Der Adler 
				 
			Oben auf einem Felsen saß ein Adler und spähte nach Hasen aus. 
				Da schoß einer auf
			ihn: Der Pfeil durchbohrte ihn, 
				und der 
				rückwärtige Teil des Pfeiles mit den Federn
			stand  ihm vor den 
				Augen. Da sprach er: »Das ist zusätzliches Leid, daß meine 
				eigenen Federn mich töten.«
  Dies zeigt, wie schlimm es ist, wenn einen die Seinigen 
				gefährden.
  
				
				Der Adler und der Fuchs 1 
				
				 
				Adler und 
				Fuchs schlossen Freundschaft miteinander. Sie entschieden sich, 
				nahe beieinander zu wohnen. 
				Das gemeinsame Leben sollte die Vertrautheit festigen. Der Adler 
				flog auf einen sehr hohen Baum und brütete dort seine Jungen 
				aus; der Fuchs 
				kroch in ein darunter liegendes Gebüsch und brachte dort seine 
				Kinder zur Welt. 
				Aber eines Tages ging der Fuchs auf Nahrungssuche. Da stieß der 
				Adler, weil er kein Futter hatte, in das Gebüsch hinab, raubte 
				die Jungen und verzehrte sie gemeinsam mit seinen eigenen 
				Jungen. Als der Fuchs zurückkam und sah, was passiert war, 
				war er über den Tod seiner Kinder genauso verbittert wie über 
				seine Hilflosigkeit; denn weil er am Boden lebte, konnte er 
				einen Vogel nicht verfolgen. Deshalb trat er von dem 
				Baum weit zurück und verfluchte den Feind, was den Schwachen und 
				Machtlosen als einzige Möglichkeit bleibt. Doch es traf sich, 
				daß er auf die Bestrafung für den Verrat der Freundschaft nicht 
				lange warten mußte. Denn als irgendwelche Leute auf dem Feld 
				eine Ziege opferten, stieß der Adler herab, nahm vom Altar ein 
				noch glimmendes Stück der Eingeweide des Opfertieres und trug es 
				zu sich hinauf. 
				Als er es in sein Nest geschafft hatte, kam plötzlich ein 
				heftiger Wind auf und entfachte aus dem leichten und 
				dürren Reisig eine helle Flamme. Daraufhin verbrannten die 
				Jungen – denn sie waren noch nicht flügge – und fielen 
				auf die Erde. Der Fuchs lief herbei und verzehrte sie alle vor 
				den Augen des Adlers.
  Die Geschichte lehrt, daß 
				diejenigen, die die Freundschaft verraten, auch wenn sie der 
				Bestrafung durch die Geschädigten entgehen, weil diese dazu 
				nicht in der Lage sind, der Rache der Götter auf keinen Fall 
				entkommen.
  
			
			
			Anmerkung: Der Lyriker Archilochos (7.Jhd.) verwendete diese 
				Fabel, um sich an seinem verhinderten Schwiegervater Lykambes zu 
				rächen. 
				Dieser hatte Archilochos seine Tochter Neobule versprochen, sein 
				Versprechen aber nicht eingelöst. 
				 
				
				
				Der Adler und der Fuchs 2 
				 
				
				
				Der Adler geriet einstens in Gefangenschaft. Der Mann, der ihn 
				gefangen hatte, stutzte ihm die Flügel und hielt ihn 
				im Hause bei den Hühnern. Doch der Adler blieb stolz, einem 
				König gleich, den man in Fesseln warf, und mochte vor Trauer 
				keine Nahrung anrühren. Schließlich kaufte ihn ein anderer; der 
				ließ dem Adler die Flügel wachsen, salbte sie mit Öl und 
				erlaubte ihm, frei herumzufliegen. Da erhob sich der Vogel in 
				die Lüfte, packte mit seinen Fängen einen Hasen und brachte ihn 
				seinem Herrn zum Geschenk. Das sah der Fuchs und sprach zu dem 
				Adler: »Nicht dem da gib, sondern dem ersten! Denn dieser ist 
				von Natur aus gut; jenen aber mußt du dir geneigt machen, daß er 
				dir, fängt er dich ein zweites Mal, nicht wieder die Federn 
				nehme!« 
				 
				Den Wohltätern soll man Gutes mit Gutem vergelten, die Bösen 
				durch Klugheit umstimmen. 
				 
				
				
				Der Adler, die Dohle und der Hirte 
				 
				
				
				Ein Adler stieß von einem hohen Felsen hinab und raubte ein 
				Lamm. Eine Dohle sah ihm dabei zu und wollte es ihm gleichtun. 
				Daraufhin flog sie mit rauschenden Flügeln auf den Rücken eines 
				Widders. Aber ihre Krallen verfingen sich 
				in seinem dichten Fell. Sie kam nicht mehr los und flatterte so 
				lange, bis der Hirte, der sah, was geschah, 
				eilig herkam und die Dohle fing. Dann stutzte er ihr die Flügel, 
				und als der Abend kam, brachte er sie seinen Kindern. 
				Als sie fragten, was das für ein Vogel sei, erwiderte er: »Wie 
				ich mit Sicherheit weiß, ist es eine Dohle, wie sie es 
				sich aber wünscht, ein Adler.« 
				 
				So bringt der Wettstreit mit Überlegenen außer der 
				Erfolglosigkeit und dem Schaden auch noch Spott ein.
  
				
				
				Der Adler und die Schildkröte 
			
				
				 
				Eine Schildkröte sah einen Adler fliegen und wollte selbst auch 
				einmal fliegen. Sie ging
			zu ihm hin und bat ihn, 
				ihr um jeden
				Preis das Fliegen beizubringen. Er aber sagte, dies
			sei 
				unmöglich. Und als sie ihn noch weiter 
				drängte und bat, hob er 
				sie
				empor und hoch in den Lüften ließ er sie auf einen Felsen 
				fallen. Durch diesen Sturz zerbrach sie und
			starb. 
  Die Geschichte zeigt, daß viele Menschen sich selbst mit ihren 
				ehrgeizigen Plänen
			schaden. 
			
