Der Pläne schmiedende Mönch
Es war einst ein gottesfürchtiger Mann, in dessen
Nachbarschaft ein Händler wohnte,
der mit Honig und Öl Geschäfte machte. Jeden Morgen schickte
dieser aus seinen
Beständen eine gewisse Menge dem frommen Mann zu seiner
Verköstigung. Dieser aß
etwas davon, den Rest tat er in einen Krug, den er über sein
Haupt hing. So wurde
der Krug allmählich voll.
Eines Tages schaute er hinein und dachte: >Sollte es mir
gelingen, den Honig für
zehn Drachmen zu verkaufen, dann kaufe ich mir dafür fünf
Ziegen. Diese bringen
jeden Monat fünf Junge zur Welt, und das ergibt dann schon
bald eine Herde. Das reicht
mir dann völlig zum Leben. Ich stelle meine Sachen selbst
her und suche mir auch eine
Frau. Zweifelsohne wird sie mir einen Sohn schenken. Ihm
gebe ich dann einen schönen Namen, lehre ihn Anstand und all
das, was ich weiß. Wenn er groß geworden ist und aufsässig
werden sollte, werde ich ihm mit diesem Stock schon Manieren
beibringen.< |
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Diese Gedanken ergriffen derart Besitz von ihm, daß er
plötzlich seinen Stock nahm und – ohne sich recht im klaren
darüber zu sein – auf den Krug eindrosch, der natürlich
sofort zerbrach; sein Inhalt, all der Honig, ergoss sich
übersein Gesicht.
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Der Jäger und der
Wolf
Eines Tages ging ein Jägersmann auf die Jagd aus, versehen
mit Bogen und Pfeilen.
Er war noch nicht weit gegangen, so schoß er eine Gazelle.
Er nahm sie dann auf seinen Rücken und wollte nach seiner
Wohnung zurückkehren. Da kam ihm aber ein wildes Schwein in
den Weg; er schoß einen Pfeil auf dasselbe ab und traf;
allein das Schwein stürzte auf ihn los, haute ihn mit seinen
Zähnen auf solche Weise, daß ihm der Bogen
aus der Hand flog, und Mann und Schwein fielen tot nieder.
Da kam ein Wolf herzu; der sprach bei sich: dieser Mann und
die Gazelle und das Schwein
geben mir auf eine Zeit lang hinlängliche Speise; allein ich
will den Anfang machen mit
dem Bogen und diesen zuerst fressen, für heute werde ich an
demselben genug haben.
Darauf machte er sich an den Bogen,
um ihn entzwei zu machen, allein wie er entzwei ging,
flog auch der Sattel des Bogens auf und traf seinen
Hals, und er fiel tot nieder.
Die Löwin, der
Bogenschütze und der Schakal
Eine Löwin, die in dem Dickicht eines Waldes wohnte, hatte
zwei Junge. Als sie einmal auf die Jagd ausging, kam ein
Bogenschütze an der Höhle vorbei, woselbst sie ihre Jungen
zurückgelassen hatte. Er ging auf dieselben los, traf sie
mit seinem Wurfspieße, tötete sie, zog ihnen die Haut ab,
nahm die Häute und ging mit denselben nach Hause.
Wie die Löwin zurückkehrte und ihre Jungen auf so
schreckliche Weise getötet fand, warf sie sich hin und
wälzte sich auf Rücken und Bauch herum, indem sie gewaltig
schrie und brüllte.
In ihrer Nähe befand sich aber ein Schakal.
Als dieser solches Brüllen der Löwin vernahm, sagte er zu
ihr: "Was tust du denn da und was ist dir denn zugestoßen?
erzähle es mir doch!"
Da erwiderte ihm die Löwin: "Ein Bogenschütze ging an meinen
Jungen vorüber.
Da tötete er sie, zog ihnen die Haut ab, nahm sich die Häute
und ließ die Leichname liegen."
Der Schakal entgegnete der Löwin:
"Brülle nicht also, mäßige deinen Schmerz und wisse, daß
dieser Bogenschütze dir nichts
anderes zugefügt hat, als was du auch schon an andern getan
hast, und zwar an mehr
als einem welche die Ihrigen ebenso, liebten und schätzten,
wie du deine beiden Jungen
liebtest. Drum laß dir von Andern gefallen, was sich auch
Andere von dir gefallen lassen
mußten. Und es heißt im Sprichwort: Wie du richtest, so
wirst du gerichtet werden,
und: jede Handlung trägt als Frucht Belohnung oder Strafe,
und nach Maßgabe der Handlung
ist Lohn und Strafe groß oder gering, gleichwie das Feld,
wenn die Ernte kommt, Frucht
gibt nach Maßgabe des Samens den man darein gestreut hat."
