Fab.108
Die Stadtmaus und die Landmaus
Zwei Mäuse, deren eine auf dem Lande hauste,
indes die andere in der Stadt in reichen Magazinen lebte,
beschlossen, daß sie ihren Haushalt künftighin gemeinsam
führten.
Zuerst erschien die Stadtmaus auf dem Land,
das gerade noch im Frühlingsgrün erstrahlte.
Doch als sie dünne, regennasse Wurzeln fressen mußte,
an denen noch die schwarze Erde klebte, sprach sie
zu der Gefährtin: »Pfui, du lebst so elend wie die Ameise,
ernährst in dunkler Tiefe dich von mageren Krumen!
Dagegen habe ich an allem reiche Auswahl
und wohne im Vergleich zu dir im Horn*
der Amaltheia.
Kommst du mit mir, so wirst nach Herzenslust du schwelgen.
Die Erde zu durchwühlen, überlasse dem Maulwurf!«
So führte sie die Feldmaus fort und redete ihr zu,
zu wohnen in der Stadt, in menschlicher Behausung.
Sie zeigte ihr, wo der Gerstenvorrat liegt
und wo der Bohnenhaufen und die Feigenfässer
und wo die Honigkrüge und die Dattelkörbe.
Wie nun die Landmaus sich daran ergötzt,
ein Stückchen Käse nimmt und bei sich trägt,
ging plötzlich eine Türe auf. Und eingeschüchtert floh die
Maus
und suchte Zuflucht in dem äußerst abgelegnen Winkel;
sie piepste ängstlich und bedrängte ihren Gastherrn.
Nachdem sie eine Zeitlang stillgehalten, guckte sie hervor
aufs neu, um eine Feigenfrucht aus Rhodos anzuknabbern.
Da kam ein anderer, um etwas sich zu holen;
die beiden mußten sich verstecken. Darauf die Feldmaus:
»So lebe wohl und bleibe reich bei dieser Art von Leben
und schwelge weiter bei den üpp'gen Mählern,
wo all die Fülle voll ist von Gefahren!
Ich aber werde meine schlichte Scholle nicht verlassen,
wo mein bescheidnes Mahl ich ohne Furcht kann essen.«
*In
der griechischen Sage nährte die
Nymphe Amaltheia den
Zeus als Kind mit der Milch
einer Ziege. Deren
abgebrochenes Horn, gefüllt mit Früchten und bekränzt mit
Blumen,
wurde zum Zeichen des Überflusses.
Fab.109
Der Krebs und seine
Mutter
»Geh nicht so krumm«, sprach zum Krebse seine Mutter,
»und stell auf glattem Fels die Glieder nicht so quer!«
Darauf der Junge: »Meine Lehrerin und Mutter,
geh aufrecht du voran, und wenn ich's sehe, will ich es
genau so machen!«
Fab.110
Der gescholtene Hund
Ein Herr wollte ausgehen, und sein Hund stand noch daneben.
»Was gaffst du? rief er«, »mache dich fertig;
denn du sollst mit mir kommen!« Und der Hund
hebt bloß den Schwanz und spricht: »Ich bin ja fertig, nur
du säumst.«
Fab.111
Der Esel als Lasttier
Ein Krämer hatte einen Esel. Als er hörte,
daß Salz am Meere billig sei, beschloß er,
dort zu kaufen. Tüchtig lud er seinem Esel auf
und nahm den Weg zurück. Nach einer guten Weile
glitt unversehens der Esel aus und fiel in einen Bach.
Und weil das Salz zerging, ward seine Last erleichtert.
Flugs stand er auf, und mühelos gelangte er ins Binnenland.
Nachdem das Salz verkauft war, führte der Krämer
seinen Esel fort zum nächsten Gang
und legte ihm noch größere Lasten auf.
Als stöhnend der den Bach passierte, wo er vorher
ausgeglitten,
da fiel er hin mit Absicht. Wieder löste sich die Fracht.
Mit Leichtigkeit erhob er sich, voll Freude über den Erfolg.
Indes der Kaufmann sich besann und holte Schwämme aus dem
Meer,
es waren viele an der Zahl, mit großen Löchern;
am Salze hatte er die Last verloren.
Als nun der schlaue Esel an dem Bache ankam,
so ließ er sich wieder fallen. Die Schwämme aber sogen
sich voll Wasser, ihr Gewicht vermehrte sich.