			
			 
				
				Der Adler und der Mistkäfer 
				 
				Ein Adler verfolgte einen Hasen. Er fand aber niemanden, der ihm 
				hätte helfen können. Da sah er einen Mistkäfer, 
				der ihm im rechten Augenblick begegnete, und bat ihn um Hilfe. 
				Der aber sprach ihm Mut zu, als er den Adler heranfliegen sah; 
				er forderte diesen auf, ihm seinen Schützling nicht wegzunehmen. 
				Der Adler aber verachtete die Kleinheit des Mistkäfers und fraß 
				den Hasen vor dessen Augen auf. 
				Der Mistkäfer aber vergaß das erlittene Unrecht nicht und 
				beobachtete fortwährend den Adlerhorst, und jedes Mal, wenn der 
				Adler Eier legte, kam der Mistkäfer nach oben, wälzte die Eier 
				aus dem Nest und ließ sie zerbrechen, 
				bis der Adler, der nirgendwo mehr einen Platz zum Brüten fand, 
				bei Zeus Zuflucht suchte – ist er doch der heilige Vogel des 
				Gottes – und ihn bat, ihm einen Platz für eine sichere Aufzucht 
				seiner Jungen zu gewähren. Da ließ ihn Zeus seine Eier in seinen 
				Schoß legen. Der Mistkäfer sah dies, machte eine Kugel aus Mist, 
				flog nach oben und dort angekommen legte er sie Zeus in den 
				Schoß. Als Zeus aber aufstand, weil er den Mist von sich 
				abschütteln wollte, ließ er aus Versehen auch die Eier fallen. 
				Von der Zeit an – so heißt es – brüten die Adler nicht, solange 
				die 
				Mistkäfer fliegen. 
				 
				Die Geschichte lehrt: Man soll niemanden unterschätzen und 
				bedenken, daß niemand so machtlos ist, daß er sich nicht rächen 
				kann, wenn er einmal schlecht behandelt wurde. 
				 
				
				
				
				Der Affe, der zum König gewählt wurde, und der Fuchs 
				 
				In einer Versammlung der vernunftlosen Tiere erwarb sich der 
				Affe großes Ansehen und wurde von ihnen zum König gewählt. Der 
				Fuchs aber beneidete ihn darum. Als er in irgendeinem Netz ein 
				Stück Fleisch hängen sah, führte er 
				den Affen dorthin und sagte, er habe einen Schatz gefunden. Er 
				selbst brauche ihn nicht, habe ihn aber dem Affen als Ehrengabe 
				für seine Königswürde aufgehoben. Er bitte ihn darum, den Schatz 
				anzunehmen. Als der Affe ohne zu zögern an die Falle herantrat, 
				sich in der Falle verfing und dem Fuchs vorwarf, er habe ihn 
				reingelegt, sagte der Fuchs zum Affen: »Du Affe, mit einer 
				solchen Einstellung willst du der König der vernunftlosen Tiere 
				sein?« 
				 
				So ziehen sich diejenigen, die sich ohne Überlegung auf etwas 
				einlassen, außer dem Unglück auch noch 
				den Spott zu.
  
				
				
				Der Affe und die Fischer 
				 
				Ein Affe saß auf einem hohen Baum, als er sah, wie Fischer ihr 
				Netz auswarfen. Er beobachtete, was sie taten. 
				Als jene das Netz einzogen und dann in einiger Entfernung ihr 
				Frühstück einnahmen, stieg der Affe vom Baum und versuchte, 
				dasselbe zu tun. Denn man sagt, er sei ein Lebewesen, das andere 
				nachahmen könne. Er nahm das Netz in die Hand. Als er sich darin 
				verfing, sagte er zu sich selbst: »Ach, das geschieht mir recht. 
				Denn warum habe ich versucht zu fischen, ohne etwas davon zu 
				verstehen?« 
				 
				Die Geschichte zeigt, daß die Beschäftigung mit Dingen, von 
				denen man nichts versteht, nicht nur sinnlos, sondern auch 
				gefährlich ist. 
				 
				
				
				Der Affe und das Kamel beim Tanz 
				 
				In einer Versammlung der vernunftlosen Tiere stand ein Affe auf 
				und tanzte. Als er dafür sehr viel Beifall bekam und von allen 
				gelobt wurde, wurde ein Kamel neidisch und wollte dasselbe 
				erreichen. Deshalb stand es auf und versuchte ebenso zu tanzen. 
				Weil es aber viel Unfug machte, ärgerten sich die Tiere, 
				schlugen es mit Stöcken und trieben es fort. 
				 
				Die Geschichte paßt auf diejenigen, die aus Neid mit Größeren in 
				einen Wettstreit treten und dann unterliegen. 
				
				 
				
				
				Der alternde Löwe und der Fuchs 
				 
				Der Löwe war alt geworden und konnte sich nicht mehr aus eigener 
				Kraft seine Nahrung beschaffen. Er sah ein, 
				daß er dies nur mit einer List bewerkstelligen könne. So begab 
				er sich in seine Höhle, legte sich dort hin und tat so, als ob 
				er krank sei. Und auf diese Weise packte er die Tiere, die zu 
				ihm kamen, um ihn zu besuchen, und fraß sie 
				auf. Nachdem er schon viele Tiere gefressen hatte, durchschaute 
				der Fuchs dessen List und ging zu ihm. 
				Und er trat in sicherem Abstand vor den Eingang der Höhle und 
				fragte, wie es ihm gehe. Der Löwe antwortete: »Schlecht.« Dann 
				fragte der Löwe nach dem Grund dafür, warum er nicht 
				hereinkomme. Der Fuchs erwiderte: 
				»Ja, ich wäre schon hineingegangen, wenn ich nicht die Spuren 
				vieler anderer sehen würde, die hineingingen, während keiner 
				herauskam.« 
				 
				So entgehen die vernünftigen Menschen den Gefahren, weil sie 
				aufgrund bestimmter Anzeichen voraussehen. 
				 
				
				
				Der alte Mann und der Tod 
				 
				Ein alter Mann schlug einmal Holz, nahm es auf den Rücken und 
				machte sich auf einen langen Weg. Weil ihn der Weg müde machte, 
				legte er seine Last ab und rief nach dem Tod. Als der Tod 
				erschien und wissen wollte, weshalb er ihn rufe, sagte der Mann: 
				»Damit du meine Last auf deinen Rücken nimmst.« 
				 
				Die Geschichte zeigt, daß jeder Mensch an seinem Leben hängt, 
				auch wenn es ihm sehr schlecht geht.
  
