Fabelverzeichnis

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1.Buch/3
 
Der Eunuch beim Priester
Der Esel und der Ochse in einem Gespann
Das schönste Kind
Der Wagen voller Lügen
Die entschwundenen guten Gaben des Zeus
Momos als Schiedsrichter
Die Maus in der Brühe
Der Jäger und der Fischer
Das Maultier
Der Halbgott im Hause des frommen Mannes
Die Fichte und der Dornstrauch
Der Kranich und der Pfau
Die zwei Ranzen
Die Teilung der Beute
Zeus und Apollon im Bogenwettstreit
Der flüchtende Hase
Die Hochzeit der Götter
Der Landmann und das Meer
Die Dohle im Wettbewerb der Vögel
Die Stimme des Geiers
Pferd, Stier und Hund beim Menschen
Der dumme Arzt
Das vernachlässigte Streitroß
Der Fuchs und der Rabe
Der kranke Rabe
Der gierige Hund
Das ernste Kamel

Fab. 54
Der Eunuch beim Priester

Zur Opferschau kam ein Eunuch, um wegen Nachwuchs nachzufragen.
Der Priester breitet' eine reine Leber aus.
»Wenn diese ich hier anseh, wirst du Vater;
doch wenn ich mir dein Bild betrachte, scheinst du mir kein Mann.«

Fab.55
Der Esel und der Ochse in einem Gespann

Es hatte einer einen Ochsen, zu dem er einen Esel spannte,
zu pflügen, wenn auch armselig, so doch der Not gehorchend.
Als nun die Arbeit fertig war und Zeit, die Tiere auszuspannen,
da wandte sich der Esel an den Ochsen: »Sag,
wer wird dem Alten das Geschirr nun tragen?«
Darauf der Ochse: »Der, der's sonst auch trug.«

Fab.56
Das schönste Kind

Für schöne Kinder setzte einen Preis
Zeus allen Lebewesen aus und wollte selbst der Richter sein.
Zum Ausscheid kam denn auch die Affenmutter
mit ihrem nackten Stumpfnas-Jungen, welches sie am Busen trug.
Der Anblick machte alle Götter lachen.
Die Mutter aber sprach: »Zeus kennt den Sieger,
für mich jedoch ist dies das schönste Kind.«

Die Fabel dürfte aller Welt beweisen,
daß jeder sein Geschöpf fürs beste hält.

Fab.57
Der Wagen voller Lügen

Gott Hermes packte einen Wagen voll mit Lügen,
mit viel Betrug und aller Bosheit
und zog damit durchs Land, von Volk zu Volk
das Fahrzeug führend und von seiner Ware
für jeden ein klein wenig austeilend. Und wie er nun
hin nach Arabien kam und dort das Land durchquerte,
geschah's, daß plötzlich sein Gefährt zusammenbrach
und nicht mehr weiterkonnte. Die Leute meinten,
sie hätten eines Kaufmanns reiche Fracht vor sich,
und plünderten es aus und ließen's auch nicht weiter
zu andern Menschen fahren, obgleich es solche gab.
Seither sind die Araber, wie ich selbst erfahren,
nur Lügner, und Betrüger, aus deren Mund
kein wahres Wort je kommt heraus.

Fab.58
Die entschwundenen guten Gaben des Zeus

In einem Faß versammelte Gott Zeus die guten Gaben alle,
macht' einen Deckel drauf und stellte es bei einem Manne ein.
Doch der war unbeherrscht und wollte wissen gleich,
was in dem Fasse sei, und hob den Deckel an.
Die Gaben darauf zum Himmel hin entschwanden,
im Fluge weit sich übers Land erhebend.
Es blieb allein die Hoffnung; der Deckel, als er zuschlug,
hielt drin sie fest. So also steht allein die Hoffnung
den Menschen bei und will dafür verbürgen sich, daß sie
uns Menschen die entschwundnen Gaben werde wiederbringen.

