Fab.1
Der Jäger und der Löwe
Ins Hochland ging ein Mann zur Jagd,
erfahren in des Bogens Kunst. Da stoben alle Tiere
jäh davon und waren voller Angst.
Der Löw allein erkühnte sich; zum Kampfe fordert er ihn auf.
»So bleib, und keine Übereilung!« Sagte da der Mensch.
»Und hoffe ja nicht auf den Sieg!
Wenn meinen Boten du getroffen, dann
wirst du erkennen, was zu tun sich dir geziemt.«
Und er entsandte seinen Pfeil aus nächster Näh.
Der aber traf den Löwen in die Eingeweide.
Voll Todesangst sucht Zuflucht in des Waldes Dickicht
das Tier. Da plötzlich stand der Fuchs vor ihm, nicht weit
entfernt,
und hieß ihn sich zu fassen und Standhaftigkeit zu zeigen.
Darauf der Löw: »Mich kannst du weder täuschen noch betören.
Denn der, der einen solchen bittern Boten mir gesandt,
wie furchtbar muß der, mein ich, selber sein?«
Fab.2
Der Bauer und die beraubten Götter
Ein Bauer grub in seinem Weinberg und verlor
dabei den Spaten; gleich erkundet er,
ob etwa einer von den Dorfbewohnern ihn entwandte.
Doch jeder wies das von sich. Was war nun zu tun?
Er führt sie alle in die Stadt, den Eid zu leisten;
die Götter nämlich auf dem Lande, meint man, die
sind Tölpel, aber jene, die die Stadt bewohnen, die
sind richtig, können alles überschauen.
Als sie am Tor an offner Quelle ihre Füße nun sich wuschen
und sich Erleichterung vom Ranzen schufen,
erschien ein Herold, zu verkünden: »Tausend Drachmen
zum Lohn für den, der aufdeckt diesen Tempelraub!«
Sobald der Bauer dieses hörte, sagt' er: »Zwecklos unser
Kommen!
Wie sollt der Gott die fremden Diebe kennen, wenn,
die selber ihn beraubten, unbekannt ihm blieben
und er um hohen Preis nachspürt, ob es nicht einer von den
Menschen weiß!«
Fab.3
Der Hirt und die Ziege
Nach Haus zum Stall wollte einst der Hirt die Ziegen
treiben.
Die einen folgten rasch, die andern später.
Als eine störrisch nun am Abgrund weiter
nach süßen Blättern von dem Mastixstrauche*
suchte,
warf jener zornig einen Stein und traf ihr Horn.
Da rief er flehentlich: »Ach, Kameradin Ziege,
beim großen Pan, der in den Wäldern waltet,
ach, Beste, sag dem Herrn doch nichts davon!
Es war nicht meine Absicht, daß ich mit dem Stein dich
traf.«
Erwidert jene: »Wie sollt ich verbergen, was doch
offenbar?
Auch wenn ich selber schweige, schreit es doch mein Horn.«
*eine
mediterrane Pistazienart
Fab4
Die großen
und die kleinen Fische
Ein Fischer zog das Netz herauf, das jüngst
er ausgeworfen hatte; es war, man sah's, ein reicher Fang.
Die kleinen von den Fischen schlüpften durch des Netzes
Maschen
und tauchten unter in der Meeresflut,
die großen blieben hilflos auf des Nachens Boden.
Es gibt wohl Rettung auch aus Schwierigkeiten,
wenn einer klein; doch wer im Ruhme sich erhebt,
den wird man selten der Gefahr entgehen sehn.
Fab.5
Die zwei Hähne
Zwei Hähne stritten einst in Tanagra*,
die, wie man weiß, den Menschen an Charakter ähnlich.
Der unterlag, zog sich zurück, bedeckt mit Wunden,
verbarg aus Scham sich in des Hauses Winkel.
Der andre flog sogleich aufs Dach und krähte,
mit beiden Flügeln um sich schlagend.
Da holte ihn ein Adler hoch vom First
und trug ihn fort; indes der erste strich um seine Hennen,
die Niederlage hatte sich zum Vorteil ihm gekehrt.
Auch du, o Mensch, gebärde dich nicht überheblich,
wenn das Geschick dich über einen andern stellt!
Daß klein sie blieben, wurde vielen schon zur Rettung.
*altgriechische
Stadt in Böotien*
heute Fundstelle vieler bemalter Tonfigürchen des 4.
bis2.Jh. v. Chr.
