlange mußte auf Befehl des Richters in das Loch zurück
kriechen, um, wie er sagte,
alles beobachten zu können. Es geschah, und der Bauer wälzte
schnell den Stein wieder
vor die Öffnung. Als er sich in Sicherheit sah, ergoß er sich in
Danksagungen,
und bestellten den Fuchs, am frühsten Morgen des nächsten Tages,
den versprochnen
Lohn in Empfang zu nehmen. Er stellte sich ein, allein zu seinem
größten Unglück.
Die Bäurin wollte nicht einwilligen, ihre Hühner preis zu geben,
und schlug dem armen
Fuchs für die geleisteten Dienste, den Rückgrad entzwei.
Sterbend jammerte dieser sein
unglückliches Schicksal, und beteurte, daß ihn der Tod weniger
schmerze, als der
Undank, mit welchem man ihn lohnte.
Diese Fabel stellt das Bild so vieler undankbaren Menschen dar,
welche ihren Wohltätern
Gutes mit Bösem vergelten. Groß ist die Sünde des Undanks der
Menschen gegen
einander, allein noch viel unverzeihlicher ist die Undankbarkeit
gegen Gott, welchem wir
so viel zu verdanken haben.
Eine schlagfertige
Antwort
Ein Bote ging einmal mit seinem Spieß durch ein Dorf, allwo ihn
ein bissiger Hund
angefallen. Der Bote aber wehrete sich tapfer mit dem Spieß,
also zwar, daß der Hund
auf dem Platz liegengeblieben. Der Herr dieses Hundes wollte in
alleweg ihn bezahlter
haben, schlug ihn auch in hohen Preis an wegen seiner bekannten
Treu und
Wachsamkeit. Der Bote entschuldiget sich, es wäre aus keinem
Vorsatz geschehen,
sondern er habe seinen Leib müssen schützen. Darüber kamen sie
vor den Richter,
welcher zu dem Boten als Beklagten gesaget: "Du hättest fein den
Spieß sollen
umwenden und nicht die Spitz vorhalten." – "Ja", sprach der Bot,
"wann mir der Hund
den Schweif und nicht die Zähne gewiesen hätte."
Der Richter mußte hierüber lachen, und der Bot wurde ohne
Entgelt ledig gesprochen.
Fuchs und Maultier
Ein Fuchs, nach höflichem Willkomm und freundlicher Ansprach,
fragt einmal das
Maultier, was Geschlechts und Herkommens es sei. Dies antwortet,
es sei ein Geschöpf
Gottes. "Wie seltsam ist das geredet!" sagt hinwieder der Fuchs.
"Ich frag nur, wer seine
Eltern gewest." Das Maultier schämte sich, daß sein Vater
schinderischer Gedächtnis
ein Esel gewest, wußte aber beinebens, daß seine Mutter ein
Pferd sei aus dem
Hofstall, sagte also: "Ich bin ein nächster Blutsverwandter des
Leibpferds Ihrer
Königlichen Majestät!"
Gar viel desgleichen sind anzutreffen, die sich Herkommens
schämen, und prahlt
mancher, sein Vater sei ein Landmann gewest, der doch nur ein
Fuhrmann war; sagt oft
einer, sein Vater sei ein Ratsherr gewest, da er unterdessen nur
als ein Ratsherr das
Wagnerhandwerk betrieben. Ich hab selbst einen gekennt, der
vorgegeben, sein Vater
sei ein Musikant gewest, indem er doch nur als Kalkant die
Blasbälg getreten.
Fuchs und Maus
Ein zaundürrer Fuchs hat sich in eine wohl angefüllte
Speiskammer hinein praktiziert.
Das hat eine Maus daselbst wahrgenommen und also nit wollen
höflichkeitshalber ihn zu
grüßen unterlassen. "Willkomm!" sagt sie; "willkomm, mein
hochgeehrter Pelzkramer!
Wie treffen wir allhier einander an! Erfreue mich seiner guten
Gesundheit. Aber, wenn
ich darf fragen", sagt ferner die Maus als ein arger Mauskopf (=
Schlaufuchs!); "bitt um
Vergebung, daß ich mich untersteh zu fragen! Wie ist er in
dieses Speisgewölb
hereingekommen?" – "Herein bin kommen durch ein gar enges Loch
vermittelst meiner
Magrigkeit." – "Aber in was für Geschäften just daherein? Hat er
etwan eine
Kommission und Auftrag", sagt weiter die Maus, "vom ganzen
Geflügelwerk und allen
Hennen insgemein?" – "O nein!" widersetzt der Fuchs; "ich hab
mich einzig und allein
hereingedrungen, damit ich mir eine Weil gute Tag mög antun und
wiederum am Leib
zunehmen." – "So!" sagt die Maus; "addio! Dein Balg ist hin!"
Der Fuchs hat sich
dergestalten mit Speisen angefüllt, daß ihm der Bauch
auseinander gangen wie eine
aufgeblasne Sackpfeifen.
