Fabelverzeichnis

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Die Affen als Städtebauer

Die Affen versammelten sich und berieten sich über die Notwendigkeit, eine Stadt zu gründen. Sie beschlossen es und waren im Begriff, das Werk zu beginnen, da hielt sie ein alter Affe zurück, indem er darauf hinwies, daß sie leichter gefangen werden könnten, wenn man sie innerhalb eines Walles fände.

Die Alte und der Arzt

Eine alte Frau hatte ein Augenleiden. Sie rief einen Arzt gegen ein Honorar zu sich. Er kam zu ihr und jedes Mal, wenn er Salbe auftrug und die Frau die Augen geschlossen hatte, schaffte er nach und nach ihre gesamte Habe fort. Als er aber alles herausgetragen und die Frau geheilt hatte, verlangte er das vereinbarte Honorar. Weil sie aber nicht zahlen wollte, brachte er sie vor Gericht. Sie erklärte, sie habe dem Arzt tatsächlich ein Honorar versprochen, wenn er ihre Augen geheilt habe. Jetzt aber sei sie trotz seiner Behandlung in einem noch schlimmeren Zustand als vorher. »Damals nämlich sah ich alle meine Möbel im Haus, jetzt aber kann ich gar nichts mehr sehen.«

So ziehen sich die schlechten Menschen aufgrund ihrer Habgier Schimpf und Schande zu.

Die Ameise

Die heutige Ameise war einst ein Mensch, der sich mit der Landwirtschaft befaßte, aber nicht genug an den Mühen hatte, die er für seine eigenen Aufgaben aufwandte, sondern dauernd seine Augen auch auf fremden Besitz warf und den Nachbarn ihre Erträge wegnahm. Zeus aber ärgerte sich über dessen Habgier und verwandelte ihn in dieses Tier, das Ameise heißt. Er hatte seine Gestalt zwar verändert, aber nicht seinen Charakter. Denn bis heute läuft er auf den Feldern herum und sammelt Körner des Weizens und der Gerste, die anderen gehören, und hebt sie für sich auf.

Die Geschichte zeigt, daß die von Natur aus Bösen, auch wenn sie besonders hart bestraft werden, ihr Wesen nicht verändern.

Die Ameise und der Mistkäfer

Im Sommer ging eine Ameise über das Feld, sammelte Weizen und Gerste und hob sich das Getreide auf als Nahrung für den Winter. Ein Käfer sah dies und bedauerte ihr schweres Schicksal, weil sie sich zu einer Zeit abmühte, wo die anderen Tiere frei von Anstrengungen seien und sich erholten. Auch der Käfer ruhte sich damals aus. Später aber, als der Winter kam und der Mist vom Regen aufgelöst war, kam der Mistkäfer hungrig zur Ameise und bat sie darum, daß sie ihm etwas von ihrer Nahrung gebe. Sie sagte aber zu ihm: »Du, Mistkäfer, wenn du dich damals angestrengt hättest, als du mir meinen Fleiß vorwarfst, würde dir jetzt das Futter nicht fehlen.«

So ergeht es denen, die sich, solange es ihnen gut geht, keine Gedanken um die Zukunft machen und dann, wenn sich die Umstände ändern, in großes Unglück geraten.

Die Ameise und die Taube

Eine durstige Ameise war zum Quell gekommen, wurde von der Strömung fortgeschwemmt und drohte zu ertrinken. Eine Taube sah es, brach einen Zweig von einem Baum und warf ihn in das Wasser. Die Ameise kletterte darauf und rettete sich so. Da stellte ein Vogelsteller der Taube nach, um sie mit einer Leimrute einzufangen. Dies sah die Ameise und biß den Vogelsteller in den Fuß. Vor Schmerz ließ er die Rute fallen, und sogleich konnte die Taube entfliehen.

Die Fabel zeigt, daß man seinen Wohltätern dankbar sein soll.

Die Bäume und der Ölbaum

Die Bäume machten sich einst auf den Weg, um sich einen König zu salben. Dabei sagten sie zu dem Ölbaum: »Sei König über uns!« Doch der Ölbaum antwortete ihnen: »Soll ich meine Fettigkeit hassen, die Gott und die Menschen an mir priesen, und hingehen, um über die Bäume zu herrschen?« Da sprachen die Bäume zum Feigenbaum: »Komm und regiere uns!«
Doch der Feigenbaum entgegnete ihnen: »Soll ich meine Süßigkeit und meine gute Frucht hingeben und mich aufmachen, um über die Bäume zu herrschen?« Da wandten sich die Bäume an den Dornbusch: »Komm, sei du König über uns!« Da sprach der Dornbusch zu den Bäumen: »Wenn ihr mich wirklich zum König über euch salben wollt, nun, dann tretet in meinen Schutz! Wenn nicht, dann soll Feuer von dem Dornbusch ausgehen und die Zedern des Libanon verschlingen.«