				
				
				Der Angeber 
				 
				Ein Fünfkämpfer wurde bei jeder Gelegenheit von seinen 
				Mitbürgern wegen seiner Unfähigkeit beschimpft. 
				Da begab er sich einmal eine Zeit lang ins Ausland. Dann kam er 
				zurück und prahlte mit seinem Können. 
				Er behauptete, er habe in anderen Städten viele große Leistungen 
				vollbracht und sei auf Rhodos so weit 
				gesprungen, wie es kein Olympiasieger jemals geschafft habe. 
				Dafür – so behauptete er – könne er auch beliebig 
				viele Zeugen aufbieten, wenn sie erst einmal hier seien. Einer 
				der Anwesenden ergriff das Wort und sagte zu ihm: »Aber mein 
				lieber Freund, wenn dies wahr ist, dann brauchst du doch keine 
				Zeugen. Denn hier ist Rhodos; 
				hier kannst du springen!« 
				 
				Die Geschichte zeigt folgendes: Wenn man etwas durch Taten 
				beweisen kann, dann erübrigt sich jedes 
				Wort darüber. 
				 
				
				
				Der Angsthase, der einen goldenen Löwen fand 
				 
				Ein geldgieriger Angsthase fand einmal einen goldenen Löwen. Er 
				sagte zu sich selbst: »Ich weiß nicht, was unter diesen 
				Umständen mit mir geschehen wird. Ich bin wahnsinnig vor Angst 
				und weiß nicht, was ich tun soll. 
				Meine Habgier und meine Feigheit lassen mich auseinander 
				brechen. Welcher Zufall oder welcher Dämon konnte einen goldenen 
				Löwen erzeugen? Meine Seele kämpft mit sich selbst, wenn ich 
				dies sehe. Sie liebt zwar das Gold, fürchtet aber das Werk aus 
				Gold. Den Fund zu berühren, treibt mich mein Verlangen, mich 
				zurückzuhalten mein Charakter. Ach, was für ein Zufall, der mir 
				etwas gibt und nicht erlaubt, es anzunehmen! Ach Schatz, der du 
				keine Freude bringst! Ach, du gnadenlose Gnade eines Gottes! Was 
				soll ich tun? Wie soll ich damit umgehen? Welche Hilfe soll ich 
				nutzen? Ich werde weggehen, um meine Angehörigen hierher zu 
				bringen und sie durch Beteiligung am Gewinn zur Hälfte zu 
				verpflichten, und ich selbst werde von weitem zusehen.« 
				 
				Die Geschichte paßt auf einen Reichen, der es nicht wagt seinen 
				Reichtum anzurühren und zu nutzen.
  
				
				
				Der Arzt auf einer Beerdigung 
				 
				Ein Arzt ging hinter dem Sarg eines seiner Verwandten her und 
				sagte zu denen, die ihm das letzte Geleit gaben, dieser Mensch 
				wäre nicht gestorben, wenn er sich des Weines enthalten und ein 
				Klistier gebraucht hätte. 
				Einer von ihnen erwiderte ihm: »Ja, du hättest das jetzt, wo es 
				nutzlos ist, nicht sagen dürfen, sondern du hättest es ihm 
				damals sagen sollen, als er deinen Rat noch hätte befolgen 
				können.« 
				 
				Die Geschichte zeigt, daß man seinen Freunden dann, wenn es 
				erforderlich ist, helfen muß, aber nicht erst, 
				nachdem ein Unglück geschehen ist, klug daherreden darf. 
				 
				
				
				Der Astrologe 
				 
				Ein Astrologe ging jeden Abend ins Freie, um die Sterne zu 
				beobachten. Und als er sich einmal in die Gegend vor der Stadt 
				begab und ganz damit beschäftigt war, zum Himmel hinauf zu 
				schauen, fiel er aus Versehen in einen Brunnen. Als er dann 
				jammerte und um Hilfe rief, hörte ein Spaziergänger sein 
				Geschrei. Er ging hin und erfuhr, was passiert war. Darauf sagte 
				er zu ihm: »Lieber Mann, versuchst du, die Erscheinungen am 
				Himmel zu durchschauen und siehst die Dinge auf der Erde nicht?« 
				 
				Diese Geschichte könnte man auf diejenigen Menschen anwenden, 
				die sich besonders wichtig nehmen, aber nicht in der Lage sind, 
				die alltäglichen Aufgaben der Menschen zu erledigen. 
				 
				
				
				Die 'Fabel' ist nicht nur hier überliefert: Vgl. auch Platon, 
				Theaitetos 174a; Diogenes Laertios Antipatros, 1,34; 
				Anthologia Palatina 7, 172. 
				 
				
				
				Der badende Junge 
				 
				Ein Junge badete einmal in irgendeinem Fluß und drohte zu 
				ertrinken. Aber er sah einen Wanderer und rief um Hilfe. Dieser 
				aber warf dem Jungen seine Unvorsichtigkeit vor. Der Junge 
				erwiderte ihm: »Ja, doch jetzt hilf mir und mach mir später 
				Vorwürfe, wenn ich in Sicherheit bin.« 
				 
				Die Geschichte paßt auf diejenigen, die selbst Anlaß dazu geben, 
				daß ihnen Unrecht getan wird. 
			 
				
				Der Bauer und seine Söhne 
				 
				Ein Bauer lag im Sterben und wollte seine Söhne noch einmal in 
				die Landwirtschaft einweisen. Er rief sie also zu sich und 
				sagte: »Meine Söhne, in einem meiner Weinberge liegt ein Schatz 
				vergraben.« Nach seinem Tode nahmen sie Harken und Spaten und 
				gruben ihren ganzen Bauernhof um. Aber sie fanden den Schatz 
				nicht. Der Weinberg aber brachte ihnen eine vielfach größere 
				Ernte. 
				 
				Die Geschichte zeigt, daß die anstrengende Arbeit ein Schatz für 
				die Menschen ist. 
				 