Als nun der Koch im Speisgewölb den Hennendieb ertappte, wollte
der unverzüglich
durchs vorige enge Loch den Ausfall nehmen, konnte aber der
angeschoppten Wampen
wegen nit, mußte demnach elend und ganz frühzeitig um seinen
Balg kommen.
In seiner Marter gedachte er noch an der Maus Prophezeiung, aber
zu spat, erfuhr also
mit dem höchsten Schaden, daß er länger gelebt hätte, wenn er
nit das Wohlleben
gesucht.
Es ist wahr und bleibt wahr, daß das unmäßige Essen und Trinken
die meisten
Menschen zu früh ins Grab befördre.
Fuchs und Rabe
O wieviel Schmeichlerzungen haben andre ins Verderben gebracht!
Was dem Raben
begegnete, ist oft manchem Menschen und vornehmen Herrn
widerfahren:
Der Rab hatte einst ein ziemlich gutes und großes Stuck Käs
entfremdet und war damit
im Schnabel auf einen Baum geflogen. Als dies der arge Fuchs
wahrgenommen, ist er
ganz hurtig dahin geloffen und hat den Raben angefangen zu
loben.
"Ei, ei, ei!" sagt er, "das ist ein Vogel! Laß mir dies einen
schönen Vogel sein! Hab
meiner Lebtag keinen dergleichen Vogel gesehn. Du bist gewiß der
Paradiesvogel oder
der berühmte Phönix! Deine Mutter muß sich am Sammet versehen
haben, wie sie auf
den Eiern gesessen, hast du doch ein Paar Augen! Die haben
gleichsam den Glanz von
der Sonn zu Leihe genommen. Deine Klauen, diese so wunderlich
erschaffnen Waffen,
verraten, daß du von einem martialischen Geblüt abstammst.
Deinesgleichen wird wohl
nit unter dem adlichen Geschlecht der Vögel zu finden sein. O du
schöne Kreatur, wie
recht ist's geschehen, daß man die berühmte Festung in Ungarn
nach deinem Namen
Rab genannt hat! – Ein Ding, mein auserwählter Vogel, möcht ich
doch gern wissen, weil
in allem die Natur gegen dich so freigebig gewest: was du
nämlich für eine Stimm wirst
haben. Wenn ich dich, ansehnlicher Vogel, nur mal hörte singen,
so wollt ich mich für
den glückseligsten Fuchsen erkennen. Ei, ei, das ist ein Vogel!"
Der Rab glaubt dem Schmeichler in allem, übernimmt sich des
großen Lobs, sperrt den
Schnabel in alle Weit auf, um zu singen. Unterdessen fallt ihm
das große Stuck Käs aus
dem Schnabel. Der Fuchs schnappt und tappt darauf und lauft mit
dieser Kollation und
Imbiß davon. – Oh, wie oft geschicht, was da ist gedicht'!
Greisin und Tod
Es ist eine Fabel, aber einer Wahrheit ganz gleich, daß ein
armes altes Mutterl einmal in
den Wald gegangen, um daselbst Holz zu klauben und zu ihrer
Notdurft mit sich nach
Haus zu tragen. Wie nun die arme Haut eine ziemliche Bürde
zusammengebunden hatte,
diese aber aus Schwachheit nit konnte auf den Kopf heben, da hat
sie angefangen,
inniglich zu seufzen und zu weinen. "Ach", sagte sie, "ich
elende Tröpfin! Ich denk noch
wohl, daß mir kein Stiegerl zu hoch gewest, kein Tanz zu lang
gewährt hat, keine Arbeit
zu stark und hart gewest ist. Jetzt bin ich schon alt und gar
nichts nutz mehr. O, mein
Gott, nimm mich lieber zu dir! Der alte Kram (wie ich einer bin)
hat doch keinen Kauf
mehr auf der Welt. O, wär ich halt tot! Oh, wär ich doch tot!"
Über diesem kommt und erscheint der Tod persönlich mit seiner
Sensen und sagt:
"Alte, da bin ich, gleichwie du dir gewünscht und begehrt! Also
stell ich mich hier
gegenwärtig." – "Ja, ja", geraunzt die alt Husterin; "ich
gesteh's und kann's nit leugnen:
ich hab' dir gerufen, aber nur darum, daß du mir helfest, die
Trag(last) auf den Kopf zu
heben. Alsdann kannst du wieder hingehn, wo du bist
hergekommen."
Freilich ist dies ein äsopisches Märl und Gedicht; allein es
will doch nit unförmlich
andeuten, daß die Menschen so ungern sterben und sogar die alten
und vielerlebten
Leut sich vorm Tod scheuen; aber warum dies? O forchtsame und
hasenherzige
Adamskinder, ihr betet ja alle Tag im Vaterunser: "Zukomm uns
dein Reich!"
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