Die Bettelpriester

Bettelpriester besaßen einen Esel. Sie waren es gewohnt, diesem alles, was sie hatten, aufzuladen, und ihre Runden zu ziehen. Als er eines Tages vor Erschöpfung starb, zogen sie ihm das Fell ab. Aus der Haut stellten sie Trommeln her und schlugen auch darauf. Als ihnen einmal andere Bettelpriester begegneten und sie fragten, wo denn der Esel sei, sagten sie, daß er tot sei. Aber er bekomme so viele Schläge, wie er sie nicht einmal zu Lebzeiten ertragen mußte.

So ergeht es auch manchen Sklaven, die sich von niederer Arbeit nicht befreien können, auch wenn sie aus der Sklaverei entlassen sind.

Anmerkung: Die Bettelpriester (Menargyten) sind Priester der Rhea, die die Menschen besuchen um bei ihnen zu betteln. Rhea war die Mutter des Zeus.

Die beiden Frösche

Zwei Frösche, deren Tümpel die heiße Sommersonne ausgetrocknet hatte, gingen auf die Wanderschaft. Gegen Abend kamen sie in die Kammer eines Bauernhofs und fanden dort eine große Schüssel Milch vor, die zum Abrahmen aufgestellt worden war. Sie hüpften sogleich hinein und ließen es sich schmecken.
Als sie ihren Durst gestillt hatten und wieder ins Freie wollten, konnten sie es nicht: die glatte Wand der Schüssel war nicht zu bezwingen, und sie rutschten immer wieder in die Milch zurück.
Viele Stunden mühten sie sich nun vergeblich ab, und ihre Schenkel wurden allmählich immer matter.
Da quakte der eine Frosch: »Alles Strampeln ist umsonst, das Schicksal ist gegen uns, ich geb's auf!« Er machte keine Bewegung mehr, glitt auf den Boden des Gefäßes und ertrank. Sein Gefährte aber kämpfte verzweifelt weiter bis tief in die Nacht hinein. Da fühlte er den ersten festen Butterbrocken unter seinen Füßen, er stieß sich mit letzter Kraft ab und war im Freien.

Die beiden Hähne

Von zwei Hähnen, welche um Hennen miteinander kämpften, behielt der eine die Oberhand über den andern. Der Überwundene zog sich zurück und verbarg sich an einem dunklen Orte; der Sieger aber flog aufwärts, stellte sich auf eine hohe Wand und krähte mit lauter Stimme. Da schoß jählings ein Adler herab und nahm ihn mit sich fort. Nunmehr kam der Versteckte ungehindert wieder aus seinem Verschlupf hervor und gesellte sich zu den Hennen.

Die Hoffart ist zu meiden

Die Bienen und Zeus

Die Bienen mißgönnten den Menschen ihren Honig. Sie kamen zu Zeus und baten ihn, ihnen die Kraft zu verleihen, mit ihren Stacheln alle, die sich ihren Waben näherten, zu stechen und zu töten. Zeus aber ärgerte sich über sie wegen ihrer Mißgunst und richtete es so ein, daß sie, wenn sie jemanden stachen, ihren Stachel und anschließend auch ihr Leben verloren.

Diese Geschichte dürfte auf mißgünstige Menschen zutreffen, die es darum sogar ertragen, selbst Schaden zu erleiden.

Die Bienen und der Hirte

In einer hohlen Eiche stellten Bienen Honig her. Ein Hirte überraschte sie bei ihrer Arbeit und schickte sich an, ihnen den Honig wegzunehmen. Sie aber flogen von allen Seiten herbei und stachen ihn mit ihren Stacheln. Schließlich rief er aus: »Ich gehe ja schon, ich brauche keinen Honig, wenn ich es deshalb mit den Bienen zu tun bekomme.«

Unrecht Gut bringt den, der ihm nachjagt, in Gefahr.

Die Delphine und der Gründling
(Karpfenart)

Delphine und Wale stritten miteinander. Als der Streit auszuarten drohte, tauchte ein Gründling auf und versuchte, die Streitenden auseinander zu bringen. Einer der Delphine ergriff das Wort und sagte zu ihm: »Wir wollen uns lieber im Kampf gegenseitig umbringen als dich als Streitschlichter hinnehmen.«

So ergeht es anscheinend auch manchen Menschen, die keine Anerkennung genießen, wenn sie einen Streit schlichten wollen.