Fab.59
Momos als Schiedsrichter

Poseidon, Zeus sowie als dritte, so erzählt man sich,
Athene stritten sich, wer etwas Schönes wohl zustande brächte.
Zeus schafft das herrlichste der Wesen – es ist der Mensch -
und Pallas dann ein Haus noch für die Menschen,
Poseidon endlich schuf den Stier. Als Schiedsrichter gewählt
ward Momos*; denn er wohnte noch im Himmel.
Er, den die eigene Natur zur Feindschaft gegen alle zwingt,
fand an dem Stier gleich etwas auszusetzen:
daß nicht bei ihm die Augen hoch, die Hörner tiefer säßen,
so daß er sehend stoßen könne. Beim Menschen tadelt' er,
daß seine Brust sich nicht eröffnen und durchschauen ließe,
so daß den Nachbarn, was er plane, sichtbar werde;
am Hause rügte er, daß an dem Fundament
ihm Eisenräder fehlten, so daß es seinen Ort
für seinen Hausherrn nach Belieben ändere
und vor dem bösen Nachbarn Reißaus nehme.

Was lehrt die Fabel wohl mit ihrer Rede?
Versuche nur zu handeln, laß die Kritiker schwatzen;
dem Momos nämlich ist nichts recht zu machen!

*
Momos ist der Gott des nörgelnden Tadels, die Personifikation der Nörgelei.

Fab.60
Die Maus in der Brühe

In einen deckellosen Topf voll Brühe fiel die Maus,
und von der Fettigkeit erstickt, bemerkte sie,
schon in den letzten Zügen: »Gegessen habe ich und getrunken
und alles recht genossen; somit ist es Zeit für mich zu sterben.«

Ein leckermäul'ges Mäuschen wirst du vor den Menschen werden,
wenn du das Angenehme, das dir schädlich, nicht verwirfst.

Fab.61
Der Jäger und der Fischer

Es kam der Jäger vom Gebirge nach der Jagd,
es kam der Fischer, dessen Korb mit Fischen angefüllt,
und wie die beiden so per Zufall aufeinandertrafen,
bekam der Jäger Appetit auf Seefisch,
der Fischer aber auf die Jagdausbeute.
Sie tauschten, was sie hatten, und weil den Jagdgrund sie gewechselt,
schmeckte ihnen auch das Essen besser, bis einer ihnen sagte:
»Daran wird euch auch, wenn's euch Gewohnheit wird, die Lust vergehn,
und wieder wird ein jeder, was er hatte, suchen.«

Fab.62
Das Maultier

Ein Maultier, das mit Unlust aus der Krippe fraß,
das stach der Hafer, daß es sprang, den Nacken warf
und rief: »Ich hab zur Mutter doch ein Pferd,
und wenn's ums Laufen geht, dann steh ich ihr nicht nach.«
Doch plötzlich stoppte es den Lauf und ward beschämt;
denn daß sein Vater ja ein Esel war, ward ihm bewußt.

Fab.63
Der Halbgott im Hause des frommen Mannes

Bei einem frommen Mann im Hause stand
ein Halbgott, der im Hof sein Heiligtum besaß.
Dort opfert' jener, schmückte den Altar,
bracht Wein dar, sagte im Gebet: »Sei mir gegrüßt,
du liebster Halbgott, gewähre doch dem Hausgenossen
reichlich Gutes!« Da sprach denn jener um die mitternächt'ge
Stunde: »Das Gute, lieber Freund, kann dir nicht einer von uns
Halbgöttern geben; dazu mußt die Götter du bewegen.
Doch alles Böse, das sich bei den Menschen findet,
das spenden wir. Wenn also Böses du begehrst,
dann mußt du beten. Wenn um eines du bittest, werde ich
dir tausendfach gewähren. Daß du's weißt, wenn wieder du wirst opfern!«

Fab.64
Die Fichte und der Dornstrauch

Die Fichte und der Dornstrauch stritten miteinander.
Viel Rühmens machte von sich her die Fichte:
»Wie schön ich bin, und alle überrage ich,
gerade bin ich auch gewachsen, wohne unter Wolken,
das Dach des Hauses bilde ich, den Kiel der Schiffe,
vor all den vielen Bäumen bin ich ausgezeichnet.«
Darauf erwiderte der Dornstrauch: »Würdest du dich erinnern
der Beile, welche immerfort dich schlagen,
der Äxte, welche immerfort dich hauen,
so wolltest auch du ein Dornstrauch lieber sein.«

Wer vornehm ist, hat größeren Ruhm zwar als die Kleinen,
ist größeren Gefahren jedoch auch ausgesetzt.

