Fab.81
Der Fuchs und der Affe
Zum Affen sprach der Fuchs: »Sieh diese Säule hier
gilt mir und meinem Vater und dessen Vater noch dazu!«
Erwiderte dem Fuchs der Affe: »Lüge wie du willst,
die Wahrheit kann ich ja nicht überprüfen!«
Fab.82
Der verspottete Löwe
Es schlief der Löwe. Durch sein wildes Haar
lief eine Maus. Das reizte ihn zum Zorn,
er sträubte seine Mähne und verließ sein Ruhelager.
Da spottete der Affe, daß, der über alle Tiere König,
von einer Maus sich in Bewegung setzen lasse.
Darauf der Löwe: »Nicht die Maus, du Schurke, fürchte ich,
daß sie im fliehen die Haut mir ritzen könnte;
nein, meine Mähne wollte sie mir schänden!«
Fab.83
Das hungrige Pferd
Den Futtervorrat für sein Pferd verkaufte ein Pferdepfleger
einem Wirt und zechte darauf den ganzen Abend,
dann striegelte und kämmte er das Pferd den ganzen Tag.
Das aber sprach: »Wenn es dir ernst ist, daß ich gut
aussehe,
dann darfst du, was mich nährt, auch nicht verkaufen.«
Fab.84
Die Mücke und der Stier
Die Mücke, die sich auf des Stieres gekrümmtes Horn gesetzt,
um sich ein wenig auszuruhn, sprach summend diese Worte:
»Wenn ich den Nacken dir beschwere und niederbeuge,
so will ich weggehen und mich auf die Pappel setzen dort am
Fluß.«
Darauf der Stier: »Ach, ob du weggehst oder bleibst,
ist mit ganz gleich; denn auch dein Kommen bemerkte ich
nicht.«
Fab.85
Die Hunde im
Kampf mit den Wölfen
Die Hunde und die Wölfe waren einst in Feindschaft.
Da wurde ein Achäerhund dazu gewählt, das Hundevolk
ins Feld zu führen. Weil der im Kampf erfahren war,
so zaudert' er und übte Vorsicht. Als die anderen ihm
darauf böse drohten, wenn der Schlacht er Aufschub gäbe,
da sprach er: »So vernehmt, warum ich zögernd Vorsicht übe!
Ein jedes Ding will nämlich wohl bedacht sein.
Die Feinde, die ich uns als Gegner seh, sind alle einer
Rasse;
von uns dagegen kommen einige aus Kreta,
und andere sind Molosser*
oder Akarnanier,
die dritten Doloper, aus Zypern oder Thrakien stammen manche
und andere noch von anderswo – doch wozu braucht's der
langen Rede?
Sie haben eine Farbe, anders wir,
von denen manche schwarz und manche aschgrau,
die dritten rötlich, an der Brust gefleckt,
und wieder andere weiß. Wie sollt ich die«. so schloß er,
»ins Feld führen, welche derart voneinander unterschieden,
zum Kampf mit Feinden, die in allem ganz sich gleichen?«
*Die
von dem epirotischen Stamm der Molosser gezüchteten Hunde
waren die größte
und stärkste Rasse in Griechenland und galten als scharf und
bissig.
Fab.86
Der gefräßige Fuchs
Ein alter Eichbaum hatte eine hohle Wurzel.
Dort lag der Ranzen eines Hirten, der schon nicht mehr neu,
jedoch mit altem Brot und Stücken Fleisch gefüllt war.
Und diesen Ranzen fraß ein Fuchs, der sich hineingedrängt,
von Grund auf leer. Es ist natürlich, daß davon sein Bauch
anschwoll,
und weil das Loch nun eng war, konnte er nicht hinaus.
Ein anderer Fuchs der auf sein Wehgeschrei herzukam,
sprach spottend: »Bleib nur, bis dich's wieder hungert!
