Fabelverzeichnis

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Der Pläne schmiedende Mönch
Der Jäger und der Wolf
Die Löwin, der Bogenschütze und der Schakal
Der Mönch und der Gast
Der leichtgläubige Dieb
Der Hahn und der Fuchs

Der Pläne schmiedende Mönch

Es war einst ein gottesfürchtiger Mann, in dessen Nachbarschaft ein Händler wohnte,
der mit Honig und Öl Geschäfte machte. Jeden Morgen schickte dieser aus seinen
Beständen eine gewisse Menge dem frommen Mann zu seiner Verköstigung. Dieser aß
etwas davon, den Rest tat er in einen Krug, den er über sein Haupt hing. So wurde
der Krug allmählich voll.
Eines Tages schaute er hinein und dachte: >Sollte es mir gelingen, den Honig für
zehn Drachmen zu verkaufen, dann kaufe ich mir dafür fünf Ziegen. Diese bringen
jeden Monat fünf Junge zur Welt, und das ergibt dann schon bald eine Herde. Das reicht

mir dann völlig zum Leben. Ich stelle meine Sachen selbst her und suche mir auch eine
Frau. Zweifelsohne wird sie mir einen Sohn schenken. Ihm gebe ich dann einen schönen Namen, lehre ihn Anstand und all das, was ich weiß. Wenn er groß geworden ist und aufsässig werden sollte, werde ich ihm mit diesem Stock schon Manieren beibringen.<

 
Diese Gedanken ergriffen derart Besitz von ihm, daß er plötzlich seinen Stock nahm und – ohne sich recht im klaren darüber zu sein – auf den Krug eindrosch, der natürlich sofort zerbrach; sein Inhalt, all der Honig, ergoss sich übersein Gesicht.
 
Der Jäger und der Wolf

Eines Tages ging ein Jägersmann auf die Jagd aus, versehen mit Bogen und Pfeilen.
Er war noch nicht weit gegangen, so schoß er eine Gazelle. Er nahm sie dann auf seinen Rücken und wollte nach seiner Wohnung zurückkehren. Da kam ihm aber ein wildes Schwein in den Weg; er schoß einen Pfeil auf dasselbe ab und traf; allein das Schwein stürzte auf ihn los, haute ihn mit seinen Zähnen auf solche Weise, daß ihm der Bogen aus der Hand flog, und Mann und Schwein fielen tot nieder.
Da kam ein Wolf herzu; der sprach bei sich: dieser Mann und die Gazelle und das Schwein
geben mir auf eine Zeit lang hinlängliche Speise; allein ich will den Anfang machen mit
dem Bogen und diesen zuerst fressen, für heute werde ich an demselben genug haben.
Darauf machte er sich an den Bogen, um ihn entzwei zu machen, allein wie er entzwei ging,
 flog auch der Sattel des Bogens auf und traf seinen Hals, und er fiel tot nieder.


Die Löwin, der Bogenschütze und der Schakal

Eine Löwin, die in dem Dickicht eines Waldes wohnte, hatte zwei Junge. Als sie einmal auf die Jagd ausging, kam ein Bogenschütze an der Höhle vorbei, woselbst sie ihre Jungen zurückgelassen hatte. Er ging auf dieselben los, traf sie mit seinem Wurfspieße, tötete sie, zog ihnen die Haut ab, nahm die Häute und ging mit denselben nach Hause.
Wie die Löwin zurückkehrte und ihre Jungen auf so schreckliche Weise getötet fand, warf sie sich hin und wälzte sich auf Rücken und Bauch herum, indem sie gewaltig schrie und brüllte.
In ihrer Nähe befand sich aber ein Schakal.
Als dieser solches Brüllen der Löwin vernahm, sagte er zu ihr: "Was tust du denn da und was ist dir denn zugestoßen? erzähle es mir doch!"
Da erwiderte ihm die Löwin: "Ein Bogenschütze ging an meinen Jungen vorüber.
Da tötete er sie, zog ihnen die Haut ab, nahm sich die Häute und ließ die Leichname liegen."
Der Schakal entgegnete der Löwin:
"Brülle nicht also, mäßige deinen Schmerz und wisse, daß dieser Bogenschütze dir nichts
anderes zugefügt hat, als was du auch schon an andern getan hast, und zwar an mehr
als einem welche die Ihrigen ebenso, liebten und schätzten, wie du deine beiden Jungen
liebtest. Drum laß dir von Andern gefallen, was sich auch Andere von dir gefallen lassen
mußten. Und es heißt im Sprichwort: Wie du richtest, so wirst du gerichtet werden,
und: jede Handlung trägt als Frucht Belohnung oder Strafe, und nach Maßgabe der Handlung
ist Lohn und Strafe groß oder gering, gleichwie das Feld, wenn die Ernte kommt, Frucht
gibt nach Maßgabe des Samens den man darein gestreut hat."
Die Löwin versetzte hierauf:
"Mache es mir noch deutlicher und klarer, was du sagen willst."
Da fuhr der Schakal, an die Löwin sich wendend also fort:
"Wie viele Lebensjahre zählst du?"
Die Löwin gab zur Antwort: "Hundert Jahre!" —
"Und wovon hast du dich ernährt?" —
"Mit Fleisch von Tieren des Feldes." —
"Wer hat dir solche Speise verschafft?" —
"Ich erjagte die Tiere und fraß sie." —
"Hast du gesehen, daß die Tiere, welche du
verzehrtest Väter und Mütter hatten?
Schon aber geziemt es am meistens daß er sich solches merke. Auch heißt es im Sprichwort:
Was du nicht willst, daß man dir tue, das tue du auch keinem Andern!
Hiermit ist ausgesprochen das, was Recht ist, und am Recht haben Gott der Erhabene, und die Menschen Wohlgefallen."