Fab.65
Der Kranich und der Pfau

Es stritt der graue Kranich mit dem wohlgestalten Pfau;
der schüttelte sein goldenes Gefieder. Darauf der Kranich:
»Mit Federn, deren Farbe dich zum Spotten reizt,
erheb ich zu den Sternen mich und krächze laut.
Doch du mit deinem goldenen Gefieder mußt, dem Hahne gleich,
am Boden kriechen, kannst dich nicht erheben.«

In schlichter Kleidung, doch Bewunderung erregend,
das ist mir lieber als ein Leben ohne Ruhm,
wenngleich in prächtigem Gewand.

Fab.66
Die zwei Ranzen

Der Götter einer war Prometheus in der Urzeit.
Er schuf den Menschen, sagt man, als der Tiere Herr,
aus Ton. Darauf baute er zwei Ranzen
und hängte sie ihm um, gefüllt mit aller Bosheit -
im vordern Ranzen mit der fremden,
im hintern mit der eigenen, die weit größer.

So kommt's, daß wir die fremden Schwächen
scharfsichtig sehen, die eigenen aber ignorieren.

Fab.67
Die Teilung der Beute

Es jagten einst der Löwe und der wilde Esel;
den Löwen zeichnet' Stärke aus und Schnelligkeit den Esel.
Als reiche Beute sie an Wild gemacht,
da ging der Leu ans Teilen und bildete drei Häufchen
»Das erste«, sprach er, »nehm ich für mich selber;
denn ich bin König. Und das zweite nehm ich als gleichberechtigt.
Und das dritte wird dir Übles bringen,
wenn schleunigst du dich nicht davonmachst.«

Sei deiner Grenzen dir bewußt und meide den,
der mächtiger als du, soviel du kannst!

Fab.68
Zeus und Apollon im Bogenwettstreit

Im Kreis der Götter rühmte sich Apoll, der gute Schütze:
»Wohl keiner möchte weiter werfen oder schießen.«
Doch Zeus bestritt das scherzend seinem Sohne,
und Hermes warf in Ares' Helm bereits die Lose.
Es fiel Apollon zu; der spannte schon des Bogens
goldne Sehne, richtete als erster seinen Pfeil
und sendet' in den Garten des Hesperos* das Geschoß.
Doch Zeus mit einem Schritt durchmaß den gleichen Raum.
Da stand er. »Um zu schießen, finde ich nicht Platz, mein Sohn.«
Und er gewann den Sieg, ohne auch den Bogen nur zu spannen.

*
In der griechischen Sage der Abendstern; er besaß einen paradiesischen Garten am
Westende der Welt.


Fab.69
Der flüchtende Hase

Aus einem Busche scheuchte einen Hasen
der Hund wohl auf, der Meister in der Jagd.
Doch blieb er bald zurück. Da spottete ein Hirt:
»Im Laufen ist der Kleine dir voraus.«
»O ja, gewiß, denn es ist ein großer Unterschied,
ob einer für die Jagd, ob einer um sein Leben läuft.«

Fab.70
Die Hochzeit der Götter

Die Götter hielten Hochzeit. Alle waren schon vermählt,
da kam als letzter nach dem Los Gott Polemos.
Er freite Hybris*, die allein noch war geblieben,
und liebt sie, wie man sich erzählt, mit Leidenschaft,
und folgt ihr immer auf dem Fuße.
So möge niemals bei den Völkern, niemals in den Städten
die Übertretung breit sich machen, ihnen lächeln;
denn nach ihr wird alsbald der Krieg aufkommen!