Denn ehe nicht dein Bauch den gleichen Umfang hat
wie bei dem Eintritt, kommst du doch nicht wieder heraus.«
Fab.87
Der Hund und der Hase
Ein Hund, der einen Hasen vom Gebirge aufgebracht,
war hinter diesem her. Wenn er ihn eingeholt, so biß er;
doch wandte der sich um, so tat er freundlich.
Da sprach der Hase: »Zeige dich doch aufrichtig!
Was beißt du, bist du Freund? Was schmeichelst du als
Feind?«
Fab 88
Die
Haubenlerche während der Ernte
Die Haubenlerche, welche mit dem Regenpfeifer
vor Tage schon wetteifert, baute einst im Feld ihr Nest.
Und Junge hatte sie, die mit der Saatfrucht sie ernährte;
die trugen ihre Hauben schon und waren bald flügge.
Da kam der Landwirt, nachzusehen, und als er merkte,
der Weizen war gelbbraun, da sprach er: »Jetzt ist's Zeit,
daß ich zum Mähen alle meine Freunde rufe!«
Und eines von den Lerchenjungen, die die Haube trugen,
vernahm die Worte, meldet' sie der Mutter mit der Mahnung,
den Jungen anderswo den Nestbau zu besorgen.
Die aber sagte: »Noch hat's Zeit, an Flucht zu denken!
Wer nämlich auf die Freunde rechnet, hat es noch nicht
eilig.«
Doch als der Bauer wiederkam und nun erkannte,
wie sich die Ähren in der Sommerhitze neigten,
und Weisung gab, den Schnittern morgen ihren Sold zu bringen
und auch den Garbenbindern ihren Lohn zu zahlen,
da sprach die Lerche zu den kleinen Jungen: »Jetzt,
ihr Kinder, ist es für uns Zeit, uns auf den Weg zu machen.
Jetzt mäht er nämlich selber und verläßt sich nicht mehr auf
die Freunde.«
Fab.89
Der Wolf und das Lamm
Der Wolf, der's Lamm, das von der Herde sich verirrt,
erblickte, wollte diesmal ohne Gewalt es packen
und suchte darum für seine Klage einen guten Vorwand:
»Du hast beschimpft mich vor'ges Jahr, als du noch klein
warst!«
»Wie sollt ich das im vor'gen Jahr, da dieses Jahr ich erst
zur Welt kam?«
»Und hast du nicht den Acker abgeweidet, der doch mir
gehört?«
»Kein Stenglein Gras hab ich gegessen, und zur Weide kam ich
nicht.«
»Und hast du aus der Quelle nicht getrunken, wo ich trinke?«
»Allein der Mutter Euter ist's, das mich berauscht.«
Da packt der Wolf das Lamm und frißt es auf.
»Von dir läßt sich der Wolf die Mahlzeit nicht verderben,
auch wenn du jede Klage mir geschickt bestrittest.«
Fab.90
Der wütende Löwe
Der Leu war in Erregung. Ferne aus dem Wald
sah in der Hirsch und sprach: »O weh, wir Armen!
Was wird er nun in seiner Wut uns antun, da wir ihn,
selbst wenn er bei Verstand ist, nicht ertragen können?«
Fab.91
Der Stier und der
Ziegenbock
Ein Stier, der vor dem Löwen auf der Flucht,
drang ein in eine Höhle, die von Berghirten verlassen war.
Darin haust ein Ziegenbock, der von der Herde sich getrennt,
der senkte seine Hörner und vertrieb den Stier.
Doch der bemerkte: »Nicht vor dir, nein, vor dem Löwen weich
ich aus,
und darum dulde ich für ein Weilchen deinen Übermut.
Laß ihn nur erst vorüber sein, dann sollst du merken,
wie sehr sich Bock und Stier noch unterscheiden!«
Fab:92
Der feige Jäger
Dem Löwen spürte einst ein Jäger, der nicht allzu mutig,
im schatt'gen Waldgebirge nach.