*Böotien
Landschaft
und Verw. Gebiet in Griechenland, zw. dem Kanal von Euböa
und dem Golf von Korinth; Hauptorte: Levadia, Theben u.
Petromagula.
Fab.6
Der kleine Fisch im Netz
Ein Fischer, der den ganzen Meeresgrund durchforstet
und mit der Angelrute schlecht und recht sein Dasein
fristet,
fing einst am Roßhaar einen kleinen Fisch,
der für die Pfanne kaum geeignet war.
Der zappelt hin und her und fleht den Fischer an:
»Was hast du schon an mir? Wen wirst du finden, der mich
kauft?
Ich bin ja gar nicht ausgewachsen, neulich erst
gebar die Mutter mich an diesem Felsen hier.
Drum laß mich los und töte mich nicht zwecklos!
Wenn groß ich bin, vom Meertang fett geworden
und recht geeignet für der Reichen Tische,
dann komme wieder! Fang mich dann aufs neue!«
So stöhnend, schwänzelnd, bittend, fleht der Fisch.
Der Alte aber läßt sich nicht bewegen,
er stößt ihn vielmehr auf mit scharfem Stichel.
»Wer nicht auf Kleines, wenn es sicher, achtet«,
so sagt er, »sondern Ungewissem nachjagt, der ist töricht.«
Fab.7
Das Pferd und der Esel
Ein Mann besaß ein Pferd. Das pflegte
er ledig neben sich zu führen, indes die Last
der alte Esel tragen mußte. Darunter schmachtend,
trat der zum Pferd und sprach:
»Wenn du ein wenig von der Last nur tragen wolltest,
so kann das meine Rettung sein, sonst aber werd ich
sterben.«
Doch jenes sagte: »Scher dich weg und stör mich nicht!«
Da schleppt' der Esel schweigend sich dahin,
bis daß die Kräfte ihm versagten und er umfiel, tot, wie
er's verheißen.
Jetzt ließ der Herr sogleich das Pferd an seine Stelle
treten
und nahm des Esels Last, legt' sie dem Pferde auf
und noch dazu das Sattelzeug für das Gepäck, ja auch
das Fell des Esels, das er abgezogen, packte er darauf.
Da rief das Pferd: »Wie war ich dumm!
Den Teil zu übernehmen, war ich nicht bereit,
jetzt aber muß die ganze Last ich tragen.«
Fab.8
Das kluge Kamel
Ein Araber, der sein Kamel belud,
befragt es, ob es lieber aufwärts oder abwärts steigen
wolle.
Und das Kamel, nicht ungewandt, erwiderte:
»Der gerade, glatte Weg ist leider abgeschnitten.«
Fab.9
Der flötenspielende
Fischer
Ein Fischer hatte eine Flöte und verstand darauf zu spielen.
Da kam ihm der Gedanke, daß er ohne Mühen
durch Flötenwohlklang seinen Unterhalt verdienen könne.
Er legte darum sein Netz beiseite und spielte herrlich.
Doch als er müde sich geblasen und umsonst geblieben sein
Bemühn,
da warf das Netz er aus und machte reiche Beute.
Wie auf der Erde endlich all die Fische er zappeln sah,
da rief er, während er das Netz wusch, spottend aus:
»Jetzt tanzt ihr ohne Flöte. Besser wär's für euch gewesen,
zu tanzen erst, als euch zum Tanz ich aufgespielt.«
Ohne Einsatz mühelos zu gewinnen ist unmöglich.
Doch bringt der Einsatz den erwarteten Gewinn,
dann ist es Zeit, zu scherzen und zu spielen.
Fab.10
Die Magd als
Geliebte ihres Herrn
Ein Herr verliebte sich in seine Magd, die häßlich war
und auch sehr schmutzig, und alles, was sie wünschte,
bekam sie ohne Zögern. Goldschmuckbeladen trug sie
ein feines Purpurkleid bis an die Knöchel,
entfachte immer neuen Streit mit ihrer Herrin.
Doch Aphrodite, weil sie alles ihr verdanke,
die ehrte sie mit Lichtern und brachte
an jedem Tag ihr Opfer und Gebete dar,
bis einmal als sie alle in dem Hause schliefen,
die Göttin ihr im Traum erschien und sprach:
»Sag mir nicht Dank, als ob ich schön dich machte!
Ich bin vielmehr auf jenen zornig, dem du schön erscheinst.«
Ein jeder, der am Bösen sich als etwas Schönem freut,
der ist von Gott geschlagen und von Sinnen.