 
Der Mönch und der Gast

In dem Lande Karch, erzählt man, war ein frommer, Gott ganz ergebener Mönch. Eines
Tages kam ein Gast zu ihm. Alsbald ließ er für diesen seinen Gast Feigen kommen um ihm
damit als mit etwas Neuem aufzuwarten, und sie aßen beide davon.

Darauf sagte der Gast: "Wie süß sind diese Feigen und wie gut! Schade, daß es in der Gegend, wo ich zu Hause bin, keine Feigen gibt!
Indes, ich vermißte sie gerade nicht, denn es gibt in unserer Gegend so viele Früchte,
daß man die Feigen wohl entbehren kann, welche unverdaulich und für den Körper wenig zuträglich sind."
Der Mönch erwiderte ihm: "Siehe! der wird nicht für verständig gehalten, welcher sucht, was für ihn nicht zu finden ist, und glücklich bist du nur dann, wenn du zufrieden bist mit dem was du erreichen kannst."

Dieser Mönch sprach auch hebräisch. Der Gast fand diese Sprache so schön und
bewunderte sie also, daß er sich die Mühe geben wollte, dieselbe zu erlernen. Nachdem
er sich schon mehrere Tage mit der Erlernung derselben beschäftigt, sagte der Mönch zu
ihm: "Wohl möchte dir von wegen dessen, daß du deine Muttersprache aufgibst und dich
bemühest die hebräische zu erlernen, ähnliches begegnen, wie dem Raben begegnet ist."
"Wie war das?" fragte der Gast.

Der Mönch entgegnete:

Der Rabe, der einen andern Gang lernen wollte

Ein Rabe, erzählt man, sah ein Rebhuhn gravitätisch einhersteigen und fand solchen
Gang so schön, daß er denselben auch zu lernen verlangte. Er gab sich viele Mühe,
konnte es aber doch nicht dahinbringen, und als er daran verzweifelte, wollte er wieder
seinen gewohnten Gang annehmen; Da ward er aber ganz wirr in seinem Gang und
spreizte die Beine auseinander und bekam so den häßlichsten Gang von allen Vögeln.

Für einen Toren ist zu halten; wer sich mit Sachen abmüht, die ihm nicht anstehen und
die nicht zu seinem Geschäft gehören und wozu ihn seine Väter und Vorfahren vorher
nicht gebildet haben.