				Der Bauer und die Esel 
				 
				Ein Bauer war auf dem Lande alt geworden, und weil er lange 
				nicht mehr in die Stadt gekommen war, bat er seine Leute, sie 
				möchten ihn doch die Stadt sehen lassen. Die machten einen Wagen 
				fertig und spannten ein paar Esel davor. »Du brauchst sie nur 
				anzutreiben«, sagten die Verwandten, »sie werden dich dann schon 
				ans Ziel bringen.« 
				Als jedoch ein Sturm aufkam, der den Himmel verfinsterte, 
				verloren die Esel den Weg und verirrten sich an einen 
				abschüssigen Ort. Da erkannte der Bauer die Gefahr, die ihm 
				drohte, und rief: »O Zeus, was habe ich dir Böses 
				getan, daß ich so zugrunde gehen muß, und das nicht durch edle 
				Pferde und auch nicht durch respektable Maultiere, sondern durch 
				elende Esel!« 
				 
				Daß es besser ist, anständig zu sterben als ehrlos zu leben, 
				beweist diese Fabel. 
				 
				Der Bauer und die Hunde 
				 
				Ein Bauer wurde auf seinem Hof vom Winter überrascht. Weil er 
				den Hof nicht mehr verlassen konnte, um sich Nahrung zu 
				beschaffen, aß er zuerst seine Schafe. Der Winter dauerte aber 
				an. Da aß er auch noch seine Ziegen. 
				Die Lage änderte sich nicht. Da mußte er sich auch noch an 
				seinen Zugtieren vergreifen. Die Hunde sahen, was geschah, und 
				sagten zueinander: »Wir müssen fort von hier. Denn wieso sollte 
				der Herr uns schonen, wenn er nicht einmal von seinen Helfern, 
				den Zugtieren, die Hände ließ?« 
				Die Geschichte zeigt, daß man sich vor allem vor denen in acht 
				nehmen muß, die nicht einmal davor zurückscheuen, ihren 
				Angehörigen Unrecht zu tun. 
				
			 
				
				
				Der Bauer und die Schicksalsgöttin 
				 
				
				
				Ein Bauer fand ein Goldstück, während er in der Erde grub. Er 
				legte deshalb jeden Tag einen Kranz auf die Erde, 
				als ob sie ihm etwas Gutes getan hätte. Da trat die 
				Schicksalsgöttin an ihn heran und fragte: »Mein lieber Freund, 
				warum tust du so, als ob du der Erde meine Geschenke 
				verdanktest, die ich dir gegeben habe, weil ich dich reich 
				machen wollte? Denn wenn sich die Zeiten ändern und dich wieder 
				in schlimme Armut bringen, dann wirst du nicht 
				die Erde, sondern die Schicksalsgöttin tadeln.« 
				 
				Die Geschichte lehrt uns, daß man seinen Wohltäter erkennen und 
				ihm danken muß.
  
				
				
				Der Biber 
				 
				Der Biber ist ein Tier mit vier Füßen, das im Sumpf lebt. Es 
				heißt, daß seine Geschlechtsteile zur Behandlung bestimmter 
				Krankheiten nützlich sind. Wenn ihn nun jemand entdeckt hat und 
				verfolgt, weiß er, wozu er verfolgt 
				wird. Er flieht dann zwar ein Stück weit, indem er sich der 
				Schnelligkeit seiner Füße bedient, um sich mit seinem ganzen 
				Körper in Sicherheit zu bringen. Sobald er aber gefangen zu 
				werden droht, reißt er sich seine 
				Geschlechtsteile ab, wirft sie dem Verfolger vor die Füße und 
				rettet auf diese Weise sein Leben. 
				 
				So gibt es auch unter den Menschen Vernünftige, denen man wegen 
				ihres Geldes nachstellt. Sie verzichten darauf, um ihre 
				Sicherheit nicht zu gefährden. 
				 
				
				
				Vgl. Plinius, Naturalis Historia 32, 26 
				 
				
				
				Der Betrüger 
				 
				Ein armer Mann wurde krank, und es ging ihm sehr schlecht. Da 
				gelobte er, den Göttern ein Opfer von hundert 
				Rindern darzubringen, wenn sie ihn retteten. Die Götter wollten 
				ihn auf die Probe stellen und ließen ihn ganz schnell wieder 
				gesund werden. Und er kam tatsächlich wieder auf die Beine. Weil 
				er aber keine echten Rinder besaß, 
				formte er hundert Rinder aus Wachs, verbrannte sie auf einem 
				Altar und sagte: »Nehmt die Erfüllung meines Versprechens an, 
				ihr Götter!« Die Götter aber wollten ihn dafür auf ihre Weise 
				hereinlegen und schickten ihm einen Traum: Sie rieten ihm, an 
				den Strand zu gehen; denn dort werde er eintausend Drachmen 
				finden. Dort fiel er dann Räubern in die Hände und wurde 
				fortgebracht. Er wurde von ihnen verkauft und fand auf diese 
				Weise eintausend Drachmen. 
				 
				Die Geschichte paßt auf einen Betrüger. 
				 
				Der Blinde 
				 
				Ein Blinder hatte es sich zur Gewohnheit gemacht, jedes Tier, 
				das man ihm in die Hände legte, zu betasten und 
				dann zu sagen, was es für ein Tier sei. Einmal gab man ihm einen 
				jungen Wolf. Er betastete ihn, war sich aber nicht sicher und 
				sagte: »Ich weiß es nicht, ob es das Junge eines Wolfes, eines 
				Fuchses oder eines ähnlichen Tieres ist. Doch weiß ich genau, 
				daß es nicht günstig ist, dieses Tier in eine Schafherde zu 
				lassen.« 
				 
				So läßt sich auch das Wesen böser Menschen oft an ihrer äußeren 
				Erscheinung erkennen. 
				 
			
				
				
				Der Delphin und der Affe 
				 
				Seeleute nehmen gewöhnlich Malteserhündchen und Affen mit an 
				Bord, um auf ihrer Seereise Abwechslung 
				zu haben. So nahm denn auch einer einen Affen mit, als er in See 
				stechen wollte. 
				Als sie an das Kap Sunion (das ist das Vorgebirge der Athener) 
				kamen, geschah es, dass ein heftiger Sturm aufkam. 
				Nachdem das Schiff gekentert war, und alle um ihr Leben 
				schwammen, schwamm auch der Affe mit. 
				Ein Delphin sah ihn, glaubte, es sei ein Mensch, nahm ihn auf 
				seinen Rücken und schwamm mit ihm 
				zum Festland. Als er in die Nähe des Piräus, des Hafens der 
				Athener, kam, fragte er den Affen, 
				ob er ein Athener sei. Als der Affe daraufhin sagte, er habe 
				dort auch berühmte Vorfahren, 
				fragte ihn der Delphin als zweites, ob er den Piräus kenne. 
				Weil er glaubte, er meine einen Menschen, behauptete er, es sei 
				sein vertrauter Freund. 
				Da ärgerte sich der Delphin über dessen Lüge, tauchte unter und 
				ließ ihn ertrinken. 
				 