Fab.11
Der Bauer und der Fuchs
Dem Fuchs, des Weinbergs und des Gartens Feind,
gedacht ein Bauer einen schlimmen Streich zu spielen.
Er band im Werg an seinen Schwanz, er zündete es an
und ließ ihn laufen dann. Den Feuerträger lenkt' ein Gott
aufmerkend auf die Felder dessen, der den Tort
ihm angetan. Es war die Zeit der Reife,
und eine reiche Ernte weckte Hoffnung.
Der Bauer folgte, laut um seine Mühe klagend,
doch keine Garbe barg für seine Tenne Demeter.
Mild muß man sein und sich im Zorn bezwingen.
Vergeltung gibt es für den Zorn, vor der muß man sich hüten;
denn Schaden bringt es denen, die da zürnen.
Fab.12
Die Schwalbe
und die Nachtigall
Weit fort von ihrem Acker flog die Schwalbe
und fand in Waldeseinsamkeit die Nachtigall
mit ihrer hellen Stimme; die saß trauernd dort
um Itys*, der zur
Unzeit aus des Lebens Blüte schied.
An ihrem Lied erkannten sie einander,
sie flogen auf sich zu und hielten Zwiesprache.
Es redete die Schwalbe: »Lebst du, meine Freundin, noch?
Seit Thrakien sehen wir uns heut das erstemal.
Stets hielt ein Dämon bös uns voneinander fern;
denn schon als Mädchen waren wir getrennt.
Komm doch aufs Dorf und wohne bei den Menschen
mit uns zusammen unter einem Dache, Freundin,
wo du den Bauern singen wirst und nicht den Tieren!
Was netzt den Rücken kalter Reif dir nächtlich
und quält die Hitze? Auf dem Dorf ist alles schön!
Wohlan denn, Kluge, plage dich nicht länger!
Verlaß den wilden Wald und wohne bei den Menschen
zusammen in demselben Haus und unter einem Dach mit mir!«
Erwidert ihr die Nachtigall und sprach:
»Laß mich nur bleiben in den unbehausten Felsen
und trenn mich nicht von meinem Berggefild!
Seit dem, was in Athen geschehn, da hasse ich Mann und
Stadt.
Ein jedes Haus und jeder Umgang mit den Menschen
erneuern mir den Schmerz um längst vergangnes Unglück.«
In hartem Schicksal bieten Trost
ein kluges Wort, die Kunst, der Abstand von der Menge;
doch Trauer macht's, wenn einer denen, die im Glück ihn
sahn,
als ein Erniedrigter erneut begegnet.
*Der
thrakische König Tereus war mit der attischen Königstochter
Prokne vermählt.
Deren Schwester Philomela
wurde von ihm geschändet. Die Schwestern rächten sich,
indem sie Itys, den Sohn
des Königspaares, töteten und dem Vater zum Mahle
vorsetzten.
Die Götter verwandelten darauf
Prokne in eine Nachtigall,
Philomela in eine
Schwalbe,
Tereus in einen Wiedehopf.
Fab.13
Der gefangene Storch
Auf seinem Acker hatte ein Bauer Netze aufgestellt
und Kraniche darin gefangen, die Zerstörer seiner Saaten.
Zugleich mit diesen war ein Storch ins Netz gegangen;
der hinkte, fleht' den Bauern an:
»Ich bin kein Kranich, deiner Saat tu ich nichts an.
Ich bin ein Storch, das zeigt schon meine Farbe.
Von allen Vögeln übe ich am meisten Pietät;
ich pflege und füttere meinen Vater, wenn er krank ist.«
Doch jener sprach: »Mein lieber Storch,
ich weiß nicht, wie du lebst; doch dieses weiß ich,
daß ich dich fing mit jenen, die die Saaten mir verderben.
So wirst du auch mit jenen sterben, mit denen du gefangen
wardst.«
Wer mit den Bösen umgeht, wird den Haß mit ihnen ernten,
auch wenn er seinen Nächsten keinen Schaden tat.
Fab.14
Der Bär und der Fuchs
Daß er den Menschen maßlos liebe, rühmte sich ein Bär;
denn niemals, sagt' er, rühr er dessen Leiche an.
Der Fuchs versetzte: »Schöner wär es freilich,
wenn du den Toten nähmst und dem Lebend'gen ließest Ruh.«
Wer einen schädigt, wenn er lebt, soll tot ihn nicht
beweinen.