Die Diebe und der Hahn

Diebe drangen in ein Haus ein, fanden dann aber nichts weiter als einen Hahn. Sie packten diesen und verschwanden. Als er aber von ihnen als Opfer dargebracht werden sollte, bat er sie, ihn am Leben zu lassen. Er sagte, er sei den Menschen nützlich, weil er sie im Morgengrauen zur Arbeit wecke. Doch sie erwiderten ihm: »Ja, gerade deshalb haben wir noch mehr Grund, dich zu opfern. Denn weil du jene weckst, läßt du uns nicht stehlen!«

Die Geschichte zeigt, daß die Dinge den Übeltätern am meisten schaden, die den anständigen Menschen nützlich sind.

Die Dohle auf der Flucht

Jemand fing eine Dohle, band einen Faden an ihren Fuß und schenkte sie seinem Kind. Sie konnte aber das Leben unter den Menschen nicht ertragen, und als sie für einen Augenblick losgelassen wurde, floh sie und erreichte ihr Nest. Als sich aber das Band in den Zweigen verwickelte, konnte sie nicht mehr fortfliegen, und als sie sterben sollte, sprach sie: »Ach, ich Unglückselige; weil ich die Knechtschaft bei den Menschen nicht aushalten konnte, habe ich auch noch mir selbst das Leben genommen!«

Diese Geschichte könnte auf jene Menschen passen, die sich geringen Gefahren entziehen wollen und dann unbeabsichtigt in weitaus gefährlichere Situationen geraten.

Die Dohle und der Fuchs

Eine hungrige Dohle setzte sich auf einen Feigenbaum. Sie fand aber, daß die Feigen noch nicht reif waren. Also wollte sie warten, bis sie gereift waren. Als ein Fuchs sah, womit die Dohle ihre Zeit verbrachte und den Grund dafür von ihr erfuhr, sagte er: »Du bist wirklich auf dem falschen Weg, liebe Freundin, indem du dich einer Hoffnung hingibst, die zwar zu täuschen, aber niemals zu ernähren weiß.«

Auf einen Menschen, der die Unwahrheit sagt.

Die Dohle und die anderen Vögel

Zeus wollte einen König der Vögel einsetzen und er gab ihnen einen bestimmten Zeitpunkt an, zu dem sie sich einfinden sollten. Eine Dohle aber, die sich ihrer Unansehnlichkeit bewußt war, ging überall herum und hob die Federn auf, die anderen Vögeln ausgefallen waren, und steckte sie sich an. Als der Tag gekommen war, kam sie bunt geschmückt zu Zeus. Als Zeus vorhatte, die Dohle wegen ihrer auffallenden Erscheinung zum König zu ernennen, ärgerten sich die anderen Vögel und umringten die Dohle. Und jeder einzelne Vogel nahm seine Feder aus ihrem Gefieder wieder heraus. So geschah es, daß sie ihren Federschmuck verlor und wieder eine Dohle wurde.

So ist es auch bei den Menschen: Solange die Schuldner fremdes Geld besitzen, scheinen sie bedeutend zu sein. Sobald sie es aber zurückgeben, finden sie sich so wieder, wie sie ursprünglich waren.

Die Dohle und die Raben

Eine Dohle, die sich von den anderen Dohlen durch ihre Größe unterschied, verachtete ihre Artgenossen. Sie schloß sich den Raben an und wollte mit ihnen zusammenleben. Diese aber störten sich an ihrem Aussehen und ihrer Stimme, schlugen und verjagten sie. Und als die Dohle von den Raben vertrieben worden war, kam sie wieder zu ihren Artgenossen zurück. Aber weil sich die Dohlen über ihre Überheblichkeit ärgerten, nahmen sie sie nicht wieder auf. So geschah es, daß sie von beiden ausgeschlossen wurde.

So ergeht es auch den Menschen, die ihre Heimat verlassen, die Fremde vorziehen und dort nicht anerkannt werden, weil sie eben Fremde sind, und von den eigenen Mitbürgern wegen ihrer Überheblichkeit abgelehnt werden.

Die Dohle und die Tauben

Als eine Dohle Tauben erblickt hatte, die in einem Taubenschlag gutes Futter erhielten, färbte sie sich weiß und kam zu den Tauben, um an derselben Mahlzeit teilzunehmen. Solange die Dohle keinen Ton von sich gab, glaubten sie, daß sie eine Taube sei, und ließen sie an das Futter heran. Als sie aber einmal aus Versehen etwas sagte, da erkannten sie ihre Stimme und verjagten sie. Und da sie kein Taubenfutter bekommen konnte, kehrte sie wieder zu den Dohlen zurück. Aber jene erkannten sie wegen ihrer Farbe nicht und hielten sie von der gemeinsamen Mahlzeit fern. So geschah es, daß sie zwei Dinge zu bekommen versuchte, aber keines wirklich bekam.

Aber auch wir müssen uns mit dem, was wir haben, zufrieden geben und dabei bedenken, daß die Gier nach mehr nicht nur keinen Nutzen bringt, sondern oft auch zum Verlust des Vorhandenen führt.