Als nahe bei der hohen Fichte er einen Holzknecht traf,
da rief er: »Bei den Nymphen, kennst du nicht
die Fährte jenes Löwen, der sich hier verbirgt?«
Erwidert jener: »Wirklich, Gott hat dich geführt;
den Löwen selber nämlich kann ich dir gleich zeigen.«
Erblaßt der Jäger, klappert mit den Zähnen:
»Tu mir nicht mehr zuliebe, als ich wünsche!
Weis mir die Fährte, doch den Löwen zeig mir nicht!«
Fab.93
Die Wölfe und die
Schafe
Gesandte von den Wölfen kamen einst zum Pferch der Schafe,
Verträge bietend und den festen Frieden,
sofern die Hunde sie den Wölfen zur Bestrafung übergäben,
durch die sie Hass und Streit nur miteinander hätten.
Die Herde, töricht und blökdumm in allem,
wollt darauf eingehn. Doch ein alter Widder -
ihm sträubte sich vor tiefem Schreck das Fell -
rief laut: »Wahrhaft, ein ungeheuerlicher Vorschlag!
Wie werden ungeschützt wir mit euch leben,
die ihr uns jetzt schon ohne Gefahr nicht weiden laßt,
wiewohl die Hunde uns bewachen?«
Fab.94
Der Wolf und der Reiher
Dem Wolf blieb einst im Hals ein Knochen stecken.
Dem Reiher hohen Lohn zu zahlen, sagte er,
sei er bereit, wenn der mit seinem langen Schnabel
das Hindernis herausziehn und den Schmerz beenden wolle.
Der Reiher tat's und fordert' nach getaner Arbeit seinen
Lohn.
Der Wolf darauf entgegnete mit häm'schem Grinsen:
»Ist's nicht genug dir Lohn für deinen Arztesdienst,
daß aus dem Wolfsmaul heil du deinen Kopf herausgezogen?«
Wenn Bösen du zu Hilfe kommst, wirst rechten Lohn du nicht
empfangen;
vielmehr mußt du zufrieden sein, wenn du nicht Arges noch
erduldest.
Fab.95
Der törichte Hirsch
Der Leu lag krank in seiner Felsenhöhle,
die trägen Glieder auf der Erde ausgestreckt.
Der Fuchs, sein Freund, war mit ihm im Gespräch.
Dem sagt' er: »Wenn du willst, daß ich soll leben -
ich habe Hunger nach dem Hirsch, der unter wilden Fichten
dort drüben in dem dichten Walde haust.
Ihn zu erjagen, fehlt es mir an Kraft;
doch wenn du's willst, so wird in meine Hand er fallen,
erjagt durch deine honigsüßen Worte.«
Der Schlaue ging, und in des Waldes Wildnis
fand er den Hirsch, wie über zartes Gras er setzte.
Zuerst ging er ihn freundlich an, dann bot er seinen Gruß
und fügt' hinzu, er sei der Übermittler froher Botschaft.
»Der Löwe«, sprach er, »weißt du, ist mein Nachbar.
Ihm geht es schlecht, und nah ist er dem Tode.
Wer nach ihm Herr der Tiere sein soll,
bereitet ihm viel Sorgen. Das Schwein ist gar zu dumm,
der Bär zu träge, und der Panther ist zu ungebärdig.
Der Tiger ist ein Prahlhans, ganz und gar ein Einzelgänger.
Der Würdigste, zu herrschen, mein ich, ist der Hirsch.
Er ist von stolzem Aussehn, hat ein langes Leben,
und sein Geweih ist furchterregend allen Tieren,
so wie ein Baum und nicht so wie die Ochsenhörner.
Was soll ich noch viel reden? Es braucht nur noch des
letzten Wortes;
und du bist Herrscher aller Tiere, welche das Gebirge
durchstreifen!
Dann sollst an den Fuchs du denken, der als erster,
Gebieter, dir die Kunde brachte. Darum nämlich kam ich.