				Die Geschichte passt gut auf einen Lügner. 
				 
				Der Dieb und der Wirt 
				 
				Ein Dieb kehrte in einer Herberge ein. Dort blieb er ein paar 
				Tage, auf eine Gelegenheit watend, etwas zu stehlen; aber es 
				fand sich keine. Eines Tages nun bemerkte er, dass der Wirt 
				einen schönen, neuen Rock trug – es war nämlich ein Festtag – 
				und sich vor der Tür der Herberge niederließ; sonst jedoch war 
				niemand da. Also trat der Dieb hinzu, setzte sich zu dem Wirt 
				und zog diesen ins Gespräch. Und als sie schon eine gute Weile 
				erzählten, riss er plötzlich den Mund weit auf, und im selben 
				Augenblick, in dem er den Mund aufriss, heulte er wie ein Wolf. 
				Auf die Frage des Wirts: »Was ist mit dir los?« antwortete der 
				Dieb: »Das will ich dir gleich erklären; aber ich bitte dich, 
				pass auf meine Sachen auf! Die werde ich nämlich hierlassen. 
				Also, lieber Herr, ich weiß nicht, woher diese 
				Maulsperre kommt, ob von meinen Sünden oder aus welcher Ursache 
				sonst, ich kann es nicht sagen – jedenfalls, wenn ich jetzt 
				dreimal das Maul aufreiße, dann verwandle ich mich in einen 
				menschenfressenden Wolf.« Bei diesen Worten riß er zum zweiten 
				Male den Mund auf und heulte wieder wie das erstemal. Indem der 
				Wirt, der dem Dieb Glauben schenkte, das vernahm, wurde ihm 
				angst, und er erhob sich und wollte davonlaufen. Doch der Dieb 
				faßte 
				ihn am Rock und bat ihn drängend: »Bleib doch, lieber Herr, und 
				nimm meine Sachen, damit sie mir nicht verlorengehen!« Und 
				während er so bat, öffnete er den Mund und begann zum dritten 
				Male zu heulen. Voller Angst, gefressen zu werden, ließ der Wirt 
				seinen Rock, lief eilends in die Herberge und brachte sich im 
				innersten Winkel in Sicherheit. Der Dieb aber nahm den begehrten 
				Rock und ging seiner Wege. 
				 
				So ergeht es denen, die Unwahres glauben. 
			
			 
				
				
				Der diebische Junge und seine Mutter 
				 
				Ein Junge nahm in der Schule die Schreibtafel eines Mitschülers 
				weg und brachte sie seiner Mutter. Aber sie verzichtete nicht 
				nur darauf, ihn zu bestrafen, sondern lobte ihn sogar dafür. 
				Beim zweiten Mal stahl er einen 
				Mantel und brachte ihn der Mutter, und sie begrüßte dies noch 
				mehr. Die Zeit verging, und als er ein junger Mann geworden war, 
				versuchte er, noch größere Dinge zu stehlen. Aber dann wurde er 
				schließlich auf frischer Tat ertappt, gefesselt und zum Henker 
				gebracht. Die Mutter begleitete ihn und schlug sich vor Trauer 
				auf die Brust. Da sagte der junge Mann: »Ich will meiner Mutter 
				etwas ins Ohr sagen.« Als sie sofort an ihn herantrat, haschte 
				er nach ihrem 
				Ohr und biß es ab. Als sie ihm daraufhin vorwarf, daß er keinen 
				Respekt vor ihr habe, sagte er: »Aber wenn du mich damals, als 
				ich als erstes die Schreibtafel stahl und sie dir brachte, 
				bestraft hättest, dann wäre ich nicht bis hierher gekommen, um 
				hingerichtet zu werden.« 
				 
				Die Geschichte veranschaulicht, daß alles, was am Anfang nicht 
				verhindert wird, sich immer mehr vergrößert. 
				 
				Der Eber und der Fuchs 
				 
				Ein Fuchs sah einen Eber seine Hauer an einem Eichstamme wetzen 
				und fragte ihn, was er da mache, da er doch keine Not, keinen 
				Feind vor sich sehe? 
				»Wohl wahr«, antwortete der Eber, »aber gerade deswegen rüste 
				ich mich zum Streit; denn wenn der Feind da ist, dann ist es 
				Zeit zum Kampf, nicht mehr Zeit zum Zähnewetzen.« 
				 
				Bereite dich im Glück auf das künftige Unglück; sammle und rüste 
				in guten Tagen auf die schlimmern.
  
				
				
				Der eingeschlossene Löwe und der Bauer 
				 
				
				
				Ein Löwe kam auf den Hof eines Bauern. Weil der Bauer ihn fangen 
				wollte, verschloß er die Hoftür. Als der Löwe 
				nicht hinauskommen konnte, tötete er zuerst die Schafe, dann 
				wandte er sich auch den Rindern zu. Und weil der Bauer Angst um 
				sich selbst hatte, öffnete er das Tor. Nachdem der Löwe 
				freigekommen war, hörte die Frau den Bauern klagen und sagte: 
				»Aber du hast doch nur das bekommen, was gerecht ist. Denn warum 
				wolltest du den Löwen einschließen, 
				vor dem du seit langer Zeit 
				Angst haben mußtest?« 
				 
				So erdulden diejenigen, die sich mit stärkeren anlegen, mit 
				Recht die von ihnen ausgehenden Schandtaten. 
				 