Die Drossel im Myrtenbusch

Eine Drossel lebte in einem Myrtenbusch. Weil die Früchte so süß waren, konnte sie nie genug kriegen. Aber ein Vogelsteller lauerte ihr auf, stellte ihr eine Falle, während sie dort saß, und fing sie. Und als sie sterben sollte, sagte sie: »Ach, ich Unglückliche, weil mein Futter so süß war, verliere ich mein Leben.«

Die Geschichte paßt auf einen Menschen, der unersättlich ist und an seiner Gier zugrunde geht.

Die durstige Taube

Eine Taube hatte großen Durst. Als sie auf einem Gemälde einen Krug mit Wasser abgebildet sah, nahm sie an, daß es ein wirklicher Krug sei. Darum erhob sie sich mit großem Schwung und stürzte sich unversehens auf das Gemälde. So passierte es ihr, daß sie sich die Flügel brach, auf die Erde fiel und von einem, der zufällig vorbeikam, gefangen wurde.

So stürzen sich manche Menschen in ihr Verderben, wenn sie sich aufgrund heftiger Begierden ohne Überlegung mit den Dingen befassen.

Die Eiche und das Schilfrohr

Eine Eiche und ein Schilfrohr stritten über ihre Stärke. Als aber ein heftiger Wind aufkam, bog sich das Schilfrohr, neigte sich vor dem Wehen des Windes und blieb fest im Boden. Die Eiche aber, die sich dem Wind mit ganzer Kraft entgegenstemmte, wurde entwurzelt.

Die Geschichte zeigt, daß es keinen Zweck hat, mit den Mächtigeren zu streiten oder ihnen Widerstand zu leisten.

Die Eichen und Zeus

Die Eichen führten Klage vor Zeus: »Weshalb hast du uns erschaffen, da es uns doch bestimmt ist, von den Menschen gefällt zu werden?« Jener hingegen erwiderte: »Daß ihr gefällt werdet, daran bin nicht ich, sondern seid ihr selbst schuld. Denn ließet ihr euch keine Stämme wachsen, würde euch die Axt auch nicht fällen.«

Die Esel vor Zeus

Weil die Esel einmal darüber aufgebracht waren, daß sie fortwährend Lasten tragen und Leiden erdulden mußten, schickten sie Gesandte zu Zeus, um eine Befreiung von den Mühen zu erbitten. Weil Zeus ihnen aber zeigen wollte, daß dies unmöglich ist, erklärte er, sie würden dann von ihren Leiden befreit, wenn sie beim Pinkeln einen Fluß entstehen ließen. Und weil jene annahmen, daß er es ernst meinte, stellen sie sich seitdem bis auf den heutigen Tag an die Stelle, wo sie sehen, daß schon einer von ihnen hingepinkelt hat, um auch selbst dort zu pinkeln.

Die Geschichte veranschaulicht, daß das Schicksal, das jedem einzelnen bestimmt ist, nicht zu beeinflussen ist.

Anmerkung: Das zwanghafte Pinkeln der Esel wird ätiologisch-ursächlich, begründend- erklärt.

Die Eule und die Vögel

Die Eule, weise wie sie ist, riet den Vögeln, die Aussaat von Eicheln von Anfang an nicht zuzulassen, sondern sie unbedingt zu vernichten, denn von der Eiche käme ein schädlicher Stoff, mit dem man sie fangen würde. Wiederum, als die Menschen Leinsaat säten, gebot sie ihnen, auch diesen Samen aufzupicken, denn nicht zum Guten werde er ihnen angebaut. Zum dritten: Als sie einen Bogenschützen sah, prophezeite sie: »Dieser Mensch wird euch mit euren eigenen Schwingen erjagen, denn ob er gleich zu Fuß geht, wird er geflügelte Geschoße auf euch los lassen.« Die Vögel aber glaubten ihr nicht, sondern sagten, sie sei unvernünftig, ja verrückt. Später aber, durch Erfahrung belehrt, staunten sie und hielten sie in der Tat für den weisesten aller Vögel.
Wenn sie sich daher zeigt, fliegen alle auf sie zu, weil sie ja alles wisse, sie aber pflegt nicht mehr Rat mit ihnen, sondern ächzt nur.

Die Feinde

Zwei Feinde fuhren mit denselben Schiff. Weil sie möglichst weit voneinander entfernt sein wollten, ging der eine zum Bug, der andere zum Heck, und dort blieben sie. Ein mächtiger Sturm packte das Schiff und ließ es kentern. Da fragte der Mann am Heck den Steuermann mit welchem Teil das Schiff zuerst unterzugehen drohe. Der Steuermann erwiderte ihm: »Mit dem Bug.« Daraufhin sagte er: »Dann tut es mir nicht mehr leid zu sterben, wenn ich mit ansehen kann, wie mein Feind vor mir ertrinkt.«

So nehmen es manche Menschen aus Hass gegen ihre Mitmenschen auf sich, auch selbst großes Leid zu ertragen, nur um jene im Unglück zu sehen.