Fab.15
Der Streit
um Herakles und Theseus
Zwei Männer, einer aus Athen, der andere aus Theben, die
desselben Weges zogen, sprachen miteinander so, wie's
üblich.
Der Redefluß führt hin bis zur Heroenzeit,
ein weites Thema, das nicht grade dringlich.
Am Ende pries der Mann aus Theben der Alkmene Sohn
(Herakles)
als größten von den Menschen und den Göttern gleich.
Doch der Athener meinte, daß um vieles größer Theseus*
gewesen sei, der wahrlich wie ein Gott gelebt
und nicht, wie Herakles, als Knecht.
Mit diesen Worten drang er durch; er hatt ein gutes
Mundwerk.
Dem andern aber, dem Böotier, fehlte es an gleicher Kraft
der Rede,
und so rief er wild: »Hör auf! Du bist mir überlegen.
Mag drum also Theseus uns Böotiern und Herakles den Athenern
gram sein!«
*sagenhafter
König von Athen, tötete unter anderen den Minotaurus
Fab.16
Der getäuschte Wolf
Grob droht' dem Säugling seine Amme, als er greinte:
»Sei still, sonst geb ich dich dem Wolf zu fressen!«
Der Wolf, der's hörte, nahm das Wort der Frau
für wahr und blieb, des leckern Mahles harrend,
bis daß das Kind des Abends ward zu Bett gebracht.
Da trollte er sich hungernd, leer im Bauch
und eitler Hoffnung aufgesessen.
Die Hausfrau Wölfin fragte ihn sogleich:
»Was kommst du ohne Beute, nicht wie sonst?«
»Nur deshalb, weil ich einem Weibe glaubte!«
Fab.17
Der Marder und der Hahn
Ein Marder, der dem Hühnervolk auflauerte,
kam wie ein Sack am Pflock zu hängen.
Ihn sah der Hahn, der stolze mit dem krummen Sporn,
verspottet' ihn mit lautem Krähen:
»Ich habe wirklich viele Säcke schon gesehen,
doch keiner war darunter mit den Zähnen eines richt'gen
Marders!«
Fab.18
Der
Wettstreit von Nordwind und Sonne
Der Nordwind und die Sonne, heißt es, stritten sich,
wer wohl von ihnen einem Bauersmann,
der unterwegs, zuerst den Pelz ausziehen würde.
Es blies zunächst der Nordwind wie von Thrakien her;
er glaubte, mit Gewalt den Mann zu zwingen.
Der aber gab nicht nach; denn weil er fror,
hielt alle Enden rings er fest gepackt
und setzt' sich nieder, unter einen Felsvorsprung geduckt.
Da kam die Sonne sanft hervorgeguckt
und brachte ihm zunächst Erleichterung von des Sturmes
Kälte.
Dann aber führte sie mehr Wärme zu;
da ward's dem Bauern plötzlich heiß,
er warf den Pelz ab und war ausgezogen.
So ward der Nordwind in dem Streit besiegt.
Es heißt ein Sprichwort: »Üb dich, Kind, in Milde!
Denn mehr wirst du durch sie erreichen als durch Akte der
Gewalt.«
Fab.19
Der Fuchs und die
Trauben
Des Weinstocks dunkle Trauben hingen über eine Mauer.
Als sie der schlaue Fuchs in ihrer Fülle sah,
da setzt' er immer neu zum Sprunge an,
um zu den purpurroten, reifen Früchten vorzudringen;
sie waren nämlich gut gediehen und harrten nur der Lese.
Als er sie nicht erreichte, sondern müde wurde,
da gab er's auf, nur in die Luft zu springen,
und trollte sich, den Ärger klug verbergend.
»Die Trauben sind ja sauer und nicht reif, wie ich es
dachte!«
Fab.20
Der
Ochsenknecht und sein Wagen
Ein Ochsenknecht fuhr einmal über Land.
Da rutscht sein Wagen ab in eine tiefe Schlucht.
Statt anzufassen, stand er müßig da
und betete zu Herakles, dem unter allen Göttern
als einzigem er wirklich Ehr und Altardienst erwies.
Da trat der Gott heran und sprach: »So greif doch in die
Speichen
und stachle an die Ochsen! Zu den Göttern bete erst,
wenn selbst du zugreifst! Sonst ist all dein Flehn
vergebens!«
Fab.21
Die Rinder
Die Rinder wollten einst die Fleischer töten,
weil diese eine Kunst besaßen, die den Rindern feindlich.