				Der Eisvogel 
				 
				Ein Eisvogel ist ein Vogel, der die Einsamkeit liebt und deshalb 
				immer am Meer lebt. 
				Es heißt, er niste auf Meeresklippen, um 
				sich so vor der Verfolgung durch die Menschen zu schützen. 
				Und 
				als er einmal brüten wollte,
				flog er zu einem Berg, der ins Meer hineinragte, erblickte einen 
				Felsen am Meer 
				und baute dort sein Nest. Als er aber einmal 
				ausflog, um Futter zu suchen, geschah es, daß das Meer von einem 
				gewaltigen Sturm aufgewühlt wurde und bis zur Höhe des Nestes 
				anstieg. Es überspülte das Nest, und die Jungen 
				kamen um. Als 
				der Eisvogel zurückkam und sah, was geschehen war, sagte er: 
				»Ach, was für ein Unglück! 
				Ich mied das Land, weil ich es für 
				gefährlich hielt,
				und zog mich aufs Meer zurück, das sich als noch unzuverlässiger 
				erwies.« 
				 
				So geht es auch manchen Menschen, die sich vor ihren Feinden 
				schützen wollen, aber nicht merken, daß sie sich 
				Freunden 
				ausliefern, die noch viel schlimmer sind als ihre Feinde. 
				 
				Der Esel auf Probe 
				 
				Ein Mann kaufte einen Esel, aber nicht gleich endgültig, sondern 
				er machte eine Probezeit aus. Als er mit ihm in 
				seinen Hof kam, wo schon mehrere Esel teils bei der Arbeit, 
				teils bei der Abfütterung waren, ließ er ihn frei laufen. 
				Sogleich trottete der neue zu dem faulsten und gefräßigsten 
				Gefährten und stellte sich zu ihm an die Futterkrippe. 
				Da legte ihm der Mann den Strick wieder um den Hals und brachte 
				ihn dem bisherigen Besitzer zurück. 
				»So schnell kannst du ihn doch gar nicht erprobt haben«, 
				wunderte sich der. 
				»O mir genügt, was ich gesehen und erfahren habe: Nach der 
				Gesellschaft, die er sich ausgesucht hat, ist er ein übler 
				Bursche!«
  
				
				
				Der Esel und der Eseltreiber 
				 
				Ein Eseltreiber trieb einen Esel vor sich her. Als sie ein 
				kleines Stück des Weges vorangekommen waren, verließ der Esel 
				den bequemen Pfad und kletterte einen steilen Abhang hinab. Als 
				er dann aber abzurutschen drohte, 
				packte der Eseltreiber ihn am Schwanz und versuchte, den Esel in 
				die richtige Richtung zu drehen. Als sich dieser aber heftig 
				dagegen wehrte, ließ er ihn los und sagte: »Behalte nur die 
				Oberhand! Denn du trägst einen schlechten Sieg davon.« 
				 
				Die Geschichte paßt gut auf einen Menschen, der um jeden Preis 
				die Oberhand behalten will. 
				 
				
				
				
				Der Esel, der Fuchs und der Löwe 
				 
				Ein Esel und ein Fuchs schlossen ein Bündnis miteinander und 
				gingen auf die Jagd. Als ihnen zufällig ein Löwe begegnete, 
				erkannte der Fuchs die drohende Gefahr, lief auf den Löwen zu 
				und versprach, ihm den Esel auszuliefern, wenn er ihm die eigene 
				Sicherheit garantiere. Als der Löwe ihm gesagt hatte, daß er ihn 
				in Ruhe lasse, führte der Fuchs den Esel an eine Fallgrube und 
				ließ ihn hineinstürzen. Als dann der Löwe sah, daß der Esel 
				nicht weglaufen konnte, packte er zuerst den Fuchs und machte 
				sich dann ebenso über den Esel her. 
				 
				So merken oft diejenigen, die ihre Freunde hintergehen, nicht, 
				daß sie sich selbst zugrunde richten.
  
				
				
				Der Esel und der Gärtner 
				 
				Ein Esel diente einem Gärtner. Da er zwar wenig zu fressen bekam 
				aber viel Böses zu erdulden hatte, betete er zu Zeus, daß er ihn 
				von dem Gärtner befreie und einem anderen Herrn überlasse. Zeus 
				schickte daraufhin Hermes und ließ ihn dem Gärtner befehlen, den 
				Esel einem Töpfer zu verkaufen. Dort hatte der Esel aber erneut 
				Übles zu 
				erdulden. Als er gezwungen wurde, noch viel größere Lasten zu 
				tragen und Zeus um Hilfe anrief, brachte Zeus den Gerber dazu, 
				ihn zu kaufen. Als dann der Esel sah, was sein Herr tat, sagte 
				er: »Ach, es war erstrebenswerter für mich, bei meinem früheren 
				Herren Lasten zu tragen und zu hungern als hier zu bleiben, wo 
				ich, wenn ich einmal sterbe, nicht einmal ein Begräbnis bekommen 
				werde.« 
				 
				Die Geschichte zeigt, daß die Sklaven sich dann besonders nach 
				ihren früheren Herren zurücksehnen, wenn sie 
				andere erlebt haben. 
				 
				
				
				Der Esel und der Hund 
				 
				Der Esel und der Hund hatten den gleichen Weg. Da fanden sie auf 
				der Erde ein versiegeltes Schriftstück. 
				Das hob der Esel auf, erbrach das Siegel, faltete das Blatt 
				auseinender und las den Text dem Hunde vor. 
				Über Weideangelegenheiten handelte das Schriftstück, das heißt 
				über Grünfutter, Gerste und Spreu. Verdrießlich nahm der Hund 
				zur Kenntnis, was der Esel vorzutragen hatte. Schließlich 
				unterbrach er ihn: »Sieh doch einmal ein bißchen weiter unten 
				nach, liebster Freund, ob du da nicht etwas über Fleisch und 
				Knochen ausgesagt findest!« 
				Der Esel ging das ganze Schriftstück durch, ohne finden zu 
				können, wonach der Hund gesucht hatte; da entgegnete dieser: 
				»Wirf das Papier fort, mein Lieber; es ist gänzlich ohne 
				Bedeutung!«
  
				
				
				Der Esel, der Rabe und der Hirt 
				 
				Auf einer Wiese weidete ein Esel, der sich den Rücken wund 
				geschunden hatte. Dies sah ein Rabe, flog auf den Esel zu, 
				setzte sich auf dessen Rücken und fing an, mit dem Schnabel in 
				das rohe Fleisch zu picken. 
				Dies schmerzte den Esel sehr, und obgleich er sich bemühte, den 
				lästigen Gast los zu werden, gelang es ihm nicht. 
				Wenige Schritte davon lag sein Hüter, der mit einem Worte den 
				Raben hätte vertreiben können. Der aber ergötzte sich an den 
				tollen und possierlichen Sprüngen und Gesichtern, welche der 
				Esel von Schmerz getrieben machte, und lachte laut dazu. 
				»Oh!« rief der Esel aus, »jetzt fühle ich wirklich meine 
				Schmerzen doppelt, weil mich auch der verlacht, der mir 
				helfen könnte und sollte.« 
				 
				Statt Hilfe Hohn zum Schaden schmerzt doppelt. 
				 