*
Der personifizierte Frevelmut

Fab:71
Der Landmann und das Meer

Ein Landmann sah ein Schiff, mit Passagieren voll,
das eben schon, den Bug voran, im Schwall der Wellen
zu versinken drohte. Da rief er aus:
»Ach, hätten sie dich, Meer, niemals befahren,
du unbarmherzig Element, du Feind der Menschen!«
Das Meer vernahm's, nahm Frauenstimme an
und sagte: »Schilt nicht mich! Nicht ich bin schuld an alledem,
die Winde vielmehr sind's, die auf mir liegen.
Wenn ohne die du mich erblickst und auf mir fährst,
dann bin ich sanfter als dein Element, die Erde.«

Fab.72
Die Dohle im Wettbewerb der Vögel

Die Himmelsbotin Iris im purpurnen Gewand
verkündet' einst den Vögeln, daß im Haus der Götter
es gäbe einen Schönheitswettbewerb. Das ward alsbald bekannt,
und jeder spürte ein Verlangen nach dem Götterpreis.
Ein Quell entsprang am scharfen, steilen Felsen;
auch sommers gab's da klares Wasser.
Dorthin nun drängte sich das ganze Vögelvolk.
Man reinigte Gesicht und Beine,
man schüttelte die Federn, kämmte sich das Haar.
Es kam die alte Dohle auch zu jener Quelle,
der Krähe Abkömmling. Vom einen macht' sie die,
vom zweiten eine andre Feder an dem feuchten Flügel fest
und putzte sich allein von allen Vögeln auf
und flog so vor die Götter, größer als der Aar.
Den Zeus erfaßte Staunen, und er hätte ihr den Preis gewährt,
wenn nicht die Schwalbe, der Athene gleich,
ihr eine Feder ausgerissen hätte und sie überführte.
Darauf die Dohle: »Warum denunzierst du mich?«
Indes, es rupft sie schon die Taube und die Drossel,
der Häher und die Krähe, die auf Gräbern tändelt,
der Falke, der dem jungen Vogelvolk auflauert,
und alle andern ebenso. Da war die Dohle überführt.

Mein Sohn, darum schmücke dich mit deinem eigenen Schmuck!
Wenn du mit fremdem glänzest, wirst du ihn verlieren.

Fab.73
Die Stimme des Geiers
leider nur fragmentarisch vorhanden!

Der Geier hatte eine fremde, scharfe Stimme.
Als er das Pferd vernahm, das freundlich wieherte,
da ahmte er es nach …
… so hatte weder er die bessre Stimme,
welche er begehrte, noch die frühere mehr.

Fab.74
Pferd, Stier und Hund beim Menschen

Das Pferd, der Stier, der Hund, die unter Kälte litten,
die kamen einst zum Haus des Menschen.
Der hielt die Türen ihnen offen,
führt' sie hinein, erwärmte sie am Feuer
des Herdes und trug reichlich auf:
dem Pferde Gerste, Erbsen für das Arbeitstier,
indes der Hund bei ihm am Tische stand.
Zum Dank für diese Freundschaft gaben sie
dem Menschen das, was ihnen selbst die Jahre brachten.
Zuerst das Pferd; denn in den ersten Jahren
ist jeder von uns hochgemut in seinem Sinn.
Darauf der Stier; denn wenn man in des Lebens Mitte kommt,
dann müht man sich, ist fleißig, sammelt Geld.
Der Hund, so heißt es, gab ihm seine letzten Jahre;
denn jeder, lieber Branchos, ist im Alter grämlich,
ist freundlich nur zu dem, der im das Essen bringt,
wenn sonst er bellt und sich an Gästen nicht mehr freut.

Fab.75
Der dumme Arzt

Es war einmal ein dummer Arzt. Und als zu einem Kranken alle sagten:
»Hab keine Angst, du wirst gerettet!
Dein Leiden braucht zwar Zeit, doch wird's schon besser«,
kam jener Arzt hinzu und sagte:
»Mach dich bereit, denn du mußt sterben!
Ich mache dir nichts vor und lüge dich nicht an;
den Tag, der kommt, wirst kaum du überleben.«
So sprach er und besucht' ihn auch nicht weiter.
Es dauert' lange Zeit, bis daß der Mann genas
und ausging, blaß noch zwar und kaum auf seinen Beinen stehend
Begegnete ihm der Arzt und rief: »Wie geht es dir?
Nun sag mir doch, wie sieht es unten aus?«
Darauf der Kranke: »Heiter lebt man da,
bloß Lethe* trinkend. Kore aber und der große Pluton,
die waren neulich auf die Ärzte böse,
weil die die Kranken von dem Tod abhielten.
Sie schrieben alle auf, und auf die erste Liste wollten
sie auch deinen Namen setzen. Doch ich, zwar zitternd, trat
gleich vor und faßte sie bei ihren Zeptern
und schwur bei ihnen selber, daß in aller Wahrheit
du nie ein Arzt gewesen seist und man dich bloß verleumde.«