Mit doppelt soviel Last auf seinem Rücken kam er nun nach
Hause.
Fab.112
Die Maus und der Stier
Einst biß die Maus den Stier. Dem tat das weh, darum stürzte
er ihr nach.
Doch die kam ihm zuvor und schlüpfte in ein Loch.
Der Stier, der stand davor und stieß mit seinen Hörnern an
die Wand,
bis er ermüdet in die Knie sank und einschlief am Mauseloch.
Die Maus jedoch guckt raus, sie schleicht heran,
sie beißt aufs neue und macht sich fort. Der Stier stand
auf.
Was sollte er noch tun? Er wußte es nicht. Doch höhnte ihn
die Maus:
»Nicht immer ist der Große stark. Denn Fälle gibt's,
da ist es besser, klein und unscheinbar zu sein.«
Fab.113
Der unachtsame
Schafbesitzer
Am Abend sperrte einer seine Schafe in den Pferch
und war dabei, den fahlen Wolf mit einzusperren.
Das sah der Hund und sagte zu dem Manne warnend:
»Wie willst du deine Schafe dir erhalten, wenn du den
mitgibst?«
Fab:114
Der Leuchter und
die Sterne
Der Leuchter, der vom Öle trunken, rühmt' sich eines Abends
vor denen, die es hören mußten: »Größer als der Morgenstern
bin ich und spende allen wunderbares Licht.«
Der Wind stand auf, und aus war gleich das Licht,
von seinem Atem nur berührt. Und einer zündet's wieder an.
»Du, Leuchter, gib dein Licht und schweig!
Der Glanz der Sterne, der erlischt niemals!«
Fab:115
Die vermessene
Schildkröte
Zu Tauchern, die in Sümpfen leben, Möwen und zu flinken
Eisvögeln sprach die faule Schildkröte einst:
»Hätte einer mir doch Flügel auch gemacht!«
Das hört' der Adler, und er rief ihr zu:
»Wieviel Lohn willst du mir, Schildkröte, geben,
wenn ich in leichtem Flug dich durch die Lüfte trage?«
»Ich gebe dir des Roten Meeres ganzen Reichtum.«
»So will ich's lehren dich«, erwidert' er und hob sie
rücklings,
trug sie durch die Wolken, ließ sie fallen dann auf einen
Berg,
wodurch ihr fester Panzerschild im Rücken brach.
Da sprach sie, in den letzten Zügen liegend: »Recht ist mir
geschehen;
was sucht ich in den Wolken, wozu braucht ich Schwingen,
die ich doch schwer genug schon auf der Erde mich bewege?«
Fab.116
Der schöne Knabe
Es war um Mitternacht, da hörte einen Knaben man
vortrefflich singen.
Die Frau vernahm es und erhob sich, sie schaute aus dem
Fenster
und erblickt' den Knaben; der war sehr schön im hellen Licht
des Mondes.
Da ließ sie ihren Mann im Schlafgemach zurück
und ging hinunter, öffnete die Tür, erfüllte ihr Verlangen.
Da plötzlich stand ihr Mann auch auf und sucht nach ihr,
und da er sie nicht drinnen fand, verlor er keine Zeit
und macht' sich auf den Weg. Er spricht zur Ehefrau:
»Erschrick dich nicht, jedoch den Knaben bring dazu, in
unserm Haus zu schlafen.«
Und nahm in mit, verführte ihn, und weil sie beide sich
betät'gen wollten, kam auch er zu seinem Spaß.
Fab.117
Hermes und der
ungerechte Tadler
Als einst ein Schiff mit Mann und Maus versunken war,
nannte jemand, der's gesehen, die Götter ungerechte Richter;
weil nämlich einer auf dem Schiffe mitfuhr, der
verbrecherisch,
so müßten viele andere, die ohne Schuld, doch mit ihm
sterben.
Und während er so sprach, wie das ja vorkommt,
kam unter ihm ein Schwarm von Ameisen gezogen,
die alle Weizenspreu erjagen wollten.
Und als ihn eine biß, zertrampelt' er die meisten.