Die Fischer und der Thunfisch

Fischer, die hinausgefahren waren, um etwas zu fangen, und, obwohl sie sich lange Zeit abgemüht hatten, nichts fangen konnten, saßen mutlos in ihrem Boot. Da sprang ein Thunfisch, der verfolgt und mit gewaltigem Zischen aus dem Wasser geschleudert wurde, aus Versehen in den Kahn. Die Fischer packten ihn und gingen in die Stadt, um ihn zu verkaufen.

So schenkt oft das Glück, was die Kunst nicht schafft.

Die Fledermaus und die Katzen

Eine Fledermaus fiel auf die Erde und wurde von einer Katze gefangen. Als sie schon sterben sollte, bat sie um ihr Leben. Als aber die Katze sagte, sie könne sie nicht freilassen, denn sie sei eine natürliche Feindin aller geflügelten Lebewesen, sagte die Fledermaus, sie sei kein Vogel, sondern eine Maus, und daraufhin wurde sie losgelassen. Später aber fiel sie wieder auf die Erde, wurde von einer anderen Katze gefangen und bat darum, daß diese sie freilasse. Als die Katze aber erklärte, sie sei eine Feindin aller Mäuse, sagte die Fledermaus, sie sei keine Maus, sondern eine Fledermaus. Da wurde sie wiederum frei gelassen. So passierte es ihr, daß ihr die zweimalige Namensänderung das Leben rettete.

Aber es ist nun notwendig, daß auch wir nicht immer auf demselben Standpunkt beharren, sondern bedenken, daß diejenigen, die sich den Umständen anpassen, oft auch den schlimmsten Gefahren entgehen.

Die Fledermaus, der Dornbusch und die Möwe

Eine Fledermaus, ein Dornbusch und eine Möwe schlossen sich zu einer Gemeinschaft zusammen und entschieden sich, ein Geschäft zu betreiben. Da lieh die Fledermaus Geld und stellte es für diesen Zweck zur Verfügung. Der Dornbusch brachte Kleidung mit. Die Möwe kaufte Erz, lud es auf ein Schiff und fuhr los. Als ein heftiges Unwetter aufkam und das Schiff kenterte, verloren sie zwar alles, konnten sich aber an Land retten. Seit jenem Vorfall sucht die Möwe das Erz auf dem Grund des Meeres, weil sie glaubt, es irgendwann einmal zu finden. Die Fledermaus zeigt sich aus Angst vor den Gläubigern nie am Tag, sondern geht nur nachts auf Nahrungssuche aus. Der Dornbusch schließlich ist hinter den Kleidern her und krallt sich an den Mänteln der Vorübergehenden fest, weil er damit rechnet, einen von denen, die ihm gehört hatten, wiederzuerkennen.

Die Geschichte zeigt, daß wir uns mit den Dingen besonders beschäftigen, mit denen wir früher unsere Schwierigkeiten hatten.

Die Fliege

Eine Fliege fiel in einen Fleischtopf. Als sie daraufhin in der Fleischbrühe zu ertrinken drohte, sagte sie zu sich selbst: »Ja, ich habe gegessen, getrunken und gebadet. Auch wenn ich jetzt sterben muß, macht es mir nichts aus.«

Die Geschichte zeigt, daß die Menschen den Tod leicht ertragen, wenn er unerwartet auf einen zukommt.

Die Fliegen

In irgendeiner Vorratskammer war Honig ausgeflossen. Da flogen Fliegen herbei und fraßen davon. Da der Honig so süß war, ließen sie nicht mehr davon ab, ihn zu ernten. Als dann aber ihre Beine festklebten und sie nicht mehr wegfliegen konnten, riefen sie sterbend aus: »Ach, wir Unseligen! Wir gehen für einen kurzen Lustgewinn zugrunde!«

So wird die Gier für viele zur Wurzel zahlreicher Übel.

Die Flüsse und das Meer

Die Flüsse kamen zusammen und machten dem Meer Vorwürfe: »Wenn wir in dich münden, führen wir Süßwasser, das trinkbar ist, du aber machst es salzig und ungenießbar.« Als das Meer diese Vorwürfe hörte, sprach es: »So kommt halt nicht, dann werdet ihr nicht salzig.«

Diese Geschichte legt Zeugnis ab gegen solche, die zu Unrecht andere beschuldigen, während sie von ihnen eher Vorteil haben.