 
Der leichtgläubige Dieb

Da ging eines Nachts ein Dieb mit seinen Gesellen zu dem Haus eines reichen Mannes,
um zu stehlen. Als sie auf dem Dach des Hauses waren, hörte sie der Mann und merkte,
daß es Diebe waren, die in der Stadt schon viel Mord und Diebstahl vollbracht hatten.
Und er sprach zu seiner Frau: "Ich höre Diebe auf unserem Dach, die uns bestehlen wollen, und die uns vielleicht ermorden, wenn wir uns wehren. Darum tue nach meinem Rat
und frage mich mit lauter Stimme, wie ich meinen Reichtum gewonnen habe, und wenn ich nicht gleich antworte, lasse nicht nach mich zu fragen. Die Frau tat nach seinem Geheiß, und der Mann antwortete mit vernehmlicher Stimme: "Laß dich genügen, daß ich so reich geworden bin, und iß und trink und leb in Freuden und frage nicht nach Sachen, die ich dir nicht sagen kann." Die Frau wiederum sprach: "Ich bitte dich bei der Treue, die du immer bei mir gefunden hast, verhehle mir nicht die Ursache deines Reichtums. Jetzt hört uns nimmer und meines Schweigens bist du sicher."
Der Mann antwortete seinem Weib und sprach: "Wiewohl der Weisen Wort warnt,
heimliche Dinge zu offenbaren, so will ich dir das doch bei der Treue deiner Liebe nicht
verschweigen. Wisse, meinen Reichtum habe ich ganz mit Stehlen erworben und
gewonnen. " Die Frau sagt: "Wie mag das sein, du bist doch fromm und von allen
Menschen geachtet?" Darauf antwortete der Mann: "Wisse, daß ich solches mit Weisheit
und Vorsicht getan habe und so heimlich, daß es niemand merken konnte." Wie ging das
zu?" fragte das Weib. Und der Mann entgegnete: "Ich stieg in der Nacht bei vollem
Mondschein auf die Dächer der Häuser, darinnen ich Reichtum glaubte, und ging zu dem
Dachfenster, dadurch der Mond schien, und sprach siebenmal: sulem, sulem, und
ergriff den Strahl des Mondes und ließ mich daran in das Haus hinab. Dann sprach ich
wiederum die Worte der Beschwörung: sulem, sulem, und da zeigte mir der Schein des
Mondes die Stelle, wo der Schatz verborgen lag, und alle Schlösser öffneten sich. Ich
nahm, was ich begehrte, ging wieder zurück zu dem Mondstrahl und tat meine
Beschwörung wie zuvor, da konnte ich auf dem fließenden Schein zu dem Dachfenster
gehen wie auf einer Stiege und brachte so meinen Diebstahl ohne Sorge in meine Gewalt."


Froh waren die drei Diebe auf dem Dach, als sie diese Worte hörten, und sprachen untereinander: Jetzt haben wir gefunden, was uns besser ist als Gold und Silber;
denn jetzt kennen wir die Kunst, ohne Sorge Reichtum zu erwerben. Und der älteste ging
zu dem Dachfenster, sprach die Worte der Beschwörung, die er gehört hatte, umfing den
Strahl des Mondes und glaubte, daran in das Haus zu kommen. Aber er fiel mit seinem Antlitz hart auf die Fliesen des Bodens, und der Hauswirt kam über ihn mit einem
großen Knüppel und sprach: "Wer ist da?" Der Dieb antwortete: "Es ist einer, der zu bald glaubte und damit betrogen ward. Denn was ich gehört habe, habe ich geglaubt, ohne die Wahrheit zu prüfen, und darum bin ich deiner Streiche würdig."


Der Hahn und der Fuchs

Es kam in einer kalten Winternacht ein hungriger Fuchs zu einem Bauernhof und hörte
einen Hahn auf dem Zaun den Tag ankrähen. Er eilte zu ihm und sprach: "Hahn, was
singst du in dieser kalten, finsteren Nacht?" Der Hahn antwortete ihm und sprach:
"Ich verkünde den Tag, dessen Kommen ich voraussehe nach meiner Natur." Da sagte
der Fuchs: "Es ist etwas Göttliches in dir, daß du künftige Dinge weißt." Und als der
Hahn wieder anfing zu krähen, begann der Fuchs zu tanzen mit närrischen Sprüngen.
Verwundert fragte der Hahn nach dem Grund seines Tanzes, und der Fuchs entgegnete
ihm: "Wenn du Weiser singst, muß ich billig tanzen, denn mit Fröhlichen soll man
fröhlich sein. "Und dann sprach er: "O Hahn, du Fürst der Vögel, du gleichst einem
Propheten, da du künftige Dinge verkündest. Wie hat dich die Natur vor allen andern
Kreaturen begabt! O könnte ich deiner Freundschaft würdig werden? Und wenn es dir
nicht möglich ist, mein Freund zu sein, so erlaube mir wenigstens, dies eine Mal dein
Haupt zu küssen, daß ich meinen Gesellen sagen kann, ich habe das Haupt eines
Propheten geküßt." Der Hahn glaubte den Schmeichelreden und flog zu dem Fuchs und
neigte seinen Kopf zu ihm. Der aber ergriff ihn und fraß ihn auf und sprach: "Ich habe
den Weisen, ohne alle Vernunft gefunden."