Doch lebe wohl, mein Lieber! Denn ich bin in Eile,
damit der Löwe mich nicht wieder suche.
In allen Fällen sucht er nämlich meinen Rat.
Auch du, mein Sohn, bist bald dabei, sofern
auf dieses graue Haupt du hörst. Du solltest kommen,
um neben ihm zu sitzen, ihm in seinem Leiden Mut zu machen.
Wer in den letzten Zügen liegt, den rühren auch die kleinen
Dinge,
und in den Augen der dem Tod Geweihten flackert auf die
Seele.«
So sprach der Fuchs. Es blähte sich vor Stolz der Hirsch
ob jener schönen Worte und begab sich in des Raubtiers
Höhle,
das Kommende nicht ahnend.
Denn unversehens sprang der Leu von seinem Lager,
mit scharfen Krallen jenes Ohren zu zerfleischen,
ungebärdig.
Da floh der Arme eilig durch die Tür
und hielt erst in des Waldes Mitte ein.
Die Hände aber schlug der Fuchs zusammen,
weil soviel Müh vergeblich aufgewandt
Der Löwe stöhnte, knirschte mit den Zähnen -
es quälten Hunger doch und Ärger ihn zugleich -,
und wieder ging den schlauen Fuchs er an,
daß eine neue Jagdlist er ersinnen möchte.
Nachdem der eifrig dies und das erwogen, sprach er:
»Gar schwieriges verlangst du, doch ich werde es schon
schaffen.«
Und wie ein Jagdhund, welcher in der Jagdkunst
und Jägerschlichen gut sich auskennt, folgte er der Spur,
befragte einen jeden Hirten, ob ein Hirsch
nicht auf der Flucht vorübereilte, der da schweißte.
Gar mancher hatte ihn gesehn und zeigte auch den Weg,
bis daß der Fuchs ihn fand an einem schatt'gen Ort,
wo er vom Laufen sich erholte. Mit frechem Blick
und dreister Stirne wartete der List'ge auf.
Ein Schauder ging dem Hirschen durch Mark und Bein;
Die Galle kocht' ihm, und er sprach:
»Ich fliehe, und du folgst mir immer hinterdrein.
Doch diesmal, Scheusal, sollst du keine Freude haben,
wenn du mir in den Weg kommst und mich anzugrunzen wagst.
Mit anderen, denen du noch unbekannt, magst immer du
fuchsschwänzeln, magst zu Königen küren sie und auf den
Thron sie setzen.«
Doch nicht verlor den Mut der Fuchs, er fiel ihm gleich ins
Wort:
»Bist du wohl immer gar so unvornehm und voller Angst?
Hast immer solchen Argwohn gegen deine Freunde?
Es wollte doch der Löwe dir nur Gutes raten
und dich aus deiner alten Trägheit wecken; darum hat
am Ohr er dich gezupft, so wie ein Vater auf dem
Sterbebette.
Er wollte dir ja Weisung geben, wie ein solches Reich,
das du erhältst, du kannst bewahren.
Doch mißverstandest du das Necken von des Kranken Hand,
du rissest mit Gewalt dich los und wardst verwundet.
Der Löwe ist jetzt mehr noch zornerfüllt als du;
er fand dich wenig zuverlässig, leichtsinnig noch dazu,
und will darum den Wolf zum König machen.
Das wäre mir ein schlimmer Herr! Was soll ich tun?
Für alle, fürchte ich, könnte das ein Quell des Übels sein.
Drum komm und führe dich, wie's sich gehört!
Sei nicht so ängstlich wie das Schaf der Herde!
Ich schwör's bei allen Blättern, allen Quellen -
ach, möchte es sein, daß ich allein dir diene!-,
der Leu ist dir nicht feind, kommt vielmehr dir entgegen,
er setzt zum Herrn dich über alle Lebewesen.«
Derart beschwatzte er den Spießer, redete ihm zu,
aufs neue in die Unterwelt zu kommen.