				Der Esel, der Rabe und der Wolf
				eine 
				 
			andere Version 
				 
				Ein Esel mit einem Geschwür auf dem Rücken weidete auf 
				irgendeiner Wiese. Ein Rabe setzte sich auf ihn und pickte in 
				dem Geschwür herum. Der Esel bäumte sich vor Schmerz auf und 
				sprang in die Höhe. Weiter entfernt stand der Eseltreiber und 
				lachte. Ein Wolf kam hinzu, sah dies und sprach zu sich selbst: 
				»Wir unseligen Wölfe, die wir schon verfolgt werden, wenn man 
				uns nur von weitem sieht, aber über diesen Esel, lachen sie dazu 
				auch noch.« 
				 
				Die Geschichte veranschaulicht, daß die schlechten Menschen auch 
				von weitem schon als solche erkennbar sind. 
				 
				
				
				
				Der Esel und die Frösche 
				 
				Ein Esel durchquerte mit einer Ladung Holz einen See. Er 
				rutschte aber aus, und als er hingefallen war, konnte er nicht 
				mehr aufstehen. Er jammerte und klagte. Die Frösche in dem See 
				hörten sein Gejammer und sagten: 
				»Freund, was würdest du denn tun, wenn du schon so lange wie wir 
				hier lebtest, wo du doch gerade erst gestürzt bist und schon so 
				heftig klagst?« 
				 
				Diese Geschichte könnte jemand, der selbst die meisten Mühen 
				ohne weiteres auf sich nimmt, auf einen wehleidigen  Menschen 
				anwenden, der schon über die geringsten Anstrengungen klagt. 
				 
				Der Esel und die Grillen 
				 
				Ein Esel hörte Grillen zirpen und freute sich über den 
				Wohlklang. Als er aber ihr Singen nachzuahmen versuchte, 
				fragte er sie, welche Nahrung sie zu sich nähmen, um so zirpen 
				zu können. Sie aber antworteten: »Tau.« Der Esel ernährte sich 
				daraufhin nur von Tau und verhungerte. 
				 
				So geraten auch diejenigen in größtes Unglück, die nach etwas 
				streben, was gegen ihre Natur ist, abgesehen davon, daß sie es 
				nicht erreichen. 
				 
				Der Esel und die Ziege 
				 
				Ein Bauer hatte einen Esel und eine Ziege. Weil nun der Esel 
				sehr viel arbeiten und große Lasten tragen mußte, 
				erhielt er ein reichlicheres und besseres Futter als die Ziege. 
				Diese beneidete den Esel, und um ihn um die bessere Kost zu 
				bringen, oder doch wenigstens ihm Schläge einzutragen, sprach 
				sie eines Tages zu ihm: »Höre, lieber 
				Freund! Oft schon habe ich dich von Herzen bedauert, daß du Tag 
				für Tag die schwersten Lasten tragen und vom Morgen bis Abend 
				arbeiten mußt; ich möchte dir wohl einen guten Rat geben.« 
				»Warum nicht?« sagte der Esel, »ich bitte dich sogar darum!« 
				»Nun, so höre: Wenn du an eine Grube kommst, so stürze dich 
				hinein, stelle dich verletzt, und dann wirst du längere Zeit 
				Ruhe haben und nichts arbeiten dürfen.« 
				Dem Esel schien dies ein ganz guter Vorschlag, und kaum war er 
				anderntags mit einer Last bei einer Grube angekommen, als er 
				auch schon den Rat befolgte. Wie aus Zufall trat er fehl und 
				stürzte hinein. Aber das hatte er sich nicht gedacht! Halb tot 
				lag er da und daß er sich nicht ein Bein gebrochen, war ein 
				Glück. Ganz geschunden wurde er herausgeholt und konnte sich 
				kaum nach Hause schleppen. 
				Sein Herr hatte nichts Eiligeres zu tun, als zu einem Vieharzt 
				zu schicken, der dann verordnete: der Kranke solle eine frische, 
				pulverisierte Ziegenlunge einnehmen. 
				Da dem Herrn der Esel mehr wert war als die Ziege, so ließ er 
				diese sofort schlachten, um den Esel zu retten. 
				So büßte die Ziege für ihren bösen Rat mit dem Leben. 
				 
				Die Folgen des Neides gereichen nicht selten dem Neider selbst 
				zum Verderben.
  
				
				
				Der Esel und das Maultier 1 
				 
				Ein Eseltreiber legte einem Esel und einem Maultier Lasten auf 
				und trieb sie vorwärts. Solange der Weg eben war, konnte der 
				Esel das Gewicht aushalten. Als man aber ins Gebirge kam, war er 
				nicht mehr imstande, die Last zu tragen, und bat das Maultier, 
				ihm einen Teil seiner Last abzunehmen, um selbst den übrigen 
				Teil weitertragen zu können. Das Maultier aber hörte nicht auf 
				die Worte des Esels. Darauf brach dieser zusammen und verendete. 
				Der Eselstreiber sah keine andere Möglichkeit: Er lud dem 
				Maultier nicht nur die Last des Esels auf, sondern packte auch 
				noch das Fell des Esels dazu. Weil das Maultier jetzt keine 
				geringe Last auf dem Rücken hatte, sprach es zu sich selbst: 
				»Das geschieht mir recht. Denn wenn ich mich hätte erweichen 
				lassen, als mich der Esel bat, ihm ein wenig zu entlasten, müßte 
				ich jetzt nicht zusammen mit seiner Last auch noch ihn selbst 
				tragen.« 
				 
				So verlieren oft auch manche Gläubiger aus Geldgier sogar die 
				gesamte Summe, wenn sie sich weigern, 
				ihren Schuldnern einen kleinen Teil nachzulassen. 
				 