Die Frau und ihre Dienerinnen

Eine fleißige Witwe hatte mehrere Dienerinnen. Sie war es gewohnt, sie in der Nacht beim ersten Hahnenschrei zur Arbeit zu wecken. Da sie sich ununterbrochen fast zu Tode abmühten, meinten sie dem Hahn den Hals umdrehen zu müssen. Denn sie glaubten, er sei die Wurzel des Übels, weil er ihre Herrin in der Nacht wecke. Es kam aber dazu, daß ihr Leiden nach dieser Tat noch schlimmer wurde. Denn die Herrin wußte die Stunde der Hähne nicht mehr und weckte ihre Dienerinnen noch früher.

So ist es auch bei vielen Menschen: Die eigenen Absichten bringen einem selbst Leid und Not.

Die Frau und der Bauer

Eine Frau, die kürzlich ihren Mann verloren hatte, saß jeden Tag an seinem Grab und weinte. Ein Bauer, der unweit davon beim Pflügen war, bekam Lust, mit ihr etwas anzufangen. Er ließ also seine Ochsen stehen, ging hin und weinte mit ihr. »Warum weinst auch du?« fragte sie. Er antwortete: »Ich habe meine schöne Frau begraben, und wenn ich weine, erleichtert es meinen Schmerz.« Sie sprach: »Mir geht es ebenso.« Da sagte er: »Wenn wir nun in die gleiche Trauer geraten sind, warum tun wir uns nicht zusammen? Ich werde dich lieben wie sie, und du mich wie deinen Mann.« Solchermaßen überredete er die Frau, gesellte sich zu ihr und stillte seine Lust.
Inzwischen aber kam ein Dieb, spannte die Ochsen aus und trieb sie fort. Als der Bauer zurückkam und die Ochsen nicht mehr fand, begann er zu weinen und sich wehklagend an die Brust zu schlagen. Die Frau fand ihn, wie er heulte und fragte: »Du weinst wieder?« - »Ja«, sprach er, »jetzt weine ich wirklich.«

Die Frau und der Trunkenbold

Eine Frau hatte einen Trunkenbold zum Manne. Da sie ihn von seiner Sucht befreien wollte, kam sie auf folgende List. Sie wartete, bis er vollkommen betrunken und wie ein Toter ohne Gefühl war, nahm ihn dann auf die Schultern, brachte ihn ins Leichenhaus, setzte ihn dort ab und entfernte sich. Zu der Zeit, als sie annehmen mußte, daß er bereits wieder nüchtern sei, kehrte sie zurück und klopfte an die Tür des Leichenhauses. Als jener fragte:» Wer hat geklopft?«, erwiderte die Frau: »Ich bin es, der Mann, der den Toten ihr Essen bringt.« Jener entgegnete: »Statt zu essen, guter Freund, bring mir lieber zu trinken! Es tut mir leid, daß du ans Essen und nicht ans Trinken dachtest.« Da schlug sich die Frau vor die Brust. »Ach, ich Unglückliche, nicht das geringste hat mir meine List eingebracht! Du, Mann, hast nicht nur keine Lehre angenommen, sondern bist gegenüber früher sogar noch gesunken, weil dir die Sucht zur Gewohnheit geworden ist.«

Die Fabel zeigt, man soll sich mit schlechten Verhaltensweisen nicht zu lange abgeben; mit der Zeit werden sie nämlich, auch wenn es der Betreffende nicht will, zur Gewohnheit.

Die Frau und der Vogel

Eine Witwe besaß einen Vogel, der jeden Tag ein Ei legte. Sie hielt es aber für möglich, daß er auch zweimal am Tag Eier legen werde, wenn sie ihm mehr Futter hinstreue. Und als sie dies tat, passierte es, daß der Vogel fett wurde und dann nicht einmal mehr ein einziges Ei legte.

Die Geschichte zeigt, daß die meisten Menschen aus Habsucht mehr wollen und dann verlieren, was sie schon haben.

Die Frösche und die Sonne

Im Sommer verheiratete sich Helios (griech. Sonnengott), und alle Tiere freuten sich dessen. Auch die Frösche feierten ihn. Einer von ihnen aber sprach: »Ihr Narren, was feiert ihr? Wenn Helios schon allein den ganzen Wald austrocknet, wie übel wird es uns erst ergehen, wenn er nach der Heirat noch seinesgleichen zeugt?«

Die Frösche als Nachbarn

Zwei Frösche waren Nachbarn. Der eine bewohnte einen tiefen Sumpf, der weit entfernt war von der Straße, der andere lebte in einer Pfütze auf der Straße. Als nun der Frosch im Sumpf den anderen aufforderte, zu ihm umzuziehen, damit er besser und sicherer lebe, ließ sich jener nicht überreden und sagte, er könne sich nicht von dem gewohnten Orte trennen. Dann passierte es, daß ein Wagen durch die Pfütze fuhr und ihn zerquetschte.