Und als er diesmal in des Dickichts engsten Winkel
eingeschlossen,
da fand der Löwe seine Mahlzeit, die vollkommen war,
das Fleisch verzehrend, aus den Knochen Mark aussaugend,
die Eingeweide schlingend. Doch der Helfer bei der Jagd
stand hungernd draußen, bis das Hirn des Hirsches hinfiel:
das schnappt der Fuchs und bringt es heimlich fort
als Lohn für alle seine Mühen.
Der Löwe aber zählte, prüfte alle Eingeweide;
das Hirn nur mußte er vermissen.
Darauf untersuchte er das Lager und die ganze Häuslichkeit.
Da sprach der Fuchs, der Wahrheit fern:
»Das Hirn, das gab es nicht! So suche nur nicht weiter!
Wie könnte einer Hirn wohl haben,
der zweimal in das Haus des Löwen seine Schritte wandte?«
Fab.96
Das Schaf auf der Mauer
An einer Mauerzinne ging ein Wolf vorbei. Von drinnen guckt'
ein Schaf hervor und schmähte ihn mit schlimmen Reden.
Und zähneknirschend sagte jener: »Die Mauer war es,
die mich schmähte; bilde dir nichts darauf ein!«
Die Fabel zeigt dies deutlich an:
Es werde keiner übermütig, der durch Zufall stark ist.
Fab.97
Der Löwe und der
wilde Stier
Der Löwe stellte einst dem wilden Stiere nach.
Ein Opfer für die Göttermutter*
gab er vor
und lud zum Opferschmaus den Stier mit ein.
Und jener, an nichts Arges denkend, sagte zu.
Er kam, betrat die Tür des Löwenhauses.
Doch als er viele Töpfe sah, mit heißem Wasser voll,
und Messer aller Art, die blank geputzt,
und an der Türe weiter nichts als einen Opferhahn,
da nahm er Reißaus ins Gebirge.
Es tadelt' in der Leu, als er ihn später traf.
Erwidert' jener: »Ich war da und habe dies zum Zeugnis:
das Opfertier entsprach nicht recht dem Schlachtwerkzeug.«
*Kybele:
Die Magna Mater (Große Mutter), eine phrygische
Fruchtbarkeitsgöttin, die im
nachklassischen Griechenland und seit dem 3. Jh. v. u. Z.
auch in Rom verehrt wurde.
Fab.98
Der Löwe als Bräutigam
Von heißer Brunst ergriffen, hielt der Löwe
um eines schönen Mädchens Hand bei ihrem Vater an.
Der Alte zeigte sich durchaus nicht abgeneigt und sagte:
»Ich gebe sie dir zur Frau und freue mich darüber;
wer möchte schließlich nicht den Herren Leu zum Eidam haben?
Jedoch die Mädchen und die jungen Frauen sind zart
veranlagt;
du aber hast so scharfe Krallen, hast – bei Gott! -
so scharfe Zähne, welches Mädchen sollte es darum wagen,
dich furchtlos in den Arm zu nehmen? Wird eher sie nicht
weinen?
Das sollst du bedenken, wenn die Heirat du begehrst;
kein wildes Tier, ein Bräut'gam mußt du sein!«
Der Löwe, voll Entzücken und der Rede glaubend,
ließ sich die Zähne ziehen und mit dem Federmesser
die Krallen sich entfernen. Dann trat er vor den Alten
und bat ihn um das Mädchen. Aber da ging's los:
mit Knüppeln, Steinen, Händen drosch man auf den Löwen ein.
Verendend wie ein Schwein, lag wehrlos nun der Löwe da,
durch des verschlagnen Alten List belehrt,
daß es nicht angeht, daß die Menschen Löwen
und daß die Löwen Menschen lieben.