*
Lethe: griech. "Vergessen". griech. Sage:
Strom in der Unterwelt, aus dem die Seelen der Verstorbenen Vergessen trinken.


Fab.76
Das vernachlässigte Streitroß

Ein Reiter gab dem Roß, solang der Krieg anhielt,
nur gute Gerste und versorgt' es trefflich auch mit Heu,
weil er's als treuen Helfer in den Schlachten schätzte.
Doch als der Krieg vorüber war und Frieden herrschte
und unser Reiter keinen Sold von seinem Demos* mehr erhielt,
da mußt das Pferd oft aus dem Wald
gar dicke Kloben Holz zur Stadt hinunterschleppen
und mußt für diesen, bald für jenen gegen Miete Lasten tragen.
Es fristete sein Leben jammervoll auf Spreu,
und auf dem Rücken trug es niemals mehr den Sattel.
Doch als aufs neue draußen vor der Stadt das Kriegsgeschrei ertönte
und die Trompete alle rief, den Schild zu putzen,
das Pferd zu rüsten und den Stahl zu schärfen,
zäumt' jener Reiter auch sein Pferd und führt es vor, um aufzusitzen.
Doch das fiel in die Knie und konnt nicht mehr.
»Tritt ein nun«, sprach es, »bei den Schwerbewaffneten zu Fuß!
Denn mich hast du vom Pferd zum Esel umgewandelt,
wie willst du aus dem Esel jetzt ein Pferd dir machen?«

*
griech. Gemeinde. Das "Volk", die kleinste Verwaltungseinheit in Athen.

Fab.77
Der Fuchs und der Rabe

Es saß ein Rabe, ein Stück Käse im Schnabel.
Der schlaue Fuchs, der nach dem Käse gierte,
umgarnte nun den Vogel, wie ich's euch erzähle:
»Wie schön sind deine Flügel, Rabe, scharf dein Auge,
ansehnlich ist dein Nacken, deine Brust ist wie vom Adler,
und mit den Krallen bist du allen Tieren überlegen!
Und solch ein Vogel, der ist stumm und muckst sich nicht!«
Bei solchem Lob schwoll unseres Raben Brust,
und aus dem Maul ließ er den Käse fallen, um zu krächzen.
Das Füchslein fing ihn auf und höhnte:
»Du bist ja gar nicht stumm, hast vielmehr Stimme,
hast alles, Rabe, bloß Verstand, der fehlt dir.«

Fab.78
Der kranke Rabe

Der kranke Rabe sprach zu seiner Mutter, die sehr klagte:
»Ach, wein nicht Mutter, bete zu den Göttern,
daß sie aus schlimmen Leid und Schmerzen mich aufrichten!«
»Doch wer, mein Lieber, von den Göttern soll dir helfen?
Wen hättest du nicht an dem Altare je bestohlen?«

Fab.79
Der gierige Hund

Ein Hund stahl in der Küche ein Stück Fleisch,
mit dem lief er am Fluß entlang. Da sah er jenes Fleisch
sich spiegeln in der Strömung, größer um noch vieles:
Darauf ließ das Stück er los und sprang dem Schatten nach.
Doch der war fort wie das auch, was er hatte fallen lassen.
So kehrte hungrig er nach Haus zurück.

Fab.80
Das ernste Kamel

Ein Herr, der zechte, nötigt' sein Kamel,
daß zu den Flöten und den Zimbeln aus Metall es tanze.
Das aber sprach: »Ich laß es gern geschehen, daß meinen Weg
ich schreite ohne Lachen; doch will ich nicht im Reigen springen,
nicht zum Gespötte werden, nicht den Kriegstanz tanzen!«