Da sprach Gott Hermes, mit dem Stab ausschlagend:
»Jetzt wirst du's wohl ertragen, daß die Götter
euch richten
in derselben Art wie du die Ameisen.«
Fab.118
Die unglückselige
Schwalbe
Die braune Schwalbe, die gerne bei den Menschen wohnt,
erbaut' im Frühling einst ihr Nest an einer Wand des Hauses,
wo die alten Männer sitzen zu Gericht.
Von sieben Jungen wird sie Mutter dort;
noch fehlen ihnen purpurrote Schwingen.
Die fraß die Schlange alle reihum auf, als sie
aus ihrem Loch kam angekrochen. Die unglücksel'ge Mutter
beklagt den frühen Tod der Jungen.
»O weh«, spricht sie, »o weh mir Armen!
Dort, wo Gesetz und Recht der Menschen herrschen,
muß ich, die Schwalbe, der man Unrecht tat, entfliehn.«
Fab.119
Das Hermesbild aus Holz
Ein Mann, ein Handwerker, besaß ein Hermesbild aus Holz.
Dem brachte er alle Tage reiche Opfer dar,
und trotzdem ging's ihm schlecht. Das macht' ihn wütend auf
den Gott,
er packte ihn am Fuß und warf ihn nieder auf die Erde.
Da fielen Stücke Gold aus dem zerbrochnen Kopf.
Die sammelte der Alte auf und sprach: »O Hermes,
wie bist du dumm und ohne Rücksicht gegenüber deinen
Freunden!
Als wir dich ehrten, wolltest keinen Nutzen du uns bringen,
entgaltst es uns jedoch mit vielem Guten, als wir schmähten
dich.
Den neuen Kult für dich, den kannt ich nicht!«
Nun, Götter, euch bezieht Äsop in seine Fabeln ein,
wenn miteinander er uns raten will.
Gewinn wirst du nicht haben, ehrst du einen krummen Mann;
doch mag dir's Nutzen bringen, schiltst du ihn.
Fab.120
Der Frosch als Arzt
Der Frosch, der in den Sümpfen wohnt und sich des Dunkels
freut,
der an den aufgeworfnen Gräben gerne weilt,
kam einst aufs Land und sprach zu allen Tieren:
»Ich bin ein Arzt, der die Arzneien kennt
wie keiner sonst vielleicht, selbst nicht Paian*,
der den Olymp bewohnt, die Götter dort betreut.«
»Wie«, sagte da der Fuchs, »willst einen andern du kurieren,
der du so faul bist und dir selbst nicht helfen kannst?«
*Paian,
Paion, Päon: "Nothelfer", der Götterarzt, auch Beiname des
Apollon als Heilgott.
Fab.121
Das kranke Huhn
und die Katze
Das Huhn war einst erkrankt, da schaute die Katze
hinein und fragt': »Wie geht's? Hast du was nötig?
Ich will dir's gern besorgen, bleib nur leben!«
Da sprach das Huhn: »Geh fort! Dann brauche ich nicht zu
sterben!«
Fab:122
Der lahme Esel und
der Wolf
Der Esel trat in einen Dorn und blieb mit lahmem Fuße
stehen.
Da sah den Wolf er kommen und sein sicheres Ende nahen
und sprach: »Ich muß nun sterben, Wolf, mein Leben hauch ich
aus.
Da freu ich mich, daß ich dich treffe; du wirst mich besser
doch als Geier
oder Rabe fressen. Doch mußt du einen Dienst mir tun, der
dir nicht schadet
und nicht schwerfällt: Zieh aus dem Fuß mir diesen Dorn
heraus,
auf daß mein Geist schmerzfrei zum Hades eingeht!«
»Gern will ich diesen Dienst dir tun«, erwidert jener und
zog mit spitzen Zähnen
den frischen Dorn heraus. Der Esel, frei von Schmerz und
allem Ungemach,
versetzt' den Wolf, der schon das Maul aufriß, 'nen Tritt
und lief davon,
nachdem er Nase, Stirn und Kinn ihm weich gemacht.
»Weh mir«, rief jener, »doch geschieht's mir recht!
Was wollte ich jetzt den Arzt für Lahme spielen,
nachdem ich doch seit je nichts anderes als morden lernte!«
Fab.123
Das Huhn mit
den goldenen Eiern
Es war einmal ein gutes Huhn, das legte goldene Eier;
es glaubt' daher sein Herr, in seinem Bauche müsse sich
ein großer Klumpen Gold befinden, von dem es immerfort
gebäre.