Fab.99
Der Löwe und der Adler
Zum Löwen kam ein Adler einst geflogen
und bat um Freundschaft. »Nun, was soll uns hindern?« sprach
der Leu,
»jedoch ein Pfand mußt du mir geben, daß du nicht
auf deine schnellen Schwingen deine Hoffnung setzt;
wie sollte ich einem Freunde trauen, der doch unstet?«
Fab.100
Der Wolf und der Hund
Dem Wolf begegnete ein Hund, ein ungewöhnlich dicker.
Den fragte jener, wo in Kost er stehe,
daß er so groß und stattlich sei, vor Fett so strotze.
»Ein reicher Mann ist's«, sagt' er, »der mir Nahrung gibt.«
Darauf der Wolf: »Wie kommt es, daß dein Hals so weiß ist?«
»Das Fleisch ist aufgerieben von dem Eisenhalsband,
das mir mein Halter umgelegt, nachdem er's selbst
geschmiedet.«
Da lachte laut der Wolf. »Ich pfeife«, sagte er,
»auf dieses üpp'ge Leben, um dessentwillen
ein solches Eisen mir den Hals aufreißt!«
Fab.101
Der eingebildete Wolf
Es lebte unter anderen Wölfen einst ein Wolf von großer
Stärke,
den man darum den Löwen nannte. Uneinsichtig war er
und konnte nicht den Ruhm vertragen, trennte sich vielmehr
von den Genossen, beigesellte sich den Löwen.
Mit Hohn sprach da das Füchslein: »Niemals möchte ich
erwachen aus Verblendung, wie du jetzt sie tief erlebtest.
Für Wölfe nämlich magst du wirklich als ein Leu erscheinen,
doch Löwen wirst du im Vergleich ein Wolf stets bleiben.«
Fab.102
Die Eintracht
unter den Tieren
Ein Löwe herrschte einst als König, ohne Zornwut,
nicht grausam oder auf Gewalt je pochend,
nein, sanft und rechtlich, wie's nur je ein Mensch vermag.
Und unter dieses Königs Herrschaft, sagt man,
fand ein Konzil statt jener Tiere, die in Freiheit leben,
um Recht zu geben wie auch zu empfangen.
Als alle Tiere Rechenschaft nun legten -
der Wolf dem Lamme und das Panthertier der Wildgeiß,
dem Hirsch der Tiger – und sie alle Frieden hatten,
da sprach der scheue Hase: »Oh, ich sehnte diesen Tag
schon längst herbei, der auch die Rücksichtslosen
vor Schwachen Furcht läßt fühlen!«
Fab.103
Der Fuchs vor
der Höhle des Löwen
Zur Jagd konnte nicht mehr gehen der Löwe,
denn alt geworden war er mit der Zeit.
So lag er ausgestreckt in seiner Höhle
wie einer, der sehr krank ist, stellte sich schwer atmend
und dämpfte heuchlerisch die laute Stimme.
Die Kunde davon ging durchs ganze Tierreich,
und alle klagten um des Löwen Krankheit.
Ein jeder kam zu ihm, Besuch zu machen.
Von diesen griff er einen nach dem andern
und fraß sie mitleidslos – das Alter wurde ihm erträglich.
Da kam dem schlauen Fuchs Verdacht,
und draußen bleibend, fragte er: »Wie geht dir's, König?«
Erwidert' jener: »Seid gegrüßt, mein liebster Freund!
Was trittst du nicht herein, besiehst mich nur von fern?
Komm näher nur, nimm Platz und tröste mich
durch bunte Fabeln jetzt in meinem Unglück!«
Der Fuchs darauf: »Leb wohl, und daß ich geh, verzeih!
Es schrecken mich die Spuren allzu vieler Tiere,
von denen keine du mir zeigen kannst,
die aus der Höhle führt hinaus.«
Fab.104
Der bissige Hund
Ein Hund biß unbedacht. Da ließ sein Herr
von einem Schmied ihm eine Schelle machen;
er hängte sie ihm um, von fern ihn anzukünd'gen.
Der Hund, die Schelle läutend, bläht sich auf dem Markt.