So kann es auch Menschen ergehen, die sich mit üblen Dingen beschäftigen und unversehens daran zugrunde gehen, bevor sie sich dem Besseren zugewandt haben.

Die Füchse

Einst versammelten sich die Füchse am Mäanderfluß, um aus ihm zu trinken. Da aber das Wasser brausend dahinschoss, wagten sie sich nicht hinein, obgleich sie einander ermutigten. Einer aber, der sich über die anderen und ihre Feigheit lustig machte, sich selber aber als mutiger hinstellte, sprang kühn ins Wasser. Die Strömung zog ihn in die Mitte des Flusses, die anderen aber standen am Ufer und riefen ihm zu: »Laß uns nicht im Stich, sondern komm zurück und zeige uns den Zugang, wo wir ungefährdet trinken können.« Doch der, von der Strömung fortgerissen, rief zurück: »Ich habe eine Bestellung in Milet, die will ich jetzt dorthin bringen, wenn ich wieder zurückkomme, will ich es euch zeigen.«

Auf diejenigen, die sich aus Großmannssucht selbst gefährden.

Die Gans mit den goldenen Eiern

Als Hermes einmal von jemanden über alle Maßen verehrt wurde, schenkte er seinem Verehrer eine Gans, die goldene Eier legen konnte. Der aber gab sich mit dem Nutzen im Kleinen nicht zufrieden. Er nahm an, daß alles in Innern der Gans aus Gold war. Ohne zu zögern, schlachtete er sie. So kam es, daß er sich nicht nur in seinen Erwartungen getäuscht sehen mußte, sondern daß er auch noch die Eier verlor. Denn alles, was er im Innern der Gans fand, war aus Fleisch.

So geht es oft den Unersättlichen, die aus Gier nach mehr auch das verlieren, was sie in den Händen haben.

Die Gänse und die Kraniche

Gänse und Kraniche grasten auf derselben Wiese. Da näherten sich ihnen Jäger. Die Kraniche konnten sich retten, da sie nur wenig Gewicht hatten. Die Gänse blieben wegen der Schwere ihrer Körper am Boden und wurden gefangen.

So ist es auch bei den Menschen. Wenn Aufstände in den Städten ausbrechen, können die Armen, weil sie nichts mitzunehmen haben, leicht von einer Stadt in die andere Stadt umziehen, während die Reichen wegen der Überfülle ihres Besitzes dableiben und ins Verderben geraten.

Die getretene Schlange

Weil die Schlange von vielen getreten wurde, begab sie sich zu Zeus. Doch Zeus sagte zu ihr: »Hättest du den ersten, der dich trat, gebissen, so würde kein zweiter den Versuch gemacht haben, dich zu treten.«

Die Fabel beweist, daß die, die dem ersten Angriff standhalten, von den anderen gefürchtet werden.

Die Grille und der Fuchs

Die Grille sang auf einem hohen Baum ihr Lied. Der Fuchs, der sie fressen wollte, kam auf folgende List. Er trat heran, äußerte sich voller Bewunderung über den Wohlklang und bat die Grille herunterzukommen; denn er wolle doch gern sehen, was für ein Tier solch eine schöne Stimme besäße. Die Grille indes ahnte die Hinterlist und ließ ein Blatt, das sie abgerissen hatte, herunterfallen. Als der Fuchs danach heransprang, so als sei es die Grille, meinte diese: »Du irrst dich mein Lieber, wenn du denkst, ich würde herabsteigen. Ich weiß mich nämlich vor den Füchsen in acht zu nehmen, seitdem ich im Kot eines Fuchses die Flügel einer Grille erblickte.«

Kluge Leute lernen aus den Mißgeschicken ihrer Mitmenschen.

Die Hähne und das Rebhuhn

Ein Mann, der auf seinem Hof Hähne hielt, kam zufällig vorbei, als ein zahmes Rebhuhn verkauft werden sollte. Er erwarb es und nahm es mit nach Hause, um es mit den anderen Tieren zu füttern. Als die Hähne es angriffen und verfolgten, war das Rebhuhn sehr unglücklich, weil es glaubte, nur deshalb verachtet zu werden, weil es andersartig war.
Als es aber ein wenig später bemerkte, daß die Hähne auch miteinander kämpften und nicht damit aufhörten, bis sie sich gegenseitig blutig gehackt hatten, sagte es zu sich selbst: »Jetzt leide ich nicht mehr darunter, wenn ich von ihnen angegriffen werde. Denn ich sehe, daß sie auch auf ihre Artgenossen keine Rücksicht nehmen.«

Die Geschichte zeigt, daß vernünftige Menschen die Kränkungen ihrer Nachbarn leichter ertragen, wenn sie sehen, daß diese auch auf ihre eigenen Angehörigen keine Rücksicht nehmen.