Die Löwin versetzte hierauf:
"Mache es mir noch deutlicher und klarer, was du sagen
willst."
Da fuhr der Schakal, an die Löwin sich wendend also fort:
"Wie viele Lebensjahre zählst du?"
Die Löwin gab zur Antwort: "Hundert Jahre!" —
"Und wovon hast du dich ernährt?" —
"Mit Fleisch von Tieren des Feldes." —
"Wer hat dir solche Speise verschafft?" —
"Ich erjagte die Tiere und fraß sie." —
"Hast du gesehen, daß die Tiere, welche du
verzehrtest Väter und Mütter hatten?
Schon aber geziemt es am meistens daß er sich solches merke.
Auch heißt es im Sprichwort:
Was du nicht willst, daß man dir tue, das tue du auch keinem
Andern!
Hiermit ist ausgesprochen das, was Recht ist, und am Recht
haben Gott der Erhabene, und die Menschen Wohlgefallen."
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Der Mönch und der Gast
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In dem Lande Karch, erzählt man, war ein frommer, Gott ganz
ergebener Mönch. Eines
Tages kam ein Gast zu ihm. Alsbald ließ er für diesen seinen
Gast Feigen kommen um ihm
damit als mit etwas Neuem aufzuwarten, und sie aßen beide
davon.
Darauf sagte der Gast: "Wie süß sind diese Feigen und wie
gut! Schade, daß es in der Gegend, wo ich zu Hause bin,
keine Feigen gibt!
Indes, ich vermißte sie gerade nicht, denn es gibt in
unserer Gegend so viele Früchte,
daß man die Feigen wohl entbehren kann, welche unverdaulich
und für den Körper wenig zuträglich sind."
Der Mönch erwiderte ihm: "Siehe! der wird nicht für
verständig gehalten, welcher sucht, was für ihn nicht zu
finden ist, und glücklich bist du nur dann, wenn du
zufrieden bist mit dem was du erreichen kannst."
Dieser Mönch sprach auch hebräisch. Der Gast fand diese
Sprache so schön und
bewunderte sie also, daß er sich die Mühe geben wollte,
dieselbe zu erlernen. Nachdem
er sich schon mehrere Tage mit der Erlernung derselben
beschäftigt, sagte der Mönch zu
ihm: "Wohl möchte dir von wegen dessen, daß du deine
Muttersprache aufgibst und dich
bemühest die hebräische zu erlernen, ähnliches begegnen, wie
dem Raben begegnet ist."
"Wie war das?" fragte der Gast.
Der Mönch entgegnete:
Der Rabe, der einen andern Gang lernen wollte
Ein Rabe, erzählt man, sah ein Rebhuhn gravitätisch
einhersteigen und fand solchen
Gang so schön, daß er denselben auch zu lernen verlangte. Er
gab sich viele Mühe,
konnte es aber doch nicht dahinbringen, und als er daran
verzweifelte, wollte er wieder
seinen gewohnten Gang annehmen; Da ward er aber ganz wirr in
seinem Gang und
spreizte die Beine auseinander und bekam so den häßlichsten
Gang von allen Vögeln.
Für einen Toren ist zu halten; wer sich mit Sachen abmüht,
die ihm nicht anstehen und
die nicht zu seinem Geschäft gehören und wozu ihn seine
Väter und Vorfahren vorher
nicht gebildet haben.
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Der leichtgläubige Dieb
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Da ging eines Nachts ein Dieb mit seinen Gesellen zu dem
Haus eines reichen Mannes,
um zu stehlen. Als sie auf dem Dach des Hauses waren, hörte
sie der Mann und merkte,
daß es Diebe waren, die in der Stadt schon viel Mord und
Diebstahl vollbracht hatten.
Und er sprach zu seiner Frau: "Ich höre Diebe auf unserem
Dach, die uns bestehlen wollen, und die uns vielleicht
ermorden, wenn wir uns wehren. Darum tue nach meinem Rat
und frage mich mit lauter Stimme, wie ich meinen Reichtum
gewonnen habe, und wenn ich nicht gleich antworte, lasse
nicht nach mich zu fragen. Die Frau tat nach seinem Geheiß,
und der Mann antwortete mit vernehmlicher Stimme: "Laß dich
genügen, daß ich so reich geworden bin, und iß und trink und
leb in Freuden und frage nicht nach Sachen, die ich dir
nicht sagen kann." Die Frau wiederum sprach: "Ich bitte dich
bei der Treue, die du immer
bei mir gefunden hast, verhehle mir nicht die Ursache deines
Reichtums. Jetzt hört uns nimmer und meines Schweigens bist
du sicher."