				Der Esel und das Maultier 2
				 
				Eine 
			andere Version 
				 
				Der Esel und das Maultier zogen denselben Weg. Als der Esel 
				merkte, daß sie beide die gleichen Lasten hatten, wurde er 
				ärgerlich und beklagte sich darüber, daß das Maultier, welches 
				das doppelte Futter bekäme, nicht mehr zu tragen brauche. Sie 
				waren nur wenig weitergegangen, da merkte der Treiber, daß der 
				Esel nicht mehr tragen konnte, und nahm ihm etwas von seiner 
				Last und legte sie dem Maultier auf. Und als sie wieder ein 
				Stück weitergekommen waren, sah er, daß der Esel sich immer mehr 
				erschöpfte, und entlastete ihn aufs neue, bis er schließlich 
				alles von dem Esel fortgenommen und statt dessen dem Maultier 
				auferlegt hatte. Da blickte dieses auf den Esel und sagte zu 
				ihm: »Nun, Kamerad, scheint dir es jetzt berechtigt, daß man mir 
				doppeltes Futter zubilligt?« 
				 
				So müssen auch wir die Lage eines jeden nicht vom Ausgangspunkt, 
				sondern vom Ergebnis her beurteilen.
  
			
				
				
				Der Esel und das Pferd 
				 
				Ein Esel, der nach der größten Anstrengung nicht einmal Streu 
				genug erhielt, um seinen Hunger zu stillen, und unter seiner 
				schweren Bürde kaum noch fortkriechen konnte, hielt ein schönes, 
				prächtig geschmücktes Pferd für glücklich, weil es so gut und im 
				Überfluß gefüttert würde. Ach, wie sehr wünschte er mit diesem 
				Tiere tauschen zu können. 
				Allein nach einigen Monaten erblickte er dasselbe Pferd lahm und 
				abgezehrt an einem Karren. »Ist dies Zauberei?« fragte er. 
				»Beinahe«, antwortete traurig das Pferd; eine Kugel traf mich, 
				mein Herr stürzte mit mir und verkaufte 
				mich zum Dank um ein Spottgeld; lahm und kraftlos, wie ich jetzt 
				bin, wirst du gewiß nicht mehr mich beneiden und mit mir 
				tauschen wollen.« 
				 
				Wie oft das größte Glück zerstört ein Augenblick! 
				 
				
				
				Der Fischer 
				 
				Ein Fischer, der sein Netz zum Fang im Meer auswarf, bemächtigte 
				sich der großen Fische und brachte sie an Land; die kleinen aber 
				schlüpften durch die Maschen und entkamen ins Meer. 
				 
				Leicht retten sich die, die nicht zu prominent sind; die hohen 
				Würdenträger aber sieht man nur selten dem Strafgericht 
				entgehen. 
				 
				Der Fischer im trüben Wasser 
				 
				Ein Fischer fischte in einem Fluß. Er spannte seine Netze von 
				beiden Flußufern durch den Fluß, band einen Stein an ein Tau und 
				schlug damit ins Wasser, damit die Fische auf der Flucht ins 
				Netz gerieten, ohne es zu merken. 
				Ein Anlieger beobachtete ihn bei dieser Tätigkeit und schalt 
				ihn, weil er den Fluß trübe und ihn kein klares Wasser mehr 
				trinken ließe. Der aber sprach: »Wird der Fluß nicht so 
				aufgewirbelt, so müßte ich Hungers sterben.« 
				 
				So strengen sich auch im Staate die Demagogen dann am meisten 
				an, wenn sie ihr Land in Bürgerzwist stürzen. 
				 
				Der Fischer und die Sardelle 
				 
				Ein Fischer ließ sein Netz ins Wasser und holte eine Sardelle 
				herauf. Sie aber flehte in an, sie zum gegenwärtigen Zeitpunkt 
				zu verschonen, da sie doch noch so klein sei, und sie später, 
				wenn sie erst einmal groß sei, zu größerem Nutzen zu fangen. Da 
				sagte der Fischer: »Ich wäre doch verrückt, wenn ich das, was 
				ich bekommen und in meinen Händen habe, losließe und mich einer 
				ungewissen Hoffnung hingäbe.« 
				 
				Die Geschichte zeigt, daß der gegenwärtig vorhandene Gewinn, 
				auch wenn er klein ist, dem erwarteten 
				vorzuziehen ist, auch wenn dieser groß zu sein verspricht. 
					 
					
				
				Der Fischer und der Thunfisch 
				 
				Fischer, die hinausgefahren waren, um etwas zu fangen, und, 
				obwohl sie sich lange Zeit abgemüht hatten, 
				nichts fangen konnten, saßen mutlos in ihrem Boot. Da sprang ein 
				Thunfisch, der verfolgt und mit gewaltigem 
				Zischen aus dem Wasser geschleudert wurde, aus Versehen in den 
				Kahn. Die Fischer packten ihn und gingen in die Stadt, um ihn zu 
				verkaufen. 
				 
				So schenkt oft das Glück, was die Kunst nicht schafft. 
				 
				Der Fischer mit der Flöte 
				 
				Ein Fischer, der Flöte blasen konnte, nahm seine Flöte und seine 
				Netze und ging zum Meer. Er stellte sich auf einen Felsvorsprung 
				und spielte zunächst ein Lied. Denn er glaubte, daß die Fische 
				von selbst aus dem Wasser springen würden, um den lieblichen 
				Klang zu hören. Aber obwohl er sich sehr anstrengte, hatte er 
				keinen Erfolg. Er warf seine Flöte weg, nahm das Netz, 
				schleuderte es in das Wasser hinab und fing viele Fische. Dann 
				warf er sie aus dem Netz heraus auf den Strand, und als er sie 
				zappeln sah, sagte er: »Ach, ihr elendesten Geschöpfe, als ich 
				Flöte blies, wolltet ihr nicht tanzen, jetzt aber, wo ich damit 
				aufgehört habe, tut ihr es.«
  
					
					Anmerkung: 
				Dieselbe Fabel läßt Herodot von 
				Halikarnassos (*485 v.Chr.,† 425 v.Chr.) den
			siegreichen 
				Perserkönig Kyros erzählen. 
				(I, I4I, I-3 und 4 Anfang) 
					
					
					
					 
			
			 
			                                                                            
				             
				                         
				
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