Und schon versammelten sie sich zur Schlacht,
die Hörner schärfend, als einer von den ältesten Ochsen,
der manches Feld beackert, vortrat.
»Die da, die Fleischer, schlachten uns
mit sichrer Hand, und ohne uns zu quälen, töten sie.
Doch wenn wir Ungelenken in die Hände fallen,
dann steht uns zweifach Tod bevor. Denn wenn der Fleischer
fehlt,
so wird's doch nicht an Leuten mangeln, Ochsen
abzuschlachten.«
Wer Leid, das ihm bevorsteht, meiden möchte,
der muß darauf achten, daß ihm Schlimmres nicht geschehe.
Fab.22
Der Mann mit
den zwei Geliebten
Ein Mann, der in des Lebens Mitte stand -
jung war er nicht mehr, aber auch kein Greis,
und weiße, schwarze Haare trug vermischt er auf dem Haupt -,
der fand noch Zeit für Liebelei und Tanzvergnügen.
Er hatte ein Verhältnis mit zwei Weibern, einem jungen,
einem alten.
Die Junge wollte den Galan selbst jung erblicken,
doch die Alte wünscht' sich einen alten.
So macht sich eine jede über seine Haare her.
Die Junge zupft' die weißen aus, wo immer sie sie fand;
die Alte zupfte, wo sie auf ein schwarzes traf.
So zupften beide sie, die Junge und die Alte,
bis er am Ende ohne Haare war,
kahlköpfig durch das viele Zupfen.
Und diese Lehre gibt die Fabel allen Leuten:
Weh dem, der auf die Weiber reinfällt!
Er wird gebissen und gezupft!
Fab.23
Der Rinderhirt auf der Suche nach einem Stier
Ein Rinderhirt hatte einen Stier mit großen Hörnern
im dichten Wald verloren und war nun auf der Suche.
Er richtet an des Berges Nymphen sein Gebet,
an Hermes, den Beschützer der Herden, an Pan und alle Götter
ringsum, gelobt, ein Lamm zu opfern, wenn den Dieb er finde.
Er steigt auf eine Höhe und erblickt den schönen Stier,
den grad der Leu verspeist. In seiner Not gelobt er,
noch ein Rind dazu zu opfern, falls dem Dieb er nur
entkomme.
Hieraus, scheint uns, ist das zu lernen,
daß nie man ohne Überlegung richte an die Götter ein Gebet,
bloß weil man grad in Leid ist.
Fab.24
Die
Frösche und die Hochzeit des Helios
Als Helios Hochzeit hielt zur Sommerszeit,
begingen alle Tiere das als frohes Fest,
und auch die Frösche tanzten durch den Sumpf.
Da hielt die Kröte sie zurück: »Nicht Freudenlieder
stehn uns jetzt an – in Kümmernis und Sorge!
Denn dieser Helios allein vertrocknet uns den Sumpf!
Was aber werden wir erleiden, wenn er Hochzeit hält
und einen Sohn erzeugt, der ihm ganz gleich ist?«
Es freuen sich viele über Nichtigkeiten,
die ihnen Grund zur Trauer werden sein.
Fab.25
Die lebensmüden Hasen
Die Hasen fassten den Beschluss, daß länger nicht sie leben
wollten,
nein, sterben durch den Sprung ins dunkle Wasser,
weil doch als schwächlich sie verschrien und feige,
als Leute, die nur auszureißen wüssten.
Doch als sie in des breiten Sees Nähe waren
und sahen am Ufer auf der Frösche Schar,
die aus der Hecke sprangen in den tiefen Schlamm,
da hielten inne sie, und einer fasste sich ein Herz:
»Gehen wir zurück! Wir müssen nicht mehr sterben;
denn andere sehe ich, die sind noch schlapper gar als wir.«
Fab.26
Der Bauer und die
Kraniche
Ein Kranichvolk verheerte jüngst sein Feld,
das gerade der Bauer erst mit Weizensaat bestellt.
Er schwingt die leere Schleuder, übt Geduld
und meint, indem er Schreck einjagt, es zu vertreiben.
Doch als die Vögel inne wurden daß er in die Luft nur
schleudre,
da lachten sie ihn aus und dachten nicht daran zu fliehn,
bis daß der Bauer anders als bisher
nun richt'ge Steine warf und viele traf.
Da flogen sie sogleich davon und krächzten noch einander zu:
»Wir müssen fort in der Pygmäen Land.
Denn dieser Mensch will mehr als uns nur scheuchen,
er fängt jetzt an zu handeln.«
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