Die Hasen und die Frösche

Als die Hasen sich ihrer Feigheit bewußt wurden, meinten sie, daß sie sich einen steilen Abhang hinunterstürzen müßten. Sie kamen an einen steilen Abhang am Rande eines Teiches. Da hörten die Frösche das Getrappel und tauchten in die Tiefe des Teiches. Aber einer der Hasen sah sie und sagte zu den anderen Hasen: »Ach, wir wollen uns nicht mehr den Abhang hinunterstürzen! Seht doch, es gibt Lebewesen, die noch feiger sind als wir.«

So ist es auch bei den Menschen: Das Unglück der anderen tröstet über das eigene Mißgeschick hinweg.

Die Hasen und die Füchse

Als die Hasen einstmals mit den Adlern Krieg führten, boten sie den Füchsen ein Bündnis an. Doch die meinten: »Wir hätten euch schon Hilfe geleistet, wüßten wir nicht. wer ihr seid und mit wem ihr kämpft.«

Die Fabel zeigt, daß die, welche mit Mächtigeren Streit suchen, ihr eigenes Leben aufs Spiel setzen.


Die Henne und die Schwalbe

Eine Henne fand durch Zufall Schlangeneier und legte sie mit dem größten Entzücken und besonderer Sorgfalt in die gehörige Ordnung, um sie auszubrüten. Schon stellte sie sich die Freude vor, welche sie an ihren Küchlein haben würde, wenn sie anfingen zu gehen, wenn sie ihnen das Futter aufscharrte und zeigte, wenn sie auf ihr Rufen herbeieilten und es picken lernten, und wenn sie endlich groß, stark, schön und folgsam geworden wären. Jedoch ihre Freude währte nicht lange; eine Schwalbe traf sie über dieser Beschäftigung an und belehrte sie eines Besseren: »Du Törin«, sagte sie, »du würdest dir eine Brut erziehen, welche dir die Mühe nur mit dem Tod lohnen würde!«

Erziehst du dir einen Raben,
Wird er dir zum Dank die Augen ausgraben.

Die Hexe

Eine Hexe bot Zaubersprüche und Mittel gegen den Götterzorn an. Sie verkaufte viel und verdiente daran nicht wenig. Man zeigte sie deshalb an, warf ihr Gotteslästerung vor, brachte sie vor Gericht, klagte sie an und verurteilte sie zum Tode. Als aber jemand sah, wie sie aus dem Gericht zum Richtplatz geführt wurde, sagte er zu ihr: »Ach Frau, du hast doch erklärt, du könntest den Zorn der Götter abwenden. Wieso kannst du dann jetzt nicht die Menschen überzeugen?«

Diese Geschichte könnte man auf eine Betrügerin anwenden, die besonders große Versprechungen macht, aber nachgewiesen bekommt, nicht einmal kleine Dinge zu schaffen.

Die Holzfäller und die Eiche

Die Holzfäller waren beim Fällen einer Eiche. Sie hatten sich von ebendieser Eiche Keile gemacht und versuchten, sie damit zu spalten. Da sprach die Eiche: »Nicht so sehr der Axt bin ich gram, die mich gefällt hat, als den Keilen, die aus mir herauswuchsen.«

Bekanntlich ist das Leid schmerzhafter, wenn es von Verwandten als wenn es von Fremden zugefügt wird.

Die hungrigen Hunde

Als hungrige Hunde Häute sahen, die in irgendeinem Fluß eingeweicht wurden, sie aber diese nicht erreichen konnten, verabredeten sie, zuerst den Fluß auszusaufen, um dann auf diese Weise an die Häute heranzukommen. Als sie nun ununterbrochen tranken, geschah es, daß sie platzten, bevor sie die Häute erreichten.

So lassen sich auch manche Menschen durch die Hoffnung auf Gewinn täuschen, nehmen große Anstrengungen auf sich und merken nicht, daß sie zugrunde gehen, bevor sie bekommen, was sie haben wollen.

Die Hündin mit dem Fleisch

Eine Hündin überquerte mit einem Stück Fleisch einen Fluß. Als sie dann ihr eigenes Spiegelbild im Wasser sah, nahm sie an, daß dort eine andere Hündin mit einem noch größeren Stück Fleisch sei. Deshalb ließ sie das eigene Stück fallen, um jener ihr Stück wegzuschnappen. So kam es aber, daß ihr beide Stücke verloren gingen; denn an das eine kam sie nicht heran, da es gar nicht da war, das andere ging ihr verloren, weil es von der Strömung fortgetragen wurde.

Die Geschichte trifft auf einen Menschen zu, der immer mehr haben will.



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