Er schlachtet' darum das Huhn, doch fand er alles so,
wie's der Natur entspricht. Und wenn er hoffte und begehrte,
den größten Reichtum zu gewinnen, so hatte er jetzt,
was doch ein wenig abwarf, auch verloren.
Fab.124
Der Vogelsteller,
das Rebhuhn und der Hahn
Zu einem Vogelsteller kam ein unerhoffter Freund,
als der gerade sein Mahl aus Sellerie und Kresse verzehren
wollte.
Im Käfig war nichts drinnen, er war gerade nicht auf Jagd
gewesen.
Und schon war er daran, das bunte Rebhuhn abzuschlachten,
das er gezähmt zur Jagd im Hause hielt. Das aber fleht',
er solle es nicht töten: »Was wirst in Zukunft mit dem Netz
du machen,
sooft du gehst zur Jagd? Wer wird die Schar der schönen
Vögel,
die einander gut sind, dir zusammenlocken? Von welches
Sängers Lied wirst in den Schlaf du sinken?«
Da ließ der Mann das Rebhuhn laufen und schickt' sich an,
den Hahn
zu packen mit dem Bart. Der krähte laut von seiner Stange
herunter:
»Wer sagt dir dann, wieviel noch fehlt zum Morgen, wenn ich,
der dir die Zeit verkündet, nicht mehr bin? Wer wird dann
wissen,
wann Orion untergeht mit seinem goldnen Bogen?
Wer wird an deine morgendliche Arbeit dich erinnern,
wenn naß vom Tau die Vogelschwingen sind?«
Erwidert jener: »Ja, du weißt die rechten Stunden;
jedoch muß jetzt mein Freund etwas zu essen haben!«
Fab.125
Der alberne Esel
Ein Esel stieg aufs Dach und machte Albernheiten,
dabei zerschlug er viele Ziegel, bis ein Mann
herzukam und mit Schlägen ihn herunterholte.
Der Esel wandte sich an den, indes der Rücken ihn sehr
schmerzte:
»Hat nicht der Affe gestern noch und vorher,
indem er Gleiches tat, euch großen Spaß gemacht?«
Fab.126
Die Wahrheit in
der Einsamkeit
Ein Wanderer verirrte sich in der Einsamkeit.
Und stehend fand er da die Wahrheit, ganz allein.
Er spricht zu ihr: »Aus welchem Grunde, Alte,
hast du die Stadt verlassen, wohnst hier in der Fremde?«
Ihm gleich erwidernd, sprach sie voller Tiefsinn:
»Nun, noch vor kurzem war die Lüge nur bei wenigen;
jetzt aber fand sie Eingang allenthalben.«
Fab.127
Die Sündentafeln
Auf Tafeln hieß Gott Zeus den Hermes schreiben
die Sünden und Verfehlungen der Menschen
und alles dann in einem Schrank verschließen,
der nahe bei ihm stünde, daß er Nachforschung betreiben und
bei jedem seine Schuld einfordern könne.
Die Tafeln kamen durcheinander, und die eine
gerät erst später und die andere früher
zur Urteilsfällung in Zeus' Hände.
Die Bösen sollten sich darum nicht wundern,
wenn alles Unrecht spät erst seine Sühne findet.
Fab.128
Die Klage des Schafes
Ein Schaf sprach folgendes zu seinem Hirten:
»Du scherst mich und bekommst von meiner Schur die Wolle,
und wenn du melkst, so liebst du's, Käse daraus zu machen,
und unser Nachwuchs mehrt dir deine Herden.
Uns nützt das nichts! Und unsere eigene Nahrung,
das ist bloß dünnes Gras, dazu vom Tau noch triefend;
denn was soll Frisches auf den Bergen schon gedeihen?
Den Hund jedoch, den du in unsrer Mitte hältst,
ernährst du mit den gleichen guten Speisen wie dich selbst!«
Der Hund vernahm es und erwiderte darauf:
»Wäre ich nicht hier und weilte unter euch, ihr würdet kaum
genug
je Futter haben; ich lauf herum und halte alles fern,
den bösen Räuber und den Wolf, der auf euch scharf ist.«
Fab.129
Der Esel
in der Rolle des Schoßhundes
Ein Mann hielt einen Esel und ein kleines Hündchen.