Der Mann antwortete seinem Weib und sprach: "Wiewohl der
Weisen Wort warnt,
heimliche Dinge zu offenbaren, so will ich dir das doch bei
der Treue deiner Liebe nicht
verschweigen. Wisse, meinen Reichtum habe ich ganz mit
Stehlen erworben und
gewonnen. " Die Frau sagt: "Wie mag das sein, du bist doch
fromm und von allen
Menschen geachtet?" Darauf antwortete der Mann: "Wisse, daß
ich solches mit Weisheit
und Vorsicht getan habe und so heimlich, daß es niemand
merken konnte." Wie ging das
zu?" fragte das Weib. Und der Mann entgegnete: "Ich stieg in
der Nacht bei vollem
Mondschein auf die Dächer der Häuser, darinnen ich Reichtum
glaubte, und ging zu dem
Dachfenster, dadurch der Mond schien, und sprach siebenmal:
sulem, sulem, und
ergriff den Strahl des Mondes und ließ mich daran in das
Haus hinab. Dann sprach ich
wiederum die Worte der Beschwörung: sulem, sulem, und
da zeigte mir der Schein des
Mondes die Stelle, wo der Schatz verborgen lag, und alle
Schlösser öffneten sich. Ich
nahm, was ich begehrte, ging wieder zurück zu dem Mondstrahl
und tat meine
Beschwörung wie zuvor, da konnte ich auf dem fließenden
Schein zu dem Dachfenster
gehen wie auf einer Stiege und brachte so meinen Diebstahl
ohne Sorge in meine Gewalt."
Froh waren die drei Diebe auf dem Dach, als sie diese Worte
hörten, und sprachen untereinander: Jetzt haben wir
gefunden, was uns besser ist als Gold und Silber;
denn jetzt kennen wir die Kunst, ohne Sorge Reichtum zu
erwerben. Und der älteste ging
zu dem Dachfenster, sprach die Worte der Beschwörung, die er
gehört hatte, umfing den
Strahl des Mondes und glaubte, daran in das Haus zu kommen.
Aber er fiel mit seinem Antlitz hart auf die Fliesen des
Bodens, und der Hauswirt kam über ihn mit einem
großen Knüppel und sprach: "Wer ist da?" Der Dieb
antwortete: "Es ist einer, der zu bald glaubte und damit
betrogen ward. Denn was ich gehört habe, habe ich geglaubt,
ohne die Wahrheit zu prüfen, und darum bin ich deiner
Streiche würdig."
Der Hahn und der Fuchs
Es kam in einer kalten Winternacht ein hungriger Fuchs zu
einem Bauernhof und hörte
einen Hahn auf dem Zaun den Tag ankrähen. Er eilte zu ihm
und sprach: "Hahn, was
singst du in dieser kalten, finsteren Nacht?" Der Hahn
antwortete ihm und sprach:
"Ich verkünde den Tag, dessen Kommen ich voraussehe nach
meiner Natur." Da sagte
der Fuchs: "Es ist etwas Göttliches in dir, daß du künftige
Dinge weißt." Und als der
Hahn wieder anfing zu krähen, begann der Fuchs zu tanzen mit
närrischen Sprüngen.
Verwundert fragte der Hahn nach dem Grund seines Tanzes, und
der Fuchs entgegnete
ihm: "Wenn du Weiser singst, muß ich billig tanzen, denn mit
Fröhlichen soll man
fröhlich sein. "Und dann sprach er: "O Hahn, du Fürst der
Vögel, du gleichst einem
Propheten, da du künftige Dinge verkündest. Wie hat dich die
Natur vor allen andern
Kreaturen begabt! O könnte ich deiner Freundschaft würdig
werden? Und wenn es dir
nicht möglich ist, mein Freund zu sein, so erlaube mir
wenigstens, dies eine Mal dein
Haupt zu küssen, daß ich meinen Gesellen sagen kann, ich
habe das Haupt eines
Propheten geküßt." Der Hahn glaubte den Schmeichelreden und
flog zu dem Fuchs und
neigte seinen Kopf zu ihm. Der aber ergriff ihn und fraß ihn
auf und sprach: "Ich habe
den Weisen, ohne alle Vernunft gefunden."
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