Fabelverzeichnis
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Bruder Wernher

Er war hervorragender Spruchdichter aus der Zeit des Minnesangs.

Bruder Wernher war ein etwa 1225-1250 vornehmlich in Österreich und im Interesse der
österreichischen Landesherren wirkender, von Walther von der Vogelweide beeinflusster
Spruchdichter und hielt wie dieser Verbindungen zum Wiener Hof.


Seine frühesten Gedichte auch schon eine feste Manier zeigen, so mag er etwa 1190 geboren sein.
Bekannt ist, dass er als fahrender Sänger in den bayrisch-österreichischen Landen
(Steiermark und Kärnten) zwischen 1225 und 1250 umherzog.
Offenbar nicht sehr vermögend, suchte er Gönner, die er in seinen Liedern ansprach und auf deren
Großzügigkeit (milte) er hoffte.


Auch er wird zu den
zwölf alten Meistern gezählt.
 

Die Deutung dieser Strophe ist umstritten. Möglicherweise ist die Fabel vom Affen und der Schildkröte hier auf Ereignisse von 1229 zu
beziehen: Kaiser Friedrich II. (V.11) habe eine Seefahrt –d.h. einen Kreuzzug– unternommen, sei durch den Versuch, Sizilien zu besetzen,
vom Papst unter Druck gesetzt worden. Er habe aber durch eine überraschend schnelle Rückkehr die Lage zu seinen Gunsten gerettet.

 
Ez wolte ein affe über einen se
 
Es wollte einmal ein Affe über einen See
 
Ez wolte ein affe über einen se, do kunder wol geswimmen nicht,
er bat eine schorpen, daz si in vuorte, als die abentiure gicht.
ez satz in of die bulen sin unde vuort in verre in den tîch.
Do her quam mitten of den wach, ez sprach: »ich wil zuo grunde gan,
du ne gebist mir daz herze din, oder ich wil dich ertrinken lan.«
der affe bot im vuor daz herze sine lide gar gelich,
ez en wolte nicht wen daz herze sin.
Daz schorpe vloz dem lande ein teil zuo nahe,
der affe spranc unz an daz lant, dar umme quam die schorpe in pin.

Daz sult ir vuor ein bispil ouch vurfan:
der keiser der ist komen uz unde ist gesprungen an den stat,
ir miete gerenden schorpelin, her tuot uch dar umme an selden mat.


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Es wollte einmal ein Affe über einen See, aber weil er nicht schwimmen konnte,
bat er eine Schildkröte, daß sie ihn hinüberbringe — so lautet die Geschichte:
Sie setzte ihn auf ihren Buckel und führte ihn mitten in den Teich hinein.
Als sie mitten in dem Gewässer angekommen war, sagte sie: »Ich werde jetzt
untertauchen und dich ertrinken lassen, wenn du mir nicht dein Herz gibst.»
Der Affe bot ihr anstelle seines Herzens seine Glieder an,
doch sie wollte nur das Herz.
Die Schildkröte kam währenddessen dem Land etwas zu nahe,
und der Affe sprang hinüber zum Ufer: davon kam die Schildkröte in Not.

Dies sollt ihr als ein Exempel verstehen:
Der Kaiser ist herausgekommen und auf festes Land gesprungen;
ihr geldgierigen Schildkröten, damit setzt er euer Glück matt!


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Nieman sol guot vuor mir vuorsparn
 
Niemand soll an mir sein Geld sparen
 
Nieman sol guot vuor mir vuorsparn.
sint daz ich gedenke vil der jare
han ich der lande vil durchvaren,
so ken ich ouch der dorfe deste mere.
Ich kan ouch deste baz gesagen,
wa mit der man vuorluoset wirde unde ere,
swar ich daz indert muoz vuordagen,
daz vromet vuor scanden nicht kegen eime hare.
Ich wil ouch unvuorworfen sin;
die wile unde ich geroren mac die zungen,
so tuon ich mit gesange schin,
ob ich ein schelten pruben kan den alten unde den jungen.
Ich meine die alten, die mit scanden haben gelebet von kindes jugent,
dar zuo mein ich die jungen, die da wahsen ane tugent.
 
Niemand soll an mir sein Geld sparen!
Wenn ich mich an meine vielen Lebensjahre erinnere,
so habe ich viele Lande durchreist,
und ich kenne dadurch besonders viele Dörfer.
Ich kann daher auch besonders gut sagen,
wodurch man Wertschätzung und Ansehen verliert;
wenn ich das irgendwo verschweigen muß,
so hilft das auch nicht das geringste dagegen, daß man in schlechten Ruf gerät.
Ich will auch furchtlos sein:
Solange ich noch meine Zunge rühren kann,
so mache ich durch meinen Gesang offenbar,
ob ich etwas Tadelnswertes an jung oder alt feststellen kann;
damit meine ich die Alten, die von Kind an in schlechtem Ruf lebten,
und ich meine ferner diejenigen Jungen, die ohne Wert und Anstand aufwachsen.

 
Quelle:
©Reclam 1993 Deutsche Gedichte des Mittelalters/Ausgewählt, übersetzt und erläutert von ©UlrichMüller/©Gerlinde Weiss

 
Mahnung an Papst Gregor IX. zum Kampf gegen die Ketzerei, vor allem in der Lombardei,
zum Zusammenhalten mit Friedrich II. und zur Förderung des Kreuzzugs.
Vielleicht auf Frühjahr 1227 zu datieren.

 
Gregôrje, bâbest, geistlich vater
 
Gregorius, Papst, geistlicher Vater
 
Gregôrje, bâbest, geistlich vater, wache und brich abe dînem slâf!
dû wende, daz in vremder weide iht irre loufen dîniu schâf,
ez wahst junger wolve vil in trügelîcher wât.
Lamparten glüet in ketzerheit, warumbe leschest dû daz niht,
daz man sô vil der dîner schâfe in ketzer vuore weiden siht?
si schenkent dir von golde ein twalm, daz dich in sünden lât.
Dem keiser hilf sîn reht behaben,
daz hoehet dich und allen geistlich orden!
gedenke wol, daz got die marter umb uns leit und wart begraben!
lâ zwischen dir und im niht hazzes horden:
sô wirt der vride und der geloube starc und nimt niht abe,
sô sul wir prüeven eine vart vür sünde hin ze gotes grabe.

 
Gregorius, Papst, geistlicher Vater, sei wachsam, kürze deinen Schlaf!
Verhüte, daß in fremder Weide deine Schafe irregehn.
Viel junger Wölfe zeigen sich in täuschendem Gewand.
Die Lombardei glüht im Ketzertum, warum löscht du sie nicht,
daß man so viel deiner Schafe im Ketzerwesen weiden sieht?
Sie schenken dir aus Gold einen Rauschtrank ein, der dich in Sünden läßt.
Dem Kaiser hilf sein Recht bewahren,
das erhöht dich und alle geistliche Ordnung!
Denk daran, daß Gott die Marter für uns litt und begraben ward!
Laß zwischen dir und ihm keinen Haß gedeihn:
dann wird der Friede und der Glaube stark und wächst,
dann werden wir die Fahrt für unsre Sünden hin zu Gottes Grabe rüsten.

 
Quelle:
©Manesse Bibliothek der Weltliteratur/Auswahl und Übersetzung von ©Max Wehrli