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Quelle der Fabeln:

Ignaz Franz Castelli
(6. März 1781 - 5. Februar 1862)

aus Castelli's sämtliche Werke II./Gedichte/zweites Bändchen
Wien 1844
Druck und Verlag von Ant. Pichler's Witwe.

 
 
Fabeln 1
 
1.
Die faule Frucht

Von einem Baume brach ein Leckermaul
Ein Birnlein, dieses war von Innen faul;
Nun haut den Baum er um, samt vielen guten Früchten. —
O möchte die Kritik nie so ihr Amt verrichten!

2.
Der Glühwurm

Ein Glühwurm ergötzt' im Grase sich,
Da gab eine Schlang' ihm schnell einen Stich.
»Was tat ich dir, daß du den Tod mir bereitet?«
— »Hast du nicht Licht um dich her verbreitet?«

3.
Die Rose und der Zephyr

Ein Röslein ließ der Flur sein sanftes Rot beschauen.
Ein Zephyr kam und trieb sein Spiel,
Ein Blättchen nach dem andern fiel; —
So welkt von einem Hauch der gute Ruf der Frauen.

4.
Die Lust und die Besorgnis

Die Lust, ein Kind, verhätschelt, unvernünftig,
Sah lächelnd man an jedem Abgrund stehn.
Da sprach der Gott der Götter: Du sollſt künftig
Nur Arm in Arm mit der Besorgnis gehn!

5.
Der Betrunkene

Bibax zerkeucht auf dem Wege sich,
Schimpft auf die Straße gar jämmerlich,
Daß sie nicht grade gebahnt sei, nicht eben. —
Hätt' er die Schuld doch sich ſelber gegeben!

6.
Der Altar und die Gerechtigkeit

Ein Schuldiger floh in das Gotteshaus.
Es schrie die Gerechtigkeit: Gebt ihn heraus!
Eine Stimm' erscholl aus des Altars Rauch:
Zurück! ich bin heilig, das Unglück iſt's auch.

7.
Der Spiel – Ball

Hört doch des Balles Klagen erschallen:
»Wenn ich auch steig, muß ich wieder fallen,
Darf ich denn nicht immer höher streben?« —
Allen geht's so, die durch Andre sich heben.

8.
Der Wanderer und der Räuber

Zog ein Wanderer singend am Morgen
Froh durch den Wald; sah ein Räuber ihn,
Sprach: »Weil so lustig er singt, mag er ziehn,
Der hat kein Geld; denn sonſt hätt' er auch Sorgen.«

9.
Das Pferd und der Knabe

»Ein Knäbchen ritt auf einem Pferde:
Auf Starker! schleudre den Buben zur Erde!«
»»– Zu klein ist der Arme für meine Rache,
Den Starken ehrt nicht der Sieg über Schwache.««

10.
Der Affe

Im Doktorhut wollt' ein Affe sich zeigen,
Er saß gravitätisch, das Haupt gesenkt.
Seht, — rief man, — den Philosophen, er denkt.
Die einzige Klugheit des Dummen ist — Schweigen.

11.
Die Liebe und die Freundschaft

Liese ließ Amorn ins Haus nicht hinein,
Dieser fing bitterlich an zu weinen;
»Wechsle,« sprach Freundschaft, »dein Kleid mit dem meinen,
Klopfe, — man öffnet, — der Sieg ist dein.«

12.
Die Zeit

Ein Röslein lebte nur zwei Tage,
Ein Veilchen rief: »Beneidenswerte Lage!
Du lebst ja eine Ewigkeit!« —
So messen wir die Zeit.

13.
Die Pappel und die Linde

»Tor!« sprach die Pappel zum Lindenbaum — »breite
Doch nicht die Zweig' in die Tiefe und Weite;
Heb dich empor!« — — »»Laß die Zweige mich biegen,
Andre erquicken ist auch ein Vergnügen.««

14.
Die Stecknadel

Die Nadel hielt so lange treu der Frau
Die Schleife fest, sie bog erst spät sich um
Und nun wirft man sie weg! — Dein Schicksal schau,
Du treuer Diener! beugt dich Alter krumm.

15.
Der Schmetterling und die Raupe

»Fort, häßliches Tier!« ein Schmetterling sprach
Zu einer Raupe, die auf einem Blatt gesessen;
Doch diese gibt ihm Antwort: — »Nur gemach!
Das heißt doch seine Abkunft schnell vergessen.«

16.
Der Löwe und die Wölfe

Um eine Ziege stritten voll Übermut
Zwei Wölfe, Diener des Löwen; — der ging vorbei,
Sah es und machte die Ziege frei. —
Grausam sind oft nur die Knechte, der Herr ist gut.

17.
Der Hund

Weil Philax treu und wachbar ist,
Macht ihm sein Herr ein stärkres Halsband noch,
Und schließt ihn fester an das Hundeloch.
Du kommst nicht weiter, wenn du brauchbar bist.

18.
Der Wanderer und die Biene

         
Wanderer
Flieg' an jener Blum' vorüber,
Giftig ist sie, gutes Tier!
            
Biene
Nur den Nektar saug' ich, Lieber!
Und das Giftge lass' ich ihr.

19.
Der Jagdhund und das Rebhuhn

Ein Jagdhund kroch auf eines Rebhuhns Spur,
Das Huhn bemerkt's und flog in höh're Sphären,
Und rief herab: »Ihr Feinde! kriechet nur,
Ihr sollt mir doch den Flug nicht wehren.«

20.
Der Bucklige

Man spottet sehr des buckligen Hans Hagen,
Er schaut sich an, kann nicht den Grund erblicken; —
Er trägt den Buckel nämlich auf dem Rücken,
So wie wir Andre unsre Fehler tragen.

21.
Die beiden Ärzte

Ein Arzt griff hastig auf der Wunde Beulen,
Der Kranke schrie. — Ein klüg'rer Mann
Griff sie nur langsam und gelinde an. —
So muß man auch des Herzens Wunden heilen.

22.
Die Brille

Brigitte sucht einst ihre Brill' im Grase,
»Frau!« — sprach die Magd, — »ihr habt sie auf der Nase.«
So suchen wir auch oft des Glückes Gaben,
Wenn wir sie haben.

23.
Der Räuber

»Da ist ein Räuber!« — sprach, die Kerze meinend, — Töffel,
Da rief ein Mann am Tisch mit blassem Angesicht:
»»Erbarmt Euch meiner! hier ist der gestohlne Löffel!««
Es sieht der Schuldige allüb'rall das Gericht.

24.
Tinte, Feder und Papier

»Mir dankst du deinen Ruhm!« sprach das Papier;
Die Tinte sprach: »»Das Leben geb' ich dir;««
»»»Ich leit' euch Beide!««« sprach die Feder drauf —
Der Eine braucht den Andern — Weltenlauf!

25.
Des Todes Agent

Einen Agenten wollte der Tod senden zur Welt,
Fieber und Liebe und Pest boten dazu sich mit Freuden:
»Warum hat sich kein Arzt, — also fragte der Tod, — eingestellt?«
Wahres Verdienst ist bescheiden.