Des Hündchens freute sich sein Herr, weil es possierlich
spielte und immerfort um ihn herum war,
und jener drückte es fest an seine Brust.
Der Esel aber mußte des Abends Körner vom Getreide mahlen,
das Demeter liebt, des Tages brachte er Holz
vom Bergwald und vom Acker, was man brauchte,
und stand danach im Stalle, an die Krippe festgebunden,
und mußte Gerste fressen, so wie er's gewohnt war.
Das ging ihm nahe, und es packte ihn die Wut,
sobald den Hund in seiner Üppigkeit er sah;
drum riß er los sich aus dem Krippenhalfter,
lief mitten auf den Hof und schlug dann aus nach allen
Seiten.
Um schönzutun und um sich auszutollen,
ging los er auf den Tisch und warf ihn um,
und das Geschirr, das darauf stand, machte er zu Scherben.
Den Herrn, der eben speiste, wollte er küssen
und sprang ihm auf den Rücken. Die Not war groß,
da retteten die Diener, die ihres Herrn Bedrängnis sahen,
ihn wahrhaft aus des Esels Backenknochen.
Mit Knüppeln aus hartem Kirschbaumholze schlugen sie
von allen Seiten auf ihn ein, bis daß er stöhnte:
»Jetzt muß ich Elender, was mir gebührt ertragen!
Ach, wäre ich doch als Esel bei den Eseln nur geblieben!
Was mußt ich Dummkopf auch mit einem Schoßhund mich
vergleichen?«
Fab.130
Der gierige Wolf
und der Fuchs
Der Fuchs stand unweit einer Eisenfalle
und dachte bei sich nach, was wohl zu tun sei.
Der Wolf, der gleichfalls in der Nähe war,
bemerkte ihn, er kam herbei und gierte nach dem Fleisch.
Da sprach der Fuchs: »Komm her! Du kannst es gerne haben,
gehörst du doch zu meinen engsten Freunden.«
Flugs trat der Wolf herzu. Beim Tasten aber
berührte er den Stock, da schlug die Falle zu,
und außer seiner Stirn wurd ihm die Nase auch getroffen.
»Wenn du«, sprach er zum Fuchse, »deinen Freunden solche
Geschenke machst, wie sollen sie dir das entgelten?«
Fab.131
Der leichtsinnige
Jüngling und die Schwalbe
Ein Jüngling hatte beim Würfelspiele sein Vermögen
durchgebracht.
Nur einen Mantel wollte er sich retten, damit ihm nicht,
weil's Winter war, die Kälte schaden könne.
Doch sollte ihm das Spiel auch den noch nehmen.
Vorm Frühling nämlich kam von Theben her
geflogen eine Schwalbe, vor der Zeit; die hört' er leise
zwitschern.
»Was brauch ich jetzt den Mantel noch?« so meinte er.
»Sieh da die Schwalbe, das bedeutet Wärme!«
Er sprach's, ging hin und setzte sich zum Spiel,
nach kurzem Einsatz ging der Mantel ihm verloren.
Ein Schneesturm kam und fürchterlicher Hagel,
und jedermann hatte wollne Kleidung nötig.
Als er da halb bekleidet aus der Tür sich beugte
und nach der munteren Schwalbe spähte,
erblickte er den Vogel tot vor Kälte.
»Du Ärmste«, sprach er, »wärst du mir doch nie vor Augen je
gekommen!
Dich selber hast du ebenso wie mich betrogen!«
Fab.132
Das Schaf auf der
Flucht vor dem Wolfe
Ein Schaf erblickte plötzlich einen Wolf, der streunte,
da floh es in ein Heiligtum, das unverschlossen,
weil gerade ein Opfer festlich ward begangen.
Der Wolf kam in das Heiligtum nicht mit hinein,
doch draußen stehend, sprach er mit dem Schaf:
»Siehst den Altar du, der befleckt von Blut?
So komm heraus! Man wird dich packen und dich opfern.«
Jedoch das Schaf: »Um mein Asyl brauchst du dich nicht zu
sorgen.
Mir geht es gut. Und wenn es dennoch sein muß, zieh ich's
vor,
dem Gott zum Opfer als dem Wolf zum Fraß zu dienen.«
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