Da richtet eine alte Hündin an ihn das Wort:
»Du Tropf, was prahlst du so? Nicht Schmuck für
Wohlverhalten
und für Tüchtigkeit, Beweis für deine Bosheit vielmehr
kündest du.«
Fab.105
Der beraubte Wolf
Ein Wolf, der mitten aus der Herde ein Schaf gerissen,
trug heimwärts es. Begegnet' ihm der Löwe und nahm es weg.
Von weitem, stehenbleibend, schrie der Wolf:
»Zu Unrecht hast du mir mein Eigentum genommen!«
Der Löwe amüsierte sich und rief dem Wolf zum Spott:
»Ja, freilich, denn dir ward es ja geschenkt von Freunden –
nach dem Rechte!«
Fab.106
Der
gastgebende Löwe und der Fuchs
Der Löwe wollte einst auf großer Männer Weise leben,
und weil die Höhle ihm dafür genügend Raum darbot,
so ließ er, die vom Berggetier als vornehm er einschätzte,
wie es sich gehört, zum Mahle laden.
Gar oft versammelten in seiner Grotte sich die Tiere
in großer Zahl und fanden einen guten Wirt.
Er bat zu Tische, ehrt' die Gäste, wie es Brauch,
und setzte ihnen allen Speise vor, die's Herz erfreut.
Als Freund und Hausgenossen hielt er sich den Fuchs,
mit dem verbrachte er manche Stunde in vertraulichem
Gespräch.
Ein alter Affe war bestellt als Hofmarschall,
der wies den Gästen ihre Fleischportionen zu;
kam einer aber außerhalb des sonst gewohnten Kreises,
so legte er dem Hausherrn und dem Gast das gleiche vor
von dem, was von des Löwen letzter Jagd vorhanden war;
der Fuchs bekam nur wenig, stets bloß Reste.
Als er nun einmal auffallend verstummte
und unberührt ließ, was zur Tafel aufgetragen,
da fragte ihn der Löwe, welchen Grund er hätte:
»Du kluger Freund, so rede wie's sonst doch deine Art ist!
Genieß mein Lieber, heiteren Gesichts des Mahles Freuden!«
Der Fuchs erwiderte: »Erlauchtester im Tierreich,
von großer Sorge wird mein Herz zerrissen;
denn nicht allein die Gegenwart bereitet Schmerzen mir,
noch mehr ist bang mir vor der Zukunft, die ich kommen seh.
Wenn nämlich jeden Tag bald der, bald jener hier zu Gaste
ist
und solches zur Gewohnheit wird, bin ich's bald nicht
allein,
der sich von Resten nähren muß!«
Der Löwe war entzückt und lächelte nach Löwenart.
»Den Affen«, sagt er, »trifft der Vorwurf und nicht mich.«
Fab.107
Der Löwe und die Maus
Der Löwe hatte eine Maus erjagt und wollte sie verspeisen;
jedoch die Diebin, die im Hause unbeliebt,
da sie ihr letztes Stündlein nahen fühlt, verlegt sie sich
aufs Flehn.
Sie sagt: »Wohl Hirsche und gehörnte Stiere stehen dir an
als Beute auf der Jagd und Füllung für den Bauch;
jedoch das Mäusefleisch, das sollten deine Lippen nie
berühren.
Darum bitte ich, schone mich, vielleicht daß ich dir einst,
obschon ich klein, von Nutzen bin!«
Da lacht der Löwe auf und läßt die Maus am Leben.
Und nicht viel später fiel er jungen Jägern in die Hand,
geriet ins Netz und ließ sich übertölpeln
und fing an seiner Rettung an zu zweifeln.
Da kam die Maus aus ihrem heimlichen Versteck gesprungen
und nagt' mit ihren kleinen Zähnchen an dem festen Strick,
bis das der Löwe frei war. Also gab sie Dank dafür,
daß vorher er das Lebenslicht ihr schonte.
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